Das DDR-Erbe verteidigen!

Heinz-W. Hammer:
Das DDR-Erbe verteidigen! Ein Blick zurück nach vorn

Zur Gründung des »Solidaritätskomitees für Erich Honecker« im Jahr 1990

In der »offen-siv«-Ausgabe Jan./Febr. 08 wird im Editorial Herr Manfred Sohn, vormals F.D.P., SPD und DKP, derzeit DL-Fraktionsvorsitzender im niedersächsischen Landtag, mit den Worten zitiert: »Ich weine der DDR keine Träne nach«. Damit wird Bezug genommen auf die derzeit heftige geführte Diskussion über Fragen des Sozialismus und in diesem Zusammenhang auch über die DDR.

Vertreter des Kapitals und der politischen Rechten, aber auch so manche Salonlinke über-schlagen sich dabei damit, die üblichen Jauchekübel über alles, was auch nur entfernt mit der DDR in Zusammenhang gebracht werden kann, auszuschütten. Ziel und Wirkung liegen dabei offen zutage: Mit dem Vorwand eines angeblichen »Linksrutsches« in der BRD soll angesichts der Zuspitzung der Klassengegensätze die gefährliche Rechtsentwicklung des Landes forciert und zementiert werden.

In dieser Situation lohnt es sich, einen Blick auf die jüngere Geschichte zu werfen und auf Aktualität und Gültigkeit zu überprüfen.

Oktober 1990: »Liebe Freunde und Genossen, wir, Werner Cieslak aus Essen und Heinz Junge aus Dortmund, waren am 7. Oktober 1990 zu Besuch bei den Genossen Margot und Erich Honecker im sowjetischen Militärhospital in Beelitz-Heilstätten, Bezirk Potsdam. (…) Erich Honecker – unter Hitler wegen seines Kampfes gegen Faschismus und Krieg 10 Jahre im Zuchthaus Brandenburg geschunden – hat viel getan, dem Antifaschismus in der Politik Raum zu verschaffen. Die DDR war eine mächtige Bastion des Antifaschismus in Europa. Er war es, der als Staatspräsident der DDR das Wort prägte: VON DEUTSCHEM BODEN DARF NIE MEHR KRIEG, MUSS IMMER FRIEDE AUSGEHEN! Sein Wirken für Dialog, Entspannung, Abrüstung und internationale Solidarität fanden weltweit Anerkennung, auch bei uns, was bei seinem Besuch in der BRD vor wenigen Jahren offiziell Anerkennung fand. Sollten die Drohungen wahr gemacht werden, ihn vor Gericht zu stellen, müsste eben diese, seine Politik, mit vor Gericht stehen und bei ihrer Verteidigung wird er sich als ein standhafter Vertreter der Arbeiterklasse und ihrer Lebensinteressen erweisen. Wir sind davon überzeugt, daß INTERNA-TIONALE SOLIDARITÄT ihm zur Seite stehen wird.«

Auf dieser Grundlage fand am 15. Dezember 1990 im Dortmunder antifaschistischen »Museum für Widerstand und Verfolgung« die konstituierende Sitzung des »Solidaritätskomitees für Erich Honecker« statt, dass 1992 umbenannt wurde in »Solidaritätskomitee für alle verfolgten Kommunistinnen und Kommunisten in Deutschland«. In einer von dem Autor dieses Beitrags im Auftrag des Komitees unterzeichneten Pressemitteilung vom 27.12.1990 heißt es zu dieser Tagung:

»(…) Über Parteigrenzen hinweg sind sich die Mitglieder des Komitees einig:

Unbeschadet einer notwendigen Diskussion über vergangene Fehler und Versäumnisse gilt es heute, das Leben Erich Honeckers gegen eine unmenschliche „Generalabrechnung“ derer zu schützen, die ihn als Staatsratsvorsitzenden der DDR gestern noch hofiert haben.

Mit der unwürdigen und menschenverachtenden Hetzjagd auf Erich Honecker soll in dessen Person „ein für allemal“ Schluß gemacht werden mit dem „anderen Deutschland“, mit den Traditionen des Antifaschismus, des Versuches, einen nichtkapitalistischen Staat auf deutschem Boden zu errichten.

