Das Damoklesschwert. Ein Geheimprozess, seine Hintergründe und Folgen

Erich Buchholz:

Das Damoklesschwert.
Ein Geheimprozess, seine Hintergründe und Folgen

Das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands vor 50 Jahren am 17. August 1956 war das Ergebnis eines generalstabsmäßig betriebenen Unternehmens der Adenauerleute und ihrer us-amerikanischen Herren auf allen politischen und juristischen Ebenen. Dabei kam den Medien mit ihrem reaktionären Antikommunismus, den ich bereits 1946 in Westberlin anschaulich erlebte, eine außerordentliche Rolle zu, die nach wie vor bestimmend ist.

Warum wurde in dem soeben gegründeten westdeutschen Separatstaat BRD ein solcher umfassender Plan zur Vernichtung des Kommunismus in Angriff genommen?

Aufgrund des Sieges über den Hitlerfaschismus erlangte nicht nur die UdSSR, die, wie damals allgemein bekannt war, die Hauptlast der Niederringung Hitlers mit hohem Blutzoll getragen hatte, weltweit hohes Ansehen und vielfältige Sympathie.

Auch die Kommunisten in aller Welt, von denen bekannt war, dass sie als entschiedenste Gegner des Naziregimes im Lande die meisten Opfer gebracht und in der Emigration wirksam gegen die Nazis gekämpft hatten, wurden allgemein geachtet und anerkannt. In Italien und Frankreich wurde ihr Einfluss auf die Staatspolitik sichtbar. In Ostdeutschland vereinigten sich Kommunisten und Sozialdemokraten; die westlichen Alliierten verhinderten in Westdeutschland den auch dort begehrten Zusammenschluss.

In Ostdeutschland wurde die Einheitspartei zur maßgeblichen politischen Kraft

Die KPD wurde zum Feind Nr. 1

Diese politische Entwicklung im Gefolge der Niederschlagung des Hitlerfaschismus traf die deutsche Reaktion ins Mark und schwächte sie wie nie zuvor. Das war für Adenauer und die Kräfte hinter ihm unerträglich und gefährlich. Die KPD wurde zum Feind Nr. 1. Gemeinsam mit allen antikommunistischen Kräften, auch jenen jenseits des großen Teichs, den Mc Carty-Leuten, mit alten und neuen Nazis und ihren Verbündeten bliesen sie zum Generalangriff gegen den Kommunismus.

Dass die Kommunisten als entscheidende Kraft in dem von breiten Kreisen der bundesdeutschen Öffentlichkeit unterstützten Kampf gegen die Remilitarisierung Westdeutschlands, gegen die Spaltung Deutschlands und die Gefahr eines Bruderkrieges auftraten und in einer urdemokratischen plebiszitären Form für eine Volksbefragung für Frieden und Einheit Deutschlands und für den Abschluss eines Friedensvertrages eintraten, erschien der politischen Reaktion in Westdeutschland besonders bedrohlich.

Die mit der nach Art. 20 Abs. 2 GG grundsätzlich zulässige Volksbefragung den Deutschen in Ost und West vorzulegende Frage lautet schlicht: „Sind Sie gegen die Remilitarisierung Deutschlands und für den Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland im Jahre 1951?“ Allein das Vorlegen dieser Frage soll den Bestand der Bundesrepublik gefährdet haben!

In der DDR konnte der Wille des Volkes aufgrund eines Beschlusses der Volkskammer vom 9.5.1951 in gehöriger Form zum Ausdruck kommen: bei einer Wahlbeteiligung von 99,53 % in der DDR und 97,25 in Berlin-Ost bejahten in der Zeit vom 23.5. – 13.6.1951 in der DDR 95,93 % und in Berlin-Ost 97,45 % die ihnen vorgelegte Frage.

In der BRD wurde solche Volksbefragung am 24. 4. 1951 durch die Regierung verboten – aus Angst vor einem auch von dort zu erwartenden eindeutigen Ergebnis.

Verboten wurden auch Vereinigungen, die sich diesem Anliegen besonders annahmen, so die Freie Deutsche Jugend (FDJ), die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft und verschiedene Friedenskomitees. Nach einem Beschluss der Adenauer- Regierung vom 19. September 1950 waren zuvor Kommunisten aus dem öffentlichen Dienst entfernt worden.

