Stalins Beiträge zur marxistisch-leninistischen Militärtheorie – 1945

Stalins Beiträge
zur
marxistisch-leninistischen Militärtheorie und -politik

Das Jahr Fünfundvierzig

Von
Ulrich Huar

Inhalt


Redaktionsnotiz
Dieses Heft ist doppelt bedeutsam.
Es ist erstens unser – wie wir meinen durchaus würdiger – Beitrag zum 60. Jahrestag des 8. Mai 1945, eine Erinnerung an die Zerschlagung des Faschismus und die ungeheure Leistung der Sowjetunion. Worauf wir besonders hinweisen wollen, ist die Kompliziertheit der Lage und der Entscheidungen, sind die historischen Bedingungen und ist der erworbene Handlungsspielraum des Sozialismus durch seine stärkste Kraft, die Sowjetunion.
Und zweitens bildet es den krönenden Abschluss der Stalin-Reihe von Ulrich Huar. Wir sagen ihm hiermit vielmals Dank für die Mühe und die Konsequenz. Eine Arbeit, die in so konzentrierter und präziser Form die Analyse eines Geschichtsprozesses von fast 30 Jahren, nämlich die Epoche des Aufbaus des Sozialismus in der Sowjetunion incl. aller inneren und äußeren Probleme darstellt, ist uns bisher nicht bekannt. Es handelt sich um folgende Hefte:
… Stalins Beiträge zur Theorie der nationalen Frage
… Stalins Beiträge zur politischen Ökonomie des Sozialismus
… Stalins Beiträge zur Parteitheorie I
… Stalins Beiträge zur Parteitheorie II
… Stalins Beiträge zur marxistisch-leninistischen Militärtheorie und –politik. 1918 – 1940
… Stalins Beiträge zur marxistisch-leninistischen Militärtheorie und –politik. 1941 – 1942/43
… Stalins Beiträge zur marxistisch-leninistischen Militärtheorie und –politik. 1943
… Stalins Beiträge zur marxistisch-leninistischen Militärtheorie und –politik. 1944
… Stalins Beiträge zur marxistisch-leninistischen Militärtheorie und –politik. Das Jahr 45

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„Das Jahr Fünfundvierzig” – Teil 1
„Das Jahr Fünfundvierzig”
So lautet der Titel des zweiten Erinnerungsbandes von Iwan Stepanowitsch Konew, Marschall der Sowjetunion, FOB der 1. Ukrainischen Front, den ich für den letzten Teil meiner Studie über den Beitrag Stalins zur marxistisch-leninistischen Militärtheorie und -politik gewählt habe.
Nun lassen sich militärische Operationen im Kriege schwerlich nach Ende eines alten und Beginn eines neuen Jahres periodisieren, und die Bestimmung des Jahres 1945 als Zäsur trägt somit etwas willkürlichen Charakter. Aber Zäsuren werden ohnehin immer nach dem einen oder anderen Ereignis oder Datum bestimmt und dienen lediglich als methodische Orientierungshilfen für die Untersuchung historischer Prozesse.
1. Rück- und Ausblick 1944/45
Ausgangspunkt für das „Jahr 45″ ist die Rede Stalins zum 27. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution vom 6. November 1944,1) in der er einmal im Rückblick auf die ersten drei Jahre des Großen Vaterländischen Krieges den erreichten Stand der „allgemeinen Offensive”, die als die „Strategie der zehn Schläge” in die Kriegsgeschichte eingegangen ist, die militärpolitische Ausgangssituation für das Jahr 1945 sowie die Grundzüge der Politik der Sowjetregierung für die Gestaltung der internationalen Nachkriegsordnung darlegte, wie er sie dann auf der Krimkonferenz im Februar 1945 gegenüber Roosevelt und Churchill vertrat.
Stalin unterschied zwischen drei Perioden des bisherigen Krieges. Zur ersten Periode gehörten die „beiden ersten Kriegsjahre”, der Offensive der deutschen Truppen, deren Vordringen in die Sowjetunion, die Verteidigungskämpfe der Roten Armee.
Das dritte Kriegsjahr als die zweite Periode war das „Jahr des grundlegenden Umschwungs”, in dem die Rote Armee mächtige Offensiven führte, zwei Drittel des sowjetischen Bodens befreite. In dieser Zeit führte die Rote Armee den Krieg gegen die deutschen Truppen „immer noch einer gegen einen, ohne ernstliche Unterstützung von seiten der Verbündeten…”
Als dritte Periode benannte er das „vierte Kriegsjahr” als „einem Jahr entscheidender Siege der Sowjetarmeen und der Armeen unserer Verbündeten….”
Die Deutschen mußten nun einen Zweifrontenkrieg führen. Die deutschen Truppen wurden aus der Sowjetunion, Frankreich, Belgien und Mittelitalien vertrieben, die Kriegshandlungen griffen auf deutschen Boden über.
Es folgt die Aufzählung der „Zehn Schläge” mit ihren Ergebnissen sowie den personellen und materiell-technischen Verlusten der Deutschen und ihrer Verbündeten.
Die Teheraner Konferenz (28. November – 1. Dezember 1943) sei „nicht ohne Ergebnisse geblieben. Der Beschluß der Teheraner Konferenz über den gemeinsamen Schlag gegen Deutschland von Westen, Osten, Süden gelangte mit auffallender Pünktlichkeit zur Durchführung.”2)
Stalin würdigte die Invasion der angloamerikanischen Verbündeten vom 6. Juni 1944 als eine „Massenlandungsoperation”, „die ihrer Orga-nisiertheit und ihrem Ausmaß nach in der Geschichte einzig dasteht und überwanden meisterhaft die Befestigungen der Deutschen.”3)
Ohne die Errichtung der zweiten Front in Europa, die 75 deutsche Divisionen gebunden habe, hätten die sowjetischen Truppen „nicht in so kurzer Zeit den Widerstand der deutschen Truppen brechen und sie aus der Sowjetunion hinaushauen können.” Und umgekehrt, „ohne die wuchtigen Offensivoperationen der Roten Armee im Sommer dieses Jahres, die an 200 deutsche Divisionen gebunden haben”, hätten die angloamerikanischen Truppen „nicht so rasch mit den deutschen Truppen … fertig werden … können.”4)
Es waren dies sehr diplomatische Ausführungen, mit denen Stalin zu verstehen gab, wer auch nach der Invasion im Westen die Hauptlast des Krieges trug.
Es kann hinzugefügt werden, daß die Erfolge der sowjetischen Armeen, die sich als fähig erwiesen hatten, auch allein die Befreiung Europas vom faschistischen deutschen Imperialismus durchzuführen, die westlichen Alliierten veranlaßten, die Invasion durchzuführen, um „den Russen zuvorzukommen.”
Natürlich wußte Stalin das auch, worauf er mit dem Hinweis auf die 200 deutschen Divisionen an der deutsch-sowjetischen Front sehr diskret hinwies. Etwas deutlicher war er dann mit dem Hinweis: „Heute erkennen alle an, daß das Sowjetvolk durch seinen aufopfernden Kampf die Zivilisation Europas vor den faschistischen Pogromhelden gerettet hat. Darin besteht das große Verdienst des Sowjetvolkes vor der Geschichte der Menschheit.”5)
Dies hervorzuheben scheint mir 60 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus angesichts wiederholter Behauptungen, daß Europa von den Amerikanern befreit worden sei, notwendig zu sein. Die Hervorhebung des weltgeschichtlichen Verdienstes des Sowjetvolkes bedeutet keinesfalls, die hervorragenden Leistungen der angloamerikanischen Truppen bei der Invasion, in Italien und an anderen Frontabschnitten herabzusetzen oder zu leugnen. Sie haben einen bedeutenden Anteil an der Niederringung des faschistischen Deutschlands gehabt, der zu würdigen ist.
Man spreche über Meinungsverschiedenheiten unter den Verbündeten. Die gab es und die würde es auch in Zukunft geben. Es ginge nicht um Meinungsverschiedenheiten, sondern darum, daß sie nicht „über den Rahmen des im Interesse der Einigkeit der drei Großmächte Zulässigen hinausgehen und zu guter Letzt im Interesse dieser Einheit gelöst werden.”6)
Die Hitlerfaschisten unternahmen mehrfache Versuche, die Vereinten Nationen zu spalten und gegeneinander auszuspielen. Dies sei verständlich. Die Einheit der Verbündeten sei für die Faschisten die größte Gefahr, deren Entzweiung wäre der größte militärische und politische Erfolg für sie. Die Bemühungen der faschistischen Politiker in dieser Richtung seien ergebnislos verlaufen. Dem Bündnis der Sowjetunion, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten lägen „nicht zufällige und vorübergehende Motive zugrunde…, sondern lebenswichtige und dauernde Interessen.” Dieses Bündnis werde „die Prüfungen der Endphase des Krieges bestehen.”7)
Stalin vermied es, in seinen Ausführungen die entgegengesetzten Klasseninteressen innerhalb der Antihitlerkoalition zwischen der Sowjetunion und den westlichen Verbündeten zu nennen. Zu diesem Zeitpunkt war das gemeinsame Interesse an der Niederwerfung des faschistischen Deutschlands – und Japans! – noch dominierend gegenüber den Klassenwidersprüchen. Die Spekulationen Hitlers und Goebbels, daß die Klassengegensätze letztendlich zur Spaltung der Antihitlerkoaltion führen mussten, waren zu diesem Zeitpunkt völlig unrealistisch. Hitler und Goebbels haben wiederholt das „Wunder der göttlichen Vorsehung”7a) in Reden und Proklamationen beschworen. In seinem Neujahrsaufruf an das deutsche Volk vom 1. Januar erklärte Hitler, daß das Jahr 1945 „das Jahr einer geschichtlichen Wende sein” werde.7b) Im Tagebuch Goebbels von 1945 finden sich mehrere Eintragungen über die Erwartung eines politischen „Wunders”, einer Wiederholung des „Mirakels des Hauses Brandenburg” im Siebenjährigen Krieg (1756 – 1763), des Verhaltens der Römer während der Belagerung ihrer Stadt durch die Truppen Hannibals im 2. Punischen Krieg. (218 – 201 v.u.Z.) 8)
„Aus welchem Grunde” schrieb Goebbels noch am 24. März in sein Tagebuch, „sollten wir nicht auf eine ähnliche wunderbare Wandlung der Dinge hoffen können.”9) Am 5. März glaubte Goebbels unter Berufung auf Hitler noch an eine Wende in der Kriegspolitik durch „Gespräche mit Stalin.”10)
Die Kungeleien hochrangiger faschistischer Führer, darunter Himmler, mit den Westmächten, scheiterten letztendlich an der Stärke und Autorität der Sowjetunion. Selbst Churchill, der alles erdenkliche unternahm, um die „Russen draußen” zu lassen, konnte eine derartige „Wende” in seiner Kriegspolitik nicht durchführen.
So bemerkte denn auch Stalin: „Den Krieg gegen Deutschland gewinnen bedeutet, ein großes historisches Werk vollbringen. Den Krieg gewinnen bedeutet aber noch nicht, den Völkern einen dauerhaften Frieden und eine verläßliche Sicherheit für die Zukunft gewährleisten. Die Aufgabe besteht nicht nur darin, den Krieg zu gewinnen, sondern auch darin, die Entstehung einer neuen Aggression und eines neuen Krieges wenn nicht für immer, so doch wenigstens für einen längeren Zeitraum unmöglich zu machen.”11)
Um Frieden und Sicherheit der Völker zu schaffen, gebe es nur ein einziges Mittel: „zum Schutze des Friedens und der Garantie der Sicherheit eine besondere Organisation aus Vertretern der friedliebenden Nationen zu schaffen, dem leitenden Organ dieser Organisation das notwendige Mindestmaß an Streitkräften zur Verfügung zu stellen, das zur Verhütung einer Aggression erforderlich ist, und diese Organisation zu verpflichten, notwendigenfalls zur Verhütung oder Liquidierung der Aggression und zur Bestrafung der an der Aggression Schuldigen diese Streitkräfte unverzüglich einzusetzen.”12)
Eine solche internationale Organisation dürfe jedoch keine Wiederholung des Völkerbundes „unseligen Angedenkens” sein. Stalin schloß mit der Frage: „Ist darauf zu rechnen, daß das Vorgehen dieser internationalen Organisation hinreichend wirksam sein wird? Es wird wirksam sein, wenn die Großmächte, auf deren Schultern die Hauptlast des Krieges gegen Hitlerdeutschland geruht hat, auch weiterhin im Geiste der Einmütigkeit und des Einvernehmens vorgehen werden. Es wird unwirksam sein, wenn diese notwendige Voraussetzung beeinträchtigt wird.13)
Die Wirksamkeit einer solchen internationalen Organisation ist also an die genannten Bedingungen gebunden. Ob ein solches „Einvernehmen” der drei Großmächte auch nach dem Krieg fortgesetzt werden kann, diese Frage ließ Stalin offen.

2. Die „Endphase” des Krieges
Diese Formulierung bedeutet nicht, daß der Krieg schon zu Ende war, daß nicht mehr an den Fronten erbittert gekämpft wurde. Nach den DDR-Militärhistorikern Gerhard Förster und Richard Lakowski produzierte die deutsche Rüstungsindustrie im Januar 1945 immer noch mehr als das Doppelte wie im Januar 1942. Allerdings zeigte die Kurve der Rüstungsproduktion seit August 1944 eine stetig sinkende Tendenz, wenn auch die Waffenproduktion noch bis Dezember 1944 anstieg, bei einzelnen Waffenarten sogar bis Februar/März 1945.13a)
Der Widerstand der faschistischen deutschen Wehrmacht war noch nicht endgültig gebrochen, im Gegenteil, an einigen Abschnitten der ausgedehnten Fronten in Ost und West verstärkte er sich noch. Mit „ausgesprochenen Verzweiflungsmaßnahmen versuchte der Faschismus, die unvermeidliche Katastrophe hinauszuzögern”, schrieb Marschall Shukow. „Doch Ende 1944 war Deutschland noch zu Verteidigungskämpfen fähig und leistete aktiven Widerstand. Seine Streitkräfte verfügten immer noch über rund 7,5 Millionen Mann, davon 5,3 Millionen in der Einsatzarmee. Ebenso wie früher behielt das faschistische Oberkommando jetzt, in der entscheidenden Etappe, den größten Teil seiner Kräfte an der sowjetisch-deutschen Front, und zwar 3,1 Millionen Mann, 28.500 Geschütze und Granatwerfer, rund 4.000 Panzer und Selbstfahrlafetten, rund 2.000 Flugzeuge.
Dabei muß berücksichtigt werden, daß die sowjetisch-deutsche Front fast um 50 Prozent kürzer geworden war, so daß die Verteidigungsdichte ziemlich groß war.”14) Die sowjetischen Truppen und die der Verbündeten in Frankreich waren den deutschen Truppen gegenüber „in jeder Hinsicht überlegen.” Die Einsatzarmee der sowjetischen Streitkräfte zählte Ende 1944 etwa 6 Millionen Mann, verfügte über 91.400 Geschütze und Granatwerfer, etwa 11.000 Panzer und Selbstfahrlafetten (SFL), mehr als 14.500 Flugzeuge. Hinzu kam noch eine Verstärkung durch polnische, tschechoslowakische, rumänische und bulgarische Truppen mit einer Personalstärke von 320.000 Mann, sowie französische Flieger des Jagdfliegerregiments „Normandie-Njemen”, die im Verband der 3. Belorussischen Front kämpften.
An der Westfront standen 87 gut bewaffnete Divisionen amerikanischer, britischer und französischer Truppen, mit 6.500 Panzern und über 10.000 Flugzeugen. In Italien verfügten die Alliierten über 21 Divisionen und 9 Brigaden, denen 31 unvollständig aufgefüllte deutsche Divisionen gegenüberstanden.15)
Nach Marschall Konew, FOB der 1. Ukrainischen Front, bestanden die Kräfte der deutschen Truppen an seinem Frontabschnitt am Oberlauf der Weichsel, nördlich des oberschlesischen Industriegebietes vor dem Brückenkopf Sandomierz auf dem Westufer der Weichsel im Januar 1945 aus etwa 100.000 Mann; 9 Infanterie- und 2 Panzerdivisionen, mehrere Kampfgruppen, (aus Versprengten und Resten von zerschlagenen Truppenteilen zusammengestellte Kampfeinheiten) 2 selbständige Brigaden, 6 selbständige Regimenter und 22 selbständige Bataillone. Mit dem Eintreffen weiterer zwei oder drei Infanteriedivisionen mußte gerechnet werden.16)
Das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) war entschlossen, das oberschlesische Industriegebiet auf jeden Fall zu halten. Seinem Produktionsumfang nach folgte es dem Ruhrgebiet, das von den westlichen Alliierten bereits bedroht war.17)
Konew gab eine sehr vorsichtige Einschätzung der Moral der ihm gegenüberstehenden deutschen Soldaten. Nicht alle Deutschen wären sich schon über den Untergang des faschistischen Deutschlands klar gewesen. „Die schwierige Lage beeinflußte das Verhalten des deutschen Soldaten auf dem Schlachtfeld vorläufig noch nicht wesentlich. Wie eh und je schlug er sich tapfer und zeichnete sich, vor allem in der Verteidigung, zuweilen durch geradezu fanatische Standhaftigkeit aus. Die Organisation des Heeres war immer noch auf der Höhe; die Divisionen waren aufgefüllt und verfügten nahezu über ihre gesamte strukturmäßige Bewaffnung und Ausrüstung.
Von einem moralischen Zusammenbruch der faschistischen Wehrmacht konnte ebenfalls noch keine Rede sein. Konew führte dies auf die Wirkungen der Goebbelspropaganda und auf die schweren Repressalien zurück, denen die deutschen Soldaten ausgesetzt waren. „Die Ardennenoffensive bewirkte sogar einen spürbaren moralischen Aufschwung. Nach Gefangenenaussagen war unter Soldaten und Offizieren die Meinung weit verbreitet, die deutsche Führung werde die Alliierten in den Ardennen schlagen, sie zu einem Separatfrieden zwingen und dann die Kräfte von allen Fronten gegen die Sowjetunion einsetzen. Solche Gerüchte gingen selbst dann noch um, als die Ardennenoffensive zusammengebrochen war.”18)
Shukow dagegen schrieb: „Unter allen Kriegsgefangenen, die wir zu jener Zeit verhörten, fand sich keiner, der noch an einen Sieg glaubte.
Mit härtesten Maßnahmen unterdrückten die Faschisten alle Andersdenkenden und gingen erbarmungslos auch gegen jeden Zweifler an ihrem Regime vor.”19)
Diese Einschätzung von Shukow bezog sich auf die Zeit vor der Ardennenoffensive. Marschall Bagramjan, FOB der 1. Baltischen Front, berichtete ebenfalls über den starken Widerstand der deutschen Truppen Ende 1944, Anfang 1945 in Ostpreußen und in Kurland. „Über dreißig vollwertige faschistische Divisionen würden sich, zusammengedrängt auf engstem Raum (in Kurland, UH) verzweifelt zur Wehr setzen. Außerdem hofften sie noch immer auf eine Evakuierung über See und würden also den Gedanken an einen Weg in die Gefangenschaft weit von sich weisen. Die Goebbelspropaganda wirkte noch.”20)
Marschall Moskalenko, Armeeoberbefehlshaber (AOB) der 38. Armee der 4. Ukrainischen Front, meinte, daß die Moral der faschistischen deutschen Truppen an seinem Kampfabschnitt in der östlichen Slowakei bereits erschüttert gewesen sei. „Die Zahl der deutschen Soldaten, die sich gefangen gaben oder überliefen, nahm zu. Ihre Aussagen demonstrierten äußerste Depression.” Er zitiert Aussagen von Gefangenen nach Archivmaterialien: „‘Für welche Verbrechen sind wir verpflichtet, hier zu sein’, fragen die deutschen Soldaten… Außer Grünschnäbeln glaubt niemand an einen Sieg Deutschlands. Die Soldaten denken nur daran, wie sie ihre Haut retten können… Die Stimmung der Soldaten an der Front, hier, in den Karpaten, ergibt sich aus dem ständigen körperlichen Unwohlsein und der Ermüdung… Um ehrlich zu sein, ist bei den Soldaten die Hoffnung auf den Sieg schon längst zum Teufel gegangen. Und deshalb gibt es immer wieder, trotz strengster Disziplin, Fälle von Fahnenflucht. Im November wurde bei uns im Regiment ein Soldat der 4. Kompanie erschossen. Er war des Verrats und der Wehrkraftzersetzung beschuldigt worden.”21)
In einem Brief des Chefs des Generalstabes der Heeresgruppe Weichsel, SS-Gruppenführer und General der Polizei Heinz Lammerding an Heinrich Himmler, Reichsführer SS und Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Weichsel vom 5. Februar 1945 hieß es: „Der Gesamteindruck, den ich in den letzten Tagen, … gewonnen habe ist der, daß wir in der Wehrmacht in einer Führungskrise größten Ausmaßes uns befinden. Das Offizierskorps hat die Truppe nicht mehr fest in der Hand. Bei der Truppe selbst zeigen sich Auflösungserscheinungen übelster Art. Es sind keine Einzelerscheinungen, daß Soldaten ihre Uniformen ausziehen und sich mit allen möglichen Mitteln Zivilkleider zu verschaffen suchen, um wegzukommen. Ebenso ist einwandfrei festgestellt, daß auf vielen Treckwagen sich Soldaten in Zivil versteckt gehalten haben, um mit den Trecks mitzuziehen.”21a)
Auf einer Frontlinie von 1.200 Kilometer Länge standen im Januar 1945 die Armeen der sowjetischen Streitkräfte bereit, das faschistische Regime in Deutschland endgültig zu zerschlagen. Den Hauptstoß hatten die drei Belorussischen Fronten und die 1. Ukrainische Armee zu führen. Die 1. Belorussische Front, FOB Shukow, und die 1. Ukrainische Front, FOB Konew, in Richtung Berlin und Wien die 3. Belorussische Front, FOB Tschernjachowski, und Teile der 2. Belorussischen Front, FOB Rokossowski, in Richtung Ostpreußen.
Die Offensiven der Fronten sollten am 20. Januar 1945 beginnen. Auf Befehl Stalins mußten die Angriffstermine in den Hauptrichtungen um fünf Tage vorverlegt werden, trotz sehr ungünstiger Wetterlage, die den Einsatz von Fliegerkräften ausschloß. Die angloamerikanischen Truppen an der Westfront waren durch die Ardennenoffensive in eine schwierige Lage geraten. Ein direktes Ersuchen um eine Vorverlegung der Offensive an der deutsch-sowjetischen Front gab es nicht, aber in seiner Botschaft an Stalin vom 6. Januar gab Churchill zu verstehen, daß er Stalin „dankbar” wäre, wenn er ihm mitteilen könnte, „ob wir im Januar mit einer größeren russischen Offensive an der Weichselfront oder anderswo rechnen können,…” Er betrachte die Angelegenheit als „dringend”.22)
In seiner Antwort an Churchill vom 7. Januar erklärte Stalin: „Wir bereiten uns auf die Offensive vor, doch begünstigt im Augenblick das Wetter unseren Angriff nicht. Das Hauptquartier hat jedoch angesichts der Lage unserer Verbündeten an der Westfront beschlossen, in verstärktem Tempo die Vorbereitungen zu beenden und, ohne Rücksicht auf das Wetter, umfangreiche „Angriffsoperationen gegen die Deutschen am gesamten Mittelabschnitt der Front spätestens in der zweiten Januarhälfte einzuleiten. Zweifeln Sie nicht daran, daß wir alles nur mögliche tun werden, um die ruhmreichen Truppen unserer Verbündeten zu unterstützen.”23)

3. Ardennenoffensive
Am 16. Dezember 1944 begann das OKW auf Befehl Hitlers eine Offensive an der Westfront mit dem Ziel, die Maas zu forcieren und nach Antwerpen durchzubrechen. Nachdem die deutschen Truppen etwa 100 Kilometer vorgedrungen waren, ihre Spitzen bis auf 6 Kilometer an die Maas herangekommen waren, wurden sie von amerikanischen Truppen zum Stehen gebracht. Am 28. Dezember mußte Hitler in einer Lagebesprechung eingestehen, daß dieser Durchbruch nach Antwerpen gescheitert sei.24)
Trotz dieses Fehlschlags begann das OKW am 31. Dezember eine neue Offensive, diesmal im Elsaß unter der Bezeichnung „Nordwind”. Am 1. Januar 1945 hatte das OKW mit der Offensive im Elsaß einen Luftschlag gegen die alliierten Flugplätze in Belgien und Holland durchgeführt. Für dieses Unternehmen hatte das OKW alle noch einsatzfähigen Flugzeuge, insgesamt etwa 1000 Flugzeuge, eingesetzt. Sie haben 260 Flugzeuge der westlichen Alliierten zerstört, gegen nur 93 Flugzeuge an eigenen Verlusten. Die Amerikaner und Briten konnten ihre Verluste allerdings rasch ersetzen, was für die deutsche Luftwaffe schon nicht mehr so einfach war. Auf dem Rückflug gerieten die deutschen Flugzeuge in das Feuer der eigenen Flak und verloren 200 Maschinen. So war auch dieser Luftangriff der deutschen Luftwaffe im Endresultat ein höchst zweifelhafter Erfolg.25)
Wenn auch die Ziele der deutschen Offensive nicht erreicht werden konnten, so trat für die Lage der angloamerikanischen Truppen an der Westfront „eine unangenehme Wandlung” ein26), wie Churchill in seinen Erinnerungen schrieb. Die westlichen Alliierten hätten „einen strategischen Rückschlag erlitten.”27) Mit der Ardennenoffensive hatte „uns ein schwerer Schlag” getroffen. Es „brach eine Krise über uns herein.”28) Der Ardennendurchbruch „bereitete … uns keine geringe Besorgnis. Er schob unseren eigenen Vormarsch hinaus, …”29) Am 7. Januar erklärte General Eisenhower den Vereinigten Stabschefs der westlichen Alliierten: „Hinter den gegenwärtigen Operationen scheint eine Art Fanatismus oder ‘deutsche Furie’ zu stehen; und ich bezweifle nicht, daß die Deutschen ihre Kräfte aufs äußerste und entschlossen anspannen, um in kürzester Zeit einen Sieg im Westen zu erringen. Die Schlacht in den Ardennen stellt meiner Ansicht nach nur eine Episode dar, und wir haben Versuche in anderen Gebieten zu erwarten.”30)
Eisenhower verfügte nicht über größere Reserven. Er mußte in Washington zusätzliche Truppenkontingente nach Westeuropa anfordern, die aber erst Anfang bis Mitte Februar eintreffen sollten. In einem Schreiben an die Vereinigten Stabschefs schrieb Eisenhower: „Die angespannte Lage könnte wesentlich erleichtert werden, wenn die Russen eine große Offensive unternähmen…”31) Das war die Situation, die zu dem w.o. genannten Briefwechsel zwischen Churchill und Stalin geführt hatte. Am 14. Januar sandte Eisenhower an den Chef des Generalstabs der sowjetischen Streitkräfte ein Telegramm: „Die wichtige Nachricht, daß die großartige Rote Armee in einem neuen kraftvollen Feldzug vorwärts gestoßen ist, wurde von allen Alliierten Armeen im Westen begeistert aufgenommen. Ich erlaube mir, Ihnen und allen, die diese großartige Offensive leiten sowie daran teilnehmen, meine Gratulation und die besten Wünsche auszusprechen.”32)
Churchill bemerkte vor dem Unterhaus am 18. Januar: „Marschall Stalin ist sehr pünktlich. Er ist lieber zu früh als zu spät in der Zusammenarbeit mit den Alliierten.”33)
Die sowjetischen Offensiven zwangen das OKW, vom 15. bis 31. Januar 8 Divisionen, darunter 4 Panzerdivisionen und 1 Panzergrenadierdivision mit 800 Panzern an die deutsch-sowjetische Front zu verlegen. Die Westfront erhielt nur geringen Ersatz, im Januar 291 Panzer, die deutsch-sowjetische Front 1.328.34)
Die sowjetischen Offensiven hatten das OKW veranlaßt, auf weitere aktive Handlungen an der Westfront zu verzichten.