Mit der Verfolgung und medienträchtigen politischen Verleumdung Erich Honeckers wird seitens der Regierenden versucht, innerhalb kürzester Zeit eine gigantische Geschichtsfälschung salonfähig zu machen, die alle demokratischen und Arbeitertraditionen Deutschlands ins Abseits stellen soll.

Die Mitglieder des Solidaritätkomitees verabschiedeten bei ihrer konstituierenden Sitzung einen Appell an die Bundesregierung und an die Öffentlichkeit, in dem es u.a. heißt: „Honeckers Leben ist in Gefahr. Die Forderung der Bundesregierung, den ehemaligen Staatsrats-vorsitzenden der DDR, Erich Honecker, an die Justiz auszuliefern, mit der Kenntnis, daß Honecker auf der Intensivstation im sowjetischen Militärhospital liegt, ist ein Akt der Barbarei (…) Objektiv bedeutet das, Honeckers Tod schneller herbei zu führen (…) Die Beratung fordert erneut:

Einstellung aller Bedrohungen gegen Erich Honecker, sowohl von Seiten der Behörden als auch in den Medien.

Gewährung aller in unserem Grundgesetz verankerten Bürgerrechte einschließlich des Rechts auf eine eigene Wohnung“.

Das Solidaritätskomitee ruft dazu auf, sich diesen Forderungen anzuschließen.«

In den Folgejahren betrieben die Mitglieder des Komitees, die aus dem ganzen Bundesgebiet kamen und unterschiedlichen Parteien und Organisationen angehörten oder parteilos waren*, vor allem intensive Öffentlichkeitsarbeit. Informationen, Petitionen und Aufrufe wurden an den Bundestag, die darin vertretenen Parteien, die Medien und nicht zuletzt an zahlreiche Organisationen und Persönlichkeiten aus dem Ausland gesandt.

Im Frühjahr 1992 veröffentlichte das Solidaritätskomitee ein Flugblatt, in dem nochmals in einer Zusammenfassung die Gründe für die Arbeit dieser Initiative genannt werden:

»Oft werden wir gefragt, was uns bewegt hat, vor vielen Monaten die Initiative ergriffen zu haben, damit es zu einem Solidaritätskomitee für Erich Honecker kam. Was war unsere Moti-vation?

Warum bemühen wir uns für einen Mann, der von den Herr­schenden gehaßt wird, verfolgt und eingesperrt werden soll? Warum nehmen wir es auf uns, von vielen nicht verstanden zu werden — manchmal auch von Freunden nicht?

Warum bemühen wir uns, dem deutschen Imperialismus nicht den Triumph zu gönnen, den Staatsratsvorsitzenden der DDR mittels Druck, Macht und Herrschaftsanspruch in Europa und in der Welt in Handschellen vorgeführt zu bekommen? Sind unsere Gründe politischer Natur oder wesentlich nur hu­manitär?

Um es sofort deutlich zu machen: Unser Hauptgrund ist die solidarische Verbundenheit mit allen, die den Versuch unter­nahmen, eine Gesellschaft alternativ zur kapitalistischen auf deut-schem Boden zu entwickeln und deshalb von der Rache­justiz des deutschen Imperialismus attackiert werden. Auch mit der Absicht, daß niemand es mehr wägen soll, je wieder das kapitalistische System in Frage zu stellen.

Für unsere Position ließe sich vieles anführen. Einige Gründe wollen wir benennen:

Wir sind selbst wegen des Kampfes gegen den Faschismus und zur Zeit Adenauers wegen des Kampfes gegen die Remilitarisierung und für ein antifaschistisches, demokratisches Deutsch-land verfolgt und viele Jahre eingesperrt worden. Wir sind gegen die Verfolgung politisch Andersdenkender. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse von Marx, Engels und Lenin dürfen nicht tabuisiert werden.

