Kategorie-Archiv: Kurt Gossweiler

Geburtstagsveranstaltung der Berliner Gesellschaft für Weltkriegs-und Faschismus-Forschung am 13. November 2007

Kurt Gossweiler:
Geburtstagsveranstaltung der Berliner Gesellschaft für Weltkriegs-und Faschismus-Forschung am 13. November 2007

Liebe Freunde und Genossen.

Wer so viel gelobt wird, tut gut daran, sich daran zu erinnern, was Goethe in seinen Gesprächen mit  Eckermann einmal sinngemäß gesagt hat: Was einer geleistet hat, ist nie allein sein Verdienst, sondern daran haben immer Mehrere Anteil. Wollte ich alle aufzählen, denen ich mitzuverdanken habe, wofür heute so viele anerkennende Worte gefunden wurden, würde ich sowohl Eure Geduldsgrenze wie auch unser Zeitlimit überschreiten. Deshalb will ich nur in Stichworten diejenigen Personen und Einrichtungen nennen, denen ich am allermeisten verdanke.

Geburtstagsveranstaltung der Berliner Gesellschaft für Weltkriegs-und Faschismus-Forschung am 13. November 2007 weiterlesen

Kurt Gossweilers 90. Geburtstag

Anna C. Heinrich, Frank Flegel:
Kurt Gossweilers 90. Geburtstag

Anlässlich des 90. Geburtstages von Kurt Gossweiler haben wir, also die Redaktion „offen-siv“ in Kooperation mit Renate Schönfeld am 17. November 2007 in Berlin eine Geburtstagsfeier ausgerichtet. Rund 80 Genossen/innen und Weggefährten waren geladen und fanden sich am 17. November des vergangenen Jahres in Berlin-Hellersdorf ein.

Kurt Gossweilers 90. Geburtstag weiterlesen

Inkonsequente Ansichten

Roland Turba: Inkonsequente Ansichten

Leserbriefbeitrag zum Gespräch mit Kurt Gossweiler in offensiv 10/2005 und 01/2006 zum Thema Sozialismus und Revisionismus

Liebe Genossen der offensiv-Redaktion, lieber Genosse Gossweiler, mit Interesse habe ich das Interview in den beiden offensiv- Ausgaben gelesen. Sehr interessant fand ich die Frage-stellungen der Gesprächspartner Gossweilers von der Zeitung Özgürlik Dünyasi. Die türkischen Genossinnen und Genossen bringen beispielsweise immer wieder das sozialistische Albanien und Enver Hoxha in das Gespräch ein, um die aufrechte Haltung Albaniens mit dem Revisionismus der DDR-Führung gegenüberzustellen und zu konfrontieren!

Inkonsequente Ansichten weiterlesen

Die vielen Schalen der Zwiebel Gorbatschow

Kurt Gossweiler: Die vielen Schalen der Zwiebel Gorbatschow

I. Die äußere Schale: Auf dem Wege der Machterschleichung

1. Aus der Rede M. G.s auf dem Trauermeeting anläßlich des Todes seines Vorgängers K. U. Tschernenko (ND v. 14. 3. 85): “Unter seiner (Tschernenkos) Leitung wurden vom Zentralkomitee und vom Politbüro des ZK wichtige Beschlüsse zu Grundproblemen der ökonomischen und sozialpolitischen Entwicklung des Landes sowie zur kommunistischen Erziehung der Massen gefaßt und verwirklicht. Konstantin Ustinowitsch tat viel für die Verwirklichung des Leninschen Kurses unserer Partei – des Kurses zur Festigung der Stärke unserer Heimat sowie zur Erhaltung und Festigung des Weltfriedens. Heute erklären die Kommunistische Partei, ihr Zentralkomitee und das Politbüro des ZK vor dem sowjetischen Volk nachdrücklich ihre unerschütterliche Entschlossenheit, der großen Sache des Sozialismus und Kommunismus, der Sache des Friedens, des sozialen Fortschritts und des Glücks der Werktätigen treu zu dienen.”

Die vielen Schalen der Zwiebel Gorbatschow weiterlesen

Warum Rückgriff auf „Die Zwiebel Gorbatschow“?

Kurt Gossweiler:
Warum Rückgriff auf „Die Zwiebel Gorbatschow“? Einleitende Bemerkungen zur Wiederveröffentlichung – 15.3.06

Ist der Michail Gorbatschow seit Veröffentlichung seines Artikels im „Spiegel“ im Januar 1993 – (s.. „Zwiebel“, Punkt VIII) – , spätestens jedoch seit Veröffentlichung seines Vortrages in Ankara im Oktober 1999 (s. Punkt IX) in der Zeitung der DKP „Unsere Zeit“ vom 8. September 2000 nicht längst von allen Kommunisten und Sozialisten dahin befördert worden, wohin solche Leute gehören – auf den Müllhaufen der Geschichte?

Davon war ich bisher fest überzeugt, aber das war – wie ich zu meiner maßlosen Überraschung feststellen mußte, ein Irrtum. Maßlos war meine Überraschung deshalb, weil sie mir von einer Zeitung und einem ihrer Mitarbeiter bereitet wurde, von der ich solches nie erwartet hätte – nämlich von der einzigen konsequent antiimperialistischen Tageszeitung in Deutschland – der „Jungen Welt“ –  und ihrem Mitarbeiter Werner Pirker, der mir bislang  mit seinen Beiträgen fast immer aus dem Herzen gesprochen hatte.

Warum Rückgriff auf „Die Zwiebel Gorbatschow“? weiterlesen

Chruschtschow und die Kuba- Krise

Kurt Gossweiler:
Chruschtschow und die Kuba- Krise

In seinen Erinnerungen (Chuschtschow erinnert sich, Rowohlt  1971) prahlt Chr., er habe Kuba vor der USA-Intervention bewahrt. „Schaun mer mal!“

1.

Im Kapitel „Fidel Castro und die Kuba-Krise“  (S.492-502) schildert er zu Beginn, dass er über Castro nach dessen Sieg über Batista nichts wusste. Als dann nach der Niederlage der Interventen in der Schweinebucht Castro erklärte, dass Kuba einen sozialistischen Kurs verfolgen werde, äußert sich Chr. dazu wie folgt:

„Wir hatten Mühe zu verstehen, warum er gerade diesen Zeitpunkt für diese Verlautbarung wählte…. Was Castros persönlichen Mut betraf, so war seine Haltung bewundernswert und richtig. Aber vom taktischen Standpunkt aus betrachtet war sie wenig sinnvoll.“

Chruschtschow und die Kuba- Krise weiterlesen

Brief an Ervin Rozsnyai

Kurt Gossweiler:
Brief an Ervin Rozsnyai, Februar 2005

Artikel von Ervin Rosznyai

Lieber Genosse Ervin,

eigentlich wollte ich Dir meine Glückwünsche zum neuen Jahr rechtzeitig, wenigstens noch im Januar abschicken, aber aus den verschiedensten Gründen kam ich nicht rechtzeitig dazu, deshalb hole ich dies  mit diesem Brief nach. Wie ich vom Genossen Kornagel weiß, kannst Du Glückwünsche, vor allem wirkungsvolle, sowohl im Hinblick auf die Gesundheit wie auch für den Erfolg der politischen Arbeit, dringend gebrauchen; leider verfüge ich aber nicht über die Fähigkeit, meinen Wünschen eine besondere Wirkungskraft mitzugeben.

Brief an Ervin Rozsnyai weiterlesen

Brief an Robert Steigerwald

Kurt Gossweiler

Brief an Robert Steigerwald

Inclusive vorhergehender und nachfolgender Korrespondenz

zwischen

Kurt Gossweiler und Robert Steigerwald


Inhalt


„Ich habe mich mit dem Faschismus und mit dem Revisionismus vor allem deshalb beschäftigt, weil ich die Ursachen für unsere tiefen Niederlagen begreifen musste“; so hat Kurt Gossweiler im März dieses Jahres beim Auftaktseminar unseres marxistisch-leninistischen Fernstudiums in Strausberg bei Berlin Motivation und Ziel seiner historischen Forschungstätigkeit umrissen.

Wer ihn kennt weiß, dass geschichtliche Analysen für ihn kein Selbstzweck sind, sondern dass er sie für politische Schlussfolgerung nutzt.

So auch in diesem Heft:

Weil „der Sozialismus nicht vom `Stalinismus`, sondern vom Revisionismus zugrunde gerichtet wurde“ (Brief an Steigerwald vom 27.3.06), „kann die Lehre … nur lauten: Keine Revision des Marx-Leninschen `Partei- und Machtkonzepts`, sondern konsequenter Kampf gegen alle Versuche, es durch ein `modernes`, angeblich `demokratischeres`, zu ersetzen!“

(Brief an Steigerwald vom 10. 12. 05)

Redaktionsnotiz

Es war geplant, dass der Brief von Kurt Gossweiler an Robert Steigerwald mit der darauf folgenden Korrespondenz der beiden in den „Marxistischen Blättern“ erscheinen sollte, weil er, wie Kurt Gossweiler am 9.3.06 an Robert Steigerwald schrieb, „da natürlich eigentlich hingehört“. Indes, man wollte ihn dort nicht.

Als Kurt Gossweiler uns fragte, ob wir ihn bringen würden, zögerten wir nicht lange. Schließlich ist der „Brief an Robert Steigerwald“ unserer Meinung nach eine ausgezeichnete Darstellung der Geschichte des Niedergangs des Sozialismus. In konzentrierter und straffer Form dargelegt und dabei trotzdem ausführlich an konkreten Fakten abgesichert, das macht die Qualität dieser Arbeit aus, die wir mit für das Beste halten, was es zum Thema zur Zeit gibt. Besonders positiv ist neben der Klarheit und Präzision der Argumentation die Art der Ansprache, handelt es sich doch nicht um einen eher abstrakten Artikel, sondern um einen persönlichen Brief. Dieser Stil bekommt dem doch recht komplizierten Thema sehr gut.

Des weiteren freuen wir uns sehr, dass Robert Steigerwald die Zustimmung zur Veröffentlichung des nachfolgenden Briefwechsels gab, denn die konkrete Diskussion und Auseinan-dersetzung, Reaktion und Gegenreaktion sind immer interessant und lehrreich.Wir haben das Heft in vier Teile gegliedert: es gibt als Erstes unter der Überschrift „Vorausgehendes“ einen Brief von Robert Steigerwald incl. eines Zusatzes und eines Anhangs, nämlich eines Textes von Kurt Gossweiler und eines Artikels von Robert Steigerwald über den XX. Parteitag der KPdSU aus der UZ, der der Auslöser für die an zweiter Stelle abgedruckte ausführliche Antwort Kurt Gossweilers, den – eigentlichen – „Brief an Robert Steigerwald“ war. Diesen Brief veröffentlichen wir hier mit seinem Begleitschreiben als zweiten Teil des Heftes. Darauf folgt als dritter Teil der Dokumentenanhang dazu und schließlich als Viertes die sich anschließende Korrespondenz zwischen Kurt Gossweiler und Robert Steigerwald. Dieses Heft kostet uns in Herstellung und Vertrieb rund 1.100,00 € – und das außerplanmäßig! Wir hoffen, dass Ihr es für ebenso wertvoll haltet wie wir und uns deshalb mit den Kosten nicht alleine lasst!Spendenkonto „Offensiv“:

Spendenkonto Inland: Konto Frank Flegel, 30 90 180 146 bei der Sparkasse Hannover, BLZ 250 501 80; Kennwort „Offensiv“

Spendenkonto Ausland: Konto Frank Flegel,

Internat. Kontonummer (IBAN): DE10 2505 0180 0021 8272 49,

Bankidentifikation (BIC): SPKHDE2HXXX; Kennwort „Offensiv“

                                                                                                                     Redaktion Offensiv, Hannover

Vorhergehendes

Robert Steigerwald

Brief an Kurt Gossweiler vom 11. 9. 2002

Lieber Genosse Kurt,

ich habe Deine Sache zu Schirdewan[1] und die Revisionismus-Kritik gelesen.

Zu Schirdewan: Möglich ist, dass er tatsächlich „damals“ so dachte, wie er sich im Interview äußerte und dass er das Referat „damals“ entsprechend der „Körperschaftsdiziplin“ so hielt, wie er es hielt, also im Widerspruch zu seiner wirklichen Meinung. Möglich ist aber genau so, dass er sich heute als ein Opfer und (verhinderter) Märtyrer hinstellen will (wollte). Ersteres ist problematisch und zum zweiten meine ich, er hätte den Mund halten sollen. Es gibt einen nicht unwichtigen Punkt, da befinde ich mich nicht auf dem Boden von Parteibeschlüssen. Komme ich (selten) in die Lage, mich dazu äußern zu müssen, sage ich, worin die Position der Partei besteht und dass ich sie nicht teile, erst auf Nachfragen sage ich dann, was ich für richtig halte. Ich könnte mir vorstellen, in einer Rede die Position der Partei darzustellen, aber nicht, sie zu verteidigen. Einmal habe ich, auch öffentlich, etwas verteidigt und hatte dabei das Gefühl, die Gegenposition könne auch stimmen. Vertrauend auf die sowjetischen Informationen habe ich deren Darstellung des Falls Katyn gerechtfertigt. Das geschah ohne Zwang, aus freien Stücken. Ich kann mich an keinen Fall erinnern, wo die Partei einen Genossen gezwungen hätte, öffentlich für etwas einzustehen, hinter dem er nicht stand.

Zu Deiner Kritik an mir:

Ich habe sicherheitshalber meinen „UZ“-Beitrag zum XX. Parteitag jetzt nochmals gelesen und habe keinen Grund, Deine Kritik zu akzeptieren. (Vorsorglich hänge ich diesen Aufsatz meinem Brief an.)

Du führst am Ende Deines Vortrags eine Art Redetext ein, wie man mit den Dingen hätte umgehen können. Dem Wesen nach sagst Du: Was passiert ist, war als Reaktion, als Vorsichtsmaßnahme angesichts der vom deutschen Faschismus ausgehenden tödlichen Gefahr notwendig[2]. Das bedeutet zunächst, dass Du die Fakten (Lager usw.) nicht leugnest, sondern sie nur anders erklärst, deutest. Ich stimme Dir zu, dass es vielfache Aktivitäten gegeben hat, fünfte Kolonnen aufzubauen, dass für den Kriegsfall bestimmte Bevölkerungsgruppen sich als besonders anfällig für antisowjetische Aktivitäten erweisen konnten (und darum deportiert oder inhaftiert werden mussten – die USA haben während des Krieges gegen Japan „ihre“ Japaner auch interniert), auch – dazu sagst Du zwar nichts, aber das dürfte zwischen uns kein Problem sein – dass es stets auch Versuche gegeben haben dürfte, Stalin zu entmachten usw. Dabei dürften die Motive andere gewesen sein als jene, die Du annimmst (Wiederherstellung des Kapitalismus). Warum sollten Leute, die an der Revolution, am Bürgerkrieg teilgenommen hatten und in hohe und höchste Funktionen gelangt waren, sich den Ast absägen, auf dem sie saßen? Da haben sicher andere Motive gewirkt, deren Existenz ich unter Kommunisten früher nicht für möglich gehalten hätte: übertriebener Ehrgeiz, Selbstüberschätzung usw. Aber ich kann Dir auch noch zustimmen, dass, wo es solche Aktivitäten gibt, zugeschlagen werden muss.

Dennoch enthält Dein Rede-Text-Vorschlag ein paar Fehler:

Erstens begann das System der Lager vor dem Machtantritt der Nazis mit den teilweise bürgerkriegsähnlichen Zuständen während der Kollektivierung. Da wäre dann zu fragen, in wie weit die Art und Weise der Durchführung dieser zweiten Revolution zu solchen Zuständen geführt hat, also die Frage von Ursache und Wirkung. Aber das ist für mich nicht mal so wichtig.

Selbst wenn ich all die Maßnahmen hinnehmen könnte, die mit dem Kampf gegen die fünfte Kolonne für nötig erachtet wurden, stellt sich ja die Frage: Warum wurden diese Maßnahmen nach der Zerschlagung des Hitler-Faschismus beibehalten? „Deine“ Rede, die hätte doch Stalin oder sonst wer auf dem XIX. Parteitag halten können, und das wäre dann auch immerhin sieben Jahre nach dem Ende des Hitler-Staates gewesen. Und es gingen dann noch einmal vier Jahre ins Land, ehe mit dem XX. Parteitag die Dinge geändert wurden.

Aber auch das ist noch nicht alles, was man gegen Deinen Rede-Vorschlag einwenden muss! Stalin hat nämlich eine solche Rede, als das – vorausgesetzt, man akzeptiert Deine Begründung für den Terror – angängig gewesen wäre, nicht nur nicht gehalten, sondern er hat, als diese Maßnahmen einem Höhepunkt zusteuerten, ganz andere Reden vorgetragen, Du kennst sie natürlich.

Völlig zutreffend betont er 1936, dass die Arbeiterklasse des Sowjetlandes kein Proletariat mehr sei, da sie die Produktionsmittel besitze. Er betonte sowohl 1936 in der Verfassungsrede als auch in seiner Rede auf dem XVIII. Parteitag (1939, im Abschnitt über Fragen der Theorie), dass die Ausbeuterklassen verschwunden seien (meines Erachtens hat er da die langfristigen ideologischen, politischen und auch sozialen Nachwirkungen überwundener Klassen unterschätzt, aber das spielt jetzt hier keine Rolle). Da es keine Ausbeuter mehr gebe, gebe es auch niemanden mehr, der zu unterdrücken wäre!! (Fragen des Leninismus, Moskau 1947, S. 727). Man habe jetzt, „wie ihr seht … einen völlig neuen, sozialistischen Staat, wie ihn die Geschichte noch nicht gekannt hat…“ (S. 728). Na, ist es von da zur These Chruschtschows vom Volksstaat ein großer Schritt?? In der Rede zur Verfassung setzte er sich mit Vorschlägen zur Änderung der Verfassung auseinander. Da kommen denn auch die Geistlichen, die ehemaligen Weißgardisten, alle „Ehemaligen“ und Personen, die sich nicht mit gemeinnütziger Arbeit befassen (S. 643), zur Sprache. Es gab Zeiten, wo sich diese Elemente im offenen Kampf gegen die Sowjetmacht befunden hätten. „Seitdem ist nicht wenig Zeit verstrichen“ (S. 643). Er geht der Frage nach, ob sich solche Elemente nicht in die obersten (!) Organe des Landes einschleichen könnten und weist diese Vermutung mit recht gründlichen Argumenten zurück!

Das war gesagt, als Hitler an der Macht war und teilweise sogar erst im März 1939, da Stalin doch schon davon sprach, dass der zweite Weltkrieg bereits begonnen, dass er sich schon an 500 Millionen Menschen herangeschlichen habe! (S. 685) Damals wäre eine Rede in etwa von der Art, wie Du sie skizziertest, denkbar, möglich gewesen. Man hätte sie den meisten Menschen verständlich halten können, aber es wurden ganz andere Reden gehalten – und zugleich Maßnahmen ergriffen, die solchen Reden direkt widersprachen.

Was die Frage der fünften Kolonnen angeht, möchte ich an Namen unserer erschossenen Genossen erinnern. Den Genossen Hugo Eberlein kannst Du nicht unter die Kategorie der fünften Kolonne einreihen. Nicht alle ehemaligen führenden Genossen der KPD, die erschossen wurden, mögen eine reine Weste gehabt haben, das kann man mit dem uns zur Verfügung stehenden Material weder behaupten noch widerlegen. Aber dass sie allesamt Agenten gewesen sein sollen, stellte der Partei, die solche Leute in ihre Führung nahm, ein schlechtes Zeugnis aus. Zumal bekannt ist, dass den Verurteilungen in nicht wenigen Fällen Folter vorausging, um „Geständnisse“ zu erlangen, die dann einfach als Grundlage für andere Prozesse dienten. Harry Schmidt, er schrieb es mir, hatte Dir Namen von noch lebenden Genossen benannt, die Du als Zeugen hättest befragen können, Harry schrieb, Du hättest das nicht getan! Oder wie steht es um solche unserer Genossen, die dann nach dem Krieg an die Reihe kamen: Fritz Sperling, Erich Jungmann, Alfred Drögemüller (unser Jupp Schleifstein hatte „nur“ Glück) usw. usf. Das fällt alles nicht unter Deine Entschuldigungsrede.

Ich bleibe also bei meiner den Aufsatz zum Parteitag einleitenden These. Sie bezieht sich auf Terror, nicht auf die politischen Thesen des XX. Parteitages, die Ihr als revisionistisch einschätzt. Im Zeitungsbeitrag habe ich solche Punkte nur „wertneutral“, „objektivistisch“ benannt, weil der Raum, sie zu erörtern, da fehlte und ich sie nicht umstandslos so bewerte wie Ihr.

Du willst dann den von mir formulierten Widerspruch wegwischen, meinst, ich machte es mir zu leicht. Wirklich? Zunächst, der XX. Parteitag hatte ja zwei Teile, einen öffentlichen und offenen und einen geheimen. Der geheime war von einem Kollektiv vorbereitet worden, ich habe im Aufsatz die Namen genannt. Guck sie Dir an, das sind alles altgediente Genossen! Der öffentlich stattgefundene war ja auch nicht allein Chruschtschows Werk. Ich nannte Namen, und das waren alles Genossen, die entweder schon an der Revolution teilgenommen hatten oder doch zumindest durch die „Schule“ Stalins gegangen waren. Sie wurden auf dem XIX. Parteitag gewählt. Da wirkte Stalin noch. Und sie hatten die Partei in der Hand, mussten nicht erst mittels des Parteitags versuchen, sie in die Hand zu kriegen, wie Du schreibst. Wenn ihre Thesen im Referat des ZK revisionistisch waren, so war ihr Revisionismus bereits in der Periode ihres Werdens zu Parteiführern in der Stalin-Zeit entstanden.

Ich denke also, wenn es sich einer von uns beiden zu leicht macht, so bin ich es bestimmt nicht.

Was mir bei der ganzen Argumentation Deinerseits besonders aufstößt, das ist die Verschwörungs- und Agententheorie. Da wird Browder zum Ursprungsherd des modernen internationalen Revisionismus, den Tito in den Sozialismus beförderte. Merkst Du nicht, dass Du da Leute überhöhst? Muss man sich nicht vielmehr fragen – ich tue es –: wieso sind nach dem zweiten Weltkrieg Prozesse in Gang gekommen, nicht nur in der SU, nicht nur in sozialistischen Ländern, die zu einem solchen weit verbreiteten neuen Revisionismus geführt haben? Hat das nur persönliche Gründe und Hintergründe? Gibt es da nicht eine massenhaft herausgebildete soziale Basis für solchen neuen Opportunismus und Revisionismus? Und worin haben sie bestanden? Ich habe in meinem Beitrag für die „Weißenseer Blätter“ (Über die Gründe für das Entstehen von Meinungsverschiedenheiten zwischen Kommunisten) ein wenig über diese Frage nachgedacht und meine, das müsste man fortsetzen und vertiefen. Jedenfalls reicht das Verrotten dieser oder jener Persönlichkeit allein nicht aus, solche Prozesse zu verstehen. Ideologische Deformation dieses Ausmaßes gelang nur, weil es dafür einen sozialen Boden gab (und gibt). Wenn wir nicht diese objektiven und subjektiven Faktoren beachten, stoßen wir mit unserem Kampf ins Leere. Mit der Verschwörungs- und Agententheorie erreichen wir nicht die wirklichen Gründe.

Lieber Kurt, ich habe nicht wenig gestaunt, wie Du nach Ende der Konferenz mit dem Auto losgeflitzt bist, Du bist doch noch ein paar Jahre älter als ich, fahren tust Du aber wie ein junger Kerl. Offensichtlich bist Du noch bei guter Gesundheit (ich auch). So möge es noch lange bleiben.

Mit kommunistischem Gruß,
Robert Steigerwald


Zusatz zum Brief von Robert Steigerwald

Kurt Gossweiler: Redetext, wie man mit den Dingen hätte umgehen können

(…) Wäre Chruschtschows Ziel nicht gewesen, mit seiner „Geheimrede“ Stalins Autorität ein für alle mal zu zertrümmern, um nicht ständig an ihm gemessen zu werden und um für seine konterrevolutionäre Kursänderung freie Bahn zu haben; und hätte zu seinen Absichten nicht auch gehört, der Überzeugung der Sowjetbürger in die Gerechtigkeit ihrer Sache und dem Stolz auf ihre Sowjetmacht einen tödlichen Schlag zu versetzen; hätte er wirklich nur im Sinn gehabt, den unschuldigen Opfern der „Säuberungen“ Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und die geschichtliche Wahrheit über die Zeit der Repression darzulegen, dann hätte in seinem Bericht etwa das Folgende gesagt werden müssen:

„1936, nach der Errichtung der faschistischen Diktatur in Deutschland, nach der Aufrüstung des faschistischen Deutschlands unter Duldung und sogar mit Hilfe der Westmächte, nach dem Verrat der Westmächte an der Spanischen Republik, standen wir vor der Gefahr, vom faschistischen Deutschland – möglicherweise sogar im Einvernehmen mit den Westmächten -, überfallen zu werden und uns allein der stärksten Militärmacht der ganzen Kriegsgeschichte gegenübergestellt zu sehen, von der wir aus dem Spanienkrieg schon wussten, was sich dann in Norwegen und Frankreich später wiederholte, nämlich, dass der faschistischen Wehrmacht im Hinterland der überfallenen Länder „fünfte Kolonnen“ von Quislingen und Verrätern zu Hilfe kamen.

Wie groß die Gefahr des Überfalles war, zeigte sich noch viel deutlicher mit dem Münchner Abkommen der Westmächte mit Hitler und der Auslieferung der Tschechoslowakei an ihn, mit der Weigerung der Westmächte, mit uns einen Vertrag über kollektive Sicherheit und gegenseitigen Beistand zur Bändigung Hitlerdeutschlands abzuschließen.

Unsere Vorbereitungen auf den faschistischen Überfall mussten also auch der Verhinderung der Bildung einer „fünften Kolonne“ in unserem Hinterland gelten. Noch gab und gibt es bei uns Feinde der Sowjetmacht, einst von uns enteignete Kulaken und ihre Nachkommen, Reste der zerschlagenen Gruppen der Trotzkisten und andere Oppositionsgruppen – hatte doch Trotzki mehrfach in seinen Veröffentlichungen dazu aufgerufen, im Kriegsfalle den Aufstand gegen den „Stalinismus“ zu beginnen; ferner Leute, die mit den Deutschen sympathisierten, z.B. unter den Wolgadeutschen oder bei bestimmten Nationalitäten wie den Krimtataren oder den Tschetschenen.

Also mussten wir angesichts der tödlichen Bedrohung alles tun, um es möglichen Feinden der Sowjetunion unmöglich zu machen, im Hinterland mit „fünften Kolonnen“ den faschistischen Überfall zu unterstützen.

Dabei mussten wir in Rechnung stellen und in Kauf nehmen, dass es bei Säuberungen so großen Ausmaßes, wie wir sie für notwendig erachteten, nicht auszuschließen war, dass auch Unschuldige – sei es wegen absichtlicher Falschbeschuldigungen durch feindliche Elemente, sei es aus Übereifer örtlicher Organe, sei es durch Anlegen eines zu pauschalen Rasters – in erheblichem Umfange von den Maßnahmen betroffen sein würden, wie es dann auch der Fall war.

Aber wir hatten damals abzuwägen, was schwerer wog: wenn wegen ungenügender Sicherungsmaßnahmen die Sowjetmacht zugrunde ging, oder wenn bei unseren Sicherungsmaßnahmen nicht nur echte Feinde, sondern auch unschuldige und sogar eigene Leute getroffen würden.

Die Partei hat sich für die Sicherung der Sowjetmacht als der allem anderen übergeordneten Pflicht entschieden.

Jetzt aber ist es an der Zeit, dabei begangenes Unrecht aufzuklären und wiedergutzumachen.“

So oder so ähnlich hätte eine ehrliche, kommunistische Stellungnahme zu der für jeden Kommunisten schmerzlichsten Seite der Geschichte der Sowjetunion lauten müssen.

Eine kommunistische, das heißt wahrheitsgemäße Schuldzuweisung auch für diese Opfer hätte darüber hinaus klar aussprechen müssen, dass auch ihre Leiden und ihr Tod wie der von 25 Millionen Sowjetsoldaten und der von 50 Millionen Toten des Zweiten Weltkrieges auf das Konto derer geht, die die Führung der Sowjetunion vor eine solch grausame Entscheidung stellten – auf das Konto Hitlers und des deutschen Imperialismus in erster Linie, in zweiter aber auch auf das Konto derer, die Hitlerdeutschland aufrüsteten, um es als Stoßkeil gegen die Sowjetunion zu lenken und seine Bändigung durch ein kollektives Sicherheitsbündnis sabotierten.

In dem Chruschtschow statt dessen Stalin als Massenmörder hinstellte, übernahm nun der Führer der KPdSU die bisher nur über die westlichen Medien verbreiteten antisowjetischen Hetz-Lügen aus den Küchen der imperialistischen Spezialisten für psychologische Kriegsführung und verkündeten sie als Wahrheit.

Von daher kommt es, dass ehrliche und überzeugte Kommunisten auch heute noch bedenkenlos die giftige Verleumdung weitergeben, Stalin habe mehr Kommunisten umgebracht als Hitler.

Die Wahrheit ist, dass alle Kommunisten, alle Kämpfer gegen den Faschismus und alle Juden, die im vom Faschismus besetzten Europa überlebt haben, dies vor allem der Sowjetunion, der Roten Armee und damit auch Stalin verdanken.

Dessen waren sich damals die Menschen weltweit bewusst. (…)

Kurt Gossweiler,
Vortrag bei einer Veranstaltung von DKP, KPD und PDS
am 27. März 2004 in Bernburg


Robert Steigerwald

Vor 45 Jahren: XX. Parteitag der KPdSU

Im Februar vor 45 Jahren fand in Moskau der XX. Parteitag der KPdSU statt, ohne Zweifel ein Ereignis, bedeutender als die meisten KPdSU-Parteitage. Er brach mit einer ganzen Periode der Entwicklung von Partei und Gesellschaft. So beendete er das System schwerer Verletzungen sozialistischen Rechts und sozialistischer Ideale, wie es sich, beginnend gegen Ende der 20er Jahre, in der Sowjetunion herauszubilden begann. Millionen Menschen kamen aus Lagern und Verbannung frei. Viele andere konnten zumeist erst postum rehabilitiert werden. Im Umgang mit der Theorie, mit der Darstellung der Parteigeschichte kam es zu einer Wende. Auf wichtigen Gebieten wurden neue Einschätzungen getroffen. Diese Wende hatte tief greifende Auswirkungen nicht nur auf die sowjetische, sondern auf alle kommunistischen Parteien, auf ihre Beziehungen untereinander und, darüber hinaus, auf die Beziehungen zwischen den Staaten.

Warum kam es zu einer solchen durchaus grundlegenden Wende? Es gab hierfür mehrere Gründe, die teilweise auf eigenartige Weise miteinander verschränkt waren.

Zunächst ging es darum, das Willkür-Regime zu überwinden, wenigstens eine Reihe elementarer Bedingungen von Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit einzuführen, also dem Land und seiner Bevölkerung eine bedrückende Last abzunehmen.

Von völlig anderer Art war ein anderer Grund. In der gleichen Zeit und trotz aller schweren Willkür-Handlungen war die Sowjetunion ökonomisch, sozial, politisch und auch ideologisch zu einer mächtigen Kraft herangewachsen. Anders als das vorrevolutionäre Russland erwies sie sich in einem Weltkrieg als siegreich. Sie war im Stande, der bis dahin stärksten Militärkoalition entgegenzutreten, Hitler das Genick zu brechen, zur zweiten Weltmacht emporzustreben. Wenige Monate nach dem XX. Parteitag trat das vor aller Welt sichtbar in Erscheinung: die Sowjetunion hinderte während der Suez-Krise England und Frankreich an einer Intervention gegen Ägypten. Die Sowjetunion war nicht mehr das einzige sozialistische Land, denn die chinesische Volksrevolution hatte gesiegt, und es war eine Gruppe Staaten entstanden, die das Tor zur sozialistischen Entwicklung aufbrachen. Überdies war das alte imperialistische Kolonialsystem zerbrochen.

Diese Hintergründe ermöglichten es der Partei, mit einem neuen Selbstbewusstsein, aus eigener Kraft, ohne Druck von außen, mit den Fehlern und schweren Verstößen der eigenen Geschichte abzurechnen. Auf die Art, mit der dies geschah, auf den Inhalt der gefassten Beschlüsse und auf die Kritik daran komme ich noch zu sprechen.

Welche hauptsächlichen Beschlüsse fasste der Parteitag?

Er forderte die Festigung der Beziehungen zwischen den sozialistischen Staaten, die Entwicklung solidarischer Beziehungen zu den vom Kolonialjoch befreiten Staaten, die Unterstützung der revolutionären Bewegungen in der Welt, das Festhalten an der Lenin’schen Politik der friedlichen Koexistenz von Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen, die entschlossene Verteidigung des Friedens und die Stärkung der Verteidigungskraft des Landes.

Friedliche Koexistenz sei Form des Klassenkampfs auf internationalem Gebiet, schließe eine Versöhnung von sozialistischer und imperialistischer Ideologie aus. Sie diene dazu, einen atomar geführten Krieg zu vermeiden, was auch bedeute, Streitfragen möglichst durch Verhandlungen zu lösen. Das Recht eines jeden Volkes, über seine Entwicklung selbst zu entscheiden, wurde unterstrichen, Export der Revolution nach wie vor abgelehnt, der Sozialismus könne nur aus der Entwicklung der inneren Widersprüche eines Staates hervorgehen.

Neu – und in der Folge heftig umstritten – war die These, dass es unter den neuen Kräfteverhältnissen möglich sei, einen Weltkrieg zu verhüten. Angesichts des Wirkens der Entwicklungsgesetze des sozialistischen Lagers seien jene des Imperialismus nicht länger allein bestimmend. Folglich bestehe die Möglichkeit, den Imperialismus an der Auslösung eines imperialistischen Krieges zu hindern. Die Aggressivität des Imperialismus sei nicht zu leugnen, nur kann er nicht mehr allein den Gang der Weltentwicklung bestimmen. Allerdings erfordere dies, dass die Friedenskräfte in der ganzen Welt mit aller Kraft den Kampf gegen den imperialistischen Krieg entfalten.

Wichtig war auch die These, dass es durchaus unterschiedliche Formen und Wege des Übergangs zum Sozialismus geben könne, es nicht unbedingt eines Bürgerkrieges bedürfe. Das Lager der in den Kampf gegen den Imperialismus, für den gesellschaftlichen Fortschritt einzubeziehenden Klassen und Schichten könne so ausgeweitet werden, dass es zur Isolierung der imperialistischen Kräfte kommen könne. Das bedeute nicht, das Vorhandensein von Bedingungen zu leugnen, da der Kampf für den gesellschaftlichen Fortschritt auf den bewaffneten Widerstand reaktionärer Kräfte stoßen und folglich zum Bürgerkrieg führen könne. Die Kommunisten müssten darum fähig sein, die unterschiedlichsten Kampfformen zu beherrschen, darunter auch die parlamentarischen. Die Kommunistische Partei Großbritanniens hatte bereits Jahre zuvor (noch zu Stalins Lebzeit) ein Parteiprogramm beschlossen, das den parlamentarischen Weg zum Sozialismus akzeptierte.

Was diese Beschlüsse angeht, so ist Kritik hauptsächlich wegen einer sie prägenden voluntaristischen Tendenz angebracht. Diese trat freilich erst auf dem XXII. Parteitag in den Beschlüssen zum neuen Parteiprogramm mit aller Deutlichkeit zu Tage.

Das betrifft die Einschätzung der internationalen Lage. Im Vollgefühl der eigenen Stärke wurde jene des Imperialismus und dessen Bereitschaft, sich mit den gegebenen Bedingungen keinesfalls abzufinden, jetzt und vor allem später sträflich unterschätzt. Aber auch die eigenen Entwicklungsressourcen wurden viel zu optimistisch eingeschätzt. Eine Reihe von großspurig verkündeten Grundsätzen – etwa jene über das Recht jedes Volkes, seinen eigenen Weg bestimmen zu können, eigenen Wege des Übergangs zum Sozialismus auszuarbeiten, aber auch die Thesen, die sich auf die Gestaltung der Beziehungen zwischen den kommunistischen Parteien beziehen – wurden missachtet. Gewisse Entwicklungen in der Dritten Welt wurden nicht in ihrer Kompliziertheit eingeschätzt, sondern ohne weiteres als Weg nichtkapitalistischer Entwicklung bewertet. Die Darstellung der Parteigeschichte wurde von allzu groben Entstellungen und Fälschungen bereinigt, dennoch wurde dies nur halbherzig vorgenommen.

Solche Mängel sollten sich in der weiteren Arbeit auf dem Felde der Theorie und Ideologie negativ auswirken: Die Unterschätzung der Potentiale des Imperialismus behinderte die Wissenschaft daran, tiefgründige Analysen des heutigen Imperialismus zu erarbeiten. Die – trotz gegenteiliger Versicherungen – beibehaltene Position , es gebe im Grunde nur den sowjetischen Entwicklungsweg des Sozialismus (Ablehnung beispielsweise des Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung in der DDR) bewirkte, dass es keine wirkliche Analyse der Wege des Aufbaus des Sozialismus gab. Die unterschiedlichen revolutionären Prozesse etwa in Volksdemokratien, in vom Kolonialjoch befreiten Ländern wurden nicht gründlich untersucht.

Nicht in der öffentlichen Beratung des Parteitags, aber in seiner am Ende und überraschend durchgeführten geheimen Beratung spielten die Fragen der Auseinandersetzung mit der Stalin-Zeit die entscheidende und das Land erschütternde Rolle. Die damals von Chruschtschow gehaltene Rede ist inzwischen international bekannt, ich gehe auf Einzelheiten dieses Referats und desjenigen, das dann Jahre später auf dem XXII. Parteitag gehalten wurde, nicht ein. Ich wende mich nur einigen Argumenten zu, die gegen dieses Referat vorgebracht worden sind.

Erstens wird kritisiert, dass es nicht genügend theoretisch begründet sei. Ihm mangele es an einer gründlichen geschichtlichen Erforschung der Bedingungen, die zu den kritisierten Verhältnissen geführt hätten. Auch sei die im Referat benannte Zeit von 1934 bis 1953 zu sehr begrenzt. Einige Mängel dieser Art wurden in einem Beschluss des ZK vom Juni 1956 korrigiert: Es wurde auf objektive Entwicklungsbedingungen des Landes, auf den dadurch mit bedingten Charakter der Partei verwiesen und das Wirken Stalins in dieses Bedingungsgeflecht eingefügt.

Zweitens wurde kritisiert, dass dieses Referat nur eine geheim gehaltene Abrechung gewesen sei, eine öffentliche Selbstreinigung wäre in ihrer Wirkung viel positiver gewesen. Allerdings wurde das Referat nach dem Parteitag im ganzen Land in Parteiversammlungen, bei Beteiligung auch von Nicht-Parteimitgliedern, im vollen Umfang verlesen, so dass von einer völligen Geheimhaltung der Rede vor der Öffentlichkeit keine Rede sein kann.

Drittens wird hinsichtlich der Motive diskutiert, die Chruschtschow zu seinem Vorgehen geführt haben könnten: Er habe ja nur bestimmte, vom System protegierte Schichten von der Sorge um ihre Positionen befreien, also nicht wirklich mit den schlimmen Exzessen der Stalin-Zeit Schluss machen wollen. Auch habe er von seiner (und der anderer führender Vertreter der Partei) Verstrickung in die kritisierten Untaten ablenken wollen. In dieser Hinsicht, was also die Verstrickung führender Genossen in die Taten und Untaten der Vergangenheit angeht, wurde auf dem XXII. Parteitag einiges nachgeholt.

Was diese Kritiken angeht, muss man sich in die damalige Lage versetzen. Es wäre unmöglich gewesen, eine solche Kritik an der Geschichte der Partei und des Staates in breiter Öffentlichkeit vorzubereiten und dann auch zu entwickeln. Der unmittelbare Apparat der Partei und des Staates war noch fest in der Hand von Kräften, die an den Untaten selbst aktiv beteiligt waren. Unter solchen Bedingungen war eine gründliche wissenschaftliche, theoretische Analyse und Vorbereitung der Rede gar nicht zu denken – ganz davon abgesehen, ob Chruschtschow und jene, mit denen er sein Vorhaben vorbereitete (Bulganin, Schukow, Furzewa, Serow etwa, bei Benutzung der bereits ein Jahr vor dem Parteitag durch eine Kommission unter Leitung von Molotow und Pospelow erarbeiteten Materialien), dazu überhaupt fähig gewesen wären. Chruschtschow ging genau mit jenen Methoden ans Werk, die sich in den letzten Jahrzehnten der Führung des Landes durch Stalin (kein Parteitag von 1939 bis 1952 ohne Beispiel!) herausgebildet hatten. Es ist auch schwer nachvollziehbar, dass eine Selbstkritik in breiter Öffentlichkeit das Ansehen der KPdSU mehr gestärkt hätte als die Vorgehensweise Chruschtschows.

Es kann gar kein Zweifel daran bestehen, dass der XX. Parteitag, seine Enthüllungen, dem Ansehen der KPdSU und, darüber hinaus, der gesamten kommunistischen Bewegung schwer geschadet hat. Nur darf man Ursache und Wirkung nicht verwechseln. Haben die kritisierten Untaten oder deren Kritik der Partei geschadet? Die Kritik war notwendig, die kritisierten Probleme auf Dauer zu verschweigen war nicht nur nicht möglich, das hätte auch zutiefst dem moralischen Anspruch der Kommunisten widersprochen.

Der Parteitag bewirkte zweifelsohne auch, dass sich in einigen kommunistischen Parteien zunächst Tendenzen, später regelrechte Bewegungen weg von der KPdSU, weg von der internationalen Zusammenarbeit der Kommunisten, schließlich die Orientierung auf den sog. Eurokommunismus und auf die nationale Borniertheit hin ausbildeten.

Es wird der Vorwurf erhoben, der XX. Parteitag sei ein Akt der Konterrevolution gewesen, durchgeführt von revisionistischen Kräften, denen es um die Zerstörung der ruhmreichen, von Stalin geprägten Partei gegangen sei. Diese Argumentation zerbricht an ihrer inneren Widersprüchlichkeit. Wenn es möglich war, dass innerhalb von drei Jahren (nach Stalins Tod waren drei Jahre vergangen) eine solche Partei und der durch sie geprägte Staat durch einen solchen Parteitag konterrevolutionär überrumpelt werden konnte, so war diese Partei schon vorher nicht mehr das, wofür ihre Verteidiger sie halten. Dann hat der Zersetzungsprozess der Partei nicht erst 1956 begonnen. Oder aber, das wäre die andere Seite des Widerspruchs, der XX. Parteitag war, obwohl eine scharfe Wende in der Parteigeschichte, eben kein Akt der Konterrevolution. Das bedeutet nicht, von den Mängeln und Fehleinschätzungen des Parteitages einfach weg zu sehen, nur darf man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.