4. Weichsel – Oder – Operation
Die Vorbereitung auf die Winteroffensive begann im Oktober 1944 mit einer Aussprache im HQ zwischen Stalin, Shukow, Rokossowski, Molotow und Antonow, wobei unter anderem Meinungsverschiedenheiten über Fortsetzung der Offensive nordwestlich von Warschau am Abschnitt Modlin-Warschau zu klären und zu entscheiden waren. Shukow und Rokossowski wiesen darauf hin, daß die vor Warschau stehenden Armeen der 1. und 2. Belorussischen Front nach der langen Offensive und den Kämpfen zur Unterstützung der Aufständischen in Warschau erschöpft waren, sich ausruhen und aufgefüllt werden mußten. Der Gegner hatte seine Verteidigung inzwischen ausgebaut und Reserven herangeführt. Shukow erklärte: „Der Gegner schlägt jetzt unsere Angriffe erfolgreich zurück. Wir aber haben dabei Verluste, die nicht zu rechtfertigen sind”.35)
Rokossowski war der gleichen Meinung.
Stalin argumentierte gegen eine solche von Shukow und Rokossowski vorgeschlagene Atempause: „Ich denke, der Gegner wird die Atempause nicht schlechter nutzen als Sie.” Er fragte, ob eine Unterstützung der angreifenden 47. Armee mit Fliegerkräften und deren Verstärkung durch Panzer und Artillerie nicht erfolgreich sein würde. Das sei schwer zu sagen, meinte Rokossowski, und Shukow wiederholte, „daß diese Offensive uns nichts als Opfer bringen kann.”36)
Letztendlich stimmte Stalin zu, daß die sowjetischen Truppen an diesem Abschnitt „zur Verteidigung übergehen.”37)
Einen Tag später beriet sich Stalin mit Shukow über Leitungsfragen.
Stalin wollte die Leitung der Fronten dem HQ direkt übertragen, die an den Fronten eingesetzten Vertreter des HQ abberufen. Da die Zahl der Fronten zurückgegangen, ihre Gesamtlänge ebenfalls geringer und die Leitung der Fronten einfacher geworden seien, wäre es durchaus möglich, die Fronten direkt aus dem HQ zu leiten, meinte Shukow. Im Zuge der Veränderung der Leitung der Fronten nahm Stalin Umbesetzungen an den Fronten vor.
Shukow sollte als FOB die 1. Belorussische Front übernehmen, die in direkter Richtung Berlin stand und Berlin nehmen sollte. Shukow blieb nach wie vor Stellvertreter des Obersten Befehlshabers, Rokossowski, der bisherige FOB der 1. Belorussischen Front, übernahm die 2. Belorussische Front, an der rechten Flanke der 1. Belorussischen Front. An deren linken Flanke stand die 1. Ukrainische Front unter Konew als FOB. Die drei Fronten bildeten die Hauptstoßkraft in der Berliner Richtung. (Rokossowski mußte wenige Tage nach Beginn der Offensive mit den Hauptkräften seiner Front in Richtung Ostpreußen abschwenken, wie noch zu zeigen sein wird.) Diese drei Fronten wurden vor allem mit Reserven, Waffen und Ausrüstungen aufgefüllt, was zum Teil auf Kosten der Nebenfronten geschah, deren Operationen für den raschen Vormarsch ins Zentrum des faschistischen Deutschlands jedoch nicht unterbewertet werden sollten.
Die Entscheidung Stalins, Shukow als seinen Stellvertreter an die Spitze der 1. Belorussischen Front zu stellen, dürfte vor allem politische Gründe gehabt haben. Ende Oktober 1944 wurden im HQ die abschließenden Operationen des Großen Vaterländischen Krieges beraten.
Der Plan des HQ sah vor, zwischen dem 15. und 20. Januar an den strategischen Schwerpunkten mächtige Offensiven durchzuführen. Die deutsche Gruppierung in Ostpreußen sollte aufgerieben, Ostpreußen genommen werden. Die deutschen Truppen in Polen, der CSR, Ungarn und Österreich sollten zerschlagen werden. Es sollte eine Linie erreicht werden, die von der Weichselmündung über Bydgoszcs – Posen – Breslau – Moravska-Ostrava bis Wien führte.
Die 1. und 2. Baltische Front sollten die starke deutsche Kurlandgruppierung zerschlagen, auf jeden Fall verhindern, daß sie nicht über die Ostsee abgezogen und an anderen Fronten eingesetzt werden konnte. Die Hauptrichtung war Warschau – Berlin, in der die 1. Belorussische Front angreifen sollte.
Berlin befand sich Ende 1944 fast ebensoweit von der sowjetischen wie von der westlichen Front entfernt. Wie bereits in der Schrift „Das Jahr 1943″ vermerkt, wollte Churchill unbedingt „vor den Russen” in Berlin sein.38) Wer Berlin einnahm, war von großer politischer Bedeutung. Es war dies keineswegs nur eine Prestigefrage.
Die Ausarbeitung der Pläne für die Operationen in der Endphase des Krieges erfolgte wie auch die großen Operationen von Stalingrad, Kursk u.a. im Kollektiv. Shukow erwähnt die höchsten Offiziere der operativen Verwaltung des Generalstabs, Antonow, Schtemenko, Gryslow und Lomow, „die sich in allen Etappen der Arbeit der Operativen Verwaltung als hervorragende Kenner der operativen Planung erwiesen” haben.39)
Es wäre geradezu ein Wunder gewesen, wenn es in der Ausarbeitung des Planes, der Verteilung der Tuppen, Ausrüstungen, Nachschub, Flankendeckung etc. keine Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen gegeben hätte. In der Festlegung der Hauptrichtungen und Aufgaben der Fronten war man sich einig, aber der Teufel steckt nun mal im Detail und der Teufel machte da auch in den Beratungen des HQ keine Ausnahme.
Ein ernstes Problem war die große Gruppierung deutscher Truppen in Ostpreußen, die dort über starke Befestigungen in schwer passierbarem Gelände verfügten. Diese Gruppierung konnte beim Vormarsch in der Hauptrichtung nach Berlin die rechte Flanke der sowjetischen Armeen ernsthaft gefährden. Stalin hatte schon im Sommer 1944 den Vorschlag des Generalstabs, die Fronten in der ostpreußischen Richtung zu verstärken, abgelehnt. Das wiederholte sich auch bei der Planung im Januar. Der Oberste Befehlshaber hielt „es nicht für nötig, unserem Vorschlag zur Verstärkung der 2. Belorussischen Front mit noch einer Armee zur Zerschlagung der ostpreußischen Gruppierung zuzustimmen.”40)
Mit dieser Kritik an Stalins Entscheidung ist aber nichts ausgesagt über die Gründe für die Ablehnung dieser Forderung. Eine Erklärung für Stalins Entscheidung findet sich, wenn auch hier auf den Bezug der Kurlandgruppe, in der Bemerkung von Marschall Bagramjan, warum sie die Kurlandgruppe nicht zerschlagen konnten. Dazu wären sehr starke Kräfte und Mittel erforderlich gewesen. „Aber gerade zu dieser Zeit (Januar 1945, UH) benötigte das HQ starke Kräfte für die Vorbereitung des letzten, alles entscheidenden Angriffs in der Westrichtung. Dazu waren … bereits bald nach der Befreiung der lettischen Hauptstadt und noch einmal Ende 1944 beträchtliche Kräfte aus dem Baltikum abgezogen worden.”41)
Die Westrichtung – Berlin – war die Hauptstoßrichtung, militärisch und politisch! Darin ist der Grund zu suchen, warum Stalin den in der ostpreußischen Richtung kämpfenden Armeen keine zusätzliche Verstärkung durch eine Armee zubilligte. Die personellen und materiellen Kräfte der sowjetischen Streitkräfte waren nicht unbegrenzt. Verstärkung einer Front durch eine Armee bedeutete, sie von einer anderen Front abzuziehen oder aus der Reserve des HQ einzusetzen, die dann bei einer prikären Lage an einer Front nicht eingesetzt werden konnte.
Shukow urteilte hier aus der Sicht eines FOB und hatte unter militärischem Gesichtspunkt – Sicherung der rechten Flanke der 1. Belorussischen Front – sicherlich recht, Stalin entschied unter Berücksichtigung der Erfordernisse aller Fronten und unter politischem Aspekt und hatte auch recht. Entscheidungen sind im Kriege eben nie ganz einfach.
Wie bereits w.o. erwähnt, wurde mit Rücksicht auf die schwierige Lage der westlichen Alliierten die Offensive um fünf Tage vorverlegt, wobei die genauen Angriffstermine der Fronten differierten.
Die 1. Ukrainische Front begann am 12. Januar, die 1. und 2. Belorussische Front begannen am 14. Januar.
Die Armeen der 2. Belorussischen Front hatten am 16. Januar die deutsche Frontlinie von Lomza bis zur Narewmündung (nördlich von Warschau, UH) durchbrochen. Am 20. Januar erhielt Rokossowski Befehl vom HQ, die 3. und 48. Armee, die 2. Stoßarmee und die 5. Panzerarmee der 2. Belorussischen Front nach Norden und Nordosten einzuschwenken, um an der Operation gegen die Gruppierung in Ostpreußen teilzunehmen.42)
Damit war eine Bedrohung des rechten Flügels der 1. Belorussischen Front durch die Ostpreußen-Gruppierung erst einmal beseitigt. Nach Rokossowski bewies dieses Einschwenken der genannten Armeen „die Wendigkeit und operative Führung des Hauptquartiers. Als es feststellte, daß die Truppen der 3. Belorussischen Front zurückblieben, korrigierte es sofort den ursprünglichen Plan.”43)
Am 20. Januar überschritt die 3. Armee die polnische Grenze und betrat Ostpreußen, desgleichen die 48. Armee. Ein Kavalleriekorps (natürlich nicht zu Pferde, sondern mit Artillerie und Maschinengewehren.) drang in Allenstein (Olsztyn) ein. Im Stadtgebiet entbrannten erbitterte Kämpfe.
Rokossowski betonte, daß die 2. Belorussische Front an der Weichsel – Oder – Operation, der Hauptstoßrichtung, „eine wichtige Rolle zu spielen hatte”, die jedoch in fast allen Werken über den Großen Vaterländischen Krieg „aus irgendeinem Grunde” verschwiegen wird. Es werde der Eindruck erweckt, als ob die 2. Belorussische Front vom 14. Januar an auf die Zerschlagung der ostpreußischen Gruppierung des Gegners angesetzt gewesen sei. Das stimmt nicht. Die Direktive des HQ und die persönlichen Anweisungen Stalins „zielten auf ein enges Zusammenwirken der 2. und 1. Belorussischen Front ab.”44) Wie Rokossowski ergänzt, schwenkten die Hauptkräfte der 2. Belorussischen Front erst am 20. Januar, also sechs Tage nach Beginn der Offensive, nach Norden ab.
Ein Problem in den Darstellungen scheint darin zu liegen, daß die „Nebenfronten”, in diesem Falle Ostpreußen, gegenüber den Operationen in der Hauptstoßrichtung von den Autoren der Kriegsliteratur nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Ohne die Abriegelung der starken deutschen Kräfte in Ostpreußen und in Kurland wäre der Vormarsch der 1. Belorussischen Front in der Hauptrichtung an die Oder nicht so schnell vorangekommen.
Die Winteroffensiven der sowjetischen Armeen an einer Frontlinie von der Ostsee bis an die Karpaten mit einer Länge von 1.200 Kilometern verlief erfolgreich.
Die Armeen der 1. Belorussischen Front hatten bereits am ersten Tage ihrer Offensive die deutschen Frontlinien durchbrochen. Tippelskirch resümiert: „Am Abend des 15. Januar war von der Nida bis zur Pilica keine zusammenhängende, organische deutsche Front mehr vorhanden. Die noch an der Weichsel bei und südlich Warschau stehenden Teile der 9. Armee waren aufs schwerste bedroht. Reserven waren nicht mehr vorhanden.” Shukow „hatte bei seinem nach Westen gerichteten Stoß kaum mehr Widerstand gefunden und Lodz erreicht…”45)
Am 19. Januar nahm die 1. Belorussische Front Lodz, am 23. Januar Bydgoszcz und am 25. Januar Posen.46)
Am 31. Januar forcierte die 5. Stoßarmee der 1. Belorussischen Front unter Generalleutnant Bersarin die Oder und bildete auf deren Westufer einen Brückenkopf im Raum Kienitz – Groß-Neuendorf – Rehfeld, etwa 70 Kilometer vor Berlin. Bis zum 4. Februar erweiterte die 5. Stoßarmee nach der Abwehr heftiger Gegenangriffe den Brückenkopf, von dem aus der Angriff der Stoßgruppen der 1. Belorussischen Front auf Berlin erfolgte.47)
Die 1. Ukrainische Front unter Konew eröffnete ihre Offensive auf Befehl Stalins aus den genannten Gründen bereits am 12. Januar. Es bestand eine ungünstige Wetterlage, die den Einsatz von Fliegerkräften ausschloß. Konew bemerkt in diesem Zusammenhang, „daß unsere westlichen Verbündeten ihre Pläne und Termine zur Eröffnung der zweiten Front sehr von der Witterung abhängig gemacht haben. Das zeigt sehr deutlich den Unterschied zu unserer Kriegführung. Das Hauptquartier faßte den Entschluß zur Vorverlegung der Operation, ohne auf die meteorologischen Bedingungen Rücksicht zu nehmen.”48)
Die Offensive der Armeen der 1. Ukrainischen Front begann um 05.00 Uhr mit einem gewaltigen zweistündigen Artillerieschlag. Die deutschen Verbände erlitten hohe Verluste. Obwohl die deutsche Armeeführung „im großen und ganzen richtig” gehandelt habe, indem „sie sich entschloß, alle noch erhaltenen Kräfte zurückzunehmen”, konnte sie „nur einen geringen Teil der Truppen retten…”49)
Das Gelände, das unter dem Artillerieschlag lag, „war buchstäblich umgepflügt, …Alles war eingestürzt, verschüttet und das Oberste zu unterst gekehrt… Hier hatten … 250 bis 280, stellenweise sogar 300 Geschütze je Frontkilometer den Gegner eingedeckt.”50)
Tippelskirch beschrieb den ersten Tag der Offensive der 1. Ukrainischen Front: „Am 12. Januar brachen sie (die Armeen der 1.Ukrainischen Front, UH) aus dem großen Brückenkopf Sandomierz-Baranow nach einer gewaltigen, fünfstündigen Artillerievorbereitung in die Front der 4. Panzerarmee ein. Der Stoß hatte eine derartige Wucht, daß nicht nur die Stellungsdivisionen überrannt, sondern auch die hinter der Front stehenden, relativ starken beweglichen Reserven, die auf Hitlers ausdrücklichen Befehl ganz dicht herangehalten waren, bereits durch das russische Vorbereitungsfeuer gefaßt und in den nachfolgenden Strudel hineingerissen wurden, so daß sie zu keinem planmäßigen Einsatz kamen. Die tiefen Einbrüche in die deutsche Front waren so zahlreich, daß es unmöglich war, sie zu beseitigen oder nur abzuriegeln. Die Russen führten durch die geschlagenen Lücken sofort ihre operativen Panzerverbände hindurch, die mit der Masse nach Westen auf die Nida vorstießen, mit ihrem Nordflügel auf Kielce eindrehten.”51)
Am 15. Januar nahmen die Truppen Konews Kielce. Bis zum 17. Januar hatten sie die deutsche Verteidigung in einer Tiefe von 120 – 140 Kilometer durchbrochen.52)
Am 19. Januar befreiten die sowjetischen Armeen Krakau, wobei sie taktisch so vorgingen, daß die historischen Bauwerke der alten polnischen Königsstadt nicht ernsthaft beschädigt wurden. Am 20. Januar bildeten die sowjetischen Armeen einen Brückenkopf auf dem linken Ufer der Oder in der Nähe von Oppeln. Am 23. Januar standen sie vor dem oberschlesischen Industriegebiet, von Stalin in einem Gespräch mit Konew bei der Ausarbeitung des Planes mit einem Wort kurz als „Gold” bezeichnet.53) Dieses „Gold” sollte nach dem Krieg an Polen abgetreten werden. Es ging also auch hier darum, dieses Industriegebiet in einem möglichst gut erhaltenen Zustand einzunehmen. Im oberschlesischen Industriegebiet standen etwa 100.000 Mann starke deutsche Streitkräfte, die gut bewaffnet waren. Konew stand vor der Frage, das Gebiet einschließen, im Sturm nehmen, die deutschen Truppen zerschlagen – oder? – dem Gegner einen Korridor zum Abzug seiner Truppen offen lassen. Die erste Variante hätte auch zu hohen Verlusten der sowjetischen Truppen und zu großen Zerstörungen geführt. „In den vier Kriegsjahren hatten wir ohnehin schon genug Menschen verloren”, meinte Konew.54) Seine Entscheidung für die zweite Variante, dem Gegner den Abzug zu ermöglichen, sei ihm nicht leicht gefallen. Aber: „Die Praxis bestätigte die Richtigkeit meines Entschlusses.”55) Konjew faßte die Ergebnisse der Offensive der 1. Ukrainischen Front zusammen: „Die Truppen der 1. Ukrainischen Front säuberten im Verlauf der Operation Südpolen mit seiner alten Hauptstadt Krakow vom Gegner, besetzten das schlesische Industriegebiet und schufen durch die Bildung operativer Brückenköpfe am Westufer der Oder günstige Voraussetzungen für anschließende Stöße in Richtung Berlin und Dresden.
In den dreiundzwanzigtägigen Kampfhandlungen schlug die 1. Ukrainische Front eigenen Berechnungen nach 21 Infanterie- und 5 Panzerdivisionen, 27 selbständige Infanterie-, 9 Artillerie- und Granatwerferbrigaden sowie eine Vielzahl verschiedener Spezialeinheiten und selbständiger Bataillone. Dabei machten wir 43.000 Gefangene; über 150.000 Soldaten und Offiziere fanden den Tod. Unter der Kriegsbeute befanden sich über 5.000 Geschütze und Granatwerfer, 300 Panzer, 200 Flugzeuge sowie eine große Menge technischer Kampfmittel und andere Ausrüstungsstücke.”56)

5. Ostpreußen – Kurland
Auf die Bedeutungen der „Nebenrichtungen” wurde bereits w.o. hingewiesen. Im Januar führten die Armeen der 3. Belorussischen Front (FOB Armeegeneral Tschernjachowski) und der 1. Baltischen Front (FOB Marschall Bagramjan) heftige und verlustreiche Kämpfe im Norden gegen die deutsche „Heeresgruppe Kurland”57) und die starke deutsche Gruppierung in Ostpreußen. Die Mannschaftsstärke der Kurlandgruppe betrug etwa 300.000 Mann und war stark bewaffnet mit Panzern, Artillerie und Flugzeugen.58)
Die 3. Belorussische Front sollte die deutschen Truppen bei Tilsit und Insterburg zerschlagen und dann weiter auf Königsberg vorrücken.
Die 1. Baltische Front sollte den Abzug der Kurlandgruppe verhindern, damit sie nicht an anderen Fronten eingesetzt werden konnte. Generaloberst Guderian, Chef des Oberkommandos des Heeres (OKH) hatte eine solche Absicht, die auf Befehl Hitlers nicht durchgeführt werden durfte.58a)
„Die an die Marine gestellten Aufgaben”, schrieb Großadmiral Dönitz, „abgeschnittene Teile der deutschen Heeresfront über See mit Personal und Material zu versorgen oder sie abzutransportieren, nahmen mit Vordringen der russischen Front ständig zu…”
Bei diesen Seetransporten spielte die Versorgung … „der Kurlandarmee eine besondere Rolle.”58b)
Ob ein Abzug der Kurlandgruppe gelungen wäre, bleibt dabei offen. Bagramjan hätte da wohl nicht ruhig zugesehen.
Am 22. Januar gelang es der 3. Belorussischen Front, nach Königsberg durchzubrechen, die 2. Belorussische Front (Rokossowski) erreichte östlich von Elbing die Ostsee.59)
Am 27. Januar begann der Angriff der Armeen der 1. Baltischen Front auf Memel, am 28. Januar war die Stadt eingenommen. Anschließend setzte die 1. Baltische Front ihre Angriffe Richtung Liepaja fort. Die deutsche Ostpreußengruppe war von der Kurlandgruppe getrennt.
Beim Kampf um Memel hatte die Kurlandgruppe allein etwa 5.000 Soldaten und Offiziere an Toten, 40 Panzer, 70 Geschütze, 188 Granatwerfer, über 180 Maschinengewehre und anderes Gerät verloren.60)
Bagramjan wie auch das HQ glaubten, daß die Heeresgruppe Kurland von den Hauptkräften der Wehrmacht völlig isoliert gewesen sei, was sich als Irrtum erwies. Im Unterschied zur 6. Armee von Paulus in Stalingrad, die sich in einem „eisernen Ring” befunden habe, war die Kurlandgruppe „von drei Seiten durch die See” geschützt. Die Kurlandgruppe konnte „alle Kräfte auf einen nur 200 Kilometer breiten Verteidigungsabschnitt” einsetzen, wobei die operative Dichte mit nur 6 Kilometer je Division außerordentlich hoch war. „Auf diese Weise konnte der Gegner die Verteidigung tief staffeln und gründlich ausbauen. Seine zweiten und in den wichtigsten Richtungen auch dritten Staffeln und starken Reserven waren in der Lage, wuchtige Gegenangriffe zu führen.
Die Ostsee war die Tür, durch die die Truppen bis Kriegsende alles für ihren Einsatz Notwendige erhielten.” Von Oktober bis Dezember 1944 erhielt die Kurlandgruppe über See etwa 3.570.000 Bruttoregistertonnen an Nachschub. Der Kurlandgruppe fehlte es weder an Munition, noch an Treibstoff und Lebensmitteln. Die Baltische Rotbannerflotte verfügte nicht über die Kräfte, um die Kurlandgruppe von See aus zu blockieren.61)
Bei Kämpfen an der Küste ließ das Oberkommando in der Regel starke und gut vorbereitete Landungskräfte gleichzeitig von See her angreifen. So bei der Befreiung der Krim von Novorossisk aus.
Das HQ hatte beabsichtigt, durch den Irben-Sund im Rücken der Kurlandgruppierung Seelandungskräfte anzulanden, aber die Baltische Flotte war auf derartige Operationen nicht vorbereitet, wie Bagramjan schrieb.62) Eine solche Landung ließ das Kräfteverhältnis auf der Ostsee zu dieser Zeit nicht zu.
Anfang 1945 bestand die Baltische Rotbannerflotte aus einem Schlachtschiff, zwei Kreuzern, 12 Zerstörern, 28 U-Booten (davon 20 einsatzfähig) 78 Torpedoschnellbooten, 5 Küstenschutzschiffen, 73 Räumschiffen, 220 kleinen U-Jägern und Küstenschutzbooten 204 Räum- und 47 Panzerbooten. Das scheint eine große Seestreitmacht gewesen zu sein. Die Mehrheit der U-Jäger, Räumboote, Küstenschutzboote waren umgebaute Fischtrawler und -kutter.63) Die Fliegerkräfte der Baltischen Flotte waren mit 781 Kampfflugzeugen stärker, die Landungsoperationen zwar unterstützen, aber die Landungsschiffe nicht ersetzen können.
Auf Grund starker Zerstörungen der befreiten Flottenbasen und -stützpunkte sowie der Minenlage im Finnischen Meerbusen blieben die großen Überwasserschiffe in Kronstadt und Leningrad und nahmen nicht an Kampfhandlungen teil. Den Hauptanteil am Seekrieg in der Ostsee 1945 leisteten die Torpedoschnellboote (TSB), die U-Boote und Seefliegerkräfte. „Auf Grund der großen Entfernungen der Basen ihrer Schiffs- und Fliegerkräfte, der beschränkten Anzahl an Untersee- und Torpedoschnellbooten sowie der Unmöglichkeit, ihre großen Überwassereinheiten einzusetzen, vermochte die Baltische Flotte die Kurlandgruppierung und die anderen isolierten Gruppierungen des Gegners nicht völlig zu blockieren und dessen Seeverbindungen in der Ostsee zu unterbrechen.64)
Die deutsche Kriegsmarine verfügte in der Ostsee über überlegene Kräfte: zwei alte Linienschiffe, die „Schlesien” und „Schleswig-Holstein”, die mit moderner Artillerie und Flak umgerüstet waren, vier schwere und vier leichte Kreuzer, darunter „Prinz Eugen”, „Admiral Scheer”, „Lützow”, „Admiral Hipper”, „Leipzig”, (Diese Großkampfschiffe waren nicht immer zur gleichen Zeit im Einsatz, UH) über 200 U-Boote, die allerdings nicht alle frontfähig waren, über 30 Zerstörer und Torpedoboote, 70 Schnellboote, 64 Räumboote, etwa 200 Landungsboote und über 300 Vorposten-, Sicherungsschiffe und Räumboote, letztere ebenfalls in der Mehrheit umgebaute Fischdampfer und Kutter.65) Unter einem solchen Kräfteverhältnis wäre der Versuch einer Anlandung von Truppen im Rücken der Kurlandarmee ein verlustreiches Unternehmen mit sehr unsicheren Erfolgsaussichten gewesen.

6. Karpaten
Die Hauptkräfte der 4. Ukrainischen Front, FOB General Jeremenko, nahmen am linken Flügel der 1. Ukrainischen Front an deren Offensive Richtung Krakow vom 12. Januar teil, begannen mit ihren Kampfhandlungen allerdings erst am 15. Januar. Am Morgen des 16. Januar nahmen Truppen der 38. Armee, AOB General Moskalenko, den Verkehrsknotenpunkt Jaslo ein. Auch die anderen Armeen der 4. Ukrainischen Front hatten hartnäckigen Widerstand der deutschen Truppen in schweren Kämpfen zu brechen, wenn auch, wie Moskalenko mehrfach erwähnte, die Moral der ihm gegenüberstehenden deutschen Soldaten bereits erschüttert gewesen sei. Die 38. Armee hatte bis zum 29. Januar innerhalb von 15 Tagen „im Zusammenwirken mit dem linken Flügel der 1. Ukrainischen Front die Verteidigung des Gegners durchbrochen, den Angriff längs des Nordausläufers der Karpaten entwickelt, aus der Bewegung sieben Flüsse – die Wisloka, Ropa, Biala, den Dunajec, die Raba, Skawa und Sola – forciert und war dem Gegner an seinen frühzeitig vorbereiteten Verteidigungsstellungen zuvorgekommen. Wir waren 205 Kilometer nach Westen vorgestoßen und hatten den Raum Bielsko-Biala erreicht.”66)
„Nebenfronten” hatten also einen bedeutenden Anteil an den Erfolgen der sowjetischen Armeen in der Hauptrichtung. Die Kämpfe an den Nebenfronten waren nicht weniger schwer als in der Hauptrichtung.
Nachdem die 4. Ukrainische Front den Raum Bielsko-Biala erreicht hatte, war ihr Beitrag an der Weichsel-Oder-Operation abgeschlossen und das HQ stellte ihr eine neue Aufgabe: in Richtung Moravska-Ostrava anzugreifen, eines der größten Industriegebiete der CSR zu befreien und damit der Rüstungsproduktion der Faschisten neue, empfindliche Ausfälle zuzufügen. Auch eine „Nebenrichtung”?
Die Ergebnisse der Weichsel – Oder – Operation faßte Konew zusammen: „… die 1. Belorussische und 1. Ukrainische Front” drangen „unter aktiver Mitwirkung der 2. Belorussischen und 4. Ukrainischen Front in 23 Tagen etwa 600 Kilometer in die Tiefe vor, erweiterten den Durchbruch auf 1.000 Kilometer, überwanden aus der Bewegung die Oder und bildeten eine Reihe von Brückenköpfen. So stand die 1. Belorussische Front im Küstriner Brückenkopf jetzt 60 Kilometer vor Berlin.”67)
Die Führung der Fronten direkt durch das HQ hatte sich bewährt.
In den erbitterten Schlachten des Durchbruchs fanden auch neue Methoden in der sowjetischen Kriegsführung Anwendung. Das betraf die Einführung von Panzerverbänden in den Durchbruch sowie Fragen der „doppelten” Front, einer „inneren”, in Gestalt von in Kesseln eingeschlossenen gegnerischen Truppen, und einer „äußeren”, die Frontlinie des Gegners im Angriffsstreifen.
Natürlich gab es um die Einführung neuer Methoden auch Diskussionen zwischen den Generalen. Operationen im Kriege betreffen nunmal immer Menschenleben. Kein General, schon gar nicht ein Oberbefehlshaber, werden es sich in der Entscheidung über die Erfolge neuer Methoden leicht machen, von bisher bewährten Methoden zu neuen überzugehen. So war, wie Konew schrieb, im HQ die Meinung über die Einführung von Panzerverbänden vom ersten Tage des Durchbruchs an „schwankend” gewesen. Nach Auffassung des HQ – Konew nennt Stalin nicht direkt – sollten die Panzerverbände nicht im Kampf um die vorderste Linie, gegen den Hauptverteidigungsstreifen des Gegners eingesetzt werden, um die Panzer nicht „hohen Verlusten” auszusetzen. Konew meinte, diese Methode des „Durchbeißens” der Infanterie durch die Verteidigung des Gegners stamme noch aus dem ersten Weltkrieg. In der zweiten Hälfte des Großen Vaterländischen Krieges hätten die sowjetischen Truppen jedoch „alle Möglichkeiten”, leistungsfähige Panzer und ausgezeichnete SFL vom ersten Tage an in den Durchbruch des Hauptverteidigungsstreifen vorrücken zu lassen, wie sie es in der Weichsel – Oder – Operation auch mit Erfolg getan hatten.68)
Eine Besonderheit der Weichsel – Oder – Operation bestand darin, eingeschlossene gegnerische Gruppierungen, selbst wenn es sich um „bedeutende Kräfte” handelte, nicht erst zu liquidieren, damit sie nicht im Rücken der vorrückenden Truppen angreifen konnten, sondern weiter vorzurücken und den Kessel der zweiten Staffel zu überlassen. Solche eingeschlossenen gegnerischen Verbände könnten nicht mehr gefährlich werden.
Eine Ausnahme machte Konew, wenn es sich bei den eingeschlossenen Truppen um „bewegliche Panzer- und motorisierte Truppen” handelte; die „wandernde(n) Kessel im Hinterland” konnten durchaus noch gefährlich werden. Wer diese „wandernden Kessel” nun zerschlagen sollte, ließ Konew offen.69)
Förster und Lakowski bestätigten die Wirksamkeit dieser Taktik: „Weit hinter den sowjetischen Vorausabteilungen suchten zwei deutsche Kampfgruppen, die Reste zweier Panzerkorps, denen sich abgesplitterte Kräfte verschiedener Truppenteile angeschlossen hatten, das rettende Westufer der Oder zu erreichen, was ihnen Ende Januar/Anfang Februar gelang, allerdings unter beträchtlichen Verlusten. Von der 9. Armee und der 4. Panzerarmee konnten sich nur einige Divisionen und Truppenteile der völligen Vernichtung entziehen. Ende Januar/Anfang Februar trafen sie zersplittert, dezimiert und abgekämpft an der Oder ein. Die Wehrmacht verlor zwischen Weichsel und Oder rund 400.000 Mann.”69a)
„Rezepte” gibt es im Krieg ohnehin nicht. Die deutschen Verbände in Kurland und Ostpreußen – wenn auch keine „Kessel” – konnten im Rücken der sowjetischen Armeen durchaus noch gefährlich werden. Zumindest banden sie noch starke sowjetische Armeen, die nicht an den Hauptfronten eingesetzt werden konnten, um den Krieg schneller zu beenden und Menschenleben dadurch zu erhalten.
Insgesamt waren die Kräfte der Sowjetarmeen in den Hauptrichtungen denen der faschistischen deutschen Wehrmacht überlegen. Das traf aber nicht an jedem Abschnitt der Fronten zu. Die Kräfteverhältnisse an den „Nebenfronten” waren für die sowjetischen Truppen nicht immer zu ihren Gunsten. Moskalenko berichtet darüber, daß an einem Abschnitt der 38. Armee an der Karpatenfront das personelle Kräfteverhältnis 1 : 0,55 zugunsten des Gegners bestand.70) Moskalenko wandte eine Methode an, die „schon seit den Kriegen der alten Griechen bekannt” war, nämlich die Konzentration der zur Verfügung stehenden Truppen an einem bestimmten Flügel des Gegners, um an diesem einen Abschnitt eine Kräfteüberlegenheit herzustellen, die den Sieg bewirkten. Dabei berief sich Moskalenko auf den thebanischen Feldherrn Epaminondas, der die zahlenmäßig überlegenen Spartaner in der Schlacht bei Leukra (371 v.u.Z.) und ein zweites Mal bei Mantineia (362 v.u.Z.) mit dieser Methode schlug.
Moskalenko zitiert Friedrich Engels, den ersten marxistischen Militärtheoretiker, der über die Schlacht bei Leukra schrieb: „Espaminondas erkannte als erster das große taktische Prinzip, das bis zum heutigen Tag fast alle regelrechten Schlachten entscheidet: die ungleichmäßige Verteilung der Truppen auf der Frontlinie, um den Hauptangriff auf einen entscheidenden Punkt zu konzentrieren.”71)
Diese Methode war also nicht neu, aber ihre Kenntnis und Anwendung zeugen von dem hohen theoretischen Niveau der sowjetischen Generale, deren Kenntnisse der Kriegsgeschichte. Neu waren jedoch die Bedingungen, unter denen sie Anwendung fand, die sich ja wohl von denen, unter denen sie Epaminondas als erster angewandt hatte, etwas unterschieden. So schrieb denn auch Moskalenko: „In den Jahren des Großen Vaterländischen Krieges, als Millionen von Menschen mit leistungsstarker Technik und Bewaffnung an den Kampfhandlungen beteiligt waren, wurde das Problem der Kräftekonzentrierung unermeßlich schwieriger; dieses Prinzip bekam einen neuen Inhalt. Unser Oberkommando hat es bei Front- und Armeeoperationen sehr oft angewendet und damit immer großartige Erfolge erzielt. Ganz deutlich wurde dies bei der Schlacht bei Stalingrad, wo die Rote Armee beim Gleichstand der Kräfte die deutsche Gruppierung einschloß und liquidierte.
Die Konzentrierung der Kräfte haben unsere Truppen fast in allen folgenden Operationen erfolgreich praktiziert, ohne daß es dem faschistischen Oberkommando jemals gelang, dem irgend etwas Wirksames entgegenzusetzen. Im Laufe der Zeit ging unser Oberkommando immer selbstbewußter daran, einige Abschnitte zu schwächen, um dafür an anderen Truppen zu massieren. Obgleich dabei immer die Gefahr bestand, daß der Gegner zuerst, und zwar am geschwächten Frontabschnitt, zustieß, war er nicht ein einzigesmal dazu in der Lage, denn in den meisten Fällen konzentrierten unsere Kommandeure die Truppen sachkundig, gedeckt und im letzten Moment, nachdem der Gegner durch Scheinmaßnahmen getäuscht war.
Die Generalität Hitlers, die eine Niederlage nach der anderen erlitt, wollte nicht zugeben, daß ihre Mißerfolge in der wachsenden Kunst unserer Heerführer, im militärischen Können unserer Soldaten begründet waren. Zu ihrer Rechtfertigung beriefen sich die Nazigenerale neben anderen Gründen auf das vielfache Kräfteübergewicht der Roten Armee, das tatsächlich in den Hauptstoßrichtungen entscheidend und durch sachkundige Kräftekonzentrierung geschaffen worden war.”72)
Letzteres ist der Grund, warum die kriegstheoretischen Ausführungen Moskalenkos ausführlich dokumentiert wurden.
Die Soldaten der sowjetischen Armeen hatten mit dem erfolgreichen Abschluß der Weichsel – Oder – Operation eine starke militärpolitische Position für die Verhandlungen Stalins auf der Krimkonferenz mit den Obersten Befehlshabern der Verbündeten geschaffen, die er auch auszunutzen verstand.