Im „Vorlauf“ wurde die FDJ verboten

Der die FDJ betreffende Verbotsbeschluss der Bundesregierung mit der Unterschrift des Bundeskanzlers Adenauer und des Bundesministers des Innern Dr. Lehr vom 26.Juni.1951 – 1335 C 1547/51 – gründet das Verbot auf Art. 9 Abs. 2 GG: Die Tätigkeit der FDJ stelle einen Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes dar. Die FDJ sei daher „kraft Gesetzes“ verboten. (GMBl. Nr.17 v. 29.06.1951) Diesen „Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes“ sah man darin, dass die FDJ sich sehr aktiv gegen die Remilitarisierung Westdeutschlands und die dahingehende Volksbefragung einsetzte und an der Vorbereitung der Weltjugendfestspiele 1951 teilnahm! Unterstützung der Volksbefragung und der Weltjugendfestspiele als Grund für das Verbot einer demokratischen Jugendorganisation!

Im Verfahren gegen Angehörige des „Hauptausschusses für Volksbefragung“ vom 2.08.1954 – StE 68/52 und StE 11/54 musste der 3. Strafsenat des BGH einräumen: „In fast allen Kreisen der Bevölkerung zeigten sich unabhängig von der parteipolitischen Überzeugung…erhebliche Abneigung und Widerstand gegen die von der Bundesregierung vertretene Außenpolitik.“ „In das ’Nein zur Wiederbewaffnung’ mündeten zahlreiche Stimmen aus den verschiedensten politischen oder weltanschaulichen oder sonstigen Beweggründen.“

Um auf strafrechtlichem Gebiet den Schlag gegen die Kommunisten führen zu können, musste zunächst ein besonderes Strafgesetz gegen Kommunisten geschaffen und erlassen werden.(1)  Die Alliierten hatten die früheren nazistischen Staatsschutzbestimmungen für Hochverrat und anderes, völlig zu Recht, außer Kraft gesetzt. Daher gab es zunächst weder in Ost- noch in Westdeutschland Staatsschutzbestimmungen.

Indessen enthielt der ursprüngliche Text des Grundgesetzes in Art. 143 eine völlig ausformulierte Hochverratsbestimmung. Aber Adenauer genügte ein solches – normales – Strafgesetz gegen Hochverrat nicht.

Deshalb erwirkte er das 1. StrÄG vom 30. August 1951, das nicht nur an die Stelle des Art. 143 GG trat, sondern mit der „Staatsgefährdung“ (§§ 88 ff) eine völlig neue Staatsschutzbestimmung enthielt, die erklärtermaßen gegen die Kommunisten gerichtet war und den gewaltlosen, so genannten schleichenden Hochverrat erfasste.

An der Ausarbeitung dieses Gesetzes war maßgeblich Herr Schafheutle beteiligt, der bereits im nazistischen Justizministerium derartige Strafbestimmungen ausgearbeitet bzw. vorbereitet hatte.

Über die weit gefassten, auf zu unterstellende Absichten der Täter abstellenden Straftatbestände hinaus wurde auch eine – an sich von Art. 101 GG ausgeschlossene – Sonderjustiz geschaffen. Durch einen neuen § 74 a GVG wurde bei jedem LG, in dessen Bezirk das OLG seinen Sitz hat, eine besondere Strafkammer errichtet, die über bestimmte, in dieser Vorschrift aufgelistete politische Strafsachen zu entscheiden hat, so namentlich Delikte der Staatsgefährdung.

Die Rolle der Nazi-Richter

Über diesen 17 Sonder-Strafkammern, die mit besonders erlesenen Richtern besetzt wurden, nämlich übernommene Nazi-Richter, stand als Revisionsinstanz damals der 3. mit Präsidenten Dr. Geier als Senatsvorsitzenden, später der 6. – politische – Senat des BGH. Bei ihm angeklagte Strafsachen, so Hochverrat, Verfassungsverrat und Landesverrat, entschied er in erster und letzter Instanz.

Adenauer und seine Leute wollten in diesen politischen Strafkammern und im politischen Senat des BGH „besonders hochwertige Richter für diese Aufgabe… finden, die nicht jedem liege.“

Diese Sonderjustiz brachte das 1. StrÄG in den fünfziger Jahren gegen Personen zur Geltung, die die Einheit Deutschland wollten und sich gegen die Adenauer-Politik wandten, welche darauf gerichtet war, Westdeutschland zum „Bollwerk gegen den Bolschewismus“ zu machen und in das westliche Militärbündnis zu integrieren. Auf diese Weise lebte die Strafverfolgung der nazistischen Justiz in modifizierter Form wieder auf.

