Der neue Programmentwurf der DKP ist ein Schmarren!

Andrea Schön

Der neue Programmentwurf der DKP ist ein Schmarren!

Der neue Programmentwurf der DKP ist ein Schmarren, würde der Bayer sagen. Die zwei Strömungen in den grundlegenden ideologischen Fragen, in der Autorengruppe des Programmentwurfs im wesentlichen vertreten durch Gerns/Holz bzw. Hager/Meyer, finden sich unvermittelt in einem Text neben- bzw. nacheinander und neutralisieren sich gegenseitig mit widersprechenden Aussagen. Der neue Entwurf spiegelt die innerparteilichen zentralen Debatten durchaus wider, mehr aber auch nicht. Ansonsten ist er lediglich geeignet, Verwirrung in die Arbeiterklasse zu tragen. Mit dem Sammelsurium uneinheitlicher Positionen kann man jedenfalls weder den eigenen Mitgliedern noch den Bündnispartnern eine marxistisch-leninistisch fundierte Orientierung geben.

Die wesentlichen ideologischen Widersprüche

Die Hauptstreitpunkte sind schnell benannt:

  • Imperialismus: Gibt es hier eine neue Qualität (“Globalisierung”, “Neoliberalismus”), die über Lenin hinausgeht und eine andere strategische Orientierung erfordert?
  • Staatsbegriff: Gibt es einen transnationalen Staat (Rolle des Nationalstaats)
  • Historisches Subjekt/Bündnispolitik: Einschätzung/Rolle der Arbeiterklasse und der sozialen Bewegungen

Alle drei Bereiche hängen selbstverständlich zusammen, so dass man die Positionen wie folgt holzschnittartig auf den Punkt bringen kann:

Linie Hager/Meyer: Der Imperialismus hat sich seit Lenin qualitativ weiter entwickelt (Stichworte: transnationale Monopole von der marktbeherrschenden Größe damaliger Kartelle mit nie dagewesenem Verflechtungsgrad und Produktionsstättenverteilung/Mehrwertaneignung rund um den Erdball) und erfordert daher neue Strategien. Der nationale Staat ist zum Anhängsel der Monopole herabgewürdigt und geht demnächst in einem supranationalen Gebilde (Beispiel EU) auf. Die Hauptmacht liegt bei den “transnationalen Monopolen”, die man nur international und im Zusammenwirken zwischen Arbeiterklasse und sozialen Bewegungen wirksam bekämpfen kann. Der Hauptfeind ist demnach das transnationale Monopol, das Subjekt wer immer sich dagegen zusammenschließt. Auf der Ebene imperialistischer Staaten ist die USA der “kollektive Gesamtimperialist” mit Anspruch auf Weltherrschaft; wenn man die USA angreift, greift man das ganze imperialistische System an. Außerdem muss man die USA schon deshalb angreifen, weil sie am mächtigsten und angeblich aggressivsten ist (D.h. Imperialismus ist dann dort, wo am meisten geschossen wird).

Linie Gerns/Holz: Der Imperialismus hat sich seit Lenin weiter entwickelt, ohne jedoch seine grundlegenden Widersprüche zu verlieren. Die imperialistischen Länder kämpfen weiterhin um Hegemonie und daher sind U.S. und deutscher Imperialismus gleichermaßen zu bekämpfen. Der staatsmonopolistische Kapitalismus existiert weiterhin, ebenso die Arbeiterklasse als historisches Subjekt.

Nun sollte man meinen, dass die letztere Strömung die lenintreuere und damit “richtige” Position ist. So einfach liegen die Dinge allerdings nicht. Denn offensichtlich besteht Konsens mit der anderen Strömung in der Beurteilung des Scheiterns des “realen” Sozialismus (gibt es eigentlich auch einen “irrealen”?): Es werden in diesem Abschnitt mehrere Aspekte genannt, die ebenfalls unverbunden nebeneinander stehen und eine Mischung aus moralischen und phänomenologischen Betrachtungen darstellen. Was fehlt, ist ein Begriff vom ökonomischen Revisionismus, der die politischen “Deformationen” erst verständlich und erklärbar macht. Statt dessen finden sich Begriffe wie “administrativ-bürokratischer Apparat”, Hemmung der “Eigeninitiative” etc., die dem trotzkistischen Arsenal der Sozialismuskritik entsprechen. Erfreulich ist immerhin ein positives Bekenntnis zur DDR; hier hat sich die Linie Gerns/Holz durchgesetzt.

