Die Kategorie der abstrakten Arbeit darf nicht preisgegeben werden??

Franz Siklosi:
Die Kategorie der abstrakten Arbeit darf nicht preisgegeben werden??
— Gedanken über den Artikel von Steigerwald im RotFuchs August 2007

Seit geraumer Zeit wird im Rotfuchs eine Debatte über die ökonomischen Probleme in den realsozialistischen Ländern geführt. Es geht um die Frage, inwiefern diese zum Zusammenbruch geführt haben. Nach dem Erscheinen mehrerer Artikel lässt sich eine allgemeine Tendenz ableiten, die darin besteht, dass ein Zuviel an Sozialismus das Aus für den Realsozialismus bedeutete. Insbesondere festgemacht wird dies an den Maßnahmen während der Industrialisierung der Sowjetunion, genau an der Ablösung der NEP durch die Kollektivierung. Nun hat in der Augustausgabe des Rotfuchses der Kollege Steigerwald einen Artikel veröffentlicht, der sich für den Erhalt der abstrakten Arbeit im Kommunismus ausspricht.

Wie das? Er beginnt mit Aristoteles. Dieser hat als erster erkannt, dass alle Dinge, die getauscht werden, zwei Eigenschaften besitzen. Marx hat dann beide Eigenschaften bestimmt, die durch die konkrete und abstrakte Arbeit bestimmt werden. „Ohne arbeitsteilige Produktion und ohne das Eigentumsverhältnis, in dem sich die Tauschenden befinden, wäre Tausch weder nötig noch möglich.“ „Was Dinge unterschiedlich macht, wird durch konkrete Arbeit erzeugt, das, was sie vergleichbar macht, durch abstrakte Arbeit. Sie ist die Wertsubstanz.“ (Robert Steigerwald, RotFuchs August 2007, S. 10)

Nach dieser kurzer Einführung in die Welt der politischen Ökonomie geht es bei Steigerwald mit Robinson weiter. Da dieser bekanntlich alleine auf einer Insel gestrandet war, war er alleiniger Produzent und Eigentümer aller Dinge. Das heißt, er musste nicht tauschen. ,,Diesen unter solchen Verhältnissen eigentlich sinnlosen Begriff (der konkreten Arbeit) benutze ich hier nur, um auf das Problem des Messens, des Bewertens kommen zu können. Denn dieser Robinson musste einerseits nicht messen und bewerten, sondern nehmen und nutzen, was er finden konnte. Aber sicher stellte er Überlegungen an, wie viel Zeit nötig sei bei der Verrichtung einer Arbeit, also in diesem Sinn zu planen hatte er schon.“ Aber mit dem Wert im Sinne der politischen Ökonomie hatte das nichts zu tun.“ Es ging um Dinge des täglichen Gebrauchs (analog also um Gebrauchswerte), und die fallen aus dem Bereich der politischen Ökonomie heraus.“ (Robert Steigerwald, RotFuchs August 2007, S. 10)

In der politischen Ökonomie von Marx und Engels werden die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus untersucht. Da spielt logischerweise die abstrakte Arbeit aus bekannten Gründen die entscheidende Rolle. Aber dies soll ja im Kommunismus überwunden sein, und damit wird sich die politische Ökonomie des Kommunismus sehr wohl mit Gebrauchswerten auseinandersetzen.

Weiter geht es bei Steigerwald mit Weitling. Seine sozialistischen Inseln in Nordamerika scheiterten, weil die kapitalistische Produktivität besser war und höhere Löhne bezahlten. Daraus wird eine Analogie zum Untergang der realsozialistischen Staaten gezogen.