7. Malta
Churchill und Roosevelt bereiteten sich in der Konferenz auf Malta (30. Januar bis 2. Februar 1945) auf das Treffen mit Stalin in Jalta vor. Die Grundeinstellung Churchills über das weitere militärische Vorgehen der angloamerikanischen Truppen brachte er Roosevelt gegenüber mit der Bemerkung zum Ausdruck, daß sie „unbedingt in der Lage sein” müssten, „eine deutsche Kapitulation in Italien augenblicklich auszunützen, um … einen möglichst großen Teil Österreichs zu besetzen, ‘DA ES NICHT WÜNSCHENSWERT IST; DIE RUSSEN TIEFER ALS UNBEDINGT NÖTIG IN MITTELEUROPA EINDRINGEN ZU LASSEN.’”73)
In Churchills Denken und Handeln hatte der Kampf gegen die Sowjetunion bereits Priorität gegenüber dem Krieg gegen die deutschen Faschisten in der Endphase des Krieges gewonnen. Daraus machte er in seinem Memoiren-Werk „Der Zweite Weltkrieg” auch keinen Hehl, wobei er vor Entstellungen und Unterstellungen der sowjetischen Kriegs- und Nachkriegspolitik nicht zurückschreckte.74)
Auf der Maltakonferenz kam es dann auch zu Auseinandersetzungen über die Hauptstoßrichtung der angloamerikanischen Streitkräfte. Eisenhowers Plan zielte in Richtung Mitteldeutschland, Kassel – Leipzig – Dresden, während Churchill im Norden, Richtung Berlin angreifen wollte. Er hatte dies wiederholt gefordert, so Ende März auch noch nach der Krimkonferenz in einem Brief an Roosevelt, in dem er unter Fettdruck betonte: „Es ist daher meine Meinung, daß wir vom politischen Standpunkt aus so weit wie möglich nach dem Osten Deutschlands marschieren und Berlin unbedingt nehmen müssen, sollte es in unserem Zugriff liegen.”75)
Noch im Nachhinein kritisierte er die US-Administration, „daß damals vor allem Washington mehr Weitsicht hätte an den Tag legen müssen.”76)
Churchill bedauerte, daß er seine haßerfüllte, antisowjetische Strategie gegen Eisenhower und Roosevelt nicht durchsetzen konnte. „Obschon immer noch mächtig, vermochte Großbritannien allein doch nicht ausschlagbebend zu handeln.”77)
Die Frage ist spekulativ: Wie wäre der Geschichtsprozeß dann wohl verlaufen, wenn Churchill sich gegenüber Roosevelt hätte durchsetzen können?
Die strategischen Ziele der „Großen Drei” waren klar, bevor sie zu „freundschaftlichen” Gesprächen im Liwadija-Palast in Jalta am 4. Februar zur ersten Sitzung zusammenkamen.

8. Jalta
Man könnte fragen, was hat die Krimkonferenz – wie auch die Konferenzen von Teheran und Potsdam – mit Militärtheorie und -politik zu tun? Sind die Konferenzen nicht Gegenstand der Geschichte der Diplomatie? Das sind sie unzweifelhaft, aber nicht nur. Wenn der Krieg Fortsetzung der Politik/Diplomatie mit anderen, gewaltsamen, Mitteln ist, dann ist umgekehrt die Politik/Diplomatie auch Fortsetzung des Krieges mit anderen, nicht gewaltsamen, Mitteln. Was im Krieg von den Siegern erreicht wurde, soll politisch gefestigt, und was nicht erreicht werden konnte, sollte nachträglich gewonnen werden. Die Konferenzen sind in diesem Sinne diplomatische Reflektion des Krieges. Sie konnten einen langfristigen Frieden bringen – oder auch Vorbereitung neuer Kriege sein. Insofern sind die Konferenzen auch Gegenstand der Militärtheorie und -geschichte.
Auf den Konferenzen kollidierten die entgegengesetzten Klasseninteressen zwischen der sozialistischen Sowjetunion und den beiden imperialistischen Mächten bei noch übgergreifenden gemeinsamen Interessen an der Niederwerfung des faschistischen Deutschlands. Die endgültige Niederlage Deutschlands war nur noch eine Frage von Monaten. Kaum noch verhüllt durch die diplomatische Sprache und Höflichkeit wurden die Klasseninteressen auf der Krimkonferenz schärfer deutlich als auf der Konferenz in Teheran. Der militärpolitsche Aspekt verschwand nicht aus den Konferenzberatungen; er bezog sich jedoch zunehmend auf die Nachkriegszeit.

