Dr. Gerhard Niebling: Vergebliche Bemühungen

Dr. Gerhard Niebling: Vergebliche Bemühungen

Was ich hier darstellen möchte, sind persönliche Erlebnisse, sogar sehr bittere im Zusammenhang mit der Niederlage der DDR, die sich 1989 – 1990 zugetragen haben.

Von 1952 bis 1990 war ich Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Die längste Zeit arbeitete ich in der Hauptabteilung IX, dem offiziellen staatlichen Untersuchungsorgan gemäss § 81 der stopp. 1985 wurde ich Leiter einer zentralen Diensteinheit im MfS, die zuständig war für die Bekämpfung des staatsfeindlichern Menschenhandels und der Zurückdrängung der Erscheinungen des Verlassens der DDR durch ihre Bürger.

Nach dem Rücktritt unseres langjährigen Ministers Genossen Erich Mielke im November 1989 wurde bekanntlich Genosse Wolfgang Schwanitz Minister und Leiter des aus dem MfS hervorgegangenen Amtes für Narionale Sicherheit (AfNS). Ich wurde einer seiner Stellvertreter, zuständig für Koordinierung.

Die in schneller Folge von der Regierung Hans Modrow getroffenen Entscheidungen zur Auflösung des MfS, des AfNS und zur Bildung eines Verfassungsschutzes (und eines Nachrichtendienstes als Auslandsaufklärung), die Stornierung dieser Beschlüsse und schliesslich die Auflösung aller Sicherheitsorgane und ihrer Strukturen durch Regierungsentscheidung, stellten entscheidende Zäsuren dar, die darauf gerichtet waren, den sozialistischen Staat zu beseitigen.

Im Prozess der Auflösung wurde ich, wiederum gemeinsam mit anderen Generälen vom Staatlichen Komitee zur Auflösung des MfS/AfNS dessen Vorsitzender, ein Generaloberst der NVA war in eine Beratergruppe berufen und erhielt entsprechende Vollmachten. Niemand hat mich oder die anderen Genossen gezwungen, eine solche Berateraufgabe zu übernehmen. Wir taten das, weil wir alle wollten, dass das Unvermeidliche mit Anstand und Würde erfolgt und hatten die Illusion, noch mehr Unheil, das dann seinen Lauf nahm, zu verhindern.

Es war und ist wohl nur sehr schwer nachvollziehbar, dass wir uns zu einer solchen Tätigkeit bereiterklärten, die „den Ast absägen” sollte, auf dem wir selbst sassen. Deshalb gab es auch in Kreisen der Mitarbeiter damals schlimme Beschimpfungen gegen uns. Verräter war eines der schlimmsten und am häufigsten gebrauchte Wort. Es kam sehr oft vor, dass wir zu morgendlichen Besprechungen im Kreise der Beratergruppe unter Leitung von General Heinz Engelhardt allergrösste Mühe hatten, uns für die deprimierenden Aufgaben zu motivieren. Beinahe regelmässig äusserte einer der Generäle, dass er nicht mehr weiterarbeiten wolle.

In solchen Situationen haben wir dann immer – so sehe ich das mit dem heutigen Abstand – das Wort der Musketiere auf uns angewandt: Einer für Alle, Alle für Einen ! Und wir blieben, bis uns die Regierung auf Drängen einer Bürgerrechtsgruppe davonjagte.

Wir wollen auch heute nicht hochstapeln. Aber vielleicht haben wir auch dazu beigetragen, manche hektische und emotional getroffene Entscheidung in ruhige Bahnen zu lenken, und einiges für die Mitarbeiter,und mit uns verbundene Menschen Negative abzuwenden. Immerhin geisterten schon damals die euphorischen Vorstellungen herum, das MfS zur Verbrecherorganisation zu erklären, den MfS-Dienst nicht als Wehrdienst zu akzeptieren, MfS-Mitarbeiter vom Fahneneid zu entbinden, die Renten gänzlich zu streichen oder noch rigoroser zu kürzen als es dann geschah. Serienweise wurden Strafverfahren gegen Mitarbeiter, besonders gegen Leiter verschiedener Ebenen eröffnet und bei jeder Gelegenheit den Diensteinheiten und einzelnen Mitarbeiter-Gruppen schlimmste Verbrechen unterstellt. Vielleicht haben auch wir einen bescheidenen Beitrag dazu geleistet, „ungarische Verhältnisse von 1956″ nicht zuzulassen um die Laternenpfähle für ihren ursprünglichen Zweck zu erhalten.

