Das neue Programm der DKP

Hans Heinz Holz:

Das neue Programm der DKP

1993 wurden auf dem Mannheimer Parteitag die „Thesen zur programmatischen Orientierung der DKP“ verabschiedet. Damals war klar, dass sie der Vorbereitung eines neuen Parteiprogramms dienen sollten, das an die Stelle des 1978 in Mannheim beschlossenen Programms zu treten hatte. Die Veränderung der Weltlage durch den Zusammenbruch des Systems der sozialistischen Gesellschaften in Osteuropa erforderte eine Neuorientierung von Teilen des Programms.

Dass die Programmdiskussion in der Partei 13 Jahre dauern würde, war nicht vorherzusehen. Natürlich spiegelt sich darin die Schwierigkeit, die sich neu formierenden Widersprüche des spätkapitalistischen Gesellschaftssystems korrekt zu erfassen, spiegelt sich auch die ideologische Unsicherheit nach der Niederlage von 1989 – nach 70 Jahren machtvollem Sowjetstaat und 40 Jahren sozialistischem Aufbau in der DDR. Dennoch möchte ich die sich lang hinziehende und zuweilen mit scharfer Polemik geführte innerparteiliche Debatte mit einem positiven Vorzeichen versehen: Die DKP hat – als einzige deutsche Partei – sich mit Eifer darum bemüht, ihre Programmatik nicht aus soziologischen Allgemeinplätzen und wohlmeinenden Wunschvorstellungen zusammenzustückeln, sondern aus wissenschaftlicher Analyse der Gegenwart und den realen und denknotwendigen Möglichkeiten der Zukunft abzuleiten. Die DKP hat den Anspruch eingelöst, Politik auf dem Boden des wissenschaftlichen Sozialismus zu machen.

Richtungsgegensätze

Dass es dabei zu Verschiedenheiten in der Einschätzung des heutigen Imperialismus, in der Bewertung der Leistungen und Fehler beim Aufbau des Sozialismus, in den Erwartungen an die Verfassung eines zukünftigen Sozialismus und folglich auch in strategischen Konzeptionen des politischen Kampfes gekommen ist, liegt in der Natur der Uneinheitlichkeit der imperialistischen Expansivität. Je nachdem, ob man die eine oder andere Tendenz als vorherrschend betrachtet, ergeben sich abweichende, ja gegensätzliche Auffassungen. Dass diese im Programm nicht unberücksichtigt bleiben können, wenn die Partei zwar Richtungsdifferenzen akzeptiert, aber den Zerfall in Strömungen und Fraktionen verhindern will und muss, versteht sich von selbst.

Für die Programmautoren, für den Parteivorstand, die Programmkommission und den Parteitag war es unabdingbar, die Einheit der Partei zu erhalten und zu festigen. Für jeden Kommunisten bedeutet das, die Grundlagen der seit Marx, Engels und Lenin erarbeiteten gesellschaftspolitischen Einsichten und Ziele auch da gemeinsam festzuhalten, wo in Einzelfragen Differenzen bestehen. Ich möchte darum auch nicht davon sprechen, dass die schließlich formulierte Fassung des Programms, zu der Hunderte von Anträgen der organisatorischen Einheiten der Partei beitrugen, ein Kompromiss sei. Das Programm schreibt die unverzichtbaren Prinzipien  kommunistischer Theorie und Praxis fest und macht ungeklärte Fragen dadurch kenntlich, dass sie als Aspekte benannt werden und nebeneinander stehen bleiben. Wenn von Kritikern eingewandt wird, dass dies Widersprüche beinhalte, so muss man dem entgegnen: für den Dialektiker ist die Wirklichkeit durch Widersprüche bestimmt, und unaufgelöste Widersprüche als solche stehen zu lassen, ist realistisch. Das ist kein Kompromiss. Kompromisse gibt es nicht in Wahrheitsfragen, sondern nur in Handlungsentscheidungen.