Erich Honecker hat mutig und standhaft gegen den Faschismus gekämpft und mußte über 10 Jahre im Zuchthaus alle Leiden und Qualen für die Bereitschaft zum Widerstand gegen Faschismus und Krieg ertragen. Allein das ist für uns ein wichtiger Grund, jetzt helfend und solidarisch an seiner Seite zu stehen.

Erich Honecker hat einen großen Beitrag dazu geleistet, daß vom deutschen Boden seit fast 50 Jahren kein Krieg ausging. Als Mann, der auf den Frieden setzt, haben ihm nicht wenige aus fast allen Parteien und gesellschaftlichen Organisationen die Referenz er­wiesen.

Als nach der Stationierung amerikanischer Atomraketen auf dem Boden der BRD viele Politiker in der Welt davon sprachen, daß über den nun errichteten Raketenzaun Gespräche nicht mehr möglich seien, hat er die Politik der Schadenbegrenzung und des Dialogs entwickelt, gegen nicht wenig Widerstand auch aus dem sozialisti­schen Lager.

Erich Honecker war anerkannter Gesprächspartner vieler politi­scher Kräfte in der Welt als Staatsoberhaupt der DDR. In Bonn wurde er mit allen üblichen Ehren empfangen. Und Zeit-zeugen wissen, wie sich Politiker in dieser Stadt bemühten, mit Honecker ins Bild zu kommen. Seine auf politische Entspannung gerichtete Politik, wurde von nicht wenigen auch als Grund für die Einladung nach Bonn angesehen.

Erich Honecker hat sich ein ganzes Leben bemüht, für die Interessen der arbeitenden Menschen wirksam zu sein. Im Klassenkampf hat er stets die Anliegen der Ausgebeuteten und Unterdrückten vertreten. Er setzte sich stets für die da unten ein, deshalb mochten ihn die da oben nicht. Ob immer oder in jeder Situation erfolgreich, bleibt dahin gestellt, sein Bemühen war aber stets zu helfen das Leben der arbeitenden Menschen zu verbessern.

Erich Honecker hat sich mit vielen bemüht, ein großes Stück Sozialismus auf deutschen Boden mitzugestalten. Die gesell­schaftliche Alternative zum Kapitalismus deutlich zu machen, galten seine Anstrengungen.

Viele Jahre Zuchthaus, ein stets aktives politisches Leben, ein hohes Alter und mehrere Operationen haben seinen Körper ge­schwächt. Humanitäres Denken ist angesagt und sollte auch in der Forderung seinem Ausdruck finden, dieser Kämpfer für Frieden und Sozialismus darf nicht erneut ins Gefängnis. Einstellung aller Ermittlungs- und Strafverfahren, die im Zusam­menhang mit der Tätigkeit für den souveränen und in aller Welt geachteten Staat DDR eingeleitet wurden.

Das sind einige Gründe, die uns motiviert haben, nicht nachzulassen im Kampf für die freie politische Betätigung Erich Honeckers in der BRD für sein Recht an der Aufarbeitung deutscher Geschichte teilzunehmen – ohne Handschellen und ohne Haftbefehl.

Heinz Junge, Werner Cieslak, Hannelore Hucks, Essen, im Frühjahr 1992«

Das Solidaritätskomitee hatte seit seiner Gründung den Schwerpunkt ihrer Arbeit im Westen der BRD. Angesichts des im November 1992 bevorstehenden Beginns des Prozesses gegen Erich Honecker wurde es konsequenterweise personell und organisatorisch nach Berlin verlagert.

Das in dem eingangs dokumentierten Brief geäußerte Vertrauen, dass in diesem Prozess Erich Honecker »sich als ein standhafter Vertreter der Arbeiterklasse und ihrer Lebensinteressen erweisen« würde, hat sich umfassend bestätigt. Dies ist in seiner, vom Komitee publizierten Dokumentation »Erklärung vor dem Berliner Kammergericht am 3. Dezember 1992« ebenso nachzulesen wie in dem kleinen Buch »Erich Honecker zu dramatischen Ereignissen« (W. Runge Verlag, Mai 1992, Hamburg). Auf dem Buchdeckel ist ein Zitat Honeckers dokumentiert:

