Austromarxismus, Revisionismus und Opportunismus

Tibor Zenker

Austromarxismus, Revisionismus und Opportunismus

Vor genau 80 Jahren beschloss der Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschösterreichs (SDAP) ein Programm von historischem Wert. Da dieser SP-Parteitag am ersten Novemberwochenende 1926 in der oberösterreichischen Landeshauptstadt abgehalten wurde, ging dieses zentrale “austromarxistische” Dokument als “Linzer Programm” in die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung ein. Von “linken” SozialdemokratInnen mystifiziert, von revolutionären MarxistInnen belächelt, von den Bürgerlichen verdammt – so die Rezeptionsgeschichte des Linzer Programms. Doch was steht wirklich drinnen? Und welche Bedeutung hatte und hat dieses Programm?

Mit dem Linzer Programm formulierte die österreichische Sozialdemokratie 1926 gewissermaßen die Klammer des “Austromarxismus”. So wenig es einen wirklich einheitlichen “Austromarxismus” gab, so mussten im sozialdemokratischen Parteiprogramm erstrecht die

Positionen von ganz rechts (Karl Renner) bis relativ links (Otto Bauer) zusammenfinden, daneben mussten leicht obskure, unmarxistische Ansätze integriert werden (Max Adler). Vor diesem Hintergrund ist das Ergebnis herzeigbar, zumal es im Wesentlichen Otto Bauers Handschrift trägt. – Gehen wir die Inhalte der Reihe nach durch.

Erster und zweiter Abschnitt: Kapitalismus und Klassenkampf

Der erste Abschnitt des Programms lautet “Der Kapitalismus” – hier finden wir eine knappe Analyse des gegenwärtigen Kapitalismus, d.h. des Monopolkapitalismus (Imperialismus), die durchaus imstande ist, die wesentlichsten Erscheinungen dieser Zeit zu erfassen. Hier heißt es in Punkt 4 ff.: “Die kapitalistischen Großbetriebe vereinigen sich zu immer größeren Konzernen, sie organisieren sich in Kartellen und Trusts, sie geraten immer mehr unter die Herrschaft des Finanzkapitals. Mächtige Kartelle diktieren dem ganzen Volke die Warenpreise. Große Industriekonzerne, die ganze Produktionszweige stillzulegen vermögen, zwingen den Regierungen und Volksvertretungen ihren Willen auf. Die Großbanken beherrschen die Produktion, sie üben auf Staat und Gesellschaft den stärksten Einfluss. Das ganze arbeitende Volk gerät so unter die drückende Herrschaft einer kleinen Zahl von Kapitalsmagnaten. (…) Die Entwicklung der Produktivkräfte sprengt die nationalen Grenzen der kapitalistischen Organisationen. Die wirtschaftliche und politische Weltmacht sammelt sich in den Händen des Finanzkapitals der hochkapitalistischen Staaten. Internationale Kartelle diktieren den einzelnen Ländern die Warenpreise und den Umfang der Produktion. Kleine und wirtschaftlich schwache Länder geraten in drückende Abhängigkeit von den großkapitalistischen Weltmächten. Die heimische Kapitalistenklasse wird zum Fronvogt der internationalen Hochfinanz, das nationale Staatswesen gerät unter den Druck der kapitalistischen Weltmächte. (…) Die Kapitalistenklassen der hochkapitalistischen Staaten suchen die wirtschaftlich rückständigen Gebiete außerhalb des europäischen Kulturkreises als Absatzmärkte, Rohstoffquellen und Kapitalsanlagegebiete zu erobern. Der Wettbewerb um die Kolonialgebiete erzeugt immer neue Gegensätze zwischen den kapitalistischen Weltmächten. Das Eindringen des Kapitalismus in die außereuropäischen Kulturkreise wälzt ihre überlieferten Gesellschaftsordnungen um; die imperialistischen Weltmächte unterwerfen die Völker der fremden Kulturkreise ihrer Gewaltherrschaft. Sie ruft Befreiungskämpfe der unterdrückten Völker hervor. Diese imperialistische Weltumwälzung erzeugt ständige Kriegsgefahr. Zugleich wird mit der Entwicklung der Technik des kapitalistischen Großbetriebes auch die Kriegstechnik ständig umgewälzt. Die Entwicklung des Kapitalismus droht so, durch immer furchtbarere Kriege, die ganze Zivilisation zu zerstören.” – Dies ist gewiss eine marxistische Betrachtung des monopolistischen Kapitalismus, wie er sich nach dem Ersten Weltkrieg gegenwärtig war. Die SDAP anerkennt hier immerhin die Erkenntnisse Rudolf Hilferdings (die dieser in Deutschland zu jener Zeit freilich bereits wieder revidierte), wir haben also zumindest im Kern imperialismustheoretische Ansätze, die selbst bis heute wenig an Aktualität eingebüßt haben. Der einzige Kritikpunkt hier wäre, dass eine reine Oberflächenanalyse des Monopolkapitalismus zu falschen strategischen Ansätzen zu verleiten vermag. Im Analyseteil fehlt – im Gegensatz etwa zum Programm der KPR (B), wo Lenin dies 1918 mit Bestimmtheit hineinreklamiert hatte – eine Darlegung des grundlegenden ausbeutenden Charakters der kapitalistischen Lohnarbeit, auf deren Basis die allgemeine Bedrückung durch die Herausbildung der Großbetriebe und Monopole hervorgehoben wird. Aber das ist noch kein Beinbruch, sondern bloß eine Verstauchung.

Der zweite Abschnitt widmet sich dem Klassenkampf, zu dem sich die SDAP explizit bekennt. Der Klassenkampf zieht sich begrifflich in der einen oder anderen Form durch das gesamte Programm. Die ArbeiterInnenklasse “mit der Erkenntnis der Unvereinbarkeit ihrer Lebens- und Entwicklungsinteressen mit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu erfüllen, ist die Aufgabe der sozialdemokratischen Arbeiterpartei.” Weiters heißt es: “Zur ihrer Aufgabe wird es nunmehr unter der Führung der Arbeiterklasse immer breitere Schichten aller arbeitenden Volksklassen zum Kampfe gegen die von der Kapitalistenklasse geführten Bourgeoisie zu vereinigen.” – Hier ist aufgrund einer richtigen Einschätzung der Entwicklung des Monopolkapitalismus und der Herrschaft des Finanzkapitals die Wichtigkeit der Bündnispolitik des Proletariats hervorgehoben: “Je mehr die Arbeiterklasse im Kampfe für ihre eigene Befreiung zur Vorkämpferin des ganzen arbeitenden Volkes gegen das alle Klassen des arbeitenden Volkes beherrschende und ausbeutende Großkapital wird, desto breitere Schichten der Kleinbauernschaft, des Kleinbürgertums, der geistigen Arbeiter scharen sich um die Arbeiterklasse.” Klar angesprochen wird also, dass immer mehr Menschen nichtproletarischer Schichten durch das Monopolkapital unterdrückt werden, diese müssen sich um das Proletariat zum antimonopolistischen Bündnis gegen die geballte Macht des Großkapitals und des Großgrundbesitzes zusammenschließen. Die Frage ist jedoch, wie wir im Folgenden sehen werden: zu welchem Endzweck?