Eröffnung
Auf Bitte Stalins eröffnete Roosevelt die Konferenz mit den Worten, daß die „Führer der drei Mächte” sich bereits gut verstünden und „das Verständnis zwischen ihnen wachse.”78)
Ob diese freundliche Bemerkung ironisch gemeint war oder nicht, spielt hier keine Rolle.
Nach einem zusammenfassenden Bericht Armeegeneral Antonows über die Erfolge der Weichsel – Oder – Operation stellte Churchill, offenbar äußerst besorgt um das Wohl der sowjetischen Truppen, unter anderem die Frage, was „getan werden” müsse, um eine Verlegung von acht deutschen Divisionen von Italien an die sowjetische Front zu verhindern. Er hatte auch gleich einen entsprechenden Vorschlag: „Vielleicht sollte man einen Teil der alliierten Truppen (aus Italien, UH) abziehen und über die Straße nach Ljubijana werfen, damit sie sich mit der Roten Armee vereinigten?”79)
Ein Blick auf die Karte genügt, um zu fragen, warum Churchill denn nicht gleich Wien gesagt hat.
Es gehört nicht viel dazu, hinter den „Besorgnissen” Churchills um „Entlastung” der Roten Armee dessen wirkliches Ziel zu erkennen. Im Januar, kurz vor der Konferenz, erhielt Elliot Roosevelt, der seinen Vater auf den Konferenzen begleitete, von Henry Hopkins die Information über Churchills „Invasionsplan vom Süden her, …” als „letzten Versuch, alliierte Soldaten vor den Russen in den Balkan zu schmuggeln…”80)
Nach Austausch der Ergebnisse der sowjetischen Winteroffensive und den Ergebnissen der Abwehr der Ardennenoffensive im Westen erklärte Stalin, daß die Sowjetunion nach den Beschlüssen der Teheraner Konferenz „nicht verpflichtet gewesen” sei, „die Winteroffensive zu unternehmen.
Der Präsident habe ihn gefragt, ob er, Stalin, einen Vertreter General Eisenhowers empfangen könne. Er, Stalin, habe natürlich ja gesagt. Churchill habe ihm eine Botschaft geschickt, in der gefragt wurde, ob er, Stalin, die Absicht habe, im Laufe des Januars zur Offensive überzugehen. Er, Stalin, habe verstanden, daß weder Churchill noch Roosevelt ihn direkt um eine Offensive ersuchten. Er schätze dieses Feingefühl der Alliierten, doch habe er erkannt, daß eine solche Offensive für die Alliierten notwendig sei. Das Sowjetkommando habe die Offensive begonnen, sogar vor dem festgesetzten Termin. Die Sowjetregierung habe das als ihre Pflicht, als Pflicht des Verbündeten, aufgefaßt, obwohl sie keine formellen Pflichten in dieser Hinsicht hatte. Er, Stalin, möchte, daß die Führer der alliierten Mächte wissen, daß die sowjetischen Führer nicht nur ihre Pflichten erfüllen, sondern auch bereit seien, ihrer moralischen Pflicht nach Möglichkeit nachzukommen. Nach den Wünschen habe er deshalb gefragt, weil Tedder den Wunsch geäußert hatte, die sowjetischen Truppen sollten ihre Offensive bis Ende März nicht abbrechen. Er, Stalin, habe das so aufgefaßt, daß dies vielleicht nicht nur der Wunsch Tedders, sondern auch anderer Militärführer der Alliierten sei. Wir, sagt Stalin, werden unsere Offensive fortsetzen, wenn das Wetter und der Zustand der Straßen es gestatten.81)
Zwei nebenbei gemachten Äußerungen am Ende des 1. Konferenztages sollten beachtet werden. Bezüglich der Zukunft Deutschlands meinte Churchill, „falls dieses überhaupt eine Zukunft haben wird.” Stalin antwortete lakonisch: „Deutschland wird eine Zukunft haben.”82)
Ging es in der ersten Sitzung um eine Art „Bestandsaufnahme” über die Lage an den Fronten, Austausch von Erfahrungen aus den bisherigen Kämpfen, ging es auf den folgenden Sitzungen, insgesamt dreizehn, um Fragen der Nachkriegsordnung, die zumeist unter einem bestimmten Thema diskutiert und, soweit eine Einigung erzielt werden konnte, entschieden wurden.
Zur Deutschlandfrage. 2. und 6. Sitzung, 5. und 9. Februar
Sollte Deutschland aufgeteilt werden? Diese Frage ist nicht zu verwechseln mit der Bildung von Besatzungszonen der Alliierten. Roosevelt meinte allerdings, daß diese Zonen vielleicht „der erste Schritt zur Aufteilung Deutschlands sein” könnten.83)
Die Frage der Aufteilung wurde ausführlich diskutiert, aber nicht entschieden. Churchill befürwortete seinen alten Plan der Schaffung eines „neuen großen deutschen Staates im Süden, dessen Hauptstadt Wien sein könnte, eine Wasserscheide zwischen Preußen und dem übrigen Deutschland sichern würde.” Eine weitere Frage für ihn sei, ob Preußen „noch weiter aufgeteilt werden sollte.”84) Roosevelt sah „unter den heutigen Verhältnissen keinen anderen Ausweg als die Aufteilung…”85) Stalin erklärte, daß die Frage „im Prinzip” entschieden und „im Rahmen der bedingungslosen Kapitulation fixiert werden” müsse86), äußerte sich jedoch nicht konkret, nicht bindend, dazu. Die Frage der Aufteilung sollte nicht in den Text der Kapitulationsurkunde aufgenommen werden. Stalin ließ die Entscheidung der Sowjetregierung bezüglich der Aufteilung offen. Im Kommunique über die Konferenz hieß es dann auch, daß sie „übereingekommen” seien, die „Bestimmungen der bedingungslosen Kapitulation” erst nach der „endgültigen Niederwerfung Deutschlands” bekanntzugeben.86a)
Bezüglich der Besatzungszonen hieß es, daß „die Streitkräfte der drei Mächte je eine Zone Deutschlands besetzen.” Wichtig ist die Festlegung, daß der Plan der drei Mächte eine „koordinierte Verwaltung und Kontrolle durch eine Zentralkontrollkommission mit Sitz in Berlin” vorsah, die „aus den Oberbefehlshabern der drei Mächte bestehen” sollte.86b) Frankreich sollte eingeladen werden, eine Besatzungszone zu übernehmen und als viertes Mitglied an der Kontrollkommission teilnehmen.86c) Im Abschlußkommunique wurde unmißverständlich gesagt: Es sei „der unbeugsame Wille” der drei Mächte, „den deutschen Militarismus und Nazismus zu vernichten und dafür Sorge zu tragen, daß Deutschland nie wieder imstande ist, den Weltfrieden zu stören…” Es sei nicht ihre Absicht, „das deutsche Volk zu vernichten. Nur dann, wenn der Nazismus und Militarismus ausgerottet sind, wird für das deutsche Volk Hoffnung auf ein würdiges Leben und einen Platz in der Völkergemeinschaft bestehen.”86d)
Reparationen
Zur Frage der Reparationen hatte die Sowjetregierung einen Plan ausgearbeitet, dessen Prinzipien Maiski87) auf der Konferenz vortrug. Die Reparationen sollten in Deutschland nicht in Form von Geld erhoben werden, wie nach dem ersten Weltkrieg, sondern in Sachleistungen in zwei Formen: einmal in Form einmaliger Leistungen aus dem Nationalvermögen Deutschlands (Fabriken, Werke, Maschinen, Schiffe, rollendes Eisenbahnmaterial, Anlagen in ausländischen Betrieben usw.) und zum andren in jährlichen Warenlieferungen. 80 Prozent der Entnahmen sollten aus der Schwerindustrie Deutschlands entnommen werden (Hüttenwesen, Maschinenbau, Metallbearbeitung, Elektrotechnik, Chemie usw.) Bei Flugzeugbau und Produktion synthetischen Treibstoffs sei eine hundertprozentige Entnahme vorgesehen, desgleichen bei spezialisierten Rüstungsbetrieben (Waffenwerken, Munitionsfabriken, u.a.)
Die in Deutschland verbleibenden 20 Prozent der Vorkriegsindustrie wurde als ausreichend für die Deckung des inneren Bedarfs betrachtet. Die Reparationsleistungen seien auf eine Dauer von zehn Jahren festzulegen. Eine strenge englisch – sowjetisch – amerikanische Kontrolle über die Wirtschaft Deutschlands sei vorgesehen. Diese Kontrolle sei auch nach Ablauf der Frist der Reparationsleistungen weiter beizubehalten.
Da die zu erhebenden Reparationsleistungen die von der deutschen Aggression angerichteten Schäden – deren Berechnungen hätten astronomische Zahlen ergeben – nicht beseitigen können, sollte eine gewisse Reihenfolge der Schadenersatzerhebung zwischen den Ländern festgelegt werden, die ein Anrecht auf Reparationen haben, nach zwei Kriterien, einmal nach der Größe des Beitrages des jeweiligen Landes zum Sieg über den Feind, zum anderen nach der Größe der direkten materiellen Verluste. Die UdSSR halte es für gerecht, Reparationsleistungen in Höhe von 10 Milliarden $ zu erhalten. Dies sei ein sehr geringer Teil der erlittenen materiellen Direktverluste der UdSSR.
Eine besondere Reparationskommission sollte aus Vertretern der drei Mächte mit Sitz in Moskau gebildet werden.88)
Churchill bezweifelte nicht den Anspruch der Sowjetunion auf Reparationen, jedoch den Erfolg, „eine solche Anzahl von Werten” aus einem zerstörten Deutschland zu erhalten. Es erhebe sich das „Gespenst eines hungernden Deutschlands mit seinen 80 Millionen Einwohnern … vor seinen Augen.” Wer würde sie ernähren, wer dafür bezahlen. Würde es nicht dazu kommen, „daß die Alliierten zumindest einen Teil der Reparationen aus eigener Tasche würden aufbringen müssen?”89)
In den Diskussionen spielten die unterschiedlichen Erfahrungen mit den Reparationsforderungen an Deutschland nach dem ersten Weltkrieg eine Rolle. Roosevelt erklärte, daß die USA nach dem ersten Weltkrieg viel Geld verloren hätten. Sie hätten Deutschland mehr als 10 Milliarden $ geliehen. Viele deutsche Guthaben und deutsches Eigentum in den USA sei den Deutschen zurückgegeben worden. Nach diesem Kriege werde man wahrscheinlich ein „spezielles Gesetz” erlassen müssen, „nach dem das gesamte deutsche Eigentum in den Vereinigten Staaten bei den Amerikanern bliebe”. Trotz der „Großmütigkeit” der USA, die „anderen Ländern” helfe, „könnten die Vereinigten Staaten die Zukunft Deutschlands nicht garantieren.”90)
Maiski antwortete: Das Versagen der Reparationen nach dem ersten Weltkrieg hatte daran gelegen, daß sie nicht in Waren, sondern vor allem in Geld gefordert worden seien. Ein weiterer Grund wäre gewesen, daß die USA, England und Frankreich viel Kapital in Deutschland investiert und damit die Deutschen ermuntert hätten, ihren Reparationsverpflichtungen nicht nachzukommen. Deutschland habe den Alliierten etwa ein Viertel der Summe zurückerstattet, die diese in den ersten Nachkriegsjahren Deutschland geliehen hatten. (Maiski vermied offenbar zu sagen, warum die drei Westmächte Deutschland mit Krediten so reichlich versehen hatten. Er verzichtete auch auf einen Hinweis auf den Rapallo-Vertrag, in dem Deutschland und Sowjetrußland gegenseitig auf Reparationen verzichtet hatten.)
Nunmehr werde vorgeschlagen, die Reparationen in Waren zu erheben, damit Transferschwierigkeiten wie nach dem ersten Weltkrieg vermieden werden. Es sei zu hoffen, „daß die USA und England jetzt Deutschland nach Kriegsende nicht finanzieren werden.”
Roosevelt und Churchill gaben zu verstehen, daß sie „nichts dergleichen beabsichtigten.” (Vom Marshallplan war ja noch nicht die Rede.)
Churchill habe angedeutet, daß die Summe der von der UdSSR geforderten Reparationen „für Deutschland untragbar” wären. Dies dürfte kaum stimmen. Maiski rechnete vor: 10 Milliarden $ seien nur 10 Prozent des Budgets der USA für 1944/45, das wären 1¼ des US-Budget in Friedenszeiten. Bezüglich Englands entsprächen 10 Milliarden $ lediglich den Kriegsausgaben in 6 Monaten oder dem 2½fachen seines Budgets in Friedenszeiten (1936-1938). In diesem Falle könne man nicht von einer „Übermäßigkeit” der sowjetischen Forderung sprechen, eher von einer „übermäßigen Bescheidenheit dieser Forderungen…”
Auf Einwände Roosevelts und Churchills, „man müsse einen Hunger in Deutschland verhüten”, erwiderte Maiski: „Die Sowjetregierung beabsichtige keinesfalls, Deutschland in ein hungriges, abgerissenes und barfüßiges Land zu verwandeln.” Bei der Ausarbeitung des Reparationsplanes sei es der Sowjetregierung darum gegangen, „Bedingungen zu schaffen, unter denen das deutsche Volk in den Nachkriegsjahren den mitteleuropäischen Lebensstandard habe.” Es gäbe keine Begrenzungen für Landwirtschaft und Leichtindustrie in Deutschland, die erweitert werden könnten. Deutschland wäre auch von allen Rüstungsausgaben frei, da es vollständig abgerüstet werde.91)
In der weiteren Diskussion waren Churchill und Roosevelt ausweichend. Übereinstimmung bestand nur darin, eine Kommission für Reparationen zu bilden.
Stalin meinte, daß die Konferenz Richtlinien für die Arbeit der Reparationskommission beschließen müßte. Das Hauptprinzip müsse sein, daß in erster Linie die Staaten Reparationen erhielten, „die die Hauptlast des Krieges getragen und den Sieg über den Feind organisiert haben”. Diese Staaten seien die UdSSR, die USA und Großbritannien. Es müßte „unverrückbar festgelegt werden, daß das Recht auf Reparationen vor allem denjenigen zusteht, die den größten Beitrag zur Zerschlagung des Feindes geleistet haben.”
Roosevelt erklärte, er sei einverstanden, Churchill hatte keine Einwände. Die Reparationsfrage wurde an die drei Außenminister verwiesen. Churchill verkündete nun noch sein Prinzip: „Jedem nach seinen Bedürfnissen, von Deutschland aber nach dessen Kräften. Dieses Prinzip sollte dem Reparationsplan zugrunde gelegt werden.”
Mit anderen Worten, er war nicht einverstanden mit Stalins Hauptprinzip. Stalin antwortete dann auch, daß er ein anderes Prinzip vorziehe: „Jedem nach seinen Verdiensten.”92)
Auf der 6. Sitzung am 9. Februar berichtete US-Außenminister Stettinius, daß die Außenminister den Punkten 1 und 2 des vorgelegten amerikanischen Planes zugestimmt haben. Es war ein Kompromiß zwischen den von Stalin und Churchill vorgetragenen Prinzipien.
1. Reparationen erhalten in erster Linie Länder, die die größten Lasten getragen, die schwersten Verluste erlitten, den Sieg über den Feind gestaltet haben. 2. Die Frage der Nutzung deutscher Arbeitskräfte als einer Form der Reparationsleistung wurde zurückgestellt. Die Reparationen seien von Deutschland in Sachleistungen zu erbringen, einmal durch einmalige Entnahme nach Kriegsende, zum anderen durch jährliche Warenlieferungen. Die einmalige Entnahme innerhalb von 2 Jahren nach Kriegsende, die Warenlieferungen im Verlauf von 10 Jahren nach Kriegsende.
Über Punkt 3 sei ein Kompromiß erfolgt, wonach der Gesamtumfang der Reparationen in beiden Formen insgesamt 20 Milliarden $ betragen soll. Davon solle die UdSSR 50 Prozent erhalten.
Der britische Außenminister Sir Anthony Eden habe dazu den Vorbehalt gemacht, daß er noch keine Weisung aus London habe.93)
Auf der 7. Sitzung am 10. Februar meinten Churchill und Roosevelt, daß man keine Reparationssumme nennen sollte. Stalin widersprach, daß es unrichtig sei, den Eindruck zu erwecken, daß die Reparationen in Geldform zu erbringen seien. „Es handle sich nicht um Geld, sondern um Waren im Werte von 20 Milliarden US-$.”
Stalin fragte direkt: „Oder möchte die Konferenz vielleicht, daß die Russen überhaupt keine Reparationen erhalten?” Churchill „verneinte” natürlich, mit dem bekannten „aber…!!” „…die Konferenz dürfe sich durch keine Zahlen binden.” Er zitierte ein Telegramm des Kriegskabinetts, das er gerade erhalten habe, daß es die Engländer „für unmöglich” halten, „schon jetzt irgend einen Umfang der Reparationen zu nennen…” Die Engländer messen der Fähigkeit der Deutschen, für ihren Import zu zahlen, „besondere Bedeutung” bei. „Sonst”, meinte Churchill, „würden wir in eine Lage geraten, daß wir an Deutschland zahlen müssten, während die anderen Reparationen erhalten würden.”94)
Abgesehen davon, daß sich solche „Telegramme” immer zur rechten Zeit einstellen, hieß das in undiplomatischem Klartext, daß die UdSSR nichts erhalten sollte.
Lediglich ein „Beschlußentwurf” Stalins, wonach Deutschland den Schaden, den es den alliierten Ländern während des Krieges zugefügt hat, in Sachwerten ersetzen muß und daß die Reparationskommission die Frage des Umfangs der zu ersetzenden Schäden erörtern sowie über ihre Schlußfolgerungen den Regierungen Bericht erstatten sollten, fand das Einverständnis von Roosevelt und Churchill. Stalin fragte ironisch: „Werden Sie es morgen nicht widerrufen?”95)
Im Abschlußkommunique gab es dann auch keine Festlegung bezüglich Reparationen. Es wird lediglich „für Recht befunden”, daß Deutschland in „größtmöglichem Umfang in Sachleistungen Ersatz für den verursachten Schaden zu leisten” habe.96)
Andrej Gromyko, der als Mitglied der sowjetischen Delegation an der Krimkonferenz teilnahm, schrieb in seinen Erinnerungen, daß „die Frage der deutschen Reparationen an die UdSSR nie geregelt” wurde. „Stalin und die übrige sowjetische Delegation fragten sich, was sich Roosevelt und Churchill gedacht haben mochten, als sie diese Frage ausklammerten. Hatten sie nicht begriffen, daß es nicht mehr als ein Tropfen im Ozean war, wenn die Deutschen 20 oder sogar 30 Milliarden Dollar zahlen mußten? Der Schaden, den sie unserem Lande zugefügt hatten, wurde später auf 2.600 Milliarden Rubel geschätzt. Sollten unsere Verbündeten etwa gedacht haben, die sowjetische Wirtschaft dürfe sich nicht zu schnell erholen?
Jeder der Großen Drei äußerte sich mehrmals zu diesem Thema, der Präsident weniger als die anderen. War er auch bereit, die Möglichkeit einer nominellen Entschädigung ins Auge zu fassen, so konnte er doch keinen Betrag nennen. Desgleichen ging er einer direkten Auseinandersetzung mit Churchill aus dem Weg, der der UdSSR nicht einmal eine symbolische Reparationsgeste einzuräumen bereit war.”97)
In einem Gespräch mit Gromyko nach solchen Auseinandersetzungen äußerte sich Stalin: „Möglicherweise haben sich die USA und England in dieser Frage schon geeinigt.” Dieser Verdacht, so Gromyko, habe sich später bestätigt.98)
Fragen der internationalen Sicherheit
Probleme der zu schaffenden Organisation der Vereinten Nationen (nach dem englischen Text im weiteren als „UNO” bezeichnet, auch wenn diese erst am 25. April 1945 konstituiert wurden.) wurden mehrfach kontrovers diskutiert, auf der 3., 4., 5. und 8. Sitzung am 6., 7., 8. und 11. Februar. In den Diskussionen wurden die entgegengesetzten Klassenpositionen trotz ihrer Verhüllung durch die diplomatischen Redewendungen deutlich, besonders in den Kontoversen zwischen Stalin und Churchill. Roosevelt erweckte den Eindruck eines „Vermittlers” zwischen den Fronten, wobei er die Klassenpositionen Churchills in sehr geschickter Weise unterstützte. Gromyko ist zuzustimmen, wenn er bezüglich Roosevelts von einem „bewußt vagen Lavieren in Jalta” spricht.99)
Churchill gerierte sich als Anwalt der „kleinen Staaten”, wenn er meinte, daß der Frieden zwar von der Freundschaft und Zusammenarbeit der drei Großmächte abhänge, doch müsse man den kleinen Staaten die Möglichkeit geben, ihre Ansprüche „frei zu äußern”. Die drei Großmächte müßten „eine gewisse Bereitschaft zeigen, sich den Interessen der gemeinsamen Sache zu unterwerfen.”100)
Was er nicht sagte, aber was dahinter steckte, war folgendes: Die Mehrheit der Kleinen Staaten waren kapitalistische oder feudal-kapitalistische Staaten. Es würde nicht schwierig sein, durch diverse Formen der Einwirkung auf die Regierungen dieser Staaten je nach Lage (Gewalt, Bestechung, Ausnutzung der ökonomischen und politischen Abhängigkeit von den großen kapitalistischen Staaten, vor allem den USA nach dem Kriege) eine „Mehrheit” von Staaten in der UNO herbeizuführen, wie es später dann ja auch in Gestalt der US-hörigen „Abstimmungsmaschine” in der UNO geschah, um Druck auf die UdSSR auszuüben, die sich ja dann den „Interessen der gemeinsamen Sache” – im undiplomatischen Klartexte: der Hegemonie der „angelsächsichen” Staaten mit den USA als ihrer Hauptmacht, – „zu unterwerfen” hätte.
Churchill meinte weiter, um „ein Beispiel zu nennen”, daß, wenn China nach dem Vorschlag des Präsidenten um die „Rückerstattung” Honkongs bitten würde, hätten sowohl Großbritannien als auch China das Recht, sich dazu zu äußern.101) Demnach gehörte China wohl auch zu den kleinen Staaten?!
Stalin wählte darauf hin ein weiteres „Beispiel”, den Suezkanal, der auf ägyptischem Territorium liege.
Auch Ägypten stand Churchill dieses Recht zu, diese Frage zu erörtern. Großbritannien habe da keine Sorge, da die britischen Interessen durch § 3 des Entwurfs der Verfassung der UNO gesichert seien.102) Paragraph 3 war das Vetorecht der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates.
Stalin erklärte, „ihm scheine, daß die in Dumbarton Oaks103) gefaßten Beschlüsse darauf abzielten, den verschiedenen Ländern nicht nur das Recht auf Meinungsäußerung zu sichern. Dieses Recht koste nicht viel.
Es wurde von niemandem abgestritten.
Die Sache sei jedoch viel ernster. Wenn eine Nation eine für sie sehr wichtige Frage erhebt, tut sie es nicht, um nur die Möglichkeit der Meinungsäußerung wahrzunehmen, sondern um eine Entscheidung der Frage herbeizuführen. Unter den Anwesenden gebe es niemanden, der einer Nation das Recht der Meinungsäußerung in der Versammlung absprechen würde. Doch nicht das sei der Kern der Sache. Churchill meine offenbar, falls China die Frage Hongkong stellen würde, so nur deshalb, um sich äußern zu können. Das treffe nicht zu. China wird eine Entscheidung fordern. Genauso würde Ägypten, wenn es die Frage der Rückerstattung des Suezkanals stellt, sich nicht damit zufrieden geben, seine Meinung dazu zu äußern. Ägypten würde eine Entscheidung der Frage fordern. Deshalb gehe es jetzt nicht einfach um die Gewährleistung der Möglichkeit, die eigene Meinung zu äußern, sondern um viel wichtigere Dinge.”104)
Stalin erwies sich in seiner Argumentation als weitsichtig. Curchill habe gesagt, ‘’es bestehe keine Ursache, etwas Unerwünschtes zu befürchten, … Ja, solange wie wir alle leben, brauche man nichts zu befürchten. Wir werden keine gefährlichen Divergenzen zwischen uns zulassen. Wir werden eine neue Aggression gegen eines unserer Länder nicht dulden. Doch in 10 oder vielleicht noch weniger Jahren werden wir nicht mehr da sein. Es wird eine neue Generation kommen, die durch all das nicht gegangen ist, was wir erlebt haben, die wahrscheinlich viele Fragen anders sehen wird als wir. Was wird dann geschehen? Haben wir uns nicht vorgenommen, den Frieden für eine Dauer von mindestens 50 Jahren zu sichern? Oder denke er, Stalin, vielleicht aus Naivität so? „Man müsse überlegen, wie sich die Einheitsfront der drei Mächte, denen Frankreich und China hinzuzufügen seien, am besten sichern ließe.”105)
„Ja, solange wie wir alle leben…” Roosevelt starb acht Wochen nach der Krimkonferenz am 12. April, und Churchill hielt seine berüchtigte Fulton-Rede dreizehn Monate später, am 5. März 1946. Damit endete die Einheitsfront noch schneller, als Stalin angenommen haben mag. Aber er deutete es bereits als möglich an.
Stalin antwortete auf den Vorwurf Churchills, daß er, Stalin, die Frage der Abstimmung im Sicherheitsrat zuspitze. Stalin schenkte der Abstimmungsfrage tatsächlich „große Aufmerksamkeit”, denn die UdSSR „sei an den vom Sicherheitsrat zu treffenden Entscheidungen am stärksten interessiert. Alle Entscheidungen werden doch durch Abstimmung getroffen. Man könne 100 Jahre diskutieren und dabei nichts entscheiden. Für uns … sind die Entscheidungen wichtig. Übrigens seien sie es nicht nur für uns.”106)
Stalin wies noch einmal auf die „Beispiele” – China/Honkong und Ägypten/Suezkanal – hin. Wenn beide die Rückerstattung, Honkong resp. Suezkanal, verlangen würden, würde darüber in der Versammlung und im Sicherheitsrat abgestimmt werde. Er, Stalin, „könne seinem Freund Churchill versichern, daß China und Ägypten dabei nicht allein stehen werden. Sie würden in der internationalen Organisation Freunde finden. Das stehe in direkter Beziehung zur Frage der Abstimmung.”
Churchill erklärte kurz, Großbritannien würde „nein” sagen.107)
Bemerkenswert ist die Erklärung des britischen Außenministers Eden, „die Länder könnten reden, streiten, doch die Entscheidung könnte nicht ohne die Zustimmung der drei Hauptmächte getroffen werden”108)
Es ging um die Veto-Frage. Mit dem Veto einer der Großmächte gab es keine Entscheidung der UNO. Stalin wies noch auf eine andere Gefahr hin: „…seine Kollegen hätten wohl nicht vergessen, daß die Engländer und Franzosen während des russisch-finnischen Kriegs den Völkerbund gegen die Russen aufgestachelt, die Sowjetunion isoliert und sie aus dem Völkerbund ausgeschlossen und alles gegen die UdSSR mobilisiert haben. Einer Wiederholung solcher Geschehnisse müsse in Zukunft ein Riegel vorgeschoben werden.”109)
Churchill und Eden erklärten, daß eine solche Gefahr nicht bestehen würde. Molotow lakonisch, „das hören wir zum ersten Mal.”110)
Stalin verwies darauf, daß wenn auch der Ausschluß eines Mitgliedes unmöglich sei, daß „die Möglichkeit einer Mobilisierung der öffentlichen Meinung gegen eines der Mitglieder” gegeben sei.
Churchill konnte (wollte?, UH) nicht ausschließen, daß „gegen ein Mitglied eine breite Agitation” beginne, doch gleichzeitig würde auch die Diplomatie wirken. Es folgen Floskeln, daß Roosevelt nicht gegen England auftreten würde, oder Stalin gegen England. Er, Churchill, „sei überzeugt, daß sich immer ein Weg zur Beilegung von Konflikten finden lasse. Jedenfalls könne er, was seine Person betreffe, dafür bürgen.”111)
Diese „Bürgschaft” dürfte Stalin nach den bisherigen Erfahrungen mit Churchill schon zu werten gewußt haben. Die bereits w.o. erwähnte Fulton-Rede112) konnte er ja noch nicht gekannt haben. So schlug Stalin denn auch vor, die Erörterung dieser Frage am anderen Tage fortzusetzen.
Die sowjetische Delegation wiederholte die bereits in Dumbarton Oaks von ihr erhobene Forderung, daß drei, mindestens zwei Sowjetrepubliken als Gründungsmitglieder der Vereinten Nationen anerkannt werden müßten, und zwar die Ukraine, Belorußland und Litauen.
Roosevelt fand die Frage über die drei Sowjetrepubliken „sehr interessant.” Er meinte, Großbritannien habe mehrere Dominien, die Sowjetunion, mehrere Republiken, aber die USA als „homogenes” Land hätten nur einen Außenminister. Falls eine der Großmächte mehr als eine Stimme haben sollte, wäre „die Regel verletzt”, wonach „jedes Mitglied” nur eine Stimme haben sollte.113)
Churchill sah in dem Vorschlag Stalins einen „großen Schritt” in Richtung eines Einvernehmens. Er „habe den Vorschlag der Sowjetregierung mit großer Sympathie aufgenommen. Er sei gerührt und sein Herz sei dem großen Rußland zugewandt, das verblute, aber den Tyrannen zerschlage.” Er „würde sich sehr freuen” wenn Roosevelt der sowjetischen Delegation eine Antwort gäbe, die man nicht als Ablehnung auffassen könnte.”
Nach diesen salbungsvollen Ergüssen erklärte Churchill sein berühmtes „aber”, daß er „die Grenzen seiner Vollmachten nicht überschreiten” könne und man es ihm nicht übel nehmen solle, „daß er auf den Vorschlag der sowjetischen Delegation nicht auf der Stelle die Antwort der britischen Regierung geben könne.”114)
Bei diesem Problem der Gründungsmitglieder – wie später auch – ging es um Mehrheiten in Abstimmungsfragen, wobei nach dem Prinzip, jeder Großmacht eine Stimme, unter Klassenaspekt die Sowjetunion gegenüber den USA und Großbritannien in der „Minderheit” sein würde. Wenn China, d.h. das China der von den USA abhängigen Tschiang Kai-schek-Regierung, und Frankreich hinzukämen, wäre die „Mehrheit” der kapitalistischen und abhängigen Staaten gegenüber der UdSSR noch stärker, die UdSSR isoliert, ganz „demokratisch” nach dem alten Spiel „Mehrheit” und „Minderheit”, wobei die „Minderheit” sich der „Mehrheit” unterzuordnen habe.
Natürlich durchschaute Stalin dieses rund 200 Jahre alte parlamentarische Spiel. Mit der Einbeziehung von zwei oder drei Sowjetrepubliken als Gründungsmitglieder wären die Bestrebungen der US- und britischen Regierung wenigstens teilweise paralysiert.
Die Frage der Gründungsmitglieder landete dann auch wieder auf dem Tisch der Außenminister. Die Ergebnisse ihrer Beratung trug Eden auf der 5. Sitzung vor. Danach sollte die Konferenz zum 25. April 1945 einberufen, mit der UdSSR sollten zugleich zwei Sowjetrepubliken, Ukraine und Belorussland, als Erstmitglieder aufgenommen werden.115)
Es gab noch weitere Probleme. So gab es Staaten, die keine diplomatischen Beziehungen zur UdSSR unterhielten, obwohl sie Deutschland den Krieg erklärt hatten, andere, wie Ägypten, hatten Deutschland auf Anraten der britischen Regierung nicht den Krieg erklärt. Ähnlich Island, das jedoch amerikanische Truppen ins Land eingelassen und zur Sicherung der Verbindungswege der Allierten auf dem Nordatlantik beigetragen hatte. Dänemark habe aber die Unabhängigkeit Islands nicht anerkannt. Auf diese, für die betreffenden Staaten zwar wichtigen, Fragen kann hier aber nicht eingegangen werden.
Bei der Diskussion des amerikanischen Entwurfs des Kommuniques erklärte Roosevelt, daß der Beschluß der Konferenz, die Ukraine und Belorußland als Erstmitglieder der internationalen Sicherheitsorganisation einzuladen, ihm „politische Schwierigkeiten” in den USA bereiten würde. Churchill schlug in die gleiche Kerbe. Roosevelt schlug dafür eine andere, unverbindliche, Formulierung vor, „daß die Amerikaner den Vorschlag über die Einberufung der beiden Sowjetrepubliken als Erstmitglieder der Organisation unterstützen werden.”116)
Stalin zog daraufhin den Vorschlag der sowjetischen Delegation zurück. Im Kommunique über die Konferenz wurde vermerkt, daß „in der wichtigen Frage des Abstimmungsverfahren keine Einigung erzielt” wurde.117)
Im Protokoll der Arbeit der Krimkonferenz hieß es, daß „die Delegierten des Vereinigten Königreiches und der Vereinigten Staaten von Amerika den Vorschlag unterstützen, als Erstmitglieder zwei Sozialistische Sowjetrepubliken zuzulassen, und zwar die Ukraine und Belorussland…”118)
Polen
In den Diskussionen auf der Konferenz über Polen traten die unversöhnlichen Klassengegensätze zwischen der UdSSR und den beiden Westmächten in besonders krasser Weise zutage.
Wenn Churchill in seinen Memoiren schrieb, daß „Polen in der Tat der dringlichste Grund für die Abhaltung der Jalta-Konferenz gewesen” sei, und sich „in der Folge auch als die erste der Hauptursachen für den Zerfall der Großen Allianz”118a) erwies, so kann man ihm partiell sogar zustimmen. Der Kampf um die Gesellschaftsordnung in Polen – und darum ging es – war das konkrete Erscheinungsbild des Klassenkampfes auf der internationalen Bühne, denn die Frage der Gesellschaftsordnung in Polen war eine Klassenfrage.
Schon wenige Wochen vor der Eröffnung der Konferenz wurde sie im Briefwechsel zwischen Stalin und Roosevelt deutlich.
In seiner Botschaft an Roosevelt vom 27. Dezember 1944 informierte Stalin den Präsidenten, daß die Sowjetregierung, „falls sich das Polnische Komitee der Nationalen Befreiung in eine Provisorische Polnische Regierung umbildet, … keinen ernsthaften Grund” habe, „ihre Anerkennung hinauszuschieben”. Andererseits gäbe es „unter den in Polen entstandenen Verhältnissen keinen Grund, die Politik der Exilregierung weiterhin zu unterstützen, …”119)
Roosevelt erklärte in seiner Antwort, die am 31. Dezember in Moskau eingegangen war, daß er über Stalins Botschaft „beunruhigt und tief enttäuscht” sei. Er stellte seinerseits fest, daß er „keine Aussicht dafür sehe, daß unsere Regierung … der Londoner Regierung die Anerkennung entzieht…” Er ersuchte Stalin, die Anerkennung der Provisorischen Regierung noch hinauszuzögern bis zu ihrem Treffen auf der Krim.120)
Am 1. Januar 1945 hatte sich das Polnische Komitee der Nationalen Befreiung (PKWN) in die Provisorische Polnische Regierung umgebildet. Stalin teilte Roosevelt in seiner Botschaft vom 1. Januar mit kurzer Begründung mit, daß er den Wunsch des Präsidenten nicht erfüllen könne.121)
Am 4. Januar erfolgte die diplomatische Anerkennung der Provisorischen Polnischen Regierung durch die Sowjetregierung. Stalin hatte vor der Konferenz Tatsachen geschaffen. Damit waren die Positionen der beiden Seiten vor der Krimkonferenz abgesteckt.
Von den insgesamt 96 Seiten des Protokolls der Beratungen einschließlich des Abschlußkommuniques entfallen 30 Seiten allein auf die Diskussionen über Polen. Die britischen Protokolle enthielten nach Churchill „annähernd achtzehntausend Worte, die zwischen Stalin, Roosevelt und mir über dieses Thema gewechselt wurden.”121a) Im Protokoll über die Arbeit der Krimkonferenz ist über Polen jedoch nichts enthalten.
Die Curzon-Linie als Ostgrenze Polens wurde von allen drei Mächten anerkannt, mit einigen kleineren Gebietserweiterungen zugunsten Polens. Bezüglich der Westgrenze Polens waren sich die drei Mächte einig, daß Polen einen bedeutenden Gebietszuwachs erhalten sollte. Die Westgrenze sollte von der Odermündung, einschließlich Swinemünde und Stettin, der Oder entlang bis zur Einmündung der Neiße in die Oder und dann weiter an der Neiße bis an die Grenze der CSR führen. Stalin bestand dabei auf der westlichen, der Lausitzer Neiße, Roosevelt und Churchill auf der östlichen Neiße, die nördlich von Oppeln in die Oder fließt. Damit wäre der westliche, größere Teil Schlesiens bei Deutschland verblieben. Darüber gab es keine Einigung.
Am 6. Juli 1950 unterzeichnete der Ministerpräsident der Deutschen Demokratischen Republik Otto Grotewohl, in Zgorzelec die Markierung der Staatsgrenze an Oder und Lausitzer Neiße. Die Regierung der DDR hatte seit ihrer Gründung die Rechtmäßigkeit der Oder-(Lausitzer)Neiße-Grenze als unabdingbare Voraussetzung für die Überwindung des langwährenden deutsch-polnischen Haders und als Voraussetzung jeder deutsch-polnischen Freundschaft als Friedensgrenze anerkannt.121b)
Die Grenzfrage blieb jedoch gegenüber der Frage der inneren Ordnung Polens, d.h. der Gesellschaftsordnung, von zweitrangiger Bedeutung. Auch hier kann man Churchill zustimmen, wenn er meinte: „Weit wichtiger als bestimmte Grenzziehungen war, … daß ein starkes, freies und unabhängiges Polen entstand.”121c) Mit dem heutigen bürgerlichen in NATO und EU eingebundenen Polen wäre Churchills Wunsch erfüllt worden.
Die entscheidende Frage, um die der Kampf entbrannte, war die nach der Gesellschaftsordnung in Polen, die Klassenfrage, obwohl in den Diskussionen die Begriffe Klassen, Klasseninteressen, Klassenkampf verbal nicht verwendet wurden. Auch nicht von Stalin. Wozu auch? Die beiden Seiten verstanden auch so sehr gut, worum es ging. Von Churchill und auch von Roosevelt um die Restauration der alten Macht- und Eigentumsverhältnisse der Großbourgeoisie und Großgrundbesitzer, um Polen als Bestandteil eines „Cordon sanitaire” gegen die Sowjetunion wieder herzustellen – „die Russen von Europa abzublocken”. Stalin wollte ein starkes, demokratisches, friedliches Polen, Sicherheit an der Westgrenze der Sowjetunion.
Beiden Seiten war klar, daß erst die Machtfrage in Polen entschieden werden mußte, bevor „freie Wahlen” stattfinden konnten. Machtfragen werden nun mal nicht mit dem Wahlzettel entschieden.
Während Churchill und Roosevelt ihre Klassenpolitik unter der Losung der „freien Wahlen” betrieben, enthüllte Stalin die reaktionäre Politik der Londoner Exilregierung in zwar höflich-diplomatischen Formulierungen, jedoch in aller Deutlichkeit.
Roosevelt eröffnete die Diskussion – oder deutlicher: die klassenmäßige Auseinandersetzung auf dem Felde der Diplomatie – um die polnische Frage auf der 3. Sitzung am 6. Februar.
Zunächst wies der Präsident auf fünf bis sechs Millionen US-Bürger polnischer Abstammung hin. Seine Position stimme mit der überwiegenden Mehrheit der in den USA lebenden Polen überein. Die Polen seien „immer sehr besorgt, ihr ‘Gesicht zu wahren’”.122)
Stalin fragte, „welche Polen gemeint seien: die echten oder die Emigranten? Die echten Polen lebten in Polen.”123)
Roosevelt wurde gleich deutlich: „Der wesentliche Teil der polnischen Frage sei die Bildung einer ständigen Regierung in Polen.” Die öffentliche Meinung der Vereinigten Staaten sei gegen eine Anerkennung der „Lubliner Regierung.”124) Wie die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten erzeugt wird, darüber sagte Roosevelt natürlich nichts.125)
Roosevelt schlug vor, „einen Präsidentschaftsrat aus einigen hervorragenden Polen zu gründen, der die Aufgabe hätte, eine provisorische Regierung Polens zu bilden.” Er hoffe, „daß Polen … denkbar freundschaftliche Beziehungen zur Sowjetunion unterhalten werde.”126)
Churchill betonte nach seinen üblichen süßen Floskeln, daß Rußland nach der „Tragödie”, die es durchgemacht habe und den „Anstrengungen”, die es zur Befreiung Polens unternommen habe, die Ansprüche Rußlands auf die Curzon-Linie als Grenze „auf Recht” gründeten.
„Doch sei es ihm mehr um die Frage der polnischen Souveränität, um die Freiheit und Unabhängigkeit Polens zu tun als um die Präzisierung seiner Grenzen. Er möchte, daß die Polen eine Heimat haben, wo sie leben könnten, wie es ihnen am besten scheint… Großbritannien sei in den Krieg eingetreten, um Polen gegen die deutsche Aggression zu verteidigen. Großbritannien interessiere sich für Polen, weil das für Großbritannien eine Frage der Ehre sei…”127)
Diese Behauptung Churchills, daß England in den Krieg eingetreten sei, um „Polen gegen eine deutsche Aggression zu verteidigen”, die er auch in seinen Memoiren wiederholt127a), hält einer sachlichen Prüfung nicht stand. Vor dem Nürnberger Militärgerichtshof erklärte der ehemalige faschistische Generalstabschef General Alfred Jodl: „Wenn wir nicht schon im Jahre 1939 zusammenbrachen, so kommt das nur daher, daß die rund 110 französischen und englischen Divisionen im Westen sich während des Polenfeldzuges gegenüber 23 deutschen Divisionen völlig untätig verhielten.”127b)
Die britische und französische Regierung hofften 1939 noch immer, die faschistische Aggression gegen die Sowjetunion lenken zu können. Selbstverständlich wußte das Churchill, genauso wie Stalin es wußte.
Nach weiteren Phrasen fragte Churchill, „ob man hier nicht eine polnische Regierung bilden könnte, wie die, von der der Präsident gesprochen” hätte.127c)
Nebenbei: Die langatmigen Agitationsreden Churchills haben nach Berichten des Foreign Office in London selbst Roosevelt ermüdet. An Außenminister Stettinius gewandt habe er erklärt: „Jetzt bekommen wir das eine halbe Stunde lang zu hören.”128)
Stalin hat den Standpunkt der Sowjetregierung ausführlich begründet dargelegt. Da dieser historisch bedeutsame Beitrag wenig bekannt ist, wird er nach dem Protokoll in ungekürztem Wortlaut dokumentiert:
„Stalin sagt, Churchill habe soeben erklärt, daß die Frage Polen für die britische Regierung eine Ehrenfrage sei. Stalin verstehe das. Doch müsse er bemerken, daß die Frage Polen für die Russen nicht nur eine Frage der Ehre, sondern auch eine Frage der Sicherheit sei. Eine Frage der Ehre, weil die Russen in der Vergangenheit viele Sünden gegenüber Polen begangen haben. Die Sowjetregierung sei bemüht, diese Sünden wieder gutzumachen. Eine Frage der Sicherheit aber sei es, weil sehr wichtige strategische Probleme des Sowjetstaates mit Polen zusammenhängen.
Es handle sich nicht nur darum, daß Polen eine gemeinsame Grenze mit uns hat. Das sei natürlich von Bedeutung, doch liege das Problem viel tiefer. Im Laufe der Geschichte sei Polen immer ein Korridor gewesen, der von den Feinden benutzt wurde, die Rußland überfielen. Man brauche sich nur die letzten 30 Jahre ins Gedächtnis zu rufen. In dieser Zeit seien die Deutschen zweimal durch Polen marschiert, um unser Land anzugreifen. Warum konnten die Feinde bisher so leicht durch Polen marschieren? Vor allem, weil Polen schwach war. Der polnische Korridor könne nicht durch russische Kräfte allein mechanisch von außen abgeriegelt werden. Er könne nur durch die eigenen Kräfte Polens sicher von innen her abgeriegelt werden. Dazu müsse Polen stark sein. Deshalb sei die Sowjetunion an der Schaffung eines starken, freien und unabhängigen Polens interessiert. Die Frage Polen sei für den Sowjetstaat eine Frage von Tod und Leben. Das erkläre unsere schroffe Abkehr von der Politik des Zarismus gegenüber Polen. Die zaristische Regierung wollte bekanntlich Polen assimilieren. Die Sowjetregierung habe diese unmenschliche Politik von Grund auf verändert, sie sei den Weg der Freundschaft mit Polen und der Gewährleistung seiner Unabhängigkeit gegangen. Das sei der Grund, warum die Russen für ein starkes, unabhängiges und freies Polen eintreten.
Jetzt, sagt Stalin, möchte er auf einige Teilfragen eingehen, die in der Diskussion berührt wurden und über die Meinungsverschiedenheiten bestehen.
Da sei vor allem die Curzonlinie. Er, Stalin, möchte bemerken, daß die Curzonlinie nicht von den Russen erfunden wurde. Ihre Urheber seien Curzon, Clemenceau und die Amerikaner gewesen, die an der Pariser Konferenz 1919 teilgenommen hatten. Russen habe es auf dieser Konferenz nicht gegeben. Die Curzonlinie sei auf der Grundlage ethnographischer Daten gegen den Willen der Russen angenommen worden. Lenin sei mit dieser Linie nicht einverstanden gewesen. Er habe Polen Bialystok, Stadt und Gebiet, nicht abtreten wollen, wie es die Curzonlinie vorsah.
Die Sowjetregierung sei von der Position Lenins bereits abgegangen. Was, fragt Stalin, wollen Sie jetzt: Daß wir weniger Russen sind als Curzon und Clemenceau? Damit würden Sie uns zur Schmach treiben. Was würden die Ukrainer sagen, wenn wir Ihren Vorschlag akzeptieren? Sie würden wohl sagen, Stalin und Molotow hätten sich als weniger verläßliche Verteidiger der Russen und Ukrainer erwiesen als Curzon und Clemenceau. Mit welchem Gesicht würde er, Stalin, nach Moskau zurückkehren? Nein, möge lieber der Krieg gegen die Deutschen etwas länger dauern, doch wir müssen uns als fähig zeigen, Polen auf Kosten Deutschlands im Westen zu entschädigen.
Bei seinem Aufenthalt in Moskau habe Mikolajczyk Stalin gefragt, welche Grenze Polens im Westen die Sowjetregierung anerkenne. Mikolajczyk sei sehr erfreut gewesen, als er hörte, daß wir die Neiße-Linie als Westgrenze Polens anerkennen. Zur Erklärung müsse man sagen, daß es zwei Flüsse mit dem Namen Neiße gibt: der eine verläuft östlicher, bei Breslau, der andere westlicher. Stalin sei der Ansicht, daß die Westgrenze Polens an der Westlichen Neiße verlaufen müsse, und er bitte Roosevelt und Churchill ihn dabei zu unterstützen.
Eine andere Frage, zu der Stalin einiges sagen möchte, sei die Bildung einer polnischen Regierung. Churchill schlage vor, die polnische Regierung hier auf der Konferenz zu bilden.
Stalin nehme an, Churchill habe sich versprochen: Wie könnte man eine polnische Regierung ohne Teilnahme der Polen bilden? Viele nennen ihn, Stalin, einen Diktator, halten ihn nicht für einen Demokraten, doch besitze er hinreichend demokratisches Gefühl, um nicht zu versuchen, eine polnische Regierung ohne die Polen zu bilden. Eine polnische Regierung könne nur mit Teilnahme der Polen und mit ihrer Einwilligung gebildet werden.
Einen geeigneten Zeitpunkt dafür habe es im vergangenen Herbst gegeben, als Churchill nach Moskau kam und Mikolajczyk, Grabski und Romer mitbrachte. Nach Moskau seien damals auch die Vertreter der Lubliner Regierung eingeladen worden. Er habe für eine Begegnung zwischen den Londoner und den Lubliner Polen gesorgt. Es hatten sich sogar gewisse Punkte für ein Übereinkommen abgezeichnet. Churchill dürfte sich daran erinnern. Dann sei Mikolajczyk nach London gefahren mit der Absicht, bald nach Moskau zurückzukehren, um die Schritte zur Organisierung einer polnischen Regierung abzuschließen. Stattdessen sei aber Mikolajczyk aus der polnischen Regierung in London ausgestoßen worden, weil er für ein Abkommen mit der Lubliner Regierung eintrat. Die heutige polnische Regierung in London, der Arciszewski vorsteht und die von Raczkiewicz geleitet wird, sei gegen ein Abkommen mit der Lubliner Regierung. Mehr noch: Sie verhalte sich feindselig zu einem solchen Abkommen. Die Londoner Polen nennen die Lubliner Regierung eine Verbrecher- und Räuberbande. Selbstverständlich bleibe die ehemalige Lubliner und jetztige Warschauer Regierung ihnen nichts schuldig und bezeichne die Londoner Polen als Verräter und Renegaten. Wie solle man sie unter diesen Verhältnissen vereinigen? Er, Stalin, wisse das nicht.
Die Führer der Warschauer Regierung, Bierut, Osubka-Morawski und Rola-Zymierski, wollten von einer Vereinigung mit der polnischen Regierung in London nichts hören. Er, Stalin, habe die Warschauer Polen gefragt, zu welchen Zugeständnissen sie bereit seien. Die Antwort habe gelautet: Die Warschauer Polen könnten in ihren Reihen Personen aus der Mitte der Londoner Polen wie Grabski und Zeligowski dulden, doch von einem Mikolajczyk als Ministerpräsidenten wollten sie nichts hören. Stalin sei bereit, jeden beliebigen Versuch zu einer Vereinigung der Polen zu unternehmen, doch nur, wenn ein solcher Versuch Erfolgschancen hat. Was solle man also tun? Vielleicht die Warschauer Polen zu dieser Konferenz einladen? Oder vielleicht solle man sie nach Moskau einladen und dort mit ihnen sprechen?
Zum Schluß möchte Stalin noch eine andere, sehr wichtige Frage berühren, über die er jetzt als Militär sprechen wolle. Was verlange er, als Militär, von der Regierung eines Landes, das von der Roten Armee befreit wurde? Er verlange nur eins: daß diese Regierung Ruhe und Ordnung im Hinterland der Roten Armee gewährleiste, daß sie den Ausbruch eines Bürgerkrieges hinter unserer Frontlinie verhindere. Für die Militärs sei es letztlich gleichgültig, was das für eine Regierung ist. Den Militärs komme es darauf an, daß man ihnen nicht in den Rücken schieße. In Polen gebe es die Warschauer Regierung. In Polen gebe es auch Agenten der Londoner Regierung, die mit den Untergrundkreisen verbunden seien, welche sich „Kräfte des inneren Widerstands” nennen. Als Militär vergleiche er, Stalin, die Tätigkeit der einen und der anderen und komme dabei unvermeidlich zu dem Schluß, daß die Warschauer Regierung ihren Aufgaben bei der Sicherung der Ruhe und Ordnung im Hinterland der Roten Armee gerecht werde, während die ,”Kräfte des inneren Widerstands” uns nur Schaden zufügen. Diese „Kräfte” hätten bereits 212 Angehörige der Roten Armee ermordet. Sie überfallen unsere Lager, um Waffen zu rauben. Sie verstoßen gegen unsere Befehle, die Rundfunkstationen auf dem von der Roten Armee befreiten Territorium zu registrieren. Die „Kräfte des inneren Widerstands” verletzten alle Gesetze des Krieges. Sie beschweren sich, daß wir sie verhaften. Er, Stalin, müsse direkt erklären, falls diese „Kräfte” ihre Überfälle auf unsere Soldaten fortsetzen, werden wir sie erschießen.
Letzten Endes erweise sich vom rein militärischen Standpunkt aus, daß die Warschauer Regierung nützlich, die Londoner Regierung und ihre Agenten in Polen aber schädlich sind. Natürlich werden die Militärs eine Regierung unterstützen, die die Ruhe und Ordnung im Hinterland sichert, da sonst Erfolge der Roten Armee nicht möglich seien. Ruhe und Ordnung im Hinterland sei eine Voraussetzung für unsere Erfolge. Das verstünden nicht nur Militärpersonen, sondern auch Zivilisten. So stehen die Dinge.”129)
Roosevelt schlug vor, die Diskussion am nächsten Tage fortzusetzen und bemerkte salomonisch, daß „die polnische Frage … der Welt fünf Jahrhunderte lang Kopfschmerzen bereitet” habe.130)
Die weiteren Diskussionen auf den folgenden Sitzungen über Polen gingen um Details, wobei von Roosevelt und Churchill die Forderung nach „freien Wahlen” in den Vordergrund gerückt wurde. Roosevelt und Churchill spekulierten dabei auf noch vorhandene antisowjetische Vorbehalte in der Bevölkerung. Die polnische Gesellschaft war eine Klassengesellschaft. Die Goebbelspropaganda und der Einfluß des katholischen Klerus spielten eine nicht zu unterschätzende Rolle. Hinzu kam die Propaganda der Londoner Exilregierung. Sollte die Anders-Armee in Stärke von 150.000 Mann, die unter dem Einfluß eines antikommunistischen Offizierskorps stand, nach Polen zurückkehren, waren die Bedingungen für einen Bürgerkrieg gegeben. Roosevelt und Churchill übersahen oder wollten übersehen, daß in der polnischen Bevölkerung ein Umdenkungsprozeß in Gang gekommen war, die Polnische Arbeiterpartei hohes Ansehen genoß und über politische Autorität verfügte. Es war dies übrigens auch in Westeuropa der Fall, daß die Kommunistischen Parteien auf Grund ihrer dominierenden Rolle in der antifaschistischen Widerstandbewegung über Ansehen und Autorität verfügten. Im Westen konnten die US- und britische Regierung die restaurativen Kräfte unterstützen und demokratische Bewegungen abblocken. In Polen standen die Rote Armee und die mit ihr verbündete Polnische Volksarmee, die eine Einmischung der USA und Großbritanniens abwehren konnten. Natürlich handelten auch die polnischen Kommunisten nach der aus den Erfahrungen des Geschichtsprozesses gewonnenen Erkenntnis, erst die Machtfrage zu entscheiden, danach freie Wahlen.
Den Bestrebungen Roosevelts und Churchills lag zugrunde, nach Ausschaltung der Warschauer Regierung eine ihnen genehme bürgerliche Regierung einzusetzen, also die Machtfrage in ihrem Interesse zu entscheiden, danach „freie Wahlen!” – und „die Russen sind raus!”
Das war mit Stalin nicht zu machen, und so wurde im Kommunique eine Kompromißformel angenommen, die jede der Seiten für sich interpretieren konnte: „In Polen ist mit der vollständigen Befreiung durch die Rote Armee eine neue Lage entstanden. Das erfordert die Bildung einer Provisorischen Polnischen Regierung, die sich auf eine breitere Basis stützen soll, als dies vorher bis zur kürzlichen Befreiung des westlichen Teils Polens möglich war. Die gegenwärtig in Polen amtierende Provisorische Regierung soll deshalb auf einer breiteren demokratischen Grundlage unter Einschluß demokratischer Persönlichkeiten aus Polen selbst und von Polen aus dem Ausland umgebildet werden. Diese neue Regierung soll dann Provisorische Regierung der Nationalen Einheit heißen…” Diese Regierung „soll sich verpflichten, so bald wie möglich freie und durch nichts behinderte Wahlen auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechts und der geheimen Abstimmung durchzuführen. Alle antinazistischen und demokratischen Parteien sollen das Recht haben, an diesen Wahlen teilzunehmen und Kandidaten aufzustellen.”131) (Diese Provisorische Regierung der Nationalen Einheit wurde am 28. Juni gebildet. Ministerpräsident wurde Osobka-Morawski, Stellvertreter Gomulka und Mikolajczk. Mit Unterstützung der USA und Großbritanniens kam es zur Bildung reaktionärer Untergrundorganisationen, die mit Mord an demokratischen Persönlichkeiten und Sabotageakten eine bürgerkriegsartige Situation erzeugten. Am 28. März 1947 ermordeten sie Waffengeneral Karol Swierczewski, stellvertretender Minister für nationale Verteidigung. Besonders gefährlich waren die Banden der „Ukrainischen Aufständigenarmee”, die von einem Teil der ukrainischen Bevölkerung unterstützt wurden. Erst Ende 1948 konnte die Volksmacht die konterrevolutionären Kräfte zerschlagen. Nach dem Wahlsieg des demokratischen Blocks am 19. Januar 1947 setzte sich Mikolajczyk nach England ab.)
Jugoslawien
Bezüglich Jugoslawiens gab es nach sachlichem Meinungsaustausch Übereinstimmung, daß das Abkommen zwischen Tito und Subasic in Kraft treten sollte, wobei Stalin auf „sofortige” Inkraftsetzung bestand, unabhängig von zwei Abänderungsvorschlägen der britischen Seite, mit denen die sowjetische Seite „im wesentlichen einverstanden war.”132)
Bei dem „Tito-Subasic-Abkommen” handelte es sich um ein Abkommen zwischen dem Antifaschistischen Rat der Nationalen Befreiung Jugoslawiens (AVNOS) mit der Exilregierung Subasic in London über Zusammenarbeit vom 16. Juni 1944. Beide Seiten waren übereingekommen, eine Einheitsregierung zu bilden, trotz „aller Hirngespinste von König Peter” (König von Jugoslawien, UH) wie US-Außenminister Stettinius und auch Stalin es bezeichneten.133)
Im Abschlußkommunique wurde vermerkt, daß es als notwendig erachtet werde, „Marschall Tito und Dr. Subasic die unverzügliche Inkraftsetzung des zwischen ihnen geschlossenen Abkommens und die Bildung einer Provisorischen Vereinten Regierung auf der Grundlage dieses Abkommens zu empfehlen.”134)
Nach dem Kommunique sollte der AVNOJ durch Einbeziehung von Abgeordneten der letzten jugoslawischen Skupschtina erweitert werden. Es sollten aber nur solche Abgeordneten sein, „die sich nicht durch Zusammenarbeit mit dem Feind kompromittiert haben.” Damit würde ein Organ geschaffen mit der Bezeichnung „Provisorisches Parlament.” Die vom AVNOJ verabschiedeten Gesetze waren nachträglich von der Konstituierenden Versammlung zu bestätigen.135)
Japan
In dem damals nicht veröffentlichten „Protokoll der Arbeit der Krimkonferenz” vom 11. Februar erklärten die drei Staatschefs, daß die Sowjetunion „zwei oder drei Monate nach der Kapitulation Deutschlands und Beendigung des Krieges in Europa … in den Krieg gegen Japan auf der Seite der Alliierten … eintreten soll…” Als Bedingungen dafür wurden genannt:
1. Der Status in der Äußeren Mongolei (der Mongolischen Volksrepublik, UH) bleibt erhalten.
2. Die früheren „Rechte Rußlands” werden wiederhergestellt, die „durch den tückischen Überfall Japans im Jahre 1904 verletzt worden sind. Die UdSSR erhält den Südteil der Insel Sachalin sowie die angrenzenden Inseln zurück. Spezielle Interessen der Sowjetunion am Handelshafen Dairen, an der Wiederherstellung der Pacht Port Arthurs als Flottenstützpunkt der UdSSR, an der Errichtung einer gemischten sowjetisch-chinesischen Gesellschaft über die Ostchinesische- und Südmandschurische Eisenbahn seien zu berücksichtigen.
3. Die Kurilen sollen der Sowjetunion übergeben werden.
Diese Ansprüche der Sowjetunion nach dem Sieg über Japan müssen „unbedingt erfüllt werden.”
„Die Sowjetunion ihrerseits drückt ihre Bereitschaft aus, mit der Nationalregierung Chinas einen Freundschafts- und Bündnispakt zwischen der UdSSR und China zu schließen, um China mit ihren bewaffneten Streitkräften beizustehen mit dem Ziel, China vom japanischen Joch zu befreien.”136)
Historische Bedeutung der Konferenz
Wie schon auf der Konferenz von Teheran (28. November – 1. Dezember 1943) trafen die Klassengegensätze auf der Krimkonfrenz in aller Schärfe aufeinander. Sie war die Fortsetzung der Teheraner Konferenz, wobei die Konfrontation zwischen der sozialistischen Sowjetunion und den imperialistischen Westmächten noch an Schärfe zunahm. In Kapitel „Das Jahr 1943″ hatte ich die Teheraner Konferenz „im engeren Sinne … als Zäsur für den Beginn des ‘Kalten Krieges’” bezeichnet.137) Auf der Krim wurden die Gegensätze zwischen den Mächten noch deutlicher. Dennoch kam es noch nicht zum offenen Bruch der Antihitlerkoalition. Noch überwog das Interesse an der Niederwerfung Deutschlands. Stalin hat auch durch Kompromißbereitschaft in einigen Fragen Churchill nicht die Möglichkeit gegeben, unter fadenscheinigen Vorwänden einen Bruch mit der Sowjetunion zu diesem Zeitpunkt herbeizuführen. Die Bereitschaft der Sowjetregierung, zwei bis drei Monate nach Ende des Krieges in Europa in den Krieg gegen Japan einzutreten, dürfte zur Erhaltung der Antihitlerkoalition nicht wenig beigetragen haben. In den Stäben der USA ging man davon aus, daß der Krieg gegen Japan noch ein bis zwei Jahre dauern könnte. Ein militärisches Eingreifen der kriegsgestählten und erfahrenen sowjetischen Armeen war da willkommen.
Neben den Fragen, in denen keine Einigung erzielt werden konnte, gab es Vereinbarungen, die für eine fortschrittliche Entwicklung der Menschheit von Bedeutung waren. Dazu gehörten die Abkommen über die Gründung der Vereinten Nationen, die Deklaration über das befreite Europa. Den befreiten Völkern wurde das Recht eingeräumt, „demokratische Einrichtungen nach eigener Wahl zu schaffen, … sich die Regierungsform, unter der sie leben werden, selbst zu wählen…”138)
Die drei Unterzeichner des Kommuniques bekräftigten ihre Absicht, „in Zusammenarbeit mit anderen friedliebenden Nationen eine auf Recht und Gesetz gegründete Weltordnung zu schaffen, die dem Frieden, der Sicherheit, der Freiheit und dem allgemeinen Wohl der gesamten Menschheit geweiht ist.”139)
Wenn diese in den Erklärungen genannten Absichten später von den imperialistischen Mächten nicht eingehalten wurden – und bis in die Gegenwart nicht eingehalten werden -, so kann man dies nicht der Konferenz anlasten, der sowjetischen Delegation unter Leitung Stalins schon gar nicht. Unter dem Aspekt der sowjetischen Politik in der Endphase des Krieges und ihrer Friedenspolitik in der Nachkriegszeit war die Krimkonferenz ein Erfolg der Sowjetregierung und ihres Vorsitzenden, des Genossen Stalin.
Jahrzehnte später beschrieb Gromyko die Rolle Stalins auf der Krimkonferenz: „Kein einziges Mal auf der Konferenz hat Stalin eine wichtige Mitteilung seiner beiden Partner falsch gehört oder verstanden. Sein Gedächtnis funktionierte wie ein Computer, und ihm entging nichts. Wie nie zuvor wurde mir in den Sitzungen im Liwadia-Palais bewusst, welche ungewöhnlichen Fähigkeiten dieser Mann besaß.
Stalin sorgte dafür, daß jedes Mitglied der sowjetischen Delegation vollständig über die wichtigsten Aufgaben der Konferenz, wie er sie sah, im Bilde war. Er leitete die Arbeit der Delegation mit einer Selbstsicherheit, die sich uns allen mitteilte, insbesondere denen, die am Konferenztisch saßen.
Trotz des Zeitmangels fand Stalin Gelegenheit, mit denen in der Delegation zu sprechen, die sich aufgrund ihrer Position ein Urteil bilden oder mit den Amerikanern und Briten Kontakt halten konnten. Die Teilnehmerzahl bei diesen internen Zusammenkünften war je nach Thema unterschiedlich groß.
Einmal arrangierte Stalin eine Art Cocktailparty, während der er mit jedem Mitglied der sowjetischen Delegation ein paar Worte wechselte und langsam, mit nachdenklichem Gesicht, von einem zum andern ging. Von Zeit zu Zeit wurde er lebhaft und machte sogar Witze. Er kannte jeden einzelnen; er setzte seinen Stolz daran, viele Menschen zu kennen und sich an ihre Namen und oft sogar daran zu erinnern, wo er sie kennen gelernt hatte. Das machte immer Eindruck.
Stalin ging von Gruppe zu Gruppe und stellte Fragen. Er selbst sagte sehr wenig, er hörte aufmerksam zu. Ich hatte das Gefühl, daß er die ganze Zeit über arbeitete und sich auf die nächste Zusammenkunft der Großen Drei vorbereitete.”140)
Shukow hatte nach der Konferenz, am 7. oder 8. März, ein Gespräch mit Stalin, in dem er auf die Konferenz zu sprechen kam. Stalin meinte, daß nach der Konferenz eine Verständigung über die militärischen Aktionen erreicht worden sei, daß sich „seither … die Koordinierung der Handlungen bedeutend verbessert” habe.
Stalin habe geäußert, daß man sich auf der Konferenz bezüglich der westlichen Staatsgrenze Polens verständigt habe, die längs der Oder und Görlitzer Neiße verlaufen sollte, doch es habe Meinungsverschiedenheiten über die zukünftige polnische Regierung gegeben.
„Churchill will, daß ein bürgerliches Polen, das uns fremd ist, an die Sowjetunion grenzt. Wir können das aber nicht zulassen”, sagte Stalin. „Wir wollen ein für allemal ein uns freundschaftlich verbundenes Polen haben. Diese Freundschaft will auch das polnische Volk.”
Dann fügte Stalin hinzu: „Churchill drängt sich mit seinem Mikolajczyk vor, der über vier Jahre lang in England herumsaß. Die Polen werden Mikolajczyk aber nicht akzeptieren. Sie haben ihre Wahl schon getroffen…”141)
Hier lag entweder bei Shukow oder Stalin ein Mißverständnis vor – oder auch die Auslegung der Beschlüsse über die Westgrenze von Stalin. Die Frage der westlichen Grenze war „bis zur Friedenskonferenz zurückgestellt”142) worden, d.h. die Lausitzer (oder Görlitzer) Neiße als Westgrenze Polens von Churchill und Roosevelt nicht bestätigt worden. Ob in Gesprächen zwischen Stalin mit Roosevelt und Churchill letztere an Stalin neben den offiziellen Verlautbarungen entsprechende Zusicherungen gegeben haben, wäre bei Roosevelt möglich, bei Churchill unwahrscheinlich. Irgendwelche Hinweise dafür habe ich nicht gefunden.

