Februar 2005, DKP-Parteitag in Duisburg

Hans Heinz Holz, Februar 2005, DKP-Parteitag in Duisburg

Bericht vom Parteitag – Fortsetzung

Weiterhin ging es um die Frage, ob die Partei unterschiedliche Auffassungen in sich vereinen könne (siehe den Artikel von Hans Heinz Holz, junge Welt, 20. 1. 2005, der in diesem Heft nachgedruckt ist), ob sie eine einheitliche Programmatik brauche (Standpunkt von Leo Mayer) oder ob man nicht vielleicht auch noch längere Zeit ganz auf eine programmatische Festlegung verzichten könnte (Standpunkt von Ellen Weber).

Erstaunlich ist an diesen Diskussionen, dass ausgerechnet die „Parteilinke” eher dem „Pluralismus” zuneigt, die revisionistischen Kräfte aber auf der Einheit der Programmatik bestehen, was ja ein wenig wie „verkehrte Welt” wirkt. Was es auf sich hat mit diesen Fragen von Pluralität und der Vorstellung, dass man sich gegenseitig „brauche” einerseits und dem Anspruch, die Partei müsse einheitlich ausgerichtete sein andererseits, zeigt sehr schön die Entwicklung der PDS. Ausgangspunkt war die SED. Deren theoretisches Fundament war der Marxismus-Leninismus (auch wenn die Partei in den 80er Jahren theoretisch-ideologisch anfing zu zerbröseln), und dieser ist ein einheitliches Theoriegebäude. Die „Erneuerer” und „Reformer” der PDS (Gysi, Bisky, Bartsch, Brie, Schumann, Klein usw) mussten gegen diesen „alleinigen Wahrheitsanspruch”, gegen den „Dogmatismus” usw. polemisieren und die Pluralität in der Partei durchsetzen, um den Marxismus-Leninismus auszuhebeln und auf die Dauer los zu werden. Nach einiger Zeit war dieser in der Partei so in die Defensive geraten, dass zum Beispiel die Kommunistische Plattform die Beliebigkeit der neuen Theorien und Strategien von Zivilgesellschaft, Postmoderne, Reformprojekten, Regierungsbeteiligungen usw. zwar noch vereinzelt kritisierte, in ihrer Auseinandersetzung mit den rechten Kräften der Partei aber immer mehr zum Selbstbehauptungsargument „Pluralität” griff, d.h. ihr Bleiberecht in der Partei aus deren pluralem Charakter ableitete – ein vollkommen defensives und unseren marxistischen Grundlagen widersprechendes Argument. Inzwischen verfolgt die Führung der PDS einen Plan, der ideologischen Zusammenschlüssen wie der KPF Mandate und Möglichkeiten nehmen will, d.h. jetzt, im sicheren Gefühl, die eigene Macht in der Partei konsolidiert zu haben, will die Führung ihre eigene Orientierung als bindend für die Gesamtpartei durchsetzen. Resultat: die anfänglichen Argumentationsmuster (Pluralität versus Einheit) haben sich um 180 Grad gedreht, diejenigen, die eigentlich eine einheitliche theoretische Grundlage haben, reden von Pluralität und diejenigen, die das Gerede von der Pluralität zunächst brauchten, um die politisch-ideologische Einheitlichkeit zu zerstören, reden jetzt wieder genau von dieser („Wo PDS draufsteht, muss auch PDS drin sein”) – allerdings auf der von ihnen bestimmten politischen Grundlage.

Zurück zum Geschehen auf dem Parteitag: am Abend des ersten Tages wurde der neue Parteivorstand und die Parteiführung gewählt. Es sei bemerkt, das dies damit zu einem Zeitpunkt geschah, zu dem weder über die Politische Erklärung noch über die Haltung zum irakischen Widerstand diskutiert oder entschieden worden war. Die Wahlen zeigten zwar einigen Unmut, d.h. die Ergebnisse von Heinz Stehr und Nina Hager waren nicht besonders gut, aber zum Weitermachen wie bisher reichen sie völlig aus. Auch bei der Zusammensetzung des Parteivorstandes, für die der alte PV eine Liste angefertigt, also einen Vorschlag abgegeben hatte, gab es kleine Änderungen, aber auch hier gilt: unterm Strich bleibt alles beim Alten. Ins Sekretariat (das vom Parteivorstand eingesetzt wird) hat es kein Vertreter der „Parteilinken” geschafft.