Dann geht es zum Sozialismus/Kommunismus. ,,Auch unter sozialistischen und kommunistischen Bedingungen wird die Produktion arbeitsteilig sein müssen“ ,,Die Eigentumsverhältnisse werden sich ändern.“ Gäbe es nur einen einzigen Eigentümer (also gäbe es gar keinen Eigentümer, siehe das Beispiel Robinson!) der Arbeitsprodukte, wäre Tausch weder möglich noch nötig. Man vergegenwärtige sich aber die Probleme, die sich aus einem solchen Zustand ergäben.“ ,,Er, dieser Zustand, müsste weltweit gelten, um sich – wie oben an Beispielen dargetan – ungestört entwickeln zu können. Er müsste von geographisch- klimatischen, von historisch-kulturellen usw. Verhältnissen absehen. Er würde dennoch nicht umhin kommen, die Arbeitsergebnisse zu messen, zu bewerten, wenn nicht riskiert werden soll, Arbeitskräfte und Natur ohne Rücksicht auf Verluste zu nutzen.“ (Robert Steigerwald, RotFuchs August 2007, S. 10) Und nun kommt Kollege Steigerwald zum eigentlichen Grund seines Artikels: ,,Bei der unwahrscheinlichen Annahme eines nur einzigen Eigentumsverhältnisses (genau genommen wäre dies ein runder Kreis) wird also auch unter sozialistischen und kommunistischen Bedingungen nicht nur arbeitsteilig produziert, sondern es muss auch getauscht und folglich nach objektiven Bewertungen gesucht werden. Unterstellt man Stalins Thesen vom dann nicht mehr bestehenden Waren-, sondern Produktentausch, muss gemessen werden, muss es letztlich zum Äquivalententausch kommen.“ (Robert Steigerwald, RotFuchs August 2007, S. 10)

Unabhängig davon, dass der Tausch von Steigerwald hier nur unter einem rein positivistischen, pragmatischen Gesichtspunkt gesehen wird und damit der qualitative Unterschied einer sozialistischen und vor allem kommunistischen Gesellschaft in Bezug auf die neuen Produktions- und Eigentumsverhältnisse nicht entscheidend gesehen werden, wird auch der Unterschied des Tauschens in der kapitalistischen Gesellschaft im Vergleich zum Tauschen in einer sozialistischen Gesellschaft überhaupt nicht erwähnt. Es geht letztendlich gegen die Verstaatlichungen und Kollektivierung während der Industrialisierung der Sowjetunion. Wenn die Arbeiterklasse die politökonomische Macht ergreift, kann diese Macht im Sozialismus nur über den Staat erhalten werden. So ist die Verstaatlichung und Kollektivierung der zentrale Punkt, womit die Arbeiterklasse Eigentümer der Wirtschaft wird, die Ausbeuter politisch und ökonomisch isoliert und vor allem die Wiedererstehung dieser Klassen verhindert. Es wir im Kommunismus nur eine Eigentumsform herrschen, denn mit dem Absterben des Staates werden alle Menschen Eigentümer von Allem, und wenn jedem alles gehört, entfällt auch der Tausch im heutig gebrauchtem Sinne.

Doch weiter! ,, Was könnte unter diesen Bedingungen gemessen werden? Der Versuch, bei den Produkten anzusetzen, soweit sie konkreter Arbeit entstammen, führt ins Absurde: In der Aufgabe, die Gebrauchswerte zu messen, die aber kein eigentlicher Gegenstand der politischen Ökonomie sind. Man stelle sich das vor: völlig unterschiedliche Produkte, völlig unterschiedliche Verhältnisse (siehe oben)., Es gibt m. E. nur eine Möglichkeit: Die Kategorie der abstrakten Arbeit kann nicht preisgegeben werden.“ (…) ,,Das bedeutet aber doch, dass allem Arbeiten mit Zitaten zum Trotz, mit denen das eine oder sein Gegenteil ,,bewiesen“ werden soll, kein Weg an den Problemen des Wertens, des Bewertens, des Messens der zur Produktion nötigen Bedingungen vorbeigeht. Ob man dann von Wert und Wertgesetz spricht oder statt dessen, um sich von der kapitalistischen Erscheinungsweise derer abzusetzen, irgendwelche andere Begriffe einführt, am realen Sachverstand wird dadurch nichts geändert.“ (Robert Steigerwald, RotFuchs August 2007, S. 10)

Die Auseinandersetzungen um die ökonomischen Begrifflichkeiten im Sozialismus/ Kommunismus sind geradezu von entscheidender Bedeutung. Wie soll sonst der qualitative Unterschied einer sozialistisch/kommunistischen Ökonomie gegenüber der kapitalistischen erfasst werden? Aber wenn in bestimmten Kreisen schon bürgerliche Kampfbegriffe wie Globalisierung aufgenommen werden, wird der Warentausch schnell eine allgemeingültige, anthropologische Kategorie.