Wir waren und sind also keine Verräter und unser Engagement für Mitarbeiter wurde zum Anlass genommen, uns endgültig auf die Strasse zu setzen. Auch dazu wurde der Generaloberst und die Regierung der DDR von „Bürgerrechtlern” gezwungen. Damals plagte uns ständig die Sorge um das grosse Archiv des MfS, in dem Dokumente aus 40jähriger Geschichte der DDR und der Tätigkeit ihres Sicherheitsorgans verwahrt waren. Das war natürlich nicht die Furcht, dass irgendwelche „Verbrechen” des MfS entdeckt und enthüllt werden könnten, sondern, dass die Personen, die das MfS als IM oder als Kontaktpartner geholfen hatten zu Schaden kommen könnten, wenn die bis dahin währende Geheimhaltung gebrochen würde. Leider konnten wir diese Geheimnisse nicht bewahren und es ist in der über zehnjährigen Verfolgungspraxis durch die Behörden der BRD ja bittere Wahrheit geworden, dass gerade die IM und jene Menschen, die das MfS unterstützten, schweren Repressalien ausgesetzt waren und noch immer sind.

Wenn wir uns für etwas zu entschuldigen haben – so meine ich und meine Freunde – ist es die Entschuldigung der Mitarbeiter des MfS bei diesen ehemaligen Mitarbeitern, die nicht „gespitzelt” haben, die als Bürger der DDR gewissenhaft Verfassungspflichten erfüllt haben. Es sind angesehene, ehrenhafte Bürger, die hohe Anerkennung, auch nach mehr als 10 Jahren verdient haben. Das ist ein positives Erbe der DDR, nicht jener Sumpf, den die Sieger heute daraus machen Die Hauptursache dafür ist, dass wir als Sicherheitsorgan keine Rückzugskonzeption hatten, und die Masse der Materialien in der uns im Rahmen der Auflösung verbliebenen Zeit nicht beseitigt werden konnte. Letzteres vor allem auch deshalb, weil sowohl regierungsseitig als auch durch die Staatsanwaltschaft und die Bürgerrechtsgruppen ein solches Regime entwickelt worden war, das eine Vernichtung der Materialien unmöglich wurde.

Dennoch möchte ich den Versuch machen zu erklären, welche Anstrengungen die Beratergruppe unternahm, doch noch entsprechend wirksam zu werden.

Von Anbeginn gab es eine strenge Abschirmung und Absicherung des gesamten Archivs, auch noch nach der Besetzung des MfS nach dem 15. Januar 1990. Diese Sicherung war schon mit Beginn der Ereignisse 1989 noch verstärkt worden. Besondere Sicherheitskontrollen, Betretungsverbote, strengste Ordnung bei der Behandlung von Archivmaterialien, Absperrungen usw. wurden durchgeführt. Einer besonderen Geheimhaltung unterlag das ausgeklügelte Such- und Findesystem nach Personen und Sachverhalten. Das wurde sehr lange strengstens gehütet, bis durch unverantwortlichen Leichtsinn und verräterischer Verhaltensweise einer Person, dieses Geheimnis gebrochen wurde, und Aussenstehende durch eine plumpe Überrumpelung von Menschen von der Funktionsweise des Systems Kenntnis erhielten.