Um ganz sicher zu gehen, bereitete die Adenauer-Justiz ein besonderes Urteil, das so genannte Fünf-Broschüren-Urteil (2)  vor, das die von ihrer Einstellung her ohnehin genügend antikommunistischen Richter der Sondergerichte als Richtschnur für ihre strafrechtliche Verfolgung von Kommunisten und Sympathisanten dienen sollte.

Das dazu erforderliche Verfahren vor dem 3. Strafsenat des BGH wurde in einem Geheimprozess durchgeführt, das am 8.4.1952 (StE 3/52) – in erster und letzter Instanz! – zu dem berüchtigten Urteil führte, dessen juristische Substanz umgekehrt proportional zu seiner tatsächlichen Auswirkung in der politischen Strafjustiz der damaligen Bundesrepublik war.

Kaum jemand weiß heute noch etwas von diesem Urteil – wie überhaupt über die seit Beginn der 50er Jahre in der BRD betriebene politische Strafjustiz der Mantel des Schweigens gebreitet wird. Gemäß der ausdrücklichen Festlegung auf dem Vorblatt der Urteilsausfertigung findet sich dieses Urteil nicht in der amtlichen Sammlung der Entscheidungen des BGH; es wurde auch sonst nicht in der umfangreichen bundesdeutschen Fachpresse veröffentlicht oder auch nur besprochen. Eine gewisse Publizität erlangte dieses Urteil durch einen späteren Aufsatz Müller-Meiningens in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 22.11. 1953 unter der Überschrift „Hexenprozesse 1953 – ein bedenklicher Ausweg“, also zu einer Zeit, als die justiziellen Auswirkungen dieses BGH-Urteils nicht mehr zu übersehen waren.

Hintergründe des Geheimprozesses

Was hat es mit diesem in einem Geheimprozess ergangenen Urteil auf sich? Das Verfahren an sich war banal. In einem sog. objektiven, einem selbstständigen Verfahren gern. §§ 430 StPO, wurden fünf Broschüren durch unangreifbares, sogleich rechtskräftig gewordenes Urteil eingezogen.

In diesen war gegen die auf Remilitarisierung und Spaltung Deutschlands gerichtete Politik der Adenauerregierung Front gemacht worden.

Warum wurde der BGH bemüht? Hätte nicht die sonst übliche polizeiliche Beschlagnahme pp etwaiger unerwünschter Schriftstücke genügt? Wäre nicht, worauf der BGH in seinem Urteil selbst hinweist, eine Einziehung dieser Schriften auf der Grundlage des durch das „Blitzgesetz“ eigens für solchen Zweck geschaffenen § 93 des damaligen StGB über §§ 98 und 86 StGB ausreichend gewesen? Warum wurde das höchste Strafgericht für eine Einziehung von fünf Broschüren bemüht?

Gemäß dem Antrag des Generalbundesanwalts fand jene Verhandlung vor dem 3. Strafsenat des BGH unter Vorsitz des Senatspräsidenten Dr. Möricke mit weiteren vier Bundesrichtern in Anwesenheit des Vertreters der Bundesanwaltschaft Bundesanwalt Schrübbers statt. Abgesehen vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle als Protokollführer waren die Herren ganz unter sich im Sitzungssaal des Justizpalastes in Karlsruhe – nur die fünf sichergestellten Broschüren und die Akten vor sich auf dem Richtertisch liegend. Einen Verteidiger bzw. sonst Betroffenen, die etwas gegen den Antrag der Bundesanwaltschaft hätten vortragen können, gab es in diesem Verfahren nicht, obzwar § 431 Abs. 2 und 3 StPO ausdrücklich deren Beteiligung vorsah – ein gespenstiges Bild!

Wozu das? Dieses Geheimverfahren wurde nur zu dem Zweck inszeniert, um insgeheim Richtlinien für eine einheitliche und schlagkräftige Strafverfolgung von Gegnern der Adenauerpolitik wegen Hochverrats bzw. Vorbereitung zum Hochverrat, also des schwerwiegendsten Tatvorwurfs im politischen Strafrecht, zu gewährleisten.