Was außerdem bei der “besseren” Position fehlt, ist eine ausdrückliche Warnung vor der Kriegsgefahr als Bestandteil der leninschen Imperialismusanalyse und die entsprechenden strategischen Schlussfolgerungen, die sich daraus ergeben: Kampf gegen die Kriegsvorbereitung Deutschlands und der EU unter deutscher Führung; Vorbereitung der Arbeiterklasse auf die Aufgabe, einen innerimperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg gegen die eigene herrschende Klasse umzuwandeln (und nicht etwa die Bevölkerung an der Seite der Regierung Deutschland in einem Krieg etwa gegen die USA verteidigen zu lassen).

Ebenso fehlt die klare Herausarbeitung der eigenständigen Rolle der Partei und ihrer revolutionären Aufgaben.

Die einzelnen Abschnitte

Die Präambel enthält bereits sehr schwammige Formulierungen über die Rolle der Partei: “Die Deutsche Kommunistische Partei ist Teil dieser [gegen die vom Imperialismus ausgehende Bedrohung gerichteten] Bewegungen. Ihre Mitglieder wirken aktiv für deren unmittelbare Anliegen und dafür, die vielfältigen Kräfte zu vereinen, um Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der Widerstand und die Abwehrkämpfe in eine gemeinsame Offensive für die Interessen und Bedürfnisse all jener, die vom Monopolkapitalismus ausgebeutet und unterdrückt werden, münden können.” In diesem Dickicht der Phrasen weiß am Ende keiner, wofür er mit wem eigentlich kämpfen soll. Statt dessen wäre etwa eine Aussage wie die folgende angebracht: “Die DKP strebt nach ihrem kommunistischen Selbstverständnis danach, der bewussteste und fortschrittlichste Teil dieser Bewegungen zu sein. Auf der Grundlage des aktiven Studiums des Marxismus-Leninismus engagieren sich alle Mitglieder, um ihre wissenschaftliche Weltanschauung zu verbreiten und auf dieser Basis die jeweils weitest entwickelten Standpunkte, Argumente und taktischen Schritte hin zum revolutionären Bruch mit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu vertreten.”

Im Abschnitt “I. Imperialismus heute” stehen wie gesagt die beiden Imperialismus­analysen unvermittelt nebeneinander. Der erste Unterabschnitt “Globalisierung” ist von der Hager/Meyer-Linie geprägt: Der Globalisierungsbegriff wird nicht kritisch hinterfragt, sondern mit “transnationalem Kapitalismus” gleichgesetzt. Es werden Entwicklungen als neu verkauft, die im 100 (Lenin) bis 150 Jahre (kommunistisches Manifest) alt sind: “Die Globalisierung ist nicht wie früher nur durch internationalen Handel und Warenmärkte geprägt, sondern auch durch die Herausbildung eines internationalen Finanzmarktes und vor allem durch die Vernetzung von Kapital und Produktion”. Eben diesen Prozess hat Lenin in seiner Imperialismustheorie beschrieben und dabei folgende Begriffe geprägt: “Kapitalexport” in Abgrenzung vom Warenexport und “Finanzkapital” als Ausdruck der Verschmelzung zwischen Industrie- und Bankkapital. Weiter heißt es: “Die Weltwirtschaft wird von wenigen transnationalen bzw. multinationalen Konzernen beherrscht. Das transnationale Kapital dringt in all seinen Formen – beschleunigt durch die Deregulierung der Finanzmärkte, sowie gestützt auf die modernen Transport-, Verkehrs- und Kommunikationstechnologien – in die letzten Winkel der Erde vor und diktiert die Bedingungen von Produktion, Arbeit und Leben.” Was ist daran neu? In diesem Stil geht es weiter, von “konzerninternen Netzwerken” rund um den Globus ist die Rede, die sich überall die besten Standorte zur Rekrutierung von billigen Arbeitskräften und Ressourcenbeschaffung sichern. Dann die Schlussfolgerung: “Daraus folgt für die Arbeiterbewegung, dass sie sich entlang dieser globalen Produktionsnetzwerke organisieren muss, um Gegenmacht innerhalb der Transnationalen Konzerne entwickeln zu können.” Nicht im eigenen Land gegen die eigene Bourgeoisie und damit selbstverständlich konzernübergreifend muss sich die Arbeiterbewegung organisieren, sondern konzernintern und zugleich international (statt zunächst national gemäß Kommunistischem Manifest, das klarstellt, dass der Klassenkampf der Form nach national ist und dem Inhalt nach international).