Robert Steigerwald,
Manuskript des Artikels in der UZ vom 9. 2. 2001

Brief an Robert Steigerwald

Kurt Gossweiler

Anschreiben an Robert Steigerwald vom 10. 12. 2005

Lieber Genosse Steigerwald, im Juli – nachdem ich mich von den Strapazen des Umzuges einigermaßen erholt hatte,- habe ich den beiliegenden Brief an Dich angefangen, jetzt endlich bin ich so weit, ihn abzuschicken.

Lieber Robert, ich kann Dich trösten: es gibt wirklich noch Schlimmeres als diesen meinen über-, überlangen Brief an Dich[3]. Ein weiterer Trost mag Dir meine Versicherung sein, dass dies mit Sicherheit der letzte Brief dieser ausschweifenden Länge an Dich – und wohl auch überhaupt – sein wird, erstens aus Altersgründen; sodann aber, weil ich mit diesem Brief nun so ziemlich alles das an Fakten zusammengetragen habe, was Deine und anderer gutgläubige Chruschtschow-Verteidigung widerlegt und was für jeden, für den „Tatsachen höher stehen als jede autoritative Äußerung“, und der diese Tatsachen nüchtern und vorurteilslos – marxistisch eben – beurteilt, keinen anderen Schluss zulässt als den, dass dieser Chruschtschow an der Spitze der KPdSU das Oberhaupt der modernen Revisionisten und – ebenso wie sein Nachfolger Gorbatschow – ein Komplize des Imperialismus, insbesondere des USA-Imperialismus geworden ist. So lange aus der kommunistischen Bewegung das Erbe des Chruschtschow-Revisionismus nicht vollständig ausgetrieben ist, wird sie zersplittert und ohnmächtig bleiben. Und so lange die DKP-Führung sich den Hué und Baier und den Parteien der ELP näher verbunden fühlt als der „stalinistischen“ KKE und ihresgleichen, wird sie ihre innere Spaltung nicht überwinden und darauf beschränkt bleiben, die größte unter den kommunistischen Parteien in Sektengröße zu sein. Lieber Robert, nimm bitte diesen Brief und seine 13 Anlagen als Beleg dafür, wie viel mir daran liegt, dass der DKP gelingt, das Haupthindernis für ihre Wiedergeburt zu einer m/l-Massenpartei zu überwinden.

Mit kommunistischem Gruß,
Kurt Gossweiler


Kurt Gossweiler

Brief an Robert Steigerwald vom 10. 12. 2005

Lieber Genosse Steigerwald, nun sind es schon fünf Jahre her, dass du mein Buch „Wider den Revisionismus“ in den ‚Blättern‘ besprochen hast und ich dir ankündigte, dir darauf zu antworten, wozu ich aber bis zum heutigen Tage nicht kam, und auch nicht mehr kommen werde – umstände- und altershalber. Umständehalber: wir mussten aus unserer im zweiten Stock liegenden Wohnung in eine Parterre-Wohnung umziehen – die Kniegelenke wollten es so. Aber von einem Umzug mit Bibliothek und Archiv erholt man sich erst in Monaten. Und altershalber: wenn man noch Etliches vorhat, aber nicht weiß, wieviel Zeit einem noch bleibt, dann muß man viele Striche machen.  Außerdem wäre es inzwischen sinnlos, darauf noch einmal zurückzukommen. Besser, ich schicke dir beiliegende Hefte, in denen Vieles von dem steht, was ich dir geschrieben haben würde.

Ich nutze die Gelegenheit zu einigen Bemerkungen zu deinem „Einspruch“ in der „Jungen Welt“ v.11. April d. J.

Du machst darauf aufmerksam, dass es schon viele nützliche Veröffentlichungen zur Erklärung historischer Prozesse, „etwa die Stalinzeit umfassend“, gibt, und nennst dann als Beispiel den Beschluß des ZK der KPdSU drei Monate nach dem XX. Parteitag.

Du schreibst dann: „Eigentlich hätten wir uns schon damals fragen müssen, wieso mußte denn schon wenige Monate nach einem solchen einschneidenden Parteitag das ZK einen derart grundlegenden Beschluß fassen,…wozu sich doch der vorangegangene Parteitag – vor allem in der sogenannten Geheimrede – schon geäußert hatte?“

Diese Frage gefällt mir.

Du sagst dann weiter: „Das kann doch nur so verstanden werden, daß das ZK mit der Art und Weise, wie sich der XX. Parteitag des Themas angenommen hatte, zumindest nicht zufrieden war.“

Diese Formulierung ist sehr merkwürdig. Sie läßt vermuten, dass du über „die Art und Weise“, wie der XX.Parteitag durch Chruschtschow mit der „Geheimrede“ überrumpelt wurde, nicht richtig informiert bist, (was allerdings sehr verwunderlich wäre). Denn wenn du darüber Bescheid wüßtest, dann hättest du sagen müssen: „Das kann doch nur so verstanden werden, dass das ZK mit der Art und Weise, wie sich Chruschtschow des Themas angenommen hat, zumindest nicht zufrieden war.“

Für den Fall, daß Du darüber tatsächlich nicht Bescheid weißt, lege ich Dir eine Kopie des Berichtes von Kaganowitsch, der Mitglied des Parteitags-Präsidiums war, zu diesem Vorgang bei, den ich in meiner „Taubenfußchronik“ (Bd. I, S.18) abgedruckt habe.(Anl. I)

Aber egal, ob du das wußtest oder nicht: du hättest dir auf jeden Fall eine weitere Frage unbedingt stellen müssen – und die habe ich in deiner Zuschrift vermisst:

Für dich ist doch, wie du oft geschrieben hast, der XX. Parteitag der „Parteitag der Wiederherstellung der innerparteilichen Demokratie“. Wenn dem wirklich so gewesen wäre, dann hätte doch dem Parteitag von Chruschtschow kein anderer als ein vom ganzen ZK beschlossener Text vorgetragen werden können, oder?

Dann mußt du dir doch aber auch die Frage stellen: Wieso sieht sich das ZK nach drei Monaten gezwungen,  mit seiner eigenen Stellungnahme auf dem XX. Parteitag unzufrieden zu sein und sie zu korrigieren?

Du hast dir diese Frage offenbar nicht gestellt, aber sie drängt sich dem Leser deiner Zuschrift auf, aber er bekommt von dir darauf keine Antwort.

Doch die Antwort auf die Frage, warum sich das ZK der KPdSU veranlaßt sah, den von dir so lobend erwähnten Beschluß zu veröffentlichen, kennst du doch sicherlich; du hast sie aber leider nicht erwähnt; der Grund für diesen Beschluß war das scharfe kritische Echo aus verschiedenen kommunistischen Parteien, – von Thorez, Togliatti bis MaoTse-tung – auf die Chruschtschow-Rede und auf die äußerst verdächtigen Umstände ihrer Veröffentlichung. Ich rufe dir diese Stellungnahmen in Erinnerung, indem ich sie als Kopien aus meinem Buche (Bd. I, S. 59-65)  beilege.(Anl.II)

16.Juli.

Ich mußte unterbrechen und habe inzwischen in unserem Briefwechsel nochmals geblättert und dabei auch deinen UZ-Artikel zum 45. Jahrestag des XX. Parteitages v. 9. Februar 2001 (siehe oben; d.Red.) wiederentdeckt, zu dem ich dir schon damals einige kritische Bemerkungen geschrieben hatte, die du in einem Brief v. 11.Sept. 02 als unbegründet zurückgewiesen hast. Diesen Brief hatte ich aufgehoben in der Absicht, auf ihn zu antworten, aber er ging – wie viele andere von anderen Briefpartnern – in einem wachsenden Stapel „sobald als möglich“ zu beantwortender Briefe unter und fiel mir erst jetzt wieder in die Hände.

Wenn ich unsere damalige Diskussion nach drei Jahren wieder aufnehme, dann deshalb, weil das Thema, um das es dabei geht, uns und die Kommunisten der nächsten und übernächsten Generation mit Sicherheit noch längere Zeit beschäftigen wird.

Und ich führe sie mit dir auch deshalb über dieses Thema weiter, weil ich glaube feststellen zu können, dass die Argumente der „Stalinisten“ vom Schlage Vellay, Gossweiler und anderer zwar deine Grundposition bisher nicht zu ändern vermochten, aber dich doch veranlasst haben, diese Argumente ernster zu nehmen als früher, was sich daran zeigt, dass du zum einen nun bei Nikita auch Kritikwürdiges benennst – wobei du, wie nicht anders zu erwarten, im Rahmen dessen bleibst, was nach Chruschtschows Absetzung parteioffiziell und verharmlosend als kritikwürdig und nicht länger tragbar benannt wurde – seinen „Voluntarismus“. Und: du hast dich in deinem UZ-Artikel sehr darum bemüht, die grundsätzliche Kritik an Chruschtschow – allerdings beschränkt auf die Kritik an der „Geheimrede“ und ohne Berücksichtigung der viel gewichtigeren Kritik an seiner gesamten Politik – zu widerlegen.

Das alles läßt mich hoffen, dass es ganz nützlich sein könnte, wenn ich dir sage, in welchen Punkten ich deine Argumentation für nicht überzeugend halte.

Zu Chruschtschows Geheimrede

Nach diesem UZ-Artikel zu urteilen, hast du 2001 wirklich noch nicht gewußt, wie es zur „Geheimrede“ kam und was danach geschah. Du schreibst nämlich, „am Ende“ habe eine „überraschend durchgeführten Beratung“ über die Auseinandersetzung mit der Stalin Zeit- stattgefunden. Woher hast du das? Bei Kaganowitsch lese ich: „Nach dem Vortrag (Chruschtschows) fand keinerlei Aussprache statt, der Parteitag beendete seine Arbeit.“ (S. Anlage I.)  Also nichts von einer „Beratung!

Ferner schreibst du, schon ein Jahr vor dem Parteitag habe eine Kommission unter Leitung von Molotow und Pospelow Material (zu eben diesem Thema) ausgearbeitet.

Bei Kaganowitsch lese ich dazu: “Schon vor dem XX. Parteitag hatte das Präsidium die Frage ungesetzlicher Repressalien und begangener Fehler behandelt. Das Präsidium des ZK bildete eine Kommission, die beauftragt wurde, die Angelegenheiten von Repressierten an Ort und Stelle zu untersuchen… und konkrete Vorschläge zu formulieren. Nach der Beratung dieser Fragen im Präsidium war vorgesehen, nach dem Parteitag ein ZK-Plenum einzuberufen, um den Vortrag der Kommission mit entsprechenden Vorschlägen anzuhören.“

An diesem Beschluß hatte Chruschtschow mitgewirkt, er hat aber eigenmächtig diesen Beschluß mißachtet und nach Kaganowitschs Zeugnis dem Parteitag seine Geheimrede überfallmäßig aufgezwungen.

Meine Frage: auf welche Quellen stützt du dich bei deiner Darstellung? Etwa auf die Medwedjew und Wolkogonow und andere traurige Produkte der Gorbatschow-Ära?

Im UZ-Artikel nimmst du dir „einige Argumente“ vor, „die gegen dieses Referat vorgebracht worden sind“.

„Erstens“ – schreibst du, „wird kritisiert, dass es nicht genügend theoretisch begründet sei.“

Offenbar hast du dabei – ohne sie zu nennen –  auch die Kritiker Thorez und Togliatti im Sinn gehabt. Die Berechtigung ihrer Kritik magst du nicht in Zweifel ziehen. Aber – so stellst du fest -, „einige dieser Mängel“ seien ja „in einem Beschluss des ZK vom Juni 1956 korrigiert“ worden.

Aber selbst wenn der Beschluß nicht nur „einige Mängel korrigiert“ hätte – (in der Tat hat er den Grundmangel keineswegs behoben und konnte das auch nicht) – die Frage bleibt: warum denn nicht gleich so? Wieso wagte man es, dem höchsten Organ der Partei in dieser für die Partei schicksalsentscheidenden Frage ein so liederlich verfasstes und korrekturbedürftiges Referat vorzulegen?

Du fährst fort: “Zweitens wurde kritisiert, dass dieses Referat nur eine geheim gehaltene Abrechnung gewesen sei, eine öffentliche Selbstreinigung wäre in ihrer Wirkung viel positiver gewesen.“

Dazu gibst du eine entlastende Bemerkung: das Referat sei doch „im ganzen Land in Parteiversammlungen, bei Beteiligung auch von Nicht-Parteimitgliedern, im vollen Umfang verlesen worden, so dass von einer völligen Geheimhaltung vor der Öffentlichkeit keine Rede sein“ könne.

Ob es zutrifft, dass in der KPdSU das Referat in Parteiversammlungen „im vollen Umfange“ verlesen wurde, vermag ich nicht zu sagen (wenn ja – dann wäre dazu nur zu sagen: umso schlinmmer!). Die Praxis bei uns in der SED – die natürlich einer „Empfehlung“ aus Karlshorst  Folge leistete – war, daß nur Auszüge aus dem Referat vorgelesen wurden, und zwar gerade jene Passagen, die Stalin in den finstersten Farben malten. (Was in meiner Grundorganisation an der Humboldt-Uni vorgetragen wurde, habe ich in Bd. I der Taubenfußchronik, S.87-90, wiedergegeben.)

Wie dem auch gewesen sein mag – Tatsache bleibt, dass Chruschtschow sein Referat im Mai 1957 verleugnete und als Produkt von Allan Dulles bezeichnete, als ihn der New York Times-Korrespondent Turner Catledge fragte, ob der in der New York Times veröffentlichte Text seiner Rede irgendwelche Auslassungen oder Entstellungen enthielt. (Ich habe diese Passage des Interviews in der Taubenfußchronik abgedruckt (Bd. I, S. 299 f.) und lege sie als Kopie bei. (Anl. III.) Ich meine, dieser Sachverhalt hätte bei Behandlung des Punktes Zwei der Kritiken doch auch Erwähnung finden sollen.

Der Hinweis Chruschtschows auf Allan Dulles als des Verfassers des in der New York Times veröffentlichten Textes, – der – wie ein Vergleich zeigt -, mit dem Chruschtschow-Referat  identisch ist, – charakterisiert ziemlich treffend dessen politischen Gehalt .

Das leitet gleich zu dem Punkt drei deiner Kritik-Aufzählung über.

Du schriebst:„Drittens wird hinsichtlich der Motive diskutiert, die Chruschtschow zu seinem Vorgehen geführt haben könnten.“.

Dabei erwähnst du u.a. die Vermutung, Chruschtschow habe „von seiner (und anderer führender Vertreter der Partei) Verstrickung in die kritisierten Untaten ablenken wollen.“, was dir offenbar gar nicht abwegig erscheint, denn du stellst befriedigt fest, „in dieser Hinsicht“ sei „auf dem XXII.. Parteitag einiges nachgeholt“ worden.

Du meinst damit offenbar auch den Ausschluß Molotows und Kaganowitschs als „Parteifeinde“ aus der Partei. (Der Ausschluß Woroschilows war auch gefordert, aber von der Mehrheit abgelehnt worden).

Das hatte aber nichts mit den „Verstrickungen in die Untaten“ zu tun – wäre es das gewesen, dann hätte Chruschtschow an erster Stelle betroffen sein müssen -, sondern das war zum einen die Rache der Chruschtschowianer für die fast geglückte Absetzung Chruschtschows auf der Juni-Sitzung des ZK-Präsidiums 1957, und das war zum anderen geboren aus der Furcht, bei dem seit der Konterrevolution in Ungarn im Oktober 1956 wachsenden Mißtrauen im Volke gegen Chruschtschow könnten sie zu Führern einer wachsenden Opposition innerhalb der Partei und zu einer Gefahr für den Machterhalt der Chruschtschowianer werden..

Du beläßt es bei der Nennung dieser drei Kritiken an Chruschtschows Rede und läßt andere, erheblich schwerer wiegende unerwähnt.

Da ist an erster Stelle zu nennen, wovon ich schon sprach: Chruschtschow hat dem Parteitag entgegen allen vorher gefassten Beschlüssen seine Rede überfallartig aufgezwungen.

Und da ist an zweiter Stelle zu nennen, daß Chruschtschow nicht davor zurückschreckte, seine Rede mit faustdicken Lügen zu spicken, um Stalin der Partei, dem Volk und den Kommunisten in der ganzen Welt nicht nur als machtgierigen Blutsäufer, sondern auch als unfähigen Blödling und Versager hinzustellen. Um nur die dicksten und giftigsten dieser Lügen in Erinnerung zu rufen:

Ad 1: Haltlose Verdächtigung, Stalin habe den Mord an Kirow initiiert.

Ad 2: Stalin habe Hitler vertraut und deshalb alle Warnungen vor dem Überfall in den Wind geschlagen. Die Wahrheit ist in dem Artikel „Fakten wider Behauptungen“ im ND v. 8./9. 6.96 nachzulesen, (von mir zitiert in einem Vortrag „Zur Rolle Stalins und zum Anteil des Chruschtschow-Revisionismus an der Zerstörung der Sowjetunion“, S.23, s. Anlage IV. Aber sogar Chruschtschow selbst widerlegte diese seine Behauptung im Frühjahr 1960 in eine Rede vor französischen Parlamentariern, s. u.)

Ad 3: Stalin sei nach dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion völlig zusammengebrochen und habe alles für verloren gehalten… (Auch dazu s. Anlage IV).

Ad 4: Stalin sei ein militärischer Ignorant gewesen und habe den Kriegsverlauf am Globus verfolgt…

Ich habe, ohne die Rede noch einmal durchzusehen, nur die Beispiele genannt, die mir ohne nachzusehen noch gegenwärtig sind, und das sind bestimmt nicht alle; aber schon die müßten eigentlich ausreichen, um vorurteilslos Urteilende zu der Frage zu veranlassen: Kann es denn dem, der solche Lügen kolportiert und der uns „enthüllt“, dass die KPdSU und der Sowjetstaat rund 30 Jahre von einer Mischung aus Dummkopf und Ausgeburt der Hölle geleitet und geprägt wurde, damit wirklich um die Verkündung der Wahrheit gehen?

Muß man nicht eher vermuten, daß, was er damit erreicht hat – nämlich die Partei und die Sowjetmacht im eigenen Lande und erst recht im Ausland in Verruf zu bringen -, sein wirkliches Ziel war?

Solche Überlegungen sind für dich Ausdruck einer abwegigen „Verschwörungs- und Agententhorie“. (Darauf komme ich noch zurück). Du kommst in deinem Urteil über die Kritiker der Chruschtschow-Rede zu einem genau entgegengesetzten Ergebnis, wenn du schreibst: „Was diese Kritiken angeht, muss man sich in die damalige Lage versetzen. Es wäre unmöglich gewesen, eine solche Kritik an der Geschichte der Partei und des Staates in breiter Öffentlichkeit vorzubereiten und dann auch zu entwickeln. Der unmittelbare Apparat der Partei und des Staates war noch fest in der Hand von Kräften, die an den Untaten selbst aktiv beteiligt waren. Unter solchen Bedingungen war an eine gründliche wissenschaftliche theoretische Analyse und Vorbereitung der Rede gar nicht zu denken – ganz davon abgesehen, ob Chruschtschow und jene, mit denen er sein Vorhaben vorbereitete (Bulganin, Schukow, Furzewa, Serow etwa, bei Benutzung der bereits ein Jahr vor dem Parteitag durch eine Kommission unter Leitung von Molotow und Pospelow erarbeiteten Materialien) dazu überhaupt fähig gewesen wären.“

Lieber Robert, mit dem Rat, sich „in die damalige Lage zu versetzen“, hast Du ja so recht. Ich mache das als gelernter Historiker in jedem Falle und allen „Tätern“ gegenüber in gleichem Maße, – ob sie nun Chruschtschow oder Stalin heißen.

Aber genau so wichtig ist es für die Urteilsfindung, sich auch die Folgen einer Politik vor Augen zu halten. Darauf komme ich auch noch einmal zu sprechen.

Bei deinem Versetzen in die Lage vom Februar 1956 kommst du zu einem ganz und gar nicht überzeugenden Ergebnis: alle Kritiken am Referat Chruschtschows sind unberechtigt – anders, als er es gemacht hat, ging es unter den damaligen Umständen nicht:

1. „Es wäre unmöglich gewesen, eine solche Kritik an der Geschichte der Partei und des Staates in breiter Öffentlichkeit vorzubereiten und zu entwickeln.“ Du hältst Chruschow also zugute, er habe gar nicht anders handeln können in der damaligen Situation. Das kannst du doch im Ernst nicht meinen! Wieso konnte man nicht so vorgehen, wie beschlossen: die vom ZK – auch mit den Stimmen Chruschtschows und seiner von dir als seine Helfer genannten ZK-Mitglieder! – gebildete Kommission legt dem ZK zu dem vorgesehenen Termin nach dem Parteitag ihren Bericht zur Beratung vor.

Welche Katastrophe hätte denn der Sowjetunion damit gedroht?  Dir zufolge dies:

2. „Der unmittelbare Apparat der Partei und des Staates war noch fest in der Hand von Kräften, die an den Untaten selbst aktiv beteiligt waren.“ Gewiß doch, denn alles, was damals an exzessiven Maßnahmen in Vorbereitung auf den faschistischen Überfall geschah, war nicht Sache einer oder mehrerer einzelner Personen, sondern die Politik der „Säuberung“ war kollektiver Beschluß. Der Grad und Umfang des Beteiligtseins des Einzelnen hing zum einen von seiner Funktion, zum anderen von seinem persönlichen Eifer ab – und da gab es sicher große Unterschiede. Chruschtschow z. B. gehörte bekanntermaßen 1938 in seiner Zeit als 1. Sekretär des ZK der KP der Ukraine zu den eifrigsten Trotzkistenjägern. Wie auf kaum einen anderen trifft auf ihn deine Kennzeichnung zu, „zu den Kräften“ zu gehören, „die den Partei- und Staatsapparat fest in der Hand hatten und an den Untaten selbst aktiv beteiligt waren.“ Du meinst damit allerdings nur seine Gegner und folgerst daraus:

3. „Unter solchen Bedingungen war an eine gründliche, wissenschaftliche, theoretische Analyse und Vorbereitung der Rede gar nicht zu denken.“ Wieso denn nicht? Woher willst du das denn wissen?Für dich ist aus dieser unbegründeten Annahme gerechtfertigt, daß der Partei, dem Sowjetvolk und der kommunistischen Weltbewegung eine unwissenschaftliche, auf „Schockwirkung“ und die Erregung negativer Emotionen angelegte, die kommunistische Bewegung in eine Krise stürzende Rede vorgesetzt wurde!

Als zusätzliches Argument führst du ins Feld: „…ganz davon abgesehen, ob Chruschtschow und jene, mit denen er sein Vorhaben vorbereitete…, bei Benutzung der … durch eine Kommission unter Leitung von Molotow und Pospelow erarbeiteten Materialien dazu überhaupt fähig gewesen wären.“

Wiederum: Wieso denn? Wären etwa Chruschtschow und seine Parteigänger nicht in der Lage gewesen, selbst entsprechende Nachforschungen anzustellen und ein eigenes Material auszuarbeiten und es in die Diskussion in der Kommission einzubringen? Natürlich hätten sie das gekonnt!

Aber genau das – die Diskussion ihres Referates in der Kommission – mußte verhindert werden, denn genau das, worauf es Chruschschow und den Seinen ankam, das würde einer sachlichen Kritik, wie sie dann später von Thorez, Togliatti, Mao – und schließlich in Teilen sogar von Robert Steigerwald – geübt wurde, nicht standhalten und wäre aus dem Bericht entfernt worden. Aber genau darauf kam es ihnen an, genau dies waren die Passagen, die unbedingt und undiskutiert als „Wort der Partei“ in die Öffentlichkeit gebracht werden mußten, sollte es die gewünschte Wirkung tun.

Denn ohne „Entstalinisierung“, ohne die Zerstörung der Autorität Stalins und die Verkehrung des Stalinbildes aus dem des „Lenin unserer Tage“ in den des schlimmsten „Antileninisten“ und „Kommunistenverfolgers“ hätte die Ersetzung der Generallinie der Partei vom Kampf gegen den Imperialismus durch die Generallinie der „Verständigung“ und Zusammenarbeit mit dem Imperialismus, wie sie unter Chruschtschow – verhüllt, aber bei genauem Hinsehen doch unübersehbar, bei Gorbatschow dann aber ganz offen – propagiert und praktiziert wurde, nicht durchgesetzt werden können.

Übrigens scheinst du übersehen zu haben, daß bereits das Juli-Plenum im Jahre 1953 – auf dem der „Fall Berija“ verhandelt wurde -, eine Entschließung angenommen hat, welche  – die dicken Chruschtschowschen Lügen zur Verteufelung Stalins ausgenommen – wesentliche Punkte der Kritik des XX. Parteitages schon enthielt. („Der Fall Berija. Protokoll einer Abrechnung. Das Plenum des ZK der KPdSU Juli 1953. Hgg. v. Viktor Knoll und Lothar Kölm, Berlin 1993, S. 327-333. Ich lege dir auch dies – als Anlage V – bei.)

Dass auf diesem Plenum im Juli 1953 Chruschtschow auf der Linie operierte, Stalin als von Berija irregeleitetes Opfer darzustellen, erklärt sich daraus, dass er keinen Kampf um  Prinzipien, sondern einen Kampf um die Macht führte. Erst wenn er die besaß, konnte er die von Anfang an fest beabsichtigte Kursänderung durchführen. Zunächst aber mußte der gefährlichste Konkurrent aus dem Wege geräumt werden – Berija. Der war der gefährlichste nicht deshalb, weil er etwa Gegner einer solchen Kursänderung gewesen wäre und sie zu verhindern gesucht  hätte, – nein, er war es ja gerade, der eine solche sofort nach Stalins Tod forderte und sich, gestützt auf den von ihm beherrschten Machtapparat des Innenministeriums und der Staatssicherheit, als radikalster Verfechter der Reformierung von Partei und Staat die Spitzenposition in der „kollektiven Führung“ erobern wollte. Sondern: wenn einer aus der „kollektiven Führung“ zu diesem Zeitpunkt Chruschtschow den Weg an die Spitze versperren konnte, dann war dies nicht Molotow oder Malenkow oder Bulganin, sondern Berija. Der mußte deshalb als erster aus dem „Leitungskollektiv“ herausgeschossen werden, und dazu mußte Chruschtschow als Verbündete gerade die gewinnen, von denen er wußte, daß sie auf seinem weiteren Weg zumindest hinderlich werden, wenn nicht gar – wie Molotow – gefährlichen Widerstand leisten würden. (Wie einer nach dem anderen von Chruschtschow auf dem Wege zur „Ein-Mann-Diktatur“ aus dem Wege geräumt wurde, ist ja erinnerlich; übrigens auch in der „Taubenfußchronik“ nachzulesen.)

Lieber Robert, wer immer, deinem Rat folgend, sich in die damalige Lage – so, wie sie wirklich war!- versetzt, der kann dir nicht folgen in deinem Urteil, unter den damaligen Umständen sei eine stichhaltige, wissenschaftlich fundierte Einschätzung der „Stalin-Zeit“ nicht möglich gewesen.

Umgekehrt: weil eine solche Einschätzung zwar eine Kritik an Stalin, aber keine Verurteilung, sondern wahrheitsgemäß die Bestätigung der Richtigkeit der Grundlinie der Stalinschen Politik, ihrer Übereinstimmung mit den von Lenin ausgearbeiteten Grundsätzen des Aufbaus des Sozialismus zum Inhalt gehabt hätte sowie die Feststellung, dass dies die Ursache für den erfolgreichen Aufbau des Sozialismus in der Sowjetunion und für ihren Sieg im Zweiten Weltkrieg gewesen ist, – deshalb mußte sie verhindert und mußten die Delegierten des XX. Parteitages überrumpelt werden mit Chruschtschows Coup der „Geheimrede“.

Wer seine vielen Reden aufmerksam las, dem konnte nicht entgehen, dass solche Überrumpelungen und Abweichungen vom gemeinsam beschlossenen oder vorher festgelegten Text bei ihm Methode waren. Als er einmal auf einem Kongress des Weltgewerkschaftsbundes (des V.WGB-Kongress 1961; s. ND v. 11. 12. 1961) auftrat, war ihm offenbar vorher das Versprechen abgenommen worden, nicht vom vorgelegten Text abzuweichen. Natürlich hielt er sich nicht daran, beließ es aber diesmal bei einem belanglosen Einbringsel, um dann eine Erklärung folgen zu lassen, mit der er bestätigte, dass man bei ihm immer mit „Abweichungen vom Text“ rechnen mußte: „Ich muss mich bei Ihnen, Genosse Frachon, entschuldigen, denn… ich versprach, nicht vom Text abzugehen, obwohl Sie mir keine Beschränkungen auferlegten. Sie sehen jedoch, dass mein Versprechen nicht stichhaltig war. Ich denke, Freunde und Genossen, Sie werden deshalb mit mir nicht hart ins Gericht gehen.“

Hier, wo seine „Abweichungen“ harmlos blieben, kokettierte er mit ihnen; mit den schwerwiegenden „Abweichungen“ oder solchen Überrumpelungen, wie auf dem XX. Parteitag, stellte er aber die Partei jedes Mal vor vollendete Tatsachen, mit denen sie nun recht oder schlecht zurecht kommen musste.

Bei genauem Studium seiner Reden ist es zumeist nicht schwer, festzustellen, wo der vereinbarte parteioffizielle Text aufhört und  der Chruschtschowsche Eigentext anfängt und endet.

Abschließend zu dem Punkt „Chruschtschows Geheimrede“

möchte ich auf deine kritischen Bemerkungen in deinem Brief vom September 02 zu einem Text von mir  zu dieser Rede eingehen.

Du nimmst dabei Bezug auf einen Vortrag von mir, in dem ich gesagt hatte, wenn es Chruschtschow in seiner Rede auf dem XX. Parteitag um die historische Wahrheit und darum gegangen wäre, den unschuldigen Opfern der „Säuberungen“ Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, und nicht darum, die Autorität Stalins im In- und Ausland zu zerstören, dann hätte er sagen müssen, dass der Beschluss zu diesen Säuberungen ein Beschluss nicht eines Einzelnen, sondern der Partei- und Staatsführung war, um das Land angesichts des drohenden faschistischen Überfalls vor der Gefahr der Hilfeleistung für die faschistischen Aggressoren durch feindliche und verräterische Elemente und die Bildung „Fünfter Kolonnen“ im Lande zu bewahren.

Dazu hast du kritisch angemerkt: „Selbst wenn ich all die Maßnahmen hinnehmen könnte, die mit dem Kampf gegen die fünften Kolonnen für nötig erachtet wurden, stellt sich ja die Frage: Warum wurden diese Maßnahmen nach der Zerschlagung des Hitlerfaschismus beibehalten? ‚Deine‘ Rede, die hätte Stalin oder sonst wer auf dem XIX. Parteitag halten können, und das wären dann auch immerhin sieben Jahre nach dem Ende des Hitler-Staates gewesen. Und es gingen dann noch einmal vier Jahre ins Land, ehe mit dem XX. Parteitag die Dinge geändert wurden. Aber auch das ist noch nicht alles, was man gegen Deinen Rede-Vorschlag einwenden muss. Stalin hat nämlich eine solche Rede, als das – vorausgesetzt, man akzeptierte Deine Begründung für den Terror – angängig gewesen wäre, nicht nur nicht gehalten, sondern er hat, als diese Maßnahmen einem Höhepunkt zusteuerten, ganz andere Reden vorgetragen. Du kennst sie natürlich. Völlig zutreffend betonte er 1936, dass die Arbeiterklasse des Sowjetlandes kein Proletariat mehr sei, da sie die Produktionsmittel besitze. Er betonte sowohl in der Verfassungsrede als auch in seiner Rede auf dem XVIII. Parteitag (1939, im Abschnitt über Fragen der Theorie), dass die Ausbeuterklassen  verschwunden seien. (meines Erachtens hat er da die langfristigen ideologischen, politischen und auch sozialen Nachwirkungen überwundener Klassen unterschätzt) Da es keine Ausbeuter mehr gebe, gebe es auch niemanden mehr, der zu unterdrücken wäre!! (Fragen des Leninismus, Moskau 1947, S.727). Man habe jetzt, ‚wie ihr seht, … einen völlig neuen, sozialistischen Staat, wie ihn die Geschichte noch nicht gekannt hat….‘ (S.728). Na, ist es von da zur These Chruschtschows vom Volksstaat ein großer Schritt??  In der Rede zur Verfassung setzte er sich mit Vorschlägen zur Änderung der Verfassung auseinander. Da kommen denn auch die Geistlichen, die ehemaligen Weißgardisten, alle ‚Ehemaligen‘ und Personen, die sich nicht  mit gemeinnütziger Arbeit befassen (S.643), zur Sprache. Es gab Zeiten, wo sich diese Elemente im offenen Kampf gegen die Sowjetmacht befunden hätten. ‚Seitdem ist nicht wenig Zeit verstrichen.‘  (S.643) Er geht der Frage nach,  ob sich solche Elemente nicht in die obersten (!) Organe des Landes einschleichen könnten und weist diese Vermutung mit recht gründlichen Argumenten zurück! Das war gesagt, als Hitler an der Macht war und teilweise sogar erst im März 1939, da Stalin doch schon davon sprach, dass der zweite Weltkrieg begonnen, dass er sich schon an 500 Millionen Menschen herangeschlichen habe! (S.685) Damals wäre eine Rede in etwa von der Art, wie Du sie skizziertest, denkbar, möglich gewesen. Man hätte sie den meisten Menschen verständlich machen können, aber es wurden ganz andere Reden gehalten – und zugleich Maßnahmen ergriffen, die solchen Reden direkt widersprachen.“

Lieber Robert, ich war überrascht und durchaus davon angetan, dass du dieser Passage meines Vortrages so viel kritische Aufmerksamkeit gewidmet hast.

Laß‘ mich dazu das Folgende sagen: Deine Auswahl der Stalin-Zitate ist sehr unvollständig. Du hast alle jene Teile seiner Reden zwischen 1936 und 1939 weggelassen, in denen die Notwendigkeit der fortdauernden Wachsamkeit und des Kampfes gegen innere Feinde betont wurde. Sogar das von Chruschtschow in seiner Parteitagsrede zum Beleg für Stalins willkürliche und unangebrachte Verschärfung des Kampfes nach innen angeführte und seitdem auch in Dokumenten der DKP gegen Stalins Politik angeführte Zitat aus der Rede auf dem März-Plenum des ZK 1937 mit dem Thema „Über die Mängel der Parteiarbeit und die Maßnahmen zur Liquidierung der trotzkistischen und sonstigen Doppelzüngler“ hast du offenbar vergessen. Du kennst es natürlich, aber weil es in deiner Zitaten-Auswahl fehlte, rufe ich dir dies und weitere, die in genau der Rede enthalten sind, die du als Beweis des Gegenteils angeführt hast, in Erinnerung:

„Es ist notwendig, die faule Theorie zu zerschlagen und beiseite zu werfen, dass der Klassenkampf bei uns mit jedem Schritt unseres Vormarsches mehr und mehr erlöschen müsse, dass der Klassenfeind in dem Maße, wie wir Erfolge erzielen, immer zahmer werde. … Im Gegenteil, je weiter wir vorwärtsschreiten, je mehr Erfolge wir erzielen werden, um so größer wird die Wut der Überreste der zerschlagenen Ausbeuter werden, um so eher werden sie zu schärferen Kampfformen übergehen, um so mehr Niederträchtigkeiten werden sie gegen die Sowjetunion begehen, um so mehr werden sie zu den verzweifeltsten Kampfmitteln greifen, als den letzten Mitteln zum Untergang Verurteilter. Man muß im Auge behalten, dass die Reste der zerschlagene Klassen in der UdSSR nicht allein dastehen. Sie genießen die direkte Unterstützung unserer Feinde jenseits der Grenzen der UdSSR.“ (Zit. nach J.W.Stalin, Werke, Bd. 14, S. 136).

Aus der von dir ebenfalls zitierten Rede auf dem XVIII. Parteitag hast du erstaunlicherweise offenbar die folgenden Passagen übersehen (Fragen des Leninismus, S.722 f, 727 f.): „In diesen Fragen kommt nicht nur die Unterschätzung des Bestehens der kapitalistischen Umwelt zum Ausdruck. In ihnen offenbart sich ebensowohl die Unterschätzung der Rolle und Bedeutung der bürgerlichen Staaten und ihrer Organe, die in unser Land Spione, Mörder und Schädlinge entsenden und nur auf den Moment lauern, um einen militärischen Überfall auf unser Land zu unternehmen; ebenso offenbart sich in ihnen die Unterschätzung der Rolle und Bedeutung unseres sozialistischen Staates und seiner Militär-, Straf- und Abwehrdienstorgane, die zum Schutze unseres Landes des Sozialismus gegen Überfälle von außen notwendig sind. … Dieses Versagen erklärt sich aus der Unterschätzung der Kraft und Bedeutung des Mechanismus der uns umgebenden bürgerlichen Staaten und ihrer Spionageorgane, die bestrebt sind, die Schwächen der Menschen, ihre Eitelkeit, ihre Charakterlosigkeit auszunutzen, um sie in ihre Spionagenetze zu verstricken und diese Netze um die Organe des Sowjetstaates zu ziehen. Es erklärt sich aus der Unterschätzung der Rolle und Bedeutung des Mechanismus unserer sozialistischen Staates und seines Abwehrdienstes, aus der Unterschätzung dieses Abwehrdienstes, aus dem Geschwätz, dass der Abwehrdienst im Sowjetstaat nebensächlich und bedeutungslos sei, dass man den sowjetischen Abwehrdienst ebenso wie den Sowjetstaat selber, bald in ein Museum für Altertümer abschieben müsse.“

„…Ausbeuter gibt es keine mehr und daher auch niemanden, der zu unterdrücken wäre. An Stelle der Funktion der Unterdrückung erhielt der Staat die Funktion, das sozialistische Eigentum vor Dieben und Plünderern des Volkseigentums zu schützen. Die Funktion des militärischen Schutzes des Landes vor Überfällen blieb völlig erhalten, es blieben folglich auch die Rote Armee, die Kriegsmarine, ebenso wie die Straforgane und der Abwehrdienst, die notwendig sind zur Aufdeckung und Bestrafung von Spionen, Mördern und Schädlingen, die von ausländischen Spionagediensten in unser Land geschickt werden.“

Nachdem du Stalin mit den Worten aus dem Rechenschaftsbericht auf dem XVIII. Parteitag: vom „völlig neuen sozialistischen Staat, wie ihn die Geschichte noch nicht gekannt hat“ zitiert hast, knüpfst du daran die Frage, ob es von da noch ein große Schritt zu Chruschtschows „Volksstaat“ sei. Lieber Robert, die Frage zeigt, dass dir die Verteidigung Chruschtschows noch immer ein Herzensanliegen ist Die Antwort musst du dir aber nach deinem gründlichen Studium der Rede zur Verfassung selbst geben, sagt dort Stalin doch sehr nachdrücklich, dass es bei der Diktatur des Proletariats bleibt und bleiben muss. (Fragen des Leninismus, S.632 f.)

Aus der gleichen Rede führst du an, dass Stalin sogar die Vermutung, dass sich ehemals feindliche Elemente in die „obersten Organe“ des Landes einschleichen könnten, „mit recht gründlichen Argumenten“ zurückweist. Für das Verständnis dieser Zurückweisung muß allerdings auch gesagt werden, dass es um die Frage geht, ob in die neue Verfassung ein Artikel aufgenommen werden soll, der allen Bürgern das gleiche Stimmrecht gewährt, während in der alten Verfassung bestimmte Kategorien von Bürgern das Wahlrecht entzogen war – und dass Stalin mit seinen „gründlichen Argumenten“ dafür eintritt, das schon von Lenin als nur vorübergehende Maßnahme erklärte ungleiche Wahlrecht jetzt durch das gleiche Wahlrecht abzulösen.

Diese Ergänzungen der Stalin-Zitate aus den von dir genannten Reden stellen – um das Mindeste zu sagen -, deine abschließende Feststellung, die ergriffenen Maßnahmen hätten den Reden widersprochen, in ein zweifelhaftes Licht.

Du hattest mich in deinem Brief auch gefragt, warum die Maßnahmen nach der Zerschlagung des Hitler-Faschismus beibehalten wurden, und gemeint, „Deine Rede hätte doch Stalin auf dem XIX. Parteitag“ halten können“.  Etwas weiter meinst du sogar, eine Rede, wie ich sie skizziert hätte, sei auch im März 1939 denkbar gewesen.

Mir scheint, Robert, als du diese Zeilen geschrieben hast, hast du für einen Augenblick vergessen, welchen guten Rat du den Kritikern der Chruschtschow-Rede entgegengehalten hast: „Man muss sich in die damalige Lage versetzen.“

Wieso soll März 1939 – also eine Zeit, in der die Sowjetführung voll damit beschäftigt war, einen Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion – sei es als Speerspitze des Weltimperialismus oder auf eigene Rechnung -, abzuwenden, für eine solche Rede ein geeigneter Zeitpunkt gewesen sein?

Und wieso 1952, auf dem XIX. Parteitag? Mitten im Kalten Krieg, der von den USA und ihren südkoreanischen Handlangern 1950 in Korea schon in den heißen Krieg überführt worden war?

Aber der Kern des Problems ist ja nicht der Zeitpunkt einer Rede, oder deren Wortlaut, sondern dass die im Zuge der Sicherungsmaßnahmen für den Kriegsfall zu Unrecht Verurteilten wieder frei kamen und die zu Unrecht zum Tode Verurteilten oder im Lager Verstorbenen rehabilitiert wurden.

Ich bedaure, dass dies zu Lebzeiten Stalins nicht geschah. Aber wenn ich deinem Rat und deinem Beispiel bei deiner Verteidigung der Chruschtschow-Rede folge und die Umstände bis 1953 bedenke, – Zuspitzung des Kalten Krieges durch die USA und ihre Verbündeten, unterstützt durch Tito-Jugoslawiens Bemühungen zur Schaffung eines antisowjetischen Gegenzentrums im sozialistischen Lager, bis hin zu USA-Waffenlieferungen an Jugoslawien und dessen Beitritt zum mit der NATO verbundenen Balkan-Pakt -, dann kann ich mir zumindest erklären, dass Stalin den Zeitpunkt noch nicht für gekommen hielt für eine entsprechende Aktion, und die anderen Mitglieder der Führung wohl auch nicht, zumindest haben sie keinen entsprechenden Vorschlag gemacht – sonst hätte Chruschtschow das auf dem XX. Parteitag lauthals verkündet.

1955 wurde dann – wie auch von dir in deinem Brief erwähnt – die Kommission gebildet mit der Aufgabe, eine entsprechende Aktion vorzubereiten. Weil Chruschtschow eigenmächtig diesen Parteibeschluß mit seiner ihrem Wesen und ihrer Wirkung nach sowjetfeindlichen, die Geschichte verfälschenden „Geheimrede“ sabotierte, habe ich in meinem Vortrag einen Redetext formuliert und gesagt: so oder ähnlich hätte er sprechen müssen, wenn sein Ziel gewesen wäre, die Wahrheit zu sagen. Es ging mir also nicht darum, einen Rede-„Verbesserungsvorschlag“ zu machen, sondern die Unwahrhaftigkeit Chruschtschows und die wirklichen Ziele, die er mit dieser Rede verfolgte, deutlich zu machen.