Alsbald nach dem Fällen dieses Urteils wurde es hektographiert und auf dem Dienstweg an die „Sonderstaatsanwaltschaften“ der politischen Strafjustiz der Bundesrepublik verteilt. In der Folgezeit genügte es, unter Verweis auf dieses BGH-Urteil wortgleich zu erkennen: „Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 8. April 1952 ..,“ „Folglich ist der Angeklagte schuldig im Sinne der Anklage“

Als die Verteidiger in derartigen politischen Prozessen wiederholt nach diesem Urteil nachgefragt hatten, „schenkte“ man sich den ausdrücklichen Verweis auf dieses BGH-Urteil. Es hieß jetzt nur noch: Es ist „gerichtsbekannt“, „dass …“ und deshalb ist der Angeklagte schuldig im Sinne der Anklage. Müller-Martens nannte dieses Vorgehen der bundesdeutschen politischen Strafjustiz (eines Staates, der sich rühmt, ein Rechtsstaat zu sein!) „das Hexeneinmaleins der Kollektivschuldvermutung“ und meinte, das habe nicht einmal der Volksgerichtshof der Nazis geschafft.

Im Urteil wird der Inhalt der fünf Broschüren weitgehend zutreffend wiedergegeben. In ihnen wurde gefordert: Kampf gegen die Remilitarisierung Westdeutschlands; Verhinderung der Einbindung der Bundesrepublik in die NATO; Einheit Deutschlands; gesamtdeutsche Wahlen; Friedensvertrag; Abzug aller Besatzungstruppen. Solche Forderungen wurden damals – gerichtsbekannt – in ganz Deutschland erhoben.

Vieles, was in diesen Broschüren damals als Besorgnis ausgesprochen wurde, so die Remilitarisierung, die Einbindung der Bundesrepublik in die NATO, die definitive Spaltung Deutschlands, hat sich, zum Schaden des deutschen Volkes, alsbald danach in schlimmster Weise realisiert, einschließlich der vielen Toten beiderseits der „Mauer“. So hat die nachfolgende Geschichte die historische Wahrheit der Aussagen und Besorgnisse in den fünf Broschüren bestätigt.

Da dem Wortlaut der Broschüren nichts Hochverräterisches zu entnehmen war, zog sich der 3. Strafsenat auf Stalin zurück, der in seinem Buch „Fragen des Leninismus“ auf Lenin verwiesen hatte, der die Diktatur des Proletariats am 10. November 1918 in seiner Arbeit „Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky“ als „die durch kein Gesetz beschränkte … Herrschaft des Proletariats über die Bourgeoisie“ kennzeichnete. Um den Eindruck von Aktualität derartiger Thesen zu erzeugen, wurde statt jener allseits bekannten Arbeit aus dem Jahr 1925 eine aktuelle Neu-Auflage (1951) angezogen. Wenn dann noch Lenins Erkenntnis der Notwendigkeit der „Zerstörung der bürgerlichen Staatsmaschine“ (Werke, Bd. XXII, S. 434) bemüht wurde, dann wird dem Leser heute unwillkürlich bewusst, dass die politische Klasse in Bonn Lenin sorgfältig studierte, als es 1990 darum ging, die „Staatsmaschine“ des DDR-Staates gewaltsam zu zerstören.

.Jedenfalls genügte den Richtern des 3. Strafsenats dieses bei Stalin gefundene Zitat , um fast schulmäßig, wieder auf die gesetzlichen Voraussetzungen des § 81 StGB zurückzukommen: „Gegenstand ihres“ – der DDR-Politiker – „Angriffs ist … die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik, ihr Ziel die bolschewistische Herrschaft im Bundesgebiet. Sie rechnen damit, ihren Plan möglichst bald durchführen zu können.“ Denn „innerhalb eines Jahres nach Friedensschluss“ (!!!) „rechnen sie mit dem Abzug der Besatzungstruppen“ – eine von der DDR nicht beeinflussbare Bedingung!