Es folgt der Unterabschnitt “Neue Qualität der Spekulation”. Hier wird die zunehmende Bedeutung der Spekulation dargestellt, ohne sie wirklich marxistisch zu durchdringen. Dieser Abschnitt könnte auch bei attac stehen. Zunächst fehlt der Hinweis auf die notwendige Einheit von Produktion und Spekulation im Kapitalismus. Da nämlich das konstante Kapital (das fixe und zirkulierende) in gewissen, unterschiedlichen Zeitabständen ersetzt werden muss, wird das dafür notwendige Kapital zinsbringend angespart. Die Banken erhalten hier eine wichtige Funktion der “Spekulation” im Interesse des Industriekapitals. Die Einheit von “produktivem” und “spekulativem” Kapital verstärkt sich mit der Entstehung des Finanzkapitals, da die die Banken direkt über Anteile an den Konzernen verfügen, Konzerne wiederum ihre eigenen Finanz-/Investmentabteilungen haben etc. Es gilt diese Einheit bewusst herauszustellen, um sozialdemokratische “Heuschrecken”-Phantasien ebenso zurückzuweisen wie daran anschlussfähige faschistische Unterscheidungen zwischen “schaffendem” und “raffendem” Kapital! Schließlich gilt es, die Bedeutung der Spekulation marxistisch zu bestimmen: als Folge der permanenten Überproduktion (bzw. chronischen Unterkonsumption), die wiederum Ausdruck des Gesetzes der kapitalistischen Akkumulation und des darin enthaltenen tendenziellen Falls der Profitrate ist. Oder mit verständlicheren Worten: Wo es immer schwieriger wird, aus einer abnehmenden Zahl von Arbeitern als der einzigen Quelle des Wertes immer mehr Mehrwert abzupressen und dabei immer mehr Waren zu produzieren, die am Ende keiner mehr abnimmt, ist es lohnender, auf den geschaffenen und zu schaffenden Mehrwert der Konkurrenz zu wetten und auf diesem Weg (Extra)Profite zu ergattern. Allerdings findet auch hier eine Ausgleichung der Profitrate statt (meist sehr unsanft mittels “Platzen der Spekulationsblase”).