Anmerkungen
1) SW 14/356 – 370.
2) Ebd. S. 360.
3) Ebd.
4) Ebd.
5) Ebd. S. 364. Hervorhebung von mir.
6) Ebd. S. 365.
7) Ebd. S.366.
7a) Max Domarus: Hitler, Reden und Proklamationen. Bd. II. Untergang. Zweiter Halbband, 1941 – 1945. Wiesbaden 1973, S. 2213.
7b) Ebd. S. 2187.
8) Joseph Goebbels Tagebücher 1945. Einführung von Rolf Hochhut. 2. Auflage, Hamburg 1977, S. 72, 116, 249, 110, 363. In der Schlacht bei Cannae (216 v.u.Z.) hatten die Römer im 2. Punischen Krieg eine vernichtende Niederlage erlitten. Die Karthager unter Hannibal standen vor den Toren Roms. Die Römer hatten jedoch ihre Stadt erfolgreich verteidigen können. Einer Sage nach hatten die Gänse zu schnattern begonnen, als die Karthager des nachts die Mauern Roms ersteigen wollten und die Römer geweckt. Das war das „Wunder” des 2. Punischen Krieges. – Das Preußen Friedrichs II. dem Großen, war gegen Ende des Siebenjährigen Krieges (1756 – 1763) am Ende, nach Friedrich II. „in der Agonie und erwartete die letzte Ölung.” Am 12. Januar 1762 starb die Zarin Elisabeth. Ihr Nachfolger, Peter III., ein Bewunderer Friedrichs, beendete sofort den Krieg gegen Preußen, das dadurch seiner vernichtenden Niederlage entging. Das war das „Mirakel” des Hauses Brandenburg.
9) Goebbels, Tagebücher, a.a.O. S. 363.
10) Ebd. S. 116.
11) SW 14/367.
12) Ebd. S. 369.
13) Ebd.
13a) Gerhard Förster/Richard Lakowski: 1945. Das Jahr der endgültigen Niederlage der faschistischen Wehrmacht. Dokumente. Berlin 1975. S. 33.
14) G.K. Shukow: Erinnerungen und Gedanken. Bd. II. Moskau 1969/Berlin 1973. 4. überarbeitete Auflage. S. 241f.
15) Ebd. S. 242 f.
16) I.S. Konew: Das Jahr fünfundvierzig. Moskau 1966/Berlin 1982. 4. Auflage, S. 31.
17) Ebd. S. 26 f.
18) Ebd. S. 27.
19) Shukow, a.a.O. S. 241.
20) Ch. Bagramjan: So schritten wir zum Sieg. Moskau 1977/Berlin 1984, S. 429.
21) K.S. Moskalenko: In der Südwestrichtung. Bd. 2. Moskau 1975/Berlin 1979. S. 508.
21a) Zitiert nach Förster/Lakowski, a.a.O. S. 144.
22) Briefwechsel Stalins mit Churchill, Attlee, Roosevelt und Truman 1941 – 1945. Hrsg. vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR. Moskau 1957/Berlin 1961. S. 363.
23) Ebd. S. 363 f.
24) Hitlers Lagebesprechungen. Die Pro-tokollfragmente seiner militärischen Konferenzen 1942 – 1945, hrsg. von Helmut Heiber. Stuttgart 1962, S. 74.
25) Geschichte des zweiten Weltkrieges in zwölf Bänden. Hrsg. Institut für Militärgeschichte des Ministeriums für Verteidigung der UdSSR, – Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU, – allgemeine Geschichte der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, – Geschichte der UdSSR der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Bd. 10, Moskau 1979/Berlin 1982. S.286. Weiterhin Ge. II. W’krieg genannt.
26) Winston S. Churchill: Der Zweite Weltkrieg. Von Churchill selbst bearbeitete einbändige Fassung seines 12-bändigen Memoirenwerkes. Oktober 2003. S. 997.
27) Ebd. S. 998.
28) Ebd. S. 1000.
29) Ebd. S. 1003.
30) The Papers of Dwight D. Eisenhower: The War Years. Bd. 4. Baltimore – London 1970. S. 2407. Zitiert nach Ge. II. W’krieg, a.a.O. 10/288.
31) Ebd.
32) Papers of Eisenhower, S. 2428, Ge. II. W’krieg, 10/289.
33) Winston S. Churchill. Reden 1945, Endsieg, ges. von Charles Eade. Zürich 1950, S. 47.
34) Ge. II. W’krieg, a.a.O. 10/290.
35) Shukow, a.a.O. S. 238.
36) Ebd.
37) Ebd. S. 239.
38) Siehe Ulrich Huar: Stalins Beiträge zur marxistisch-leninistischen Militärtheorie und -politik. Das Jahr 1943. In: Schriftenreihe für marxistisch-leninistische Bildung der Kommunistischen Partei Deutschlands. Teil 1, Heft Nr. 168/II, S. 39 ff. Weiterhin „Schriftenreihe” genannt. Oder „offen-siv” Heft 5/2004, S. 33 ff.
39) Shukow, a.a.O. S. 244.
40) Ebd. S. 245.
41)Bagramjan, a.a.O. S. 430 f. Hervorhebung von mir.
42) K.K. Rokossowski: Soldatenpflicht. Moskau 1968/Berlin 1973, 2. Auflage, S. 375.
43) Ebd. S. 376.
44) Ebd. Unter den sowjetischen Generalen gab es auch nach dem Kriege unterschiedliche Einschätzungen einzelner Operationen.
45) Kurt von Tippelskirch: Geschichte des zweiten Weltkrieges. 2. Auflage, Bonn 1954, S. 531 und 532.
46) Shukow, a.a.O. S. 255.
47) Ebd. S. 257 und 259.
48) Konew, a.a.O. S. 15.
49) Ebd. S. 20.
50) Ebd.
51) Tippelskirch, a.a.O. S. 531.
52) Konew, a.a.O. S. 23 und 26.
53) Ebd. 3.5.
54) Ebd. S. 33.
55) Ebd.
56) Ebd. S. 43.
57) Am 26. Januar wurde die Heeresgruppe Mitte in Heeresgruppe Nord und diese in Heeresgruppe Kurland umbenannt.
58) Bagramjan, a.a.O. S. 432.
58a) Heinz Guderian: Erinnerungen eines Soldaten. IV. Auflage. Neckargemünd 1960. S. 374 f.
58b) Karl Dönitz: Zehn Jahre und zwanzig Tage. Erinnerungen 1935 – 1945. 9. Auflage. Koblenz 1985. S. 390 f.
59) Bagramjan, a.a.O. S.422, 424 f.
60) Ebd. S. 427.
61) Ebd. S. 431.
62) Ebd. S. 432.
63) Ge. II. W’krieg, 10/268.
64) Ebd. S. 276. Über den Seekrieg in der Ostsee im Jahre 1945 siehe Jürg Meister: Der Seekrieg in den osteuropäischen Gewässern von 1941 – 1945. München 1958. S. 115 – 135. Die Quellenlage bei Meister ist allerdings sehr begrenzt. Spätere veröffentlichte Archivmaterialien konnte er zu diesem Zeitpunkt nicht kennen.
65) Siehe Ge. II. W’krieg 10/276.- Dönitz, a.a.O. S. 390.
66) Moskalenko, a.a.O. S. 520 f.
67) Konew, a.a.O. S. 43.
68) Ebd. S. 21 f.
69) Ebd. S. 23 – 25.
69a) Förster/Lakowski, a.a.O. S. 39.
70) Moskalenko, a.a.O. S. 487
71) Ebd. S. 488. Friedrich Engels: Infanterie. I. Griechische Infanterie. In: MEW 14/343. Bei Engels heißt es dann weiter: „Bisher waren die Schlachten der Griechen in paralleler Ordnung ausgetragen worden; die Stärke der Frontlinie war an allen Punkten gleich. War eine Armee der gegnerischen zahlenmäßig überlegen, so bildete sie entweder eine tiefere Schlachtordnung, oder sie überragte die andere Armee an beiden Flügeln. Epaminondas dagegen bestimmte einen seiner Flügel für den Angriff und den anderen für die Verteidigung. Der angreifende Flügel setzte sich aus seinen besten Truppen und aus dem Gros seiner Hopliten (schwer bewaffnete und gepanzerte Infanterie, UH) zusammen, die in einer tiefen Kolonne formiert waren und denen leichte Infanterie und Kavallerie folgten. Der andere Flügel war natürlich bedeutend schwächer und wurde zurückgehalten, während die angreifende Kolonne die Linie des Feindes durchbrach, sich dann entweder entfaltete oder einschwenkte und so den Feind mit Unterstützung der leichten und berittenen Truppen aufrollte.”
72) Moskalenko, a.a.O. S. 488 f.
73) Churchill, a.a.O. S. 1018. In der Ausgabe ist ausdrücklich vermerkt: „Nachträgliche Hervorhebung durch den Verfasser.”
74) Ebd. S. 1042 – 1045.
75) Ebd. S. 1042.
76) Ebd. S. 1044.
77) Ebd.
78) Teheran. Jalta. Potsdam. Dokumentensammlung. Progress Verlag Moskau 1978. S. 111. (Weiterhin „Konferenzen” genannt)
79) Ebd. S. 116.
80) Elliot Roosevelt: Wie er es sah (AS HE SAW IT) Zürich 1947. S. 289.
81) Konferenzen, a.a.O. S. 121. Lord Arthur W. Tedder war Marschall der britischen Airforce.
82) Ebd. S. 123.
83) Ebd. S. 124.
84) Ebd. S. 126.
85) Ebd. S. 128.
86) Ebd. S. 130.
86a) Ebd. S. 200.
86b) Ebd.
86c) Ebd. S. 201.
86d) Ebd.
87) I.M. Maiski, 1932 – 1943 Botschafter in London/ im August 1943 zum Stellvertreter des Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten (Molotow) nach Moskau berufen.
88) Konferenzen, a.a.O. 131 – 133.
89) Ebd. S. 134 f.
90) Ebd. S. 135 f.
91) Ebd. S. 135 – 138.
92) Ebd. S. 139 f.
93) Ebd. S. 180.
94) Ebd. S. 193 f.
95) Ebd. S. 194.
96) Ebd. S. 201 f.
97) Andrej Gromyko: Erinnerungen. Internationale Ausgabe. Düsseldorf-Wien-New York. 1989. S. 129 f.
98) Ebd. S. 130.
99) Ebd.
100) Konferenzen, a.a.O. S. 145.
101) Ebd.
102) Ebd. S. 146.
103) Dumbarton Oaks. Landhaus der Harvard-Universität bei Washington. Konferenz Großbritannien, USA, UdSSR vom 28.8. – 27.9.1944; China, Großbritannien, USA vom 29.9. – 7.10.1944, über Satzungsentwurf für eine Weltsicherheitsorganisation beraten, die Grundlage für die spätere Charta der Vereinten Nationen. Siehe Kleine Enzyklopädie. Weltgeschichte. Bd. 2. Leipzig 1975. S. 489.
104) Konferenzen, a.a.O. S. 146.f.
105) Ebd. S. 147 f.
106) Ebd. S. 149.
107) Ebd.
108) Ebd. S. 150. Hervorhebung von mir.
109) Ebd.
110) Ebd.
111) Ebd. S. 151.
112) Zur Fulton-Rede siehe Helmuth Stöcker/Adolf Rüger: Handbuch der Verträge 1871 – 1964. Berlin 1968. S. 395 – 397. – Stalins Interview mit dem Korrespondenten der „Prawda” anläßlich der Rede Churchills in Fulton (USA) März 1946. SW 15/64 – 72.
113) Konferenzen, a.a.O. S. 161 f.
114) Ebd. S. 162 f.
115) Ebd. S. 167.
116) Ebd. S. 196.
117) Ebd. S. 202
118) Ebd. S. 208.
118a) Churchill. a.a.O. S. 1024.
119) Briefwechsel, a.a.O, S. 669 f.
120) Ebd. S. 670.
121) Ebd. S. 673. Die Provisorische Polnische Regierung wurde in den sowjetischen Dokumenten auch so bezeichnet, nach der Befreiung Warschaus auch als „Warschauer Regierung”, während in den westlichen Dokumenten die Provisorische Polnische Regierung als „Lubliner Regierung” bezeichnet wurde. Mit dieser Formulierung wollten sie ausdrücken, daß sie keine legitime „Polnische” Regierung sei. Die Regierungen der USA und Großbritanniens bezeichneten zu diesem Zeitpunkt die Londoner Exilregierung als die „legitime” Polnische Regierung, die von ihnen diplomatisch anerkannt war.
121a) Churchill, a.a.O. S. 1023. Es gibt kein gemeinsames Protokoll der drei Mächte. Die Protokolle stimmen inhaltlich im wesentlichen überein. Die Daten sind zum Teil unterschiedlich. Nach dem britischen Protokoll begann die Konferenz am 5. Februar, nach den Protokollen der UdSSR und den USA am 4. Februar. Siehe Liewellyn Woodward: British Foreign Policy in the Second Worid War. Her Majesty’s Stationary Office. London 1962.S. 485.
121b) Die Regierung der BRD erkannte die Westgrenze Polens, (Oder – Lausitzer Neiße) -erst am 7. Dezember 1970 an.
121c) Churchill, a.a.O. S. 1024.
122) Konferenzen, a.a.O. S. 151.
123) Ebd. S. 152.
124) Ebd.
125) Auf Probleme der „Meinungsbildung” kann hier nicht eingegangen werden. Das ist ein Thema für sich. Siehe hierzu G. Le Bon: Psychologie der Massen. Stuttgart 1960. Gustave Le Bon verfaßte sein Buch 1985. Er gilt als Stammvater moderner Massenmanipulation und „freier Meinungsbildung”.
126) Konferenzen, a.a.O. S. 152.
127) Ebd. S. 153 f.
127a) Churchill, a.a.O. S. 1024.
127b) Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg, 14. November 1945 – 1. Oktober 1946. Amtlicher Text, Deutsche Ausgabe. Nürnberg 1949. Bd. XV. S. 385 f.
127c) Konferenzen, a.a.O. S. 154.
128) Liewellyn Woodward, a.a.O. S. 485, Fußnote 3: „Now we are in for half an hour of it.”
129) Konferenzen, a.a.O. S. 155 – 158.
130) Ebd. S. 158 f.
131) Ebd. S. 205 und 206.
132) Ebd. S. 182 f.
133) Ebd. S. 182 f. Am 7. März 1945 wurde unter Vorsitz von Marschall Tito eine Volksregierung gebildet, in die einige Politiker der Londoner Exilregierung eintraten: Dr. Subasic, Gröl, Sutej. Damit endete die Londoner Exilregierung. Am 11. November fanden in Jugoslawien Wahlen zur konstituierenden Nationalversammlung statt. Am 29. November erfolgte die Proklamation der VR Jugoslawien.
134) Konferenzen, a.a.O. S. 206.
135) Ebd.
136) Ebd. S. 213 f
137) Siehe Schriftenreihe… a.a.O. Heft Nr. 168/2, S. 3, oder „offen-siv” Heft 5/2004, S. 54.
138) Konferenzen, a.a.O. S. 203.
139) Ebd. S. 204.
140) Gromyko, a.a.O. S. 127 f.
141) Shukow, a.a.O. S. 275.
142) Konferenzen, a.a.O. S. 206.