Verschwörungs- und Agententheorie?

In deinem Brief vom September 02 schreibt du, was dir bei meiner Argumentation „besonders aufstößt“, das sei „die Verschwörungs- und Agententheorie.“

Nun, dass jede antiimperialistische Bewegung, und nun gar ein sozialistischer Staat ständig gegen Agenten und Verschwörungen des Imperialismus ihre Existenz verteidigen müssen, das ist ja keine Theorie, sondern Wahrheit, die jeder neue Tag vielfach vor Augen führt.

Aber im Falle Chruschtschow war ich bei seinem Beginn genau so vertrauensvoll, wie du. Nichts lag mir ferner als anzunehmen, der Nachfolger von Lenin und Stalin könne etwas anderes als ein vertrauenswürdiger, erprobter Bolschewik sein. Wodurch sich das bei mir geändert hat, das habe ich in der Einleitung zur „Taubenfußchronik“ ausführlich geschildert. Ich nehme an, du kennst sie nicht, sonst wäre dir vielleicht die „Verschwörungs- und Agententheorie“ nicht so sauer aufgestoßen. Ich schicke sie dir deshalb als Kopie. (Bd. I, S.10-23, Anl. VI).

Natürlich wirst du auch nach deren Lektüre dein Chruschtschow-Bild nicht zu ändern bereit sein. Es geht mir im folgenden also nicht so sehr darum, eine solche Änderung bei dir zu bewirken, als darum, dir nachzuweisen, dass meine Kennzeichnung Chruschtschows als bewußtem Helfershelfer der imperialistischen Feinde des Sozialismus nicht grundlos und leichtfertig und bei objektiver Beurteilung nicht, als „Agenten- und Verschwörungstheorie“ abzuqualifizieren ist.

Dass Agenten des Klassenfeindes bis in die Führungsspitze der Partei der Bolschewiki einzudringen vermochten – dafür gibt es ja doch mehrere Beispiele: das erste ist – noch zu Zeiten Lenins – der „Fall Malinowski“; das zweite der „Fall Berija“, zu dem es in der dazu gefassten Resolution heißt, man dürfe nicht die kapitalistische Umkreisung ignorieren, „die ihre Agenten in unsere Mitte einschleust und nach Leuten sucht, die bereit sind, die Interessen der Heimat zu verraten und auf die Unterminierung der Sowjetgesellschaft gerichtete Aufträge der Imperialisten zu übernehmen.“

Und das dritte ist der Fall Gorbatschow, der, nachdem erreicht war, worauf er hingearbeitet hatte, freimütig und Anerkennung heischend erklärte: „Mein Lebensziel war die Zerschlagung des Kommunismus“  (UZ v. 8.Sept. 2000).

Das sagte er natürlich nicht, bevor er dieses Lebensziel – wenigstens in der Sowjetunion – erreicht hatte. So etwas kann man erst offenbaren, wenn man am Ziel angelangt ist.

Das ist der entscheidende Unterschied zu Chruschtschow: Dem war noch rechtzeitig das Handwerk gelegt worden. Dadurch kann er noch immer als von bösen Stalinisten gestürzter „Reformer zum Guten“ verkannt und verteidigt werden. Aber seinen Aufstieg hat er genau so zielstrebig wie Gorbatschow bewerkstelligt – nur hat er die Station nicht erreicht, an der man, wie Gorbatschow, rückblickend sich rühmend so offenbaren kann, wie der. Der nämlich plauderte weiter aus: „Am meisten konnte ich dafür in den höchsten Funktionen tun.“

In die muß man aber erst einmal kommen. Und das kann man nicht als erklärter Feind des Kommunismus, sondern nur als “treuer Schüler Lenins.“

„Deswegen empfahl meine Frau Larissa mir, mich um immer höhere Funktionen zu bemühen.“

Aber wenn man den Kommunismus erledigen will, dann muss man nicht nur die eigene Partei und den eigenen Staat zugrunde richten, sondern auch alle anderen kommunistischen Parteien und alle anderen sozialistischen Staaten. Gorbatschow widmete sich dem zielstrebig und mit großer  Energie: „Ich musste die gesamte Führung der KPdSU und der UdSSR entfernen. Ich mußte auch die Führung in allen sozialistischen Staaten beseitigen.“

Dazu ist er sogar nach China gegangen: „Ich war in Peking zur Zeit der Studentenunruhen 1998, als es schon den Anschein hatte, dass der Kommunismus in China zusammenbricht. Ich wollte zu den Demonstranten auf dem Platz des Himmlischen Friedens sprechen und ihnen sagen, dass sie durchhalten sollen, dass wir mit ihnen sympathisieren und dass es auch in China eine Perestroika geben muss.“

In Peking wußte man aber sehr gut, mit wem man es zu tun hatte; hatten sie sich doch schon von seinem Vorgänger Chruschtschow nicht über dessen wahre Rolle täuschen lassen: „Die chinesische Führung wünschte das nicht. Das war ein unermeßlicher Schaden.“

Warum?

„Wäre der Kommunismus in China gefallen, wäre die Welt weiter auf dem Wege zu Frieden und Gerechtigkeit.“ Na gewiss doch! Denn dann wären die USA-Truppen auch in China, und folglich auch China ein befriedetes, glückliches Land wie der Irak, und Rußland wäre dann lückenlos rundum von USA- Stützpunkten freundschaftlich umringt.

Nun,  nach Gorbatschows sogar in der UZ veröffentlichtem  ruhmredigen Eingeständnis  seiner Verschwörung  – (oder war auch das keine?) – zur Zerschlagung des Kommunismus solltest du mit der abschätzigen Verwerfung einer „Verschwörungs- und Agententheorie“ auch in Bezug auf Chruschtschow doch etwas vorsichtiger sein.

Wegen der hartnäckigen Weigerung vieler meiner Genossen, Chuschtschow nach seinen Taten zu beurteilen, – was für einen Kommunisten, der sich an Marx, Engels und Lenin und an den Bibelspruch hält: An ihren Früchten sollst ihr sie erkennen! selbstverständlich sein müsste undgar kein anderes Urteil zuließe als: wer so handelt, kann nur ein Feind sein! – habe ich gesagt und geschrieben: Euch reichen offenbar die Handlungen eines Menschen nicht aus, um die Wahrheit über seine politische Position herauszufinden, Euch überzeugt wohl nur ein Dokument, in dem Chruschtschow mit seiner Unterschrift bestätigt, ein Agent des Imperialismus zu sein!

Ich habe mich geirrt. Du hast mich davon überzeugt, dass für dich – wie vermutlich auch für viele andere – selbst ein solches Dokument nicht ausreicht. Denn: Gorbatschow hat ja selbst bezeugt, dass er ein Feind der Ordnung und der Partei war, an deren Spitze er stand.

Wie aber nimmst du das auf? Du schreibst in deinem Buch „Kommunistische Stand- und Streitpunkte“ auf den Seiten 34/35: „Die Gorbatschow-Gruppe war mit dieser Sackgassen-Konstellation konfrontiert. Heute brüsten sich ihre wichtigsten Vertreter dessen, bewusst und mit Anleihen bei der Sozialdemokratie den Weg der Zerstörung der Sowjetunion eingeschlagen zu haben. Ich halte sogar das noch für Schwindel, den sie erfinden, um ihr Fiasko als ihr Verdienst hinzustellen und sich im Westen Lieb Kind zu machen.“ 

Das heißt erstens: Du hast nicht bemerkt, dass diese Gruppe mit Gorbatschow (und vorher mit Chruschtschow) an der Spitze schon längst „Lieb Kind“ „im Westen“ und Hoffnungsträger für einen erwünschten Wandel in der Sowjetunion war. Das haben damals zwar viele nicht bemerkt, aber inzwischen liegt ja genug Material vor, das nicht nur erlaubt, sondern eigentlich dazu zwingt, wenigstens nachträglich damalige Erkenntnis-Versäumnisse nachzuholen. (S. Anl. XII).

Und das heißt zweitens: Du hast nicht erkannt, dass, wer wie Gorbatschow handelte, nur ein Feind sein konnte. Du willst das sogar heute noch nicht wahrhaben!

Wie ist eigentlich ein so großes Maß an Gutgläubigkeit bei einem so erfahrenen Parteifunktionär, wie du es bist, zu erklären? Spielt da nicht eventuell im Unterbewußtsein die Furcht mit, anerkennen zu müssen, dass die „Agenten- und Verschwörungstheoretiker“ zumindest im Falle Gorbatschow doch recht haben, – und wenn da, dann möglicherweise auch im Falle Chruschtschow?

Sehen wir uns diesen Fall doch noch einmal näher an. Dazu  stelle ich zwei Fragen.

Frage 1: Wie würdest du ein Mitglied deiner Parteiorganisation beurteilen, das hartnäckig darauf besteht, man müsse den Friedensbeteuerungen der Imperialisten Vertrauen entgegenbringen, denn den Frieden könne man nur in Zusammenarbeit mit dem Imperialismus sichern?

Klar, du würdest dem sagen: du magst ja alles sein, naiv oder auch sonst was, eins aber bist du bestimmt nicht: ein Kommunist! Deshalb hast du in unserer Partei nichts zu suchen.

Warum aber kommst du bei Chruschtschow, der genau diese Vertrauenswerbung für den – nach dem deutschen – mörderischsten und brutalsten Imperialismus, den USA-Imperialismus – in Gestalt seines Präsidenten Eisenhower – betrieb, nicht zum gleichen Urteil?

Du kennst doch seine Rede an seine Moskauer nach der Rückkehr von seiner USA-Reise 1959, sie war ja in unserer Presse abgedruckt, und ich habe sie auch in meinem von dir rezensierten Buch „Wider den Revisionismus“ zitiert (S.115 f, 121 ff.). Ich rufe dir einiges davon noch einmal ins Gedächtnis zurück ( Quelle: Presse der Sowjetunion, genaue Angaben in „Wider den Revisionismus“.): „Von dieser hohen Tribüne aus muß ich vor den Moskauern, vor meinem ganzen Volk, vor der Regierung und der Partei sagen, daß der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Dwight Eisenhower, staatsmännische Klugheit bei der Einschätzung der gegenwärtigen Lage gezeigt, daß er Mut und Willen bewiesen hat. Ungeachtet der komplizierten Lage, die in den Vereinigten Staaten zu beobachten ist, machte er, der Mann, der das absolute Vertrauen seines Volkes genießt, (So,so! Auch der Kommunisten? – Oder gehören die nicht zum Volk?) den Vorschlag, daß die Regierungschefs unserer Länder Besuche austauschen. Wir zollen dieser wichtigen Initiative, die die Festigung des Friedens zum Ziele hatte, alle Anerkennung….

Ich sage Ihnen,…liebe Genossen, in aller Offenheit, daß ich nach den Aussprachen und der Erörterung konkreter Fragen mit dem USA-Präsidenten den Eindruck gewonnen habe, daß er  aufrichtig den Zustand des Kalten Krieges beseitigen, normale Beziehungen zwischen unseren Ländern schaffen und zu einer Verbesserung der Beziehungen zwischen allen Ländern beitragen will…

Liebenswürdigerweise lud mich der Präsident auf seine Farm ein. …Ich muß… sagen, daß diese Farm für einen Präsidenten nicht groß ist, wenn man die Ausmaße dieses riesigen und reichen Staates in Betracht zieht. Es ist eine nicht besonders reiche Farm, und auch der Boden ist nicht sehr gut. Der Präsident sagte mir aber, er bemühe sich, den Boden zu verbessern und sich dadurch ein gutes Andenken zu schaffen. …

Ich möchte Ihnen, liebe Genossen, sagen, daß ich nicht an der Bereitschaft des Präsidenten zweifle, seinen Willen und seine Bemühungen geltend zu machen, um eine Verständigung zwischen unseren Ländern herbeizuführen, freundschaftliche Beziehungen zwischen unseren Völkern zu schaffen und eine Lösung der herangereiften Fragen im Interesse des Friedens herbeizuführen.“

Der antikommunistische, konterrevoluionäre Charakter dieser Vertrauenswerbung für den Mann, der Ethel und Julius Rosenberg auf den elektrischen Stuhl schickte, wird vollends offenbar, wenn wir uns daran erinnern, mit welch hasserfüllten Beschimpfungen der gleiche Chruschtschow über den Führer der größten kommunistischen Partei und des nach der Sowjetunion mächtigsten sozialistischen Staates, Mao Tse-tung herfiel. Du wirst dich daran erinnern, dass er nach dem von ihm herbeigeführten Bruch mit China verkündete, „die Hauptgefahr eines neuen Weltkrieges gehe jetzt nicht mehr vom US-Imperialismus, sondern von China aus“, und auch daran, dass dies die Mehrheit unserer Mitglieder, von der übrigen Bevölkerung ganz zu schweigen, tatsächlich auch geglaubt hat!

So bemühte sich Chruschtschow, – leider mit großem Erfolg! – den Kommunisten in seinem Einflussbereich das Klassenbewusstsein und die Solidarität mit allen sozialistischen Ländern auszutreiben und den Glauben an die Friedensfähigkeit des Imperialismus und an die Friedfertigkeit des Führers des aggressivsten Imperialismus anzunehmen.

Soviel zur Frage: Kann ein Vertrauenswerber für Imperialisten ein Kommunist sein?

Frage 2 zum Vorwurf der „Verschwörungstheorie“: Wie würdest du ein Mitglied deiner Parteiorganisation beurteilen, das darauf drängt, einen Menschen in die Partei aufzunehmen, von dem jeder, auch er selbst, weiß, dass der ein Agent des Verfassungsschutzes ist?

Klar, du würdest dich zumindest sehr wundern und dir sagen: wer bewußt einen Agenten des Gegners in die Partei einschleust, der kann nur selbst ein Gegner sein, und würdest daraus deine Schlußfolgerungen ziehen, oder etwa nicht?

Wiederum stellt sich mir die Frage: Weshalb legst du bei Chruschtschow einen andern Maßstab an, obwohl du wissen musst, dass er gerade das wiederholt getan hat?

Ich spreche von Chruschtschows höchst merkwürdigem Verhältnis und Verhalten zu Tito:

In der UZ v. 27. Mai dieses Jahres (2005) schreibst du in dem Überblick „KPD/DKP – 1945 bis 2005“, Stalin habe die „Tito-Affäre“ herbeigeführt(!), weil er befürchtet habe, eine von Tito und Dimitroff geplante Balkanföderation könnte zur Schwächung der antiimperialistischen Kräfte führen. Ich finde ja bemerkenswert, dass du in diesem Zusammenhang Stalin ehrenwerte Motive zubilligst. Aber die von dir so genannte „Tito-Affäre“ wurde nicht durch Stalin, sondern durch die Schwenkung der jugoslawischen Partei unter Führung Titos auf einen sowjetfeindlichen Kurs verursacht. Das geht mit aller Klarheit aus den Fakten hervor, die in den Briefen angeführt werden, die das ZK (nota bene: also auch Chruschtschow!) an das ZK der jugoslawischen KP ab März bis Mai 1948 geschrieben hat. (Stalin, Werke, Bd. 15, Anhang, S.398-423, Dortmund 1979).

Im folgenden liste ich entscheidende Fakten der von dir so genannten „Tito-Affäre“ auf, die für Kommunisten keinen Zweifel daran zulassen dürften, dass dieser Tito das war, als was er sogar von Chruschtschow bezeichnet wurde – ein „trojanisches Pferd des Imperialismus“, – und Chruschtschow war sein Förderer und Beschützer!

1947/48: Die Führung der KPdSU schreibt mehrere Briefe an die Führung der KP Jugoslawiens mit Kritik an einigen der gemeinsamen Linie der kommunistischen Parteien widersprechenden, insbesondere sowjetfeindlichen Tendenzen. Chruschtschow, zum engsten Führungskreis der KPdSU gehörend, kennt zumindest deren Inhalt, wenn er – was wahrscheinlicher – nicht sogar an ihrer Abfassung aktiv beteiligt ist. Das Gleiche gilt für die Resolutionen des Informations-Büros der Kommunistischen Parteien von 1948 und 1949.

26. Mai 1955: Chruschtschows berüchtigte Flugplatzrede bei der Ankunft der sowjetischen Delegation in Belgrad: „Teurer Genosse Tito! … Wir bedauern aufrichtig, was geschehen ist und fegen entschlossen alles beiseite, was sich in dieser Periode abgelagert hat. Unsererseits rechnen wir zu diesen Ablagerungen ohne Zweifel die provokatorische Rolle, die die nunmehr entlarvten Volksfeinde Berija, Abakumow und andere in den Beziehungen zwischen Jugoslawien und der UdSSR gespielt haben..“

(Das war selbst dem über Chruschtschows „Tauwetter“ begeisterten Ilja Ehrenburg zuviel. Über diese Passage in Chruschtschows Flugplatzrede in Belgrad schrieb er (in „Menschen, Jahre, Leben, Bd. IV, S.36): „Ende Mai begab sich eine sowjetische Regierungsdelegation nach Jugoslawien. Chruschtschow drückte sein tiefes Bedauern über die jüngste Vergangenheit aus und maß Berija einen Teil Schuld zu Er hatte wohl vergessen, dass man Berija neben anderen und gerechtfertigten Beschuldigungen zwei Jahre zuvor des Versuchs bezichtigt hatte, sich Tito zu nähern“.)

Doch weiter mit Chruschtschows Flugplatzrede: „Wir haben das Material, worauf die schweren Beschuldigungen und Beleidigungen beruhen,… sorgfältig geprüft.“ (!!!) „Die Tatsachen zeigen, dass dieses Material von den Feinden des Volkes, den verachtungswürdigen Agenten des Imperialismus, die sich durch Betrug in die Reihen unserer Partei eingeschlichen haben, fabriziert worden sind.“ (Da hast du, lieber Robert, die „Agententheorie“, lange, bevor ich auf die meinige kam!)

Wie ging es weiter?

25. September 1956: Chruschtschow zu Gesprächen bei Tito auf der Insel Brioni.
28. September: Tito zu Gesprächen mit Chruschtschow auf der Krim
15. Oktober: Imre Nagy wird – als Ergebnis der Chruschtschow-Tito-Gespräche wieder in die ungarische Partei aufgenommen
19.-21. Oktober: Gomulka wird auf dem 8. Plenum der Polnischen Partei zum 1. Sekretär gewählt
21.10.  bis 4.11: Konterrevolution in Ungarn,  beginnend  am 21. Oktober mit Studentenunruhen.
24. Oktober: Imre Nagy wird – auch als Ergebnis der Tito-Chruschtschow-Gespräche – Ministerpräsident und in ZK und Politbüro aufgenommen.
Die Regierung verhängt Ausnahmezustand und ersucht die im Lande befindlichen sowjetischen Truppen um Hilfe.
25. Oktober: Ernö Gerö wird als 1. Sekretär abgelöst durch Janos  Kadar.
(Noch eine Folge der Tito-Chruschtschow-Übereinkunft!)
28. Oktober: Imre Nagy gibt über Rundfunk bekannt, dass er von der Sowjetregierung den sofortigen Abzug der Sowjettruppen fordert.
28. Oktober: In einer Sitzung des Sicherheitsrates der UNO verurteilt  der Vertreter Jugoslawiens das Eingreifen der Sowjettruppen gegen die Konterrevolutionäre.
30. Oktober: Janos Kadar wird Staatsminister in der Regierung Nagy
31. Oktober: Die Sowjettruppen haben sich in ihre Standorte außerhalb Budapests zurückgezogen. Die Folge: Erneuerung und Verstärkung des Mordterrors gegen Kommunisten. Die Sowjettruppen haben Befehl, nicht einzugreifen.
1. November: Imre Nagy erklärt Austritt Ungarns aus dem Warschauer Vertrag und Neutralität Ungarns und ruft die UNO und die Großmächte um Hilfe bei der Verteidigung der Neutralität Ungarns an.
2. November: Der neue Vorstand der Partei der Ungarischen Werktätigen mit Janos Kadar, Imre Nagy, und Georg Lukacz benennt die Partei um in „Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei“ (USAP)
4. November, 2.30 Uhr: Endlich beenden die Sowjettruppen ihre Duldung des weißgardistischen Mordterrors, rücken in Budapest ein und beenden die blutige Konterrevolution. Imre Nagy flüchtet in die jugoslawische Botschaft.
4. November: Janos Kadar bildet (nach Rücksprache mit dem sowjetischen Botschafter Andropow) eine neue Regierung.
11. November:

Tito in einer Rede in Pula über seine Gespräche mit Chruschtschow auf Brioni und auf der Krim:
„Sie wissen, dass Chruschtschow auf Urlaub in Jugoslawien war. Dabei haben wir uns auch hier unterhalten… Die Gespräche wurden auf der Krim fortgesetzt. Wir haben gesehen, daß die Angelegenheit in Bezug auf andere Länder ziemlich schwer gehen würde… Aber wir haben das nicht so tragisch genommen, denn wir haben gesehen, dass das nicht die Haltung der gesamten Sowjetführung ist, sondern nur eines Teiles, der diese Haltung dem anderen Teil bis zu einem gewissen Grade aufgezwungen hatte. Wir haben gesehen, dass diese Haltung von den Leuten aufgezwungen wurde, die ziemlich stark auf den Stalinschen Positionen standen und auch heute noch immer stehen, dass es aber noch immer Möglichkeiten gibt, dass in der Führung der Sowjetunion in einer inneren Evolution die Elemente siegen, die für eine kraftvollere und schnellere Entwicklung in Richtung auf eine Demokratisierung, für eine Aufgabe aller Stalinschen Methoden und für die Schaffung neuer Beziehungen unter den sozialistischen Staaten sind…..Als wir in Moskau waren, wurde selbstverständlich auch über Polen und Ungarn und andere Länder gesprochen. Wir haben gesagt, dass das Rakosi-Regime und Rakosi selbst keinerlei Voraussetzungen besäßen, den ungarischen Staat zu leiten und ihn zur inneren Einheit zu führen, sondern dass sie ihn vielmehr zu sehr schweren Folgen führen könnten….Wir haben uns bei den sowjetischen Staatsmännern nicht genügend dafür eingesetzt, ein solches Gespann, wie Rakosi und Gerö sind, abzusetzen.“  (Unterstr. v. mir, K.G.)

(Das ist er also, Tito, der Vorkämpfer für „Nichteinmischung“ und den „eigenen Weg“ jedes Landes! Im übrigen: wieso: „nicht genügend eingesetzt“? Beide, Rakosi und Gerö wurden auf seinen Wunsch und auf Chruschtschows Forderung hin abgesetzt!)

Chruschtschow, der Wandelbare

Die Rolle Jugoslawiens in der Konterrevolution in Ungarn hatte die Verurteilung des Kurses der Tito-Führung durch die Resolution des Inform-Büros von 1948 und zu großen Teilen auch durch jene von 1949 als zutreffend bestätigt. Und Chruschtschows enge vertrauliche Kungelei mit Tito am Vorabend der Konterrevolution hatte seine Stellung erheblich erschüttert. Titos Offenbarungen über die vertraulichen Gespräche mit Chruschtschow in der Phase ihrer Vorbereitung in seiner Pula-Rede brachte Chruschtschow zusätzlich in eine Situation, in der er seine Stellung an der Spitze der Partei nur erhalten konnte, wenn er eine Wendung um 180 Grad vornahm und sich nun an die Spitze der Verurteiler Titos  und des Revisionismus stellte. Das machte ihm, der jahrzehntelang die Rolle eines treuen Stalin-Gefolgsmannes gespielt hatte, keine Mühe.

Ja, er wurde sogar, als habe irgendwer, aber nicht er, die Geheimrede gehalten, zum Vorkämpfer gegen die Verleumder Stalins! Das ist weitgehend – und vielleicht auch bei dir – in Vergessenheit geraten oder verdrängt worden, deshalb sei hier daran erinnert:

Chruschtschow auf der Oktoberfeier am 6. November 1957: Die Partei hat „alle bekämpft und wird dies auch weiterhin tun, die Stalin verleumden und unter der Flagge der Kritik am Personenkult die ganze historische Periode der Tätigkeit unserer Partei falsch und verzerrt darstellen, in der J.W. Stalin an der Spitze des Zentralkomitees stand. Als treuer Marxist und Leninist und standhafter Revolutionär nimmt Stalin einen würdigen Platz in der Geschichte ein. Unsere Partei und das Sowjetvolk werden Stalins gedenken und ihm die gebührende Ehre erweisen. … Manche ‚Kritiker‘ … bezeichnen dem Leninismus treu ergebene Funktionäre, die, ohne ihre Kräfte zu schonen, für die Interessen des Volkes, für die Sache des Sozialismus kämpften und kämpfen, als Stalinisten und geben dem Begriff einen negativen Sinn. Auf diese Weise wollen sie die Funktionäre der kommunistischen und der Arbeiterparteien herabsetzen und kompromittieren, die der Sache des Marxismus-Lleninismus und den Prinzipien des proletarischen Internationalismus ergeben sind. Kritiker dieser Art sind entweder Erzverleumder oder Menschen, die auf die faulen Positionen des Revisionismus abgeglitten sind und mit ihrem Geschrei über den Stalinismus den Versuch unternehmen, ihre Abkehr von den Prinzipien des Marxismus-Leninismus zu bemänteln.“ (Wäre dieses Chruschtschow- Zitat nicht etwas für die UZ, sagen wir, am 6. November oder zu Stalins Geburtstag am 21. Dezember dieses Jahres? – Du findest es auch in meinem Bd. II der Taubenfußchronik, die du vielleicht schon erhalten hast, auf den Seiten 30/31.)

Als Chruschtschow im Frühjahr 1960 in Frankreich war, hielt er vor französischen Parlamentariern eine Rede, in der er in ähnlicher Weise gegen seine eigenen Ausführungen in der „Geheimrede“ polemisierte: „Frankreich und England wollten damals (1939) den Schlag Deutschlands auf die Sowjetunion lenken und wiesen unumwunden den Weg: Mag Hitlerdeutschland die Ukraine und Belorußland nehmen, mag es bis zum Ural vorstoßen. Alle Versuche der Regierung der Sowjetunion, sich mit den Regierungen Englands und Frankreichs zu verständigen, waren völlig fruchtlos. … Hitler merkte das und sandte Ribbentrop nach Moskau zu Stalin. Damals wurde der Nichtangriffsvertrag zwischen der Sowjetunion und Deutschland unterzeichnet. Glauben Sie etwa, dass Stalin die aggressiven Schritte Hitlers nicht sah? Er sah sie und erkannte die ernste Gefahr eines neuen Weltkrieges. Er sah, dass England und  Frankreich Hitler gegen die Sowjetunion stoßen. Doch unter jenen Umständen gab es für Stalin keinen anderen Ausweg. … Was später vor sich ging, wissen Sie. Deutschland wandte sich gegen Frankreich und England, gegen Polen. Stalin wußte, dass es danach gegen Rußland vorgehen wird. Unser Land tat alles, um den Krieg zu verhüten; als er aber entbrannte, kämpfte das Sowjetvolk heroisch gegen die faschistischen Eindringlinge.“ (Presse der Sowjetunion Nr. 38/1960, als Anl. VII beigelegt. )

So Chruschtschow also 1960, als er –  schwer kompromittiert durch seine Komplizenschaft mit Tito – unter starkem Druck stand und sich drehen und winden musste, um nicht schon damals gestürzt zu werden.

Ganz anders drei Jahre später, 1963, nachdem es ihm auf dem XXII. Parteitag gelungen war, wieder in die Offensive zu gehen. Auf dem Juni-Plenum des ZK 1963 haben wir es wieder mit dem Chruschtschow des XX. Parteitages zu tun: „Wir bestreiten keineswegs die Bedeutung und die Rolle von Führern und leitenden Funktionären. Wir sind aber gegen solche Führer, die sich über das Volk, über die Partei stellen, die meinen, sie seien geradezu von Gott gesandt, und das Volk sei nur eine Masse, die lediglich auf sie zu hören und ihnen Beifall zu zollen habe. Das war charakteristisch für Stalin. Stalin liebte das Volk nicht. Wann ist er einmal in Fabriken gewesen? Das letzte Mal wahrscheinlich 1924 in der Fabrik ‚Dynamo‘. Später ist er dann fast nirgends mehr hingefahren.“ (Presse der Sowjetunion Nr. 77/1963, S. 1708)

Aber noch ist es nicht so weit. Ich habe vorgegriffen. Noch sind wir im Jahr 1957.

Den zum Vorkämpfer gegen Tito, den Revisionismus und den ‚Nationalkommunismus‘ gewandelten Chruschtschow erleben wir – ebenfalls in der Rede am 6. November 1957 – so: „Die Ideologen des Imperialismus und ihre Agenturen sind bemüht, den giftigen Samen des Chauvinismus und bürgerlichen Nationalismus auszusäen, um die sozialistischen Länder gegeneinander auszuspielen. …Einige suchen die Leninschen Thesen und die Beschlüsse des XX. Parteitages der KPdSU über die Mannigfaltigkeit der Formen des Übergangs zum Sozialismus und der Methoden des sozialistischen Aufbaus auszunutzen. Sie legen diese Thesen auf ihre Art aus: ‘…folglich ist eine Einheit der sozialistischen Länder nicht erforderlich‘. Die Anhänger einer solchen Auffassung erklären, jedes Land könne angeblich auf eigenen, besonderen Wegen zum Sozialismus gelangen, die nichts mit den anderen sozialistischen Ländern gemeinsam hätten. (Unterstr. v. mir, K.G.)…

Die kommunistischen und Arbeiterparteien haben die Pläne der Feinde des Sozialismus durchschaut und erteilen ihnen eine entschiedene Abfuhr. … Die Versuche, die sozialistische Bewegung von innen zu untergraben, die sozialistischen Länder und Parteien zu zersetzen und gegeneinander aufzubringen, sind eine der raffiniertesten Formen des Kampfes des Imperialismus und seiner Agenturen gegen das sozialistische Weltsystem. Das ist eine der Hauptgefahren, und wir müssen gegen sie den entschiedensten Kampf führen.“

Verständlicherweise präziser und eindeutiger als Chruschtschow in seiner Rede nimmt die auf der Moskauer Konferenz von 1957 beschlossene Erklärung der dort versammelten kommunistischen und Arbeiterparteien zum Revisionismus Stellung; dieser Erklärung zuzustimmen konnte Chruschtschow nicht umhin.

„Während die kommunistischen Parteien den Dogmatismus verurteilen, sehen sie unter den gegenwärtigen Umständen die Hauptgefahr im Revisionismus oder mit anderen Worten im rechten Opportunismus als einer Ausdrucksform der bürgerlichen Ideologie, die die revolutionäre Energie der Arbeiterklasse lähmt und die Erhaltung oder Restauration des Kapitalismus fordert.  …

Der moderne Revisionismus ist bemüht, die große Lehre des Marxismus-Leninismus in Verruf zu bringen, er erklärt sie für ‚veraltet‘, behauptet, sie habe heute ihre Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung verloren. Die Revisionisten sind bestrebt, die revolutionäre Seele des Marxismus auszumerzen und den Glauben der Arbeiterklasse und des werktätigen Volkes an den Sozialismus zu erschüttern. Sie wenden sich gegen die historische Notwendigkeit der proletarischen Revolution und der Diktatur des Proletariats beim Übergang  vom Kapitalismus zum Sozialismus, sie leugnen die führende Rolle der marxistisch-leninistischen Partei, sie lehnen die Prinzipien des proletarischen Internationalismus ab, sie fordern Verzicht auf die grundlegenden Leninschen Prinzipien des Parteiaufbaus und vor allem auf den demokratischen Zentralismus, sie fordern, dass die kommunistische Partei aus einer revolutionären Kampforganisation in eine Art Diskutierklub verwandelt wird.

Die gesamte Erfahrung der internationalen kommunistischen Bewegung lehrt, dass die unerläßliche Gewähr für die erfolgreiche Lösung der Aufgaben der sozialistischen Revolution, des Aufbaus des Sozialismus und des Kommunismus darin liegt, dass die kommunistischen und Arbeiterparteien die marxistisch-leninistische Einheit ihrer Reihen entschlossen verteidigen und keine Fraktionen und Gruppierungen dulden, die diese Einheit untergraben.“

Bekanntlich reagierte die Tito-Partei auf diese Kritik auf ihrem Ljublianaer Parteitag im April 1958 mit der Annahme eines Programms, in dem die Grundthesen des „modernen“ Revisionismus massiv gebündelt waren. Das war eine Kampfansage an die Parteien der Moskauer Beratung, vor allem aber an die Partei Lenins, die den Mann an der Spitze dieser Partei, wenn er an der Spitze bleiben wollte, erneut zwang, entgegen seinem innersten Wunsche als entschlossener Gegner des Tito-Revisionismus aufzutreten.

Noch nie seit dem ZK-Präsidiumsbeschluß im Juni 1957, ihn abzusetzen, war die Gefahr, gestürzt zu werden, so groß wie jetzt. Wenn er an der Spitze bleiben und diese Sturmflut des Anti-Revisionismus in der kommunistischen Bewegung überstehen wollte, damit er bei günstigerer politischer Großwetterlage das mit dem XX. Parteitag begonnene, durch die Ungarnereignisse aber unterbrochene und zurückgeworfene Werk wieder aufnehmen und fortsetzen konnte, dann musste er als Chefankläger gegen den Tito-Revisionismus ein Meisterstück an Doppelzüngigkeit, Demagogie und Heuchelei vollbringen. Und er vollbrachte es mit einer Rede auf dem  VII. Parteitag der KP Bulgariens im Juli 1958 und mit der Zustimmung zur Verurteilung der Tito-Partei durch die Moskauer Beratung der Kommunistischen und Arbeiterparteien im November 1960.

Die Rede auf dem VII. Parteitag der KP Bulgariens ist besonders kennzeichnend für seine ausgefeilte Methode, in ein und derselben Rede die von ihm verlangte Verurteilung des Tito-Revisionismus scharf und scheinbar unversöhnlich vorzutragen und zugleich doch zu verstehen zu geben, dass alles nicht so ernst gemeint ist und eine neuerliche Versöhnung von ihm erstrebt wird. Die folgenden Zitate sind dem ND vom 5. Juni 1958 entnommen. Es lohnt sich, die Zeitung noch einmal in die Hand zu nehmen und die von der ND-Redaktion gewählten Zwischenüberschriften mit dem anschließenden Text zu vergleichen: Das ND setzt Überschriften, die keinen Zweifel an der prinzipiellen Verurteilung der Tito-Revisionisten durch die SED-Führung zulassen, wie: „Falsche Behauptungen der jugoslawischen Führer“

„Warum gewähren die USA-Imperialisten Jugoslawien finanzielle Unterstützung?

„Jugoslawiens Führer spalten die Arbeiterbewegung“.

Das läßt scharfe Attacken Chruschtschows auf die jugoslawischen Führer erwarten.

Was jedoch an Ausführungen Chruschtschows unter diesen Überschriften folgt, war im Gegenteil eine Bestätigung für Tito, dass Chruschtschow alles ihm unter den gegebenen Umständen Mögliche tun würde, um es nicht zu einem unheilbaren Bruch kommen zu lassen.

Nach der ND-Überschrift „Warum gewähren die USA-Imperialisten Jugoslawien finanzielle Unterstützung?“ folgt ein sehr zahmer Text Chruschtschows, mit dem er bestätigt, dass er Jugoslawien selbstverständlich zum Lager der sozialistischen Staaten zählt: „Ich möchte  niemanden kränken, aber zugleich kann ich nicht umhin, eine Frage zu stellen, die überall die ehrlichen Kommunisten bewegt. Warum finanzieren die imperialistischen Machthaber, die bestrebt sind, die sozialistischen Staaten vom Erdboden zu tilgen und die kommunistische Bewegung zu unterdrücken, gleichzeitig eines der sozialistischen Länder, geben ihm bevorzugte Kredite und kostenlose Almosen?“

In der Antwort, die Chruschtschow auf diese Frage gibt, greift er nicht etwa, wie das ND, Jugoslawien oder die „jugoslawischen Führer“ an, sondern er spricht nur anonym von „einigen Funktionären,“ „die sich als Kämpfer für den Sozialismus bezeichnen“, aber versuchen, „den Willen der Arbeiterklasse im Kampf gegen den Kapitalismus zu lähmen und die Vortrupps der Arbeiterklasse, die kommunistischen und Arbeiterparteien, zu schwächen, ihre Wachsamkeit einzuschläfern und die Einheit der sozialistischen Länder zu untergraben” .

Dann geht Chruschtschow  zu scharfen Angriffen auf „den Revisionismus“ über, die jeder Zuhörer  wie jeder Leser nicht anders als auf  Tito und seine Partei gemünzt verstehen kann, die aber von Chruschtschow eben nicht beim Namen  genannt werden:

„Die kommunistischen Parteien hüten und wahren die Einheit ihrer Reihen wie ihren Augapfel. Sie führen einen unversöhnlichen Kampf gegen Revisionismus und Dogmatismus. In diesem Kampf richtet sich das Hauptfeuer der kommunistischen Parteien naturgemäß gegen die Revisionisten als die Kundschafter des imperialistischen Lagers. Die antike Sage vom trojanischen Pferd ist weit bekannt. …Der moderne Revisionismus ist eine Art trojanisches Pferd. Die Revisionisten versuchen, die revolutionären Parteien von innen zu zersetzen, die Einheit zu unterminieren und Verwirrung und Durcheinander in die marxistisch-leninistische Ideologie zu tragen. …“

Dann folgt eine Passage, bei deren Lesen sich mir immer wieder die Frage aufdrängt: wie erklären sich die Verteidiger Chruschtschows, dass, dies wissend, Chruschtschow 1955 erklären konnte, alle Vorwürfe gegen  Tito und seine Politik hätten sich „nach gründlicher Prüfung der Materialien“ als „pure Erfindungen von imperialistischen Agenten“ erwiesen?

Diese Passage lautet: “Im Jahre 1948 nahm die Konferenz des Informationsbüros eine Resolution über die Lage in der KP Jugoslawiens an, die eine berechtigte Kritik an der Tätigkeit der KP Jugoslawiens in einer Reihe von Fragen enthielt. Diese Resolution war im wesentlichen richtig und entsprach den Interessen der revolutionären Bewegung.“

Die daran anschließende Erklärung Chruschtschows kann aber nicht anders denn als ein demagogischer Versuch zur Spurenverwischung zugunsten Titos und seiner eigenen Bemühungen bezeichnet werden, dieses „trojanische Pferd des Imperialismus“ wieder in die eigene Festung hereinzuholen.

„Später, in den Jahren 1949 bis 1953 entstand ein Konflikt zwischen der KP Jugoslawiens und den anderen Bruderparteien, als im Laufe des Kampfes Fehler gemacht wurden und Komplikationen entstanden, die unserer gemeinsamen Sache Schaden zufügte.“

Welche gemeinsame Sache kann es für einen Kommunisten mit einem „trojanischen Pferd“,  einem „Kundschafter des imperialistischen Lagers“ geben? Aber Chruschtschow will mit diesem trojanischen Pferd des Imperialismus partout immer wieder freundschaftliche Verhältnisse herstellen – warum wohl? Er behauptet: „Im vollen Bewußtsein der Verantwortlichkeit vor unseren Ländern und Völkern und vor der internationalen kommunistischen Bewegung unternahm die KPdSU Schritte, um diesen Konflikt zu liquidieren.“

Das soll der wirkliche Grund gewesen sein für die immer wieder neuen Bemühungen Chruschtschows, die Kundschafter des Imperialismus wieder ins eigene Lager hereinzuholen?   Wo war denn dieses „volle Bewußtsein der Verantwortlichkeit“ bei der Herbeiführung des Bruches mit Volkschina und bei Chruschtschows 1964 unternommenen Versuch der endgültigen „Exkommunizierung“ Chinas aus der Familie der kommunistischen Parteien?

Dagegen schrieb Togliatti bekanntlich seine Denkschrift, die zu seinem politischen Testament werden sollte, weil er auf dem Wege zu der internationalen Beratung in Jalta, auf der er dieses Memorandum vortragen wollte, plötzlich und unerwartet verstarb.

 Es ist gerade in der heutigen Zeit, wo noch immer um die Einheit der Kommunisten – sogar innerhalb nicht weniger kommunistischer Parteien – gerungen wird, sehr nützlich und hilfreich, sich dieses Memorandum Togliattis wieder in Gänze vorzunehmen. Gegen die Absicht Chruschtschows, nun endlich die Zustimmung der mit der KPdSU verbundenen Parteien zum völligen und endgültigen Bruch mit China durchzusetzen, schrieb Togliatti:

Die Einheit aller sozialistischen Kräfte in einer gemeinsamen Aktion gegen die reaktionärsten Gruppen des Imperialismus, auch über die ideologischen Divergenzen hinweg, ist eine unabweisbare Notwendigkeit. Man kann sich nicht vorstellen, dass aus dieser Einheit China und die chinesischen Kommunisten ausgeschlosen werden könnten. …

Im Zusammenhang mit dem Zusammentritt der vorbereitenden Konferenz am 15. Dezember (1964) könnte man bereits an einige besondere Initiativen denken. Zum Beispiel an die Entsendung einer Delegation, bestehend aus Vertretern einiger Parteien, die den chinesischen Genossen unser Ziel darlegt, vereint zu sein und im Kampf gegen den gemeinsamen Feind zusammenzuarbeiten, und vor ihnen das Problem aufrollt, den Weg und die konkrete Form für diese Zusammenarbeit zu finden. Man muss außerdem im Auge behalten, dass, wenn all unser Kampf gegen die chinesischen Standpunkte als ein Kampf um die Einheit geführt werden muss – und es ist unsere Meinung, dass dies notwendig ist,- die Resolutionen selbst, die man beschließen sollte, dieser Tatsache Rechnung tragen, allgemeine negative Qualifizierungen beiseite lassen und statt dessen einen starken und vorwiegend positiven und einheitlichen politischen Inhalt haben müssen….

Auch aus diesem Grunde und obwohl wir stets die chinesischen Standpunkte als irrig und verhängnisvoll betrachteten, haben wir stets die stärksten Vorbehalte gehabt – und haben sie auch weiterhin – bezüglich der Nützlichkeit einer internationalen Konferenz, die nur oder vor allem der Anklage und dem Kampf gegen diese Standpunkte gewidmet ist, gerade weil wir fürchteten und weiterhin fürchten, dass auf diese Weise die kommunistischen Parteien der kapitalistischen Länder in eine Richtung getrieben werden, die jener entgegengesetzt ist, welche notwendig ist, d.h. sich in interne Polemiken rein ideologischer Natur und fern der Wirklichkeit einschließen.“  (Unterstr. von mir, K.G. Alle Zitate aus: ND v. 12 Sept. 1964, S.6)

Aber kehren wir zurück zur Rede Chruschtschows auf dem Parteitag der KP Bulgariens und dem, was er dort über sein Verhältnis zum trojanischen Pferd des Imperialismus, zu Tito-Jugoslawien zum Besten gab. Er führte dort dazu weiter aus, dass leider seine Bemühungen, den Konflikt zu liquidieren, bald wieder zunichte gemacht wurden, obwohl „Genosse Tito“ sich dafür ausgesprochen hatte, „die Vergangenheit ruhen zu lassen“ , womit Chruschtschow „gerne einverstanden“ war und alles tat, „um die freundschaftlichen Beziehungen (zum trojanischen Pferd!) zu festigen.“

Aber das gelang nicht, stellt Chruschtschow mit Bedauern fest; die jugoslawischen Führer hätten sich „als außerstande erwiesen, ihre falschen Positionen aufzugeben und sich fest auf den Boden des Marxismus-Leninismus zu stellen.“

Seit wann erwarten Kommunisten so etwas von Trojanischen Pferden des Imperialismus?