Der nächste Unterabschnitt befasst sich mit den Tendenzen der “Globalisierung und Blockbildung”. Der Abschnitt “Transnationales Kontrollregime” ist dabei ein gutes Beispiel dafür, wie die beiden ideologischen Grundströmungen miteinander verwurstet werden: “Für die transnationale Monopolbourgeoisie wird es zu einem objektiven Erfordernis, ein transnationales Kontrollregime zu schaffen, das in der Lage ist, ihre politische Macht auf regionaler und tendenziell globaler Ebene zu konsolidieren. Für sie ist der Aufbau einer Gewaltmaschinerie zur Sicherung ihrer Herrschaft, zur Bändigung der ungeheuren Krisenpotentiale der kapitalistischen Weltwirtschaft und zur Regulierung zwischenimperialistischer Widersprüche unverzichtbar. Die wirtschaftlichen, politischen, militärischen und ideologischen Elemente des neuen Systems der Weltherrschaft sind eng miteinander verzahnt. In diesem Prozess werden alte und neue supranationale Institutionen zu Hilfe genommen. Die Transnationalen Konzerne eignen sich Funktionen und Züge von Souveränität an, die bisher nur den Nationalstaaten eigen waren. Das Hauptelement dieser transnationalen Macht sind jedoch die Nationalstaaten, die einer tief greifenden Veränderung ihrer Rolle unterworfen werden. Der staatsmonopolistische Kapitalismus wandelt sich. Die direkte Unternehmertätigkeit des Staates wird immer mehr zurück genommen. In anderen Bereichen wie in der Forschungs-, Entwicklungs- und Steuerpolitik wird er noch mehr zum direkten Dienstleister für das Kapital. Immer mehr Instrumente des staatsmonopolistischen Kapitalismus werden auf die supranationale Ebene übertragen. Es entstehen Elemente quasistaatsmonopolistischer Regulierung im globalen Rahmen.” Hier kann man nun wirklich alles hinein- und herauslesen, was man möchte. Das Verhältnis Monopol – Nationalstaat hingegen bleibt unbegriffen, ebenso wie die Funktion supranationaler Zusammenschlüsse. Ums kurz zu machen: Vor mehr als 100 Jahren haben sich eine Handvoll imperialistischer Staaten im Zuge des Übergangs vom Konkurrenzkapitalismus zum Monopolkapitalismus herausgebildet, und die bestehen bis heute noch mit Namen + Anschrift: USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien. Deren Kräfteverhältnis untereinander hat immer ‘mal wieder gewechselt und unter anderem zu zwei Weltkriegen geführt. Ihr Konkurrenzverhältnis hat sich nicht geändert ungeachtet der – wechselnden – Bündnisse, die sie eingehen. Staatlich zusammenwachsen werden sie daher nie, und wenn sie sich zu einem Gebilde wie der EU zusammenschließen, dann nur um den USA zu trotzen, wobei zugleich die Kämpfe, wer in dieser EU das Sagen hat, selbstverständlich weitergehen. Jedes Land kämpft um seine Monopole (“nationale” Champions) und sogar das derzeit engste Bündnis Frankreich-Deutschland hat hier heftige Auseinandersetzungen zu überstehen (z.B. Übernahmeversuche von Alstom seitens Siemens mit Regierungshilfe, Abwehr von Thales beim Einstieg in EADS oder im jüngsten Fall die Kämpfe um die Führung von Airbus und EADS). Selbstverständlich versuchen die “transnationalen” Monopole, ihre Ansprüche überall durchzusetzen und den Staaten aufzuoktroyieren, aber das machte schon immer die widersprüchliche Einheit von Nationalstaaten und Monopolen aus. Viel wichtiger ist die Tatsache, dass jeder Nationalstaat um die Abschirmung seines Marktes gegen die Konkurrenz, zugleich aber um die Öffnung der Konkurrenzmärkte für “seine” Konzerne kämpft – und auch das ist nicht neu!

Leider gelingst auch in den folgenden Abschnitten die Bestimmung dieser notwendigen Einheit nicht. ‘Mal erscheint der Nationalstaat als bedeutsamer Akteur, dann wieder der “transnationale Konzern”. es bleibt bei der Aneinanderreihung von Statements, die einfach nicht zueinander passen. Die an Lenin orientierten Gedanken bleiben ebenfalls schwach und unverbindlich. So heißt es im Abschnitt “Kooperation, Konkurrenz und Machtkampf”:

Die ungleiche Entwicklung der imperialistischen Staaten und Blöcke ist sowohl eine Folge als auch wieder eine Ursache der ungleichen Entwicklung der transnationalen Kapitalgruppen. Nachteile aus der Ungleichheit im Konkurrenzkampf auf dem Weltmarkt werden auch durch den Einsatz von staatlichen Machtmitteln ausgeglichen. Es gibt einen Protektionismus der Metropolmächte, es gibt die politisch-militärische Einflussnahme zugunsten der Konzerne aus dem eigenen Bereich, es gibt einseitige Förderungsmassnahmen und vieles andere mehr.” Ja, mein Gott, das gibt es alles. Aber wie um aller Welt hängt das alles miteinander zusammen? Statt dessen macht man wieder eine Kehrtwende Richtung Hager/Meyer: “Nur bedeutet dies keineswegs die Zugehörigkeit zu einer Nation oder die Verbundenheit mit einer Heimat. Es sind die günstigsten Verwertungsbedingungen und Vorteile beim Kampf um die Eroberung und Beherrschung von Märkten, um die es geht.” Ach so!