Das war der Beginn eines fast ungehinderten Zugriffs auf bestimmte Daten, es wurde jedoch zum damaligen Zeitpunkt noch nicht ausgewertet, weil noch immer Sicherungsmassnahmen griffen. Individuelle Vernichtungsaktionen wurden, wenn sie entdeckt worden waren, durch Militärstaatsanwälte gestoppt und verhindert, mit der Folge der Einleitung von Strafverfahren.

Es gab, aus dem Kreis der Beratergruppe, vor allen Dingen aber bereits vorher durch AfNS-Mitarbeiter mehrere Versuche, Archivmaterial in größeren Mengen zu verbrennen. Zu diesem Zweck gab es mit einigen volkseigenen Betrieben Gespräche, bei denen geprüft wurde, ob Hochöfen dafür geeignet waren. Aus unterschiedlichen Gründen scheiterten alle diese Pläne bereits in den Gesprächen. Auch die Einlagerung in Bergwerkstollen mit anschliessender Sprengung der Zugänge wurde geprüft. – Vergeblich-.

In den letzten Jahren hielten sich Gerüchte, wonach ich persönlich das Angebot der damaligen sowjetischen Freunde – manchmal hiess es auch der Volkspolizei – mit einer grossen Anzahl von Lastkraftwagen das Archivgut zur Vernichtung abzutransportieren, abgelehnt haben soll. Selbstverständlich hätte ich oder meine Mitstreiter jedes solcher Angebote mit grosser Genugtuung angenommen, auch wenn es nur ein Lkw gewesen wäre. Die Gerüchteküche „wusste” sogar, dass sowjetische Soldaten mit Flammenwerfern bereitgestanden hätten, das Papier, die Akten zu verbrennen. Nur wir erfuhren damals davon nichts. Im Gegenteil. Gewissermassen ein beinahe letzter Strohhalm schienen unsere besten Verbündeten des KGB zu sein, die beim MfS akkredidierte Vertretung, die bekanntlich in Berlin-Karlshorst ihre Residenz hatten.

Hans Modrow hatte als Regierungschef befohlen, dass die Generäle ihre Kontaktpartner im KGB in Berlin Karlshorst aufzusuchen hätten, und Massnahmen des Schutzes und der Sicherung der Archivbestände zu beraten. Alle Angehörigen der Beratergruppe taten das fast zur gleichen Zeit. Wir nutzten eine abgestimmte einheitliche Argumentation. Sie beinhaltete im Wesentlichen, dass die sowjetischen Organe entsprechend des vierseitigen Abkommens über Berlin berechtigt seien, das Archiv des MfS zu schützen und sogar sich dessen zu bemächtigen. Das deshalb, weil das Archiv nach unserer Kenntnis auch Daten enthielt, die ausschliesslich sowjetische Interessen betrafen. Das waren Personalien und Sachverhalte auch von Personen, die mit dem KGB zusammenarbeiteten oder zusammengearbeitet hatten. Deshalb baten wir dringend um Hilfe, die zunächst als ersten Schritt einfach nur darin hätte bestehen können, das Gebäude des Archivs demonstrativ zu schützen. Später hätte über die Art des Abtransport und der Vernichtung befunden werden müssen.

Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich einem sowjetischen Gesprächspartner deutlich machte, dass im Falle der Gefahr für das in Westberlin gelegene „Doc-Center” sicher die US-Armee mit ein paar Militärpolizisten (MP) das Gebäude demonstrativ geschützt, und so jeden Zugang verhindert hätte. Mein Gesprächspartner hörte sich alles an und verkündete mir, man werde die Bitte nach Moskau melden und Genossen Gorbatschow um eine Entscheidung bitten. Das war eine Antwort, die übrigens alle meine Generalskollegen erhielten. Tage vergingen, ohne eine Reaktion. Deshalb beschlossen wir, unsere Kontaktpartner zu befragen, um ein Ergebnis, eine Antwort aus Moskau zu erhalten. Die Antwort, die ich erhielt -.ebenso wie meine Kollegen – war, „Genosse Gorbatschow hat mit Genossen Modrow darüber gesprochen”.