»Ich halte es einfach für meine Pflicht, mich zu den dramatischen Ereignissen seit November 1989 zu äußern. Schließlich gibt es nicht nur jene, die nur allzu schnell ihre früheren Ideale und Freunde verraten und ihre politische Gesinnung gewandelt haben, sondern auch unzählige ehrliche ehemalige Mitstreiter, vernünftige und anständige Menschen in aller Welt, die trotz kritischer Bewertung der Vergangenheit ihre Hoffnung auf eine neue, eine von kapitalistischer Ausbeutung freie moderne sozialistische Gesellschaft trotz alledem nicht aufgegeben haben. An sie wende ich mich in erster Linie.

Von der Bühne der Geschichte abzutreten, ohne meinen Standpunkt zu den erdbebenartigen Entwick­lungen der letzten Zeit darzulegen, das hielte ich für ehrlos, nicht nur für mich per-sönlich, sondern auch für die deutsche und internationale kommunistische Bewegung.

Ich bin fest entschlossen, soweit meine Kräfte reichen, mich von den heutigen Siegern ebensowenig mundtot machen zu lassen, wie einst von der faschistischen Gestapo. Das bin ich meinem ganzen Leben als Kommunist schuldig.«

Erich Honecker ist am 29. Mai 1994 in Santiago de Chile gestorben. Dass er seine letzten Lebenszeit nicht im Kerker von Moabit verbringen musste, ist nicht zuletzt der internationalen Solidarität zu verdanken. Auch die Initiatoren unseres Komitees, Werner Cieslak und Heinz Jun-ge, sowie weitere damalige Mitstreiter sind zwischenzeitlich verstorben. Weder sie noch alle anderen Komiteemitglieder haben etwas zu bereuen und können ob ihrer eindeutigen politischen Positionierung auch heute erhobenen Hauptes auf ihre wichtige Solidaritätsarbeit zurückblicken.

Denn leider haben sich viele der in den damaligen »wilden Zeiten« getroffenen Einschätzungen, Analysen und Voraussagen in vollem Umfang bestätigt und der Kampf gegen die imperialistische Offensive ist ebenso aktuell und notwendig geblieben wie der gegen Geschichtsklitterungen aller Art, von welcher Seite sie auch immer betrieben werden. Eine eindeutige und bekennende Haltung zur eigenen Geschichte, inclusive aller Fehler und Versäumnisse, aber auch Erfolge und bleibender Errungenschaften, ist die unabdingbare Voraussetzung für den neuerlichen Anlauf zu einer nichtkapitalistischen, sozialistischen Ge-sellschaft. Eine andere Alternative haben wir nicht.

Dieser Beitrag ist unserer Genossin Margot Honecker, Chile, gewidmet.

Heinz-W. Hammer,
Essen
Gründungsmitglied des »Solidaritätskomitees für Erich Honecker«,
11.03.08

* Auf dem Briefbogen des Komitees waren eine Reihe von Namen der Beteiligten aufgeführt:

»Aus dem Unterstützerkreis: Belz, Willi / Kassel; Brenner, Hans-Peter / Bonn; Demmer, Manfred / Haan/Rhld.; Erlebach, Kurt / Hamburg; Fernholz, Karl-Heinz / Koblenz; Fritsch, Isolde / Braunschweig; Große, Helmut / Gladbeck; Habigsberg, Friedrich Wilhelm / Bielefeld; Hafemeister, Paul / Duisburg; Hammer, Heinz-W. / Essen; Hendricks, Gudrun / Essen; Koth, Michael / Berlin; Persch, Peter / Bergisch-Gladbach; Posselt, Jens / Leipzig; Rollack, Gerhard / Berlin; Rossaint, Dr. Joseph / Bad Bodendorf; Ruppert, Dr. Eva / Bad Homburg; Schreyer, Erich / Röthenbach/Pegnitz; Schmidt-Leermann, RA / München; Seibt, Kurt / Berlin; Spiegel, Erna / Hamburg; Sprenger, Wilhelm / Duisburg; Woike, Ruth / Meerbusch«