Im nächsten Unterabschnitt “Krieg und neuer Kolonialismus” wird so richtig danebengelangt: Nachdem die Widersprüche zwischen den imperialistischen Mächten benannt werden, geht es nun gegen die USA, ihren “Krieg gegen den Terror”, ihren “absoluten Weltmachtanspruch” und um (die von ihr dominierten) Strategien von NATO und G7. Nimmt man Lenin ernst, so kann man diese Absätze nicht anders bezeichnen als sozialchauvinistisch. Lenin hat in verschiedenen Zusammenhängen[4] deutlich gemacht, dass die Kritik am imperialistischen Rivalen chauvinistisch ist, da sie vom Kampf gegen die eigene Bourgeoisie ablenkt bzw. ins gleiche Horn bläst wie diese. Zunächst ist festzuhalten, dass im Programm einer Deutschen Kommunistischen Partei kein anderer Imperialismus in nationaler Form zu kritisieren ist als der deutsche (sowie die französischen Kommunisten ihren französischen Imperialismus zu kritisieren haben; man denke nur, wie befremdlich es wäre, wenn sich die französischen Genossen in ihrem Programm über L’Albion Perfide – das gemeine England – auslassen würden …). Des weiteren muss man den Imperialismus als System kritisieren, in dem jedes imperialistische Land nach Weltherrschaft und territoriale/hegemoniale Neuaufteilung strebt/streben muss und daher kriegerische Auseinandersetzungen zu provozieren vermag. In diesem Zusammenhang sollte man die wichtigsten Beziehungen zwischen den imperialistischen Staaten vom Standort des eigenen imperialistischen Landes benennen – z.B. die Beziehung Deutschland – Frankreich und Deutschland – USA als Optionen zweier unterschiedlicher Kapitalfraktionen (der transatlantischen, politisch repräsentiert maßgeblich in der CDU/CSU, ideologisch in der FAZ, und der franko-germanischen bzw. U.S.-kritischen, politisch repräsentiert maßgeblich in der SPD und bei den Grünen, ideologisch in der FTD/Financial Times Deutschland).

Es wird deutlich, dass dieser Abschnitt dadurch einen völlig anderen Inhalt bekäme …

Der folgende Unterabschnitt “Das Klassenprojekt des Neoliberalismus” stammt aus dem Hause Hager/Meyer und gibt einen weiteren Einblick, wie der ML zum LM verkehrt wird. Kernsatz: “Der Neoliberalismus integriert die gemeinsamen Interessen des Kapitals an der Entwertung der sozialen Regulation des Staates …” Die Aussage ist komplett falsch. Dem Kapital geht es nicht um die “Entwertung der sozialen Regulation des Staates” – im Gegenteil: Das Kapital versucht, in alle Versorgungsfunktionen des Staates einzudringen und diese in ein Kapitalverhältnis umzuwandeln (d.h. der Profitlogik zu unterwerfen). Genau dafür benötigt es die “Regulierung” des Staates: Dieser muss die gesetzliche Absicherung der Verwertungsbedingungen (Privatisierung) schaffen und vorteilhafte Steuergesetze obendrauf. Was ist das anderes als Regulierung im Kapitalinteresse? Ebenfalls voll falsch: “Beim Konzept des Neoliberalismus handelt es sich um ein gesellschaftliches Gesamtkonzept – um ein neues Modell der Akkumulation, der ökonomischen und politischen Macht, der Ideologie und Kultur.” Erläutert wird aber dann anschließend nur die Kultur, den “Rest” muss man so hinnehmen.