Die Frage war also an ihren Ursprungsort zurückgekehrt, ohne dass sich irgend etwas in der von uns gewünschten Richtung bewegte. Auch das Archiv bewegte sich nicht. Erst nachdem schon – wie man sagt – alle Messen gelesen worden waren, erfuhr ich ganz beiläufig folgendes: Wochen vor unserem Ersuchen an das KGB hatten bereits Mitarbeiter des KGB – Dienststelle Karlshorst, mit Hilfe freundschaftlich verbundener – besser gesagt aus falsch verstandener Freundschaft und Leichtsinn – des Bereiches zu dem das Archiv gehörte, die Dateien gesichtet und jene Daten herausgenommen, die wir, völlig zu Recht, bei unseren Gesprächen zur Argumentation als „sowjetische Interessen” bezeichnet hatten.

Ein eventuelles sowjetisches „Argument”, man habe keine Konfrontation und keine Komplikationen mit den westlichen Alliierten gewollt, wenn man das Archiv des MfS gesichert hätte, muss ganz eindeutig zurückgewiesen werden. Erstens wäre die „Operation” viel zu unauffällig gewesen, etwa so wie die Bewachung eines Gebäudes in Berlin-Karlshorst. Zweitens – so jedenfalls haben es zwischenzeitlich ehemals hohe Militärs der Bundeswehr bekundet – hätte so etwas nicht zu militärischen Spannungen geführt, weil man selbst eine militärische Intervention der Sowjets gegen die spontane Grenzöffnung am 9. November 1989 angeblich hingenommen hätte, natürlich mit Zähneknirschen und geharnischten Protesten. Auch diese Chance konnte nicht genutzt werden, mit Hilfe der Verbündeten das Nötige zu tun, was unter Waffenbrüdern üblich sein sollte.

Unter dem Druck der lauthals angekündigten Demonstration vor dem Gebäudekomplex des MfS in Berlin-Lichtenberg und vor allem in der Erkenntnis, dass die Aufforderung, Steine mitzubringen der Vorbereitung einer Erstürmung und Besetzung des Objektes diente, ersuchten wir bei der Modrow-Regierung um entsprechenden Schutz. Wissen muss man, dass wir einige wenige Tage vorher auf Beschluss der Regierung unsere Waffen an das MdI – wie vorher schon die Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen des MfS – übergeben hatten. Das geschah nach der Ankündigung der „Demonstration”. Wir standen vor der Alternative, einen Teil unserer in dezentralisierten, offiziell nicht bekannten Depots aufbewahrten Waffen zu behalten und selbst den Schutz des Objektes – natürlich bewaffnet – zu übernehmen. Oder – das war die andere Alternative, die Waffen abzugeben, den Beteuerungen hoher Funktionäre der Regierung zu glauben, und den Schutz des Objektes, damit natürlich auch des Gebäudes des Archivs, in die Hände der Volkspolizei zu legen.

Wir entschlossen uns, um nicht einen bewaffneten Konflikt zu riskieren, sämtliche Waffen an das MdI zu übergeben. Gleichzeitig ersuchten wir den Regierungschef, angesichts der Bedrohungen, den Schutz des Objektes zu garantieren. Gleiche Ersuchen gingen an den zuständigen Minister für Innere Angelegenheiten der DDR.

Aus heutiger Sicht gab es eine mehr als lächerliche Reaktion, die von uns schon damals so gewertet wurde, dass man ein sozialistisches Sicherheitsorgan in der DDR nicht mehr haben wollte: Die Regierung und die bewaffneten Organe schauten zu, wie das Sicherheitsorgan geschlachtet wurde. Zwei Funkstreifenwagen wurden vor dem Haupttor plaziert, alle anderen Eingänge wurden – unbewacht – verschlossen. Es gab kein Personal für den Schutz des Sicherheitsorgans. Erst als sich die Massen bereits wieder aus dem Objekt heraus bewegten, erschien dann eine Einheit der VP-Bereitschaft Basdorf, die natürlich auf ihren Mannschaftstransportwagen sitzen blieben.