Einen besonders großen Schaden fügten die jugoslawischen Führer der Sache des Sozialismus durch ihre öffentlichen Reden und ihre Handlungen in der Zeit der Ereignisse in Ungarn zu. Während des konterrevolutionären Aufstands in Budapest wurde die jugoslawische Botschaft im Grunde genommen ein Zentrum für diejenigen, die den Kampf gegen die volksdemokratische Ordnung in Ungarn aufnahmen, und ein Zufluchtsort für die verräterische Kapitulantengruppe Nagy-Losonczy.“

Na, lieber Robert, welche Schlußfolgerungen und Konsequenzen müßte ein in Leninschem Geist erzogener Parteiführer aus soviel Beweisen dafür, dass dieser Tito das Geschäft der Konterrevolution betreibt, ziehen?

Welche zog er jedoch? Er griff sofort mit beiden Händen zu, als Tito Bereitschaft zeigte,  sich wieder mit ihm zu „versöhnen“, d.h., die ihm von Chruschtschow gebotene Gelegenheit zu ergreifen, wieder ungehindert in die Festung der kommunistischen Bewegung einzuziehen:

Späterhin fand auf Initiative der jugoslawischen Führer im August 1957 in Bukarest die bekannte Zusammenkunft der Sowjetunion und Jugoslawiens statt. Während dieses Treffens legten wir den jugoslawischen Führern offen unsere Ansichten über die Politik des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens sowohl in der ungarischen als auch in anderen Fragen dar.“

Wirklich? Hat er Tito gegenüber damals wirklich das gesagt, was er  auf diesem bulgarischen Parteitag über die modernen Revisionisten als „Kundschafter des imperialistischen Lagers“   vorgetragen hat? Wohl kaum, denn dann hätte er jetzt nicht berichten können: “Im Ergebnis der Verhandlungen wurde Einvernehmen in den Hauptproblemen der gegenwärtigen internationalen Lage erzielt, obgleich festgestellt wurde, dass zwischen uns bestimmte Meinungsverschiedenheiten in ideologischen Fragen bestanden.“

Also keine prinzipellen Meinungsverschiedenheiten mit den Kundschaftern des Imperialismus über „die Hauptprobleme der gegenwärtigen internationalen Lage“?

Hätten wir uns zumindest jetzt, nach der Lektüre dieser im ND veröffentlichten Rede, nicht alle sehr wundern müssen? Aber nichts dergleichen! Hatten doch im Sommer 1957, nach Bekanntgabe dieser Einigung in meiner Partei, der SED, – und ganz sicher auch in deiner, der – noch verbotenen – KPD – große Freude und Zufriedenheit darüber geherrscht, dass es Chruschtschow wieder einmal verstanden hat, die „Einheit in unserem Lager“ wiederherzustellen! Wie schön!

Aber die Freude war nur von kurzer Dauer. Chruschtschow mußte seinen bulgarischen Zuhörern mit großem Bedauern mitteilen, – was sie allerdings eh‘ schon wußten, – dass das Einvernehmen nicht lange anhielt: „Die jugoslawischen Führer … beschlossen, eine eigene Plattform, den Programmentwurf des BdKJ, aufzustellen. … Natürlich ist das Programm des BdKJ eine innere Angelegenheit der jugoslawischen Kommunisten.“ (Wirklich? Chruschtschow bekräftigt damit den „nationalkommunistischen“ Standpunkt, der mit wirklichem Kommunismus, mit kommunistischem Internationalimus, nichts zu tun hat.) „Aber da im Entwurf dieses Programms tendenziöse, beleidigende Einschätzungen anderer Parteien und sozialistischer Länder gegeben und die Grundlagen der revolutionären Theorie des Marxismus–Leninismus einer Revision unterzogen werden, hielt es unsere Partei für ihre direkte Pflicht, die antimarxistischen Thesen dieses Dokuments einer Kritik zu unterziehen. … Die jugoslawischen Führer lehnten die kameradschaftliche prinzipielle Kritik der Bruderparteien (Bruderparteien eines trojanischen Pferdes des Imperialismus?) ab und gerieten somit erneut in die Isolierung.“

Wem es mit der Einheit der kommunistischen Bewegung auf marxistisch-leninistischer Grundlage und mit dem Kampf gegen das Eindringen des Revisionismus ernst war, der konnte sich über diese Isolierung des „Trojanischen Pferdes“, die herzustellen eigentlich seine Aufgabe gewesen wäre, nur freuen, war dies doch die Befreiung der eigenen Reihen von einem lebensgefährlichen Krankheitskeim, der schon die II. Internationale zugrunde gerichtet hatte.

Chruschtschow empfand aber keineswegs Freude über Titos Isolierung, war damit doch erneut der Erfolg seiner nach jedem Rückschlag immer wieder erneuerten eifrigen Bemühungen, Tito aus seiner Isolierung heraus- und in das sozialistische Lager wieder hineinzubugsieren, wiederum zunichte gemacht worden.

Drei Grundzüge der Chruschtschow-Außen-Politik

Chruschtschows Aktivitäten innerhalb des sozialistischen Lagers lassen drei Haupt-Zielrichtungen erkennen, die er hartnäckig verfolgte und die somit Grundzüge seiner Außenpolitik darstellen.

Das war zum ersten die Änderung der Einstellung zum USA-Imperialismus vom Hauptgegner zum Partner im Kampf um den Frieden, bei ihm allerdings verbrämt durch häufig vorgespieltes martialisches antiimperialistisches Getöse von der Art des Schuh-Schlages auf den Tisch in der UNO.

Das war zweitens die Durchsetzung der Anerkennung Tito-Jugoslawiens als vollgültiges „Bruderland“ durch alle kommunistischen Parteien, was immer von dort auch an Diversion ausging, bei ihm allerdings, wo dies zum Machterhalt unvermeidlich, unterbrochen durch die Schaustellung der eigenen Rolle als „Vorkämpfer gegen den modernen Revisionismus“.

Der dritte Grundzug der Chruschtschow-Außen-Politik war das Bemühen um die Ersetzung erprobter Marxisten-Leninisten an der Spitze der regierenden kommunistischen Parteien durch Rechte vom Schlage Gomulka und Imre Nagy sowie die Ausstoßung derjenigen regierenden kommunistischen Parteien und sozialistischen Länder aus der Gemeinschaft der Bruderparteien und Bruderländer, die dem revisionistischen Kurs grundsätzlichen Widerstand entgegensetzen – also Maos Volkschina und Enver Hoxhas Albanien, – dies lange Zeit jedoch verborgen hinter vorgespielter Freundschaft und Achtung.

Diese drei Grundzüge waren auch die Grundzüge der Gorbatschow-Politik. Das macht für jeden, der sehen will, offenbar, dass Chruschtschow der Vorläufer Gorbatschows und Gorbatschow  der Vollender der Chruschtschow-Politik war.

Gorbatschow modifizierte allerdings im Falle China die Chruschtschowsche Isolierung- und Ausstoßungspolitik, – da inzwischen Mao gestorben war und Deng Xiaoping den Kurs der Volksrepublik bestimmte – in eine  Politik des „Wandels durch Annäherung“, zu dem Versuch, die „Perestroika“ nach China zu exportieren.

Übrigens: Als Gorbatschow davon sprach, dass „das Allgemein-Menschliche“ die Priorität vor dem Klassenkampf habe, und davon, dass die „friedliche Koexistenz“ kein Klassenkampf sei, da merkten selbst diejenigen Kommunisten, die es bisher noch nicht gemerkt hatten, dass dieser Mann an der Spitze der KPdSU kein Kommunist war; dass er ein Feind war, wollten die meisten von ihnen damals aber noch nicht wahr haben (und du ja selbst heute noch nicht).

Und gar nicht bemerkt haben sie, dass Chruschtschow auch in dieser Beziehung der Vorläufer von Gorbatschow war. Aber mit Rücksicht darauf, dass die Grundthesen des Marxismus-Leninismus in der Partei und in der Bevölkerung noch recht lebendig im Bewußtsein waren, musste Chruschtschow im Unterschied zu Gorbatschow für die im Kern gleiche Aussage Worte wählen, welche die Absage an den Klassenkampf zwar enthielten, aber diese Absage kaum erkennen ließen. Auf dem XXI. Parteitag der KPdSU ließ er sich z. B. so vernehmen: „Wenn sich die amerikanischen Politiker und Militärs von allgemeinmenschlichen Überlegungen leiten ließen und nicht von egoistischen Absichten“, wäre das für alle besser. (Zit. in Taubenfußchronik Bd. II, S.235).

Könnte das nicht auch von Gorbatschow stammen?

Auf einer Konferenz am 10. November 1962 in Moskau mit ausländischen Journalisten am 10. November 1962 sagte Chruschtschow über das Verhältnis zwischen Sowjetunion und dem „Westen“: „Wenn wir uns auch nicht lieben, so müssen wir uns doch umarmen, um den Frieden zu sichern!“ (S. Taubenfußchronik Bd. II, S.394).

Chruschtschows Hinarbeit auf den Bruch mit Volkschina

Chruschtschow leitete eine Kampagne zur Verurteilung Chinas im Frühjahr 1960 damit ein, die anderen Parteien – einschließlich der albanischen – über Meinungsverschiedenheiten mit der chinesischen Partei zu „informieren“. Darüber berichtet – s. Anlage VIII – u.a. Enver Hoxha in seinem Buch „Die Chruschtschowianer“,  (auf den Seiten 435 folgende. Das Buch ist 1984 in Tirana heraus-, mir aber erst 1994 in die Hände gekommen. Mein Urteil über Chruschtschow war da, – weil durchaus „Eigenbau“ – längst klar; allerdings hatten Hoxha und Mao meine volle Sympathie wegen ihrer Verurteilung des Tito- und Chruschtschow-Revisionismus.)

Dieser Vorstoß Chruschtschows zur Verurteilung Chinas sollte zugleich das Feuer der Kritik von Jugoslawien ab- und in die entgegengesetzte Richtung lenken. Als Forum, auf dem diese Verurteilung eingeleitet werden sollte, hatten Chruschtschow und die Seinen den  3.Parteitag der  rumänischen KP auserwählt, der vom 20. bis 25. Juni 1960 in Bukarest stattfand. Die ursprüngliche Begründung für die internationale Beratung im Rahmen dieses Parteitages in Bukarest war, man wolle zusammenkommen, um sich über einen Termin für die nächste Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien zu einigen. In Wirklichkeit wollte Chruschtschow bereits bei dieser Gelegenheit die Verurteilung Chinas durch alle übrigen  kommunistischen Parteien auf der vorgesehenen künftigen Beratung absichern. Damit kam er aber nicht durch. (Ich habe allerdings das Zustandekommen der Bukarester Tagung, ihre Initiatoren und deren Zielsetzung in Bd. II meiner Taubenfußchronik -S.320 ff- verkannt und ihr Ergebnis viel zu optimistisch eingeschätzt.)

Nach dem Fehlschlag seines antichinesischen Vorhabens in Bukarest im Juni 1960 sollte die nächste Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien in Moskau im November im Anschluß an die Oktober-Feier zum Ziel führen.

Die Entwicklung der antichinesischen Kampagne von der Bukarster Beratung bis zur Moskauer Beratung vom November 1960 wird in einem Dokument der KP Chinas „Ursprung und Entwicklung der Differenzen zwischen der Führung der KPdSU und uns“ vom 6. September 1963 ausführlich beschrieben.  (s. Anlage Nr. IX).

Die Chruschtschow-Führung hatte ein Dokument vorbereitet, in dem nicht der Revisionismus, sondern der Dogmatismus zur Hauptgefahr für die kommunistische Bewegung erklärt wurde. Noch am Vorabend der Beratung hatte die Führung der KPdSU ein umfangreiches Pamphlet voller Anklagen und Verleumdungen der Führung der KP Chinas unter den in Moskau versammelten Vertretern der Bruderparteien verteilt. Aber auch dieser neuerliche Anlauf, die Isolierung und Verurteilung der KP Chinas zu erreichen, erwies sich als Rohrkrepierer. Das Abschlußdokument ging in seiner Verurteilung des modernen Revisionismus noch viel weiter, als die 1957er Beratung.

In der Schlusserklärung der Moskauer Beratung von 1960 wurde erneut bekräftigt, dass der Revisionismus die Hauptgefahr für die kommunistische Weltbewegung darstellt, darüber hinaus scharf mit dem Tito-Revisionismus abgerechnet: „Die kommunistischen Parteien haben die jugoslawische Spielart des internationalen Opportunismus, die einen konzentrierten Ausdruck der ‚Theorien’ der modernen Revisionisten darstellt, einmütig verurteilt. Die Führer des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens, die den Marxismus-Leninismus verrieten, indem sie ihn für veraltet erklärten, haben der Erklärung von 1957 ihr antileninistisches revisionistisches Programm – (das in Deutschland sog. „Laibacher Programm“  des Parteitages von Ljubliana, 1958, K.G.)  entgegengestellt, ihr Land vom sozialistischen Lager losgerissen, es von der Hilfe der amerikanischen und anderen Imperialisten abhängig gemacht und damit die Gefahr heraufbeschworen, dass das jugoslawische Volk seiner im heroischen Kampf erzielten revolutionären Errungenschaften verlustig geht. Die jugoslawischen Revisionisten betreiben eine Wühlarbeit gegen das sozialistische Lager und die kommunistische Weltbewegung. Unter dem Vorwand einer blockfreien Politik entfalten sie eine Tätigkeit, die der Einheit aller friedliebenden Kräfte und Staaten Abbruch tut. Die weitere Entlarvung der Führer der jugoslawischen Revisionisten und der aktive Kampf dafür, die kommunistische Bewegung wie auch die Arbeiterbewegung gegen die antileninistischen Ideen der jugoslawischen Revisionisten abzuschirmen, ist nach wie vor eine unerlässliche Aufgabe der marxistisch-leninistischen Parteien.“ (Meine Hervorhebung. Zit. aus: Erklärung der Beratung von Vertretern der kommunistischen und Arbeiterparteien November 1960, 2. Aufl. Berlin 1961, S.61.)

Das hat der gleiche Chruschtschow unterschrieben, der Tito gegenüber 1955 eine Total-Rehabilitierung aussprach! Er hat es unterschrieben, aber bald danach, sobald es ihm wieder möglich war, das Gegenteil dieser Festlegung der gemeinsamen Beratung der kommunistischen Parteien getan, nämlich die weitere Entlarvung der Führer der jugoslawischen Revisionisten und die Abschirmung gegen ihre antileninistischen Ideen verhindert und statt dessen den Kampf gegen die KPChinas entfaltet. Diese Linie Chruschtschows hatte Togliatti in seinem oben  – (S.15/16) –  zitierten Memorandum eindeutig verurteilt, als er darin schrieb, „dass auf diese  Weise die kommunistischen Parteien der kapitalistischen Länder“  (zu ergänzen wäre: und nicht nur sie, sondern alle!) „in eine Richtung getrieben werden, die jener entgegengesetzt ist, welche notwendig ist.“

Ist dir – als du damals diesen Text von Togliatti gelesen hast, – denn natürlich hast du ihn seinerzeit gelesen, – eigentlich bewußt geworden, dass Togliatti damit sagte: „Chruschtschow treibt die kommunistischen Parteien in die der richtigen entgegengesetzte Richtung!“ ?

Für Togliatti ergab sich daraus zwingend: diese Politik können und dürfen wir nicht mitmachen. Das war der Sinn seines Memorandums.

Die verderbliche Richtung, vor der Togliatti warnte, war ihrem Wesen nach eine Richtung der Bruderschaft und der gemeinsamen Sache mit dem revisonistischen  Tito-Jugoslawien und der Hinarbeit auf den Bruch mit der neben der Sowjetunion stärksten Macht des Sozialismus, mit Volkschina.

Vielleicht erinnerst du dich daran, wie überrascht wir waren, als Togliatti nach dem XX. Parteitag auf einmal die Feststellung traf, die kommunistische Bewegung könne nicht mehr von einem Zentrum aus geleitet werden, sondern die neue Struktur müsse polyzentristisch sein. Obwohl das dem Prinzip widersprach, alle kommunistischen Parteien als Glieder einer einheitlichen weltumspannenden Bewegung zu sehen, war ich damals sehr froh über diese Feststellung, weil ich in ihr einen Ausdruck der Opposition gegen den Chruschtschow-Kurs sah, einen Hinweis auch für alle anderen kommunistischen Parteien, dass die weitgehende Interessengemeinsamkeit aller kommunistischen Parteien mit der von der KPdSU betriebenen Politik nicht mehr im gleichen Maße wie früher gegeben war.

Zusammenfassend zum Vorwurf der „Verschwörungs- und Agententheorie“:

Wenn du bei diesem Vorwurf bleiben willst, dann ist er – wie aus dem Zitierten hervorgeht – nicht nur gegen Gossweiler zu erheben, sondern:

 – auch gegen jene, die 1953 Berija anklagten, ein Agent des Imperialismus zu sein,

 – ferner auch gegen Chruschtschow und alle kommunistischen Parteien, die Tito und seine Partei 1957, 1958 und 1960 beschuldigten, als trojanisches Pferd des Imperialismus eine Wühlarbeit gegen das sozialistische Lager und die kommunistische Weltbewegung zu  betreiben.

Ich würde gerne von dir wissen, ob du die Aussagen der Beratungen der kommunistischen und Arbeiterparteien von 1957 und 1960 für berechtigt hältst, und wenn ja, weshalb du die gleichen Ausssagen bei mir für „Agenten- und Verschwörungstheorie“ abqualifizierst?

In Deinem Brief vom September 2002 schreibst du – und wirfst damit die Frage nach den Ursachen für den Sieg des Revisionismus in den europäischen sozialistischen Ländern auf: . „Muss man sich nicht vielmehr fragen – ich tue es – wieso sind nach dem zweiten Weltkrieg Prozesse in Gang gekommen, nicht nur in der SU, nicht nur in sozialistischen Ländern, die zu einem solchen weit verbreiteten neuen Revisionismus geführt haben?

Hat das persönliche Gründe und Hintergründe? Gibt es da nicht eine massenhaft herausgebildete soziale Basis für solchen neuen Opportunismus und Revisionismus?

Und worin haben sie bestanden?“

Wo liegen die Gründe und die Ursachen für die Ausbreitung des Revisionismus?

Du verweist in Deinem Brief auf einen Artikel von dir in den Weißenseer Blättern (ich nehme an, gemeint ist dein Beitrag in den WBl. 4/2001 „Zur Diskussion der Meinungsverschiedenheiten in der DKP), und fährst dann fort: „Jedenfalls reicht das Verrotten dieser oder jener Persönlichkeit allein nicht aus, solche Prozesse zu verstehen. Ideologische Deformation dieses Ausmaßes gelang nur, weil es dafür sozialen Boden gab. Wenn wir nicht diese objektiven und subjektiven Faktoren beachten, stoßen wir mit unserem Kampf ins Leere. Mit der Verschwörungs- und Agententheorie erreichen wir nicht die wirklichen Gründe.“

Lieber Robert, wir gehen – wie könnte es anders sein – von den gleichen Grundsätzen aus, und stellen auch beide die Frage nach objektiven und subjektiven Ursachen geschichtlicher Ereignisse. Aber als Historiker gebe ich mich nicht mit pauschalen Hinweisen zufrieden, sondern ich will es genau wissen: was ist wann und wo und im Zusammenhang mit welchem oder welchen anderen Ereignissen abgelaufen?  Also nicht nur: „Wieso sind nach dem zweiten Weltkrieg Prozesse in Gang gekommen, nicht nur in der SU, nicht nur in den sozialistischen Ländern, die zu einem solch weit verbreiteten neuen Revisionismus geführt haben?“; und als Zeitangabe nicht nur „nach dem zweiten Weltkrieg“, und nicht nur die Rede von „weitverbreitetem Revisionismus“ – das ist mir alles zu pauschal und zu ungenau gefragt. Das ruft die Vorstellung hervor, als ob gleich „nach dem zweiten Weltkrieg“ sich der Revisionismus „weit verbreitet“ habe.

Wie gesagt, ich möchte es genauer wissen: wann, wo, im Zusammenhang mit welchen Ereignissen läßt sich das Auftauchen und die Verbreitung des neuen Revisionismus feststellen?

Genau die Frage möchte ich auch an dich richten: nenne mir bitte die Parteien und die Länder, in denen du schon vor dem XX. Parteitag  “weit verbreiteten Revisionismus“ feststellen konntest?

Vielleicht bist du versucht, jetzt auf die Prozesse gegen Rajk, Kostoff uns Slansky hinzuweisen. Aber diese Träger revisionistischer Zielsetzungen wurden durch diese Prozesse daran gehindert, bei späterer Gelegenheit das zu tun, was nach dem XX. Parteitag ihre Brüder im Geiste Gomulka, Nagy und Kadar mit Erfolg taten: ihre Parteien im Geiste tito’scher Vorstellungen zu „demokratisieren.“ Deshalb fand auch in diesen Ländern vor dem XX. Parteitag der moderne Revisionismus keine Verbreitung.

Um mich zu vergewissern, habe ich mir noch einmal Malenkows Rechenschaftsbericht   auf dem XIX. Parteitag der KPdSU im Jahre 1952 angesehen. Wenn damals der neue

Revisionismus schon irgendwo eine weite Verbreitung gefunden hätte – dort wäre es zur Sprache gebracht worden. Es gibt aber dazu nur dieses:  „…die Machthaber Jugoslawiens…sind schon lange amerikanische Agenten geworden, die die Spionage- und Unterminierungsaufträge ihrer amerikanischen ‚Chefs‘ gegen die UdSSR und die volksdemokratischen Länder ausführen.” (Aus dem Rechenschaftsbericht Malenkows, zit. aus: „Neue Welt“ Heft 22/Nov.1952, S.2687.)

Auf dem Parteitag, der diese Einschätzung gab, war  Chruschtschow der Berichterstatter zu den Abänderungen am Statut, also einer, der diese Einschätzung mittrug. Drei Jahre später erklärte er diese Einschätzung für eine Erfindungen von Agenten des Imperialismus, um wiederum drei Jahre später in Sofia nun selbst diese „Erfindung imperialistischer Agenten“ als Feststellung eines Tatbestandes zu wiederholen!

Angesichts der hartnäckigen Verteidiger Chruschtschows als eines „Wiederherstellers des sozialistischen Rechts und der sozialistischen Ideale“ kann man diese „Wandelbarkeit“, richtiger: abgrundtiefe Verlogenheit und Heuchelei des Chruschtschow gar nicht oft genug vor Augen führen!

Wie war der Zustand der kommunistischen Bewegung nach dem Sieg der Sowjetunion über den Faschismus?

In den Nachkriegsjahren bis zum Februar 1953 war die kommunistische Weltbewegung die geschlossenste, handlungsfähigste und siegeszuversichtlichste politische Kraft im Weltmaßstab.  Und das nicht etwa, weil alle kommunistischen Parteien „unter der Knute des Diktators in Moskau“ zu widerspruchsloser Gefolgschaft gezwungen gewesen wären, sondern weil die Kommunisten in der ganzen Welt wie nie zuvor von der Richtigkeit und Gerechtigkeit ihrer Sache überzeugt waren und von einer festen gemeinsamen theoretischen Grundlage aus handelten, dem Marxismus-Leninsmus, der sie zugleich in festem proletarischem Internationalismus verband.

Dieses Band lockerte sich nach Stalins Tod immer mehr, weil es durch verschiedene Ereignisse immer größeren Belastungen ausgesetzt wurde. Erste, aber nur punktuelle Belastungen stellten die groben Eingriffe der neuen Moskauer Führung in die Politik einzelner Bruderparteien dar:

– der im Frühjahr 1953 befohlene „neue Kurs“ in der DDR – (du kennst ja sicher meine Schilderung dessen in meinem Artikel zum 17. Juni in den Marxistischen Blättern 3/93),

– in Ungarn, ebenfalls 1953, das Verlangen, Imre Nagy zum Ministerpräsidenten einzusetzen. (S. dazu Anlage X, Bericht Rakosis, mir mitgeteilt in einem Brief des ungarischen Genossen und Historikers Ervin Rozsnyai).

– 1956 das Eingreifen in die innerparteilichen Auseinandersetzungen in der griechischen Partei zugunsten der Rechten mit dem Ergebnis der Absetzung des Generalsekretärs der Partei Zachariadis. (S. dazu Anlage XI, Bericht aus „Risospastis“, dem Zentralorgan der KP Griechenlands, für mich übersetzt von dem griechischen Genossen und Korrespondenten von „Risospastis“, Thanassis Georgiu.)

Diese Vorgänge blieben allerdings damals der breiten Öffentlichkeit unbekannt und hatten deshalb noch keine allgemeinen Auswirkungen.

– Dann, auch noch 1953, der „Fall Berija“. Er hat zwar Aufsehen erregt, wurde aber im allgemeinen als eine weitere, offenbar notwendige Säuberung empfunden, hat aber doch Zweifel und Fragen aufkommen lassen über die innere Festigkeit und Geschlossenheit der „kollektiven Führung“ in der Sowjetunion.

– Die Totalrehabilitierung Titos durch Chruschtschow 1955: das war eine echte, ernsthafte und schwere Belastung der bisherigen Geschlossenheit und ideologischen Einheit der kommunistischen Parteien und der Beginn der Entwicklung des Revisionismus zur Hauptgefahr für die kommunistische Bewegung. Damit wurden zugleich alle Parteien des Informationsbüros, die Titos Politik verurteilt hatten, schwer kompromittiert und wider besseren Wissens und gegen ihren Willen zu einem „Schuldeingeständnis“ und zum Widerruf ihrer früheren Beschuldigungen der Tito-Partei gegenüber gezwungen.

Damit nicht genug: da Tito damit zu einem Opfer, zu einem, der zu Unrecht ideologischer Abweichungen beschuldigt worden sei, gemacht wurde, mußten auch alle in den sozialistischen Ländern wegen Verbindungen zu Titos Partei und Verbreitung ihrer revisionistischen Thesen Beschuldigten und Verurteilten zu unschuldig Verfolgten und Verurteilten erklärt werden: war doch nun Tito  kein Revisionist mehr, und waren seine Lehren doch keine Abweichung vom Marxismus-Leninismus mehr!

Tito nutzte dies selbstverständlich sofort aus und verlangte am 27. Juli 1956 in einer Rede in Karlovac, „dass auch die Führer in Ungarn und in der Tschechoslowakei ihre gegenüber Jugoslawien begangenen Fehler bekennen, so wie dies die sowjetischen Führer anläßlich des Besuches der sowjetischen Staatsmänner in Jugoslawien getan haben.“ Er verlangte hierbei insbesondere eine Revision der seinerzeitigen Prozesse gegen Laszlo Raik vom September 1949 in Budapest, gegen Traitscho Kostoff vom Dezember 1949 in Sofia und Rudolf Slansky und Vladimir Clementis in Prag. (Archiv d. Gegenwart. 3. August 1955, in meiner Taubenfußchronik Bd.I  S. 54).

Damit wurden für die Verbreitung des Revisionismus in allen kommunistischen Parteien und in den sozialistischen Ländern die Tore weit geöffnet, und es wurden diejenigen, die rechtzeitig das getan hatten, was die Erklärung der Moskauer Beratung von 1960 gefordert hat, (s. o., S.18!) – wie Rakosi, Tscherwenko und Gottwald – als Verfolger und Mörder Unschuldiger diffamiert.

Und nicht nur das: die mit Tito abgeschlossene Vereinbarung wischte den  bislang gültigen auf Lenin zurückgehenden Grundsatz vom Tisch, dass jede kommunistische Partei allen anderen gegenüber verantwortlich und rechenschaftspflichtig ist, und ersetzte ihn durch den „nationalkommunistischen“ Grundsatz, jede Partei sei nur ihren eigenen Mitgliedern gegenüber verantwortlich. Du kennst ja diese „Belgrader Deklaration“ vom 2. 6. 1955, die von den Regierungschefs, also von Tito und Bulganin, unterzeichnet wurde, in der es heißt, beide Regierungen gingen von den Prinzipien der „gegenseitigen Achtung und Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten“ aus, weil „die Fragen der inneren Einrichtung, des Unterschiedes in den Gesellschaftssystemen und des Unterschiedes in den konkreten Formen der Entwicklung des Sozialismus ausschließlich Sache der Völker der eigenen Länder“ seien. (Handbuch der Verträge 1871-1964, Berlin 1968, S.606 f. Unterstr. von mir, K.G.)

Von dieser Erklärung ging die Zerstörung der Einheit der sozialistischen Länder und der kommunistischen Parteien in doppelter Weise aus:

Zum ersten, weil sie den Grundsatz des proletarischen Internationalismus durch „Nationalkommunismus“ ersetzte;

zweitens, weil sie grundverlogen war, denn von da an wirkten beide, Tito und Chruschtschow, – wie oben nachgewiesen – einzeln und gemeinsam durch dreiste Einmischung in die Angelegenheiten anderer sozialistischer Länder darauf hin, die Führungen und die Politik der anderen sozialistischen Länder nach ihren Wünschen umzugestalten.

Die dabei und auch schon vorher erzielten Erfolge – wie am 17. Juni 1953 in Deutschland, im Oktober-November 1956 in Ungarn, und 1968 in der CSSR – führten aber jedesmal dazu, dass die konterrevolutionären bürgerlichen Kräfte ihre Zeit für gekommen erachteten, durch die volle Restauration der alten Ordnung diese Länder auch dem Machtbereich der Sowjetunion zu entziehen und sie dem westlichen Block einzuverleiben. Das aber ließen jene Kräfte in der Führung der Sowjetunion nicht zu, die Tito in seiner Pula-Rede als Leute bezeichnete, „die noch stark auf stalinistischen Positionen stehen“, also jene, die noch fest auf dem Boden der Verteidigung des Sozialismus standen, und sie setzten durch, dass die Kräfte der offenen Konterrevolution durch das Eingreifen der Streitkräfte geschlagen wurden.

– Den brutalsten Schlag gegen die Einheit und Geschlossenheit des sozialistischen Lagers führte die Chruschtschow-Führung jedoch 1956 auf dem XX. Parteitag, vor allem durch die „Geheimrede“ und deren merkwürdige Verbreitung.

Eine der Folgen war, daß nach diesem Parteitag der Führer der KPdSU zum ersten Mal für seine Parteitagsrede öffentliche Kritik von Führern anderer kommunistischer Parteien erfuhr.

Zum ersten Mal auch wurde die Führungsrolle der KPdSU und der Sowjetunion für die gesamte kommunistische Bewegung von Führern anderer Parteien dieser Bewegung in Frage gestellt – siehe Togliattis „Polyzentrismus“-Verkündung.

Ein weiteres – von den Revisionisten durchaus beabsichtigtes, gewolltes Ergebnis: die Ausbreitung von Zweifel in den kommunistischen Parteien an der Richtigkeit des Weges der Sowjetunion seit Lenins Tod. Man fing an, nicht mehr von dem von der Sowjetunion gewiesenen Weg zum Aufbau des Sozialismus durch die Diktatur des Proletariats zu sprechen, sondern vom „sowjetischen Modell“, das nur in einem rückständigen Land wie Rußland habe entstehen können und für andere, entwickeltere Länder keine Gültigkeit haben könne.

Es kam die Rede auf vom „Sozialismus in den nationalen Farben“, es entstand der sogenannte „Eurokommunismus“ als eine „zivilisierte“ Form des Sozialismus, es wird die Phrase vom „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ zur Diskreditierung des sowjetischen „Modells“ erfunden.

Hinter all den wohlklingenden Worten vollzieht sich als trauriger, verhängnisvoller, aber von den Revisionisten – und ihren imperialistischen Ideengebern vom Schlage eines Brzezinski – gewollter und vorangetriebener Prozess: der Zerfall der vor kurzem noch so starken, siegesbewußten und von vielen Völkern mit so großer Hoffnung und Sympathie betrachteten kommunistischen Bewegung und der Welt des Sozialismus.

In deinem Brief an mich stellst du – ich habe es schon zitiert – die für einen Marxisten selbstverständliche Frage nach dem sozialen Boden einer ideologischen Deformation dieses Ausmaßes, und auch die Frage danach, wie es zu einem so verbreiteten neuen Revisionismus hatte kommen können. Und natürlich habe ich mir diese Frage auch gestellt. Ich lasse meinen Versuch einer Erklärung – aus einem Vortrag von 2002 – folgen:

„Die Zentralfrage: Wie konnte der revisionistische Umsturz gelingen?

Als Marxisten wissen wir: Nicht „Männer machen die Geschichte“. Auch nicht die Chruschtschows und die Gorbatschows.

Wenn wir nachweisen, dass Chruschtschow und Gorbatschow bewusst auf die Zerstörung des Sozialismus hingearbeitet haben und ihr Ziel erreichten, ist erst ein allererster Anfang zur Beantwortung dieser Frage gemacht.

Jetzt kommt erst die viel schwierigere Frage, die eigentliche Zentralfrage: Wieso konnten Agenten des Imperialismus die von Lenin und Stalin erzogene Partei und das von Lenin und Stalin erzogene Volk zur Hinnahme einer revisionistischen, den Kapitalismus restaurierenden Politik bringen?

Eine befriedigende Antwort darauf setzt umfassende Untersuchungen und Nachforschungen voraus.

Im Einzelnen stellen sich viele Fragen:

Die für Marxisten naheliegendste Vermutung ist, die revisionistische Politik Chruschtschows und Gorbatschows sei Ausdruck der Interessen bestimmter Schichten der sowjetischen Gesellschaft gewesen, deren Repräsentanten die beiden dargestellt hätten.

Der moderne Revisionismus ist nach einer solchen Auffassung also genauso wie der alte Revisionismus der sozialdemokratischen Parteien von unten, aus der kommunistischen Bewegung und der sozialistischen Gesellschaft, als Interessenausdruck bestimmter ihrer Schichten, herausgewachsen.

Einer solchen Auffassung kann ich mich nicht anschließen.

Wohl gab es in der Sowjetgesellschaft und in den sozialistischen Ländern besonders in der Schicht der Intellektuellen, und hier besonders unter den Diplomaten, Außenhändlern, unter Künstlern und Journalisten, Leute, die vom Reichtum und der „Freiheit“ des Westens fasziniert waren und sich wünschten, Solches auch in der Sowjetunion genießen zu können. Aber nicht sie waren es, die solche Sehnsüchte zu einem System des modernen Revisionismus ausbauten. Dieses System ist  in seiner ursprünglichen Rohfassung von dem zum Renegaten gewordenen ehemaligen Generalsekretär der KP der USA, Browder, 1942 entwickelt und mit Hilfe des Allan-Dulles-Mitarbeiters Noel Field  über die kommunistischen Emigranten in der Schweiz in die verschiedenen kommunistischen Parteien hineingetragen worden, und ist dann in der KP Jugoslawiens und bei ihrem Führer Tito auf  besonders fruchtbaren Boden gefallen. Von dorther wurde er von Titos Bruder im Geiste, Chruschtschow, also von oben, in die Sowjetunion importiert und in die herrschende marxistisch-leninistische Lehre hineingemixt.  Er ist also kein originäres Gewächs aus dem Boden der Sowjetgesellschaft. (Diese Feststellungen, lieber Robert, sind nicht „Verschwörungstheorie“, sondern von mir in meiner Schrift „Die Ursprünge des modernen Revisionismus“ im Einzelnen nachgewiesene Tatsachen.)

Warum aber hatten Chruschtschow und Gorbatschow mit ihrer Politik so katastrophalen Erfolg?

Ich möchte hier einige Bedingungen aufzählen, die mir dafür entscheidend gewesen zu sein scheinen:

1. Sie haben ihre wahren Ziele nicht aufgedeckt, sondern sich mit Nachdruck als treue Schüler Lenins und als Fortführer und Vollender seines Werkes ausgegeben. Dass sie das tun mussten, beweist, dass das Volk in seiner überwältigenden Mehrheit an der Sowjetordnung festhalten wollte. Chruschtschow hat – um seinen Revisionismus zu verschleiern und seine Politik als Festhalten am Leninismus glaubhaft zu machen – den Leninisten Stalin zum Abtrünnigen vom Leninismus erklärt und sich damit zugleich die Möglichkeit geschaffen, seine leninistischen Gegner Molotow, Malenkow, Kaganowitsch und andere als „Stalinisten“ und „Parteifeinde“ in Verruf zu bringen und damit als Gegner unschädlich zu machen.

2. Chruschtschows Kritik am sogenannten Personenkult wurde besonders in Intellektuellenkreisen, aber nicht nur dort, als berechtigt und zeitgemäß begrüßt, weil damit wirklich vorhandene negative Züge offen angesprochen wurden: eine übertriebene Herausstellung der Rolle und Verdienste Stalins. Das große Ansehen Stalins im Volke und das unbegrenzte Vertrauen, das ihm in allen Teilen des Riesenlandes entgegengebracht wurde, war nicht „verordnet“ worden, sondern gewachsen als Frucht dessen, dass er in all den schwierigen Zeiten und in den heftigen Auseinandersetzungen mit den verschiedenen Oppositionsrichtungen mit überzeugenden Argumenten Leninsche Positionen verteidigt und die Wege gewiesen hatte, die zum Erfolg geführt hatten.

Dies und die Notwendigkeit, angesichts der ständigen Bedrohung des Sowjetlandes zuerst durch das faschistische Deutschland und dann durch das atombewaffnete US-Amerika die Geschlossenheit der Sowjetgesellschaft und die Einheit von Volk und Führung nicht gefährden zu lassen, hatten den Boden dafür bereitet, dass die durchaus berechtigte Verehrung Stalins Züge kultischer Verehrung einer unfehlbaren Persönlichkeit annahm, der alle Erfolge des Landes als persönliches Verdienst zugeschrieben wurden und deren Worte schon deshalb richtig und unanfechtbar waren, weil sie von ihr kamen. Damit Schluss zu machen, um wieder eine normale Atmosphäre im Umgang mit der Führung innerhalb der Partei und in der ganzen Gesellschaft herzustellen, wäre in der Tat notwendig gewesen.

Aber nicht das bezweckte Chruschtschow mit seiner Kritik und Verurteilung des „Kultes um Stalin.“ Vielmehr nutzte er dieses eingeschliffene Verhalten, – alles, was von der Führung kam, als Offenbarung der Wahrheit hinzunehmen – , nun dazu aus, um an die Stelle Stalins selbst als derjenige zu treten, von dem die Wahrheit kommt, an der nicht zu zweifeln ist; und er beseitigte keineswegs den Stalin-Kult, sondern behielt ihn bei, aber stülpte ihn um, ersetzte das Plus-Vorzeichen durch ein Minus-Vorzeichen. Hatte es bisher geheißen: Alle unsere Erfolge und Siege verdanken wir Stalin, so hieß es jetzt: Alle Erfolge und Siege wurden trotz und gegen Stalin errungen. Dieser umgestülpte Stalin-Kult war der für die Sowjetunion wirklich lebensgefährliche.“

Ich füge hier in meinen alten Text ein: erstens: wenn heute in Geschichtsbüchern in der russischen Schule zu lesen ist – (s. Junge Welt v. 27. Juli 05, Artikel: Der Aufstieg der Skins in Rußland), dass der Sieg der Roten Armee über den Faschismus ein Unglück war, da er zur Errichtung prosowjetischer Regimes in Osteuropa führte; und wenn heute russische Skins erklären, dass Hitler besser war als Stalin, und Hitler recht hatte – dann wurde der Grund für eine solch schreckliche ideologische Vergiftung russischer Jugendlicher gelegt mit der von Chruschtschow begonnenen, von Gorbatschow noch weiter gesteigerten Verteufelung Stalins,  die folgerichtig – denn Antistalinismus war und ist seinem Wesen nach Anti-Leninismus, Anti-Marxismus und Antikommunismus – von Jakowlew auch auf Lenin und den Kommunismus überhaupt ausgedehnt wurde. Und eine Grundlegung dafür sind auch Erklärungen wie diese: alle Erfolge der Sowjetunion seien trotz Stalin zustande gekommen, Stalin habe Hitler vertraut, und Stalin habe mehr Kommunisten umbringen lassen als Hitler. Ende der Zwischenbemerkung, weiter im zitierten Text zur „Zentralfrage“:

3. Chruschtschow und seine Gefolgsleute in der Führung knüpften geschickt an die Hoffnungen und berechtigten Erwartungen der Menschen in der Sowjetunion an, nach den unsagbar schweren Jahren des Krieges und der Entbehrungen die Früchte der Mühen, der Opfer und des Sieges zu ernten: Dauerhaften Frieden, ein Ende der Entbehrungen, Wiedergewinnung des Vorkriegswohlstandes und seine fühlbare rasche Steigerung.

Chruschtschow versprach, durch einen grundlegenden Wandel in der Außenpolitik, durch den Übergang von Stalins Politik der Konfrontation zu einer Politik der Entspannung vor allem mit den USA, den Frieden sicher und dauerhaft zu machen. Mit dieser Begründung ersetzte Chruschtschow die bisherige Praxis der Festlegung des außenpolitischen Kurses durch das Kollektiv der Parteiführung  und dessen konkrete Ausgestaltung durch den dafür zuständigen Minister und seine Mitarbeiter durch die von ihm zur Dauereinrichtung gemachten „Gipfeldiplomatie“, also durch Treffen Chruschtschows und seiner engsten Vertrauten mit den imperialistischen Staatsoberhäuptern, vor allem mit dem jeweiligen Präsidenten der USA und dessen Beratern. Auf diese Weise wurde die Außenpolitik der Sowjetunion zu einer Sache der Geheimdiplomatie, wurde immer mehr nicht mehr von der Partei, sondern von einem einzigen Mann und dessen Klüngel bestimmt; die Rolle der Parteiführung wurde im gleichen Maße darauf reduziert, nachträglich die in den Gesprächen Chruschtschows mit den imperialistischen Oberhäuptern ausgehandelten Maßnahmen und außenpolitischen Schritte zu sanktionieren. Auf diese Weise wurde Stalins Politik des Kampfes gegen den Imperialismus ersetzt durch eine Politik der heimlichen Komplizenschaft mit dem und der Vertrauenswerbung im Sowjetvolk für den Imperialismus. Nach außen hin gebärdete sich Chruschtschow jedoch fürs Volk ab und zu in gespielten Wutausbrüchen – wie in der nur peinlichen und die Sowjetunion nur diskreditierenden Szene in der UNO, als er sich den Schuh auszog und damit wie ein Rasender auf den Tisch klopfte – als entschlossenen Kämpfer gegen den Imperialismus. Sein Schwiegersohn Adshubaj, den er zum Chefreakteur des Regierungsorgans „Iswestija“ gemacht hatte, bejubelte damals diese unwürdige Szene als eine „revolutionäre Aktion“ Chruschtschows.