„Das Jahr Fünfundvierzig” – Teil 2
Die Berliner Operation
Kontroversen
Wie Shukow in seinen Erinnerungen schrieb, hätten einige Verfasser von Memoiren, namentlich Marschall Tschuikow, die Frage gestellt, warum das Oberkommando der 1. Belorussischen Front (d.h. Shukow als deren FOB) nicht auf Fortsetzung der Offensive der Weichsel-Oder-Operation auf Berlin gegenüber dem HQ (d.h. Stalin als Obersten Befehlshaber) gedrungen habe. Nach Tschuikow hätte man „Berlin schon im Februar nehmen können. Das hätte natürlich das Kriegsende näher gebracht.”1)
Shukow hatte Ende Januar dem HQ vorgeschlagen, nach Auffüllung und Ergänzung der Vorräte der 1. Belorussischen Front „am Morgen des 1. und 2. Februar die Offensive fortzusetzen, um die Oder aus der Bewegung heraus zu überwinden. Weiter wurde geplant, eine zügige Offensive in Richtung Berlin zu entfalten, wobei die Hauptkräfte konzentriert werden sollten, um Berlin von Nordosten, Norden und Nordwesten zu umgehen. Am 27. Januar bestätigte das Hauptquartier diesen Vorschlag.”2)
Shukow stimmte also mit Tschuikow darüber überein, daß zu jener Zeit der Gegner nur über begrenzte Kräfte verfügte, seine Verteidigung schwach war. Marschall Konew, FOB der 1. Ukrainischen Front, brachte am 28. Januar einen ähnlichen Vorschlag im HQ ein. Danach sollten die Truppen seiner Front die deutsche Gruppierung bei Breslau zerschlagen, zwischen dem 25. und 28. Februar die Elbe erreichen und mit dem rechten Flügel seiner Front zusammen mit den Truppen der 1. Belorussischen Front Berlin nehmen. Das HQ bestätigte am 29. Januar auch diesen Plan.
Der Voranschlag des Kriegsrates der 1. Belorussischen Front sah neben anderen Aufgaben vor, „ …durch einen zügigen Vorstoß am 15. und 16. Februar Berlin zu nehmen”.3)
Die Planungen der 1. Belorussischen und 1. Ukrainischen Front und des HQ sahen also im Januar vor, Berlin schon im Februar zu nehmen.
Es kam aber anders.
In den ersten Februartagen reifte eine ernste Gefahr heran. Das deutsche Oberkommando konnte einen Gegenstoß aus Ostpommern in die rechte Flanke und das Hinterland der Hauptgruppierung der 1. Belorussischen Front, die zur Oder vorrückte, unternehmen. Shukow zitiert eine Aussage von Generalfeldmarschall Keitel, dem Chef des OKW, wonach eine Gegenoffensive aus Pommern geplant war, um „die russische Front” zu „durchbrechen und durch die Warthe- und Netzeniederung Küstrin von hinten” zu erreichen.4)
Generaloberst Guderian, zu dieser Zeit noch Chef des OKH, schrieb, daß ein „begrenzter Stoß aus dem Raume Arnswalde” (Choszczno) vorgesehen war, „mit dem Ziele, die Russen nördlich der Warthe zu schlagen und die Provinz Pommern und die Verbindung mit Westpreußen zu halten.”
Der Angriff sollte erfolgen, bevor „weitere russische Truppen” an die Oder herangeführt werden. Er mußte „blitzschnell geführt werden”. Guderian war entschlossen, „den Angriffsbeginn auf den 15. Februar festzusetzen….”5)
Am 16. Februar erfolgte der Angriff der 3. deutschen Panzerarmee unter Generaloberst Rauß, machte bis 17. Februar „gute Fortschritte”, blieb dann aber stecken und „konnte nicht wieder in Fluß gebracht werden.”6)
Nun konnten weder Shukow, noch Stalin und der Generalstab im HQ damals etwas über die Absichten Keitels oder Guderians wissen, aber die Gefahr, die aus Pommern an der rechten Flanke der 1. Belorussischen Front drohte, hatten sie erkannt. In Ostpommern standen zwischen Weichsel und Oder noch starke deutsche Verbände, die 2. und 11. deutsche Armee mit 16 Infanteriedivisionen, 2 bis 4 Panzerdivisionen, 3 motorisierte Divisionen, 4 Brigaden und 8 Kampfgruppen. Bei Stettin stand noch die bereits genannte 3. Panzerarmee, die auch eingesetzt wurde. Die sowjetische Aufklärung informierte, „daß diesen Armeen neue Kräfte zugeführt wurden.”7)
Natürlich war auch Tschuikow die Konzentration starker deutscher Kräfte in Pommern nicht entgangen. Er meinte jedoch, daß man ein Risiko in jedem Kriege häufig eingehen müsse.8) Shukow stimmte soweit zu, daß es ohne Risiken im Kriege nicht abgeht, wie die Erfahrungen lehren. Aber auch für Risiken gäbe es Grenzen. Risiken müssen kalkulierbar bleiben.9)
Marschall Konew setzte sich mit analogen Auffassungen auseinander: „Mancher ist der Meinung, daß man anstelle der Niederschlesischen Operation besser hätte an der Oder haltmachen und Kräfte sammeln sollen, um nach Durchbrechen der deutschen Verteidigung die Strecke, die die 1. Ukrainische Front noch von Berlin trennte, in einem Zuge zu überwinden.”10)
Die Niederschlesiche Operation dauerte 17 Tage, vom 8. bis 24. Februar. Im Zuge schwerer, verlustreicher Kämpfe gegen starke deutsche Kräfte schlossen Truppen der 1. Ukrainischen Front am 17. Februar Breslau ein. Den sowjetischen Truppen standen im Raum Breslau noch 37 Divisionen gegenüber, darunter 7 Panzerdivisionen, die während der Operation noch durch von der Westfront abgezogene Truppen verstärkt wurden, so durch die 21. Panzer- und 18. motorisierte Infanteriedivision.11) Man dürfe „den Grad” der „Organisiertheit der deutschen Führung in diesem für sie kritischen Moment keinesfalls gering einschätzen, wenn auch die Ordnung nach Aussagen Hunderter Gefangener nur durch grenzenlosen faschistischen Terror wiederhergestellt wurde.”12)
Konew meinte, daß ohne die Niederschlesische Operation die Schwierigkeiten der Berliner Operation noch wesentlich erhöht, daß „die Einnahme Berlins und die Befreiung Prags viel später erfolgt” worden wären. „Trotz der Lehren aus der Niederschlesischen Operation wird auch noch hier und da leichtfertigerweise der Standpunkt vertreten, daß wir bereits im Februar die Offensive gegen Berlin hätten eröffnen sollen.”13)
In der Auswertung der Schlachten des Großen Vaterländischen Krieges waren Meinungsverschiedenheiten zwischen sowjetischen Generalen keine Seltenheit. Ob eine Weiterführung der Offensive im Februar nach Berlin zu einem früheren Zeitpunkt möglich – und erfolgreich – gewesen wäre, erscheint mir unwahrscheinlich. Der Historiker sollte sich auch nicht an Spekulationen halten, sondern an den konkreten Verlauf des Krieges.
„Wer wird Berlin nehmen, …?”
„Die Anglo-Amerikaner, die, wenn sie gewollt hätten, Berlin zuerst hätten erreichen können, ließen den Russen bei der Eroberung den Vortritt. 1941 hatte die deutsche Armee Moskau bedroht. Nun war es verständlich, daß man Marschall Shukow, der Moskau verteidigt hatte, den Ruhm überließ, Berlin zu erobern.” Soweit der westdeutsche Historiker Max Domarus in einer Fußnote in seiner Dokumentation „Hitler. Reden und Proklamationen 1941 bis 1945.”14)
Domarus gibt keinen Hinweis, woher er diese Weisheit hat. Die Fakten, die aktenkundig belegt sind, besagen etwas anderes.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß Churchill wiederholt gedrängt hat, Berlin „vor den Russen” zu nehmen, desgleichen auch Wien. Noch nach dem 28. März hat er sich, wie w.o. erwähnt, an Präsident Roosevelt gewandt, daß sie „vom politischen Standpunkt aus … Berlin unbedingt nehmen müssen…”15)
Feldmarschall Montgomery schrieb in seinen Memoiren, daß sie Wien, Prag, Berlin, „alle drei Städte vor den Russen” hätten bekommen können15a), wenn, ja wenn…! sie nach der Balkanvariante Churchills verfahren wären.
Diese Spekulation berücksichtigt nicht, daß in einem solchen Fall das OKW wie auch das sowjetische HQ darauf reagiert hätten, mit welchem Ausgang, kann auch nur wieder spekulativ beantwortet werden. Montgomery vergißt auch dabei, daß die Initiative der Kampfhandlungen auf Seiten der Sowjetunion war, daß auch das angloamerikanische Oberkommando dies berücksichtigen mußte.
Diese Argumentation erinnert an das altbekannte Volkssprichwort: „Wenn der Hund nicht ge…… hätte, hätte er den Hasen gekriegt.”
Nach Shukow habe Eisenhower am 7. April vor dem Vereinigten Stab der Alliierten erklärt, daß er „im Falle einer leichten Einnahme Leipzigs sofort auf Berlin vorrücken” würde, wobei er seinen Standpunkt mit politischen Erwägungen begründete.16)
Shukow berichtet über Gespräche mit amerikanischen und britischen Generalen nach Kriegsende, darunter Eisenhower, Montgomery, auch mit dem französischen General Lattre de Tassigny, und anderen, in denen sich herausgestellt habe, „daß eine Eroberung Berlins durch die alliierten Truppen erst von der Tagesordnung gestrichen wurde, als die sowjetischen Truppen an der Oder und Neiße durch den mächtigen Schlag ihrer Artillerie, Granatwerfer und Fliegerkräfte sowie durch den gemeinsamen Angriff der Panzer- und Schützenverbände die Verteidigung des Gegners bis in die Grundfesten erschüttert hatten.”17)
Über Kungeleien faschistischer Führer – zum Teil mit Wissen Hitlers, zum Teil gegen dessen Absichten – mit den westlichen Alliierten waren Stalin und das HQ informiert, wenn auch nicht über alle Einzelheiten, die erst nach dem Kriege bekannt wurden.
Stalin äußerte sich gegenüber Shukow in einem Gespräch am Abend des 29. März: „Die deutsche Front im Westen ist endgültig zusammengebrochen, offenbar wollen die Nazis nichts tun, um das Vorrücken der alliierten Truppen aufzuhalten. Sie verstärken jedoch ihre Gruppierungen in allen wichtigen Richtungen gegen uns. Da ist die Karte, Sie können sich die letzten Angaben über die deutschen Truppen ansehen… Ich denke, daß uns eine ernste Schlägerei bevorsteht…”18)
Nach den damaligen Unterlagen verfügten die Faschisten im Raum Berlin über 4 Armeen mit mindestens 90 Divisionen, darunter 14 Panzer- und motorisierte Divisionen, 37 selbständige Regimenter und 98 selbständige Bataillone. Erst später stellte sich heraus, daß die Berliner Gruppierung über mindestens eine Million Mann, 10.000 Geschütze und Granatwerfer, 1.500 Panzer und SFL sowie 3.300 Kampfflugzeuge verfügte. In Berlin selbst standen 200.000 Mann. Sie verfügten über 3.000 Geschütze und Granatwerfer und 250 Panzer.19)
Stalin informierte Shukow über den Brief eines „ausländischen Freundes”, in dem über Geheimverhandlungen zwischen faschistischen Agenten und „offiziellen Vertretern der westlichen Alliierten” berichtet wurde. Aus dem Brief ging hervor, „daß die Nazis bereit waren, den Kampf gegen die Alliierten einzustellen, wenn diese einen Separatfrieden eingehen würden.” Die Alliierten hätten zwar diese Vorschläge zurückgewiesen, „die Faschisten würden jedoch möglicherweise den Truppen der Westmächte den Weg nach Berlin öffnen.”20)
Schtemenko berichtet über ein zweites Treffen zwischen dem SS-General Wolff am 19. März in der Schweiz, (Das erste Treffen fand am 8. März mit Allan Dulles statt.) an dem „incognito” auch die Stabschefs der auf dem italienischen Kriegsschauplatz handelnden angloameri-kanischen Truppen teilnahmen. Erst am 21. März wurde die Sowjetregierung offiziell von den Verhandlungen unterrichtet.21)
Wie Konew berichtet, ließ Stalin am 1. April im HQ Schtemenko vor Shukow und Konew ein Fernschreiben vorlesen, aus dem hervorging, „daß das angloamerikanische Oberkommando eine Operation zur Einnahme Berlins vorbereitete, um die Stadt vor der Roten Armee zu besetzen. Dazu werde eine starke Gruppierung unter dem Oberbefehl von Feldmarschall Montgomery gebildet. Die Hauptstoßrichtung sei nördlich der Ruhr, auf dem kürzesten Weg, der die britische Hauptgruppierung von der deutschen Hauptstadt trennt, geplant. Das Fernschreiben enthielt eine ganze Reihe vorbereitender Maßnahmen des Alliierten Oberkommandos zur Schaffung der Gruppierung und zur Konzentration von Truppen. Schließlich konnte man ihm entnehmen, daß der Stab der westlichen Alliierten die Möglichkeit, Berlin vor der Roten Armee zu nehmen, für durchaus real hielt und sich entsprechend darauf vorbereitete.” Stalin stellte danach an Shukow und Konew die Frage: „Wer wird Berlin nehmen, wir oder die Alliierten?”22)
Guderian berichtet über ein Gespräch vom 23. Januar mit dem Verbindungsmann des Auswärtigen Amtes zum Generalstab des Heeres, Gesandter Dr. Paul Barandon, wie die „wenigen diplomatischen Beziehungen, die das Auswärtige Amt noch besaß”, genutzt werden konnten, „um wenigstens nach einer Seite zum Waffenstillstand zu kommen. Wir hofften, bei den Westgegnern vielleicht so viel Verständnis für die Gefahren, die mit dem raschen Vordringen der Russen nach Deutschland hinein und vielleicht sogar durch Deutschland hindurch verbunden waren, zu finden, daß sie einem Waffenstillstand oder doch einer stillschweigenden Übereinkunft geneigt sein könnten, die uns unter Preisgabe des Westens an die Westmächte die Verteidigung des Ostens mit dem Rest unserer Kraft gestatten würde.”23)
Ein Gespräch gleichen Inhalts führte Guderian mit Ribbentrop am 25. Januar, ohne Ergebnis. Guderian war jedoch entschlossen, „den gleichen Plan auf anderem Wege weiter zu verfolgen.”24)
Nach dem 13. März wandte sich Guderian an Himmler, den er aufforderte, seine internationalen Beziehungen auszunutzen, „um das immer sinnloser werdende Morden zu beenden.” Offenbar aber wohl nur im Westen!
Am 21. März wiederholte Guderian seinen Besuch bei Himmler, um ihn zu bewegen, für einen Waffenstillstand einzutreten.25)
Mit dem Bemühen um einen Waffenstillstand wollte Guderian die in Jalta von den drei Mächten der Antihitlerkoalition beschlossene Forderung nach „bedingungsloser Kapitulation” aller deutschen Streitkräfte an allen Fronten vor den drei verbündeten Mächten umgehen. Die westlichen Alliierten hätten gern Berlin selbst besetzt. Einige faschistische Generale waren bereit, die Front im Westen zu öffnen, um sie nach Berlin hereinzulassen. Daß es anders kam, lag an der Offensive der sowjetischen Armeen, die am 16. April begann und allen Spekulationen ein Ende bereitete.
Es war also ganz und gar nicht so, wie Domarus in der Manie feudaler Ritterlichkeit: „Messeigneurs; Sie haben den ersten Schuß!” meinte, daß die Angloamerikaner Marshall Shukow den „Vortritt” ließen, Berlin zu nehmen.

Plan der Berliner Operation
Die Planung der Berliner Operation begann im HQ schon Ende 1944. An der Beratung im Hauptquartier Ende März 1945 nahmen Shukow und Konew teil, Rokossowski wurde später im HQ von Stalin informiert. Am 1. April legte Antonow den Gesamtplan vor. Für die Einschließung Berlins waren vom HQ drei Fronten vorgesehen, die 1. und 2. Belorussische und die 1. Ukrainische Front.
Die 2. Belorussische Front, FOB Rokossowski, sollte die Oder am Unterlauf forcieren, die deutsche Gruppierung bei Stettin zerschlagen, bis zum 12. – 15. Operationstag die Linie Anklam – Demmin – Malchow – Waren – Pritzwalk – Wittenberge erreichen. Unter günstigen Bedingungen sollten Teilkräfte der 2. Belorussischen Front nach Süden drehen, um die gegnerische Verteidigung an der Oder aufzurollen.
Die 1. Belorussische Front, FOB (und Stellvertreter Stalins) Shukow, sollte die gegnerischen Truppen in der direkten Berliner Richtung zerschlagen und nach 12 bis 15 Operationstagen Berlin besetzen.
Die 1. Ukrainische Front, FOB Konew, sollte die Lausitzer Neiße forcieren, die gegnerischen Gruppierungen im Raum Cottbus und südöstlich Berlins zerschlagen und bis zum 10. bis 12. Operationstag die Linie Beelitz – Wittenberg und weiter elbaufwärts bis Dresden erreichen.26)
Konew glaubte zwar nicht, wie er schrieb, daß sich die Alliierten auf Abmachungen mit dem faschistischen Oberkommando einlassen würden, doch schloß er eine solche Möglichkeit auch nicht aus. Dieser Umstand gab der Berliner Operation eine besondere Brisanz. „Auf jeden Fall mußten wir damit rechnen, daß die faschistische Führung den Amerikanern und Engländern den Weg zur Hauptstadt öffnen, uns aber bis zum letzten Widerstand leisten würde.”26a)
Dies wurde Wirklichkeit, wie noch zu zeigen sein wird.
Das HQ hatte also keine Zeit zu verlieren. Die Vorbereitungen der Operation mußten nach 12, höchstens 15 Tagen abgeschlossen sein.
Die 2. Belorussische Front hatte besondere Schwierigkeiten, die sich aus den landschaftlichen Bedingungen bei Forcierung des Unterlaufs der Oder mit ihren zwei großen Armen, der Ost- und der Westoder ergaben. Die Schwierigkeiten ergaben sich nicht nur aus den geografischen Besonderheiten der Odermündung. Die 2. Belorussische Front hatte die Ostpommern-Operation mit der Einnahme von Danzig am 30. März26b) zwar im wesentlichen beendet, aber doch noch nicht ganz abgeschlossen. Im Raum Krockow (Krokowa) kämpfte die 65. Armee noch immer bis zum 6. April gegen deutsche Truppen. Die 19. Armee mußte noch Reste der deutschen Gruppierung auf der Putziger Nehrung zerschlagen.26c)
Die Vernichtung der starken deutschen ostpommerschen Gruppierung war schwierig und verlustreich. Sie dauerte vom 19. Februar bis zum 30. März, knapp sieben Wochen. Sie hatte die Truppen der 2. Belorussischen Front erschöpft. Der Front standen deutsche Armeen in einer Stärke von 230.000 Mann gegenüber, die mit 700 Panzern und SFL, 300 Schützenpanzerwagen, 20 Panzerzügen und 3.600 Geschützen und Granatwerfern ausgerüstet waren.26d) Sie wurden über See versorgt. Zeitweilig griffen Überwassereinheiten der Kriegsmarine artilleristisch in die Kämpfe von See aus ein. Am rechten Flügel der 1. Belorussischen Front standen zu diesem Zeitpunkt noch 200.000 Mann starke deutsche Kräfte mit 700 Panzern, 2.500 Geschützen und Granatwerfern und 300 Kampfflugzeugen.26e)
Der Teil der 1. Belorussischen Front, der noch an der Ostpommern-Operation teilgenommen hatte, wurde abgezogen, um in der Hauptrichtung Berlin eingesetzt zu werden. Die von diesen Armeen eingenommenen Räume waren nunmehr von Truppen der 2. Belorussischen Front zu besetzen. Die 2. Belorussische Front hatte eine Frontlänge von der Odermündung, Stettin bis Schwedt zu besetzen. Die Mehrheit der Truppen befand sich jedoch noch im Raum Gdinia – Danzig. Hunderttausende Soldaten, tausende Geschütze, zehntausende Tonnen Munition und eine Menge anderen Kriegsmaterials mußten auf einer Strecke von 300 bis 350 Kilometern herangeführt werden. Straßen und Eisenbahnlinien waren zum großen Teil zerstört. Züge verkehrten streckenweise nur im Schritttempo. Nur Panzer und andere Kettenfahrzeuge wurden per Bahn transportiert, alles übrige mußte per Landmarsch verlegt werden. Die Truppen mußten im Wechsel, teils zu Fuß marschieren, teils mit Lastkraftwagen befördert werden. Die durchschnittliche tägliche Marschleistung war auf 30 bis 50 Kilometer, je nach Beförderungsart, zu Fuß 30 bis 35 Kilometer, festgelegt. Der Angriffstermin der 2. Belorussischen Front wurde daher auf den 20. April festgelegt, und auch das erst nach Darlegung aller Schwierigkeiten durch Rokossowski in Gesprächen mit Stalin im HQ.26f)
Angesichts der Ambitionen der westlichen Alliierten bezüglich Berlins konnte das HQ jedoch nicht so lange warten.27) Die 1. Belorussische Front und die 1. Ukrainische Front mußten die Offensive am 16. April beginnen, die 2. Belorusssische Front folgte vier Tage später.
Shukow wies auf die großen Schwierigkeiten hin, vor denen die sowjetischen Armeen standen. Er hatte an vielen großen und wichtigen Offensiven des ganzen Krieges teilgenommen, aber „die bevorstehende Schlacht um Berlin war eine besondere, beispiellose Operation. Die Front mußte eine durchgehend gestaffelte Zone mächtiger Verteidigungslinien von der Oder bis zur stark befestigten Stadt durchbrechen. An den Zugängen von Berlin hatten wir eine große Gruppierung zu zerschlagen, damit wir die Hauptstadt des faschistischen Deutschlands nehmen konnten, um die sich der Gegner auf Leben und Tod schlagen würde.”28)
Im bisherigen Kriege hatten die sowjetischen Truppen noch keine so große und stark befestigte Stadt wie Berlin einnehmen müssen, die sich über 900 Quadratkilometer erstreckte und über ein weitverzweigtes Netz unterirdischer Anlagen verfügte.29) Dies erforderte besonders gründliche, umfassende Vorbereitungen innerhalb von 14 Tagen.
Das HQ stellte für die drei Fronten, die die Offensive in der Berliner Richtung durchzuführen hatten, sehr starke Kräfte bereit: 19 allgemeine Armeen, 4 Panzer- und 4 Luftarmeen, rund 170 Schützen- und Kavalleriedivisionen sowie 8 selbständige Panzer- und mechanisierte Korps. Diese strategische Gruppe zählte 2,5 Millionen Soldaten und Offiziere, verfügte über 41.000 Geschütze und Granatwerfer, 6.300 Panzer und 7.500 Kampfflugzeuge. Damit waren die sowjetischen Armeen dem Gegner an Soldaten und Offizieren um das 2,5fache, bei Artillerie um das 4fache, bei Panzern und SFL um das 4,1fache und bei Flugzeugen um das 2,3fache überlegen.30) An der Berliner Operation nahmen auch die Truppen der 1. und 2. Polnischen Armee teil.31)
Diese sehr starke Konzentration von Truppen, – Artillerie, Panzer, Flugzeuge – stellte hohe Anforderungen an den Nachschub. Es wurden große Mengen an Treib- und Schmierstoffen sowie Munition benötigt, die herangeschafft werden mußten.
Die Versorgung der Armeen wurde anfänglich auch durch Naturereignisse behindert. Ende März, Anfang April setzte Tauwetter ein und damit begann am Weichseloberlauf das Eis aufzubrechen, das in großen „Eisbergen” stromabwärts trieb, die Brückenpfeiler beschädigte, zum Teil zerstörte, so die Brücken, über die der Nachschub für die 1. Ukrainische Front rollte. Die Brücken mußten gerettet, und wo sie zerstört waren, in kürzester Frist wiederhergestellt werden, sonst würden die Angiffsarmeen für 10 bis 15 Tage vom Nachschub abgeschnitten sein, d.h., die Berliner Operation hätte um diesen Zeitraum verschoben werden müssen.
Der Kampf mit den Naturgewalten, Zerstörung der Eisschollen durch Bombenabwurf oder Sprengung, so daß die zerkleinerten Eisstückchen abfließen konnten, ohne die Brückpfeiler zu zerstören, dauerte drei Tage.
Die einzige Brücke, über die der Nachschub für die 2. Belorussische Front rollte, bei Torn (Torun), wurde durch Eisdruck zerstört und fortgerissen. Der Nachschub für die 2. Belorussische Front mußte über Warschau umgeleitet werden.
Ein weiteres Problem war die Spurbreite der Bahngleise. Bis Frankfurt/Oder waren sie auf russische Spurbreite umgenagelt worden, ab Frankfurt in Richtung Berlin verblieb sie auf westeuropäischer Norm.32) Die Züge mußten umgeladen werden.
Zu Beginn der Berliner Operation mußten auch Straßenbrücken über die Oder in kürzester Zeit geschlagen werden, insgesamt 25 Brücken mit einer Gesamtlänge von 15.017 Metern. Während der Vorbereitung und Durchführung der Berliner Operation passierten 1.671.188 Kraftwagen und 400.000 Pferdegespanne diese Brücken in beiden Richtungen.33)
Der Bau nur einer Brücke, der Straßenbrücke über die Oder zum Küstriner Brückenkopf, sei hervorgehoben, um die ungeheuren Schwierigkeiten zu veranschaulichen.
Die Baustelle lag unter starkem Artillerie- und Granatwerferbeschuß. Sie war häufigen Luftangriffen ausgesetzt. Die Brücke war in sieben Tagen fertig, aber unter sehr hohen Verlusten: 201 Tote, davon 38 Ertrunkene und 186 Verwundete. Die Bautätigkeit der sowjetischen Pioniere vollzog sich oft unter hohen Verlusten.34)
Das deutsche Oberkommando hatte die strategische Bedeutung der Brücken natürlich auch erkannt. Am 18. April, zwei Tage nach Beginn der sowjetischen Offensive, zerstörten Kampfflugzeuge der Luftwaffe die beiden gerade fertiggestellten Eisenbahnbrücken über die Oder und Warta. Unter ununterbrochenem Bombardement waren die Brücken am 25. April wiederhergestellt, dem Tag, an dem der Sturm auf das Stadtzentrum Berlins begann. Am 25. April lief um 18 Uhr der erste Zug mit schwerer Artillerie in Berlin-Lichtenberg ein.35)
Um die Anforderungen an den Nachschub zu veranschaulichen, seien einige Zahlen genannt.
Die 1. Belorussische Front hatte zu dieser Zeit etwa 14.000 Artillerie- und Granatwerferrohre. Das Gewicht eines Kampfsatzes an Munition betrug 43.000 Tonnen. In Richtung des Hauptstoßes kamen auf einen Frontkilometer 272 Rohre, in einigen Fällen sogar 286 Rohre.
Für die ersten Tage der Berliner Operation waren etwa 1,15 Millionen Granaten sowie 500.000 reaktive Geschosse geplant, gleich 2.382 Waggons mit Munition. Auf einen Frontkilometer entfielen in der Hauptstoßrichtung 350 Tonnen Munition.36)
Für die 2. Belorussische und 1. Ukrainische Front wurden vom 1. April bis 9. Mai etwa 10.000 Waggons mit Munition angeliefert, davon allein 6.000 nach dem 16. April.37)
Die Anlieferung dieser enormen Menge an Munition für die drei Fronten in der Berliner Richtung ging zum Teil auf Kosten der Belieferung der anderen Fronten, die gar nicht unwichtig waren, wie die Offensiven in der Prager Richtung. So beklagte Marschall Moskalenko, AOB der 38. Armee der 4. Ukrainischen Front, die zur Befreiung des stark befestigten Industriegebietes von Moravska-Ostrava eingesetzt war, den Munitionsmangel für seine 76-mm-Divisionskanonen und die 122-mm-Haubitzen. Anforderungen an den Kriegsrat der 4. Ukrainischen Front (FOB Armeegeneral Jeremenko) wurden abgelehnt: „Diese Menge Granaten wird es nicht geben.”
Der Hauptgrund für die äußerst begrenzte Munitionszuteilung war neben der unzureichenden Durchlaßfähigkeit der Bahnlinien die Vorbereitung der drei Fronten auf die Berliner Operation. „Dort sollte der letzte vernichtende Schlag gegen das faschistische Deutschland geführt werden. Deshalb konzentrierten sich die rückwärtigen Dienste natürlich darauf, in erster Linie die Truppen in der strategischen Hauptrichtung mit allem Notwendigen zu versorgen.”38)
Die Truppen mußten auch mit Lebensmitteln versorgt werden, und nicht nur diese. Für die aus den Konzentrationslagern befreiten Menschen sowie die Bevölkerung in den jeweiligen Gebieten mußten ebenfalls Nahrungsmittel herangeschafft werden. Die Viehtransporte, bei Rindern meistens durch Viehtrieb mit allen Belastungen, Milcherzeugung, veterinärmäßige Betreuung, unterwegs kalbende Kühe, Futterbeschaffung etc. unter den komplizierten Bedingungen des durch die Faschisten verwüsteten Hinterlandes kamen hinzu.
Zur Vorbereitung und Durchführung der Berliner Operation gehörte auch die Weisung der Sowjetregierung, 5.000 Kühe für die Versorgung der Berliner Kinder bereitzustellen.38a)
Die „Verwaltung Rückwärtige Dienste” der 1. Belorussischen Front hatte einen hohen, mit entscheidenden Anteil an der Durchführung der Berliner Operation. Für die Sicherung des Nachschubs, der Versorgung der Truppen und Bevölkerung sowie der Schaffung und Aufrechterhaltung der Verkehrswege auf Schiene und Straße war eine „Wirtschaft” auf einem Gebiet von 250.000 bis 300.000 Quadratkilometern, nicht ganz von der Größe der Bundesrepublik39) erforderlich.
Die Politorgane der Roten Armee betrieben eine intensive politisch-ideologische Tätigkeit, wobei sie vor allem sich auf die Partei- und Komsomolorganisationen stützten. In der Nacht vor dem Angriff stellten 2.000 Soldaten und Offiziere der 1. Belorussischen Front den Antrag auf Aufnahme in die KPdSU. Die Militärräte der Fronten richteten einen Appell an die Truppen, sich gegenüber der deutschen Bevölkerung anständig zu verhalten. Der sowjetische Soldat, hieß es, werde sich niemals auf eine Stufe mit den faschistischen Kannibalen stellen, niemals die Würde des sowjetischen Menschen beflecken. „Er wird sich auf deutschem Territorium so führen, daß die ‘Kunde von der Roten Armee als Befreierin noch schneller um die Erde fliegt.’”40)
Solche Aufrufe und Befehle der Kriegsräte der Fronten, des HQ und Stalins persönlich hat es mehrfach gegeben. Unter den sowjetischen Soldaten und Offizieren gab es kaum einen, dessen Stadt oder Dorf nicht zerstört worden war, dessen Frau, Eltern, Geschwister, Kinder, Freunde von den Faschisten nicht ermordet oder verschleppt worden waren. Gefühle der Rache, der Vergeltung an den Faschisten, an den Deutschen schlechthin, waren unter ihnen verbreitet und auch verständlich. Es muß betont werden, daß die sowjetischen Kommandeure, die Partei- und Komsomolorganisationen der Armeen alles getan haben, um Ausschreitungen von Angehörigen der Roten Armee zu unterbinden, wenn sie auch nicht in allen Fällen verhindert werden konnten. Auf Verletzungen der Disziplin und Weisungen über das Verhalten gegenüber der deutschen Bevölkerung standen Strafen, von Seiten der Kommandeure, in schweren Fällen von Seiten der sowjetischen Militärjustiz.
In antikommunistischen Publikationen werden sie bis in die Gegenwart hochgespielt, verallgemeinert, wobei Ausschreitungen von Angehörigen der westlichen Alliierten, die es ebenfalls in nicht geringem Umfang gegeben hat, heruntergespielt bzw. gar nicht erwähnt werden. Beim Einsatz von Massenarmeen im Kriege sind Verbrechen an der Zivilbevölkerung in Einzelfällen unvermeidlich, wobei sie damit keineswegs gerechtfertigt oder entschuldigt werden sollen. Desgleichen ist ein „Aufrechnen” von einzelnen Ausschreitungen sowjetischer Militärangehöriger mit den von der faschistischen Führung befohlenen und ausgeführten Massenmorden, nicht nur von SS-Verbänden, sondern auch von Einheiten der Wehrmacht, nicht akzeptabel und von den geschichtlichen Fakten her nicht haltbar.
Letztendlich tragen die Verantwortung für solche Ausschreitungen die Anstifter des Krieges, in diesem Falle die faschistischen deutschen Imperialisten, die einen Raub-, Eroberungs-, Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion geführt haben. Wenn auch die ehemaligen Generale der Wehrmacht in ihren Memoiren die Verantwortung allein auf Hitler abzuwälzen suchen, in den Bereichen, wo sie kommandierten, waren auch sie verantwortlich für die Verbrechen, die von SS- oder Wehrmachtseinheiten begangen wurden.
Hitler, Goebbels und Goering haben in Reden, Proklamationen und Befehlen zur Vernichtung der slawischen Völker, der „Untermenschen” aufgerufen, Befehle, die von deutschen Truppen unter dem Kommando ihrer Generale auch ausgeführt wurden.
Stalin hat mehrfach erklärt, so im Befehl vom 23. Februar 1942, daß es nicht das Ziel der Roten Armee sei, das deutsche Volk auszurotten und den deutschen Staat zu vernichten. Solche Gerüchte in der „ausländischen Presse” wies er als „dummes Gefasel und törichte Verleumdung der Roten Armee” zurück. „Solche idiotischen Ziele hat die Rote Armee nicht…” Es ginge um die Befreiung des Sowjetbodens von den faschistischen deutschen Eindringlingen, wobei der Krieg „zur Vertreibung oder Vernichtung der Hitlerclique führen wird”. Die Hitlerclique sei nicht mit dem deutschen Volk, mit dem deutschen Staat gleichzusetzen, „die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat bleibt.”41)
Die Stunde der „Vernichtung der Hitlerclique” rückte mit der Berliner Operation näher. Es war dies zugleich die Stunde der Befreiung des deutschen Volkes von der barbarischen faschistischen Diktatur, die Stunde der Öffnung des Weges in eine friedliche Zukunft.
Das waren die Intentionen der sowjetischen Armeen bei ihrem Sturm auf Berlin, die die militärische Strategie und Politik der sowjetischen Generale, die Verhaltensweise der Masse der sowjetischen Soldaten und Offiziere bestimmten.

