Der moderne Sozialismus des Gregor Gysi

Wolfgang Hoss:
Der moderne Sozialismus des Gregor Gysi

Anmerkung der Redaktion: Wir bringen diesen Beitrag unter der Rubrik „Beiträge zur Geschichte des Sozialismus“. Das mag etwas verwunderlich wirken, den Ausschlag gab aber, dass das, was Gregor Gysi von sich gibt, in keinster Weise neu, sondern vielmehr einer der ältesten Hüte ist, den es an der Front zur Aufweichung des Sozialismus gegeben hat und leider noch immer gibt.  Redaktion Offensiv

Der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag Gregor Gysi hielt am 24.4.07 an der Universität Marburg vor erlesenem Publikum den Vortrag mit dem Titel “Ende der Geschichte? Über die Chancen eines modernen Sozialismus”. Im Schlußabschnitt seines Vortrags, der im Neuen Deutschland vom 3./4.07 in leicht gekürzter Form wiedergegeben wurde, sagte er zur Eigentumsfrage folgendes:

“Ich möchte ein zweites brisantes und umstrittenes Problem in der Linken aufgreifen, die Eigentumsfrage. Orthodoxe Marxistinnen und Marxisten gingen und gehen davon aus, mit der Enteignung der Eigentümer und Eigentümerinnen wären alle Fragen im Kern beantwortet, damit wäre die Machtfrage gelöst. Das Problem ist jedoch wesentlich komplizierter. Nehmen wir nur die riesigen US-Pensionsfonds. … Das Problem ist dabei nicht die Eigentumsfrage, sondern die Frage der gesellschaftlichen Kontrolle und Teilhabe der Anteilseigner an den Rentenfonds, die sich gewiefter Fondsmanager bedienen und die Fonds für spekulative Transaktionen mißbrauchen. Es geht also nicht einfach um Macht und Eigentum, sondern um die Inhalte von Macht und Eigentum.”

Ferner sagte er: “Ich hoffe, daß es unseren Gesellschaften gelingt, im Rahmen sozialer Lernprozesse sich so zu verändern, daß die emanzipativen Errungenschaften der bürgerlichen Ära bewahrt und ihre desaströsen Momente überwunden werden können. Das entspricht wohl ungefähr dem, was Marx sich unter einer sozialistischen Gesellschaft vorgestellt hat”

Was Marx von dieser uralten Form des “modernen Sozialismus” hielt, hat er allerdings bereits im Kommunistischen Manifest klar ausgesprochen: “Ein Teil der Bourgeoisie wünscht den sozialen Mißständen abzuhelfen, um den Bestand der bürgerlichen Gesellschaft zu sichern. Es gehören hierher: Ökonomisten, Philanthropen, Humanitäre, Verbesserer der Lage der arbeitenden Klassen, Wohltätigkeitsorganisierer, Abschaffer der Tierquälerei, Mäßigkeits-vereinsstifter, Winkelreformer der buntscheckigsten Art. …… Die sozialistischen Bourgeois wollen die Lebensbedingungen der modernen Gesellschaft ohne die notwendig daraus hervor-gehenden Kämpfe und Gefahren. Sie wollen die bestehende Gesellschaft mit Abzug der sie revolutionierenden und sie auflösenden Elemente. …. Der Bourgeoissozialismus arbeitet diese tröstliche Vorstellung zu einem halben oder ganzen System aus. Wenn er das Proletariat auffordert, seine Systeme zu verwirklichen und in das neue Jerusalem einzugehen, so verlangt er im Grunde nur, daß es in der jetzigen Gesellschaft stehenbleibe, aber seine gehässigen Vor-stellungen von derselben abstreife.  Eine zweite, weniger systematische, nur mehr praktische Form d[ies]es Sozialismus suchte der Arbeiterklasse jede revolutionäre Bewegung zu verleiden durch den Nachweis, wie nicht diese oder jene politische Veränderung, sondern nur eine Veränderung der materiellen Lebensverhältnisse, der ökonomischen Verhältnisse ihr von Nutzen sein könne. Unter Veränderung der materiellen Lebensverhältnisse versteht dieser Sozialismus aber keineswegs Abschaffung der bürgerlichen Produktionsverhältnisse, die nur auf revolu-tionärem Wege möglich ist, sondern administrative Verbesserungen, die auf dem Boden dieser Produktionsverhältnisse vor sich gehen, also an dem Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit nichts ändern, sondern im besten Fall der Bourgeoisie die Kosten ihrer Herrschaft vermindern und ihren Staatshaushalt vereinfachen. Seinen entsprechenden Ausdruck erreicht der Bourgeois-sozialismus erst da, wo er zur bloßen rednerischen Figur wird.  (vgl. MEW Bd. 4, S. 488-489)

Die “Verwirklichung” des “modernen Sozialismus” des Gregor Gysi stand offenbar bereits vor mehr als 100 Jahren “auf der Tagesordnung” – es ist, als ob Marx und Engels das Programm dieses „Kämpfers für den Sozialismus“ und seiner modernen Mitstreiter schon damals in allen Winkelzügen gekannt hätten.

April 2007,
Wofgang Hoss,
Berlin