Der zweite Tag sollte mit der Debatte um die Politische Erklärung beginnen. Es wurde festgelegt, die am weitesten gehenden Anträge zunächst zu bearbeiten, also diejenigen, die Ablehnung der Politischen Erklärung oder Nichtbefassung vorschlagen. Zu meinem Erstaunen stellte die Leitung des Parteitages den Antrag, keine offene Diskussion zuzulassen, sondern zwei Protagonisten der unterschiedlichen Strömungen etwas ausführlicher ihre jeweiligen Argumente vortragen zu lassen: Patrick Köbele auf der einen und Ellen Weber auf der anderen Seite, und dann über die Erklärung abzustimmen. Zu meinem noch größeren Erstaunen nahm der Parteitag diesen Vorschlag an, so dass also nur die Antragskommission mit ihrem Mehrheitsvotum (für die Erklärung) und einem Minderheitsvotum (Hans Heinz Holz gegen die Erklärung) sowie Köbele und Weber zu Wort kommen sollten.

Aus den Ausführungen der Antragskommission war zu entnehmen, dass diese nicht sehr häufig getagt hatte, dass nur die „kleinen” Änderungen eingearbeitet worden sind, Änderungen grundsätzlicher Art aber nicht berücksichtigt wurden und Anträge auf Ablehnung dem Parteitag zusammengefasst vorlagen. Hans Heinz Holz sprach auch über die etwas verschlungenen Pfade der Arbeitsweise der Antragskommission, über viel Einzelarbeit von Nina Hager ohne Absprachen mit der Kommission und über das Problem, dass den Delegierten nun eine von Nina Hager veränderte Fassung der Erklärung zur Abstimmung vorlag, die sie erst jetzt zu Gesicht bekommen hatten. Diese Äußerungen, die ich grundsätzlich für sehr wichtig halte, denn gerade auch an der Arbeitsweise, am Mauscheln, am Aushebeln der innerparteilichen Demokratie und am Verhindern der offenen Diskussion ist viel über die Absichten der Personen zu sehen, die sich solcher Mittel bedienen, nämlich: sie wollen unbedingt bestimmte Ziele, Inhalte oder Strategien durchsetzen – und dies am liebsten ohne kritische Prüfung durch die Mitglieder, – diese Äußerungen also sollten Hans Heinz Holz später noch einiges an „Prügeln” einbringen.

Patrick Köbele sprach sehr freundlich, ruhig und ohne zu polarisieren oder zu polemisieren, er war bewusst integrativ und trotzdem inhaltlich klar in seiner Ablehnung der Erklärung. Ellen Weber verlegte sich mehr aufs Moralisieren und behauptete, dass man programmatische Festlegungen nicht so schnell treffen könne, wie es die DKP vorgehabt habe, weil man dafür eben länger brauche und das werfe nun neue Schwierigkeiten auf: die Welt ändere sich so schnell, dass man sowieso nicht wisse, on das Gesagte morgen noch Geltung habe. Durch diese beiden qualitativ sehr unterschiedlichen Beiträge drohte die Stimmung zu kippen. Sozusagen: Vorteil Köbele.

Eine schwierige Situation für die Führung. Aber wozu gibt es eine Parteitagsregie? Jedenfalls kam plötzlich der Antrag, doch eine Debatte zuzulassen, Redebeiträge über die Saalmikrophone, wenn ich mich recht erinnere: 30 Minuten. Kaum war das beschlossen, standen Schlangen an den Mikrophonen: bis auf eine einzige Ausnahme Vertreter der Vorstandslinie, eine Mischung aus „Kleinarbeit vor Ort” und dem revisionistischen Teil der Parteiprominenz. Nun ging es mit allen Mitteln zu Sache. Gerade Hans Heinz Holz wurde hart herangenommen, ihm wurde vorgeworfen, zu viel über Formales geredet zu haben (Heinz Stehr), verständlich, denn wenn jemand Mauscheleien öffentlich macht, erfreut das die Mauscheler naturgemäß wenig; zwischendurch wurde er abqualifiziert als Schwätzer, der praktisch keine Relevanz hat: „Ich weiß ja nicht, wie oft Du Stände machst, Genosse Holz”, „Ihr diskutiert hier um des Kaisers Bart und wir haben kein Material am Stand” (so genannte „Basisgenossinnen”), die Einheit der Partei wurde gegen sein Konzept des „wir brauchen uns gegenseitig” fast schon in demagogischer Weise eingefordert (Leo Mayer: „…aber das will ich mit einem einheitlichen Auftreten einer einheitlichen Partei…” – großer Applaus) so als hätte Hans Heinz Holz der Spaltung das Wort geredet. Das Ganze wurde flankiert mit soßigen Danksagungen „für die viele Arbeit, die Nina sich gemacht hat” – großer Applaus. Und so ging es munter weiter. Nach dieser Offensive zur Diskreditierung der „Abweichler” sollte abgestimmt werden über deren Anträge, die Politische Erklärung abzulehnen. Als noch jemand sich mit einer persönlichen Erklärung zu Wort melden wollte, wurde qua Geschäftsordnungsantrag „sofortige Abstimmung” durchgesetzt. Resultat: rund 80 % gegen die Ablehnung der Politischen Erklärung, rund 20 % dafür. Damit war die Erklärung grundsätzlich angenommen, die Ablehnungs- und Nichtbefassungsanträge waren vom Tisch und die Anträge, die grundsätzliche Änderungen wollten, waren ja von der Antragskommission gar nicht erst bearbeitet worden, standen jetzt also nicht zu Debatte. Es ging im folgenden nur um Anträge, die „kleine” Ergänzungs- oder Abänderungsvorschläge beinhalteten.