In dieser spannungsgeladenen Zeit wurde das Archiv von unseren Genossen besonders gesichert, sodass dort kein Eindringen möglich war.Es gelang dann natürlich auch, dank einiger couragierter Politiker, den öffentlichen Zugriff auf die Dokumente weitgehend zu verhindern.

Als wir dann unsere Entlassung als Beratergruppe erhielten, und später das Archiv als Bestandteil des abzuwickelnden Ministerium des Innern in die Bundesrepublik überführt wurde, war der Missbrauch nicht mehr aufzuhalten. Dennoch versuchten wir, die Mitglieder der ehemaligen Beratergruppe, weitere Schritte auszulösen, die Öffnung des Archivs und den ungehinderten Missbrauch der Datei, sowie die damit verbundene generelle Ausgrenzung der offiziellen und inoffitiellen Mitarbeiter des MfS zu verhindern.

Insgesamt ging es allen Verantwortlichen in Abwehr und Aufklärung darum, besonders die IM nicht „abschlachten”zu lassen und sie vor strafrechtlichen Konsequenzen und Repressalien zu bewahren. So entstand zunächst 1990, während der Auflösungsmassnahmen, eine Art Strategiepapier mit dem Arbeitstitel: „Zu den deutsch-deutschen Geheimdienstproblemen”, das von mir verfasst worden war. Dieses Papier enthielt zu Beginn die Darstellung von rechtlichen Grundpositionen einer inoffiziellen Arbeit für das MfS. Es wurden Lösungswege aufgezeigt, für die Entkrampfung der Situation, die durch den ungeheuren Druck der BRD entstanden war, die Aktivitäten des MfS in ihrem Bereich, also auf dem Territorium der BRD zu beenden. Diese Wege beinhalteten folgende Eckpunkte: Die BRD erklärt eine Art „General-Pardon” für alle offiziellen und inoffiziellen Mitarbeiter des MfS. Sie werden aufgefordeert, sich selbst zu stellen. Mit ihnen werden Gespräche durch gemeinsame Arbeitsgruppen der Dienste der BRD und des MfS/AfNS geführt. Es werden keine Strafverfahren eingeleitet. Die Arbeit dieser Menschen für das MfS ist damit beendet. Alles sollte ruhig, ohne spektakuläre Öffentlichkeit ablaufen. Dieses, mehrere Seiten umfassende Papier fand die Billigung der damals zur Beratergruppe und zu den „Auflösern” gehörenden Verantwortlichen aus Abwehr und Aufklärung. Es gab die Absicht, bei passender Gelegenheit, darüber ein Gespräch mit Verantwortlichen der BRD zu führen.

Die Grundgedanken dieses „deutsch-deutschen” Papiers spielten in allen weiteren Schritten der ehemaligen Beratergruppe eine Rolle. So in zwei Briefen mit den Unterschriften G. Möller und G. Niebling, im Namen auch von H. Engelhardt und E. Braun, an ehemalige Leiter oder Stellvertreter der Bezirksverwaltungen des MfS.

Ausdrücklich wurde den Genossen geraten, keine Konfrontationen mit den Beauftragten des Verfassungsschutzes, die in den Städten der DDR herumreisten, zu provozieren.. Sie führten Gespräche und Befragungen mit ehemaligen Mitarbeitern. Mit dem Hinweis auf rechtliche Möglichkeiten wurde geraten, nur dann eine Offenbarung über die IM zu machen, wenn die Straffreiheit verbindlich zugesichert worden sei. Da zwischenzeitlich die Gauck-Behörde installiert worden war und die ersten „Akteneinsichten” publiziert wurden, schrieben die ehemaligen Mitarbeiter der Beratergruppe einen Brief an die Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer und dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, in dem ein unspektakulärer Umgang mit den MfS-Akten gefordert, und Gefahren ihres Missbrauchs aufgezeigt wurden.