Chruschtschow und die Seinen versprachen ferner, in kurzer Zeit die Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern nicht nur an das Niveau der fortgeschrittenen kapitalistischen  Staaten heranzuführen, sondern dieses zu übertreffen: die jetzt lebende Generation werde im Kommunismus leben!

Der Getreidemangel werde der Vergangenheit angehören, die Getreidefrage werde in kürzester Zeit ein für allemal gelöst sein!

Das, was sie an Maßnahmen zur Einlösung dieser Versprechen vorschlugen und veranlassten, zeichnete sich dadurch aus, dass sie scheinbar dem Erreichen der genannten Ziele dienten, in Wirklichkeit aber die wirtschaftlichen und politischen Grundlagen der sozialistischen Ordnung  untergraben mussten, indem sie grob gegen die ökonomischen Gesetze verstießen; zugleich waren diese Maßnahmen immer mit Erklärungen verknüpft, die darauf abzielten, die in der Vergangenheit unter der Führung Stalins durchgeführte erfolgreiche Innenpolitik als falsch und von unnötiger Härte in Misskredit  zu bringen. Und schließlich zielten viele dieser Maßnahmen auch darauf, das sozialistische Bewusstsein der Menschen aufzuweichen, die Sehnsucht nach einem ruhigen, kampflosen Kleinbürgerdasein zu wecken.

Ich will nur zwei Beispielen anführen: die „neue Wirtschaftpolitik“ und die Aktion „Neulandgewinnung“.

Der Aufstieg der Sowjetunion zur zweitgrößten Industriemacht nach den USA war nur möglich gewesen, weil das entscheidende ökonomische Gesetz zur Sicherung der erweiterten Reproduktion, das raschere Wachstum der Abteilung I, also der Produktion von Produktionsmitteln, gegenüber der Abteilung II, der Produktion von Konsumgütern, eisern eingehalten wurde.

Mit der Begründung, die rasche Steigerung der Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern zu gewährleisten, kehrte Chruschtschow die Proportionen zwischen den Abteilungen I und II nahezu um und schwächte damit die Akkumulationskraft der Wirtschaft und legte den Grund für eine nicht besser, sondern immer schlechter werdende Versorgung der Wirtschaft mit Produktionsmitteln und der Bevölkerung mit Konsumgütern.

Was die Landwirtschaft betrifft, setzte Chruschtschow mit der Begründung, mit dem Getreidemangel endgültig Schluss zu machen, gegen den Widerstand von Agrarfachleuten und Mitgliedern des Politbüros, wie Molotow, den Beschluss über die Neulandgewinnung in Kasachstan durch.

Die Fachleute und Molotow wandten sich gegen diesen Plan, weil er riesige Mittel verschlingen, aber keineswegs den Getreidemangel beheben würde, da die klimatischen Verhältnisse in Kasachstan eine Garantie nur für Missernten geben würde, und weil man mit einem viel geringeren Aufwand eine sichere Steigerung der Ernteerträge bis zum Doppelten erreichen könne, wenn man in den bereits erschlossenen Anbaugebieten die Anbaumethoden verbessern und auf das Niveau der mittel- und westeuropäischen Landwirtschaft bringen würde. Sie behielten natürlich recht, und das Ergebnis der Chruschtschowschen „Neulandgewinnung“ war, dass die Sowjetunion in einem vorher nie gekannten Maße von Getreideeinfuhren aus Amerika und Kanada abhängig wurde. Aber zunächst verschaffte sich die Chruschtschow-Führungsgruppe damit den Ruf, revolutionäre Vorhaben zur Verbesserung des Lebens der Sowjetbürger  kühn in Angriff zu nehmen

Die negativen Auswirkungen zeigten sich erst mehrere Jahre später, dann aber führten sie zusammen mit anderen Auswirkungen der Diversionspolitik Chruschtschows zu einer wachsenden Unzufriedenheit der Bevölkerung, die einer der Gründe für seine – viel zu späte! – Absetzung im Oktober 1964 wurde.

4. Chruschtschow verpackte auf dem XX. Parteitag die Kursänderung in Richtung Revisionismus so geschickt in ein Paket der gewohnten und vertrauten Darlegungen der inneren und äußeren Lage und der sich daraus ergebenden Aufgaben, dass selbst der Mehrzahl der Delegierten und der ZK-Mitglieder  nicht bewusst geworden sein dürfte, dass hier ein Bruch mit dem Leninismus vollzogen wurde – wollen das doch bis zum heutigen Tage sogar viele Führer und Funktionäre kommunistischer Parteien, auch in Deutschland und Österreich, nicht wahrhaben!

5. Aber diese Methode des heimlichen, unbemerkten Einschleusens revisionistischer, konterrevolutionärer Konterbande genügte nicht. Die wirkliche Lehre Lenins und ihre Verwirklichung in der Praxis des Aufbaus des Sozialismus in der Sowjetunion durch Lenin und Stalin waren und sind ein Maßstab, an dem auch künftig jeder sozialistische Politiker gemessen werden kann und muss. Dieser Maßstab durfte nicht mehr gültig bleiben, wenn Chruschtschow und seine Gruppe verhindern wollten an ihm gemessen zu werden, und sie mussten das verhindern. Dieser Maßstab musste  zwar, soweit es die Lehre Lenins betraf, formal anerkannt bleiben, ja, auf ihn musste man sich immer berufen, aber sein konkreter Inhalt musste möglichst weit  in den Hintergrund gedrängt und dem Vergessen überlassen werden. Da der Maßstab des Leninismus aber in den Jahren nach Lenins Tod in der Politik Stalins seinen lebendigen Ausdruck und im „Kurzen Lehrgang der Geschichte der KPdSU“ seinen jederzeit nachlesbaren Niederschlag gefunden hatte, musste der Stalinschen Politik ihr Maßstab- und Vorbild-Charakter genommen und in sein Gegenteil verkehrt werden. Stalin musste zu einer unzitierbaren Unperson und der „Kurze Lehrgang“ musste als „stalinistisches Machwerk“ auf den Index gesetzt werden.

Die Schwärzung Stalins und seines Werkes war eine unverzichtbare Vorbedingung für das Gelingen der Demontage des Sozialismus in der Sowjetunion. Nur in dem Maße, in dem diese Schwärzung vom Volke als berechtigt geglaubt und akzeptiert werden würde, konnte ein Widerstand von unten gegen eine Politik, die von der bisherigen grundsätzlich abwich, vermieden bzw. gelähmt werden.

6. Stalins Autorität war jedoch – besonders nach dem so schwer errungenen, aber umso triumphaleren Sieg über die faschistische Bestie, so groß, dass es der äußersten Mittel bedurfte, sie zu erschüttern oder gar ganz zu zerstören.

Welches Mittel zur Vernichtung des Rufes eines Menschen könnte aber stärker sein, als ihn des massenhaften Mordes an Unschuldigen aus niedrigsten Motiven des puren persönlichen Machterhaltes zu beschuldigen? Keines, und deshalb wurde es von Chruschtschow zur Zerstörung der Autorität Stalins benutzt.

In einem Überrumpelungsakt zwang er dem XX. Parteitag nach dessen offizieller Beendigung und entgegen kollektiv gefassten Beschlüssen der Parteiführung eine Sondersitzung auf mit dem in der Tagesordnung überhaupt nicht vorgesehenen „Bericht über den Personenkult Stalins“, der alsbald von den westlichen Medien in sensationeller Aufmachung veröffentlicht wurde, von der KPdSU aber bis in die Zeiten Gorbatschows nie als offizielles Parteidokument anerkannt worden ist.

Chruschtschows Bericht war nicht deshalb ein Verbrechen an der Partei und der Sowjetmacht, weil er bisher kaum oder nur unvollständig bekannte Tatsachen über unschuldige Opfer der  „Säuberungen“ der Jahre 1936-39 zur Sprache brachte, sondern weil er in seiner sogenannten „Geheimrede“ in vielen Passagen eine ungeheuerliche Fälschung der Geschichte der Sowjetunion beging; auch, – aber keineswegs nur – damit, dass er die Prozesse und die „Säuberungen“, die von der gesamten Parteiführung beschlossen und getragen wurden, allein Stalin als dessen persönliche Willkürakte zuschrieb.

„Ja“ oder „Jein“ zur Revolution?

An dieser Stelle ein Wort zu deiner Bemerkung in deinem Brief, in der du sagst, bei dem Schaden, den die Enthüllungen des XX. Parteitages angerichtet hätten, dürfe man Ursache und Wirkung nicht verwechseln, um dann wörtlich fortzufahren: „Haben die kritisierten Untaten oder deren Kritik der Partei geschadet?“

Ich antworte dir auf diese Frage mit einer Passage aus meinem Nachwort zu einem demnächst erscheinenden Hacks- Buch „Am Ende verstehen sie es“:

„Die Entdeckung des Peter Hacks als eines zweiten „parteilosen Kommunisten“ neben Bert Brecht in der Zunft der „Stücke- und Gedichte-Schreiber“ blieb nicht meine einzige Überraschung. Noch überraschender war für mich eine weitere Entdeckung, nämlich die, dass  Hacks von beiden derjenige war, der aus den Symptomen, die in der kommunistischen Bewegung nach Stalins Tod mit dem XX. Parteitag sichtbar wurden, erkannte, dass sie in der Führung von der Krankheit des Opportunismus, des „modernen Revisionismus“ befallen war, während Brecht die gleichen Symptome als Zeichen zunehmender Gesundheit verkannte.

In den dreißiger Jahren hatte Brecht entschieden und überzeugend die Sowjetunion gegen die Angriffe eines André Gide und anderer verteidigt, und er hatte noch im April 1953 zu Stalins Tod geschrieben: „Den Unterdrückten von fünf Erdteilen, denen, die sich schon befreit haben, und allen, die für den Weltfrieden kämpfen, muß der Herzschlag gestockt haben, als sie hörten, Stalin ist tot. Er war die Verkörperung ihrer Hoffnung. Aber die geistigen und materiellen Waffen, die er herstellte, sind da, und da ist die Lehre, neue herzustellen.”[4]

Doch 1956, beeindruckt von Chruschtschows handstreichartiger verleumderischer und verlogener „Geheimrede“ zur Verdammung Stalins auf dem XX. Parteitag, schrieb er das folgende Gedicht:

Der Zar hat mit ihnen gesprochen / mit Gewehr und Peitsche
Am blutigen Sonntag. Dann / sprach zu ihnen mit Gewehr und Peitsche
Alle Tage der Woche, alle Werktage / der verdiente Mörder des Volkes.
Die Sonne der Völker / verbrannte ihre Arbeiter
Der größte Gelehrte der Welt / hatte das kommunistische Manifest vergessen.
Der genialste Schüler Lenins / hat ihn aufs Maul geschlagen.
Aber jung war er tüchtig / aber alt war er grausam
Jung / war er nicht Gott
Der zum Gott wird / wird dumm.

Dieses Brecht-Gedicht schickte mir 1998 Manfred Weckwerth, nachdem er meinen Artikel “Die Überwindung des Anti-Stalinismus – eine wichtige Voraussetzung für die Wiederherstellung der kommunistischen Bewegung als einer einheitlichen marxistisch-leninistischen Bewegung“  gelesen hatte, mit der Bemerkung: „Das ist Brechts Meinung zu Stalin. Bitte berufe Dich nicht auf ihn, wenn Du meinst, Stalin verteidigen zu müssen.“

Als ich das in einem Brief an Peter Hacks erwähnte, schrieb er mir, Brecht sei in seiner Gegenwart über die Chruschtschow-Rede „in fast hysterische Begeisterung geraten“. (Brief v. 31.12.98)

Brechts oben zitiertes Gedicht ist in der Tat der in wenige Zeilen zusammengefasste giftigste Kern von Chruschtschows Stalin-Verdammungsrede. Er, Brecht, den alle Kommunisten so schätzen und verehren als den unversöhnlichen Feind der Ausbeuter und deren Ruhmredner und als den ebenso klugen wie leidenschaftlichen Verteidiger der kommunistischen Sache – Brecht erkannte nicht, was der US-Außenminister John Foster Dulles sehr klar erkannt und triumphierend ausgesprochen hat, als er am 11. Juli 1956 in einer Rede voller Zuversicht voraussagte, „Die Anti-Stalin Kampagne und ihr Liberalisierungsprogramm haben eine Kettenreaktion ausgelöst, die auf lange Sicht nicht aufzuhalten ist.“[5]

Hacksens Briefe an André Müller und seine im vorliegenden Buch veröffentlichten Arbeiten legen Zeugnis davon ab, dass sein Gespür für der guten kommunistischen Sache fremde, ihr schädliche und sie unterminierende Einflüsse hochgradig entwickelt war. Seine gereimte Antwort auf Chruschtschows Stalin-Verteufelung in einem seiner Jetztzeit-Gedichte, überschrieben: „Denkmal für ein Denkmal“, geht so:

Er blickt sehr würdig, seiner / sehr sicher auf die Stadt
Unangestrengt wie einer, / der sie gerettet hat.
Der plumpe Narr Nikita / zog ihn aus dem Betrieb
Er tat es seinem Gebieter / in Washington zulieb.[6]

Zur Rolle Stalins und seiner Nachfolger korrigierte Hacks die Feststellung eines ihn interviewenden “junge Welt“-Journalisten, der ihm gesagt hatte: „Den Beginn der Niedergangsepoche beschrieben Sie mit Ulbrichts Verschwinden aus der Politik“ sarkastisch mit dem kurzen Satz: „Jeder, außer der jungen Welt, weiß, daß der Niedergang mit Stalins Tod begann.“[7]

Wie wird wohl nach der sicher kommenden „Wende“, die der Konterrevolution ihr Ende bereiten wird, die Antwort der Nachwelt auf die Frage ausfallen, welcher von beiden  – Brecht oder Hacks – die Rolle Stalins und Chruschtschows richtig bewertet hat? Die Antwort darauf kann für mich nicht fraglich sein. Hacks beurteilte Stalin nach dessen Lebensleistung als Führer der Sowjetmacht im Kampf um deren Behauptung gegen den Würgegriff des Imperialismus und im Entscheidungskampf des 20. Jahrhunderts, bei  der Zerschmetterung des deutschen Faschismus. Brecht beurteilt ihn 1956 danach, ob er zuließ oder verhinderte, dass bei diesem Kampf auf Leben und Tod des Sozialismus auch Unschuldige als Schuldige angesehen und verurteilt wurden.

Hacks nimmt zu Stalin den Standpunkt ein, den alle fortschrittlichen Freunde der französischen Revolution gegenüber Robespierre einnehmen: Wer zur Revolution Ja sagt, muß sie als Ganzes bejahen. Wer nur ihre Siege bejaht, aber den Kampf, der zu diesen Siegen führte, nur zum Teil, andere Teile aber als Verbrechen verurteilt, urteilt als Moralist, nicht als Revolutionär.

Laß mich dem noch einen Gedanken hinzufügen. Ich lese bei dir und anderen Genossen der DKP immer wieder: wenn die Partei wieder Vertrauen in der Bevölkerung, und ganz besonders in der Jugend, gewinnen wolle, dann dürfe sie über die „Verbrechen, die unter Stalin in der Sowjetunion begangen wurden“, nicht schweigen.

Nun besteht ja zwischen einer objektiven Darstellung der Rolle Stalins, die auch über die zahlreichen unschuldigen Opfer der zur Sicherung der Sowjetmacht durchgeführten „Säuberungen“, nicht schweigt, und der in gewissen kommunistischen Parteien üblichen Praxis, von Stalin fast ausschließlich nur im Zusammenhang mit „Verbrechen“ zu sprechen oder zu schreiben, ein gewaltiger Unterschied.

Seit dem XX. Parteitag, und erst recht nach dem Sieg der Konterrevolution, reden führende Funktionäre mancher kommunistischer Parteien, – auch in der DKP – unentwegt von den „Verbrechen Stalins“. Wenn das wirklich vertrauensbildend wäre, dann müssten jene kommunistischen Parteien, in denen das besonders intensiv gepflegt wird und die sich – in Worten! – von „stalinistischen Methoden“ besonders nachdrücklich distanzieren, – wie die auf den Hund gekommene KP Frankreichs und die auf den Baier gekommene KP Österreichs, – von allen kommunistischen Parteien jene sein, die den größten Massseneinfluß und besonders starke Anhang unter der Jugend haben.

Das Gegenteil ist aber, wie wir beide wissen, der Fall. In Europa sind gerade jene kommunistischen Parteien die stabilsten und am meisten in den Massen verankerten, die bei den erstgenannten unter „Stalinismusverdacht“ stehen – die Kommunistische Partei Portugals und die KKE, die Kommunistische Partei Griechenlands.

Ist das nicht ein Grund zum Nachdenken? Und sollte man in der DKP nicht die eigene Position der freundschaftlichen Nähe zu KPF und KPÖ und der kühlen Distanz zur KP Portugals und zur KKE einmal auf ihre Gründe und deren Berechtigung überprüfen?

Die Bedeutung des XX. Parteitags für den Niedergang der Sowjetunion

Bevor ich diesen schon längst überlangen Brief abschließe, drängt es mich doch, noch auf eine Bemerkung in deinem Brief  zu antworten.  Du meintest: „Es wird der Vorwurf erhoben, der XX. Parteitag sei ein Akt der Konterrevolution gewesen, durchgeführt von revisionistischen Kräften … Diese Argumentation zerbricht an ihrer inneren Widersprüchlichkeit. Wenn es möglich war, dass innerhalb von drei Jahren (nach Stalins Tod…) eine solche Partei und der durch sie geprägte Staat durch einen solchen Parteitag konterrevolutionär überrumpelt werden konnte, so war diese Partei schon vorher nicht mehr das, wofür ihre Verteidiger sie halten. Dann hat der Zersetzungsprozess der Partei nicht erst 1956 begonnen.“

Dieser Einwand ist berechtigt, wenn er gegen Leute wie etwa die MLPD’ler oder die Anhänger der Aust-KPDen erhoben wird, die behaupten, mit dem XX. Parteitag habe die Sowjetunion aufgehört, ein sozialistischer Staat zu sein.

Er geht aber völlig fehl, wenn er gegen Leute wie mich gerichtet ist, also auf solche, die feststellen, dass Chruschtschow mit der verlogenen Behauptung, er werde die von Stalin gröblichst verletzten Leninschen Normen wiederherstellen, seine Kursänderung so gut kaschiert hat, dass die Mehrheit der Kommunisten der Parteien des Warschauer Paktes diese Kursänderung weg von Lenin und hin zum modernen Revisionismus gar nicht bemerkt hat und viele von ihnen dies bis heute – trotz vorgelegter Beweise – nicht wahrhaben wollen.

Wie sehr du mit einem solchen Einwand, an meine Adresse gerichtet, fehlgehst, magst du aus den folgenden Auszügen aus einem von mir im November 1994 an den MLPD-Funktionär Briese gerichteten Brief ersehen; ihm schrieb ich damals:

„Darüber, dass mit Chruschtschow ein Exponent des modernen Revisionismus sich an die Spitze der KPdSU gemogelt hat, dessen Ziel die Restauration des Kapitalismus war, gibt es zwischen uns keine Meinungsverschiedenheiten. … dessen war ich mir sicher nach der ungarischen Konterrevolution vom Herbst 1956. Aber genau so sicher war ich mir auch, dass die Chruschschow-Clique nicht die ganze KPdSU war; Chruschtschows Machterschleichung bedeutete eine große Gefahr für den Sozialismus, aber noch keineswegs die Liquidierung des Sozialismus und die Umwandlung der Sowjetunion in einen kapitalistischen Staat.

Eure gegenteilige Behauptung steht im Widerspruch zu den Tatsachen, ist deshalb auch theoretisch unhaltbar und hat die verhängnisvollsten Folgen für Eure Position im Klassenkampf. Diese Eure Position wirft überdies Fragen auf, auf die Ihr eine überzeugende Antwort schuldig bleiben müsst. Nach Eurer Ansicht genügt ein Personenwechsel an der Spitze und ein Parteitag, um die Ergebnisse der bisher gewaltigsten Revolution der Menschheitsgeschichte von 36 Jahren Sowjetmacht zunichte zu machen.

Wenn ich das für möglich halten soll, dann muss ich entweder an Wunder glauben, oder aber ich muss annehmen, dass der Sozialismus vor dem 20. Parteitag bereits so unterminiert war, dass er quasi über Nacht ohne jedwede konterrevolutionäre Gewaltanwendung weggepustet werden konnte. Dann wäre aber der Beginn der restaurativen Entwicklung nicht erst beim 20. Parteitag und bei Chruschtschow anzusetzen, sondern schon – wie das die Trotzkisten seit eh und je tun – bei Stalin.

Das wollt Ihr nicht, und das zu recht. Aber dadurch geratet Ihr in eine Art Erklärungsnotstand. Den versucht Ihr zu überbrücken mit der Feststellung, Stalin habe einen großen Fehler gemacht: er habe die ideologische Arbeit vernachlässigt und nicht stark genug gegen die Bürokratie gekämpft. Damit habe er zugelassen, dass in Gestalt der “Bürokratie neuen Typs” eine neue Bourgeoisie entstanden sei, die auf dem 20. Parteitag die Macht usurpiert und die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion durchgesetzt habe. Seitdem sei die Sowjetunion – und seien alle mit ihr verbündeten Länder des RGW und des Warschauer Paktes – keine sozialistischen Länder mehr gewesen, sondern Staaten eines neuen Typs von Kapitalismus, des “bürokratischen Kapitalismus”. Dies ist die Lehre, die Euer Klassiker Willi Dickhut verkündet hat, und die für Euch gewissermaßen das Herzstück Eures besonderen Parteiverständnisses ist.

Aber lange vor Willi Dickhut haben die Trotzkisten in der “Sowjetbürokratie” die neuen Kapitalistenklasse “entdeckt”. Die fatalste Konsequenz dieser Eurer Position ist es, dass Ihr dank dieser “Lehre” in einer Front mit dem Trotzkismus und dem Imperialismus im Kampf gegen die Sowjetunion und die sozialistischen Länder standet.

Recht haben alle, die im 20. Parteitag einen Wendepunkt sehen, jenen Punkt, an dem die Abwendung der KPdSU vom Marxismus-Leninismus und ihre Hinwendung zum Revisionismus in wichtigen Fragen der Ideologie und der praktischen Politik offiziell sanktioniert wurde. Zutiefst Unrecht haben aber jene, die diesen Wendepunkt mit der Verwandlung der Sowjetunion und auch noch gleich fast aller sozialistischen Staaten in kapitalistische Staaten gleichsetzen. Nach Stalins Tod und der Übernahme der Parteiführung durch Chruschtschow setzten die Chruschtschow-Revisionisten einen Prozess der Denaturierung des Sozialismus, der Untergrabung seiner Fundamente, in Gang, in dem die Voraussetzungen dafür geschaffen werden sollten und in begrenztem Maße auch geschaffen wurden, um in einer zweiten Phase dieses Prozesses zur direkten Zerstörung des Sowjetsystems und zu seiner Überleitung in die Restaurierung des Kapitalismus übergehen zu können. Dieser Prozess durchlief verschiedene Phasen, sein Ausgang stand keineswegs von Anfang an fest.

Wenn ich sehe, was bei Euch aus der richtigen Erkenntnis, dass es sich bei Chruschtschow und seiner Richtung um Revisionismus handelt, geworden ist, dann fallen mir Lenins Worte aus dem “Radikalismus” ein: Man kann “jede Wahrheit, wenn man sie ´exorbitant´ macht, …wenn man sie übertreibt, wenn man sie über die Grenze ihrer wirklichen Anwendbarkeit hinaus ausdehnt, ad absurdum führen, ja sie wird unter diesen Umständen unvermeidlich absurd.” (Lenin, Werke, Bd. 31, Berlin 1959, S. 47 f.)

Euer Kurzschluss, dass es genügt, wenn es einem als Leninisten getarnten Revisionisten und seiner Clique gelingt, Positionen in der Spitze von Partei und Staat zu besetzen, um aus der sozialistischen Sowjetunion einen kapitalistischen Staat zu machen, ist eine solche “exorbitante” Übertreibung. Sie konnte nur entstehen, weil der Wahrheitsgehalt dieser Schlussfolgerung nicht an der Realität überprüft wurde, und sie kann sich nur halten, weil und solange die Wirklichkeit so zurecht gestutzt wird, dass sie in das vorgegebene Schema passt, wie am Beispiel des Kossygin-Zitats und seiner Kommentierung exemplarisch gezeigt wurde.

Nur mit einem wirklichkeitsfremden, undialektischen Schablonendenken kann man für möglich halten, dass gewissermaßen über Nacht, von heut auf morgen, aus der Partei Lenins, aus der kommunistischen Partei der Sowjetunion eine Partei der Wiederherstellung des Kapitalismus geworden sein könnte; aus der Roten Armee ebenso schnell ein imperialistische Eroberungarmee geworden ist (mit den gleichen Mannschaften und den gleichen Kommandeuren!); aus den erprobten kommunistischen Arbeiterführern, wie Wilhelm Pieck, Maurice Thorez, Palmiro Togliatti, Dolores Ibarruri, Harry Pollit und vielen anderen nach dem 20. Parteitag plötzlich Renegaten und Verräter an der Sache geworden sind, der sie ihr ganzes Leben geweiht haben. Nein, rund vier Jahrzehnte Verteidigung der Sowjetmacht und sozialistischer Aufbau seit 1917 durch die Volksmassen hatten dazu geführt, dass der Sozialismus und die sowjetische Lebensweise fest und tief im Sowjetvolk verwurzelt waren. Wer sich offen als Feind dieser Ordnung und als Befürworter einer Rückkehr zum Kapitalismus zu erkennen gegeben hätte, den hätten die einfachen Menschen sofort den Sicherheitsorganen übergeben.

Dessen waren sich die Feinde der Sowjetmacht in den imperialistischen Metropolen genau so bewusst wie ihre als Kommunisten getarnten Partner in der Sowjetunion.

Sie konnten sich deshalb überhaupt nicht das Ziel stellen, gewissermaßen im Handstreich die sozialistische Ordnung zu beseitigen und eine kapitalistische an ihre Stelle zu setzten. Sie waren sich vielmehr klar darüber, dass der Weg zur Restauration des Kapitalismus sehr lang und voller Risiken sein würde und deshalb nur ganz behutsam und Schritt für Schritt in Angriff genommen werden könnte. Vor allem durfte er in keiner Phase als Weg zurück zum Kapitalismus erkennbar werden, sondern musste bis zum Schluss als Weg zur notwendigen Verbesserung des Sozialismus hingestellt werden.“

(Zwischenbemerkung: dies war der Grund für die besondere Gangart der revisionistischen Entartung, von der im Bericht an das ZK der SED auf dessen 28. Tagung im November 1956 treffend gesagt wurde: „Die Entartung kommt, wie man zu sagen pflegt, auf Taubenfüßen“. Wie gut Chruschtschow diese Gangart beherrschte, – das beweisen all die vielen Kommunisten, die in ihm noch heute den gescheiterten Reformer zum Guten sehen.)

„Zweitens war es nötig, die Verbundenheit der Massen mit ihrer Sowjetordnung zu untergraben und ihre Bereitschaft, diese Ordnung zu verteidigen, allmählich zum Erlöschen zu bringen.

Drittens musste das Volk und mussten die Parteimitglieder dazu gebracht werden, im Imperialismus nicht mehr die Grundursache des Krieges, sondern einen Partner bei der Erhaltung des Friedens zu sehen, um so in der damit erfolgten Ersetzung der Ideologie des Klassenkampfes durch die Idee der Klassenversöhnung nicht den grundsätzlichen Bruch mit dem Marxismus zu erkennen.

Um das Erste zu erreichen, wurde verkündet, alles, was in der Gegenwart geschehe, diene der raschen Herbeiführung des Kommunismus. Dabei waren sich die Demagogen vom Schlage Chruschtschows nicht nur darüber klar, dass die anfänglichen euphorischen Hoffnungen, die ihre Verheißungen von den bald erreichten “lichten Höhen des Kommunismus” bei den Menschen erweckten, unvermeidlich in ihr Gegenteil, in tiefe Enttäuschung, in Hoffnungslosigkeit, Gleichgültigkeit und sogar Feindschaft gegen die Partei und die Sowjetmacht umschlagen mussten, sondern sie arbeiteten nach Kräften darauf hin, dass dieser Umschlag möglichst früh und radikal eintrat; denn dies war der Weg, um das Zweite zu erreichen: Die Abtötung der Verbundenheit der Menschen mit ihrer Sowjetmacht.

Die Chruschtschowschen “Reformen” auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik erweisen sich bei genauem Hinsehen als eine gezielt gewählte Serie von Schädlingsmaßnahmen, deren Ergebnis nur die Desorganisation, die Produktion von Engpässen in der Versorgung der Bevölkerung und die wachsende Abhängigkeit der sowjetischen Wirtschaft vom imperialistischen Ausland sein konnte und tatsächlich auch war.

Das dritte der angestrebten Ergebnisse wurde erreicht durch systematisches Schüren der Furcht der Menschen vor dem Ausbruch eines Atomkrieges.

Chruschtschow arrangierte mehrfach im Zusammenspiel mit den Führern des USA-Imperialismus Situationen, in denen der Ausbruch eines Atomkrieges zwischen den “Supermächten” unmittelbar bevorzustehen schien – Berlin-Krise 1958, Kuba-Krise 1962 -, der dann “in letzter Minute” durch direkte Verhandlungen Chruschtschows mit dem USA-Präsidenten – das wurde den Völkern, vor allem dem Sowjetvolk vorgespielt – “verhindert” wurde.

Auf diese Weise wurde schon unter Chruschtschow eingeübt, was unter Gorbatschow zur Vollendung gebracht wurde, die Quintessenz des “Neuen Denkens”: Der Imperialismus ist nicht der Todfeind der Menschheit, der besiegt werden muss, sondern er ist der Partner, mit dem man vertrauensvoll zusammenarbeiten muss, um die Menschheit vor dem Atom-Inferno zu bewahren.

Erst wenn der so kraftvolle Organismus des Sozialismus soweit geschwächt, die Wirtschaft desorganisiert, die Massen mit den bestehenden Verhältnissen so unzufrieden und ideologisch so verwirrt sind, dass sie angebliche Reformen zur Stärkung des Sozialismus, die in Wahrheit konterrevolutionäre Maßnahmen zur endgültigen Demontage der Sowjetmacht sind, von wirklichen Schritten zu deren Festigung nicht mehr unterscheiden können – wie unter Gorbatschow – erst dann kann von der Unterwühlung und Aushöhlung der Sowjetmacht zu ihrer Liquidierung, zur Restauration des Kapitalismus übergegangen werden.

Wer meint, der XX. Parteitag habe genügt, in der Sowjetunion den Kapitalismus zu restaurieren, der hat keine Vorstellung von der Festigkeit und Lebenskräftigkeit der von den Volksmassen unter der Führung Lenins und Stalins in über drei Jahrzehnten geschaffen Sowjetmacht; der setzt die Massen mit der Handvoll revisionistischer Abtrünniger gleich oder aber betrachtet die Massen als bloße Manövriermasse in der Hand solcher Abtrünniger.

Nein, der Prozess, mit dem wir es zu Zeiten Chruschtschows und Breschnews zu tun hatten, war nicht der Prozess der Wiederherstellung des Kapitalismus, sondern dessen Vorbereitung durch den Prozess der Unterminierung der Grundlagen des Sozialismus und der Denaturierung der sozialistischen Lebensweise. Erst nachdem dieser Prozess den Sozialismus bis zur Unkenntlichkeit entstellt hatte, konnte der Angriff mit dem Ziel seiner völligen Zerstörung eröffnet werden. Das geschah dann unter dem Banner der “Perestroika”.

 Um zu zerstören, was in 36 Jahren aufgebaut worden war, brauchten die Konterrevolutionäre von Chruschtschow bis Gorbatschow 38 Jahre. Diese 38 Jahre waren angefüllt mit einem erbitterten, unaufhörlichen Kampf zwischen den Revisionisten auf der einen, den Verteidigern der marxistisch-leninistischen Positionen auf der anderen Seite. Wer die Augen offen hatte, konnte diesen Kampf nicht übersehen, durchbrachen seine eruptiven Äußerungen an bestimmten Höhepunkten doch die Hülle einer äußerlichen, scheinbaren Einheit: man denke nur an die Absetzung Chruschtschows im Juli 1957 durch das Präsidium des ZK der KPdSU und die darauf folgende Rache Chruschtschows an Molotow und Kaganowitsch, die er auf dem Juli-Plenum des Rumpf-ZK aus der Führung ausstoßen ließ.

Bereits im November 1957 erfolgte aber der Gegenstoß der antirevisionistischen Kräfte auf der Moskauer Konferenz der Kommunistischen und Arbeiterparteien durch die Verurteilung des Revisionismus als der Hauptgefahr in der kommunistischen Bewegung. Chruschtschow und seine Leute brauchten dann vier Jahre, bis sie – auf dem XXII. Parteitag der KPdSU – eine erneute Offensive unternahmen und den Parteiausschluss von Molotow und Kaganowitsch durchsetzten. Den Forderungen, auch noch weitere Gegner Chruschtschows, darunter der legendäre Bürgerkriegsheld Woroschilow, aus der Partei zu stoßen, widersetzte sich jedoch der Parteitag und zeigte auf diese Weise, dass die Chruschtschow-Clique die Partei noch keineswegs fest in der Hand hatte.

Das wurde vollends offenbar, als das Oktoberplenum 1964 endlich dem Unwesen Chruschtschows an der Spitze der Partei ein Ende bereitete, indem es seine Absetzung beschloss. Statt aber daraus eine volle Rückkehr auf den Boden des Marxismus-Leninismus zu machen, wurde Chruschtschows “Kronprinz” Breshnew zum Nachfolger gewählt.

Das Kräfteverhältnis in der Parteiführung war nun derart, dass die Revisionisten nicht mehr imstande waren, ihre Sache mit dem gleichen Nachdruck voranzutreiben, wie das zu Chruschtschows Zeiten geschehen war. Sie beschränkten sich darauf, ein gründliche Auseinandersetzung mit dem “Chruschtschowismus” und eine Aufdeckung seines konter-revolutionären Wesens zu verhindern und auf diese Weise nach und nach jüngere Funktionäre der “Generation des 20. Parteitages”, solche vom Schlage Gorbatschows, in wichtige Parteifunktionen aufrücken zu lassen.

Als im März 1984 nach dem plötzlichen Tode des Breschnew-Nachfolgers Juri Andropow – der nur 15 Monate an der Spitze der Partei gestanden hatte – der schwerkranke, bereits 72 Jahre alte Tschernenko als neuer Generalsekretär präsentiert wurde, waren sich ziemlich alle Kommentatoren darin einig, dies als Symptom dafür zu bewerten, dass um die Nachfolge Andropows heftige Kämpfe im Gange waren, die noch nicht zur Entscheidung geführt hatten, weshalb mit Tschernenko eine “Zwischenlösung” eingeschoben worden war. Zugunsten welcher Richtung der Machtkampf hinter den Kulissen schließlich entschieden worden war, das blieb auch einige Zeit nach der Amtsübernahme durch Gorbatschow Nichteingeweihten ein Fragezeichen, da Gorbatschow, um seine Position zu festigen, zunächst sein wahres Gesicht und seine wirklichen Absichten nicht offenbarte, sondern sich – genau wie sein Vorgänger Chruschtschow – den Anschein eines kämpferischen Antiimperialisten und felsenfesten Leninisten gab.“

In die gleiche Richtung wie dein Argument von dem Beginn des Zersetzungsprozesses schon unter Stalin geht dein anderes, – es sei schließlich Stalin gewesen, von dessen Führung  Chruschtschow, Mikojan usw. geprägt worden seien. Nun Robert, dagegen zu argumentieren lohnt nicht. Erstens haben sie ihre erste Prägung durch Lenin erhalten, und zweitens: Du machst ja doch auch nicht Marx und Engels verantwortlich für die Beschreitung revisionistischer Abwege durch solche ihrer langjährigen Mitstreiter wie Bernstein und Kautsky.

Akuelle Schlussfolgerungen für eine kommunistische Politik in der Gegenwart

Lieber Robert, entgegen meinem ursprünglichen Vorhaben ist aus einem drei- bis vierseitigen Brief eine Zumutung im Umfang einer Broschüre geworden. Ich entschuldige mich dafür, muss aber zugleich erklären, weshalb es dazu kam. Mich hat die ganze Zeit über verwundert, dass du in deinen Briefen nie auf die Tatsachen eingegangen bist, die ich anführe, um meine Beurteilung Chruschtschows  zu begründen. Deshalb wollte ich mich vergewissern, ob du das vielleicht an anderer Stelle, z. B. in deinem Buch „Kommunistische Stand- und Streitpunkte“ getan hast.

Das Ergebnis der nochmaligen Durchsicht dieses deines Buches war, dass ich darin vieles finde, das mein Wissen erweitert und bereichert hat und dem ich zustimmen kann und mich den Hut ziehen lässt vor der Vielseitigkeit und dem Umfang deiner Studien.

Aber mindestens ebenso Vieles halte ich für anfechtbar und Widerspruch hervorrufend. Dazu gehört vor allem ein strikt durchgehaltenes Ignorieren von Tatsachen, die bei einer „Diskussion über die Gründe unserer Niederlage“ (Kapitel II deines Buches) nun einmal einfach nicht außer acht gelassen werden dürfen.

Es gehört schließlich zur eigenen Parteigeschichte, zur Geschichte der  (illegalen) KPD ebenso wie der der SED, dass beide – gemeinsam mit allen dort vertretenen kommunistischen Parteien –  im November 1957 – nur anderthalb Jahre nach dem XX. Parteitag – auf der Moskauer Beratung sich veranlasst sahen, festzustellen, dass der moderne Revisionismus zur Hauptgefahr in der und für die kommunistische Bewegung geworden ist.

Dies und die Kennzeichnung der Tito-Partei als Trojanisches Pferd des Imperialismus durch die 1960er Beratung, – also wiederum auch durch die KPD, – kann man doch nicht auslassen, wenn man als führender Ideologe der DKP nach den Gründen für die Niederlage der kommunistischen Bewegung sucht!

Für die Wichtigkeit der Dokumente dieser beiden Moskauer Beratungen spricht auch der Leitartikel, den die Prawda nach der Absetzung Chruschtschows am 17. Oktober 1964 veröffentlichte. Darin hieß es u.a.: „Die KPdSU kämpft mit aller Beharrlichkeit für die Festigung der Einheit und Geschlossenheit der kommunistischen Reihen auf der Grundlage der Prinzipien des proletarischen Internationalismus, auf der Grundlage der von den Bruderparteien gemeinsam ausgearbeiteten historischen Dokumente – der Deklaration von 1957 und der Erklärung von 1960.“

Für dich ist das alles aber keiner Erwähnung wert; ja, nicht einmal der Begriff des Revisionismus taucht in deinem Kapitel über „die Gründe unserer Niederlage“auf.

Das hinterlässt den Eindruck, als sei für Dich der Revisionismus-Vorwurf – wenigstens für den Zeitraum zwischen 1953 bis 1964 – eine Erfindung von Dogmatikern und „Stalin-Verteidigern“, die keiner weiteren Beachtung wert ist.

Das Gleiche ist zu sagen zu den Tatsachen, welche die Außenpolitik Chruschtschows betreffen. Es müsste doch sehr verwundern, solltest du wirklich nicht selbst all das bemerkt haben, was ihre von mir genannten drei Grundzüge ausgemacht hat. (S.22).

Da ich aber nichts von alledem in deinem Buche fand, hielt ich es für angebracht, dir all dies noch einmal vor Augen zu führen, wobei ich der Einfachheit halber auch auf das zurückgegriffen habe, was ich dazu schon bei verschiedenen früheren Gelegenheiten gesagt und geschrieben habe.

Vermutlich wirst du dennoch weiterhin diese Tatsachen als nicht erwähnenswert befinden, hast du dich doch all jenen angeschlossen, die als „zentrale Problematik“, als „entscheidendes Kettenglied“ für die Erklärung der Niederlage das Leninsche „Partei- und Machtkonzept“ ansehen, das nur für Rußland und nur für eine bestimmte Zeit habe Geltung beanspruchen können, aber unter Stalin in degenerierter Form verabsolutiert worden sei. Du schreibst (S.56/57): „Über die Frage der inneren Ursachen des Scheiterns gibt es unter Kommunisten unterschiedliche Ansichten. … schwere Ausgangsbedingungen … Wirken der Gorbatschow-Jakowlew-Schewardnadse-Gruppe … Es muss andere Gründe des Scheiterns gegeben haben. Neben den objektiven auch subjektive, solche, die nicht im Wirken anderer Kräfte und Faktoren zu suchen sind, sondern in der Verfasstheit des realsozialistischen Systems, in den Sozialismuskonzepten, in der Führungsfunktion der Kommunisten selbst.“

Nachdem Du einige in der Diskussion von anderen angeführte Gründe benannt hast, wie: ungenügende Bewältigung der Aufgaben auf ökonomischem Gebiet, unentwickelte sozialistische Demokratie, Zurückbleiben auf theoretischem Gebiet, Dogmatismus – (bezeichnenderweise fehlt in dieser Aufzählung der Revisionismus – warum eigentlich?) – fährst du fort: „Alle diese Gründe haben gewirkt,… Doch führen sie nicht alle auf eine zentrale Problematik, auf ein entscheidendes Kettenglied zurück, auf das Partei- und Machtkonzept?“

Das ist eine Suggestivfrage, die ein „Ja“ als Antwort hervorlocken soll. Aber zuerst, lieber Robert, müßtest du klarstellen, welches „Partei- und Machtkonzept“ du meinst: das von Lenin und Stalin, oder das von Chruschtschow und Gorbatschow? Oder bist du etwa der Ansicht, das „Partei- und Machtkonzept“ sei in der Sowjetunion von 1917 bis 1989 unverändert das gleiche geblieben, das gleiche bei Lenin und Stalin wie bei Chruschtschow und Gorbatschow?

Du sagst weiter: „Auch Versuche, sie aus dem XX. Parteitag zu erklären, sie auf das Wirken der Gruppe um Chruschtschow zurückzuführen und so die vorherige, von der Führungspersönlichkeit Stalins geprägte Periode aus der Ursachenkette herauszunehmen, greifen zu kurz.“

Ist das, lieber Robert, von dir, der du den Revisionismus so penetrant und konsequent aus der Ursachenkette herausnimmst‘, nicht ein sehr kühner Vorwurf? Auf S.63 zählst du auf, in welchen Fragen „ernsthafte Meinungsverschiedenheiten zwischen Kommunisten zutage treten“ und führst an:

„In der Frage nach der Verantwortung Stalins

In der Frage nach den Ursachen und dem Ausmaß der Degeneration

In der Frage nach der Rolle des Wertgesetzes und der Warenproduktion im Sozialismus

In einigen zentralen Fragen der Demokratie“.