Dritter Abschnitt: Die Machtfrage, Staat und Revolution

Der dritte Abschnitt ist nun der eigentlich heikle am Linzer Programm. Er befasst sich mit dem “Kampf um die Staatsmacht”. Die Problematik, die uns in diesem Abschnitt begegnet und die freilich zum Grundproblem der SDAP werden sollte, spiegelt sich bereits in der eingangs aufgestellten Behauptung, die “Geschichte der demokratischen Republik ist die Geschichte der Klassenkämpfe zwischen der Bourgeoisie und der Arbeiterklasse um die Herrschaft in der Republik”, wider. Hier wird ein Zitat aus dem “Kommunistischen Manifest” von Marx und Engels zwar recht hübsch umgelegt, inhaltlich aber leider in einen falschen Kontext gestellt. Zwar ist die demokratische Republik, wie Engels schreibt, tatsächlich die “höchste Staatsform, … die in unsern modernen Gesellschaftsverhältnissen mehr und mehr unvermeidliche Notwendigkeit wird und die Staatsform ist, in der der letzte Entscheidungskampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie allein ausgekämpft werden kann” (MEW 21, S. 167) – nur ist und bleibt sie eben eine bürgerlich-kapitalistische Form.

Es entspringt auf dieser Grundlage nun eine fatale strategische Ausrichtung der SDAP: “Gelingt es der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, … die manuellen und die geistigen Arbeiter in Stadt und Land zu vereinigen und der Arbeiterklasse die ihr nahestehenden Schichten der Kleinbauernschaft, des Kleinbürgertums, der Intelligenz als Bundesgenossen zu gewinnen, so gewinnt die sozialdemokratische Arbeiterpartei die Mehrheit des Volkes. Sie erobert durch die Entscheidung des allgemeinen Wahlrechtes die Staatsmacht. (…) Die sozialdemokratische Arbeiterpartei erstrebt die Eroberung der Herrschaft in der demokratischen Republik, nicht um die Demokratie aufzuheben, sondern um sie in den Dienst der Arbeiterklasse zu stellen, den Staatsapparat den Bedürfnissen der Arbeiterklasse anzupassen und ihn als Machtmittel zu benützen, um dem Großkapital und dem Großgrundbesitz die in ihrem Eigentum konzentrierten Produktions- und Tauschmittel zu entreißen und sie in den Gemeinbesitz des ganzen Volkes zu überführen. (…) Die sozialdemokratische Arbeiterpartei wird die Staatsmacht in den Formen der Demokratie und unter allen Bürgschaften der Demokratie ausüben. Die demokratischen Bürgschaften geben die Gewähr dafür, dass die sozialdemokratische Regierung unter ständiger Kontrolle der unter der Führung der Arbeiterklasse vereinigten Volksmehrheit handeln und dieser Volksmehrheit verantwortlich bleiben wird. Die demokratischen Bürgschaften werden es ermöglichen, den Aufbau der sozialistischen Gesellschaftsordnung unter den günstigsten Bedingungen, unter ungehemmter, tätigster Teilnahme der Volksmasse zu vollziehen.” – Dem gegenüber nochmals Engels zur bürgerlichen Demokratie: “Es wäre … eine völlig unbegründete Illusion, sie ihrem Wesen nach für eine sozialistische Form zu halten oder ihr, solange sie von der Bourgeoisie beherrscht ist, sozialistische Aufgaben anzuvertrauen. Wir können ihr Zugeständnisse entreißen, aber ihm niemals die Ausführung unserer eigenen Arbeit übertragen.” (MEW 39, S. 216)

Die “Revolution mit dem Stimmzettel”, Otto Bauers “dritter Weg” zum “demokratischen Sozialismus” ist zunächst als Negativ zu fassen – er lehnt einerseits den revolutionären Marxismus im Sinne Lenins (eigentlich also im Sinne von Marx und Engels) ab, anderseits wendet er sich auch (zumindest in Worten) gegen einen reinen Reformismus, wenngleich sowohl Bauers Konzept als auch v.a. die sozialdemokratische Praxis freilich mit letzterem viel gemein hat, denn der “dritte Weg” ist gewissermaßen als “radikaler Reformismus” zu sehen. Aber widmen wir uns zuerst noch der Terminologie. Das Konstrukt des “demokratischen Sozialismus” soll zunächst das Gegenstück zu Marx’ Begriff der “Diktatur des Proletariats” sein. Marx selbst schreibt ja in seiner “Kritik des Gothaer Programms” recht klar und deutlich: “Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.” (MEW 19, S. 28) – Nach dem Linzer Programm und Bauer ist dies zu revidieren, sie klammern sich an das, was Engels ca. 20 Jahre später geschrieben hat: “Man kann sich vorstellen, die alte Gesellschaft könne friedlich in die neue hineinwachsen in Ländern, wo die Volksvertretung alle Macht in sich konzentriert, wo man verfassungsgemäß tun kann, was man will, sobald man die Majorität des Volks hinter sich hat.” (MEW 22, S. 234) – Wesentlich bei dieser Aussage von Engels sind freilich die ersten vier Worte.