Und was wird danach sein? Auch das wissen die fünf Bundesrichter; sie wissen nämlich, dass die DDR-Politiker „wissen …, dass, wenn es ihnen gelingt, die Eingliederung Westdeutschlands in die Verteidigungsfront der Westmächte zu verhindern, und beide Teile Deutschlands unter ihrem Einfluss wiedervereinigt sein sollten, allein schon von der militärischen Stärke der kommunistischen Staaten, „auch ohne unmittelbares Eingreifen eine seelische Bedrohung auf die Bevölkerung auch Westdeutschlands ausgehen würde.“

Wer dieses Urteil als Jurist sine ira et studio liest, kann gut nachvollziehen, dass es in camera unter Ausschluss der Öffentlichkeit produziert wurde; juristischer und beweisrechtlicher Prüfung hält es nicht stand.

Aber nun war ein solches rechtkräftiges Urteil des höchsten bundesdeutschen Strafgerichts in mundo, in der Welt – und nun konnte es als höchstrichterlicher Spruch seine angezielten verheerenden Wirkungen entfalten.

Massenhafte Verfolgungen

In der Folgezeit wurde unter Verweis auf dieses Urteil nach dem Modell der „Tarnorganisationen“, der „Kontakt- und Konsensschuld“, missliebige (d. h. die Adenauerpolitik kritisierende) Personen, die mit Kommunisten kontaktierten oder sympathisierten, strafrechtlich verfolgt. Nach dem in diesem Urteil vorgeführten Muster der Unterstellung und Umdeutung, also der Verdrehung der Wahrheit, wurden die zahlreichen Strafprozesse gegen Gegner der Adenauerpolitik durchgezogen.

Nun lief alles wie am Schnürchen. Gestützt auf das BGH-Urteil vom 8.4.1952 wurden Unrechtsurteile am laufenden Band am Fließband gefällt.

Gegen viele Hunderttausend Bundesbürger wurde die bereits erwähnte breite politische Strafverfolgung betrieben. Auch soweit sie nicht – nach Verurteilung durch Richter, die in der NS-Zeit Karriere gemacht hatten – in die bundesdeutschen Zuchthäuser und Gefängnisse geworfen wurden, wurden sie zu politischem Wohlverhalten gezwungen und mit z, T. erheblichen Verfahrenskosten belastet; andere wurden sichtlich (vom Verfassungsschutz) observiert; den Verurteilten, vielfach Opfer der Hitlerdiktatur, wurde ihre Verfolgten-Rente gestrichen und sie blieben Vorbestrafte.

Sie wurden und auch ihre Angehörigen wurden vielfältigen weiteren Diskriminierungen ausgesetzt. Es folgten der Radikalenerlass mit seinen Berufsverboten und andere Pressionen. Bis heute gibt es trotz später Einsicht in die Rechtswidrigkeit der damaligen Gesinnungsjustiz und trotz vieler Forderungen keine Rehabilitierung oder sonstige Wiedergutmachung.

Nach 1990 ging nach dem gleichen Muster der Unterstellung und Umdeutung die nächste politisch-ideologisch ebenso indoktrinierte Generation bundesdeutscher Staatsanwälte und Strafrichter gegen ehemalige DDR-Bürger, namentlich DDR-Hoheitsträger’, strafrechtlich vor. DDR-Richtern und -Staatsanwälten wurde ohne jeden Beweis unterstellt, wissentlich die Gesetze ihres eigenen Staates verletzt zu haben. Auch diesmal gab der BGH, jetzt sein 5. Strafsenat, die entsprechenden Orientierungen.

Die angeblich völlig unabhängigen bundesdeutschen Richter entschieden dank der ihnen vom Gesetz (§ 261 StPO) eingeräumten freien richterlichen Beweiswürdigung: Den (zur „Tatzeit“ meist noch ganz jung gewesenen) Grenzsoldaten wurde – anders als schießwütige bundesdeutsche Beamte beurteilt werden – unterstellt, sie hätten als „Mauerschützen“ auf Flüchtlinge „wie auf Hasen“ geschossen, also vorsätzlich Menschen getötet. Ihren Vorgesetzten wird der gleiche Tötungsvorsatz unterstellt.

Die unbestreitbare Tatsache, dass all diejenigen, die versuchten, über die stark gesicherte DDR-Westgrenze zu gelangen, oder die in anderer gesetzwidriger Weise ihre Ausreise erzwingen wollten, auf die verschiedenste Weise seitens der BRD zu derartigen Handlungen aufgestachelt worden waren und überdies (wie Zeugenvernehmungen bewiesen) genau wussten, welches Risiko sie eingingen, wird ausgeblendet – ganz so, wie im 5- Broschüren-Urteil die Tatsache, dass die Adenauerregierung eine auf Remilitarisierung und Spaltung Deutschlands gerichtete Politik betrieb, weggelassen wurde.