Die Befreiung Berlins
Die Vorbereitungen der Truppen der drei Fronten auf die Einnahme Berlins konnten der faschistischen Aufklärung nicht verborgen bleiben. Das OKW hatte Berlin in eine Festung verwandelt. Hitler habe sich politisch noch nicht geschlagen gegeben, meinte Tippelskirch: „Er vermeinte nur noch so lange durchhalten zu müssen, bis es zu der sicher zu erwartenden Entzweiung der Feinde käme. Daß die Engländer in Griechenland den Abzug der deutschen Besatzung überhaupt nicht zu stören versucht hatten und die dort aufflammende, aus der Widerstandsbewegung kommende kommunistische Revolution mit Waffengewalt niederschlugen, hielt er für das erste sichtbare Anzeichen der politischen Gegensätze im feindlichen Lager, aus der er glaubte Nutzen ziehen zu können, und der Tod Roosevelts am 12. April wurde in Berlin wie eine Schicksalsfügung begrüßt. Hitler ging noch weiter. Befangen in dem Wahngedanken, daß Deutschland unter ihm noch politische Bewegungsfreiheit habe, wollte er sich nach der Entzweiung der Verbündeten mit der Seite einigen, die ihm das beste Angebot machte.”42)
Nach der Eintragung vom 5. März in sein Tagebuch meinte Goebbels, „daß Stalin am ehesten in der Lage wäre, einen Kurswechsel in der Kriegspolitik durchzuführen, …” und am 8. März schrieb er, Hitler glaubte, „eine Möglichkeit der Verständigung mit der Sowjetunion zu finden… dann den Krieg gegen England mit brutalster Energie weiter fortzusetzen.” Am 12. März notierte Goebbels: „Den Krieg im Osten zu beseitigen und im Westen operativ zu werden – welch eine schöne Vorstellung.”43)
Für diesen Wahnsinn, der vielleicht nicht von allen Generalen im OKW geteilt wurde, den sie aber mitmachten, mußten noch Hunderttausende deutsche Soldaten sterben; 300.000 Sowjetsoldaten bezahlten diesen Wahn am Ende des Krieges mit dem Leben. Die „schöne Vorstellung” Goebbels begann dann auch am 16. April um 05.00 Uhr.
Shukow schrieb: „In diesem Augenblick leuchtete die ganze Gegend im Mündungsfeuer vieler tausender Geschütze und Granatwerfer und von den Geschoßgarben unserer Katjuschas auf. Dann setzte das Dröhnen der Abschüsse und Explosionen unserer Geschosse, Granaten und Fliegerbomben ein. In der Luft steigerte sich der Motorenlärm vieler hundert Bomber… Entlang der ganzen Front stiegen Tausende von Leuchtkugeln auf. Sie waren das Signal für 140 Scheinwerfer, die je 200 Meter voneinander entfernt standen. Mit mehr als 100 Milliarden Hefnerkerzen Leuchtkraft wurde das Schlachtfeld erhellt, der Gegner geblendet und die Angriffsobjekte aus dem Dunkel gerissen. Das war ein überaus eindrucksvolles Bild, und ich habe mein Leben lang nichts dergleichen gesehen.
Unsere Artillerie verstärkte ihr Feuer; Schützen und Panzer stießen gemeinsam vor, und ihr Angriff wurde durch eine starke, doppelte Feuerwalze begleitet. Bei Tagesanbruch hatten unsere Truppen die erste Stellung des Gegners überrannt und griffen die zweite an.”44)
Die 1. Ukrainische Front eröffnete die Offensive am 16. April früh mit einer Artillerievorbereitung von 2 Stunden und 35 Minuten. Am Ende des ersten Abschnitts der Artillerievorbereitung, nach einer Stunde und 40 Minuten, legten tieffliegende Schlachtflieger einen Nebelvorhang über die Neiße. In dichtem Nebel begannen um 06.50 Uhr die Vorausbataillone der 1. Ukrainischen Front die Neiße zu forcieren.45) „Die mit Kähnen übersetzenden Vorausbataillone zogen Sturmbrücken hinter sich her. Sobald das Ende einer solchen Brücke am gegenüberliegenden Ufer befestigt war, setzte auch schon die Infanterie im Laufschritt über den Fluß. Das Schlagen leichter Pontonbrücken dauerte fünfzig Minuten, das von 30-Tonnen-Brücken zwei Stunden. Brücken mit 60 Tonnen Tragfähigkeit waren in vier Stunden fertig und trugen Panzer aller Typen. Ein Teil der Feldartillerie wurde schon beim Übersetzen der Vorausabteilungen mit Tauen hinübergezogen.
Etwa zehn bis fünfzehn Minuten, nachdem die ersten Soldaten das Westufer der Neiße erreicht hatten, wurden bereits auch die ersten 85-mm-Geschütze hinübergezogen. Sie bekämpften die deutschen Panzer im direkten Richten und gaben damit unseren Soldaten auf ihren ersten kleinen Brückenköpfen einen Halt. Neben Brücken benutzten wir beim Forcieren auch Fähren, auf denen die zur unmittelbaren Unterstützung der Infanterie bestimmten Panzer übergesetzt wurden.”46)
Planmäßig begannen die 65., die 70. und 49. Armee der 2. Belorussischen Front am 20. April, 06.00 Uhr die Offensive im Gebiet der Odermündung. Unter einem Nebelvorhang, ähnlich wie bei der Forcierung der Neiße durch Truppen der 1. Ukrainischen Front, konnten die 65. und 70. Armee bis zum Abend die Westoder überschreiten und erste Brückenköpfe auf dem Westufer bilden. Der 49. Armee gelang das Übersetzen erst am 21. April.
Die Schwierigkeiten, die die 2. Belorussische Front zu überwinden hatte, bestanden darin, daß schwere Kampfmittel, Panzer und schwere Artillerie, anfänglich gar nicht, und dann nur begrenzt in dem sumpfigen, von unzähligen Kanälen durchschnittenen Gelände eingesetzt werden konnten. Das notwendige Schlagen von Pontonbrücken und die Einrichtung von Fähren unter ständigem Artilleriefeuer des Gegners verlangsamte das Angriffstempo. Allein im Frontabschnitt der 70. Armee waren auf der Ostoder bis zum Abend des 20. April 9 Lande-, 6 Übersetzfähren und eine 50-Tonnen-Brücke in Betrieb. Das war eine großartige Leistung der sowjetischen Pioniere. Aber die Übersetzmittel reichten nicht aus, um die schweren Waffen einer ganzen Front über die beiden Oderarme zu transportieren.
Am 25. April war die gegnerische Verteidigung in einer Breite von 20 Kilometern durchbrochen, konnten die Truppen der 2. Belorussischen Front die Randow-Linie erreichen.47)
Am 25. April kämpften die 1. Belorussische und 1. Ukrainischen Front bereits in Berlin. Der rechte Flügel der 1. Belorussischen Front hatte Berlin im Norden umfaßt. Das Verdienst der 2. Belorussischen Front bestand darin, daß sie den Gegner daran hinderte, Reserven von Norden zum Entsatz von Berlin heranzuziehen.48)
Aber auch bei der 1. Belorussischen Front gab es Schwierigkeiten. Die Seelower Höhen erwiesen sich als ein „ernstes Hindernis”, schrieb Shukow. Sie „schränkten nicht nur die Handlungen unserer Panzer ein, sondern waren auch ein ernstes Hindernis für unsere Artillerie.”49)
Die deutschen Stellungen in den Seelower Höhen konnten nicht am ersten Tag durchbrochen werden.
Es kam zu Telefongesprächen über die Direktleitung zwischen Stalin und Shukow. Stalin war beunruhigt gewesen.50) Die Lage vor den Seelower Höhen war besorgniserregend. Das relativ niedrige Angriffstempo der 1. Belorussischen Front konnte den Zeitplan der Einschließung der Berliner Gruppierung gefährden.
„Darüber sprach am Abend des 17. April J.W. Stalin telefonisch mit dem Oberbefehlshaber der 1. Ukrainischen Front, I.S. Konew. Der Oberste Befehlshaber erteilte die Weisung, die 3. und die 4. Gardepanzerarmee nach Nordwesten abzudrehen und mit ihnen Berlin von Süden anzugreifen. Diese Weisungen wurden ohne Verzug befolgt.
Der 2. Belorussischen Front befahl das Hauptquartier, am 20. April zum Angriff überzugehen and spätestens am 22. April mit den Hauptkräften einen Stoß auf Schönebeck zu führen und so Berlin von Norden zu umgehen. Die Umgehung Berlins von Südwesten und Norden durch die 1. Ukrainische und die 2. Belorussische Front garantierte die Einschließung und Zerschlagung des Gegners im Raum Berlin auch für den Fall, daß es der 1. Belorussischen Front nicht gelänge, das Angriffstempo zu erhöhen.”51)
Am Morgen des 18. April waren die Seelower Höhen nach schweren und verlustreichen Kämpfen von den Truppen der 1. Belorussischen Front genommen. Wie Shukow schrieb, hätten sie den komplizierten Charakter des Geländes der Seelower Höhen „etwas unterschätzt”. „Bei der Planung der Artillerieoffensive hätten wir die Schwierigkeiten bei der Vernichtung der Verteidigungsstellungen des Gegners auf den Seelower Höhen voraussehen müssen.”52)
Abweichungen vom Plan, wie der Befehl zum Eindrehen der beiden Gardepanzerarmeen der 1. Ukrainischen Front nach Südwestberlin und Potsdam – was nicht vorgesehen war – zeugen von Kompetenz und Flexibilität der Führung der Berliner Operation durch Stalin als Obersten Befehlshaber. Das galt auch für den Befehl an Rokossowski, die Oder „schneller” zu überwinden und mit Teilkräften Berlin von Norden her zu umgehen. Diese Weisung war aus strategischer Sicht richtig, wenn auch hier die komplizierten Geländebedingungen im Odersumpfgebiet von Stalin unterschätzt wurden. Rokossowski eröffnete seine Offensive nach Direktive am 20. April, aber die Forcierung der Westoder ging nicht so schnell, wie geplant.
Konew äußerte sich zu diesem Problem: „Doch was heißt schon im Kriege planen? Wir machen unsere Pläne ohne den Gegner, erfüllen sie aber sozusagen gemeinsam, das heißt unter seiner Gegenwirkung. Je länger sich eine Schlacht hinzieht, um so mehr Korrekturen erfährt der Plan. Das ist nicht nur durch teils unvorhergesehene, plötzlich auftauchende Schwierigkeiten und Hindernisse verursacht, sondern auch durch das Verhalten des Gegners. Man weiß vorher nicht, wann, wo und in welchem Umfang er seine operativen Reserven einsetzen wird, aber sie müssen zerschlagen werden, ehe der Vormarsch fortgesetzt werden kann.”53)
Die Stäbe der Fronten mit ihrem FOB arbeiteten die Planentwürfe für ihren, vom HQ angewiesenen Frontabschnitt selbständig aus. Der Planentwurf mußte dann im HQ bestätigt werden. Die Koordinierung der Operationen, die Trennungslinien zwischen den Fronten, die Zuteilung von Reserven, Bewaffnung unterlagen dem HQ, die letzte Entscheidung traf Stalin als Oberster Befehlshaber. Wesentliche strategische Veränderungen, wie das Einschwenken der zwei Gardepanzerarmeen der 1. Ukrainischen Front nach Berlin, konnten die FOB nicht von sich aus treffen. Wenn sie es für notwendig hielten, mußten sie es beim Obersten Befehlshaber beantragen. Das ging sehr schnell per Telefon über die Direktleitung. Über die Direktleitungen war der Oberste Befehlshaber mit den FOB ständig verbunden. So hatte Stalin auf Ersuchen Konews vor der Berliner Operation zwei Armeen von der Baltischen Front abgezogen und der 1. Ukrainischen Front zugeteilt: „Da sich die Fronten im Baltikum und in Ostpreußen zu verkürzen beginnen, kann ich Ihnen von den baltischen Fronten zwei Armeen, die 28. und die 31., zuteilen.”54)
Über das Verfahren bei der Erarbeitung von Plänen und Direktiven im HQ schreibt Konew: „In der Regel legte der Oberbefehlshaber der Front nicht nur seinen Plan und seine Überlegungen an Hand der Karte dar, sondern erarbeitete vorher mit seinem Stab auch den Entwurf der Direktive des Hauptquartiers.
Auf Grund der strategischen Gesamtkonzeption des Oberkommandos plante das Oberkommando der Front die Operation in allen mit ihrer Durchführung verbundenen Aspekten und klammerte dabei nur solche Fragen aus, die seine Kompetenzen überschritten und die vom Hauptquartier zu leistende Hilfe berührten.
Gleichzeitig wurde auch der Entwurf der Direktiven erarbeitet, deren ursprüngliche Fassung die Meinung der Front zur Durchführung der bevorstehenden Operation ausdrückte, wobei die erforderliche Unterstützung durch das Hauptquartier vorausgesetzt war. Inwieweit diese Direktiven Korrekturen und Zusätze erhielten, hing davon ab, wie die Vorschläge der Front vom Hauptquartier beurteilt wurden und wieweit sie mit dem endgültigen Entschluß übereinstimmten. Diese im Verlauf des Krieges entwickelte Methode erscheint mir auch heute noch zweckmäßig und erfolgversprechend…
Im Hauptquartier wurden nur Fragen von grundsätzlicher Bedeutung, wie Stoßrichtung Zusammensetzung der Gruppierungen und Artilleriedichte, erörtert. Fragen der materiell-technischen Sicherstellung der Operationen wurden im üblichen Verfahren entschieden. Die Front war überdies ausreichend mit allem Notwendigen versehen.”55)
Am 23. April erhielten Shukow und Konew Befehl vom HQ, die Frankfurt-Gubener-Gruppe, das war die 9. Armee unter General Busse, bis „spätestens zum 24. April vollständig einzuschließen und ihren Durchbruch nach Berlin oder in westlicher Richtung zu verhindern.”56)
Konew hatte die Straßen zwischen den Seen nördlich von Teupitz sperren lassen und dort eine stabile Panzer- und Infanterieabwehr organisiert. Mit einer Personalstärke von 200.000 Mann, die über 2.000 Geschütze und Granatwerfer sowie 300 Panzer und SFL verfügte, war die 9. Armee ein ernst zu nehmender Gegner. Das Kräfteverhältnis bei Infanterie und Panzern war gleich, lediglich bei Artillerie und Granatwerfern hatten die Truppen der 1. Ukrainischen und 1. Belorussischen Front eine dreifache Überlegenheit.57) Die Frontlänge und -tiefe der 1. Ukrainischen Front ist zu beachten. Sie reichte von Südwestberlin bis Dresden, von Frankfurt – Görlitz bis an die Elbe. Zwei ihrer Panzerarmeen kämpften in Berlin bzw. bei Potsdam und Brandenburg. Hitler setzte darauf, die 9. Armee (Busse) mit der 12. Armee (Wenck), die von Westen vorstieß, südlich Berlins zu vereinigen und die Stadt zu besetzen. Im Fernschreiben Hitlers an Jodl vom 26. April. 0.25 Uhr hieß es: „Schnellste Durchführung aller Entsatzangriffe in den bisher befohlenen Richtungen ist zwingend notwendig. Die 12. Armee (Wenck) hat auf der Linie Beelitz-Ferch anzutreten und unverzüglich den Angriff in ostwärtiger Richtung bis zur Vereinigung mit 9. Armee (Busse) fortzusetzen. Die 9. Armee greift auf kürzestem Weg nach Westen an und stellt Verbindung mit der 12. Armee her. Nach Vereinigung der beiden Armeen komme es darauf an, unter Eindrehen nach Norden die feindlichen Verbände im Südteil von Berlin zu vernichten und eine breite Verbindung mit Berlin herzustellen.”58)
In der Nacht zum 26. April hatte eine starke Gruppierung der 9. Armee, 3 Infanteriedivisionen, eine Panzerdivision und eine motorisierte Division versucht, den Einkreisungsring der 1. Ukrainischen Front zu durchbrechen und sich mit der 12. Armee zu vereinigen. An einem schmalen Frontabschnitt konnte sie eine Kräfteüberlegenheit an Infanterie, Artillerie und Panzern herstellen. Gegen 08.00 gelang dieser Gruppierung der Durchbruch durch die sowjetische Linie und sie drängte nach Westen. Diese Bresche wurde durch Truppen der 1. Ukrainischen Front rasch wieder geschlossen, die durchgebrochene Gruppierung vom Gros der 9. Armee abgeschlossen. Ein beträchtlicher Teil dieser Gruppierung wurde vernichtet, einem anderen Teil ist der Durchbruch zur 12. Armee (Wenck) gelungen.
Am 28. April meldete General Busse an den Stab des Heeres: „Durchbruchsversuch mißglückt. Gepanzerte Angriffsspitzen gegen ausdrücklichen Befehl anscheinend nach Westen durchgebrochen oder vernichtet. Übrige Angriffsgruppe unter empfindlichen eigenen Verlusten zum Stehen gebracht. Körperlicher und seelischer Zustand von Offizier und Mann sowie die Munitions- und Betriebsstofflage gestatten weder erneuten planmäßigen Durchbruchsangriff noch langes Durchhalten.” Dennoch erhielt die 9. Armee Befehl, „auf Grund der Lagenentwicklung in Berlin unverzüglich nach Westen zur Vereinigung mit der 12. Armee durchzustoßen.”58a)
Bereits am 25. April hatten sich die Truppen der 1. Ukrainischen mit denen der 1. Belorussischen Front im Raum Potsdam vereinigt. Der Ring um Berlin war geschlossen.
Auch die Hoffnungen Hitlers auf Entsatz durch die Heeresgruppe Weichsel unter Generaloberst Heinrici, die im Norden von Berlin stand, erfüllte sich nicht. Befehle Keitels an Heinrici, von Norden her in Richtung Berlin anzugreifen, erwiesen sich ebenfalls als nicht mehr durchführbar. Die Truppen der Heeresgruppe Weichsel mußten sich von der Randow-Linie in Richtung Westen absetzen, um einem Durchbruch der Truppen der 2. Belorussischen Front auszuweichen. Als am 27. April Truppen der 2. Belorussischen Front in Richtung Prenzlau durchgebrochen waren, zog Heinrici zwei Divisionen, die vom OKW für den Angriff auf Berlin bereitgestellt waren, nach Norden ab, um eine Aufspaltung der ihm unterstellten 3. Panzerarmee zu verhindern.59)
Von Norden war also auch kein Entsatz von Berlin mehr zu erwarten. Daran konnte auch der Befehl aus der Reichskanzlei vom 28. April, 12.30 Uhr, nichts mehr ändern: „Aufgabe aller im Gebiet zwischen Elbe und Oder kämpfenden Verbände: den umfassenden Angriff zum Entsatz der Reichshauptstadt mit allen Mitteln und unter größter Beschleunigung zum erfolgreichen Ende zu bringen. Gegenüber dieser entscheidenden Aufgabe tritt die Bekämpfung des nach Mecklenburg einbrechenden Gegners zurück.”60)
Vor dem Sturm auf Berlin schlug der Kriegsrat der 1. Belorussischen Front am 23. April dem deutschen Oberkommando und dem Kommando der Besatzung Berlins vor, den unsinnigen Widerstand einzustellen.61) Die faschistische Führung lehnte ab und trug damit die Verantwortung für den sinnlosen Tod von weiteren Zehntausenden Menschen und der weiteren Zerstörung der schon durch die Luftangriffe der westlichen Alliierten weitgehend zertrümmerten Stadt. Der Hitlerclique in der Reichskanzlei ging es im wahrsten Sinne des Wortes nur noch um eine Galgenfrist von wenigen Tagen und sie war darum bereit, die Berliner Bevölkerung der Vernichtung preiszugeben. General Weidling, Befehlshaber des Verteidigungsbereichs Berlin, erhielt von Hitler am 24. April den Befehl, Berlin hartnäckig zu verteidigen und um jeden Preis zu halten.”62)
Nach mehrstündigem Bombardement durch drei sowjetische Luftarmeen begann am 26. April früh der Sturm auf Berlin, der nach sieben Tagen am 2. Mai mit der bedingungslosen Kapitulation des deutschen Kommandos endete.
Hitler hatte am 30. April 15.30 Uhr Selbstmord begangen. Vorher hatte er in seinem politischen Testament Großadmiral Dönitz zu seinem Nachfolger ernannt, Goebbels zum Reichskanzler bestimmt. Himmler und Bormann sollten ebenfalls in der Regierung als Minister in der neuen Reichsregierung tätig sein.
Der neue „Reichskanzler” sandte am 1. Mai, 03.50 Uhr den Chef des Generalstabs des Heeres, General Krebs, als Parlamentär zum AOB der 8. Gardearmee, General Tschuikow, mit der Nachricht vom Tod Hitlers, der Bildung einer neuen Regierung und dem Angebot eines Waffenstillstands. Tschuikow benachrichtigte sofort Shukow als dem FOB der 1. Belorussischen Front. Shukow sandte seinen Stellvertreter, Armeegeneral Sokolowski zu Tschuikows Gefechtsstand, ließ von Krebs die bedingungslose Kapitulation Deutschlands fordern und informierte Stalin. Stalin antwortete: „Der Schuft hat also ausgespielt! Schade, daß wir ihn nicht lebend erwischt haben. Wo ist Hitlers Leiche?” Shukow: „Laut Krebs ist Hitlers Leiche verbrannt worden.” Stalin: „Übermitteln Sie Sokolowski, …daß weder mit Krebs noch mit anderen Faschisten über etwas anderes zu verhandeln ist als über die bedingungslose Kapitulation. Wenn nichts Außerordentliches passiert, rufen Sie mich bis zum Morgen nicht an, ich möchte ein wenig ausruhen. Heute haben wir ja die Maiparade.”63)
Gegen 05.00 Uhr informierte Sokolowski Shukow über das Gespräch mit Krebs.64)
Sokolowski: „Die treiben ein falsches Spiel, … Krebs erklärt, er sei nicht ermächtigt, über die bedingungslose Kapitulation zu entscheiden. Darüber, sagt er, könne nur die neue deutsche Regierung unter Dönitz entscheiden. Krebs will einen Waffenstillstand erhandeln, angeblich, um die Regierung Dönitz in Berlin versammeln zu können. Ich glaube, wir sollten sie zum Teufel schicken, wenn sie nicht in die bedingungslose Kapitulation einwilligen.” Shukow: „Sehr richtig, … Sage ihm folgendes: Wenn Goebbels und Bormann bis zehn Uhr die bedingungslose Kapitulation nicht annehmen, werden wir ihnen einen solchen Schlag versetzen, daß ihnen für immer die Lust zum Widerstand vergeht. Die Faschisten sollten an die sinnlosen Opfer des deutschen Volkes und an die persönliche Verantwortung für ihren Wahnwitz denken.”65)
Es scheint mir bemerkenswert, daß ein sowjetischer Marschall die Faschisten auffordern musste, an die „sinnlosen Opfer des deutschen Volkes” zu denken. Die nationalen Interessen des deutschen Volkes erforderten die bedingungslose Kapitulation als einzigem verbliebenen Ausweg aus der nationalen Katastrophe, in die sie die faschistischen „Eliten” im Auftrag der reaktionärsten Vertreter des deutschen Finanzkapitals hineingestoßen haben. Der russische Marschall erwies sich in dieser Stunde als Sachwalter der deutschen Nation.
Von Goebbels und Bormann gab es bis zur festgesetzten Zeit keine Antwort. Daraufhin eröffnete die sowjetische Artillerie das Feuer auf die letzte Verteidigungsstellung im Berliner Zentrum. Erst um 18.00 Uhr schickten Goebbels und Bormann einen Parlamentär, der die Ablehnung der bedingungslosen Kapitulation bekannt gab. Um 18.30 erfolgte der letzte Sturmangriff auf das Zentrum und die Reichskanzlei, in der sich die Faschisten verschanzt hatten. Goebbels ermordete seine Kinder und verübte mit seiner Frau Selbstmord.
Am 2. Mai kapitulierte der Befehlshaber des Verteidigungsbereichs Berlin, General Weidling, vor den Truppen der 1. Belorussischen Front.