Warum bleiben auch hier wiederum die Meinungsverschiedenheiten über die Rolle Chruschtschows und des Revisionismus unerwähnt?

Doch weiter in deinem Text: „Wir müssen uns auch fragen, ob das von Lenin erarbeitete bolschewistische Parteikonzept auf gleiche Weise für alle Zeiten, Länder und Bedingungen richtig war bzw. ist. … Lenins Parteikonzept …war eines für die Illegalität… Das, was später als Partei von neuem Typ gelehrt wurde, war ein Konzept für die spezifischen Verhältnisse des zaristischen Russland..“

Robert, das stimmt doch einfach nicht, und das musst du auch wissen. Das Konzept der Partei neuen Typs ist das Parteikonzept der Kommunistischen Internationale und war die Grundlage für das Entstehen kommunistischer Massenparteien in Deutschland und Frankreich, in Italien und China, um nur diese zu nennen. Diese deine Argumentation legt den Verdacht nahe, dass es dir mit diesen Ausführungen weniger um die Aufdeckung der Gründe für unsere Niederlage als darum geht, Begründungen zu liefern für das Abgehen der DKP von dem seit Gründung der Kommunistischen Internationale gültigen Sozialismus- und Parteikonzept, mit dem aber – wenn ich daran erinnern darf, – solange man daran festhielt, der Kommunismus eine Stärke gewann, an die man heute nur mit wehmütigem Staunen zurückdenken kann.

An anderer Stelle – S.34 – hattest Du es ja schon besser gewußt. Du schreibst dort: „Hauptursache des historischen Niedergangs ist also (also?!, K.G.) ein Organisationstypus. … Er entstand in der Frühphase der Komintern.“ (Na also! K.G.) „Er mag damals für den jungen Sowjetstaat notwendig … gewesen sein. Aber seine Übertragung auf die gesamte Weltbewegung und seine Beibehaltung auch noch, als es längst entwickeltere Bedingungen gab, war falsch.“

Also, Robert, ich erinnere mich noch gut daran, dass wir im SSB, dem kommunistischen „Sozialistischen Schüler-Bund“, 1931 eifrig Lenins „Radikalismus“ studiert und dabei gelernt haben, dass es einige Grundzüge gibt, die allen kommunistischen Parteien gemeinsam sein müssen, dass sie aber gleichzeitig fähig sein müssen, sich undogmatisch an die besonderen Verhältnisse und Bedingungen ihres Landes anzupassen. Und wenn ihnen das in etlichen Ländern schon nach dem ersten Weltkrieg und dann verstärkt in den Jahren der Welt-wirtschaftskrise nicht gut gelungen wäre, dann hätte die herrschende Klasse sie kaum als eine Bedrohung ihrer Herrschaft empfunden, gegen die man eine neue Waffe – den Faschismus – zum Einsatz bringen muss.

Aber du willst ja beweisen, dass es unmöglich war, mit dem Leninschen Organisationstyp die nach Lenins Tod aufkommenden Probleme zu lösen und zählst deshalb eine lange Reihe von Aufgaben auf, die „wegen der alten Methoden der Leitung und Organisation“ nicht bewältigt worden seien, und sagst dann: „Dies alles wurde während langer Zeit durch zunächst unbestreitbare historische Erfolge verdeckt. Diese Erfolge waren für die Völker der Sowjetunion, für die Menschen in der sog. Dritten Welt, für die arbeitenden Massen in den entwickelten kapitalistischen Ländern von großer Bedeutung, das muss gesagt werden, auch wenn heute gar manche das nicht mehr sehen oder sehen wollen. Im Verlaufe jedoch der letzten Jahrzehnte führte der genannte Organisationstypus immer mehr auf allen Gebieten der Innen- und Außenpolitik in die Sackgasse.“

Das Einzige, was an dieser Aussage nicht zu bestreiten ist, ist erstens die Feststellung über die  historischen Erfolge der Sowjetunion (nota bene: in der Stalin-Ära), und zweitens, dass „im Verlauf der letzten Jahrzehnte“ die Sowjetunion „auf allen Gebieten der Innen- und Außenpolitik in die Sackgasse“ geraten ist. Pure Behauptung ohne jede Beweisführung ist dagegen dein dictum, es sei lediglich durch die Erfolge (der Stalin-Periode!) „verdeckt“ gewesen, dass dieser Organisationstypus in die Sackgasse führen mußte.

Wie soll ich es bezeichnen, dass du bei Behandlung der Frage, wie die SU „in die Sackgasse geriet“, den Bruch in der sowjetischen  Wirtschafts-, Innen und Außenpolitik, der nach Stalins Tod durch die neue Führung vollzogen wurde, – und dessen Stattfinden ja allein schon durch die hoffnungsvollen Erwartungen, die er in Washington und London ausgelöst hatte, bezeugt wird -, völlig außer Betracht lässt? Warum das? Offenbar, weil du ohne jede Faktenuntersuchung zu wissen glaubst und glauben machen möchtest –  an allem ist „dieser Organisationstyp“ schuld!

Lieber Robert, sollte man, bevor man eine solch kühne, aber völlig unbewiesene Behauptung aufstellt, sich nicht vorher mit den Argumenten und vorgebrachten Fakten jener Parteien und Autoren auseinandersetzen, die für den Niedergang „in den letzten Jahrzehnten“ die Politik der in diesen Jahrzehnten an der Spitze Stehenden verantwortlich machen?

Ich habe in Deinem Buch nirgends eine Auseinandersetzung z. B. mit den Veröffentlichungen der Kommunistischen Partei Chinas, die unter dem Titel „Die Polemik über die Generallinie der internationalen Kommunistischen Bewegung“  in deutscher Sprache erschienen sind, gefunden, oder gar den Versuch, die dort vorgebrachten Argumente gegen Chruschtschows Kurs zu widerlegen.

Für unverzichtbar für eine unvoreingenommene Urteilsbildung in diesen Fragen halte ich auch die Kenntnisnahme der Erinnerungsbände des Führers der Albanischen Partei der Arbeit, Enver Hoxha, insbesondere seines Bandes „Die Chruschtschowianer“; (in deutscher Sprache herausgegeben 1984 in Tirana vom Institut für marxistisch-leninistische Studien beim ZK der PdA Albaniens.). Seine Erinnerungen enthalten eine Fülle von Fakten, – und nur von denen rede ich -, deren Kenntnis nötig ist, will man seine eigene Antwort auf die Frage nach den Ursachen unserer Niederlage auf ihre Stichhaltigkeit überprüfen.

Das Gleiche möchte ich in aller Bescheidenheit auch für meine „Taubenfußchronik“ und die Aufsätze in „Wider den Revisionismus“ beanspruchen.

Nur ein Beispiel dazu: In deinem Buch „Stand- und Streitpunkte“ schreibst du  (S.14) zur Wirtschaftsplanung, dass der moderne Kapitalismus teilweise „weitaus gründlicher und effektiver plant als der ganze RGW.“ Du bringst das vor als Argument gegen „zentralistische, dirigistische Leitungsmethoden“. Tatsache ist aber, – ich habe darauf in zwei Aufsätzen mit Nachdruck hingewiesen – („Wider den Revisionismus“ ,S. 310, 376), – dass der RGW nicht an Zentralismus und Dirigismus krankte, sondern daran, dass er nicht effektiv werden konnte, weil er keine echte Planungsbehörde war mit der Vollmacht, für alle Mitglieder verbindliche Festlegungen zu treffen, sondern ein „Rat“, der nur Empfehlungen geben konnte, deren Befolgung Sache der einzelnen Mitglieder war und blieb. Davon bei dir – kein Wort, sondern ein falsches Beispiel für eine umstrittene These.

Zum Thema „die Augen vor Tatsachen verschließen, die nicht in das eigene Erklärungsmuster passen“, hast du mir in deinem Brief vom September 02 vorgehalten, dass ich Zeugen für die Stalinschen Repressionen, deren Namen mir Harry Schmidt genannt habe, nicht über ihre Erlebnisse befragt hätte. Das war nicht nötig, weil ich solche Schicksale sogar aus meinem eigenen Bekanntenkreis kannte und deshalb nicht davon überzeugt werden mußte, daß es sie – sogar im Massenmaßstab – gab. Die Reaktion auf das, was ihnen widerfuhr, war sehr unterschiedlich. Einer von ihnen war Bernhard Koenen, der durch Wilhelm Piecks Fürsprache wieder frei kam. Er war während des Krieges unser Schulleiter an der Antifaschule. In Berlin-Grünau waren wir zeitweilig Nachbarn. Seine Enkelin war die Schulfreundin unserer Tochter. Ebenfalls an der Antifaschule lernte ich Leo Stern kennen, dessen Bruder Martin in Spanien als General Kleber gekämpft hatte, später in der Sowjetunion verhaftet wurde und in der Haft starb. Leo Stern kämpfte für die Rehabilitierung seines Bruders, aber ihm ist nie eingefallen, in ihm ein „Opfer Stalins“ zu sehen. (Ich lege als Anlage XIII dazu einen Artikel des österreichischen Genossen Oberkofler über Martin Stern aus der nVs Nr. 2/01 bei.)

Anders Wolfgang Ruge. Lange Jahre arbeitete ich an der Akademie der Wissenschaften der DDR mit ihm zusammen. Auch er gehört zu denen, – ebenso wie sein Bruder Walter Ruge -, die bittere Jahre im Lager verleben mußten. Im Gegensatz zu Bernhard Koenen und Martin Stern gehört er zu den vielen, die ihre damaligen Erlebnisse – oder aber auch erst deren Deutung durch Chruschtschow in seiner „Geheimrede“ zu Stalin-Hassern und Chruschtschow- und Gorbatschow-Verehrern gemacht haben. Nach dem Sieg der Konterrevolution und dem Untergang der Sowjetunion ging er aber noch einen Schritt weiter; wie spätere Artikel von ihm bezeugen, sah er nun in Lenin den eigentlichen Urheber des „Stalinismus“.

Ich erzähle das, damit du siehst- ich konnte nicht und wollte auch gar nicht der Kenntnis von Schicksalen unschuldig in die Mühlen der Repressionen Geratenen ausweichen, habe aber erlebt und erlebe es immer noch, dass die Reaktionen darauf keineswegs nur in eine Richtung, in die Chruschtschows und deine, in die Richtung der Verurteilung Stalins, gingen und gehen mussten.

Um diese Einseitigkeit zu vermeiden, sollte nicht unbeachtet bleiben, was die 1957er Moskauer Beratung über die Versuche ausführte, das „traditionelle“ – also Leninsche – „Macht- und Parteikonzept“ bzw. den Leninschen „Organisationstyp“ zu revidieren und was ich schon weiter oben zitiert habe: „Die modernen Revisionisten … wenden sich gegen die historische Notwendigkeit … der Diktatur des Proletariats beim Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus, sie leugnen die führende Rolle der marxistischen Partei, sie fordern, dass die kommunistische Partei aus einer revolutionären Kampforganisation in eine Art Diskutierklub verwandelt wird.“

Die Beratung unterstrich nachdrücklich die Notwendigkeit, „dass die kommunistischen und Arbeiterparteien die marxistische-leninisische Einheit ihrer Reihen entschlossen verteidigen und keine Fraktionen und Gruppierungen dulden, die diese Einheit untergraben.“

Ich wiederhole das an dieser Stelle, weil ich in der „Diskussionsgrundlage für den Entwurf des Parteiprogramms“ der DKP im Abschnitt III lese, was Willi Gerns, mit dem du gewiss übereinstimmst, zusammen mit Nina Hager und Leo Mayer zur Partei im Sozialismus zu sagen haben; (Hans Heinz Holz hat in einer Erklärung seine Nichtübereinstimmung mit dieser Passage deutlich gemacht): „Die DKP sieht die Aufgabe der kommunistischen Partei im Sozialismus darin, im Wettstreit mit anderen politischen Kräften um die besten politischen Ideen und Initiativen immer aufs Neue das Vertrauen des arbeitenden Volkes und maßgeblichen Einfluß zu erringen. Sie muss vor allem strategische Orientierungen für die weitere Gestaltung des Sozialismus erarbeiten und bemüht sein, dafür die Mehrheit zu gewinnen.“

Etwas Ähnliches hat der Führer der polnischen Revisionisten Wladislaw Gomulka auf dem berüchtigten Oktoberplenunm 1956 zum Ausdruck gebracht, als er sagte:„… Bei der Suche nach den besten Formen der Gemeinschaftsarbeit ist ein weites Feld gegeben für eine Konkurrenz zwischen unserer Partei und der Bauernpartei und zwischen allen denen, die eine Stärkung des sozialistischen Systems wollen, des Systems sozialer Gerechtigkeit. Warum sollte nicht, um ein Beispiel zu nennen, die Katholische  Fortschrittliche Bewegung mit uns in der Verwirklichung von Formen landwirtschaftlicher Genossenschaften konkurrieren? Es ist eine schlechte Idee zu behaupten, dass nur Kommunisten den Sozialismus aufbauen können, nur Leute also mit materialistischen sozialistischen Anschauungen.“ (Taubenfußchronik Bd. I, S.139 f.) Man weiß, wohin diese „Konkurrenz“ geführt hat – zur  fast vollständigen Liquidierung der  landwirtschaftlichen Genossenschaften in Volkspolen!

Mit dem Zitat aus der Diskussionsgrundlage wird deutlich: Deine und der Mehrheit des PV der DKP „Lehre“ aus der Niederlage – nämlich, dass diese ihre Ursache in dem damaligen „Macht- und Parteikonzept“ habe, – führt zu einem Konzept, in dem an die Stelle der Herrschaft der Arbeiterklasse (in der Sprache von Marx und Engels: der Diktatur des Proletariats) ein politisches System treten soll, in dem die kommunistische Partei keineswegs die Führerin beim Aufbau des Sozialismus ist, sondern in dem die kommunistische Partei mit anderen Parteien in täglichem Wettstreit um maßgeblichen Einfluß und um die Mehrheit für ihre strategische Orientierung zu ringen hat.

Das heißt: die kommunistische Partei ist nach diesem „Macht- und Parteikonzept“ nicht mehr die führende Partei im Staate und beim Aufbau des Sozialismus, sondern eine Partei neben anderen, die sich zwar alle zur sozialistischen Verfassung bekennen, die aber eben keine Parteien der Arbeiterklasse sind, sondern die Interessen anderer Schichten der Bevölkerung vertreten, aber den gleichen Anspruch auf eine Führung im Staate im Wettbewerb mit der kommunistischen Partei geltend machen können. Auf welche Weise und durch wen kann in einem derartigen „Machtsystem“ – ohne Diktatur des Proletariats, die nur durch die Führung durch die Partei der Arbeiterklasse verwirklicht werden kann! – ein Weiterschreiten auf dem Wege des Sozialismus gesichert werden?  Antwort: auf keine Weise und durch niemand!

Womit wir es hier zu tun haben, ist  kein sozialistischer Staat, keine Diktatur des Proletariats,  sondern ein utopisches Wunschbild, das alle Erfahrungen der Geschichte und die Grundsätze der marxistischen Staats- und Parteilehre souverän beiseite lässt.

Hans Heinz Holz hat gut daran getan, seinen Einwand gegen diese kleinbürgerlich-demokratische Sozialismus-Vorstellung zu erheben. Aber er hat das leider viel zu rücksichtsvoll und zu zurückhaltend getan.

Natürlich ist auch keiner der von dir sogenannten „Traditionalisten“ der Ansicht, es genüge, die führende Rolle der Partei im Programm, im Statut und in der Verfassung festzulegen. Natürlich muß sie durch ihre Handlungen und deren Ergebnisse beweisen, dass sie die Partei des wissenschaftlichen Sozialismus und die Avantgarde der Klasse ist. Ohnedem kann sie nicht die Gefolgschaft der Mehrheit der Unterdrückten und Ausgebeuteten im Kampf für eine neue Gesellschaftsordnung gewinnen.

Deshalb müsste in der DKP wie in jeder kommunistischen Partei klar sein: Die führende Rolle der Kommunistischen Partei ist kein Anspruch, sondern eine objektive Voraussetzung, eine historische Notwendigkeit für einen erfolgreichen Kampf um und für den Aufbau des Sozialismus. Darum kann und darf auf sie weder in der Praxis noch im Programm einer wirklich kommunistischen Partei verzichtet werden

Die Geschichte hat bewiesen, dass, solange die Partei des wissenschaftlichen Sozialismus in ihrer Politik den Grundsätzen des wissenschaftlichen Sozialismus, des Marxismus-Leninsmus, treu bleibt, sie erfolgreich ist und ihre Massenbasis immer stärker wird.

Der ungarische Kommunist, Philosoph und Historiker Ervin Rosznyai hat es so formuliert:

„Es gab zwei Sowjetunionen. Die eine, die revolutionäre Sowjetunion war trotz der sich verstärkenden bürokratischen Verzerrungen eine Arbeitermacht: sie machte die gemeinschaftlichen Eigentumsformen zu den herrschenden, organisierte die Planwirtschaft, verhinderte die bourgeois-feudale Restauration, sorgte für soziale Sicherheit und kulturellen Aufstieg der Massen, schützte die Revolution vor ihren äußeren und inneren Feinden, trieb eine antiimperialistische Außenpolitik, bewahrte die Einheit der kommunistischen Weltbewegung und des sozialistischen Lagers, war Stützpunkt für die revolutionären und fortschrittlichen Bewe-gungen der Welt. Diese Sowjetunion zerschlug den Faschismus, beschränkte die Gesetze des Imperialismus, sie nötigte mit ihrer bloßen Existenz die führenden kapitalistischen Staaten dazu, dass sie ihren werktätigen Massen gewisse soziale Zugeständnisse machen.

Die andere Sowjetunion, zu einem kleinbürgerlichen und am Ende zu einem bourgeois-konterrevolutionären System verkommen, rechnete mit dem Erbe der Revolution ab, lieferte die fortschrittlichen Bewegungen und Länder, die schutzlos gebliebenen Massen dem Imperialismus nach dessen Belieben aus, sie ließ dem wiedererwachenden Faschismus und den Weltkriege hervorrufenden Gesetzen des Imperialismus freie Hand.

Die revolutionäe Sowjetunion wurde aus einem Trümmerhaufen zur Weltmacht,

die konterrevolutionäre Sowjetunion wurde aus einer Weltmacht zu einem Trümmerhaufen.“

Bei richtiger Analyse der Ursachen des Niederganges kann die Lehre deshalb – und nicht etwa aus „Traditionalismus“! – nur lauten:

Keine Revision des Marx-Leninschen „Partei- und Machtkonzepts“, sondern konsequenter Kampf gegen alle Versuche, es durch ein „modernes“, angeblich „demo-kratischeres“, zu ersetzen!

Kurt Gossweiler

Anlagen zum Brief

Redaktion Offensiv:

Vorbemerkung

Kurt Gossweiler hat seinem Brief an Robert Steigerwald 13 Anlagen beigefügt.

Die Anlagen I bis III und VI sind Auszüge aus der Taubenfußchronik, die wir hier nicht nachdrucken können. Wir geben aber Hinweise, welche Seiten gemeint sind.

Anlage I: Taubenfußchronik, Band 1, S. 18
Anlage II: Taubenfußchronik Band 1, S. 59 – 65
Anlage III: Taubenfußchronik Band 1, S. 299-305
Anlage VI: Taubenfußchronik Band 1, S. 10-23
Die Anlagen IV, V, und VII bis XIII bringen wir hier.

Redaktion Offensiv,
Hannover


Anlage IV – Neues Deutschland:

Artikel „Fakten wider Behauptungen“

Über die Hauptpunkte einer Rede Stalins vor Absolventen der Militärakademie am 5. Mai 1941 wurde im ND vom 8./9. Juni 1996 berichtet. Zitat Stalin:

„Die Situation ist äußerst ernst. Mit einem deutschen Angriff in naher Zukunft muss man rechnen.

Die Rote Armee ist noch nicht stark genug, die Deutschen ohne weiteres schlagen zu können.  … Die Verteidigungsanlagen an den neuen Grenzen sind unzulänglich.

Die Sowjetregierung will mit allen ihr zur Verfügung stehenden diplomatischen Mitteln versuchen, einen bewaffneten Konflikt mit Deutschland zumindest bis zum Herbst hinauszuzögern, weil es um diese Jahreszeit für einen deutschen Angriff zu spät sein wird.

Dieser Versuch kann gelingen, er kann aber auch fehlschlagen.

Wenn er gelingt, wird der Krieg mit Deutschland fast unvermeidlich im Jahre 1942 stattfinden, und zwar unter viel günstigeren Bedingungen, da die Rote Armee dann besser ausgebildet und besser ausgerüstet sein wird.“


Anlage V – Plenum des ZK der KPdSU:

Beschluss vom 7. Juli 1953 zu Berija

Entnommen aus „Der Fall Berija, Protokoll einer Abrechnung“ herausgegeben von Viktor Knoll und Lothar Kölm, Berlin 1993

3. (…) Man darf nicht vergessen, dass unserem Land durch den Krieg eine schwere Prüfung auferlegt wurde: Ein großer Teil des Territoriums des Landes wurde verwüstet, große Opfer sind zu beklagen gewesen. Über viele Jahre hinweg waren große Anstrengungen erforderlich, um die erlittenen Wunden zu heilen und die Kriegsfolgen zu beseitigen.

Man muss feststellen, dass wir noch nicht wenige rückständige Industriebetriebe, ja sogar einzelne rückständige Industriezweige haben. Nicht wenige Kolchosen und ganze landwirtschaftliche Gebiete befinden sich in einem verwahrlosten Zustand. Die Ernteerträge von landwirtschaftlichen Nutzkulturen sowie die Produktivität der Viehzucht sind gering und entsprechen nicht dem gestiegenen technischen Ausrüstungsstand der Landwirtschaft sowie den in der Kolchosordnung angelegten Möglichkeiten. In Folge dessen sind wir noch immer nicht in ausreichendem Maße in der Lage, die wachsenden materiellen und kulturellen Bedürfnisse unseres Volkes zu befriedigen.

Man darf darüber hinaus den Umstand nicht außer Acht lassen, dass die Überbleibsel des Kapitalismus im Bewusstsein der Menschen mit der Beseitigung der Ausbeuterklassen in unserem Lande noch keineswegs überwunden sind, zumal es bei der kommunistischen Erziehung der Sowjetmenschen ernsthafte Mängel gibt. Man würde von den Grundlagen des Marxismus-Leninismus abrücken, würde man die Existenz der kapitalistischen Umkreisung ignorieren, die ihre Agenten in unsere Mitte einschleust und nach Leuten sucht, die bereit sind, die Interessen der Heimat zu verraten und auf die Unterminierung der Sowjetgesellschaft gerichtete Aufträge der Imperialisten zu übernehmen.

4. Unsere Partei ist die organisierende und mobilisierende Kraft der Sowjetgesellschaft. Durch die sachgemäße Führungstätigkeit der Partei hat das Sowjetvolk beim Aufbau der kommunistischen Gesellschaft Siege von welthistorischer Tragweite errungen.

Jedoch gibt es auch in der Tätigkeit unserer Partei gravierende Mängel sowohl auf einigen Gebieten des wirtschaftlichen Aufbaus als auch im Bereich der kommunistischen Erziehung der Werktätigen.

Man muss eingestehen, dass es ernste Mängel bei der Verwirklichung der vom großen Lenin entwickelten Parteinormen, bei der Wahrung bolschewistischer Prinzipien der Führung durch die Partei gibt. Im Laufe vieler Jahre haben sich erhebliche Anomalien auf diesem Gebiet angehäuft. Durch nichts zu rechtfertigen ist, dass der XIX. Parteitag erst sieben Jahre nach Kriegsende und 13 Jahre nach dem XVIII. Parteitag zusammengetreten ist. Mehrere Jahre lang sind keine Plenen des Zentralkomitees der Partei einberufen worden. Das Politbüro hat eine geraume Zeitlang nicht normal funktionieren können. Entscheidungen über wichtige Fragen der Arbeit der Staatsorgane sowie des wirtschaftlichen Aufbaus sind häufig ohne die erforderliche analytische Vorbereitung und ohne eine im Parteistatut vorgesehene kollektive Erörterung in den Führungsgremien der Partei getroffen worden. In Folge dieser Anomalien konnte die Kollektivität innerhalb des Zentralkomitees ebenso wenig gewährleistet werden wie die erforderliche Kritik und Selbstkritik. Die Existenz derartiger Anomalien zog in der Praxis bisweilen ungenügend begründete Entscheidungen sowie eine Herabminderung der Rolle des ZK als Organ der kollektiven Führung nach sich.

In diesem Zusammenhang muss ebenfalls bemängelt werden, dass es in unserer Parteipropaganda in den letzten Jahren zu einem Abrücken vom marxistisch-leninistischen Verständnis der Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte gekommen ist. Seinen Niederschlag fand dies darin, dass die Parteipropaganda anstelle einer sachlichen Erläuterung der Rolle der Kommunistischen Partei als der tatsächlich führenden Kraft beim Aufbau des Kommunismus in unserem Lande häufig auf Positionen des Personenkultes abgeglitten ist. Dies führte zu einer Herabminderung der Rolle der Partei und ihres Führungszentrums, zur Abnahme der schöpferischen Aktivitäten der Parteimasse und breiter Massen des Sowjetvolkes. Eine solche propagandistische Ausrichtung widerspricht den von Marx erarbeiteten Leitsätzen über den Personenkult. „Ich grolle nicht … und Engels ebenso wenig. Wir beide geben keinen Pfifferling für Popularität. Beweis zum Beispiel, im Widerwillen gegen allen Personenkult habe ich während der Zeit der Internationalen die zahlreichen Anerkennungsmanöver, womit ich von verschiedenen Ländern aus molestiert ward, nie in den Bereich der Publizität dringen lassen und habe auch nie darauf geantwortet, außer hie und da durch Rüffel. Der erste Eintritt von Engels und mir in die geheime Kommunistengesellschaft geschah nur unter der Bedingung, dass alles aus den Statuten entfernt würde, was dem Autoritätsaberglauben förderlich.“ (Marx-Engels-Werke, Bd. 34, Berlin 1966, S. 308)

5. Es ist erforderlich, die besondere Stellung der Kommunistischen Partei im System des Sowjetstaates zu berücksichtigen. Unsere Partei ist die einzige Partei im Lande. Ihr kommt eine uneingeschränkte Führungsrolle im sozialistischen Staat zu. Die Führung durch die Partei bildet somit eine entscheidende Voraussetzung für die Stärke und Unerschütterlichkeit der Sowjetordnung.

Es gilt jedoch zu beachten, dass die Monopolstellung der Partei auch ihre Schattenseiten hat, insbesondere dann, wenn die revolutionäre Wachsamkeit gegenüber dem Klassenfeind in unseren Reihen nachlässt. Wir neigen häufig dazu, zu vergessen, dass die Feinde, geschickt als Kommunisten getarnt, stets versuchten und auch weiterhin versuchen werden, sich zum Zwecke der Verwirklichung ihrer feindlichen Absichten, aus Karrieregründen sowie zum Zwecke der Wühlarbeit im Auftrag imperialistischer Mächte und ihrer Geheimdienste in die Reihen unserer Partei einzuschleichen.

6. In diesem Zusammenhang hält das ZK-Plenum es für seine Pflicht, die Partei auf den Fall Berija aufmerksam zu machen, der vom ZK-Präsidium als Agent des internationalen Imperialismus entlarvt worden ist. (…)


Anlage VII – N.S. Chruschtschow:

Rede vor Französischen Parlamentariern vom 25. 3. 1960

Entnommen aus: „Die Presse der Sowjetunion, Nr. 38 – 1960, S. 814. Die Rede ist mit dem Titel überschrieben: „Die Geschichte darf sich nicht wiederholen“.

(…) Erinnern Sie sich, als unsere Delegationen zusammenkamen. Viel Tee wurde getrunken, viel Kohlsuppe gegessen, aber es wurde nichts Rechtes. Hitler merkte das und sandte Ribbentrop nach Moskau zu Stalin. Damals wurde der Nichtangriffsvertrag zwischen der Sowjetunion und Deutschland unterzeichnet. Glauben sie etwa, dass Stalin die aggressiven Schritte Hitlers nicht sah? Er sah sie und erkannte die ernste Gefahr eines neuen Weltkrieges. Er sah, dass England und Frankreich Hitler gegen die Sowjetunion stoßen. Doch unter jenen Umständen gab es für Stalin keinen anderen Ausweg. Manche der hier Anwesenden werden mir nicht zustimmen, und das ist durchaus verständlich, weil ich meine Meinung zum Ausdruck bringe, die mit den propagandistischen Ausfällen im Westen gegen die Sowjetunion nichts gemein hat.

Was später vor sich ging, wissen Sie. Deutschland wandte sich gegen Frankreich und England, gegen Polen. Stalin wusste, dass es danach gegen Russland vorgehen wird. Unser Land tat alles, um den Krieg zu verhüten; als er aber entbrannte, kämpfte das Sowjetvolk heroisch gegen die faschistischen Eindringlinge. (…)


Anlage VIII – Enver Hoxha:

Über die Vorbereitungen der Chruschtschowianer auf den Bruch mit China

Entnommen aus: Enver Hoxha, Die Chruschtschowianer. Erinnerungen, (dt.), Zweite Ausgabe, Verlag 8. Nentori, Tirana 1984

(…) Den alten Plan zur endgültigen Legitimierung des modernen Revisionismus, der ihnen auf der Moskauer Beratung von 1957 daneben gegangen war, mussten die revisionistischen Renegaten von einer anderen Beratung des internationalen Kommunismus absegnen lassen, deshalb verlangten sie eine neue Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien, angeblich, um über „Probleme der Bewegung“ zu diskutieren, die schon auf der vorangegangenen Beratung 1957 aufgetaucht waren. Dazu sandte uns das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion Anfang Juni 1960 einen Brief, in dem vorgeschlagen wurde, man solle den 3. Parteitag der Rumänischen Arbeiterpartei zu einer Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien der Länder des sozialistischen Lagers nutzen. Wir beantworteten diesen Vorschlag zustimmend und beschlossen, eine Delegation unter meiner Leitung dorthin zu schicken.

Wir wussten inzwischen von den Meinungsverschiedenheiten zwischen den Sowjets und den Chinesen. Im Februar des gleichen Jahres waren Mehmet Shehu und ich nach Moskau gefahren, um an einer Konsultation von Vertretern der Parteien der sozialistischen Länder über die Entwicklung der Landwirtschaft sowie an einer Sitzung des Beratenden Politischen Ausschusses des Warschauer Vertrages teilzunehmen. Kaum waren wir auf dem Moskauer Flughafen gelandet, stellte sich mir auch schon ein Funktionär aus dem Apparat des Zentralkomitees der sowjetischen Partei vor.

„Genosse Mikojan schickt mich“, sagte er, „er bittet um ein persönliches Treffen mit Ihnen morgen früh über eine sehr wichtige Frage“.

Diese Dringlichkeit erschien mir seltsam, denn Mikojan hätte sich auch noch später mit mir treffen können. Wir wollten einige Tage lang in Moskau bleiben. Trotzdem sagte ich: „Einverstanden, aber ich werde auch Mehmet Shehu mitbringen.“

„Es war nur von Ihnen die Rede“, erwiderte Mikojans Tschinownik, ich aber beharrte: „Nein, ich komme zusammen mit Mehmet Shehu“.

Ich bestand darauf, nicht allein hinzugehen weil ich mir ausmalen konnte, dass Mikojan bei diesem dringenden Treffen über ein „sehr wichtiges Problem“ komplizierte und heikle Fragen ansprechen würde. Um so mehr, als ich Mikojan und seine antimarxistische und albanienfeindliche Einstellung genau kannte.

Tags darauf trafen wir uns mit Mikojan in seiner Villa in den „Leninskie gory“ (Leninhügeln). Nach der üblichen Begrüßung kam Anastas Mikojan direkt zum eigentlichen Gesprächsthema:

„Ich möchte Euch über unsere Meinungsverschiedenheiten mit der Kommunistischen Partei Chinas in Kenntnis setzen, wohlbemerkt: mit der Kommunistischen Partei Chinas. Wir hatten beschlossen, darüber nur mit den Ersten Sekretären der Bruderparteien zu sprechen. Deshalb bitte ich Genossen Mehmet, uns nicht böse zu sein. Es ist nur, weil wir es beschlossen hatten, nicht, weil wir ihm nicht vertrauen.“

„Keineswegs“, erwiderte Mehmet Shehu, „ich kann auch wieder gehen“

„Nein“, sagte Mikojan, „bleiben Sie!“

Mikojan berichtete uns dann lange über die Meinungsverschiedenheiten mit der chinesischen Partei. Mikojans Darstellung war darauf angelegt, bei uns den Eindruck zu erwecken, sie selbst stünden auf prinzipienfesten leninistischen Positionen und bekämpften die Abweichungen der chinesischen Führung. Mikojan zog unter anderem einige Thesen der Chinesen als Argument heran, die tatsächlich auch unserer Meinung nach vom Standpunkt der marxistisch-leninistischen Ideologie aus nicht zutreffend waren. So erwähnte Mikojan die pluralistische Theorie von den „Hundert Blumen“, die Frage des Maokults, den „Großen Sprung nach vorn“ und anderes.

In dieser Beziehung hatten gewiss auch wir unsere Vorbehalte, so weit wir die Tätigkeit und die konkrete Praxis der Kommunistischen Partei Chinas damals kannten.

„Wir haben den Marxismus-Leninismus und brauchen keine andere Theorie“, sagte ich zu Mikojan, „und was die Hundert Blumen betrifft, so haben wir diese Ansicht weder akzeptiert noch jemals erwähnt.“

Unter anderem sprach Mikojan auch über Mao und verglich ihn mit Stalin: „Der einzige Unterschied zwischen Mao Tse-Tung und Stalin ist, dass Mao seine Gegner nicht einen Kopf kürzer macht, wie Stalin das tat. Deshalb“, so fuhr dieser Revisionist fort, „konnten wir uns gegen Stalin nicht wehren. Einmal haben Chruschtschow und ich daran gedacht, ein pokusenje[8] gegen ihn zu organisieren, wir ließen es aber sein, weil wir fürchteten, das Volk und die Partei würden uns nicht verstehen.“

Wir äußerten uns zu den von Mikojan aufgeworfenen Problemen nicht, und als er schließlich fertig war, sagte ich zu ihm:

„Die schweren Meinungsverschiedenheiten, die zwischen euch und der Kommunistischen Partei Chinas aufgetreten sind, sind sehr ernst zu nehmen, und wir begreifen nicht, wie man es überhaupt so weit kommen lassen konnte. Hier ist weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt, um darüber zu diskutieren. Wir meinen, dass das zwischen euren Parteien geklärt werden muss.“

„So werden wir es machen“, erwiderte Mikojan. Und als wir uns dann voneinander verabschiedeten, bat er uns: „Redet mit niemandem über die Fragen, die ich euch gegenüber angesprochen habe, nicht einmal mit den Mitgliedern eures Politbüros.“

Nach diesem Treffen war uns klar, dass die Meinungsverschiedenheiten und Widersprüche zugespitzt und ernst waren. Da wir inzwischen sowohl Chruschtschow als auch Mikojan kannten, gab es für uns keinen Zweifel daran, dass ihren Vorwürfen gegen die chinesische Partei keine prinzipienfesten Positionen zugrunde lagen.

Die Differenzen, das zeigte sich später noch deutlicher, drehten sich um eine Reihe von Grundsatzfragen, zu denen die Chinesen damals einen richtigen Standpunkt einzunehmen schienen. Sowohl in den offiziellen Reden der chinesischen Führer als auch in den veröffentlichten Artikeln, besonders in dem Aufsatz „Es lebe der Leninismus!“, behandelte die chinesische Partei die Probleme theoretisch richtig und trat gegen die Chruschtschowianer auf. Genau das schmeckte diesen gar nicht, deshalb wollten sie dem Schlimmsten vorbeugen.

Was uns Mikojan mitgeteilt hatte, besprachen wir nun mit Genossen des Politbüros, denn die Sache war ziemlich heikel, und man musste vorsichtig und besonnen vorgehen. Außerdem hatte ja auch die sowjetische Führung verlangt, das Problem vertraulich zu behandeln.

So wussten wir also am Vorabend der Bukarester Beratung Bescheid über die chinesisch-sowjetischen Differenzen. (…)


Anlage IX – Redaktionen von „Renmin Ribao (Volkszeitung) und „Hongqi“ (Rote Fahne):

Ursprung und Entwicklung der Differenzen zwischen der Führung der KPdSU und uns

Kommentar zum Offenen Brief des ZK der KPdSU, 6. September 1963

Entnommen dem DIN-A-4-Heft: „Die Polemik über die Generallinie der internationalen Kommunistischen Bewegung“, Ausschnitt aus dem dort abgedruckten Dokument: „Ursprung und Entwicklung der Differenzen zwischen der Führung der KPdSU und uns“.

Acht Tage nach der Veröffentlichung von „Es lebe der Leninismus!“ und den zwei weiteren Artikeln drang ein Flugzeug der USA vom Typ U-2 in den Luftraum der Sowjetunion ein, und durch die Schuld der USA kam die Gipfelkonferenz der vier Großmächte nicht zu Stande. Damit war auch der so genannte „Geist von Camp David“ dahin. Die Entwicklung der Ereignisse hatte somit die volle Richtigkeit unserer Argumente bewiesen.

Dem Erzfeind gegenüber war es für die Parteien Chinas und der Sowjetunion sowie die Bruderparteien der ganzen Welt dringend notwendig, die Meinungsverschiedenheiten zu überwinden, ihre Einheit zu festigen und geschlossen gegen den Feind anzutreten. Aber die Dinge entwickelten sich ganz gegen alle Erwartungen: Im Sommer 1960 wurden die Differenzen innerhalb der internationalen kommunistischen Bewegung verbreitert, gegen die Kommunistische Partei Chinas wurde eine riesige Hetzkampagne angekurbelt, und die Führung der KPdSU dehnte die ideologischen Meinungsverschiedenheiten der Parteien Chinas und der Sowjetunion auch auf die zwischenstaatlichen Beziehungen aus.

Anfang Juni 1960 schlug das ZK der KPdSU vor, die Gelegenheit des II. Parteitags der Arbeiterpartei Rumäniens, der für Juni in Bukarest geplant war, zu einer Beratung von Vertretern der kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Länder und zum Meinungsaustausch über die internationale Lage nach dem Fehlschlag der Gipfelkonferenz der vier Großmächte durch die Schuld der USA zu benutzen. Die Kommunistische Partei Chinas war mit der Idee einer so eilig einberufenen Beratung nicht einverstanden, ebenso wenig mit der Idee einer Beratung nur von Vertretern der kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Staaten. Wir machten den positiven Vorschlag, eine Beratung von Vertretern der kommunistischen und Arbeiterparteien der Welt einzuberufen und betonten, dass gründliche Vorbereitung nötig wäre, um eine solche internationale Beratung zu einem Erfolg zu machen. Unser Vorschlag fand die Zustimmung der KPdSU. Beide Parteien erklärten sich einverstanden, dass die am II. Parteitag der Arbeiterpartei Rumäniens teilnehmenden Vertreter der Bruderparteien zur Vorbereitung dieser internationalen Konferenz zuerst nur über Zeit und Ort der Konferenz ihre Meinung austauschen, aber keine Beschlüsse fassen sollten.

In Bukarest jedoch brachen die Führer der KPdSU urplötzlich ihr Wort und, statt die Spitze ihres Kampfes gegen den USA-Imperialismus zu richten, machten sie einen Überraschungsangriff auf die KP Chinas.

Die Bukarester Beratung von Vertretern der Bruderparteien fand vom 24. bis 26. Juni statt. Die in dem Offenen Brief des ZK der KPdSU enthaltene Beschreibung dieser Beratung als “kameradschaftliche Hilfe” für die KP Chinas ist eine platte Lüge.

In Wirklichkeit hatte die von Chruschtschow geleitete Delegation der KPdSU am Vorabend der Konferenz ein Informationsschreiben des ZK der KPdSU an das ZK der KP Chinas vom 21. Juni unter die Vertreter einiger Bruderparteien verteilt und anderen vorgelesen. In diesem Schreiben wurde die KP Chinas in allen Belangen grundlos verleumdet und angegriffen. Dieses Schreiben war das Antichinaprogramm der Führerschaft der KPdSU.

Auf der Beratung übernahm Chruschtschow die Führung, um den allseitigen Angriff auf die KP Chinas zu organisieren. In seiner Rede beschimpfte Chruschtschow  die KP Chinas als “Wahnsinnige”, als “begierig, einen Krieg zu entfesseln”, als Leute, die “die Fahne der internationalen Monopolbourgeoisie erhoben haben”, in der chinesisch-indischen Grenzfrage “rein nationalistisch” aufträten und gegen die KPdSU mit “trotzkistischen Methoden” vorgingen. Manche Vertreter von Bruderparteien, den Winken Chruschtschows gehorsam, folgten ihm mit einem Großangriff auf die KP Chinas, wobei sie mit Bezeichnungen wie “Dogmatiker”, “linke Abenteurer”, “Pseudorevolutionäre”, “Sektierer” und “schlimmer als Jugoslawien” usw. usf. um sich warfen.

Die auf jener Beratung von Chruschtschow angekurbelte Hetzkampagne gegen China war auch für viele Bruderparteien ein Überfall. Die Vertreter einer Reihe von marxistisch-leninistischen Bruderparteien waren mit dieser falschen Handlungsweise der Führerschaft der KPdSU nicht einverstanden.

Auf dieser Beratung weigerte sich die Delegation der Partei der Arbeit Albaniens, dem von der Führung der KPdSU geschwungenen Befehlsstab zu gehorchen und trat entschieden gegen deren sektiererische Tätigkeit auf. Daraufhin war die Partei der Arbeit Albaniens den Führern der KPdSU ein Dorn im Auge. Die Schritte, die sie danach gegen die Partei der Arbeit Albaniens unternahmen, wurden immer drastischer.

Kann man einen so abscheulichen Angriff, wie ihn die Führer der KPdSU auf die KP Chinas unternahmen, etwas „kameradschaftliche Hilfe“ nennen? Natürlich nicht. Das war eine von den Führern der KPdSU vorbereitete chinafeindliche Inszenierung, ein ernster und grober Verstoß gegen die Prinzipien, wie sie in der Deklaration von 1957 für die Beziehungen zwischen Bruderparteien festgelegt worden waren. Es war die Großoffensive der durch die Führer der KPdSU vertretenen Revisionisten gegen eine marxistisch-leninistische Partei.