Terminologisch und inhaltlich stellt Bauers Opposition des “demokratischen Sozialismus” zur Diktatur des Proletariats eine grobe Verwirrung und Verzerrung dar. Der Fehler, der hier gemacht wird, ist, die Begriffe ihres Klasseninhalts zu entledigen – Bauer gebraucht sie in einem willkürlichen bürgerlichen Sinn. Was hier geschieht, ist, durch die mechanische, vom Klasseninhalt der Macht abstrahierende Gegenüberstellung der Begriffe “Diktatur” und “Demokratie” den demokratischen Charakter der Diktatur des Proletariats in Abrede zu stellen und den Klassencharakter des bürgerlichen Staates als Diktatur der Bourgeoisie zu verschleiern. Es ist nicht zufällig Bestandteil der bürgerlichen Ideologie und Staatstheorie, die Auffassung einer “reinen”, d.h. klassenindifferenten Demokratie zu predigen, die einer ebenso abstrakten Diktatur gegenübergestellt wird. Formale Kriterien (Parlamentarismus, verschiedene konkurrierende Parteien, verfassungsrechtlich gesicherte bürgerlich-demokratische Rechte, d.h. auch oder v.a. Schutz des Privateigentums) werden in den Vordergrund geschoben, der Klasseninhalt soll verschleiert werden. Die Demokratie trägt aber stets Klassencharakter und der bürgerliche Staat ist unabhängig von seiner Form – ob rechtsstaatliche, liberale Demokratie, autoritäre Herrschaft oder offene faschistische Diktatur – charakterlich stets eines: die Diktatur der Bourgeoisie (bzw. im Monopolkapitalismus differenzierter die Diktatur insbesondere der Monopolbourgeoisie). Dies nimmt das Linzer Programm jedoch nicht gebührend zur Kenntnis, daher auch falsche Schlüsse. Natürlich geht es also für das Proletariat – gemeint ist wohl ohnedies die SDAP – keineswegs um die Herrschaft in dieser bürgerlichen demokratischen Republik. D.h. Bauers Sozialdemokratie klammert sich an Formen, deren Inhalte ausblendet werden. Es gilt eben, was Lenin festhält zum Marx’schen Begriffs der Diktatur des Proletariats: “In Wirklichkeit ist diese Periode unvermeidlich eine Periode unerhört erbitterten Klassenkampfes, unerhört scharfer Formen dieses Kampfes, folglich muss auch der Staat dieser Periode unvermeidlich auf neue Art demokratisch (für die Proletarier und überhaupt für die Besitzlosen) und auf neue Art diktatorisch (gegen die Bourgeoisie) sein.” (Lenin, Staat und Revolution, Ausgewählte Werke, Moskau 1946, Bd. II, S. 183). Lenin spricht hier also den Doppelcharakter der revolutionären ArbeiterInnenmacht an: Sie bedeutet die absolute Demokratie für die Mehrheit der Menschen, die bislang unterdrückt und ausgebeutet wurde, und sie bedeutet gleichzeitig die gegen die bisherigen AusbeuterInnen, die die unproduktive Minderheit darstellen, gerichtete Diktatur im Sinne der Niederhaltung dieser konterrevolutionären Kräfte. Das bedeutet, der oft dumpfe Vorwurf, der Marxismus würde eine “totalitäre” despotische oder tyrannische Diktatur errichten wollen, geht völlig ins Leere – denn der marxistische Diktaturbegriff ist natürlich ein gänzlich anderer als der bürgerliche, nämlich ein klassenspezifischer. In Wirklichkeit bedeutet die Diktatur des Proletariats für die ausgebeuteten Werktätigen die vollständige Demokratie, für die bisherigen AusbeuterInnen hingegen – das ist richtig – bedeutet dies gewissermaßen eine Diktatur, da ihre bisherige Vorherrschaft durch die sozialistische Demokratie aufgehoben wird. An anderer Stelle präzisiert Lenin: “Wir Sozialisten sind nur soweit Anhänger der Demokratie, wie diese die Lage der Werktätigen und Unterdrückten erleichtert. Der Sozialismus stellt sich die Aufgabe, in der ganzen Welt gegen jede Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu kämpfen. Für uns ist nur jene Demokratie von wirklicher Bedeutung, die den Ausgebeuteten, die den Entrechteten dient. Wenn einer, der nicht arbeitet, das Wahlrecht verliert, so wird die Gleichberechtigung zwischen den Menschen erst wahr. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen” (zitiert nach: Zetkin, Schriften zur proletarischen Frauenbewegung, Wien 1979, S. 57). Die wesentlichen charakterlichen Grundzüge der proletarischen, der vollständigen Demokratie erklärte Marx u.a. anhand des historischen Beispieles der Pariser Kommune von 1871 (vgl. MEW 17, S. 339), Bauer vertuscht dies bewusst, denn diese Stellen kennt er natürlich im Schlaf.

Diese Tatsachen werden also vom “Linzer Programm” ignoriert. Es wird vorgegeben, das Proletariat käme im Rahmen der bürgerlichen Demokratie vermittelst des in ihr verwirklichten Stimmrechts zur Macht und könnte sodann die kapitalistische Gesellschaft in eine sozialistische transformieren – damit entledigt sich die österreichische Sozialdemokratie bequem jedes revolutionären Inhalts. Engels bringt auch auf den Punkt, welchen Wert eine Propagierung der klassenindifferenten Demokratie seitens einer sozialdemokratischen Partei hat: “Die ‘reine Demokratie’ kann im Moment der Revolution … als letzter Rettungsanker der ganzen bürgerlichen … Wirtschaft momentan Bedeutung bekommen …, um die revolutionäre Masse niederzuhalten. … Jedenfalls ist unser einziger Gegner am Tage der Krise und am Tag nachher – die um die reine Demokratie sich gruppierende Gesamtreaktion.” (Engels, Briefe an Bebel, Berlin 1958, S. 102 f.) – Jeder Mensch kann nun selbst entscheiden, welchen Wert ein Bekenntnis der SDAP zum wissenschaftlichen Sozialismus hat, wenn der entscheidende Kernpunkt der Revolutionstheorie von Marx und Engels ein paar Seiten weiter fallengelassen wird. Und jeder Mensch kann selbst entscheiden, welchen Wert ein Bekenntnis zum proletarischen Klassenkampf hat, wenn der immanente Höhepunkt dieses Klassenkampfes, die proletarische Revolution, für obsolet erklärt wird. Marx hat die Zusammenhänge bereits 1852 in aller Klarheit in einem Brief an Joseph Weydemeyer (datiert auf den 5. März) dargelegt, nämlich, “1. dass die Existenz der Klassen bloß an bestimmte, historische Entwicklungskämpfe der Produktion gebunden sei, 2. dass der Klassenkampf notwendig zur Diktatur des Proletariats führe, 3. dass diese Diktatur selbst nur den Übergang zur Aufhebung aller Klassen und zu einer klassenlosen Gesellschaft bilde” (MEW 28, S. 507 f.). Damit ist offensichtlich, dass das, was im “Linzer Programm” festgeschrieben ist, nichts als unmarxistischer Reformismus ist, ja ein gefährlicher Revisionismus, der umso gefährlicher wird, wenn er “ehrlich” gemeint ist. Und wie gefährlich er ist, zeigte sich spätestens mit der Machtergreifung des Austrofaschismus 1933/34. Hier musste die SDAP nun zur Kenntnis nehmen, dass der Satz Ernst Thälmanns richtig war: “Faschismus und Demokratie sind nur zwei Formen ein und derselben Sache und diese Sache heißt: kapitalistische Klassenherrschaft, Diktatur der Bourgeoisie” (Thälmann, Reden und Schriften 1930-1933, Köln 1975, Bd. 1, S. 326).