Auf diese Weise wird die causa, die Ursache der Antwort auf die Adenauerpolitik und dann später der staatlichen Reaktionen der DDR auf Gefährdungen ihrer Sicherheit und ihrer Existenz wegretuschiert.

Wenn man im Strafrecht das Verbrechen leugnet, wird die Strafe, die ja nur die Konsequenz des Verbrechens ist, zur Willkür!

In der Tradition der bundesdeutschen politischen Strafjustiz, die nun seit 1991 vorgibt, die DDR-Geschichte „aufarbeiten“ zu wollen, paart sich als ihr Markenzeichen Rechtsbruch mit Geschichts- und Sachverhaltsfälschung.

Rechtsbruch mit Geschichts- und Sachverhaltsfälschung

Damals, in den 50er Jahren wurde zunehmend ersichtlich, dass all die vorgenannten verwaltungsrechtlichen Verbote und die polizeiliche Unterdrückung der vorgenannten Organisationen sowie die strafrechtliche Verfolgung von Personen der Vorbereitung des vom Bundesverfassungsgericht auf Antrag der Adenauerregierung, ausgesprochenen verfassungswidrigen Verbots der KPD am 17. August 1956 diente.

Am 21. November 1951 hatte die Bundesregierung beim BVerfG den Antrag auf Verbot der KPD wegen angeblicher Verfassungswidrigkeit gem. Art. 21 GG gestellt.

Gleichzeitig hatte die Bundesregierung auch das Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) beantragt, um in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, dass die Bundesregierung und auch das BVerfG sich gleichermaßen gegen rechts- wie linksextreme politische Parteien wenden In dem SRP-Verfahren entschied das BVerfG am 23. Oktober 1952 durch seinen Ersten Senat – 1 BvB 1/51 – (BVerf- GE Bd. 2,1.) erstmalig über ein Parteiverbot. So konnte sich das BVerfG zugleich juristische Grundlagen für das KPD-Verbot beschaffen; demgemäß wird im KPD-Verbotsurteil auf das Urteil vom 23.10.1952 verwiesen, so die Erkenntnis, dass Art. 21 Abs. 2 GG unmittelbar anwendbares Recht sei.

Im November 1954 hatte Adenauer in einem Gespräch mit dem Präsidenten des Ersten Senats des BVerfG Herrn Wintrich, einen beschleunigten Fortgang des Prozesses verlangt und angedroht, über den Weg einer Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes diese Sache dem Zweiten Senat zu übertragen.

Am 17. August 1956 wird das Verbot verkündet

Unter dem 17. August 1956 wurde das Urteil des Ersten Senats – 1 BvB 2/51 – verkündet. Der Tenor der Entscheidung lautete:

1. Die Kommunistische Partei Deutschlands ist verfassungswidrig.

2. Die Kommunistische Partei Deutschlands wird aufgelöst.

3. Es ist verboten, Ersatzorganisationen für die Kommunistische Partei Deutschlands zu schaf-fen oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisation fortzusetzen.

4. Das Vermögen der Kommunistischen Partei Deutschlands wird zu Gunsten der Bundesrepu-blik Deutschland zu gemeinnützigen Zwecken eingezogen.

In den Urteilsgründen selbst wurden mehrere bemerkenswerte Aussagen getroffen: So meint das Gericht, dass es nur unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs des politischen Ermessens juristisch nachprüfen könne, ob die Bundesregierung nach Erwägung aller Umstände dem Gebot des Verfassungsschutzes folgend ein Antrag nach § 43 BVerfGG stellen oder die zulässige Maßnahme wegen einer Gefährdung der Wiedervereinigung zurückstellen will. Das BVerfG will nicht als politische Instanz dastehen.

Erklärt wurde weiterhin, dass ein Verbot der KPD der Wiederzulassung einer kommunistischen Partei im Falle gesamtdeutscher Wahlen rechtlich nicht entgegenstehe. Dabei wurden gesamtdeutsche Wahlen ins Auge gefasst, die die Wiedervereinigung – gemäß Art. 146 GG – herbeiführen würden. Die Kohlregierung wusste 1990 davon nichts mehr.