Eine Erläuterung der Kleinarbeit an diesen Anträgen spare ich mir hier. Ich möchte dazu nur eine interessante Äußerung eines Parteivorstandsmitglieds übermitteln (Detlef Fricke, Hannover, an einem Bücherstand): „Politisch ist das Ding doch gelaufen. Aber das jetzt muss man machen, die Leute haben sich doch Mühe gegeben.” …..Kein Kommentar!

Danach wurde über den Stand der Programmdebatte und –erarbeitung informiert – nicht diskutiert! – und gegen Ende des Parteitages wurde nicht die von der Führung vorbereitete Irak-Resolution, sondern eine etwas entschärfte Fassung angenommen, die aber noch immer eine pauschale Solidarisierung mit der unsäglichen KP des Iraks enthält. Das Ergebnis war fast einstimmig.

An den Ergebnissen der strittigen Themen sieht man etwas Auffälliges: die Gegenwehr ließ im Laufe des Parteitages nach. Am Anfang stemmten sich noch rund 30 % der Delegierten gegen die Vorstandslinie, am Ende waren es nur noch versprengte Einzelne.

Fazit

Die „rechten” Kräfte sitzen fest im Sattel und besetzen fast alle Führungspositionen, die „schweigende Mehrheit” der Partei steht – wenn auch hin und wieder grummelnd – an ihrer Seite, die „Parteilinke” kann etwa 20 % bis 30 % der Delegiertenstimmen mobilisieren. Während die „Sozialismusvorstellungen” beim Parteitag in Hannover gegen den Willen der Führung nicht beschlossen wurden (sondern als „Arbeitsmaterial” zurückverwiesen wurden an die Autorengruppe und/oder den Vorstand), hat die Politische Erklärung eine große Mehrheit gefunden – trotz der ausführlichen inhaltlichen Kritik an ihren so genannten „Schwächen”, also den enthaltenen revisionistischen Abweichungen beispielsweise zu den Themenkreisen Imperialismusanalyse, (sozialdemokratische) Umverteilungstheorie, Sozialismusvorstellungen, Rolle der Partei, Stellung zur UdSSR und zur DDR und Bündnispolitik/Rolle der „Bewegungen”.

Dieser Parteitag bildet eine Zäsur. Der Parteitag hat „Ja” gesagt zu Bausteinen einer revisionistischen Programmatik. Die mahnenden und warnenden Worte der „Parteilinken” haben kein Gehör gefunden. Es bleibt nur so viel zu sagen: Die Gefahr für die DKP wächst. Der Weg auf die schiefe Ebene des Revisionismus ist fortgesetzt worden – und man hat die schiefe Ebene zwecks Beschleunigung des Tempos säuberlich mit Schmierseife eingerieben. Am Horizont grinst als Schreckgespenst das Schicksal der italienischen, französischen oder österreichischen KP.

Und man muss leider feststellen: Die Kräfte, die einen solchen Niedergang der DKP vermeiden wollten und wollen und dies eventuell auch noch immer könnten, sind mit ihrer bisherigen Taktik gescheitert. Es ist Zeit, sich neu zu besinnen. Man könnte sogar sagen: die Zeit drängt.