Die Grundsätze des Programms

Klar und an mehreren Stellen heißt es: Die Partei ist „die revolutionäre Partei der Arbeiterklasse“, die „als politisch bewusster und ständig weitertreibender Teil der Bewegung“ wirkt. Sie hat ihr „wissenschaftliches Fundament in der Theorie von Marx, Engels und Lenin“. Ihr Ziel ist der Sozialismus/Kommunismus, bzw. der Sozialismus als erste Phase der kommunistischen Gesellschaftsformation. Als Voraussetzung dafür will sie „gesellschaftliches Eigentum an den Produktionsmitteln und Planung der Produktion“ herstellen.

Vom Imperialismus wird gesagt, dass es sich bei dem, was man heute Globalisierung nennt, um „einen neuen Schub imperialistischer Internationalisierung“ handelt, „ohne sein Wesen zu verändern“. Und was das Wesen des Imperialismus ist, wird mit einem ausführlichen Lenin-Zitat präzisiert.

Die mehrschichtigen Widersprüche zwischen den transnationalen Kapitalien, dem nationalen Monopolkapital und dem nichtmonopolistischen Kapital werden auseinander gehalten und auf den Grundwiderspruch von Kapital und Arbeit bezogen. Die Aggressionspotentiale der Imperialisten gemeinsam gegen die ausgebeuteten Länder und untereinander im Konkurrenzkampf um Anteile am Weltmarkt werden als charakteristisch für die Epoche geschildert (auch wenn der theoretisch umstrittene Epochenbegriff nicht vorkommt). Der deutsche Imperialismus in seinen wirtschaftlichen und militärischen Aspekten mit dem Streben nach Machtentfaltung in den Rivalitäten zwischen den imperialistischen Metropolen wird als gefährlich gekennzeichnet. Die Rolle des Staates als Herrschaftsinstrument der Bourgeoisie und zugleich als Feld des Klassenkampfes ist entsprechend den Einsichten marxistischer Staatsrechtslehrer formuliert. Der „Neoliberalismus“ wird als „Ideologie und Politik“ im Rahmen der gegenwärtigen Phase des staatsmonopolistischen Kapitalismus seines Anspruchs entkleidet, eine neue Stufe gesellschaftlicher Entwicklung zu sein.

Kommunistische Kontinuität und Identität

Ausführlich werden die Leistungen des Sozialismus in der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Staaten gewürdigt. Mehrfach wird die Verbundenheit der DKP mit der DDR und der SED hervorgehoben. Ausdrücklich wird gesagt, die DDR gehöre „zu den größten Errungenschaften der deutschen Arbeiterbewegung“ und sei „Teil des humanistischen Erbes in Deutschland“. Die Niederlage des Sozialismus wird im Zusammenhang der schwierigen Aufbaubedingungen und der daraus entspringenden objektiven Widersprüche, der äußeren Bedrohung und Subversion, der wirtschaftlichen Erpressung und der harten internationalen Klassenauseinandersetzungen und des schließlichen „Überhandnehmens revisionistischer Kräfte“ gesehen, differenziert betrachtet und nicht einseitig auf die „Fehlerdiskussion“ eingeschränkt.

Dem Reformismus wird eine klare Absage erteilt. „Die revolutionäre Überwindung kapitalistischer Eigentums- und Machtverhältnisse“ finde in „Klassenauseinandersetzungen“ statt. Es wird festgehalten, dass „die antimonopolistische und sozialistische Umwälzung miteinander verbundene Entwicklungsstadien in dem einheitlichen revolutionären Prozess des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus sind“. „Antimonopolistische Umwälzung bedeutet eine Periode des revolutionären Kampfes.“

Die Betonung der Bündnisfähigkeit und Bündnisstrategie der DKP schließt die Selbständigkeit ein: Von anderen linken Parteien und Organisationen unterscheidet sich die DKP in weltanschaulichen Positionen, ihrem Parteiverständnis, in der Programmatik, im Verständnis von Reform und Revolution und deshalb teilweise auch in der praktischen Politik.