Unter diesen Umständen beantwortete die KP Chinas zur Wahrung der marxistisch-leninistischen Positionen und der in der Deklaration festgelegten Prinzipien für die Beziehungen der Bruderparteien jeden Schlag der Führer der KPdSU mit einem Gegenschlag. Mit Rücksicht auf die gemeinsamen Interessen unterzeichnete die Delegation der KP Chinas auf der Konferenz in Budapest das Kommuniqué der Konferenz und veröffentlichte zugleich – auf Anweisung des ZK der KP Chinas – am 26. Juni 1960 eine schriftliche Erklärung. Die Delegation der KP Chinas wies in dieser Erklärung darauf hin, welch äußerst bedenklichen Präzedenzfall Chruschtschow mit seiner Handlungsweise auf dem treffen in Bukarest für die internationale kommunistische Bewegung geschaffen hatte. Die Delegation erklärte feierlich:

“Es bestehen Differenzen zwischen uns und Genossen Chruschtschow in einer Reihe von Grundprinzipien des Marxismus-Leninismus.” “Das Schicksal der internationalen kommunistischen Bewegung wird durch die Forderungen und Kämpfe der Völker und dadurch bestimmt, dass sie sich vom Marxismus-Leninismus leiten lässt; es wird nie und niemals vom Befehlsstab gleich welchen Mannes entschieden werden.” “Unsere Partei glaubt und folgt nur der Wahrheit des Marxismus-Leninismus und wird sich niemals vor falsche Auffassungen, die dem Marxismus-Leninismus zuwiderlaufen, beugen.”

Die Führer der KPdSU fanden sich nicht damit ab, dass sie sich in Bukarest die KP Chinas nicht gefügig machen konnten. Anschließend an das Bukarester Treffen dehnten die Führer der KPdSU die ideologischen Differenzen zwischen der KP Chinas und der KPdSU durch eine Reihe von Schritten auf die zwischenstaatlichen Beziehungen aus, um weiteren Druck auf China auszuüben.

Im Juli 1960 beschloss die Sowjetregierung plötzlich einseitig, innerhalb eines Monats alle in China tätigen sowjetischen Fachleute zurückzurufen und zerriss damit Hunderte von Abkommen und Kontrakten. Einseitig wurde von sowjetischer Seite her das beiderseitige Abkommen  über die Herausgabe der Zeitschrift “Drushba” durch China und der Zeitschrift “Sowjetisch-Chinesische Freundschaft” durch die Sowjetunion sowie über deren Vertrieb annulliert, ohne Grund wurde von der chinesischen Regierung die Abberufung eines Mitarbeiters der chinesischen Botschaft in der Sowjetunion verlangt, und an der chinesisch-sowjetischen Grenze wurden Unruhen provoziert.

Anscheinend meinten die Führer der KPdSU, sie brauchten nur ihren Befehlsstab zu schwingen, eine Bande Rowdys für ein Kesseltreiben zu sammeln und mächtigen politischen und wirtschaftlichen Druck anzuwenden, um die KP Chinas zu zwingen, von deren marxistisch-leninistischen, proletarisch-internationalistischem Standpunkt abzugehen und sich ihren revisionistischen und großmacht-chauvinistischen Befehlen zu unterwerfen. Aber die langerprobte und gestählte Kommunistische Partei Chinas und das chinesische Volk ließen sich weder niederschlagen noch unterwerfen. Diejenigen, die sich einbildeten, sie könnten uns durch eine gesteuerte Einkreisung und durch Unterdrucksetzung in die Knie zwingen, hatten sich völlig verrechnet.

Die Einzelheiten der von den Führern der KPdSU in den Beziehungen zwischen China und der Sowjetunion begangenen Sabotage werden wir in anderen Artikeln eingehend behandeln. Hier wollen wir nur darauf hinweisen, das der Offene Brief des ZK der KPdSU China einerseits völlig fälschlich beschuldigt, die ideologischen Differenzen auf die zwischenstaatlichen Beziehungen ausgedehnt und den Handel zwischen den beiden Ländern abgebaut zu haben, und andererseits absichtlich die Tatsachen verschweigt, dass die Sowjetregierung selbst alle in China tätigen sowjetischen Fachleute zurückrief und einseitig hunderte von Abkommen und Kontrakten zerriss, und dass es gerade diese einseitigen Aktionen der Sowjetunion waren, die den Rückgang des Handels zwischen China und der Sowjetunion verursachten. Dass die Führerschaft der KPdSU ihre Parteimitglieder und das Sowjetvolk so unverschämt betrügt, ist wirklich traurig.

Kampf zweier Linien auf der Beratung der Bruderparteien von 1960

In der zweiten Hälfte des Jahres 1960 entbrannte in der kommunistischen Bewegung ein heißer Kampf rund um die Beratung von Vertretern der kommunistischen und Arbeiterparteien. Es war ein Kampf zwischen der Linie des Marxismus-Leninismus und der Linie des Revisionismus, zwischen der Politik der Einhaltung der Prinzipien und Wahrung der Einheit einerseits und der Politik der Preisgabe der Prinzipien und Spaltung andererseits.

Schon vor der Beratung der Bruderparteien gab es allerlei Anzeichen, dass die Führer der KPdSU hartnäckig auf ihrem falschen Standpunkt bestanden und bemüht waren, der internationalen kommunistischen Bewegung ihre eigene falsche Linie aufzuzwingen.

Die Kommunistische Partei Chinas nahm diese Differenzen sehr ernst. Im Interesse der internationalen kommunistischen Bewegung machten wir große Anstrengungen und hofften, die Führer der KPdSU würden nicht zu weit auf ihrem falschen Weg weitergehen.

Am 10. September 1960 beantwortete das ZK der KP Chinas das Informationsschreiben des ZK der KPdSU vom 21. Juni. In dieser Antwort, die die Tatsachen klarstellte und alles gründlich argumentierte, wurde der Standpunkt des ZK der KP Chinas systematisch anhand einer Reihe wichtiger, grundsätzlicher Fragen der Weltlage und der internationalen kommunistischen Bewegung erläutert. Die Angriffe der Führung der KPdSU auf uns wurden zurückgewiesen, ihre falschen Ansichten wurden kritisiert, wobei dem ZK der KPdSU auch noch, um die Differenzen beizulegen und zur Einheit zurück zu gelangen, fünf positive Vorschläge unterbreitet wurden.

Im Anschluss daran entsandte das ZK der KP Chinas im September eine Delegation nach Moskau, um mit der Delegation der KPdSU zu verhandeln. Bei diesen Verhandlungen wies die Delegation der KP Chinas darauf hin, dass die Führer der KPdSU den USA-Imperialismus beschönigten, während sie China mit Schmähungen bedachten, womit sie die ideologischen Differenzen beider Parteien auf die zwischenstaatlichen Beziehungen übertrugen und Feinde wie Brüder, Brüder wie Feinde behandelten. Immer wieder ermahnte die Delegation der KP Chinas die Führer der KPdSU, ihren falschen Standpunkt zu ändern und zu den Prinzipien für die Beziehungen zwischen Bruderparteien und –staaten zurückzukehren, die Einheit zwischen den Parteien Chinas und der Sowjetunion und den beiden Staaten zu festigen und so den gemeinsamen Feind zu bekämpfen. Aber die Führer der KPdSU zeigten nicht die mindeste Bereitschaft, ihre Fehler zu korrigieren.

Ein heftiger Kampf wurde dadurch unvermeidlich. Dieser Kampf begann zuerst im Redaktionsausschuss, in dem die Vertreter von sechsundzwanzig Bruderparteien saßen und der die Dokumente für die Beratung der Bruderparteien vorbereitete. Danach erreichte der Kampf auf der Beratung von Vertretern der einundachtzig Bruderparteien beispiellose Heftigkeit.

Bei den Sitzungen des Redaktionsausschusses in Moskau im Oktober versuchten die Führer der KPdSU ihren eigenen Entwurf für die Erklärung der Beratung durchzudrücken, der eine ganze Reihe falscher Ansichten enthielt. Dank dem prinzipienfesten Kampf der Delegation der KP Chinas und einiger anderer Bruderparteien nahm der Redaktionsausschuss nach hitziger Debatte eine Reihe wichtiger und prinzipieller Abänderungen an dem von der KPdSU vorgelegten Erklärungsentwurf vor. In den meisten Punkten des Erklärungsentwurfes wurde Übereinstimmung erreicht. Aber in ihrem Bestreben, die Debatte fortzusetzen, lehnten die Führer der KPdSU ein Übereinkommen über einige noch ausstehende wichtige Differenzen ab, und als Chruschtschow von New York zurückkehrte, verwarf er sogar die bereits getroffenen Vereinbarungen zu manchen Fragen.

Im November 1960 fand die Beratung der einundachtzig Bruderparteien in Moskau statt. Ohne den Wunsch der Delegationen der Kommunistischen Partei Chinas und vieler anderer Bruderparteien nach Beilegung der Differenzen und Festigung der Einheit zu berücksichtigen, verteilte die Führung der KPdSU am Vorabend der Beratung unter den in Moskau versammelten Vertretern der Bruderparteien einen Brief von über 60.000 Wörtern, in dem die Kommunistische Partei Chinas noch wüster als je angegriffen wurde. Damit wurde ein noch schärferer Streit provoziert.

In einer derart anormalen Atmosphäre tagte also die Beratung von Vertretern der einundachtzig Bruderparteien. Durch ihre verabscheuungswürdige Handlungsweise brachten die Führer der KPdSU die Beratung an den Rand des Abbruchs. Da sich jedoch die Delegationen der Kommunistischen Partei Chinas und einiger anderer Bruderparteien zu den Prinzipien bekannten, standhaft kämpften und die Einheit aufrecht erhielten, da auch die Mehrheit der Delegationen der Bruderparteien für Einheit und gegen Spaltung waren, wurde auf dieser Beratung letzten Endes Übereinstimmung erzielt und positive Resultate gezeitigt.

In seinem Offenen Brief hat das ZK der KPdSU erklärt, dass die Delegation der KP Chinas auf dieser Beratung „die Erklärung erst unterzeichnete, als die Gefahr ihrer völligen Isolierung drohte.“ Auch das ist eine Lüge.

Wie verhielten sich die Dinge wirklich?

Die Führung der KPdSU hatte tatsächlich vor und während der Beratung eine Anzahl von Vertretern der Bruderparteien dazu angestiftet, die Kommunistische Partei Chinas durch Angriffe einzukreisen. Ganz unverhohlen wurde versucht, durch eine so genannte Mehrheit die Delegation der Kommunistischen Partei Chinas und die Delegationen anderer marxistisch-leninistischer Bruderparteien zu erdrücken und sie zur Annahme der revisionistischen Linie und des revisionistischen Standpunktes der Führung der KPdSU zu zwingen. Aber sowohl im Redaktionsausschuss der sechsundzwanzig Bruderparteien als auch auf der Beratung der einundachtzig Bruderparteien waren die Gewaltmethoden der sowjetischen Führer zum Scheitern verurteilt.

Tatsache ist, dass viele der falschen Ansichten im Erklärungsentwurf der Führung der KPdSU abgelehnt wurden. Hier einige Beispiele:

Die falsche Ansicht der Führung der KPdSU, die friedliche Koexistenz und der wirtschaftliche Wettbewerb seien die Generallinie der Außenpolitik aller sozialistischer Staaten, wurde abgelehnt.

Die falsche Ansicht der Führung der KPdSU, dass durch die friedliche Koexistenz und den friedlichen Wettbewerb eine neue Etappe in der allgemeinen Krise des Kapitalismus hervorgerufen wird, wurde abgelehnt.

Die falsche Ansicht der Führung der KPdSU von der immer größeren Möglichkeit des friedlichen Übergangs wurde abgelehnt.

Die falsche Stellungnahme der Führung der KPdSU gegen ein „Einzelgängertum“ der sozialistischen Länder, die in Wirklichkeit gegen die Politik der sozialistischen Staate, sich beim Aufbau in erster Linie auf die eigene Kraft zu verlassen, gerichtet ist, wurde abgelehnt.

Die falsche Stellungnahme der Führung der KPdSU gegen so genannte „Cliquentätigkeit“ und „Fraktionstätigkeit“ innerhalb der kommunistischen Bewegung wurde abgelehnt. In Wirklichkeit wurden damit von den Bruderparteien Gehorsam dem Befehlsstab der Führung der KPdSU gegenüber und Verzicht auf das Prinzip der Selbständigkeit und Gleichberechtigung in den Beziehungen zwischen Bruderparteien sowie auf das Prinzip der Einstimmigkeit durch Konsultationen, an deren Stelle die Praxis der Unterdrückung der Minderheit durch die Mehrheit treten sollte, gefordert.

Die falsche Ansicht der Führung der KPdSU, die die ernste Gefahr des modernen Revisionismus unterschätzte, wurde abgelehnt

Tatsache ist, dass viele richtige Ansichten, die von der Delegation der KP Chinas und den Delegationen anderer Bruderparteien zu wichtigen prinzipiellen Fragen vorgebracht wurden, in der Erklärung Aufnahme fanden. Die Ansichten, dass sich das Wesen des Imperialismus nicht geändert hat, dass der USA-Imperialismus der Feind der Völker der ganzen Welt ist, dass gegen den USA-Imperialismus die breiteste Einheitsfront errichtet werden muss, dass die nationale Befreiungsbewegung ein wichtiger Faktor bei der Verhütung eines Weltkriegs ist, dass die nationale, demokratische Revolution in den neuen unabhängigen Ländern resolut zu Ende geführt werden muss, dass die sozialistischen Staaten und die internationale Arbeiterbewegung den nationalen Befreiungskampf unterstützen müssen, dass die Arbeiterklasse und die Volksmassen in bestimmten entwickelten kapitalistischen Ländern, die unter der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Herrschaft des USA-Imperialismus stehen, den Hauptstoß gegen dessen Herrschaft sowie gegen das Monopolkapital und die anderen Kräfte der inneren Reaktion, die die Interessen der Nation verraten, richten müssen, dass unter Bruderparteien das Prinzip gelten muss, durch Konsultationen zur Übereinstimmung zu gelangen, dass der Revisionismus, der den Marxismus-Leninismus seines revolutionären Geistes beraubt, bekämpft werden muss, dass die Führer des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens am Marxismus-Leninismus Verrat geübt haben usw. – all diese Ansichten wurden durch Annahme der Meinungen der Delegation der KP Chinas und der Delegationen einiger anderer Bruderparteien in die Erklärung aufgenommen.

Natürlich muss man auch erwähnen, dass auch die Delegation der KP Chinas und die Delegationen einiger anderer Bruderparteien gewisse Zugeständnisse machten, nachdem die Führer der KPdSU damit einverstanden waren, ihre falschen Ansichten fallen zu lassen und die richtigen Ansichten der Bruderparteien anzunehmen. So zum Beispiel gingen unsere Meinungen über die Frage des XX. Parteitages der KPdSU und über die Form des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus auseinander, aber mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der KPdSU und einiger anderer Bruderparteien geben wir unsere Zustimmung, in diesen zwei Fragen die gleiche Formulierung wie in der Deklaration von 1957 zu gebrauchen. Aber schon damals teilten wir der Führung der KPdSU in Bezug auf die Formulierung über den XX. Parteitag der KPdSU mit, dass wir nur noch diesmal Rücksicht nähmen, in Zukunft aber eine solche Rücksicht nicht mehr nehmen würden.

All diese Tatsachen zeigen, dass sich der Kampf zweier Linien in der internationalen kommunistischen Bewegung von Anfang bis Ende durch die Moskauer Beratung von 1960 hindurchzog. Die Fehler der Führung der KPdSU, die auf dieser Beratung zu Tage traten, waren noch schlimmer als früher geworden. Aus dem Erklärungsentwurf, den die Führer der KPdSU vorlegten, und aus ihren Ansprachen auf dieser Beratung war deutlich zu ersehen, dass die falsche Linie, die die Führer der KPdSU den Bruderparteien aufzwingen wollten, politisch hauptsächlich in solch falschen Auffassungen wie „friedliche Koexistenz“, „friedlicher Wettbewerb“, und friedlicher Übergang“ bestand, während diese Linie organisatorisch auf der falschen Politik des Sektierertums und des Spaltertums beruhte. Es war eine revisionistische Linie, die dem Marxismus-Leninismus und dem proletarischen Internationalismus zuwider lief. Die Delegationen der Kommunistischen Partei Chinas und anderer Bruderparteien, die am Marxismus-Leninismus festhielten, stellten sich entschieden gegen diese Linie und verteidigten entschlossen die Linie des Marxismus-Leninismus und des proletarischen Internationalismus.

Das Ergebnis des Kampfes auf dieser Beratung war, dass die revisionistische Linie und die revisionistischen Anschauungen der Führer der KPdSU im wesentlichen zurückgewiesen wurden, und dass die marxistisch-leninistische Linie einen großen Sieg errang. Die revolutionären Prinzipien, die in der auf dieser Beratung angenommenen Erklärung festgelegt wurden, sind für die Bruderparteien der ganzen Welt eine scharfe Waffe im Kampf gegen den Imperialismus, für den Weltfrieden, die nationale Befreiung, die Volksdemokratie und den Sozialismus, gleichzeitig auch eine scharfe Waffe für die Marxisten-Leninisten aller Länder in ihrem Kampf gegen den modernen Revisionismus.

Auf dieser Beratung übten die Bruderparteien, die am Marxismus-Leninismus festhielten, strenge Kritik an einer Reihe falscher Auffassungen der Führung der KPdSU und zwangen sie, viele korrekte Vorschläge der Bruderparteien anzunehmen. Damit änderte sich die völlig anormale Situation, wonach nicht die geringste Kritik an den Fehlern der Führer der KPdSU zugelassen war und deren Wort als endgültig galt. Das war ein Ereignis von großer historischer Bedeutung für die internationale kommunistische Bewegung.

Im Offenen Brief des ZK der KPdSU wird behauptet, die Delegation der KP Chinas sei auf dieser Beratung in „völlige Isolierung“ geraten. Das ist ein unverschämter Versuch der Führer der KPdSU, den Schlag ins Gesicht, den sie sich selbst versetzt hatten, als Sieg auszudeuten.

Auf dieser Beratung wurde das Prinzip der Solidarität, das Prinzip der Unabhängigkeit und Gleichberechtigung von Bruderparteien, das Prinzip, Einmütigkeit durch Beratungen zwischen den Bruderparteien zu erreichen, in die Praxis umgesetzt, während die Versuche der Führer der KPdSU, sich die Minderheit mit Berufung auf die Mehrheit zu unterwerfen und den Bruderparteien ihre eigenen Ansichten aufzuzwingen, zum Scheitern gebracht wurden. Diese Beratung zeigte erneut, dass es für marxistisch-leninistische Parteien unumgänglich notwendig ist, bei der Beilegung von Differenzen zwischen Bruderparteien den Prinzipien treu zu bleiben, im Kampf beharrlich zu sein und die Einheit zu wahren. (…)


Anlage X – Ervin Roznyai:

Über die Einmischung der Chruschtschowianer zugunsten Imre Nagys und der konterrevolutionären Kräfte Ungarns

Brief von Ervin Roznyai an Kurt Gossweiler vom 24. 8. 2005 als Antwort auf auf eine Anfrage vom 18. 7. 2005

(…) Bei uns war die Linke immer schwach: die 19-er Räterepublik hinterließ überwiegend negative Spuren im Bewusstsein der Bevölkerung, in erster Linie wegen des physischen und ideologischen Terrors des Horthy-Faschismus, aber auch deshalb, weil sich Horthy dank Hitler den Titel „Vergrößerer des Landes“ verschaffte; weil das im März 1938 verkündete Aufrüstungsprogramm die Arbeitslosigkeit aufhob; weil das Klein- und Mittelbürgertum aus den Judengesetzen Nutzen zog, einen Teil aus dem enteigneten Vermögen erhielt. All das begünstigte, dass faschistische Ideologien tiefe Wurzeln schlugen.

Während der Kriegszeit gab es in Ungarn kaum Partisanenbewegung, sie blieb auf die Tätigkeit einer dürftigen und isolierten Gruppe beschränkt. Die eingefleischte Sowjet- und Kommunisten-gegnerschaft blieb nach der Befreiung bestehen, teilweise erstarkte sie auch noch. Obgleich die Bodenreform durch die Forderung der Kommunistischen Partei verwirklicht wurde und hauptsächlich Kommunisten die Landaufteiler waren, siegte bei den Parlamentswahlen die rechte Partei der kleinen Landwirte mit absoluter Mehrheit. Eigentlich brachte nur die Anwesenheit der sowjetischen Armee und (im äußersten Fall) ihr offenes Eingreifen die Wendung.

Diesen Negativa zum Trotz begann eine überwältigende Entwicklung durch die kommunistische Partei und die Arbeit ihrer erstarkenden Mitgliedschaft. Dieser nicht selten heldenhafte Schwung brach in Folge der westlichen Weltkriegsdrohung ab, als ein Teil der wirtschaftlichen Ressourcen zwangsweise und mit hohem Zeitdruck zur Entwicklung der Rüstung eingesetzt werden musste.

Aber nicht dies verursachte den schließlichen Bruch, sondern der Angriff des sowjetischen Revisionismus, welcher nicht erst mit dem XX. Parteitag begann, sondern – wie Rákosi in seinen Erinnerungen schreibt – viel früher, nämlich am Tag des Begräbnisses Stalins. Im Juni 1953 ließ die sowjetische Parteiführung die ungarischen Führer zu sich kommen (auch Imre Nagy), und in einem früher nie angewendeten, unqualifizierbaren Ton wies sie sie zur Ernennung von Imre Nagy zum Ministerpräsidenten an, zur unbedingten Verurteilung der gesamten bisherigen Politik und auch dazu, dass man alles dies in der Form eines „Manifestes“ veröffentlicht. Man schrieb vor, dass das „Manifest“ feststellt: in der Parteiführung unterdrückten bisher Juden die Nichtjuden (!!!). Die Sitzung leitete Berija in einem außerordentlich rohen Stil. (Es geschah ungefähr das Gleiche  wie mit der Delegation der DDR.) „Als wir aus dem Saal wankten, fühlten wir uns in der Mehrheit wie vor den Kopf geschlagen“ , schreibt Rákosi.

Die auf solche Weise vorbereitete Konterrevolution half direkt eine andere, offen revisionistische Einmischung zu entfesseln: die Ablösung von Rákosi. Diese ordnete der in Budapest eingetroffene Mikojan am 13. Juli 1956 an, mit großer Wahrscheinlichkeit auf Forderung von Tito. „Auf dem Teller trug er meinen Kopf zu Tito“, schreibt Rákosi. (Imre Nagy war übrigens Berijas Agent.)


Anlage XI – Rizospastis:

Nikos Zachariadis: Eine historische Persönlichkeit der kommunistischen Bewegung. Die 6. und 7. Tagung des Plenums des ZK der KKE

Über die Einmischung der Chruschtschowianer zu Gunsten der Rechtskräfte in der griechischen KP

Entnommen aus „Rizospastis“, Organ des ZK der KKE, Ausgabe 9. August 2003; Übersetzung: Thanassis Georgiu

Unter obiger Überschrift schreibt Rizospastis, Organ des ZK der Kommunistischen Partei Griechenlands, am 9. August 2003 (6. Teil und Schluss):

Die Auseinendersetzung (innerhalb der KKE; Th. Geo.) verschärfte sich kurz vor dem XX. Parteitag der KPdSU unter dem Einfluss des Änderungen, die nach Stalins Tod in der UdSSR und der KPdSU vor sich gingen. Die Einwirkung dieser Prozesse auf die KKE verschärfte die Auseinandersetzungen, die sich auch in der späteren Entwicklung der Partei widerspiegelten, in den Reihen der KKE.

Auf Vorschlag der „Internationalen Kommission“, die während des XX. Parteitages der KPdSU aus den sechs Kommunistischen Parteien der Länder errichtet wurde, in denen griechische politische Emigranten lebten, d.h. aus den Parteien Bulgariens, Polens, Rumäniens, Ungarns, der Sowjetunion und der Tschechoslowakei, trat am 11. und 12. März 1956 in Rumänien die 6. Plenartagung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Griechenlands zusammen. An dieser Plenartagung nahmen die Mitglieder des ZK und der ZKK, die sich im Ausland aufhielten, sowie Mitglieder des ZK, die in verschiedenen Zeiten abgesetzt bzw. ausgeschlossen worden waren, teil. Außerdem verfolgten Vertretungen der kommunistischen Parteien der Länder, in denen politische Emigranten aus Griechenland lebten, die Arbeit der Tagung.

Sie alle strebten danach, das zu tun, was die „Internationale Kommission“ in ihrem Referat auf der Tagung vortrug: zur Lösung der scharfen Spannungen innerhalb der KKE beizutragen.

Es war die erste Plenar-Tagung in der Geschichte der KKE, die nicht von der Partei selbst oder einem ihrer gewählten Organe, also dem Politbüro oder dem Zentralkomitee einberufen wurde, sondern von anderen Parteien.

Nikos Zachariadis widersetzte sich, indem er darauf bestand, dass nur die Parteiorgane befugt seien, über die Situation in der KKE zu befinden. Hinter den Kämpfen innerhalb der Partei steht die ideologisch-politische Auseinandersetzung, die sich in der Hauptsache um die Beschlüsse des XX. Parteitages der KPdSU dreht sowie um die Anpassung der KKE an diese. So nimmt Nikos Zachariadis nicht an dieser Tagung teil, obwohl er Generalsekretär des Zentralkomitees der KKE ist.

Das Hauptreferat der Tagung hielt der Rumäne Gheorghe Gheorghiu als „Vorsitzender der Internationalen Kommission der sechs kommunistischen Parteien“. Nach seinem Referat billigte die Tagung Entschließungen über die innerparteiliche Situation und die Einberufung des 8. Parteitages. Die Tagung beschloss die Absetzung von Nikos Zachariadis als Generalsekretär des Zentralkomitees und als Mitglied des Politbüros. Ebenfalls setzte sie Wassilis Bartzotas ab, während sie M. Partsalidis, Sisis Sografos und andere wieder in ihre Ämter holte. Viele von ihnen führten später den revisionistischen Flügel innerhalb der Partei bis hin zur Spaltung im Jahre 1968.

Es gibt noch eine Fortsetzung: Weniger als ein Jahr nach der erwähnten Tagung trat die 7. Plenartagung des ZK der KKE vom 18. bis 24. Februar 1957 zusammen (an der Zachariadis teilnahm). Dort wurde er endgültig aus dem Zentralkomitee und zusätzlich auch noch aus der Partei ausgeschlossen. Gleichzeitig wurde Markos Wafiadis (General Markos, Th. Geo.) wieder in das ZK aufgenommen.

Rizospastis schreibt u.a. noch: Zachariadis arbeitete von Anfang März 1956 bis Anfang Juni 1962 als Direktor einer Försterei in Borowitschi. Von dort aus begab er sich nach Moskau und stellte in der griechischen Botschaft einen Antrag an die griechische Regierung, ihm die Rückkehr nach Griechenland zu gestatten, um vor Gericht nachzuweisen, dass die von der parteiinternen Reaktion gegen ihn und gegen die Partei vorgebrachten Anklagen haltlos sind. Für diesen seinen Schritt wurde er nach Sargout in Sibirien geschickt, wo er isoliert bis zum 1. August 1973 lebte. An diesem Tag beging er Selbstmord.


Anlage XII: Kurt Gossweiler:

Die hoffnungsvollen Erwartungen im Westen auf eine für sie günstige Entwicklung in der SU nach Stalins Tod

aus: Die antisozialistische Doppelstrategie des Imperialismus und der historische Wechsel von der Konfrontationspolitik zur – schließlich erfolgreichen – ‘indirekten Strategie’

Diskussionsbeitrag auf der Konferenz: “Oktoberrevolution 1917 – Gegenstrategien und deutsche Linke” vom 20./21. 9. 1997

Entnommen aus: Offensiv, Ausgabe 6-1999, S. 37 bis S. 44. Die Quellennachweise befinden sich  am Ende des Artikelauszugs.

Den Kampf gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung führt die Bourgeoisie schon seit den Zeiten von Marx und Engels auf den Linien einer Doppelstrategie, deren eine Linie der offensive Kampf mit allen Mitteln bis zur brutalen Verfolgung und Unterdrückung ist, deren andere Linie der Versuch der inneren Zersetzung und Aufweichung mit den vielfältigsten Mitteln – Korruption, Erpressung, Entfachung innerer Auseinandersetzungen, Einschleusung von Agenten und anderes mehr – ist.

Mit der gleichen Doppelstrategie bekämpfte die Weltbourgeoisie die Sowjetmacht vom ersten Tage ihrer Existenz an.

Eine Doppelstrategie ist dies, weil sie den Kampf ständig auf beiden Linien führt, wobei je nach den Umständen die eine oder andere den Vorrang hat. Auf die Interventionskriege[9] folgte die Phase der Anerkennung der Sowjetunion mit den Versuchen der Sabotage des wirtschaftlichen Aufbaus und der Förderung der inneren Opposition, auf das Scheitern der Strategie, die Sowjetunion durch Nazideutschland umbringen zu lassen, erst der Kalte Krieg, dann die Politik des “Wandels durch Annäherung”, vom DDR-Außenminister Otto Winzer völlig zutreffend als “Konterrevolution auf Filzlatschen” gekennzeichnet. Aber nie setzte die Bourgeoisie nur auf die eine Linie, immer wurde die gerade dominierende strategische Linie ergänzt durch parallel laufende Aktivitäten auf der zweiten Linie.

Es war keinesfalls Zufall, daß der Imperialismus stets scheiterte, wenn er auf die Linie der Konfrontation und Gewalt als Hauptlinie setzte: so unwahrscheinlich dies auch sowohl 1918-1920 wie 1941-45 zunächst erschien – der sozialistische Staat erwies sich selbst unter den ungünstigsten Ausgangspositionen immer als stark und unbesiegbar, wenn seine Feinde ihn offen und frontal angriffen. Der Sozialismus erlag dem Imperialismus nicht im offenen Kampf, nicht der bewaffneten Konterrevolution, sondern der Filzlatschen-Konterrevolution. Deren Geschichte muß erst noch geschrieben werden. Einen Anfang dazu hat Sahra Wagenknecht mit ihrem Buch “Antisozialistische Strategien im Zeitalter der Systemauseinandersetzungen. Zwei Taktiken im Kampf gegen die sozialistische Welt” gemacht. Und Wesentliches dazu hat auch Genosse Polikeit in seinem heutigen Referat ausgeführt.

Bei Sahra Wagenknecht findet sich die Feststellung (s.9): “Die indirekte Strategie” – also das, was Winzer als ‘Konterrevolution auf Filzlatschen’ bezeichnete – “war der entscheidende Hebel, vermittels dessen die Niederwerfung des ersten Sozialismus gelang. Wir haben daher allen Grund, und sehr detailliert mit ihr auseinanderzusetzen.” Allerdings setzen Sahra Wagenknecht wie Genosse Polikeit den Zeitpunkt des Übergangs von der vorrangigen Anwendung der Politik des Knüppels zur vorrangigen ‘indirekten Strategie’ zu spät an; so lesen wir bei Wagenknecht (S.8): “Die Strategie des Frontalangriffs … bestimmte in den fünfziger und beginnenden sechziger Jahren das antisozialistische Vorgehen des imperialistischen Blocks.” So ähnlich vorhin auch Genosse Polikeit.

Ich kann heute nur an einigen wenigen Beispielen deutlich machen, daß der Übergang zur indirekten Strategie bereits in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre eingeleitet, in der zweiten Hälfte der Fünfziger bereits dominierend wurde, jedoch ohne daß die Strategie des Knüppels etwa beiseite gelegt worden wäre.

In den Jahren 1945 bis 1947 unternahmen die imperialistischen Politiker der USA und Englands das nicht ganz einfache Geschäft, der eigenen Bevölkerung im Westen das tiefsitzende Gefühl der Freundschaft und Bewunderung für die Sowjetunion auszutreiben und an seine Stelle Furcht  und Feindschaft treten zu lassen, wie sie bisher mit vollem Recht gegenüber Hitlerdeutschland empfunden und gepflegt wurden. Den Startschuß dafür gab der alte Sowjethasser Winston Churchill (der während  des Zweiten Weltkrieges, wenn er von Stalin sprach, gerne die Worte “my friend Joe” benutzt hatte), in einer Rede, die er am 5. März 1946 in Fulton, USA, hielt, eine Rede, die nicht zu Unrecht als die Eröffnung des Kalten Krieges in die Geschichtsbücher eingegangen ist. In dieser Rede übernahm er ein Goebbels-Wort vom “Eisernen Vorhang”, um die Notwendigkeit zu begründen, an die Stelle der Antihitlerkoalition mit der Sowjetunion nunmehr ein zweiseitiges Bündnis USA-England treten zu lassen, da “auf die Russen am meisten das Argument der Stärke” wirke. (1)

Auf diese Rede folgte der Marshall-Plan 1947, die Gründung der NATO 1949, der erste Versuch des militärischen Roll-Back gegen Nord-Korea 1950 und am 27. Januar 1953 eine Rede des frischgebackenen neuen Außenministers der gerade ins Amt getretenen Eisenhower-Administration, John Foster Dulles, in der die Sowjetunion als der gefährlichste Feind der USA in deren ganzer Geschichte an die Wand gemalt wurde: “Wir haben Feinde”, führte er aus, “die unsere Vernichtung planen. Diese Feinde sind die sowjetischen Kommunisten und ihre Verbündeten in anderen Ländern….Diese Bedrohung hat einen todernsten Charakter. Präsident Eisenhower hat erst vor kurzem erklärt, daß die Vereinigten Staaten in größerer Gefahr schweben als jemals zuvor in ihrer Geschichte.” (2) Dies also ist das Schreckensbild, das Eisenhower und Dullas im Januar 1953 von der Sowjetunion und ihren Verbündeten malten.

Das ändert sich aber in auffälliger Weise schon zwei Monate später  – nach Stalins Tod am 5. März 1953. Zu diesem Ereignis ließ sich Dulles wie folgt vernehmen: “Die Ära Eisenhower beginnt, während die Ära Stalins zu Ende gegangen ist…nunmehr ist Stalin tot. Er kann sein Prestige niemandem vererben. Gleichzeitig ist mit Präsident Eisenhower der Mann zum Präsidenten unserer großen Republik geworden, der Westeuropa befreit hat. Sein Ansehen ist einmalig in der Geschichte, eine neue Ära beginnt.” (3)

Am 16. März 1953 hatte der neue sowjetische Ministerpräsident, Malenkow, seine Regierungserklärung abgegeben und darin den Friedenswillen der Sowjetunion bekräftigt. Vier Tage später, am 20. März, reagierte Eisenhower auf Malenkow mit der Erklärung, seine Regierung werde jedwedem ernstlichen sowjetischen Friedensvorschlag “mindestens auf halbem Wege entgegenkommen, aber er finde keinen Anhaltspunkt für einen Wechsel in der russischen Politik.” (4) War diese Erklärung auch noch sehr distanziert, so unterschied sie sich doch sehr deutlich von den vorherigen Feindbild-Beschwörungen und enthielt unübersehbar ein Angebot für den Fall eines sowjetischen Entgegenkommens.

Dieses Angebot wurde noch viel nachdrücklicher wiederholt und zugleich verdeutlicht, welche Schritte des Entgegenkommens von der Sowjetunion als Vorbedingung erwartet wurden. In einer Rede am 16. April 1953 ließ sich Eisenhower wie folgt hören: “Die Welt weiß, daß mit dem Tode Stalins eine Epoche zu Ende ging….Jetzt ist eine neue Führergeneration in der Sowjetunion an die Macht gekommen. Die sie mit der Vergangenheit verknüpfenden Bande mögen auch noch so stark sein, sie bedeuten jedoch keine feste Bindung für sie. Die Gestaltung der Zukunft hängt weitgehend von ihrem Willen ab….Die neuen sowjetischen Führer haben somit eine einmalige Gelegenheit, sich….darüber klar zu werden, welchen Grad der allgemeinen Gefährdung wir (“wir”!) erreicht haben, und daß sie das ihre tun müssen, den Lauf der Geschichte zu wenden.” (5)

Ist das nicht schon auf einen Ton gestimmt, als hoffe er darauf, auf der anderen Seite einen Partner zu finden, der die “allgemeinmenschlichen Interessen” über die marxistische Klassenkampf-Doktrin stellt? Diesem Ton treubleibend fuhr Eisenhower fort: “Werden sie das tun? Wir wissen es heute noch nicht. In letzter Zeit scheinen gewisse Erklärungen und Gesten der sowjetischen Führung dafür zu sprechen, daß man sich dort dieses kritischen Augenblicks bewußt sein mag. Schon einige wenige klare und eindeutige Taten….würden ein eindrucksvolles Zeichen für das Vorhandensein einer ehrlichen, ernstgemeinten Absicht darstellen….Der erste Schritt auf diesem Wege muß der Abschluß eines ehrenhaften Waffenstillstands in Korea sein” sowie “die Unterzeichnung eines österreichischen Staatsvertrages durch die Sowjetunion.”

Diese Eisenhower-Erklärung ist ein erster, aber höchst beachtenswerter Hinweis darauf, daß die imperialistische Seite für möglich hält und darauf hofft, daß sich in der “neuen Führergeneration” der Sowjetunion Leute finden, die “keine feste Bindung” an die Prinzipien haben, denen die sowjetische Politik bisher gefolgt ist, Leute, die nicht am Grundsatz des Anti-Imperialismus festhalten, sondern bereit sind zur Kooperation mit den imperialistischen Mächten zur Beseitigung der “allgemeinen Gefährdung die wir erreicht haben”, die also bereit sind überzugehen von der Position des Klassenkampfes zur Position der Klassenzusammenarbeit.

Noch deutlicher wird diese hoffnungsvolle Erwartung von Churchill ausgesprochen in einer Rede, die er am 11. Mai 1953 im Unterhaus hielt und in der er zugleich auch Hinweise dafür gab, welche Taktik angewendet werden sollte, um Vertreter solcher Tendenzen in der Sowjetführung zu ermutigen, auf ihrem Wege weiterzugehen: “Das wichtigste Ereignis” – so Churchill – “ist …natürlich die Änderung der Haltung und, wie wir alle hoffen, des Geistes, die im Sowjetbereich  und insbesondere im Kreml seit dem Tode Stalins stattgefunden hat…. Es ist die Politik der (britischen, K.G.) Regierung, es durch jedes Mittel in ihrer Macht zu vermeiden, etwas zu tun oder zu sagen, das irgendeine günstige Reaktion hemmen könnte, die sich ergeben könnte, sowie jedes Zeichen einer Verbesserung in unseren Beziehungen mit Rußland zu begrüßen. Wir sind durch eine Serie freundlicher Gesten seitens der neuen Sowjetregierung ermutigt worden…Es würde, glaube ich, ein Fehler sein anzunehmen, daß mit der Sowjetunion nichts geregelt werden kann, sofern und solange nicht alles geregelt wird….So mögen z.B. Frieden in Korea oder der Abschluß des Österreich-Vertrages zu einer Erleichterung in unseren Beziehungen führen….Es würde bestimmt keinen Schaden verursachen, wenn jeder Saat für eine Zeit sich nach Dingen umsehen würde, die zu tun angenehm statt unangenehm für den Partner ist. Vor allem würde es ein Malheur sein, wenn wir durch unser natürliches Verlangen, eine allgemeine Regelung in der internationalen Politik zu erzielen,  jedwede spontane und heilsame Evolution hindern würden, die sich innerhalb Rußlands abspielen könnte.” (6) (Unterstreichung: K.G.)

Dies ist die erste mir bekannte Formulierung des Konzepts der Strategie des “Wandels durch Annäherung”, ausgesprochen von dem Mann, der wohl am klarsten erkannt hat, daß, da es nicht gelang, des Kind der Oktoberrevolution in der Wiege zu ersticken und auch nicht, es durch die Armeen des deutschen Imperialismus auslöschen zu lassen, ein ganz anderer, “friedlicher” Weg der Zersetzung der politischen und ideologischen Grundlagen des Sowjetstaates und der Sowjetgesellschaft versucht werden mußte zu gehen. Churchill beendete seine das Verhältnis zur Sowjetunion betreffende Redepassage mit dem Vorschlag einer Konferenz der führenden Mächte “auf höchster Ebene”. Eine solche Konferenz fand schließlich im Juli 1955 in Genf statt. Sie war der Auftakt zu dem, was als “Entspannungspolitik” bezeichnet wurde und schließlich zur Gipfeldiplomatie führte, deren Hauptkennzeichen darin bestand, daß sie die Volksmassen zu passiven Zuschauern der auf diesen “Gipfeln” öffentlich aufgeführten Schaukämpfe degradierte, sie aber von den wirklich entscheidenden Verhandlungen und Abmachungen hinter den verschlossenen Türen ausschloß, die also ihrem Wesen nach unter neuem Namen eine Rückkehr zur Geheimdiplomatie alten Stiles waren.