Bemerkenswert sind weiterhin solche Aussagen wie:

  1. Eine Partei ist nicht schon dann verfassungswidrig, wenn sie die obersten Prinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung (vgl. BVerf- GE Bd. 2, S.1,S. 12 folgende) nicht anerkennt, es muss vielmehr eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen.
  2. Artikel 21 Abs. 2 Grundgesetz verlangt nicht wie § 81 StGB ein konkretes Unternehmen; es genügt, wenn der politische Kurs der Partei durch eine Absicht bestimmt ist, die grundsätzlich und tendenziell auf die Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet ist.
  3. Die eindeutig bestimmte Grenze zwischen wissenschaftlicher Theorie, die durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt ist, und politischen Zielen einer Partei, die der Beurteilung nach Art. 21 Abs. 2 GG unterliegen, liege dort, wo die „betrachtend gewonnenen Erkenntnisse“ von einer politischen Partei in ihren Willen aufgenommen und zu Bestimmungsgründen ihres politischen Handelns gemacht werden.
  4. Eine Partei ist schon dann verfassungswidrig, wenn sie eine andere soziale und politische Ausprägung der freiheitlichen Demokratie als die heutige in der Bundesrepublik deshalb erstrebt, um sie als Durchgangsstadium zur leichteren Beseitigung jeder feindlichen demokratischen Grundordnung überhaupt zu benutzen, – mag diese Beseitigung auch erst im Zusammenhang mit oder nach der Wiedervereinigung stattfinden sollen.
  5. Zu den Absichten, die eine Partei verfassungswidrig im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz machen, gehören nicht nur diejenigen, die sie auf jeden Fall auszuführen gedenkt, sondern auch diejenigen, die sie nur verwirklichen will, wenn die Situation dafür günstig ist.

Auch dem juristisch nicht vorgebildeten Leser erschließt sich, in welchem Masse ständig von Absichten, Tendenzen und Willen die Rede ist, also von subjektiven Vorgängen,, die – wie der Strafrechtler weiß – nur zu gern unterstellt, statt bewiesen werden.

Die Verfassungsrichter sollten, mussten und wollten aus politischen Gründen so entscheiden. Gemäß diesen wurden scheinjuristische Begründungen nachgeschoben. Jedenfalls kann man mit solchem juristischen Vokabular nach Belieben jede missliebige Partei verbieten. Mit Rechtssicherheit hat solches nichts zu tun.

Die juristische Reichweite, der räumliche Geltungsbereich des KPDVerbots beschränkt sich auf den damaligen räumlichen Geltungsbereich des Grundgesetzes. Die Erstreckung des Geltungsbereichs des GG auf das Beitrittsgebiet, das ehemalige Staatsgebiet der DDR per 3.10.1990, berührt nicht die hier gegründete KPD; diese unterfällt nicht dem KPD-Verbot von 1956 und ist daher in Ostdeutschland eine legale Partei. Übrigens betrifft das Verbot der FDJ von 1951 in der BRD nicht die in der DDR gegründete und auch nach 1990 im Beitrittsgebiet bestehende FDJ; sie ist, jedenfalls im Beitrittsgebiet, – weiterhin – legal.

Der zeitliche Geltungsbereich des KPD-Verbots ist verbal nicht begrenzt, also endlos. Indessen wollten die Richter des BVerfG solches aus ihrer Sicht nicht um jeden Preis. Sie erklärten, dass der Bundesregierung nicht verwehrt sei, eine Neugründung oder Wiederzulassung der KPD, insbesondere im Zusammenhang mit der „Wiedervereinigung“, zu tolerieren, wobei sie dabei im Sinne des Art. 146 GG an gesamtdeutsche Wahlen dachten. Jedenfalls aus Rechtsgründen, meinten die Richter, sei solches nicht ausgeschlossen.

Unmittelbare juristische Wirkung

Die unmittelbare juristische Wirkung des Verbots der KPD besteht in ihrer Auflösung, in der Konfiszierung ihres Vermögens und im Verbot von Ersatzorganisationen. Den Kommunisten wurde damit ihre Betätigung in ihrer politischen Partei de jure und kraft der Staatsmacht der BRD – wie schon bei den Nazis – auch de facto unmöglich gemacht.