Anfang 1991 erhielt ich, nachdem vier ehemalige Generäle auch einen Brief an Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, mit der Bitte um ein Gespräch mit Verantwortlichen seines Ressorts gesandt hatten, die Anfrage – ich glaube das lief über Günter Möller – ob ich noch zu einem Gespräch bereit sei. Dieses Gespräch fand dann am 15. Februar 1991 im Objekt des MdI in der Glinka-Strasse in Berlin-Mitte statt. Auf Seiten der Ehemaligen nahmen daran teil: Werner Grossmann, Günter Kratsch, Günter Möller, Heinz Engelhardt und ich. Auf der Seite unserer ehemaligen Gegner sassen zu dem Gespräch: Gerhard Böden, Präsident des BfV, Dr. Eckhardt Werthebach, designierter Nachfolger G. Bödens und ein weiterer leitender Mitarbeiter des BfV namens Meißner.

Hauptsprecher unserer Seite war Werner Großmann, der in seinen Ausführungen die Möglichkeit der Lösung der IM-Probleme darlegte und nachträglich – entsprechend unserer Überlegungen im „deutsch-deutschen” Papier für einen Verzicht auf strafrechtliche Verfolgung von IM in der BRD (alt) plädierte. Ähnliche Vorstellungen sollten auch für exponierte IM der Abwehrbereiche im Gebiet der DDR Gültigkeit haben, obwohl für diese Personen eine evtl. strafrechtliche Verfolgung gar nicht zur Debatte stand. Es wurde eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus Vertretern beider Seiten vorgeschlagen, in der Einzelfälle beraten werden sollten. Eine ähnliche deutsch-deutsche Gruppe sollte es auch für die IM-Problematik innerhalb der DDR geben.

Die bundesdeutschen Gesprächspartner billigten prinzipiell die vorgeschlagenen Möglichkeiten einer Lösung der gesamten IM-Problematik ohne Repressionen. Man brauche jedoch die Zustimmung der Politik, die für wahrscheinlich gehalten wurde, weshalb eine weitere Zusammenkunft nach etwa 10 – 14 Tagen vorgeschlagen wurde. Trotz dieser nicht pessimistisch stimmenden Bemerkungen passierte nichts auf dieser Ebene.

Eine individuelle, aber sehr deutliche Antwort gab dann der damalige BRD-Justizminister Dr. Klaus Kinkel, der öffentlich verkündete, nun spreche das Strafrecht. Alle weiteren Bemühungen um eine Versachlichung der „Aufarbeitung des MfS” scheiterten. Was blieb, waren und sind Strafverfahren, gesellschaftliche Ausgrenzung, Strafrenten nach Art der Renten der Nazis für jüdische Bürger und die immer wiederkehrenden Schlammschlachten gegen Mitarbeiter und Inoffizielle Mitarbeiter des MfS der DDR. Das trifft bekanntlich hunderttausende Menschen , jung und alt !

Das Resümee dessen ist: Es waren vergebliche Mühen, zu denen uns unsere Einstellung verpflichtete. Nicht Angst, nicht vorauseilender Gehorsam waren die Triebfedern, alles zu versuchen, Menschen zu schützen. Es waren für alle die Verantwortung, die sie als Angehörige des MfS / AfNS zu tragen hatten. Jenen Nachkommen, die einen neuen Versuch einer sozialistischen Alternative starten, sei geraten, neben vielen Schlußfolgerungen aus der Niederlage der DDR auch jene zu ziehen, immer für besonders kritische Situationen eine Rückzugsvariante zu konzipieren. Das ist kein Zurückweichen im Kampf sondern ein Gebot des Schutzes von Menschen, den wir leider nicht gerecht werden konnten.

Man sollte aus diesen bitteren Erfahrungen Lehren ziehen.

Gerhard Niebling, Potsdam