Das Jahr 1955 brachte dann gleich mehrere Ereignisse, die Eisenhower, Dulles, Churchill und ihresgleichen in ihrer Hoffnung auf eine ihnen wohlgefällige Entwicklung der sowjetischen Politik zu bestärken geeignet waren, nachdem der von Eisenhower und Churchill 1953 als vorrangiges Zeichen guten Willens geforderte Waffenstillstand in Korea schon im gleichen Jahre zustande gekommen war. In der alljährlichen Botschaft des amerikanischen Präsidenten an den Kongress “zum Stand der Union” am Jahresbeginn traf Präsident Eisenhower – nach den gewohnten Sentenzen über die kommunistische Gefahr und der Versicherung der ausreichenden eigenen militärischen Fähigkeit zur Abschreckung des kommunistischen Aggressors – die bemerkenswerte Feststellung: “Dies ist natürlich eine Art von Patt in der Welt.” Diese Einsicht in die Unmöglichkeit, den Sozialismus mit militärischer Gewalt aus der Welt zu schaffen, zugleich aber auch die seit dem Frühjahr 1953 registrierten Anzeichen eines sich anbahnenden Wandels in der Politik der sowjetischen Führung waren die entscheidenden Faktoren dafür, daß in der imperialistischen Doppelstrategie die Linie der indirekten Strategie stetig an Gewicht gewann. (6a)

Mit Genugtuung dürften in Washington und London die Absetzung des Stalin-Vertrauten Malenkow als Regierungschef und seine Ersetzung durch einen Militär, den bisherigen Verteidigungsminister Bulganin, verzeichnet worden sein, wurde doch dessen Nachfolger als Verteidigungsminister Grigorij Shukow. Dieser Wechsel in der Regierung der Sowjetunion fand am 8. Februar 1955 statt, aber schon am 7. Februar hatte der Chef eines der größten US-Pressekonzerne, Hearst jun, mit Shukow ein langes Interview. Shukow beklagte die gegenwärtig schlechten Beziehungen zwischen ihren beiden Ländern und ließ keinen Zweifel daran, daß die Verantwortung dafür allein bei den USA lag. Zugleich aber sagte er: “Mein aufrichtiger Wunsch ist es, daß sich die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern verbessern. Ich möchte die Vereinigten Staaten besuchen, und bei einer Verbesserung der Beziehungen würde ich das mit Vergnügen tun Vor allem bitte ich, Präsident Eisenhower meine besten Wünsche zu übermitteln. Ich denke oft an die Zeit, als wir gemeinsam im Kontrollrat in Berlin arbeiteten. Damals haben wir viel Nützliches geleistet, und unsere guten Beziehungen haben zum guten gegenseitigen Verständnis zwischen unseren Ländern beigetragen. Ich möchte Präsident Eisenhower meinen Wunsch übermitteln, daß die freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Ländern wieder hergestellt werden.” (7)

Auf einer Pressekonferenz am 27. April 1955 ging Eisenhower indirekt auf dieses Interview ein, als er sagte, “Daß das Gefühl bei ihm vorherrsche, daß die Beziehungen mit der kommunistischen Welt sich im Aufschwung befänden, wenn auch jede Entwicklung, die eine Verringerung der Spannung andeute, durch negative Momente aufgewogen werden könne….Präsident Eisenhower enthüllte auch, daß er in einem privaten Briefwechsel mit dem sowjetischen Verteidigungsminister Marschall Grigorij Shukow stehe, der auf der alten Freundschaft zwischen ihm und Shukow aus dem Jahre 1945 beruhe, als beide alliierte Kommandanten in Berlin waren.” (8)

Das zweite Zeichen guten Willens der Sowjetunion, das Eisenhower und Churchill nach der Zustimmung zum Waffenstillstand in Korea in ihren Reden gefordert hatten, war der Abschluß des Staatsvertrages mit Österreich. In ihm verpflichtete sich bekanntlich Österreich zu ewiger Neutralität und erhielt dafür seine volle Souveränität zurück sowie den Abzug aller Besatzungstruppen. Seitens der USA-Politiker wurde die Zustimmung der Sowjetunion zum österreichischen Staatsvertrag sofort als ein Erfolg der Politik der Stärke ausgegeben und daraus die Schlußfolgerung gezogen, jetzt müsse man den Druck auf die UdSSR verstärken, damit sie gezwungen wird, auch einer Neutralisierung der mit ihr verbündeten osteuropäischen Länder zuzustimmen. In einem Bericht über eine Fernsehrede des US-Außenministers J. F. Dulles am 17. Mai 1955 hieß es, Dulles habe “mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß die Russen im Falle Österreich zum ersten Male zurückgewichen seien, was von erheblicher Bedeutung für die anderen Staaten Osteuropas so z.B. Ungarns und der Tschechoslowakei sein werde….Die gegenwärtige Entwicklung könnte einen Wendepunkt der Geschichte bedeuten. Die Politik der Stärke beginne ihre Früchte zu tragen.” (9)

Eine ganz andere Schlußfolgerung hatte der sowjetische Außenminister Molotow aus Anlaß der Unterzeichnung des Staatsvertrages gezogen; er mahnte an, nunmehr zur Regelung der deutschen Frage nach dem Vorbild des österreichischen Staatsvertrages überzugehen durch die Herstellung eines neutralen Gesamtdeutschland und Beendigung des Besatzungsregimes. (10) Diese Schlußfolgerung stieß auf geradezu wütende Ablehnung durch die USA-Politiker. In der Herald Tribune war zu lesen: “Ein Regierungssprecher erklärte, daß man sich nur schwer vorstellen könne, daß die Vereinigten Staaten und ihre NATO-Alliierten einem Vorschlag zustimmen würden, der die durch Jahre unternommenen diplomatischen und politischen Bemühungen hinsichtlich Westdeutschlands zunichte mache und der Sowjetunion die Vorteile eines militärischen Vakuums bieten würde. Die deutsche Mitgliedschaft bei der NATO müsse intakt bleiben.” (11)

In der gleichen Zeitung war in einem den oben zitierten Dulles-Bericht kommentierenden Leitartikel vom 16. Mai 1955 zu lesen, “daß selbst freie Wahlen in ganz Deutschland keine für den Westen befriedigende Lösung wären, solange die Russen die Länder Osteuropas kontrollieren. Eine Bedingung für die Ermöglichung von Verhandlungen über ein neutralisiertes Deutschland wäre, daß die Satellitenstaaten von dem verderblichen sowjetischen Druck befreit würden.” (12) Noch im Mai bekräftigte Dulles die nicht mehr rückgängig zu machende Zugehörigkeit der Bundesrepublik zur NATO und die Richtung, in der die Sowjetunion zu weiterem Zurückweichen gezwungen werden sollte mit den Worten, “Deutschland gehört unumgänglich zum Westen. Denkbar sei aber ein neutraler Korridor östlich von Deutschland.” (13) Damit Machte Dulles die Hauptstoßrichtung der Versuche deutlich, das sozialistische Lager aufzulösen: die Sowjetunion sollte durch äußeren Druck und durch Entfachung von Loslösungsbewegungen in den sozialistischen Ländern dazu gebracht werden, die Restauration der bürgerlichen Ordnung dort hinzunehmen. Wer solche Pläne entwickelte, der mußte mit Kräften in der sowjetischen Führung rechnen, die bereit waren, eine solche “Evolution” zuzulassen oder gar zu unterstützen.

Ein weiteres, geradezu eine Zäsur schaffendes Ereignis dieses Frühjahrs 1955 war geeignet, solche Erwartungen und Hoffnungen zu verstärken: Die Aussöhnung der Sowjetführung mit Tito im Mai-Juni 1955. Um deren Bedeutung für die künftigen Ereignisse und Entwicklungen voll einschätzen zu können, muß an einige Fakten der Vor- und Nachgeschichte dieser Aussöhnung erinnert werden.

Diese Aussöhnung ging bekanntlich so vor sich, daß Chrustschow der Sowjetunion die alleinige Schuld für die Entzweiung auflud, erklärte er doch wahrheitswidrig: “Wir haben das Material, worauf die schweren Beschuldigungen und Beleidigungen beruhen,….sorgfältig geprüft. Die Tatsachen zeigen, daß dieses Material von den Feinden des Volkes, den verachtungswürdigen Agenten des Imperialismus, die sich durch Betrug in die Reihen unserer Partei eingeschlichen haben, fabriziert worden ist…” (14) (Der gleiche Chrustschow erklärte 3 Jahre später auf einem Parteitag der Bulgarischen Kommunistischen Partei: “Im Jahre 1948 nahm die Konferenz des Informationsbüros eine Resolution über die Lage in der KP Jugoslawiens an, die eine berechtigte Kritik an der Tätigkeit der KP Jugoslawiens  in einer Reihe von Fragen enthielt. Diese Resolution war im wesentlichen richtig und entsprach den Interessen der revolutionären Bewegung.” (15)

Zum Abschluß des Staats- und Parteibesuches der sowjetischen Delegation unterzeichneten Tito und Bulganin eine Erklärung, über die man in den westlichen Hauptstädten sehr zufrieden gewesen sein dürfte, bot sie doch eine Handhabe dafür, die Forderung an die Sowjetunion, der Neutralisierung der mit ihr verbündeten Staaten zuzustimmen, als Einlösung dessen auszugeben, was sie in dieser Erklärung unterschrieben haben. Diese Erklärung enthielt nämlich folgenden Passus: “Beide Regierungen gehen von folgenden Prinzipien aus: gegenseitige Achtung und Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, Einmischung weder aus wirtschaftlichen, noch aus politischen, ideologischen oder sonstigen Gründen, da die Fragen der inneren Einrichtung, des Unterschiedes in den Gesellschaftssystemen und des Unterschiedes in den konkreten Formen der Entwicklung des Sozialismus ausschließlich Sache der Völker der einzelnen Länder sind.” (16)

Etwa drei Wochen nach der sowjetischen Delegation reisten Delegationen der USA, Großbritanniens und Frankreichs zu Verhandlungen nach Belgrad, 24. – 27. 6. 1955. Die Abschlußerklärung über diese Verhandlungen brachte die Zufriedenheit der Westmächte über die Ergebnisse der jugoslawisch-sowjetischen Verhandlungen “im Hinblick auf die positiven internationalen Ereignisse in der letzten Zeit” zum Ausdruck. Sie unterstrich “die volle Achtung und Anerkennung des Rechts aller Länder auf Unabhängigkeit, Gleichheit, Selbstverteidigung und kollektive Sicherheit” (17), worunter die Teilnahme am imperialistischen Paktsystem verstanden wurde, worauf die lobende Erwähnung des Balkanpaktes hinwies, dem – im Widerspruch zur Behauptung der Blockfreiheit Jugoslawiens durch seine Führer – außer den beiden NATO-Partnern Griechenland und Türkei eben auch Jugoslawien als Gründungsmitglied angehörte. Durch diesen Pakt war Jugoslawien eingebunden in das von den USA geleitete imperialistische Paktsystem, und beabsichtigte dies auch nach der “Aussöhnung” mit der Sowjetunion zu bleiben, sagte doch Tito über Jugoslawiens Zugehörigkeit zum Balkanpakt am 3. August 1955 wörtlich: “Das Abkommen ist nicht vorübergehender Natur” (18) (…)

Quellennachweise:

1) Gerhard Kade, Die Bedrohungslüge. Zur Legende von der ‘Gefahr aus dem Osten’, Berlin 1982, S.119f,  //
2) Keesing’s Archiv der Gegenwart (künftig: AdG) v. 27.1.1953, S. 3840  //
3) AdG v. 9. März 1953, S. 3902  //
4) AdG v. 19. März 1953, S. 3916  //
5) AdG v. 16. April 1953, S. 3953  //
6) AdG v. 15. Mai 1953, S. 3992  //
6a) AdG v. 6. Januar 1955, S. 4946  //
7) AdG v. 14. Februar 1955, S. 5016f.  //
8) AdG v. 29. April 1955, S. 5139  //
9) AdG v. 22. Mai1955, S. 5179  //  
10) AdG v. 15. Mai 1955, S. 5164  //
11) AdG v. 22. Mai 1955, S. 5179  //
12) ebenda  //
13) AdG v. 6. Juni 1955, S. 5194  //
14) Für dauerhaften Frieden, für Volksdemokratie! Organ des Kommunistischen Informationsbüros, 21/1955 //
15) Neues Deutschland, Berlin, 5.6.1958  //
16) Handbuch der Verträge 1871-1964, Berlin 1968, S. 606  //
17) AdG v. 29./30. Juni 1955, S. 5232  //
18) AdG v. 3. August 1955, S. 5292  //


Anlage XIII – Gerhard Oberkofler:

Manfred Stern,der erste Kommandeur der XI. Internationalen Brigade in Spanien

Entnommen aus: nVs – Neue Volksstimme, Wien, nach: Alfred Klahr Gesellschaft – Mitteilungen, Nr. 2-2001

(…) So stellt sich der als General Kleber in der spanischen republikanischen Armee weltberühmt gewordene Manfred Stern in seiner Eingabe vom Juni 1944 an den Obersten Befehlshaber Marschall der Sowjetunion J.W.Stalin mit der Bitte vor, ihn zu rehabilitieren und zu ermöglichen, „gegen den niederträchtigen Feind, die Hitlerhorden, zu kämpfen“. (…)

Manfred Stern verstarb als Gefangener noch vor seiner Rehabilitierung. Das Schicksal von Manfred Stern gibt für Materialisten allerdings keinen Anlass zur Traurigkeit und Melancholie, vielmehr spiegelt das Leben von Manfred Stern und die Haltung seiner der KPdSU treu verbunden gebliebenen Brüder den Heroismus, die Prinzipienfestigkeit und Energie der revolutionären Arbeiterbewegung wider. Wiederholt und geduldig unternahm Leo Stern verschiedene Aktivitäten, um die objektive historische Wahrheit über seinen Bruder durchzusetzen. Dabei ging Leo Stern davon aus, dass innerhalb der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und ihrer verzweigten Apparate eine Unzahl von Parasiten und stillen Agenten des mörderischen Klassenfeindes tätig waren. Eine ihrer Zielsetzungen war, in der sich in einem historischen Ausnahmezustand befindlichen Sowjetunion ein denunziatorisches Klima der allgemeinen Repression durch Organe der Sowjetunion zu verbreiten. Dabei kam dem Klassenfeind gelegen, dass unter Stalin eine Säuberung der Kader der KPdSU objektiv notwendig geworden war, weil ein bloß geistiger Kampf gegen rechte und pseudolinke Parteigruppierungen deren organisatorische Festigung nicht verhindern hätte können. Georg Lukás hat bei der Erörterung des Gegensatzes zwischen Rosa Luxemburg und Lenin solche Parteifragen im Kern herausgearbeitet und analysiert

Es empfiehlt sich bei dieser Gelegenheit, einen historischen Blick nach vorne in die Fünfziger und Sechziger Jahre der Sowjetunion zu machen. Es sind Jahre, in denen sich die KPdSU tendenziell zu einem bürgerlichen Staatsapparat rückentwickelt und das sozialpolitische Vorfeld für die massenhafte Ausbreitung von bei nächster Gelegenheit zum Klassenfeind überlaufenden oder von diesem korrumpierten Funktionären wie Boris Jelzin und Michael Gorbatschow schuf.

Aus dialektisch-revolutionärer Sicht stellt sich Manfred Stern als ein Opfer von Organen der Sowjetunion unter Stalin dar, vor allem aber als Opfer des Klassenkampfes, speziell jener verdeckten Agenten des Klassenfeindes, welche die historische Situation der KPdSU unter Stalin dazu benützen konnten, um herausragende Revolutionäre wie Manfred Stern durch Verleumdungen auszuschalten. Erst wenn diese Zusammenhänge historisch-dialektisch aufbereitet und von der derzeit politisch korrekten Historiographie nicht nur als „Stalin-Opfer“ angeboten werden, sind solche Schicksale von herausragenden Kämpfern der internationalen revolutionären Arbeiterbewegung wie Manfred Stern begreifbar.

Eine Pionierarbeit dazu hat im übrigen schon Eduard Rabofsky durch seine Mitarbeit am Beitrag über Manfred Stern von Heinrich Dürmayer (Österreicher im Spanischen Bürgerkrieg, Wien 1986, S. 77f.) geleistet. Dokumentarisch aufbereitete Biographien wie jene von Brun-Zechowoj sind jedenfalls für die weiter gehende Beschäftigung mit diesem Problemkreis nützlich.

Nachfolgender Briefwechsel

Robert Steigerwald:

Brief an Kurt Gossweiler, 2. Februar 2006

Lieber Genosse Gossweiler,

ich danke Dir für Brief und Beigaben vom 10. 12. 2005. Inzwischen ist auch der Brief mit dem Text von Gen. Rakosci gekommen. Zu seinen Erinnerungen gab es bereits vor einigen Monaten irgendwo eine Besprechung (ich glaube, sogar in der FAZ!) und zwar eine nicht verleumderische. Außerdem war der Schwiegervater von Andreas Gedö, Budapest, mit dem ich in engerem Kontakt bin, zusammen mit Rakosci in der Zelle, so das ich von daher einige wenige Dinge kannte.

Dass sich die sowjetische Führung in die Belange anderer Parteien einmischte, wissen wir doch beide, und es wäre dagegen auch nichts einzuwenden, wenn die erfahrenere Partei den weniger erfahrenen hilft. Ich erinnere mich, dass auch Bebel ziemlich rabiat in Belange etwa der Partei in Böhmen eingriff (drohte, den Geldhahn zuzudrehen, da ging es um Revisionistisches, also o.k.). Bei der SED war recht intensiv Kuusinen „Verbindungsmann“, bei uns ein – recht vernünftiger – Genosse Jeshow, ich hatte einige Male mit ihm zu tun. Stalins Eingriff in unser „Programm der nationalen Wiedervereinigung“ („revolutionärer Sturz des Adenauer-Regimes“ im Kontext eines solchen Programms) war freilich eine „Hilfe“, die uns im Verbotsprozess sehr zu schaffen machte.

Wie man sieht, es ist mit dem Helfen genau so, wie es in Stalins Frage lautete: Ist Regen gut für die Ernte oder schlecht?

Ich hoffe, dass Du die verdammte Gürtelrose-Geschichte überstanden hast, das dauert ja nicht wenige Wochen. Das ist das wichtigste, das ich in diesem Brief Dir sagen will.

Als ich den Brief öffnete, sagte ich zu mir: Der Kurt hält Dich für arbeitslos!

Nun, das bin ich wirklich nicht, will Dir nicht groß aufzählen, womit ich zu tun habe, es ist mehr als genug. Und da passt eine solche Materialmenge nicht hinein. Bitte vergiss nicht, ich bin Mitglied des Münchner Wissenschaftliche Weltanschauungs-Vereins und als ordentlicher Mitgliedsbeitragszahler auch Besitzer Deiner beiden Taubenfuß-Chronik-Bände (Schirdewan war etwa zwei Jahre lang mein oberster Chef).

Ursprünglich wollte ich genau auf Deine vielen Argumente eingehen, denen ich in erheblichem Maße nicht zustimme. Aber das hätte bedeutet, mich zumindest eine Woche lang mit Deinem Brief zu befassen, Quellen heranzuziehen usw. Das hätte weiterhin bedeutet, die Antwort stückchenweise in einem längeren, immer wieder durch Fahrten, Redaktionsarbeit, Vortragstätigkeit usw. unterbrochenen Zeitraum zu schreiben. Aber schließlich sagte ich mir, dass es keinen Zweck hat, denn wir kommen in diesen Fragen nicht auf einen Nenner, und da muss man sich dann fragen, ob die Fortführung der Diskussion noch sinnvoll ist. Also habe ich die bereits geschriebenen Teile wieder im PC gelöscht. Lass uns die Debatte – zu diesem Thema! – beenden, das ist unbefriedigend, aber ich sehe keinen anderen sinnvollen Weg. Du kannst nicht mich, ich nicht Dich überzeugen.

Du siehst Gespenster, wenn Du uns (gemeint ist die DKP; d. Red.) an die Seite von Hué und Brie rückst, auch, wenn Du in mir einen Verteidiger Chruschtschows siehst. Darüber gleich mehr.

Über unser (der DKP; d. Red.) Verhältnis zur KKE kannst Du Dich kundig machen anhand der Bulletins, die über die Athener Treffen veröffentlicht worden sind. Die Genossen der KKE nehmen mit Recht und wie es uns Lenin ja auch eingebläut hat an Wahlen zum bürgerlichen Parlament teil, gehen ebenso völlig richtig ins bürgerliche Parlament. Denke mal daran, dass Lenin zu dieser Zeit (da war doch sogar die Möglichkeit der Bildung einer Arbeiterregierung gegeben, dazu muss ich nicht weiter argumentieren) den Eintritt sogar in die reaktionären Gewerkschaften für nötig hielt. Warum ist es für die KKE ein Problem, wenn wir – ohne unsere Position aufzugeben, sie dort vielmehr einbringend – mit Beobachterstatus an dieser EAL teilnehmen? Wo ist da die Logik? Da ist keine Logik drin!

Du wirst in den nächsten Tagen den Entwurf unseres Parteiprogramms lesen können, es wird – bei Mängeln, die ich durchaus sehe und die hoffentlich noch im Verlauf der kollektiven Diskussion wenigstens teilweise ausgemerzt werden können – ein klares, marxistisches Programm sein.

Meine Einstellung zu Stalin kennst Du wenigstens aus dem kleinen Buch, das Du hast. Aber ich bin bei aller äußersten Hochschätzung der unter seiner Führung erbrachten Leistungen nicht bereit, die eben auch unter seiner Führung und Verantwortung begangenen furchtbaren Verbrechen an Kommunisten durch das Draufschlagen auf Chruschtschow und den XX. Parteitag in den Hintergrund treten zu lassen. Wer Stalins Leistung feiert, darf über seine Verbrechen nicht schweigen! Dass es Verbrechen waren, dass Stalin und Molotow das wussten, geht aus den späten Mitteilungen aus dem Munde Molotows eindeutig hervor.

Es gab Ende der zwanziger Jahre zwei Konzeptionen für den weiteren Aufbau des Sozialismus. So etwas ist beim Weg in Neuland nichts Ungewöhnliches. Stalin schätzte diejenige Bucharins als den Untergang des Sozialismus bewirkend ein, andere sehen das nicht so. Es gibt Spekulationen zu beiden Annahmen. Ich beteilige mich nicht an der Spekulation, denn richtig ist, dass mit Stalins Konzeption der Sieg über Hitler erreicht wurde, ein welthistorisches Ereignis. Und ebenso richtig ist, dass jene, die „vom Stalin geschweißt“ (Fürnberg) waren (sie alle gingen durch Stalins „Schule“) – die also danach die Sowjetunion führten, den Sieg verhunzten.

Entscheidend ist für meine Position in der Frage XX. Parteitag und Chruschtschow, dass Stalin seine wirklichen oder vermeintlichen Kontrahenten umbringen ließ, und das hat Chruschtschow nicht getan, ein gewaltiger, qualitativer, moralischer Unterschied – DAS verteidige ich, unabhängig von Personen (und dass Chruschtschow wie Molotow und andere einst von „Stalins Gnaden“ an den furchtbaren Verbrechen beteiligt waren, weiß ich). Aber der XX. Parteitag, was immer man ansonsten dagegen an Kritik vorbringen mag und kann, hat Schluss gemacht mit jenen Methoden, die Stalin zu verantworten, wenn nicht gar selbst angeordnet hat und die uns bis heute schaden (um es vorsichtig zu formulieren).  Das ist unser Dissens, und all den anderen Kram zum XX. Parteitag und zu Chruschtschow könnte ich Dir getrost schenken.

Deine Meinung, wir seien eine kleine Kraft wegen des Revisionismus, den wir noch nicht (oder nicht genügend) überwunden hätten, wird schon allein dadurch widerlegt, dass Kräfte, die sich dem Antirevisionismus verschrieben haben, (was immer das heißen mag) keinesfalls über Massenanhang verfügen.

Nein, zu unserem Dilemma gehört als eine Ursache das, was ich kritisiere und Du verteidigst.

Lass’ uns zu den angeschnittenen Fragen die Diskussion beenden. Es wäre sinnlose Arbeit für Dich, wolltest Du mich von Deiner Einschätzung der Dinge überzeugen.

Lieber Kurt, dieser Dissens hebt meine große Hochachtung vor Deiner Lebensleistung nicht auf und darum sage ich am Schluss dieses Briefes ganz ohne die spießerliche Höflichkeit usw.

herzliche und solidarische Grüße,
Robert Steigerwald


Kurt Gossweiler:

Brief an Robert Steigerwald vom 9. März 2006

Lieber Genosse Steigerwald,

vielen Dank für Deine trotz Deiner Belastungen so raschen Antwort auf meinen mehrfach überlangen Brief.

Dafür, dass ich Dir, den ich keineswegs für arbeitslos halte, sondern von dem ich ahne, welch ein Übermaß an Arbeit ihn drückt, eine solche Sendung zumute, habe ich mich in meinem Brief entschuldigt und Dir zugleich zu erklären versucht, weshalb ich es dennoch für notwendig hielt, mich so ausführlich mit Deinen Argumenten auseinanderzusetzen.

Nach Deiner Antwort zu urteilen ist mir das nicht gelungen, schreibst Du doch: „Entscheidend ist für meine Position in der Frage XX. Parteitag und Chruschtschow, dass Stalin seine wirklichen oder vermeintlichen Kontrahenten umbringen ließ, und das hat Chruschtschow nicht getan, ein gewaltiger, qualitativer, moralischer Unterschied – DAS verteidige ich, unabhängig von Personen (und dass Chruschtschow wie Molotow und andere einst von „Stalins Gnaden“ an den furchtbaren Verbrechen beteiligt waren, weiß ich). Aber der XX. Parteitag, was immer man ansonsten dagegen an Kritik vorbringen mag und kann, hat Schluss gemacht mit jenen Methoden, die Stalin zu verantworten, wenn nicht gar selbst angeordnet hat und die uns bis heute schaden (um es vorsichtig zu formulieren).  Das ist unser Dissens, und all den anderen Kram zum XX. Parteitag und zu Chruschtschow könnte ich Dir getrost schenken.“

Lieber Robert, diese Deine Worte sind ein für mich bedauerliches Zeugnis dafür, dass es mir in meinem Brief nicht gelungen ist – so sehr ich mich darum bemüht habe und so viele Faktenbelege und direkte Fragen an Dich ich auch angeführt habe – Dir klar zu machen, worin tatsächlich „unser Dissens“ besteht: für mich ist die Ursache unseres Unterganges, dass Chruschtschow und die Seinen im Bunde mit Tito aus der KPdSU die Führungspartei des modernen Revisionismus gemacht haben; Du dagegen machst hartnäckig und konsequent selbst auf direkte Anfrage hin nicht nur um die Sache, sondern sogar um den Begriff des Revisionismus in Deinen Schriften wie auch in Deiner Antwort an mich einen großen Bogen – trotz der vielen Tatsachenbeweise, die ich anführe (und derentwegen vor allem mein Brief so umfangreich geworden ist).

Statt dessen ist für Dich bei der Erklärung unserer Niederlage  „ein entscheidendes Kettenglied das (Leninsche) Partei- und Machtkonzept“ und die „Hauptursache des historischen Niedergangs ein Organisationstypus.“ (R. Steigerwald: Kommunistische Stand- und Streitpunkte; S. 56f)

„Unser Dissens“ liegt also nicht auf dem Gebiet der Moral, sondern der Politik. Dass Du auf keinen meiner Einwände eingehst und auf keine meiner Fragen antwortest, begründest Du so: „Ursprünglich wollte ich genau auf Deine vielen Argumente eingehen, denen ich in erheblichem Maße nicht zustimme. Aber das hätte bedeutet, mich zumindest eine Woche lang mit Deinem Brief zu befassen, Quellen heranzuziehen usw…. die Antwort stückchenweise in einem längeren, immer wieder durch Fahrten, Redaktionsarbeit, Vortragstätigkeit usw. unterbrochenen Zeitraum zu schreiben. Aber schließlich sagte ich mir, dass es keinen Zweck hat, denn wir kommen in diesen Fragen nicht auf einen Nenner, und da muss man sich dann fragen, ob die Fortführung der Diskussion noch sinnvoll ist. Also habe ich die bereits geschriebenen Teile wieder im PC gelöscht. Lass uns die Debatte – zu diesem Thema! – beenden, das ist unbefriedigend, aber ich sehe keinen anderen sinnvollen Weg. Du kannst nicht mich, ich nicht Dich überzeugen…. Lass’ uns zu den angeschnittenen Fragen die Diskussion beenden.“

Robert, so weit es die Diskussion zwischen uns beiden betrifft, kann ich Dir zustimmen. Aber – ob uns das beiden gefällt oder nicht – die Frage nach den Ursachen unserer so folgenschweren Niederlage kann nicht von der Tagesordnung gestrichen werden.

Und ich halte mich an den Auftrag der Moskauer Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien von 1957 und 1960, den modernen Revisionismus als die Hauptgefahr für die kommunistische Bewegung und den Sozialismus bewusst zu machen, weil dieser Auftrag den Erkenntnissen entspricht, die ich durch mein eigenes Erleben als Kommunist und meine Studien als kommunistischer Historiker gewonnen habe. Diese Erkenntnisse besagen, was ich Dir in meinem Brief schrieb: „So lange aus der kommunistischen Bewegung das Erbe des Chruschtschow-Revisionismus nicht vollständig ausgetrieben ist, wird sie zersplittert und ohnmächtig bleiben.“

Deshalb kann die Auseinandersetzung über die Rolle des XX. Parteitages und Chruschtschows zwar zwischen uns beiden beendet werden, nicht aber in der kommunistischen und überhaupt in der linken Öffentlichkeit.

Deshalb werden ich meinen langen Brief an Dich veröffentlichen. (Wenn Du zustimmst, zusammen mit Deiner Antwort.)

In der Überzeugung, dass diese Auseinandersetzung in aller Öffentlichkeit zu führen dringend erforderlich ist, um das quasi Meinungs-Monopol der geschichtsfälschenden Chruschtschow-Versionen zu durchbrechen, hat mich der Judick-Artikel zum 50. Jahrestag des XX. Parteitages in der UZ und haben mich einige andere Artikel zum gleichen Thema in anderen linken Blättern bestärkt.

Ich werde meinen Brief zunächst den „Marxistischen Blättern“ anbieten, weil er da natürlich eigentlich hingehört. Erst wenn klar ist, dass er und – falls von Dir erlaubt – auch Deiner dort nicht veröffentlicht werden, wird er oder werden beide an anderer Stelle erscheinen.

Die Schlussworte Deines Briefes zeigen, dass zumindest in einem Punkt zwischen uns statt Dissens Übereinstimmung besteht: Dir wie auch mir liegt sehr daran, dass eine kontroverse Diskussion mit Genossen, deren Ansichten unserer Meinung nach unserer Sache nicht nützen, sondern schaden, die wir aber dennoch auf Grund ihrer Treue zur kommunistischen Sache persönlich als Genossen schätzen, in genossenschaftlicher Weise geführt wird.

Ich schließe daher diesen Brief mit Deinen, diesmal von mir an Dich gerichteten Worten: Lieber Robert, unsere Meinungsverschiedenheiten heben meine große Hochachtung vor Deiner Lebensleistung nicht auf.

Mit kommunistischem Gruß,
Kurt Gossweiler


Robert Steigerwald:

Brief an Kurt Gossweiler vom 15. 3. 2006

Lieber Genosse Kurt,

gerade kam Dein Brief an und weil er eine nicht hinnehmbare Behauptung enthält, antworte ich sofort.

Vorher dies: Natürlich bin ich mit dem Vorschlag einverstanden, den Briefwechsel zu veröffentlichen. Solltest Du aber auch den neuen Brief veröffentlichen wollen, müsste ich darauf bestehen, dass Du meine jetzige, kurze Antwort auch bringst.

Die nicht hinnehmbare Behauptung besagt, ich hätte die Lenin’sche Partei- und Machtkonzeption preisgegeben. Das ist absoluter Unsinn!! Ich habe in den letzten Jahren wenigstens zwei größere Aufsätze zu Lenins Parteikonzept veröffentlicht, einen zu „Was tun?“, einen anderen zu „Einen Schritt vorwärts…“. Dazu kommen Artikel generell zum Parteithema, z.B. in Heft 5 letzten Jahres (angesichts der Entwicklungen um WASG usw.).

Nein, ich gehe davon aus, dass das Lenin’sche Parteikonzept vielschichtig ist und es zu unterschiedlichen Zeiten und Bedingungen zum stärkeren Gewicht des einen oder anderen Aspekts dieser vielen Schichten kommt. Das habe ich doch in dem Dir bekannten Büchlein bewiesen, indem ich etwa das Konzept von 1903 und dann den Lenin-Aufsatz von 1905 über die Reorganisation der Partei behandelte. Du und einige andere, Ihr tut so, als gelte Lenins wiederholter Hinweis über die Notwendigkeit, Probleme konkret zu behandeln, nicht für die Parteifrage. Stalin hat in der Zeit, da man in Zentraleuropa mit dem unmittelbaren Übergang zur sozialistischen Revolution rechnete, ein für diesen Kampfabschnitt nötiges Parteikonzept ausgearbeitet. Dieses Konzept wurde übrigens dem Wesen nach durch Bucharin formuliert. Es durfte das entsprechende Dokument für den Kominten-Kongress ja von uns nicht mehr zitiert werden – so wie ja auch verschwiegen werden musste, dass zu den Hauptautoren der sowjetischen Verfassung Bucharin und Radek gehörten und dass man folglich diese Verfassung nur deshalb die Stalin’sche nennen kann, weil man die Mitautoren erschossen hat! Da aber die grundlegende Einschätzung eines unmittelbar möglichen revolutionären Übergangs zur proletarischen Diktatur nicht zutraf, war dies eben die Anwendung eines für die direkte Revolution nötigen Konzepts auf eine solche, in der es um die Verteidigung einer bürgerlichen Republik ging, so miserabel diese Republik auch war.

Ich habe zumindest Ulrich Huar aufgefordert, meine in Berlin beim „RotFuchs“ vorgetragene Kritik an seiner Parteikonzeption, die er als DIE Lenin’sche vortrug, meine dagegen gestellte Darlegung der Lenin’schen Auffassungen, zu widerlegen, zu kritisieren, was er versprach, aber nie getan hat.

Es gibt noch ein anderes Problem, wo man um den heißen Brei herumgeht. Ihr stellt die Dinge so hin, als habe der XX. Parteitag nur vom parlamentarischen und friedlichen Weg zum Sozialismus gesprochen. Ihr lest nur mit der Brille, die Euch diese Einschätzung ermöglicht, aber der gesamte Text der Materialien ist anders geartet. Was aber verschweigt Im wesentlichen macht man den gleichen Fehler auch heute (Schreibweise wie im Original. Hier ist offensichtlich ein Satz nicht zu Ende geführt worden; d.Red.). Wir stehen nicht unmittelbar vor einer sozialistischen Revolution usw., sondern sind zurück geworfen in einem Ausmaße, wie niemand von uns sich dies hätte träumen lassen. Das zu untersuchen halten wir beide für nötig, nur haben wir erheblich andere Auffassungen darüber, wo und wie das zu beginnen habe.

Dass die KP Großbritanniens in ihrem Programm von 1952 – das Stalin zur Stellungnahme vorlag! – vom parlamentarischen Weg zum Sozialismus ausging. Dass sowohl Marx und Engels als auch Lenin Bedingungen nicht ausschlossen, wo ein parlamentarischer Weg möglich ist. Die absolute Ablehnung auch nur einer einzigen Kampfform ist unleninistisch (übrigens besagen selbst Lenins Formulierungen gegen den individuellen Terror nicht, dass er diese Kampfform immer und absolut ablehnte.)

Wer also gibt hier eigentlich Lenin’sche Positionen auf?

Und Revisionismus? Ich habe während Jahrzehnten fast nur Arbeiten zur Auseinandersetzung mit dem Revisionismus geschrieben. Eigentlich hat nur das Feld der Politischen Ökonomie dabei für mich keine größere Rolle gespielt, weil da andere Genossen besser arbeiteten als ich es konnte. Aber gerade erst wieder habe ich zu dem neuen Buch von Heinz Dieterich für die „Marxistischen Blätter“ eine die Politische Ökonomie betreffende Kritik geschrieben, nachzuweisen versucht, dass dieses Buch auf diesem Gebiet philosophisch idealistisch und politisch utopisch-sozialistisch ist.

Dies, lieber Kurt, nur in aller Eile als Antwort auf Deinen jetzigen Brief (09. 03. 06).

Und wie immer
mit kommunistischen Grüßen,
Robert Steigerwald


Kurt Gossweiler:

Brief an Robert Steigerwald vom 27. 3. 2006

Lieber Genosse Robert,

vielen Dank für Deine rasche Antwort und Deine Zustimmung zur Veröffentlichung auch Deiner Briefe, natürlich auch dieses mit Deinem Widerspruch gegen meine Feststellung, Du hättest das Leninsche Partei- und Machtkonzept preisgegeben.

Trotz Deines Widerspruchs vermag ich meine Feststellung nicht zurück zu nehmen. Warum? Weil Du (S. 34 und 56 Deiner „Stand- und Streitpunkte“ – wie auch der Programmentwurf der DKP – dieses Partei- und Machtkonzept im Zustand der Degeneration genau in der Zeit siehst, in der seine Anwendung im Leninschen Sinne die Sowjetunion zur unbesiegbaren Weltmacht und Siegerin über die Speerspitze des Weltimperialismus, den Faschismus gemacht hatte; dagegen siehst Du in seiner wirklichen Degeneration durch den Chuschtschow-Revisionismus den Versuch einer Rückkehr zu seinem Leninschen Original.

So auch der Programmentwurf: er enthält in seinem Abschnitt „Ursachen der Niederlage“ und „Bisherige Erkenntnisse und Schlussfolgerungen“ all die Feststellungen aus dem DKP-Dokument aus dem Jahre 1997 „Sozialismus – die historische Alternative zum Kapitalismus“, mit denen ich mich schon damals auseinandergesetzt und nachgewiesen habe, dass sie eine Revision der Leninschen Auffassungen über die Partei und die Sowjetunion darstellen. (Ich hatte Dir das Heft, in dem diese Auseinandersetzung abgedruckt war – Titel: „Revisionismus in der kommunistischen Bewegung“ – als Anlage zu meinem 45-Seitenbrief mitgeschickt.)

Es macht mich wirklich traurig, dass nicht einmal die 15 Jahre Erfahrungen mit den Folgen der „erfolgreichen“ Perestroika (die ja in Wirklichkeit schon von Chruschtschow eingeleitet worden ist), ausgereicht haben, unter den Verfassern des Programmentwurfes der DKP die Erkenntnis reifen zu lassen, dass der Sozialismus nicht vom „Stalinismus“, sondern vom Revisionismus zugrunde gerichtet wurde. Der Entwurf enthält von dieser für eine kommunistische Partei überlebenswichtigen Erkenntnis – trotz der Mitarbeit von Hans Heinz Holz – nicht einmal eine Spur.

Bevor ich schließe, noch ein Wort zu Deiner Bemerkung, es gebe noch ein Problem, „wo man um den heißen Brei herumgeht“, und dies so konkretisierst: „Ihr stellt die Dinge so hin, als habe der XX. Parteitag nur vom parlamentarischen und friedlichen Weg zum Sozialismus gesprochen. Ihr lest nur mit der Brille, die Euch diese Einschätzung ermöglicht…“

Mit „Ihr“ bin auch ich gemeint. Aber ich habe ganz im Gegenteil in meinem 45-Seitenbrief an Dich und andernorts geschrieben: „Warum aber hatten Chruschtschow und Gorbatschow mit ihrer Politik so katastrophalen Erfolg? Dafür waren einige Bedingungen entscheidend.

1…..

4. Chruschtschow verpackte auf dem XX. Parteitag die Kursänderung in Richtung Revisionismus so geschickt in ein Paket der gewohnten und vertrauten Darlegungen der inneren und äußeren Lage und der sich daraus ergebenden Aufgaben, dass selbst der Mehrzahl der Delegierten und der ZK-Mitglieder nicht bewusst gewesen sein dürfte, dass hier ein Bruch mit dem Leninismus vollzogen wurde…“

Aber wir hatten uns ja darauf geeinigt, unser persönliches Streitgespräch zu beenden, also belassen wir es dabei.

Lieber Robert, nachdem Du grünes Licht gegeben hast, schicke ich an die „Marxistischen Blätter“ folgende Briefe:

1.) Steigerwald an Gossweiler, 1. 9. 2002;

2.) Gossweiler an Steigerwald (45-Seitenbrief mit Beibrief), 10. 12. 2005;

3.) Steigerwald an Gossweiler, 2. 2. 2006;

4.) Gossweiler an Steigerwald, 9. 3. 2006;

5.) Steigerwald an Gossweiler, 15. 3 2006;

6.) Gossweiler an Steigerwald, 27. 3. 2006.

Mit nochmaligem Dank für Deine Zustimmung und kommunistischem Gruß
Kurt Gossweiler


Robert Steigerwald:

Brief an Kurt Gossweiler vom 30. 3. 2006

Lieber Genosse Kurt,

eben kam Dein Brief bei mir an, wozu ich Dir danke. Zur Veröffentlichung als Flugschrift (der Marxistischen Blätter; d.Red.) äußere ich mich als Mitherausgeber und Mitautor – weil „in eigener Sache“ – nicht. Auf jeden Fall sollte es ein Gebot der Fairness sein, eine folgende Fußnote am Schluss zu bringen:

„Meine Zustimmung zur Veröffentlichung unserer Briefe gab ich, bevor der Brief des Genossen Kurt Gossweiler vom 27. 3. 06 bei mir war. Ich habe auch gegen dessen Veröffentlichung keine Einwände, wenn dazu angemerkt werden kann, dass ich Kurts Einschätzungen in diesem Brief und folglich seine darauf beruhenden Bewertungen nicht akzeptiere. Ich müsste eine weitere Antwort schreiben, das ist aber nicht sinnvoll, weil es letztlich zu keiner Übereinstimmung zwischen uns käme, also auf eine fruchtlose Dauerdebatte führte.“

Mit solidarischem Gruß,
Robert


Kurt Gossweiler:

Brief an Robert Steigerwald vom 2. 4. 2006

Lieber Genosse Robert,

vielen Dank für Deinen Kurzbrief vom 30. 3. 06. Selbstverständlich sende ich eine Kopie sofort im Nachgang an die „Marxistischen Blätter“.

Gerade habe ich in der letzten UZ Deinen Artikel zur sog. „Zwangsvereinigung“ gelesen: der hat bei mir große Freude ausgelöst, nicht zuletzt deshalb, weil ich seinem Inhalt bis zur letzten Zeile zustimmen kann, was tun zu können bei allen Deinen Veröffentlichungen mir viel lieber wäre, als mit Dir zu streite. Dies umso mehr, nachdem ich aus diesem Artikel noch etwas mehr über Deinen Weg von der Sozialdemokratie zum Kommunismus erfahren konnte, als mir schon bekannt war.

Mit kommunistischem Gruß,
Kurt Gossweiler


Robert Steigerwald:

Brief an Kurt Gossweiler vom 4. 4. 2006

Lieber Kurt,

ich danke Dir für Deinen Brief und das Lob, schreibe aber vor allem, um etwas klar zu stellen. Ich habe erklärt, keine Einwände gegen die Veröffentlichung zu haben und dabei bleibt es.

Ich will mir nicht den Vorwurf einhandeln, eine kritische Stimme unterdrückt zu haben.

Aber ich habe Dir auch geschrieben, hinsichtlich der „Marxistischen Blätter“ mich nicht zu äußern, da ich einerseits Redakteur und Mitherausgeber der Zeitschrift und andererseits Mitverfasser des Briefwechsels bin, ich als „in eigener Sache“ gefordert wäre, was ich nicht für gut halte.

Ich bin frei von jeglicher Autoreneitelkeit und kämpfe nie um die Veröffentlichung eigener Texte. Entweder sind sie gut genug, befriedigen ein Bedürfnis, dann kommen sie, wenn nicht, nehme ich das zur Kenntnis.

Mit solidarischem Gruß,
Robert Steigerwald


Redaktion der „Marxistischen Blätter“:

Brief an Kurt Gossweiler vom 11. 5. 2006

Lieber Genosse Gossweiler,

anbei senden wir Dir den vollständigen Briefwechsel zwischen Dir und Robert Steigerwald zurück.

Mit kommunistischen Grüßen,
Gerd Deumlich


Anmerkungen

  1. Das bezieht sich auf Kurt Gossweilers Ausarbeitung: „Zweimal Karl Schirdewan: 1990 im Rückblick in der Berliner Zeitung, 1953/56 im Original als Politbüro-Mitglied“ zu Schirdewans geschichtsfälschenden Auslassungen am 10./11. Februar 1990 in der bereits gewendeten `Berliner Zeitung` Diese Ausarbeitung ist nachzulesen in Heft 6/2000 von „Offensiv“ unter dem Obertitel: „Zur Vorgeschichte des 13. August 1961“.
  2. Der genannte Text ist als Zusatz am Ende dieses Briefes abgedruckt (Red. Offensiv).
  3. Kurt Gossweiler spielt hier auf eine von ihm gerade überstandene, äußerst schmerzhafte Gürtelrose an.
  4. Berthold Brecht, Schriften zur Politik und Gesllschaft, Bd. II, Berlin und Weimar, 1968, S.223.
  5. Keesings Archiv der Gegenwart, 1956, S. 5878
  6. „konkret“, Nr. 9/99
  7. S.99 von  „Peter Hacks, Am Ende verstehen sie es“,  Eulenspiegel Verlag, Berlin
  8. Russisch im Original, pokusenje = Attentat
  9. Krieg gegen die junge Sowjetmacht 1918-1920, zu dem sich die wichtigsten kapitalistischen Länder trotz des gerade gegeneinander geführten I. Weltkrieges sofort zusammenfanden. (Red. Offensiv)