Die SDAP leugnete im “Linzer Programm” aber keineswegs die Möglichkeit einer (antizipierten) Konterrevolution und der Errichtung einer faschistischen Diktatur. So heißt es im dritten Abschnitt auch: “Die Bourgeoisie wird nicht freiwillig ihre Machtstellung räumen. Findet sie sich mit der ihr von der Arbeiterklasse aufgezwungenen demokratischen Republik ab, solange sie die Republik zu beherrschen vermag, so wird sie versucht sein, die demokratische Republik zu stürzen, eine monarchistische oder faschistische Diktatur aufzurichten, sobald das allgemeine Wahlrecht die Staatsmacht der Arbeiterklasse zu überantworten droht oder schon überantwortet haben wird. Nur wenn die Arbeiterklasse wehrhaft genug sein wird, die demokratische Republik gegen die monarchistische oder faschistische Gegenrevolution zu verteidigen, nur wenn das Bundesheer und die anderen bewaffneten Korps des Staates auch dann die Republik schützen werden, wenn die Macht in der Republik durch die Entscheidung des allgemeinen Wahlrechtes in die Hand der Arbeiterklasse fällt, nur dann wird es die Bourgeoisie nicht wagen können, sich gegen die Republik aufzulehnen, nur dann wird daher die Arbeiterklasse die Staatsmacht mit den Mitteln der Demokratie erobern und ausüben können. (…) Wenn es aber trotz allen diesen Anstrengungen der sozialdemokratischen Arbeiterpartei einer Gegenrevolution der Bourgeoisie gelänge, die Demokratie zu sprengen, dann könnte die Arbeiterklasse die Staatsmacht nur noch im Bürgerkrieg erobern. (…) Wenn sich aber die Bourgeoisie gegen die gesellschaftliche Umwälzung, die die Aufgabe der Staatsmacht der Arbeiterklasse sein wird, durch planmäßige Unterbindung des Wirtschaftslebens, durch gewaltsame Auflehnung, durch Verschwörung mit ausländischen gegenrevolutionären Mächten widersetzen sollte, dann wäre die Arbeiterklasse gezwungen, den Widerstand der Bourgeoisie mit den Mitteln der Diktatur zu brechen.” Hier beinhaltet ein gedanklich richtiger Ansatz wiederum zwei gravierende Fehleinschätzungen. Es ist töricht und fahrlässig, zu glauben, dass in einem Staat, der eben keineswegs neutral über den Klassen steht, es die Staatsorgane sein könnten. Das Militär (bzw. eben dessen bestimmende Generalität) bleibt im kapitalistischen Staat immer das Militär der herrschenden Klasse – diesen Tatsachen ist schlussendlich das geistig und materiell verteidigungsbereite Volk selbst entgegenzustellen. Gramsci schrieb einst über die Situation in Italien: “Nur die Bewaffnung der Arbeiter und Landarbeiter wird die Entwaffnung der faschistischen Militärs ermöglichen können.” (Né fascismo né liberalismo: soviettismo!, L’Unità, 7.10.1924) – Selbiges hätte auch für Österreich Gültigkeit besessen, wie sich im Februar 1934 in bitterer Weise bestätigte, als sich die falsche Organisation, Struktur und Strategie sowie die fehlende Bewaffnung des Schutzbundes rächten. Der andere Punkt ist, dass das stark defensiv orientierte Konzept der SDAP auf falschen Einschätzungen beruhte. Es sah vor, wie aus obigem Zitat aus dem Linzer Programm hervorgeht, gewaltsame Verteidigungsmaßnahmen des Proletariats nur als letztes Mittel bei Gefährdung der bürgerlichen (!) Demokratie einzusetzen. Nun ist ein reines Defensivkonzept für eine revolutionäre Bewegung ohnedies zweck- und perspektivlos – damit wird das Prinzip des Handelns ein für alle Mal aus der Hand gegeben. Wieder werden die Hinweise von Marx und Engels ignoriert: “Für Herrn Dühring”, schreibt Engels – und für Herrn Bauer gilt dies ebenso -, “ist die Gewalt das absolut Böse, der erste Gewaltsakt ist ihm der Sündenfall, seine ganze Darstellung ist eine Jammerpredigt über die hiermit vollzogne Ansteckung der ganzen bisherigen Geschichte mit der Erbsünde, über die schmähliche Fälschung aller natürlichen und gesellschaftlichen Gesetze durch diese Teufelsmacht, die Gewalt. Dass die Gewalt aber noch eine andre Rolle in der Geschichte spielt, eine revolutionäre Rolle, dass sie, in Marx’ Worten, die Geburtshelferin jeder alten Gesellschaft ist, die mit einer neuen schwanger geht, dass sie das Werkzeug ist, womit sich die gesellschaftliche Bewegung durchsetzt und erstarrte, abgestorbne politische Formen zerbricht – davon kein Wort bei Herrn Dühring. Nur unter Seufzen und Stöhnen gibt er die Möglichkeit zu, dass zum Sturz der Ausbeutungswirtschaft vielleicht Gewalt nötig sein werde – leider!” (MEW 20, S. 171) – Nun, dass dem leider so ist, dem ist schon zuzustimmen. Dass es jedoch nichts nützt, sich in ein verschrecktpazifistisches Schneckenhaus zu verkriechen, ist aber ebenso klar, denn der Stiefel des Faschismus kann dieses erstrecht mit einem einzigen gezielten Tritt zertrümmern. Für die revolutionär-marxistische ArbeiterInnenbewegung ist die gewaltsame Verteidigung der Revolution also immer noch ultima ratio, aber unter den Bedingungen des Imperialismus, wie ihn eben selbst die SDAP im ersten Abschnitt des “Linzer Programms” ja richtig charakterisiert, wohl oder übel unumgänglich. Denn historisch ist es immer die Bourgeoisie, die zwingend ihre eigene bürgerliche Demokratie aufhebt und die Ausflucht der faschistischen Diktatur benötigt. Diese bittere Erfahrung musste nicht nur die österreichische Sozialdemokratie machen, sondern z.B. auch die republikanische Volksfront-Regierung Spaniens in den 30er Jahren oder jene der Unidad Popular unter Salvador Allende in Chile 1973. Und eine realistische Einschätzung ist daher, dass mit einem notwendigen antifaschistischen Abwehrkampf einer sozialistischen Bewegung erstens nicht nur vielleicht, sondern mit sehr großer Sicherheit, und zweitens eventuell in einer recht frühen Phase ihres Vorwärtsschreitens zu rechnen ist. Im Linzer Programm ist mit dem defensiven Konzept jedoch das Fundament für das ständige Zurückweichen der SDAP gegenüber der faschistischen Bedrohung gelegt, wodurch jede reale Verteidigungsmöglichkeit des Proletariats minimiert wurde und die endgültige Niederlage des Austromarxismus im Jahre 1934 vorprogrammiert war.

Wir sehen also längst, die Verwirklichung des “demokratischen Sozialismus” Bauerscher Prägung hat nichts mit einer sozialistischen Revolution und Umgestaltung, die das “als herrschende Klasse organisierte Proletariat” (MEW 4, S. 481) gegen den logischen Widerstand der Bourgeoisie durchführen muss, zu tun, sondern orientiert auf einen radikalen Reformismus und eine Transformation des bürgerlichen Staates. Das ist etwas, was Marx in aller Deutlichkeit jedoch für unmöglich erklärt hat, er schreibt, “die Arbeiterklasse kann nicht die fertige Staatsmaschinerie einfach in Besitz nehmen und diese für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen” (MEW 17, S. 336). Eine “Revolution mit dem Stimmzettel”, d.h. durch Erreichung von 50% und einer Stimme durch die Sozialdemokratische Partei, ist eine Konzeption, der Marx, Engels (“Das allgemeine Stimmrecht ist so der Gradmesser der Reife der Arbeiterklasse. Mehr kann und wird es nie sein im heutigen Staat.” – MEW 21, S. 168) oder auch zu Lebzeiten Bauers Clara Zetkin eine klare Absage erteilt haben: “Das allgemeine, gleiche, geheime, direkte, aktive und passive Wahlrecht für alle Erwachsenen bedeutet nur die letzte Entwicklungsstufe der bürgerlichen Demokratie und wird zur Grundlage und zum Deckmantel für die vollkommenste politische Form der Klassenherrschaft der Besitzenden und Ausbeutenden.” (Zetkin, Schriften zur proletarischen Frauenbewegung, Wien 1979, S. 69) – Dennoch hielt Otto Bauer die Einschätzung von Marx – allemal für Westeuropa – für überholt. Wir sehen also, Bauer stand hier durchaus in einem gewissen theoretischen Widerspruch zu den von Marx und Engels geschaffenen Grundlagen des wissenschaftlichen Sozialismus, aber den Marxismus nicht als Dogma zu begreifen und Marx und Engels nicht für unfehlbar zu halten, das ist ja weder ein Verbrechen noch unbedingt falsch. Daher gilt auch für Bauers Ideen: “Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme, ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit, d. h. die Wirklichkeit und Macht, die Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit eines Denkens, das sich von der Praxis isoliert, ist eine rein scholastische Frage.” (MEW 3, S. 533) – Diesbezüglich werden wir Bauers Einschätzungen also noch genauer anhand der Praxis zu untersuchen haben, zunächst wollen wir sein Konzept noch in seiner Gesamtheit darlegen.

