Der Marxismus ist in der Revisionismusfrage unentwickelt

Hermann Jacobs: Der Marxismus ist in der Revisionismusfrage unentwickelt

Man sollte eine Konferenz ins Auge fassen, des Themas Revisionismus in der Arbeiterbewegung. Wir schlagen uns im Grunde mit keinem anderen Problem herum. Wobei wir die neue Dimension beachten müssen: Es geht nicht mehr nur um die Staatsfrage, sondern sie ist erweitert um die Ökonomiefrage.

Wir hatten eine sozialistische Gesellschaft gehabt. Sie ist sowohl in der Beziehung Staat als in der Beziehung Eigentum revidiert, wieder aufgehoben worden, dem Revisionismus liegt also eine ziemlich starke Kraft inne, hier Revision, Aufhebung gewesen zu sein. Jedenfalls ist durch diese Erweiterung zum Eigentumsverhältnis, also zur Ökonomiefrage der Arbeiterbewegung, die Revisionismusfrage als gesellschaftliche abgerundet worden.

Das “Parteienheft” von “Offensiv” reflektiert das Thema unter dem Gesichtspunkt der Widerspiegelung in DKP, KPF der PDS und der KPD ostdeutsche Länder der BRD, also in drei Organisationen, von denen wir noch eine Kritik an der neuen Revisionismus-Dimension erwarten.

Andere Parteien entsprechen allerdings der Revision des Sozialismus direkt. D.h. es sind aus dem Revisionismus in seiner höchsten geschichtlichen Erscheinung, seiner Revision des realen Sozialismus, sozialdemokratische Parteien ebenfalls neuer Art und Dimension hervorgegangen. Sie spiegeln die dem Revisionismus eigene Kritik des Sozialismus direkt wider, in einem gesellschaftlichen Gegensatz, d.h. in der Form einer anderen Gesellschaft. Diesem Unterschied von direkter und indirekter Widerspiegelung des auf Revisionismus beruhenden Reformismus muß auch eine wiederum marxistische Kritik am Revisionismus aller Arten Rechnung tragen; sie muß doppelt operieren, zwei Arten von Kritik entwickeln. Bedingt durch die Dimension des Revisionismus ins Gesellschaftliche des Sozialismus hinein, machen wir die eigentliche Verantwortlichkeit für ihn nicht in den nur widerspiegelnden Parteien von heute aus, sondern datieren wir sie in die Geschichte des realen Sozialismus zurück.

Für die Entwicklung des modernen, also gesellschaftlich völlig entwickelten Revisionismus in der Arbeiterbewegung trägt die Arbeiterbewegung des realen Sozialismus die Verantwortung. An ihr, die durchaus eine Kritik am modernen Revisionismus entwickelt hatte, liegt es, die Frage für alle zu beantworten, warum sie nicht widerstand. Wenn ich mir das erlauben darf: Es gibt drei große Themenkreise, in denen der Revisionismus gegenständlich geworden ist und die bisher von der marxistischen Revisionismus-Kritik auch thematisiert worden sind:

  1. die Staatsfrage, die Ablehnung eines proletarischen Staatsbegriffs; sie beginnt quasi mit der Kritik an Marx und ist ihr ältester, bis in den Kapitalismus reichender geschichtlicher Gegenstand, hier konnte der Revisionismus auch erfolgreich überwunden werden, aber ohne letzte geschichtliche Garantie – wie sich nunmehr zeigt;

  2. die sowjetische Außenpolitik seit N.S. Chrustschow, sie macht als bereits in den realen Sozialismus fallender Gegenstand den größten Inhalt des modern genannten Revisionismus aus, ist am stärksten auch von marxistischen Kritikern bearbeitet und historisiert worden – wenn auch nie mit Erfolg; es handelt sich um begleitende, bestenfalls nachgereichte Kritik;

  3. der ökonomische Revisionismus, die Wiederinfragestellung der Aufhebung des Privateigentums im realen Sozialismus; dieser Gegenstand des Revisionismus ist der zuletzt entwickelte und hat viele Gesichter, ist aber am wenigsten in der marxistischen Kritik thematisiert; hier gehen die Meinungen, was überhaupt revolutionär, was revisionistisch, bis zum Gegensatz auseinander.

Dass im modernen Revisionismus der Revisionismus als ein Recht (als eine Antwort auf die Geschichte) empfunden wird – und der Reformismus sogar eine Art Legitimation erfahren hat -, ist darauf zurückzuführen, dass sich die sozialistische Revolution nicht eindeutig entschieden hat, welches ökonomische System sein revolutionäres ist. Dass folglich die Revisionismusfrage solche Bedeutung in der Arbeiterbewegung erlangt, verdankt sie nicht ihrem eigenen Recht, sondern der Unentschiedenheit der Revolution. Nicht von allen genannten Gebieten ist daher die Auffassung geteilt, dass es sich hier auch um Revisionismus, Revision des Marxismus oder revolutionären Anliegens der Arbeiterbewegung handelt, es handelt sich auch um solche Auffassungen, dass Revision Revolution wiederherstellt. Die Kritik am Revisionismus als marxistische kann keineswegs als eine geschlossene betrachtet werden. Man kann nicht von einer völligen Übereinstimmung in der Thematisierung und Wertung genannter Gebiete als revisionistisch durch Marxisten sprechen.

Der Marxismus ist. in der Revisionismusfrage unentwickelt, nicht auf seinem höchsten, also gegenwärtig notwendigen geschichtlichen Stand. Das führt dazu, dass in dieser Frage von noch keinen vollständig marxistischen Parteien gesprochen werden kann. Es gibt den Marxismus in dieser Frage nur in Momenten in kommunistischen Parteien, die dadurch nicht, gegenüber dieser Frage nicht, vollständig kommunistisch oder revolutionär entwickelte Parteien sein können bzw. sind.

Der Marxismus in dieser Frage kann also nicht an Parteien gemessen werden, es entsteht eine Verantwortlichkeit von Personen gegenüber diesen Parteien, d.h. es ist die Initiative von Wissenschaftlern notwendig. Ein Maß – auch für Parteien – kann erst entstehen. Wir brauchen einen Marxismus der werbenden Art.

Ich wollte dies also zu bedenken geben gegenüber einem Anfang, der gemacht werden mußte und gemacht wurde, ohne sich schon auf die Form seiner reifen Kritik berufen zu können. Das ist gar nicht verlangbar, ist Anfangen verlangt. Hermann Jacobs, Berlin