Der letzte Unterabschnitt “Die Europäische Union” ist geprägt von der Gerns/Holz-Linie und enthält klare Aussagen über die Rolle der EU, ihr Verhältnis zur USA und die Konkurrenz zwischen den einzelnen EU-Ländern. Allerdings sind die einzelnen Absätze unverbunden nebeneinander, so dass auch hier der Gesamtzusammenhang von innerimperialistischer Konkurrenz, wechselnden Bündnissen, Sozialabbau und Kriegsvorbereitung wenig sichtbar wird. Auch Sätze wie “Die Europäische Union strebt nach einer Veränderung des Kräfteverhältnisses, ohne dass sie die Überlegenheit der USA in absehbarer Zeit in Frage stellen könnte” gehört hier nicht her. Denn Fakt ist, dass sie sie in Frage stellt, täglich und aktiv – ungeachtet, mit welchem Erfolg!

Der zweite Abschnitt “II. Der deutsche Imperialismus” ist mit der Beste im ganzen Programmentwurf, schon deshalb, weil es ihn gibt. Allerdings sind auch hier schiefe Formulierungen enthalten: “Einverständnis besteht in der herrschenden Klasse über die Unverzichtbarkeit des Bündnisses mit dem US-Imperialismus. Dies gerät jedoch in Kollision mit der Tatsache, dass sich Washington über wichtige bundesdeutsche und westeuropäische Interessen hinwegsetzt.” Zum ersten Satz: Über die Bedeutung dieses Bündnisses herrscht durchaus Uneinigkeit! Zum zweiten Satz: Das ist die Perspektive der herrschenden Klasse! Andersrum wird ein Schuh draus: Dieses Einverständnis (sofern es existiert) besteht deshalb, weil es (noch) nicht gelingt, dass sich Berlin über “wichtige” U.S.-Interessen hinwegsetzt, d.h. in der Lage ist, an den USA vorbei oder gegen sie zu operieren. Und ein weiterer falscher Satz: “Soziale Zugeständnisse widersprechen der Logik des heutigen Kapitalismus.” Das ist keine Frage des HEUTIGEN Kapitalismus, sondern des Kräfteverhältnisses (ansonsten schließt die Kapitallogik GRUNDSÄTZLICH Zugeständnisse aus)!

Abschnitt III: “Der Sozialismus – die historische Alternative zum Kapitalismus” beginnt mit dem Unterabschnitt “Das sozialistische Ziel”. Hier bleibt, wie eingangs erwähnt, die Rolle der Partei unterbelichtet. Die DKP “geht davon aus”, “hat die Aufgabe, im Wettstreit mit anderen … Vertrauen zu erringen”, “bemüht sich” etc. Schließlich gibt es da auch noch andere Kräfte und “Zugänge” zum Sozialismus. Von Klassen, Klassenbündnissen und –widersprüchen ist wenig die Rede bzw. letztere sind auf die zwischen “Ausbeutern” und “Ausgebeuteten” reduziert. Der Schlusssatz dieses Abschnitts ist besonders kryptisch: “Möglicherweise werden neben den bekannten auch neue Formen des gesellschaftlichen Eigentums entstehen.” Was soll das denn sein?

Der nächste Abschnitt “Die Erfahrungen des realen Sozialismus” enthält wie erwähnt nur eine phänomenologische Aufzählung. Es gibt keinen Begriff vom politischen oder ökonomischen Revisionismus. Dafür jede Menge Bezeichnungen (“Entfremdung”, “Erstarrung” etc.), die nichts erklären.[5]

Die nächsten Abschnitte enthalten die wichtigsten Aufgaben der Partei und die dafür nötigen Bündnispartner. Es ist klar, dass sich auf der Basis einer vollkommen widersprüchlichen Analyse des Imperialismus keine klare Handlungsstrategie ableiten lässt. Daher enthalten diese Abschnitte wieder eine ganze Menge aneinander gereihter Aussagen und Forderungen, von denen manche mehr, andere weniger sinnvoll und manche eben ganz falsch sind. Sinnvoll ist sicherlich, die Bedeutung der Arbeiterklasse herauszustellen sowie die DKP als “Partei der Arbeiterklasse”. Leider ist in diesem Zusammenhang wenig gesagt, wie die Partei dazu beitragen kann und muss, die Einheit der Klasse im politischen Kampf herzustellen, wie sie dazu beitragen kann und muss, die Kampfkraft der Gewerkschaften wieder herzustellen gegen die Macht der Arbeiteraristokratie etc.