Wenn Otto Bauer also auf eine “Revolution” mit dem Stimmzettel setzt, so erklärt sich daraus natürlich auch sein Gedanke, es müsse die Mehrheit der Köpfe für den “demokratischen Sozialismus” gewonnen werden. Dieser Kampf um das Bewusstsein nicht nur des Proletariats, sondern eben der Mittelschichten, des Kleinbürgertums, der bäuerlichen Bevölkerung ist für Bauers Ideen von immenser Bedeutung. Wer jedoch glaubt, hier Antonio Gramscis Konzept des Kampfes um die kulturelle Hegemonie in der Zivilgesellschaft wiederzuerkennen, täuscht sich. Während Bauer danach trachtet, eine Mehrheit für die Übernahme der bürgerlichen Demokratie und ihre Transformation zu erlangen, gibt sich Gramsci keinen Illusionen hin, seine Vorstellung ist eine wesentlich andere, nämlich eine revolutionäre im Sinne von Marx und Lenin. Gramsci will den bürgerlichen Staat überwinden, d.h. abschaffen und an die Stelle der bürgerlichen Demokratie die sozialistische Demokratie (die Diktatur des Proletariats) setzen: “Der sozialistische Staat … ist ein Übergangsstaat, der die Aufgabe hat, den kapitalistischen Wettbewerb abzuschaffen, indem das Privateigentum, die Klassen und die nationalen Ökonomien abgeschafft werden. Diese Aufgabe ist nicht umsetzbar auf dem Boden des demokratischen Parlamentarismus. Die Formel der ‚Eroberung der Staatsmacht’ muss so verstanden werden, dass es um die Erschaffung eines neuen Typs von Staat geht, der generiert wird aus der gemeinsamen Erfahrung des Proletariats und den demokratisch-parlamentarischen Staat ersetzt” (La conquista dello stato, L’Ordine Nuovo, 12.7.1919). Diese Ansicht Gramscis steht in frontaler Opposition zu den Utopien des Linzer Programms.

Wie steht es nun mit der vom Marxismus geforderten Überprüfung der Theorie anhand der Praxis? Nun, Bauers Konzeption hätte kaum tragischer und eindrucksvoller von der Geschichte widerlegt werden können. Der Februar 1934 steht für den endgültigen Sieg des Austrofaschismus im Kampf gegen den angestrebten Weg des Austromarxismus. Georgi Dimitroff bringt es 1934 bei einer Rede vor österreichischen Schutzbündlern auf den Punkt: “Was kam, war das Ergebnis des Verrats, war die Folge der sozialdemokratischen Politik. Damals hat die sozialdemokratische Führung gepredigt: ‘Auf friedlichem Wege kommen wir am sichersten zum Sozialismus… Jetzt haben wir schon die Gemeinden in unseren Händen, morgen werden wir die Regierung leiten. Schon haben wir 40 Prozent der Stimmen, morgen bekommen wir 50 Prozent, und wenn wir 51 Prozent haben, sind wir die Mehrheit und – der Sozialismus ist da!’ Wo dieser ‚friedliche Weg’ eingeschlagen wurde, dieser scheinbar billigere Weg, der scheinbar weniger Opfer, Blut und Leiden kostete, dort regieren heute die Herren Dollfuß und Fey, Hitler und Göring.” (Dimitroff, Ausgewählte Schriften, Berlin 1958, Bd. 2, S. 463 ff.) – Und die faschistische Konterrevolution setzte nicht etwa ein, als eine SP-Regierung konkrete sozialistische Maßnahmen setzte, wie es Bauer geplant hatte, sondern unter einem (und durch einen) amtierenden christlichsozialen Bundeskanzler und bereits angesichts einer Entwicklung der SDAP-Wahlergebnisse von knapp 36% und damit 69 von 183 Nationalratsmandaten (1920) zu einem Stimmenanteil im Jahre 1930 von 41% und 72 von 165 Mandaten. Was bedeutet dies nun? Es bedeutet, dass das, was in der Theorie “vorstellbar” – wie es Engels formulierte – war, in der Praxis des real existierenden Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium höchst unwahrscheinlich sein dürfte. Wir müssen erkennen: Der Imperialismus geht global gegen jede progressive Volksbewegung mit Gewalt vor – und nicht erst gegen amtierende sozialistische Regierungen. Im Sinne der notwendigen ständigen Revision marxistischer Theorien bedeutet das alles, dass das Konzept Bauers insofern zu “verbessern” wäre, dass die Möglichkeit der friedlichen Verwirklichung des Sozialismus, d.h. ein Hineinwachsen der bürgerlichen Demokratie in diesen – wir können durchaus hinzufügen: leider – fürderhin eher auszuschließen ist unter den Gegebenheiten des Imperialismus. Ein Schluss, zu dem Otto Bauer im tschechoslowakischen Exil 1936 nach der faschistischen Machtergreifung in Österreich, Deutschland und Italien daher selbst kommen muss: “Diese Erfahrung zerstört die Illusion des reformistischen Sozialismus, dass die Arbeiterklasse friedlich und allmählich durch bloße Ausnützung der demokratischen Institutionen, ohne revolutionären Sprung die Formen der Demokratie mit sozialistischem Inhalt erfüllen, die kapitalistische Gesellschaftsordnung zu einer sozialistischen entwickeln könne. Hat die Arbeiterklasse erlebt, dass die Schärfe der Klassengegensätze die Demokratie sprengt, um die faschistische Diktatur des Kapitals aufzurichten, so muss sie erkennen, dass eine vollkommene und dauerhafte Volksfreiheit erst gesichert sein wird, wenn die Klassen selbst und damit die Klassengegensätze der kapitalistischen Gesellschaftsordnung aufgehoben sein werden. Hat sie gehofft, durch Ausnützung der Demokratie eine sozialistische Gesellschaftsordnung erringen zu können, so muss sie jetzt erkennen, dass sie zuerst ihre eigene Herrschaft erkämpfen und durch sie eine sozialistische Gesellschaftsordnung aufbauen muss, ehe eine vollkommene und dauerhafte Demokratie möglich wird.” (Werkausgabe, Wien 1976, Band 4, S. 159) – Hier erweist sich Bauer also doch zweifellos als Marxist, der selbstkritisch und schonungslos die Unzulänglichkeit und die Utopien des Austromarxismus eingesteht. Es kann Bauer durchaus zugestanden werden, dass er sich “nach links” entwickelt hat – ein Sonderfall in der Sozialdemokratie, wenn wir an Gesinnungsfreunde wie Hilferding oder Kautsky denken…

In negativer Hinsicht – dies sei noch angemerkt – kommt die Staatsauffassung und die Haltung zur Revolution, wie sie sich im Linzer Programm finden, durchaus aus der Praxis, nämlich aus der konterrevolutionär Praxis der Sozialdemokratie rund um das Ende des Ersten Weltkrieges. Damals verhinderte sie die von den Massen geforderte sozialistische Revolution in Österreich, rettete die Macht der Bourgeoisie und beging selbst quasi-weißgardistische Verbrechen gegen ArbeiterInnen. – Mit dem Linzer Programm wurde diese gegenrevolutionäre Praxis im Nachhinein theoretisch unterlegt und “gerechtfertigt”.