Mehr kämpferisches Selbstbewusstsein!

Das verabschiedete Programm ist nicht mehr dasselbe wie der erste Entwurf. Die Partei hat durch die Fülle der Anträge zu dem Autorenentwurf vor dem PV-Beschluss und dann noch einmal in der kurzen Frist zwischen PV-Beschluss und Parteitag Akzente gesetzt, die den klaren Kern unserer marxistisch-leninistischen Weltanschauung herausheben. Das Programm bestimmt nun den Boden, auf dem Richtungsdifferenzen ausgetragen werden müssen; und es bestimmt ihn so, dass revisionistischen Tendenzen ein Riegel vorgeschoben wird.

Gewiss hätten manche Aussagen präziser formuliert und offensiver vorgetragen werden können. Der auch von mir in meinem Parteitagsbeschluss beklagte defensive Ton des Programms ist Ausdruck der noch nicht überwundenen Schwäche der Partei. Es besteht Einigkeit darüber, dass eine intensivierte und inhaltlich wohlgeplante Entwicklungsarbeit, unterstützt durch Anstren-gungen der Theorie-Kader, ein dringendes Bedürfnis ist und einen Schwerpunkt in der nächsten Zeit der Parteiarbeit darstellen muss.

Denn jede Schwächung birgt die Gefahr opportunistischer Anpassung an modische Theorietendenzen und verwaschene (und daher unbeständige) Proteststimmungen. Aus solcher Schwäche mögen, wie die Geschichte der kommunistischen Bewegung zeigt, auch Neigungen zu revisionistischen Positionen hervorgehen. Die Grundzüge des Programms verbürgen dagegen eine stabile Parteilinie auf der Grundlage unserer marxistisch-leninistischen Weltanschauung und Wissenschaft.

Die Partei definiert ihr politisches Ziel als revolutionären Bruch mit den kapitalistischen Eigentums- und Produktionsverhältnissen, als Errichtung einer kommunistischen Gesellschaft mit dem Sozialismus als erster Phase, als Bewältigung der im historischen Prozess auftretenden Widersprüche in Kontinuität mit der Geschichte der kommunistischen Bewegung und in ihrer kritischen Überprüfung, als Solidarität mit den Befreiungskämpfen der unterdrückten und ausgebeuteten Völker. Sie benennt die Rahmenbedingungen des Sozialismus: Gesellschaftliches Eigentum, gesellschaftliche Planung, öffentliche Kontrolle, Verteidigung des sozialistischen Aufbaus gegen die Konterrevolution, Inhalte sozialer statt formalrechtlicher Demokratie.

Einheit der Partei

In praktischen Fragen wird es auch auf dieser gemeinsamen Grundlage, die für die deutschen Kommunisten nun verbindlich ist, nach wie vor Differenzen geben. Eine der Aufgaben der Parteiführung wird es sein, zu vermeiden, dass sich nach den in der Programmdiskussion aufgerissenen Gräben nun aus den Differenzen in der alltäglichen politischen Praxis Strömungen entwickeln, die die Partei in “Lager“ auseinander treiben. Die Einheit der Partei ist absolutes Prinzip der Handlungsfähigkeit und Stärke. Einheit ist aber – das hat Lenin immer wieder betont – „Einheit der Gegensätze“. Es kommt also darauf an, die in der Programmdebatte hervorgetretenen Gegensätze nicht administrativ zu regulieren, sondern kooperativ zu integrieren. Dafür trägt das Sekretariat, das doch wesentlich aus einer Richtung dominiert ist, eine hohe Verantwortung.

Hans Heinz Holz,
dankend übernommen aus: „Theorie und Praxis“,
Ausgabe 6, August 2006