Ganz falsch hingegen sind zum Beispiel folgende Aussagen: “Heute geht es zunächst … um die Bewahrung der natürlichen Umwelt gegen ihre Bedrohung durch das ungezügelte Profitstreben …” Nein, ZUNÄCHST geht es um die Existenzsicherung der Arbeiterklasse und die Wiederherstellung ihrer Kampfkraft und –bereitschaft gegen das Kapital, wobei das “Profitstreben” eben nicht zu “zügeln” ist wie bei den Sozialdemokraten. “…, um die Verteidigung des Friedens gegen die auf die absolute Weltherrschaft – in einer von ihm dominierten “neuen Weltordnung” – gerichtete Kriegspolitik des US-Imperialismus und gegen die Großmachtpolitik des deutschen und EU-Imperialismus“. Letztere ist unsere Baustelle, punktum. Gegen den “absoluten Weltherrschaftsanspruch der USA” kämpfen bereits die anderen Imperialisten, sie brauchen uns dafür nicht. Und für uns besteht kein Grund, zur Klassenkollaboration überzugehen!

Es folgen die üblichen Forderungswunschlisten, ohne Prioritäten zu setzen oder den nächsten strategischen Schritt zu benennen. Und schließlich geht es wiederum um Kämpfe, die “den Weg für den weiteren Kampf um den Sozialismus freimachen” bzw. “ein solches Übergewicht der zum Sozialismus strebenden Kräfte” zu erreichen, “das es ermöglicht, die Reaktion an der Anwendung blutiger Gewalt zu hindern und den für das arbeitende Volk günstigsten Weg zum Sozialismus durchzusetzen.” Also bitte, bitte eine unblutige Revolution (wer hätte das nicht gerne?). Und außerdem mit der Mehrheit des Volkes (wäre auch schön, nicht?). Schließlich sind beim Aufbau des Sozialismus Fehler zu vermeiden! “Wir sind uns dabei bewusst, dass auf diesem Weg [zur Oktoberrevolution] Widersprüche auftraten, Deformationen entstanden und Unrecht geschah. Dies gilt es in Zukunft zu verhindern.”

Zusammenfassung

Dem Entwurf gelingt es auch in seinen besten und klarsten Abschnitten nicht, in den einzelnen ideologischen Fragen die fortschrittlichsten Positionen einzunehmen:

  • die Hauptfeindfrage, d.h. eindeutiger Kampf gegen den deutschen Imperialismus;
  • die Staatsfrage, d.h. der Klassenkampf gegen die (deutsche) Bourgeoisie auf nationalem Boden (als Voraussetzung des international koordinierten Kampfes);
  • die Parteienfrage, d.h. Avantgardefunktion der Partei;
  • “Minimalprogramm”: die wichtigsten Forderungen und Kämpfe zur Mobilisierung der Arbeiterklasse und zur Herstellung/Wahrung der Einheit der Klasse;
  • “Maximalprogramm”: Avantgardefunktion der Partei und Bündnispartner für die Revolution und beim Aufbau des Sozialismus
  • Einschätzung des “realen” Sozialismus, d.h. Zusammenhang zwischen politischem und ökonomischem Revisionismus als Voraussetzung der Niederlage des Sozialismus

Solange dies nicht möglich ist, muss die Partei weiter diskutieren und vor allem sich theoretisch bilden, wenn sie ernst genommen werden bzw. ihrer Rolle und ihrem Charakter als “kommunistischer” gerecht werden will. Es hat keinen Sinn, ein Programm vorzulegen bzw. zu “verbessern”, das derart schwach und widersprüchlich ist. Damit tut man niemandem einen Gefallen, am wenigsten sich selbst.

Andrea Schön, Essen

[4]

Um nur zu nennen: “Rohentwurf der Thesen für einen offenen Brief an die Internationale Sozialistische Kommission und alle sozialistischen Parteien”, LW Bd. 23, S. 210 ff; “Über den deutschen und nichtdeutschen Chauvinismus”, LW Bd. 22, S. 186-188; “Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution”, LW Bd. 28, S. 59-66

[5]