Vierter und fünfter Abschnitt: Reformen, Übergangsprogramm

Im vierten Abschnitt des “Linzer Programms” werden die “nächsten Aufgaben der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei” präsentiert. Mit diesen Programmpunkten müssen wir uns nicht länger aufhalten, es sind dies zum damaligen Zeitpunkt logische Forderungen nach Reformen in verschiedenen Bereichen. Manches wurde sogar in der einen oder anderen Form umgesetzt, manches ist jedoch bis heute aktuell geblieben. Es sind hier sogar konkretere antimonopolistische Maßnahmen enthalten, es geht um die Demokratisierung der Verwaltung, der Justiz, aber auch der Betriebe. Gefordert werden darüber hinaus z.B. die Ausweitung der sozialen Fürsorge und des Wohnungsbaus, der freie Bildungszugang, die strikte Trennung von Staat und Kirche sowie die Erklärung der Religion zur Privatsachen bei Gewährleistung ihrer freien Ausübung. Und nicht zuletzt fordert die SDAP in diesem Abschnitt konkrete Maßnahmen und Schritte zur Gleichstellung der Geschlechter und für Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Frau. Insgesamt durchwegs vernünftige Punkte, die (neben einer revolutionären Orientierung) für jede marxistische Partei als unmittelbare Forderungspunkte im politischen Tagesgeschehen als zweckmäßige Reformschritte zu sehen waren (und zum Teil noch sind).

Der fünfte Abschnitt behandelt den “Übergang von der kapitalistischen zur sozialistischen Gesellschaftsordnung”. Wir ersparen es uns, nochmals umfassender darauf hinzuweisen, dass diese Übergangsperiode von Marx als notwendige “Diktatur des Proletariats” charakterisiert wurde, die die SDAP jedoch ablehnte – wir haben diesen schweren Fehler im Linzer Programm wohl schon zur Genüge dargelegt. Wir wollen uns ungeachtet dieser fehlenden unabdingbaren Grundvoraussetzung dennoch kurz mit den konkreteren geforderten Maßnahmen beschäftigen. Bevor das Programm zu diesen kommt, wird noch Folgendes festgehalten: “Die sozialistische Gesellschaftsordnung kann aber nicht in einem einzelnen kleinen, von den kapitalistischen Weltmächten abhängigen Lande aufgebaut werden, sondern nur in großen, zusammenhängenden Gebieten, die die Voraussetzungen sozialistischer Planwirtschaft in sich schließen. Die sozialdemokratische Arbeiterpartei wird daher nach der Eroberung der Staatsmacht im eigenen Lande die Vergesellschaftung der im Eigentum der Kapitalisten und der Großgrundbesitzer konzentrierten Produktionsmittel immer nur in dem Maße durchführen können, in dem die Entwicklung in den anderen Staaten bereits die Voraussetzungen dafür geschaffen haben wird.” – Die SDAP entledigt sich hier bis zu einem gewissen Grad der Eigenverantwortung mit dem Hinweis, in einem Land wie Österreich alleine seien keine sozialistischen Maßnahmen durchführbar (wir werden später noch sehen, worauf das in diesem Programm konkret abzielt). Das Warten auf die Weltrevolution ist jedenfalls ein äußerst nützliches Konzept: für die Bourgeoisie… – Die konkreten Maßnahmen sind nun relativ auf der Hand liegend: “Der private und der kirchliche forst- und landwirtschaftliche Großgrundbesitz, das großstädtische Baugelände, der Bergbau, die großen Unternehmungen der Industrie und des Verkehrswesens sind in das Eigentum des Gemeinwesens zu überführen, der kapitalistische Handel, das kapitalistische Bankwesen und Versicherungswesen sind teils durch Einrichtungen des Gemeinwesens, teils durch genossenschaftliche Institutionen zu ersetzen. (…) Die vergesellschafteten Großbetriebe werden je nach ihrer Eigenart als Staats-, Landes- oder Gemeindebetriebe geführt oder gemeinwirtschaftlichen Anstalten, autonomen Wirtschaftskörpern oder Genossenschaften zur Führung übertragen. (…) In der Zeit des Überganges werden vergesellschaftete und kapitalistische Betriebe nebeneinander bestehen. In dieser Entwicklungsphase wird die Arbeiterklasse das Wachstum der vergesellschafteten auf Kosten der kapitalistischen Betriebe planmäßig fördern müssen. Sowohl die Leiter der vergesellschafteten Betriebe als auch die Arbeiter und Angestellten, die in Betrieben arbeiten, welche bereits von einem von der Arbeiterklasse beherrschten Gemeinwesen, von einer gemeinwirtschaftlichen Anstalt oder von einer Genossenschaft der Arbeiter geleitet werden, müssen ihre Arbeit als Dienst für die Gesamtheit der Arbeiterklasse ansehen, im Interesse der Gesamtheit der Arbeiterklasse die Wachstumsenergie ihrer Betriebe stärken. Zu diesem Zwecke müssen einerseits die Gemeinwesen und die Genossenschaften die in ihren Betrieben tätigen Arbeiter und Angestellten zu breiter Mitbestimmung und Mitverwaltung der vergesellschafteten Betriebe heranziehen. (…) Der Sozialismus wird das Ausbeutungseigentum der Kapitalisten und der Großgrundbesitzer aufheben, nicht das Arbeitseigentum der Kleingewerbetreibenden und der Bauern. Aber er wird die Entwicklung der Genossenschaften der Kleingewerbetreibenden und der Bauern, die allmähliche freiwillige Vergenossenschaftung geeigneter Zweige ihrer Produktion und des Vertriebes ihrer Erzeugnisse tatkräftig fördern und sie dadurch der sich entwickelnden sozialistischen Gesellschaft eingliedern. (…) In dem Maße, als die Kapitalistenklasse enteignet wird, muss das Gemeinwesen die Funktionen übernehmen, die bisher die Kapitalistenklasse ausgeübt hat. An die Stelle der Anhäufung des Kapitals tritt die planmäßige Vergrößerung und Vervollkommnung des gesellschaftlichen Produktionsapparats durch das Gemeinwesen. (…) Mit der Vergesellschaftung der Großbetriebe und der Vergenossenschaftung der Kleinbetriebe verwandelt sich die Entwicklung der Produktivkräfte aus einem Mittel der Bereicherung der Kapitalisten- und der Grundherrenklasse in das Mittel, die Lebenshaltung, die Gesundheit, das Kulturniveau der breiten Volksmassen zu heben. Mit der Überwindung der Planlosigkeit der kapitalistischen Produktionsweise erlangt das Gemeinwesen erst die Möglichkeit, jedem Arbeitenden ein festes Recht auf seine Arbeitsstelle zu sichern. Sobald die Arbeiter und Angestellten selbst ihre Arbeitsprozesse bestimmen und über ihre Arbeitserträge verfügen, sobald die Früchte ihrer Anstrengungen ihnen und ihren Nachkommen eine höhere Lebenshaltung sichern, erlangt die Lebensarbeit des Arbeiters erst Sinn und Würde. Mit den Schrecken des Proletarierdaseins schwinden die Ursachen der Überkonkurrenz im Kleingewerbe und der Überschuldung der Bauernschaft. Mit der Scheidung der Gesellschaft in ausbeutende und ausgebeutete Klassen werden Klassenherrschaft und Klassenkampf überwunden; das ganze Volk wird zu einer die Früchte der gemeinsamen Arbeit gemeinsam genießenden Volkswirtschaft.” – Hauptsächlich (nichtsdestoweniger richtige) Allgemeinplätze, über Einzelnes ließe sich diskutieren (wir haben hier nicht alles zitiert), aber im Großen und Ganzen sind die Maßnahmen logisch. Wir wollen sie mal so stehen lassen.