Kollege Steigerwald begeht m.E. den Fehler, den Tausch und die abstrakte Arbeit rein pragmatisch-positivistisch zu bewerten. Er blendet die gesellschaftlichen Aspekte gesellschaftlicher Veränderungen völlig aus. Dadurch ist keine Unterscheidung der politischen Ökonomie des Kapitalismus mit der des Sozialismus/Kommunismus möglich. Vielmehr stellt er sich gegen den Sozialismus, denn ohne Verstaatlichung und damit verbundene Kollektivierung ist jeder sozialistischer Versuch zum Untergang verurteilt.

 Warum wird im Kapitalismus getauscht?

Weil das Privateigentum an den Produktionsmitteln Warentausch notwendig macht.
Weil eine Trennung zwischen den Eigentümern der Produktionsmittel und den Produzenten existiert.
Weil die Kapitalisten nur mittels des Warentausches den Mehrwert realisieren können.

 Warum gibt es im Kapitalismus abstrakte Arbeit?

Weil der Warentausch Geld und Kapital hervorbringt und Geld und Kapital der kristallisierte Ausdruck der abstrakten Arbeit sind.
Weil nur über die abstrakte Arbeit Geld zu mehr Geld wird.
Wie jeder erkennen kann, hängen Tausch, abstrakte Arbeit und Kapital zusammen. Will man die abstrakte Arbeit im Sozialismus/Kommunismus weiterhin behalten so hat man weiterhin Kapitalismus, egal welches Schild man präsentiert.

 Warum wird im Sozialismus getauscht?

Weil am Anfang noch ein privater Sektor vorhanden sein wird.
Es existieren am Anfang noch verschiedene Eigentumsformen.

 Warum gibt es im Sozialismus abstrakte Arbeit?

Weil ein Produktenaustausch zwischen Produzenten mit unterschiedlichen Eigentumsformen nur ein Warenaustausch sein kann.
Weil am Anfang die Vergesellschaftung der Produktionsmittel in manchen Sektoren nur eine formale ist und dadurch noch Reste des Privateigentums bestehen können.

 Warum wird im Kommunismus getauscht?

Im Kommunismus wird nicht getauscht.

 Warum gibt es im Kommunismus abstrakte Arbeit?

Im Kommunismus gibt es keine abstrakte Arbeit.

Wie zu erkennen ist, besteht im Wesen des Tausches zwischen Kapitalismus, Sozialismus und Kommunismus gravierende Unterschiede, so das mit der Änderung des Wesens auch neue Begriffe entstehen müssen, die diese Neuartigkeiten erfassen. Abstrakte Arbeit ist nur innerhalb der Warenproduktion möglich. Mit dem Verschwinden der Warenproduktion werden nur noch Produkte hergestellt. Diese Produkte können nur an konkreter Arbeit gemessen werden, nämlich an der gesellschaftlichen Nützlichkeit. Dies gehört genau definiert, aber dies geht nicht durch abstrakte Arbeit. Gleichzeit wird der gesellschaftliche Aufwand für die Produktion berücksichtigt, aber das geht erst recht nicht durch abstrakte Arbeit. Arbeitsteilige Produktion erfordert keinen Tausch nach abstrakter Arbeit, also Geld gegen Ware. Die Ursache für die Notwendigkeit des Warentausches ist das Privateigentum an den Produktionsmitteln. Wenn es nur einen kollektiven Eigentümer gibt, sind andere Verteilungsformen notwendig. Und spätestens im Kommunismus kann es keine unterschiedlichen Eigentumsformen mehr geben.

Da aber der Kollege Steigerwald auch im Kommunismus verschiedene Eigentumsformen für möglich hält, bliebe die abstrakte Arbeit erhalten und damit der Kapitalismus auch.

Franz Siklosi, Heppenheim