Politisch stellt dies einen beispiellosen, nur an die Praxis der Nazis erinnernden Schlag gegen all diejenigen und eine akute Bedrohung all derjenigen dar, die soziale Gerechtigkeit und dazu eine andere, eine soziale oder eine sozialistische Republik wünschen und sich dafür einsetzen.

So trifft dieses KPD-Verbot politisch nicht nur die Kommunisten.

Die Aussagen im Verbots-Urteil sind außerordentlich weit reichend: Wenngleich – um dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5) Genüge zu tun – das Vertreten von philosophischen, ökonomischen und sozialen, auch marxistischen Auffassungen vom KPD-Verbot nicht berührt wird, solange nur theoretisch gedacht wird, so kommt das KPDVerbot, zumindest mit seiner Drohwirkung, sofort zur Geltung, wenn aus derartigen Einsichten und Erkenntnissen – was an sich selbstverständlich ist – praktische Schlussfolgerungen gezogen, wenn aus diesen Erkenntnissen praktische Aktivitäten erwachsen oder zum Handeln aufgerufen wird.

In Übereinstimmung mit dem „Ewigkeitsgebot“ des Art. 79 Abs.3 GG der für das GG maßgeblichen Bestimmungen will das KPD-Verbot so jeden gesellschaftlichen Fortschritt verbieten.

Auswirkungen und Konsequenzen bis heute

Es ist der offen reaktionäre Versuch, in die Speichen des Rades Geschichte zu greifen und dieses Rad anzuhalten, die zunehmend unmenschlichen Verhältnisse in der BRD zu verewigen, zu betonieren!

Dass die gesamte Menschheitsgeschichte darin besteht, neue über die jeweiligen Verhältnisse hinausgehende Gedanken und Erkenntnisse zu entwickeln und diese in die Tat umzusetzen – wie das in Gestalt der Reformation und der französischen Revolution von 1789 für das heutige Europa maßgebend wurde -, wollen die Richter des BVerfG nicht wissen.

Das KPD-Verbot stellt eine Bedrohung jeglichen Bemühens um eine Alternative zu den derzeitigen politischen und ökonomischen Verhältnissen in der BRD dar, weil solches als „Durchgangsstation“ zu einer anderen Republik aufgefasst werden kann, was den Aussagen des KPD-Verbotsurteils unterfiele.

So erfasst der wiederbelebte Antikommunismus keineswegs nur Kommunisten, sondern auch andere, die über die derzeitigen Zustände hinaus denken und eine dem Gebot der Menschenwürde (Art.1 GG) gemäße Veränderung dieser Zustände wollen.

Wenn kürzlich in einem Aufruf zur Gründung einer neuen Linken von einer „Veränderung der Zustände und des Denkens“ die Rede ist und in „ökonomisch-sozialen Regulierungen, kollektiv-sozialstaatlichen Strukturen sowie… Errungenschaften der bürgerlichen Demokratie“ – also sämtlich die freiheitliche demokratische Grundordnung dieser Republik wahrlich nicht gefährdende Vorgänge – ein „Ausgangspunkt für weitergehende Veränderungen dieser Gesellschaft“ gesehen wird, dann könnte ein findiger reaktionärer bundesdeutscher Verfassungsrechtler, angelehnt an das KPD-Verbotsurteil solches als Planung einer „Durchgangsstation“ zu einer anderen Republik auffassen.

Die neue Linke wird zu besorgen haben, dass sie den Maßstäben des KPDVerbotsurteils unterfällt. Solange das KPD-Verbot nicht beseitigt ist, wirkt es in Gegenwart und Zukunft als ein Maulkorb-Urteil, als Fessel jeglichen Fortschritts.

Prof. Dr. habil. Erich Buchholz,
Berlin

Artikel danken Übernommen aus: „Geheim“ Nr. 21, Ausgabe 3 /2006.

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Anmerkungen:

1. Näheres hierzu siehe u.a. in „Staat ohne Recht; des Bonner Staates strafrechtliche Sonderjustiz“, Gerats, Kühlig, Pfannenschwarz, Berlin VEB Deutscher Zentralverlag, 1959.

2. Siehe dazu Erich Buchholz. Das Fünf-Broschüren-Urteil; Weissenseer Blätter, 1/2000, S. 54