Sechster Abschnitt: Internationales

Wir kommen zum sechsten und letzten Abschnitt des “Linzer Programms”, der gewissermaßen den Bereich “Internationales” behandelt. Aufgrund einer weitgehend richtigen Imperialismusanalyse (siehe erster Abschnitt) werden hier sehr wichtige Punkte angesprochen: “Die nächste Aufgabe der Internationale, zu der sich die Arbeiter aller Länder zusammenschließen, ist der Kampf gegen die aus dem Kapitalismus hervorgehenden Kriegsgefahren. (…) Die Sozialdemokratie fordert die planmäßige Erziehung der Jugend zum Völkerfrieden und zur Achtung vor dem Recht und der Würde fremder Völker. Sie bekämpft jede Politik, die Hass zwischen den Völkern hervorruft; sie bekämpft daher insbesondere jede Entrechtung und Vergewaltigung nationaler Minderheiten. (…) Die Sozialdemokratie fordert die Pflege friedlicher Beziehungen zu allen Staaten. Sie wird sich jedem Versuch widersetzen, die Republik in einen Krieg hineinzuzerren. Sie wird sich gegen jeden imperialistischen oder nationalistischen Krieg mit aller ihrer Macht zur Wehr setzen. (…) Die Sozialdemokratie ist sich dessen bewusst, dass dauernder Friede nur auf die Freiheit und Gleichberechtigung der Völker gegründet werden kann. Sie tritt für das Selbstbestimmungsrecht aller Völker ein. (…) Sie unterstützt die Freiheitskämpfe aller Völker gegen imperialistische Fremdherrschaft und gegen gegenrevolutionäre Einmengung in ihre Revolutionen. (…) Die Sozialdemokratie erstrebt den Aufbau einer internationalen Rechtsordnung, welche es ermöglicht, alle Streitigkeiten zwischen den Völkern friedlich zu schlichten, die schwachen Völker gegen die starken zu beschützen, die internationale Abrüstung durchzuführen und die imperialistischen Verträge von 1919 auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechtes der Völker zu revidieren. Den gegenwärtigen Völkerbund betrachtet die Sozialdemokratie als einen Kampfboden des Klassenkampfes. Sie bekämpft die kapitalistischen und imperialistischen Mächte, die den Völkerbund zu einem Werkzeug der Verteidigung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und der durch die imperialistischen Verträge von 1919 begründeten Staatenordnung machen. Sie betrachtet es als Aufgabe der internationalen Arbeiterklasse, den Völkerbund unter ihren Druck zu stellen, die Vorbedingungen für den Eintritt aller Völker in den Völkerbund zu erkämpfen, seine Organisation zu demokratisieren, um schließlich mit der Staatsmacht in den einzelnen Ländern auch den Völkerbund zu erobern, ihn damit erst zum wirklichen Hüter des Friedens und der Freiheit der Völker umzugestalten. Die Sozialdemokratie ordnet alle ihre Gegenwartskämpfe dem Kampf um ihr Endziel unter: um die dauernde Sicherung des Völkerfriedens und der Völkerfreiheit durch die internationale Föderation der nationalen sozialistischen Gemeinwesen.” – Das sind im Wesentlichen vernünftige Forderungspunkte, die einer internationalistisch ausgerichteten, antiimperialistischen und antimilitaristischen Partei der ArbeiterInnenklasse durchaus zur Ehre reichen, wenngleich man sicherlich darüber diskutieren kann, inwieweit der Völkerbund (oder eben heute die UNO) tatsächlich demokratisierbar ist.

Wir haben in obigem Zitat bewusst den Punkt 4 ausgelassen, auf den wir abschließend noch gesondert eingehen wollen. Er lautet: “Die Sozialdemokratie betrachtet den Anschluss Deutschösterreichs an das Deutsche Reich als notwendigen Abschluss der nationalen Revolutionen von 1918. Sie erstrebt mit friedlichen Mitteln den Anschluss an die Deutsche Republik.” Dieser Forderungspunkt, der aus heutiger Sicht für viele unverständlich erscheinen muss, gründet sich auf das völlig falsche Verständnis der österreichischen Sozialdemokratie zur nationalen Frage, die Existenz einer österreichischen Nation zu verneinen und die deutschsprachigen ÖsterreicherInnen als Teil der deutschen Nation zu definieren. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Sichtweise (eher notgedrungen) endgültig fallengelassen, wenngleich z.B. Friedrich Adler bis zu seinem Tod 1960 Anhänger dieser großdeutschen Idee blieb. Das von der SDAP getragene Bekenntnis zur deutschen Nation war aber bereits vor dem Anschluss 1938 keineswegs in der österreichischen ArbeiterInnenbewegung unumstritten, so ist es vor allem das Verdienst von Alfred Klahr (ZK-Mitglied der KPÖ), den Grundstein für eine marxistische Theorie der österreichischen Nation gelegt zu haben. Klahrs Analyse gründet kurz gesagt darauf, dass sich nach der gescheiterten “gesamtdeutschen” Revolution von 1848, besonders nach dem preußisch-österreichischen Krieg 1866 und auch mit den Jahren nach 1918 die ÖsterreicherInnen zu einer eigenen Nation entwickelt haben: “Die Österreicher haben auf der Grundlage der jahrzehntelangen staatlichen Selbständigkeit eine eigene nationale, von der deutschten Nation verschiedene Entwicklung durchgemacht. Ihr Kampf um die Aufrechterhaltung der staatlichen Selbständigkeit bedeutet den Kampf um die Erhaltung der Grundlage der selbständigen nationalen Entwicklung, um die Erhaltung der nationalen Unabhängigkeit Österreichs. Er ist ein nationaler Kampf, ein Kampf für die nationale Selbstbestimmung des österreichischen Volkes.” (Weg und Ziel, April 1937) – Ebenso stellte im Juli 1938 das ZK der KPÖ fest: “Niemals bisher in der Geschichte lebten die Österreicher mit den übrigen deutschen Stämmen in einem Staat zusammen. Das österreichische Volk hat eine staatliche, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung abseits vom Deutschen Reich vollzogen. Kraft seiner eigenen selbständigen Geschichte, kraft seines Willens zur Unabhängigkeit war und ist das österreichische Volk nicht irgendein abgesplitterter Teil, sondern ein selbständiges Ganzes geworden, ein aus eigener Kraft – in der Familie der übrigen mitteleuropäischen Völker – lebensfähiges selbständiges Volk.” Diese Sichtweise der KPÖ wurde auch von wichtigen Marxisten wie z.B. Georgi Dimitroff, aber auch explizit von der KPD und der KPdSU unterstützt. Sie war – verbunden mit dem eigenständigen Beitrag Österreichs zu seiner Befreiung von der NS-Herrschaft v.a. durch AntifaschistInnen (darunter auch viele sozialdemokratische) in der illegalen Organisation der KPÖ sowie durch die österreichischen Freiheitsbataillone im Rahmen der jugoslawischen Partisanenarmee – Grundlage für die Moskauer Deklaration der Alliierten von 1943, für den Staatsvertrag von 1955 und somit für die Wiederherstellung der staatlichen Souveränität Österreichs.

Austromarxismus heute

Was bleibt vom “Austromarxismus”? Wenig schmeichelhaft könnte zusammengefasst werden: neben einer falsche Faschismustheorie und einer falschen Theorie über die Nationalitätenfrage, was wir hier nicht eingehender behandelt haben, vorrangig eine falsche Staatstheorie, eine falsche Theorie über Strategie und Taktik der ArbeiterInnenbewegung sowie eine verheerende Niederlage im Klassenkampf. Die Ansichten von Otto Bauer, Karl Renner & Co. wurden auf der gesamten Linie von der Geschichte leider äußerst eindrucksvoll widerlegt. Zu Recht spielen diese Ansichten als theoretische Basis heute keine ernstzunehmende Rolle mehr im marxistischen Diskurs. Bauers gesammelte Werke taugen für manche traditionsbewusste SozialdemokratInnen, die sich mit einer ideologischen Aura umgeben wollen, bisweilen zwar als Zitatesteinbruch, aber sie haben weder als analytisches noch als methodisches Werkzeug Relevanz. Dies gilt in zweierlei Hinsicht: einerseits verwerfen MarxistInnen den “Austromarxismus” aufgrund seiner fatalen inhaltlichen Fehler, andererseits möchten diejenigen politisch tätigen Menschen in Sozialdemokratie und Gewerkschaft, die keinerlei systemtranszendente Perspektiven verfolgen, nicht einmal mit diesem harmlosen “Halb-Marxismus” in Berührung kommen. Werden Otto Bauer oder Max Adler von österreichischen MarxistInnen oder solchen, die sich dafür halten möchten, dennoch ins Spiel gebracht, so steht dahinter in der Regel nur ein besonders bizarrer Nationalismus, der inhaltliche Schwächen großzügig ausblendet.

Das heißt nun nicht, dass Bauers Werkausgabe ein Fall für den Altpapiercontainer wäre, denn einzelne Lehrschriften, die sich im Rahmen der Erkenntnisse von Marx und Engels bewegen, mögen brauchbar sein, genauso wie viele Texte als historische Dokumente von Interessen sein können und lehrreich zeigen, wie es nicht geht. Verworfen werden muss jedoch in jedem Fall das eigenständige revisionistische Kernstück des “Austromarxismus”, d.h. die Auffassungen über den Staat und die bürgerliche Demokratie inklusive der damit verbundenen strategischen Implikationen und Orientierungen – denn diese basieren, wie die Realität gezeigt hat, auf schlimmen Fehleinschätzungen.

Diesbezüglich entbehrt es zweifellos nicht einer gewissen Komik (und leider auch einer ebensolchen Tragik), dass diese Fehleinschätzungen genau das sind, was sich die SPÖ nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Repertoire des “Austromarxismus” zwischenzeitlich angeeignet hatte. Bis 1998 bekannte sich die SPÖ zur Utopie des “demokratischen Sozialismus”, den sie sodann im gegenwärtig gültigen Parteiprogramm durch die “soziale Demokratie” ersetzte. Dahinter steht – wir haben das bereits ausführlich besprochen – die fatale Illusion eines klassenindifferenten Demokratiebegriffs. Und es steckt schon eine ganz außergewöhnliche Ironie dahinter, dass diejenigen, die sich diesbezüglich zu guter letzt dann doch auf den “Austromarxismus” berufen wollen, Otto Bauers Vermächtnis ignorieren, nämlich seine durchaus kritische Selbstrevision nach dem Scheitern des “dritten Weges” der SDAP, seine Warnung vor dem Wiederholen derselben Fehler (wir haben diese Passage weiter oben schon angeführt).

Nun ist die heutige SPÖ ohnedies weit davon entfernt, auch nur ansatzweise sozialistische Positionen zu beziehen, wie sie das “Linzer Programm” trotz aller Mängel beinhaltete. Wenn heute in der Sozialdemokratie von einem “dritten Weg” die Rede ist, dann ist nicht jener des “Austromarxismus”, sondern der von Tony Blair und Gerhard Schröder gemeint, d.h. neoliberale Politik, Sozialabbau, Privatisierungen und Militarisierung durch die “neue Mitte” bzw. “New Labour”. Hier gibt es keinen “Mittelweg” mehr zwischen Reformismus und Revolution, sondern bestenfalls einen zwischen radikalem Konterreformismus und Stillstand: also neoliberaler Konterreformismus der kleinen Schritte. Der frühere SPÖ-Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas formulierte treffend: “Nicht links, nicht rechts, sondern vorwärts!” – Vorwärts, Hand in Hand mit dem Kapital, um den reformistischen Schutt aus der Kreisky-Ära endgültig zu beseitigen. – Es ist nicht zu erwarten, dass im Falle einer SPÖ-geführten Regierung unter Alfred Gusenbauer, in seiner Zeit in der SJ selbst “Austromarxist”, abgesehen von kosmetischen Maßnahmen dieser Weg verlassen werden würde. Insofern könnte von einem gewissen Fortschritt gesprochen werden, wenn wenigstens die “radikal-reformistischen” Positionen des “Austromarxismus” in der SPÖ Gewicht hätten.

Die Ironie der Geschichte besteht weiters darin, dass in der “Linken” nur ein bestimmter Teil heute den “Austromarxismus” für sich wieder entdeckt, nämlich die revisionistischen Teile der kommunistischen oder ehemals kommunistischen Parteien, d.h. insbesondere PDS/Linkspartei, die Führung der Rifondazione Comunista, ja gar die KPÖ. Betrachtet man das Konstrukt der so genannten “Europäischen Linkpartei”, so haben deren Ausrichtungen durchaus manches mit alten “austromarxistischen” Irrwegen gemein, wie es bereits im Rahmen des Eurokommunismus der Fall war. Diese Wege führen nicht nur zum endgültigen Revisionismus und Opportunismus, sondern auch zur Integration in die bürgerlichen Institutionen. Böse, aber vielleicht gar nicht so falsch denkt, wer meint, dies könnte auch das tatsächliche Ziel dahinter sein…

Dem Revisionismus ist Antirevisionismus entgegenzustellen, dem Opportunismus ist mit klaren marxistischen Positionen zu begegnen. Auf “austromarxistischer” Basis wird beides nicht möglich sein, notwendig ist letztlich der Marxismus-Leninismus als Kompass jeder revolutionären ArbeiterInnenorganisation, die als solche Bestand haben will.

So bleibt das Linzer Programm, wie eingangs formuliert, ein historisches Dokument von Interesse – für die Gegenwart und Zukunft taugt es nicht, es sei denn als warnendes Beispiel.

“Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben”, meinte Lenin – und mit einem im Kern revisionistischen Programm wird es eben auch nur eine revisionistische Partei geben.

Dies ist die Lehre.

Tibor Zenker.
Wien, Österreich