„Theorie der Teilkapitulationen”
Es sei noch einmal darauf verwiesen, daß auf der Konferenz von Jalta die drei Mächte der Antihitlerkoalition den Beschluß gefaßt haben, von den faschistischen Machthabern und deren militärischem Apparat, dem OKW, die „bedingungslose Kapitulation” an allen Fronten gegenüber allen drei Mächten, ohne Ausnahme zu fordern. Das Kommunique der Konferenz sowie die Berichte der Arbeitstagungen tragen die Unterschriften von Roosevelt, Churchill und Stalin. Desgleichen wurden auf der Konferenz die Grenzen der Besatzungszonen festgelegt. Im Zuge der militärischen Operationen konnten mit Zustimmung der Oberkommandierenden der jeweiligen Armeen der Verbündeten diese Grenzen überschritten werden.
Während der neue US-Präsident, Harry S. Truman und General Eisenhower sich wenigstens formal an diese Vereinbarungen hielten, suchte Churchill sie mit allen Mitteln zu unterlaufen. Rückblickend erklärte er: „Zu diesem Zeitpunkt lag eine Anregung von General Eisenhower vor, wonach die alliierten Armeen ohne Rücksicht auf die Demarkationslinien operieren sollten; wo immer aber die Armeen aus Ost und West in Fühlung miteinander träten, stehe es jeder Seite frei, den Rückzug der anderen Armee hinter deren Zonengrenzen zu verlangen. Die Befugnis zur Stellung solcher Ansuchen und zur Anordnung solcher Rückzüge sei den Befehlshabern der Armeegruppen zu übertragen. Stünden einem Ersuchen keine operativen Notwendigkeiten entgegen, sei der Rückzug zu befehlen. Mir schien dieser Vorschlag übereilt und über die unmittelbaren militärischen Bedürfnisse hinausgehend. Deshalb nahm ich mich der Sache an und wandte mich am 18. April an den neuen Präsidenten, der all die Komplikationen, mit denen wir uns auseinander zusetzen hatten, natürlich nur seit kurzem und indirekt kannte und sich weitgehend auf seine Berater stützen mußte. So kam der rein militärische Standpunkt über Gebühr zum Ausdruck.
‘… Ich habe durchaus nicht die Absicht, an den vereinbarten Besatzungszonen zu rütteln; ich wünsche jedoch nicht, daß irgendein anmaßender russischer Abschnittskommandeur ihre amerikanischen oder unsere alliierten Truppen an irgendwelchen Punkten der Front zur überstürzten Räumung zwingt. Gegen solche Zwischenfälle muß durch eine Vereinbarung der Regierungen vorgesorgt werden, damit Eisenhower Spielraum gewährt ist, solche Angelegenheiten auf seine eigene bewundernswerte Weise an Ort und Stelle zu regeln.’”66)
Nach Churchill gab es natürlich nur auf sowjetischer Seite „anmaßende Abschnittskommandeure”! Entscheidungen über diese Fragen konnten nur die FOB und das HQ fällen, nicht ein „Abschnittskommandeur”, was Churchill wußte. Berührungen, Zusammentreffen mit sowjetischen Truppen fanden statt mit der 1., der 2. Belorussichen und der 1. Ukrainischen Front, mit deren FOB, den Marschällen Rokossowski, Shukow und Konew. Diese standen in ständigem telefonischen Kontakt über die Direktleitung mit Stalin. Kein „Abschnittskommandeur” oder wer/was immer das sein sollte, ob „anmaßend” oder nicht, konnte von sowjetischer Seite einem US- oder britischen General die Weisung erteilen, sich hinter die Demarkationslinie zurückzuziehen. Man kann Churchill bescheinigen, daß er die feine, unterschwellige Art antisowjetischer Verleumdungen meisterhaft beherrschte.
Truman erwies sich zum Bedauern Churchills als „wenig entgegenkommend. Seinem Vorschlag nach sollten die Truppen der Westmächte auf die vereinbarten Zonen in Deutschland und Österreich zurückgehen, sowie die militärische Situation es erlaubte.”67)
Auch die festgelegten Zonengrenzen seien, „ziemlich übereilt festgelegt worden”. Zu seinem Leidwesen konnten sie aber nicht ohne „Einvernehmen mit den Russen” geändert werden. Darum sollten sie „im gleichen Moment, da der Sieg proklamiert wird, auf die Errichtung der Alliierten Kontrollkommission in Berlin drängen…,”68)
Churchill hatte es also sehr eilig, nach Berlin, in die sowjetische Besatzungszone zu kommen. Es blieb bei Churchill nicht nur bei Worten, sondern er tat alles, um die eingegangenen Verpflichtungen, die er unterschrieben hatte, zu unterlaufen.
Dem diente zunächst die „Theorie” der Teilkapitulationen. Es war mir nicht möglich, festzustellen, wem das Verdienst der Erfindung dieser „Theorie” zukommt, den faschistischen Generalen oder dem Oberkommandierenden der alliierten Truppen in Nordwestdeutschland, Feldmarschall Bernard Law Montgomery (seit 1945 Viscount of Alamein), oder Churchill.
Wie bereits w.o. zitiert, wollte Generaloberst Guderian einen ‘’Waffenstillstand” oder doch eine „stillschweigende Übereinkunft” mit dem Westen aushandeln, was „uns unter Preisgabe des Westens an die Westmächte die Verteidigung des Ostens mit dem Rest unserer Kraft gestatten würde.”69)
Großadmiral Dönitz, Hitlers Nachfolger, neuer Oberster Befehlshaber und Staatsoberhaupt des Reichs, mit Sitz in Plön, ab 2./3. Mai in der bis dahin noch nicht von Truppen der Verbündeten besetzten Enklave Flensburg-Mürvik, war noch deutlicher.
Dönitz traf bereits am 30. April seine „ersten Maßnahmen. Da ich nach Osten noch weiterkämpfen musste, um möglichst viele Soldaten unserer Ostfront und die dahinter stehenden Flüchtlinge in die westlichen, anglo-amerikanischen Zonen zu retten, war für mich die von den Alliierten seit Februar 1943 geforderte Gesamtkapitulation nicht möglich. Ich wollte daher nur nach Westen – den englischen und amerikanischen Heeresgruppen gegenüber – möglichst bald zu Teilkapitulationen kommen. Dies kam zunächst für die deutsche Heeresgruppe Nordwest, dem englischen Feldmarschall Montgomery gegenüber, in Frage, – “70)
Am 1. Mai, 01.22 Uhr sandte Dönitz einen bemerkenswerten Funkspruch an den zu dieser Zeit schon toten Hitler. „FRR Führerhauptquartier: Mein Führer, meine Treue zu Ihnen wird unabdingbar sein. Ich werde daher weiter alle Versuche unternehmen, um Sie in Berlin zu entsetzen. Wenn das Schicksal mich dennoch zwingt, als der von Ihnen bestimmte Nachfolger das Deutsche Reich zu führen, werde ich diesen Krieg so zu Ende führen, wie es der einmalige Heldenkampf des deutschen Volkes verlangt. Großadmiral Dönitz.”71)
Dönitz bediente sich in der Rechtfertigung seiner Handlungen während der Zeit seiner Regierung in Flensburg aus dem Arsenal Goebbels’scher antisowjetischer Lügen und Verleumdungen. Wiederholt behauptete er, daß es ihm um die Rettung deutscher Menschen vor „russischer Willkür” ging. Wie weit Dönitz antisowjetischen Greuelmärchen aus dem „Völkischen Beobachter” und anderen Erzeugnissen der Goebbels-Medien Glauben schenkte, er selbst Opfer der faschistischen Ideologie und Indoktrinierung war, sei dahingestellt. Aber zumindest ab 8. Mai mußte er es besser wissen. In Aufzeichnungen, die vermutlich von seinem Adjutanten, Korvettenkapitän Lüdde-Neurath über die Entwicklung der militärischen Lage des faschistischen Deutschlands für die Zeit vom 20. April bis Anfang Mai 1945 verfaßt wurden, heißt es: „Das russische Auftreten gegenüber der Zivilbevölkerung östlich der Elbe ist anscheinend maßvoll und zurückhaltend. Diesem Verhalten liegt vermutlich eine tiefere Taktik zugrunde. Dem Russen wird es in dem von ihm besetzten Teil Deutschlands anhand der Entvölkerung und bei der gesicherten Ernährungsgrundlage ein leichtes sein, erträgliche Lebensverhältnisse zu schaffen. Im Westen des Reiches, von jeher Zuschussgebiet, drohen durch die Übervölkerung Hunger und Chaos. Er wird damit bester Nährboden für den Kommunismus. Ein Herauskehren und Ausspielen dieser Gegensätze kann für Stalin nur von Vorteil sein.”72) Demzufolge wurden also die Deutschen östlich der Elbe nicht nach Sibirien verschleppt, wie Dönitz meinte.73) Im Übrigen stimmen die Ausführungen von Lüdde-Neurath sachlich nicht. Die Gebiete Ostdeutschlands waren durch den Krieg verwüstet, die Felder zum großen Teil vermint. Die Sowjetregierung mußte Zehntausende Tonnen Lebensmittel in ihre Besatzungszone liefern, um Hungerepidemien zu verhindern, obwohl ihre eigene Bevölkerung hungerte. Als erste Hilfe für Berlin lieferte die Sowjetregierung 96.000 Tonnen Getreide, 60.000 Tonnen Kartoffeln, etwa 50.000 Stück Schlachtvieh sowie Zucker, Fett und andere Nahrungsmittel.74)
Daß im Westen Chaos drohte und teilweise eintrat, lag an den westlichen Besatzungsmächten. Die Sowjetunion hatte sich von Anfang an auf die Verwaltung ihrer Besatzungszone vorbereitet. Stellvertretend für viele sei hier Generaloberst Bersarin genannt, der erste Berliner Stadtkommandant, der das wirtschaftliche und kulturelle Leben der Hauptstadt wieder in Gang gebracht hat.
Die erste Auflage von Dönitz’ Erinnerungen erschien 1958! Trotzdem hat er auch nach dem Krieg diese antisowjetischen Verleumdungen weiter behauptet. Lediglich von den faschistischen Bestialitäten und Massenmorden in den Konzentrationslagern hat er sich distanziert, von denen er, wie er behauptet, erst nach dem Krieg erfahren habe. Mag sein, daß er nicht alles gewußt hat. Von den barbarischen Vernichtungsaktionen der faschistischen deutschen Besatzer, deren Massenterror gegen die Bevölkerung der Sowjetunion, der Verschleppung von Sowjetbürgern als Zwangsarbeiter nach Deutschland, dem berüchtigten Kommissarbefehl und anderen ähnlichen Weisungen Hitlers als seinem Obersten Befehlshaber an die Wehrmacht, so über die Behandlung gefangener Sowjetsoldaten, die zu Tausenden in den Gefangenenlagern starben, den Befehl zur Durchführung der Taktik der verbrannten Erde beim Rückzug der deutschen Armeen, von all dem hat der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine nichts gewußt?
Dönitz ging es um eine Teilkapitulation nur vor den angloamerikanischen Truppen, wobei sein „Ansprechpartner” für konkrete Abkommen in Nordwestdeutschland, Holland, Dänemark und Norwegen Feldmarschall Montgomery war. Die deutschen Truppen sollten von allen Fronten, im Süden, Italien und Kroatien, in der Tschechoslowakei, in Kurland und Ostpreußen nach Westen hinter die Linien der anglo-amerikanischen Armeen zurückgeführt werden. Dafür, so Dönitz, benötigte er noch etwa acht bis zehn Tage. „So lange mußte ich also versuchen, die Kapitulation gegenüber der Sowjetunion hinauszuzögern… Ob aber Teilkapitulationen angesichts der Parole ‘Gesamtkapitulation’ überhaupt gelingen würden, wußte ich nicht. Wenigstens der Versuch mußte gemacht werden, und zwar keineswegs öffentlich, weil er dann mit Sicherheit durch Eingreifen der Russen verhindert werden würde… Ich wollte also im Westen zu Kapitulationsverträgen kommen…”74a)
Am 3. Mai sandte Dönitz Generaladmiral von Friedeburg als seinen Vertreter ins Hauptquartier von Montgomery, um über die Teilkapitulation zu verhandeln. Montgomery habe nicht abgelehnt, demnach auch nicht die Gesamtkapitulation für alle Fronten einschließlich der russischen gefordert.
Am 5. Mai traf der Adjutant von Montgomery in Flensburg ein. Dönitz ließ ihm für Montgomery mitteilen, „daß wir nur noch das Bestreben haben, unsere deutschen Menschen vor der Vernichtung durch die Russen zu retten. Es sind etwa 8 Millionen Deutsche, die wir vor der Vernichtung der Verschleppung nach Sibirien schützen wollen…”74b)
Dönitz konnte zufrieden sein: „Es war der erste Schritt einer Teilkapitulation im Westen gelungen, ohne daß hierbei die Übergabe deutscher Soldaten und Bevölkerungsteile in russische Hand hatte zugestanden werden müssen.”74c)
Dazu eine Frage: Konnte Montgomery als Oberbefehlshaber einer Front im Nordwesten ohne Wissen, ohne Zustimmung Churchills eine solche Teilkapitulation in Form eines Vertrages, abschließen? Eine Kapitulation ist nicht nur ein militärischer Akt, sondern zugleich auch ein politischer, daß eine Teilkapitulation von solcher immensen politischen Tragweite, nämlich dem Unterlaufen vertraglicher Vereinbarungen zwischen den Verbündeten in Jalta, selbständig von einem Frontoberbefehlshaber ohne Rückfrage beim Obersten Befehlshaber, Churchill, getroffen werden konnte, ist unwahrscheinlich.
Das wird noch erhärtet durch eine Weisung Churchills an Montgomery. Er forderte darin Montgomery auf, bei der Gefangennahme deutscher Soldaten „…die deutschen Waffen … sorgfältig zu sammeln und zu lagern, damit es leichter ist, sie den deutschen Soldaten wiederzugeben, mit denen wir im Fall eines weiteren sowjetischen Vormarsches zusammenwirken müßten.”75)
Die Unterstellung der Möglichkeit eines „weiteren Vormarsches” der sowjetischen Armeen war eine Ausgeburt Churchills paranoidem Antisowjetismus. Die sowjetischen Armeen gingen nicht weiter als bis zu den vereinbarten Demarkationslinien vor, was Churchill wußte. Aber das war ihm wohl schon zu weit.
Derartige Machenschaften blieben dem sowjetischen HQ nicht verborgen. In einem Gespräch mit Shukow vom Mai äußerte sich Stalin: „Während wir alle Soldaten und Offiziere der deutschen Wehrmacht entwaffnet und in Kriegsgefangenenlagern untergebracht haben, halten die Engländer die deutschen Truppen in voller Gefechtsbereitschaft und beginnen mit ihnen zusammenzuarbeiten. Bis jetzt genießen die Stäbe mit ihren ehemaligen Oberbefehlshabern an der Spitze absolute Freiheit, auf Anweisung Montgomerys sammeln und überholen sie ihre Waffen und Kampftechnik. Ich denke, die Engländer wollen die deutschen Truppen wieder verwenden, … Das ist ein direkter Verstoß gegen die Vereinbarung der Regierungschefs über die sofortige Auflösung der faschistischen Wehrmacht.”75a)
Um vorzugreifen: Nach der Fultonrede Churchills befanden sich nach einem Memorandum Shukows an die Vertreter der USA, Großbritanniens und Frankreichs im Kontrollrat noch 1946 in der Britischen Besatzungszone deutsche Streitkräfte und Dienststellen des Heeres, der Kriegsmarine und der Luftwaffe. Nach diesem Memorandum besaß die Heeresgruppe Nord Land-, Luft- und Luftabwehrverbände und -einheiten, bestehend aus zwei Korpsgruppen von je über 100.000 Mann. Aus der deutschen Kriegsmarine hatten die Briten einen „Deutschen Minensuchdienst” ausgegliedert, der über einen Stab und Sicherungsdivisionen und Flottillen verfügte. Unter dem Druck der Tatsachen mußte Montgomery zugeben, daß in der Britischen Besatzungszone „organisierte deutsche Truppen” existierten.75b)
Die Spekulationen von Dönitz über Teilkapitulationen vor den westlichen Alliierten bei Fortsetzung des Krieges gegen die Sowjetunion fielen bei Churchill und Montgomery auf fruchtbaren Boden. Es handelte sich bei diesen Absprachen zwischen Dönitz und Montgomery sowie anderen deutschen Generalen mit ihren „Partnern” auf der westlichen Seite (nicht bei allen!) darum, etwa drei bis dreieinhalb Millionen deutscher Offiziere und Soldaten, die noch an der deutsch-sowjetischen Front standen, in Kroatien, in der Tschechoslowakei, in Ostpreußen und Kurland auf die westliche Seite zu bringen, sie gegen die UdSSR in Reserve zu haben. Eine Wiederbewaffnung dieser Truppen unter US bzw. britischem Kommando stellte eine potentielle Gefahr für die Sowjetunion dar.
Solche Teilkapitulationen fanden mehrfach statt. So war die Heeresgruppe Weichsel am 2. Mai zwischen der Linie Wittenberge – Parchim – Bützow – Doberan vor der 2. Belorussischen Front im Osten und einem amerikanischen Armeekorps auf der Linie Ludwigslust – Schwerin – Wismar in einem Streifen von 20 bis 30 Kilometer Breite eingeschlossen. Sie stand „vor ihrer Vernichtung oder der Gefangennahme durch die Russen, vor der sie nur noch die Einsicht der Westgegner” bewahren konnte. Noch am gleichen Tage und bevor die Verhandlungen über einen allgemeinen Waffenstillstand aufgenommen waren, erreichten die beiden Führer der 21. und 3. Panzerarmee durch eine persönliche Fühlungnahme mit den Amerikanern, daß ihre mit der Front gegen die Russen kämpfenden Truppen im Zuge des weiteren Ausweichens die amerikanische Front unter Niederlegung der Waffen überschreiten durften. Beiden Armeen blieb die bedingungslose Kapitulation auf dem Schlachtfelde, die sie unweigerlich in russische Gefangenschaft gebracht hätte, erspart. Ihre Masse verschwand im letzten Augenblick hinter den amerikanischen Linien.”76)
Am 2. Mai kapitulierte die Heeresgruppe Südwest (General Vietinghoff) vor den westlichen Alliierten. Dönitz freute sich über jeden Raum, „in den die Amerikaner und nicht die Russen” einmarschierten.”77)
Am 4. Mai wurden die Kampfhandlungen im Nordwesten zwischen den Truppen Montgomerys und den Dönitz noch verbliebenen Verbänden des Heeres, der Luftwaffe und Kriegsmarine eingestellt, aber den Krieg gegen die UdSSR führte Dönitz von den westlichen Alliierten ungestört weiter. Nach dem sowjetischen Admiral N.G. Kusnezow konnte die deutsche Kriegsmarine bis zum 8. Mai zwei Millionen Soldaten und Offiziere aus Kurland und Ostpreußen über den Seeweg in die britische Zone befördern. Dönitz hatte über Funk befohlen, die Handlungen der deutschen Kriegsmarine gegen die Briten und Amerikaner einzustellen. Die sowjetische Flotte wurde in diesem Funkspruch nicht genannt. Damit war den deutschen Kommandanten klar, daß der Krieg gegen die Sowjetunion weiterging.78)
Im Kriegstagebuch des OKW, Eintragung vom 5. Mai hieß es: „Nach Vereinbarung mit dem Oberbefehlshaber der 21. britischen Heeresgruppe, Feldmarschall Montgomery, besteht seit heute früh acht Uhr in Holland, in Nordwestdeutschland von der Emsmündung bis zur Kieler Börde sowie in Dänemark (einschließlich der diesen Gebieten vorgelagerten Inseln) Waffenruhe. Hiervon werden auch die gegen England gerichteten Operationen der Kriegsmarine und Handelsmarine aus und nach den Häfen der genannten Räume betroffen. Diese Waffenruhe wurde … auf Befehl des Großadmirals Dönitz vereinbart, da der Krieg gegen den Westen seinen Sinn verloren hat… Der Widerstand gegen die Sowjets aber wird fortgesetzt, … Alle nicht von der Waffenruhe betroffenen Streitkräfte der Wehrmacht setzen den Kampf gegen jeden Angreifer fort.”79)
Mit diesem Befehl befand sich Dönitz auf gleicher Höhe mit Churchill. Beide übten Kritik an der Haltung Eisenhowers, der sich an Vereinbarungen mit der Sowjetregierung hielt. Dönitz bemerkte bezüglich Eisenhowers Haltung: „Auch die letzten operativen Maßnahmen Eisenhowers zeigten, daß er der weltpolitischen Wende, die sich jetzt vollzogen hatte, nicht Rechnung trug… An die Stelle dieses militärischen hätte jetzt das politische Ziel treten sollen, vom deutschen Raum vor dem Eindringen des russischen Verbündeten noch so viel wie möglich für den angloamerikanischen Westen zu besetzen… Anscheinend fehlte ihm aber auch die Erkenntnis, daß die Weltlage sich in diesem Augenblick auf lange Zeit hinaus verschob. Die amerikanische Haltung am Ende des Krieges erschien mir damals und erscheint mir heute (1958, UH) noch falsch.”80) Vom Standpunkt eines faschistischen Imperialisten entbehren diese Ausführungen nicht der Logik.
Am 7. Mai befahl Dönitz, daß alle deutschen Schiffe in Häfen und Stützpunkten der Ostsee, die von sowjetischen Truppen bedroht waren, bis zum 9. Mai 00.00 Uhr in Richtung Westen auszulaufen hatten. Selbst nach der Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation eröffneten Zerstörer der Kriegsmarine noch das Feuer auf sowjetische Flugzeuge, die die Rückkehr der nach Westen laufenden Schiffe in die östlichen Häfen verlangten.81)
Die Absichten dieser „Teilkapitulationen” im Westen bei Fortsetzung des Krieges gegen die sowjetischen Streitkräfte, um einen möglichst großen Teil der deutschen Wehrkraft zu erhalten – wenn zunächst auch in westlicher Gefangenschaft – blieb der Sowjetregierung nicht verborgen. Schtemenko schrieb dazu, daß „die von unseren Verbündeten praktizierte Auslegung des Kapitulationsbegriffs den faschistischen Generalen sehr gelegen” kam. „Zwar forderten die Verbündeten offiziell die bedingungslose Kapitulation Deutschlands vor den gesamten alliierten Nationen, doch wichen sie wesentlich von diesem Prinzip ab, indem sie ihren Heerführern gestatteten, die Kapitulation gegnerischer Verbände auf dem Schlachtfeld entgegenzunehmen, ein Verfahren, das bis zur Einstellung der Kampfhandlungen an den einzelnen Fronten großzügig geübt wurde. Der Gegner erkannte sehr gut die Hintertür, die diese ‘Ausnahme’ bot. Eine Kapitulation auf dem ‘Schlachtfeld’ war die Aufforderung an die westlichen Alliierten, in Deutschland einzumarschieren. Sie öffnete den anglo-amerikanischen Truppen einen breiten Weg in das Landesinnere, ermöglichte es ihnen, das Land zu besetzen und damit der Roten Armee zuvorzukommen. Das Verfahren, das außerdem keine bedingungslose Kapitulation vorsah, gab dem Gegner die Möglichkeit, Vorteile für sich auszuhandeln, die so weit gingen, den deutschen Truppen den Rückzug in das Landesinnere zu gestatten und sie vor der Zerschlagung zu bewahren. Selbstverständlich wären im Falle eines Einmarsches der Anglo-Amerikaner in die industrielle Basis, die Streitkräfte und das für eine Fortsetzung des Krieges gegen die Sowjetunion erforderliche Territorium erhalten geblieben. Die offensichtliche Duldsamkeit unserer Verbündeten berechtigte die Faschisten zu schönsten Zukunftshoffnungen.”82)
Am 21. April hatten die britische und amerikanische Militärmission den sowjetischen Generalstab in Kenntnis gesetzt, daß in nächster Zeit eine „bedingungslose Kapitulation starker gegnerischer Kräfte an jedem beliebigen Ort möglich sei.” In der Mitteilung hieß es: „Die Chefs des Vereinigten Stabes sind der Meinung, daß jede der alliierten Großmächte nach Wunsch die Möglichkeit erhalten sollte, Vertreter zur Teilnahme an Kapitulationsverhandlungen zu entsenden, jedoch sollte kein Kapitulationsangebot lediglich wegen Abwesenheit eines Vertreters der drei Alliierten abgelehnt werden.”83)
Dem sowjetischen Generalstab war klar, daß die westlichen Alliierten unter allen Umständen Kapitulationen deutscher Truppen entgegennehmen würden, auch wenn sie sich gegen die Sowjetunion richteten. Schtemenko resümierte: „Obwohl diese Mitteilung praktisch nichts weiter besagte, als ‘Halten Sie es, wie sie wollen, wir werden eine Kapitulation unter allen Umständen entgegennehmen, selbst wenn sie sich im Grunde gegen Sie, unseren Alliierten, richtet’, erklärten wir uns damit einverstanden.” Das faschistische Oberkommando befahl am Abend des 21. April seinen Truppen im Westen „alle Kräfte von den Abschnitten, an denen die Amerikaner handelten, abzuziehen und sie an die Ostfront zu werfen. Damit kehrten sich die Verhandlungsergebnisse gegen uns.”84)
Nach Abschluß der Teilkapitulation vor Montgomery flog Generaladmiral von Friedeburg als Vertreter Dönitz’ nach Reims ins Hauptquartier von Eisenhower, der eine Teilkapitulation ablehnte und die bedingungslose Kapitulation an allen Fronten, also auch gegenüber der Sowjetunion forderte. Generaloberst Jodl konnte daran auch nichts ändern, den Dönitz zur Unterstützung von Friedeburg nach Reims in Marsch gesetzt hatte.
Am 7. Mai, 02.41 Uhr wurde in Reims die bedingungslose Kapitulation unterzeichnet. Der Chef der sowjetischen Militärdelegation beim Stab der westlichen Alliierten, General Susloparow, befand sich in einer schwierigen Situation. Er fragte in Moskau an, ob er unterzeichnen solle. Der Termin war von Eisenhower festgelegt, der nicht zu warten gewillt war. Die Antwort aus Moskau blieb aus. Susloparow unterschrieb. Ein Telegramm aus Moskau mit der Anweisung, kein Dokument zu unterschreiben, kam zu spät. Susloparow hatte jedoch das Protokoll mit dem Zusatz versehen, „daß die vorliegende Urkunde über die militärische Kapitulation die Unterzeichnung einer vollständigeren Akte über die Kapitulation Deutschlands nicht ausschließt, falls eine der alliierten Regierungen es wünscht.”85)
Damit hatte Susloparow der Sowjetregierung noch Handlungsspielraum offen gehalten. Sie wünschte eine solche „vollständigere Akte” über die Kapitulation des faschistischen Deutschlands. Dönitz war es allerdings gelungen, noch zwei Tage für die Fortsetzung des Krieges gegen die Sowjetunion zu gewinnen (ursprünglich wollte er noch acht bis zehn Tage, dann wenigstens vier Tage Zeit bis zur Niederlegung der Waffen erreichen), denn der Befehl zu Einstellung der Kampfhandlungen war auf den 9. Mai 00.01 Moskauer Zeit festgelegt.
Vom Chef der amerikanischen Militärmission, Deans, erhielt der sowjetische Generalstab ein Schreiben, in dem Präsident Truman Deans beauftragte, bei Stalin um Zustimmung zu ersuchen, heute, um 19.00 Uhr Moskauer Zeit die Kapitulation Deutschlands bekanntzugeben.
Molotow lehnte mit der Begründung ab, daß die Sowjetregierung von ihrem Vertreter beim Stab Eisenhowers (Susloparow) noch keine Angaben über die Kapitulation Deutschlands erhalten habe.
Truman, von Deans über die Ablehnung in Kenntnis gesetzt, antwortete, „er werde vor dem 8. Mai, 09.00 Uhr Washingtoner oder 16.00 Uhr Moskauer Zeit, keine offizielle Bekanntmachung über die Kapitulation erlassen, es sei denn, daß Marschall Stalin einer früheren Stunde zustimme…”86)
Die Absicht Trumans war klar. Antonow sagte: „Die Verbündeten wollen Druck auf uns ausüben. Die Weltöffentlichkeit soll erfahren, daß die deutschen Truppen vor ihnen und nicht vor der UdSSR kapitulieren.”87)
Es kam zu einer Besprechung im Kreml mit Stalin und den Volkskommissaren über die Kapitulation von Reims.
Stalin zog das „Fazit dieses Ereignisses. Das von den Verbündeten mit der Regierung Dönitz getroffene einseitige Abkommen sei ein übler Schacher. Außer General Susloparow sei kein führender Vertreter der UdSSR zugegen gewesen. Alles sei darauf angelegt, als erfolge vor unserem Land keine Kapitulation, obwohl wir am meisten unter dem faschistischen Einfall zu leiden hatten und den Hauptbeitrag zum Sieg leisteten, indem wir der faschistischen Bestie das Rückgrat brachen. Eine solche ‘Kapitulation’ müsse böse Folgen haben…”
Stalin wörtlich: „Das Abkommen in Reims kann man weder ungeschehen machen noch anerkennen. Als überragendes historisches Ereignis darf die Kapitulation aber nicht auf dem Territorium der Sieger erfolgen, sondern muß dort, von wo die faschistische Aggression ausging, in Berlin, entgegengenommen werden, und zwar nicht einseitig, sondern von den Oberkommandos aller Länder der Antihitlerkoalition. Sie soll von einem der Verantwortlichen des ehemaligen faschistischen Staates oder einer Gruppe für alle Verbrechen an der Menschheit verantwortlichen Faschisten unterzeichnet werden.”88)
Stalin und Molotow waren mit den alliierten Vertretern übereingekommen, die Unterzeichnung von Reims als vorläufige Kapitulation zu betrachten. Die Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde „in aller Form” war für den 8. Mai in Berlin festgesetzt. Als Vertreter des Obersten Befehlshabers wurde Shukow ermächtigt, die Urkunde der bedingungslosen Kapitulation zu unterzeichnen. Zu seinem Stellvertreter wurde Wyschinsky ernannt. Shukow wurde für die nächste Zeit zum Oberbefehlshaber der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) ernannt.
Der Ablauf der Kapitulation am 8. Mai 24.00 Uhr, Moskauer Zeit, 9. Mai 02.00 Uhr, in der Pionier-Schule in Berlin-Karlshorst ist allgemein bekannt und muß hier nicht wiederholt werden. Nur eine Episode am Rand des Geschehens sei erwähnt. Keitel und die anderen Mitglieder der deutschen Delegation, v. Friedeburg und Stumpf, befanden sich vor der Unterzeichnung in einem abgesonderten Raum. Keitel hatte sich zu seinen Begleitern geäußert: „Als wir durch Berlin fuhren, mußte ich erschüttert feststellen, wie zerstört die Stadt ist.” Sowjetische Offiziere, die im Raum waren, fragten ihn: „Waren Sie, Herr Feldmarschall, nicht erschüttert, als auf Ihren Befehl Tausende sowjetischer Städte und Dörfer dem Erdboden gleichgemacht wurden, Orte, unter deren Ruinen Millionen unserer Landsleute, darunter Zehntausende Kinder, den Tod fanden?”88a) Keitel gab keine Antwort.

„Der Krieg ist noch nicht beendet…”
Auf Befehl Stalins hatten Schtemenko und Antonow eine Direktive für die Fronten auszuarbeiten, in der sie über die Kapitulation von Reims informiert wurden und Anweisungen erhielten, wie sie sich gegenüber den deutschen Truppen zu verhalten hatten:
„1. Richten Sie einen Aufruf an die deutschen Truppen und ihre Führung, in dem Sie die Unterzeichnung der militärischen Kapitulation darlegen, und verbreiten Sie ihn gegen Abend des 8. Mai mit der Aufforderung, die Waffen niederzulegen, durch Funk und Flugblätter.
2. Ab 8. Mai, 23.00 Uhr, das heißt am Morgen des 9. Mai (Moskauer Zeit, UH) ist die Führung der Ihnen gegenüberstehenden deutschen Truppen aufzufordern, die Kampfhandlungen einzustellen, die Waffen niederzulegen und sich gefangenzugeben.
3. Falls die deutschen Truppen Ihrer Aufforderung nicht nachkommen, die Waffen nicht niederlegen und sich nicht gefangen geben, ist mit allen Kräften ein entscheidender Schlag gegen die Ihnen gegenüberstehenden deutschen Truppen zu führen und die jeder Front vom Hauptquartier gestellte Aufgabe zu lösen.”89)
Diese Weisung hatte Stalin am 7. Mai um 22.35 Uhr unterzeichnet.
Während der Kapitulationen in Reims am 7. Mai und am 8. Mai in Karlshorst setzten die deutschen Truppen ihren Widerstand noch immer fort. Nach der Abschlußmeldung des OKW vom 9. Mai wurde noch in Ostpreußen, in Kurland, in Kroatien, in Österreich, in Böhmen und Mähren erbittert gekämpft.90)
Im Westen der Tschechoslowakei verfügte die Heeresgruppe Mitte unter Schörner noch über bedeutende Kräfte, über 900.000 Mann, 9.700 Geschütze und Granatwerfer, 2.200 Panzer und SFL sowie 1.000 Flugzeuge.91)
Am 1. und 2. Mai kam es in mehreren Städten in der westlichen Tschechoslowakei zu Aufständen tschechischer Widerstandsorganisationen. Am 4. Mai griff der Aufstand auf ganz Mittelböhmen über; am 5. Mai begann der bewaffnete Aufstand in Prag. Am gleichen Tag erhoben sich dei Arbeiter der Skoda-Werke in Plzen. Sie wollten den Aufständischen in Prag zu Hilfe kommen, wurden jedoch von amerikanischen Truppen daran gehindert, die am 6. Mai in Plzen eintrafen. Am 5. Mai hatte sich der Aufstand in ganz Böhmen und westlichen Teilen Mährens ausgebreitet.92)
Schörner wollte den Aufstand mit allen Mitteln niederschlagen. Am 7. Mai erließ er den Befehl: „Die Feindpropaganda verbreitet falsche Gerüchte über eine Kapitulation Deutschlands vor den Alliierten. Ich weise die Truppen ausdrücklich darauf hin, daß der Krieg gegen die Sowjetunion fortgesetzt wird.”93)
Auch noch am Morgen des 9. Mai lehnte Schörner die Aufforderung zur Kapitulation vor der Roten Armee ab und setzte den Krieg fort. Er beabsichtigte, mit der Heeresgruppe Mitte in die amerikanische Zone durchzubrechen und dort die Waffen niederzulegen. Über Schörners Rückzug schrieb Moskalenko: „Alles, was der Gegner auf seinem Rückzug nicht mitnehmen konnte, zerstörte er: Brücken, Straßen, schwere Waffen und Lager.”93a)
Schörner ließ die Soldaten und Offiziere seiner Heeresgruppe mit der Begründung im Stich, die Truppen nicht mehr führen zu können und verschwand in Zivilkleidung. Der Wehrmachtsführungsstab wälzte in seiner Abschlußmeldung vom 9. Mai die Verantwortung für die Handlungsweise Schörners auf die Aufständischen in der Tschechoslowakei ab: „Eine tschechische Aufstandsbewegung – sie umfaßt ganz Böhmen und Mähren – kann die Durchführung der Kapitulationsbedingungen in diesem Raum gefährden.”94)
Mag sich jeder sein Urteil über den Herrn Generalfeldmarschall Schörner bilden. Er wurde schließlich von US-Truppen gefangen genommen, an die UdSSR ausgeliefert, 1954 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen.
Schörner, und in Österreich Rendulic als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe „Ostmark”, der ebenfalls die ordnungsgemäße Kapitulation verweigerte, hatten durch ihr verantwortungsloses Handeln den Krieg noch verlängert und weiteres Blutvergießen verursacht. Die Regierung Dönitz hatte keine Maßnahmen gegen die Verletzung der Kapitulationsbedingungen von Schörner und Rendulic ergriffen und trug somit eine erhebliche Mitverantwortung an dem sinnlosen Tod noch weiterer deutscher Soldaten, die, wie Dönitz vorgab, er doch retten wollte vor der Vernichtung durch „bolschewistischen Terror”, vor der „Verschleppung nach Sibirien”.
Am 4. Mai schrieb der Oberste Befehlshaber der Alliierten Expeditionsstreitkräfte in Europa, General Eisenhower einen Brief an den Chef des sowjetischen Generalstabs, Generaloberst Antonow, in dem er erklärte, daß sie bereit wären, „falls es die Lage erfordern sollte, bis zur Moldau und Elbe vorzustoßen, um die westlichen Ufer dieser Flüsse zu säubern.”95)
Die in Erwägung gezogene Operation ging über die zwischen der UdSSR und den westlichen Alliierten vereinbarte Demarkationslinie, an der die Truppen halten sollten, hinaus und schloß Prag mit ein. Im Namen des sowjetischen Oberkommandos wies Antonow in seinem Antwortschreiben an Eisenhower vom 5. Mai das Anliegen zurück und ersuchte ihn, die alliierten Streitkräfte nicht über die vereinbarte Trennungslinie vorrücken zu lassen, um eine Vermischung der Truppen zu vermeiden.96)
Konew berichtet über ein Treffen mit US-General Omar Bradley, Oberbefehlshaber der 12. US-Armeegruppe, am 5. Mai. Bradley fragte höflich, wie die sowjetischen Truppen Prag zu nehmen gedächten und ob die Amerikaner dabei helfen sollten.97)
Wenn die westlichen Alliierten schon Wien und Berlin nicht „vor den Russen” nehmen konnten, dann vielleicht doch noch Prag? Den bürgerlichen Politikern im tschechischen Nationalrat wäre eine solche Lösung wohl recht gewesen. Das HQ hatte die Armeen von drei Fronten, der 1., 2. und 4. Ukrainischen Front zur Befreiung Prags angesetzt, die am 9. Mai Prag von den faschistischen Okkupanten befreiten.
Wenn auch die bürgerlichen Schichten der tschechoslowakischen Gesellschaft die Befreiung durch Truppen der Roten Armee nicht gerade mit übermäßiger Freude begrüßten, namentlich diejenigen, die mit den faschistischen Okkupanten sympathisiert oder gar kooperiert hatten, die Volksmassen empfingen die Soldaten der Roten Armee mit wahrer Begeisterung. Generalleutnant W.P. Mshawanadse, Mitglied des Kriegsrates der 1. Ukrainischen Front schilderte seine Erlebnisse beim Einmarsch in Städte und Dörfer Böhmens: „…Am 10. 05. 1945 war ich persönlich in den Städten und Dörfern, in die unsere Truppen einrückten, in Chlumec, Hradec Kralove, Jaromer und anderen. Die Truppen vollzogen den Marsch in bester Ordnung. Nach den Angaben, die ich am Abend erhielt, ließen sich die Soldaten auf dem Territorium der Tschechoslowakei nichts zuschulden kommen. In den Städten und Ortschaften, in denen ich den Einmarsch unserer Truppen beobachtete, verlief alles in vorbildlicher Ordnung. Alles war festlich geschmückt, an fast allen Häusern und Behörden waren Nationalflaggen der Tschechoslowakischen Republik und der UdSSR aufgezogen. Die gesamte Bevölkerung begrüßte und begleitete die Truppen. Auf allen Plätzen und Straßen drängten sich Menschen, die Hochrufe zu Ehren des Genossen Stalin und Rußlands ausbrachten.
Sehr viele ergreifende Szenen konnte man beim Zusammentreffen der Bevölkerung mit unserer Armee sehen: Ein Greis umarmte einen jungen Kämpfer, ein altes Mütterchen bekreuzigte ihn, Jugendliche drückten uns die Hände, wollten unbedingt mit den Soldaten in einer Reihe marschieren, und sehr viele andere ähnliche Szenen bekundeten die Liebe und Verehrung des tschechoslowakischen Volkes zur Sowjetunion und zur Roten Armee.”98)
Der Krieg war aber noch immer nicht beendet. Im Raum Caclav stieß die 6. Gardepanzerarmee unter General Krawtschenko am 10. Mai auf heftigen Widerstand deutscher Truppen, die sich der Kapitulation widersetzt hatten.99)
Im Westen der Tschechoslowakei trieben sich noch Truppenverbände des Generals Wlassow und weißgardistische Einheiten herum, die sich über die Demarkationslinie zu den britischen und amerikanischen Truppen durchschlagen wollten. Einem Teil dieser antisowjetischen Hilfstruppen der deutschen Faschisten gelang die Flucht über die Demarkationslinie. Am 12. Mai befanden sich diese Banden 40 Kilometer südostwärts von Plzen. Diese Wlassowtruppen hatten noch immer Divisionsstärke. Wlassow, und die übrigen alten weißgardistischen Generale, deren Namen die jüngeren Sowjetmenschen schon gar nicht mehr kannten, Krasnov, Fürst Schkuro, Sultan-Girei und andere, erwartete in der Sowjetunion die Todesstrafe.
Die Grenze zu den amerikanischen Truppen lag in der Nähe. Es war von diesen Banden noch verzweifelter Widerstand zu erwarten. Wlassow konnte von sowjetischen Truppen unter Mithilfe eines Überläufers gefangengenommen werden, worauf die Wlassow-Division sich widerstandslos ergab.
Den weißgardistischen Generalen und einem Teil ihrer Truppen gelang es, unter hohen Verlusten hinter die englischen Linien durchzubrechen. Die Sowjetregierung forderte von den Verbündeten energisch deren Auslieferung. „Wenn sich die Briten auch Zeit ließen”, schrieb Schtemenko, „übergaben sie doch die für sie wertlosen weißgardistischen Generale und deren Soldateska den sowjetischen Behörden. Die ganze Übergabeprozedur bestand im Wechsel der britischen Begleitmannschaften gegen sowjetische.”100)
Wie Marschall Moskalenko, AOB der 38. Armee der 4. Ukrainischen Front, berichtete, hatten sie erst am 19. Mai die letzten Gruppen der Heeresgruppe Mitte zerschlagen können, die noch versucht hatten, die Linien der sowjetischen Truppen zu durchbrechen und nach Süddeutschland oder Österreich zu entkommen.101)
Am 13. Mai erschienen US-General Rooks und der britische Brigadier Foord von der Alliierten Kontrollkommission in Flensburg-Mürwik. Sie bemühten sich, mit der Dönitz-Regierung zu einem Abkommen zu gelangen, bevor die sowjetischen Vertreter der Kontrollkommission in Mürwik ankamen. Nach Dönitz waren die Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Kommission und der Regierung „zurückhaltend, aber korrekt.”102) Churchill verhielt sich der Dönitz-Regierung gegenüber abwartend. Er unternahm nichts gegen sie. Dönitz hatte nicht ganz Unrecht, wenn er im Verhalten der genannten Kommissionsmitglieder eine defacto Anerkennung seiner Regierung sah.
Am 17. Mai veröffentlichte die britische Zeitung „Labour Daily Herald” eine Verlautbarung des Alliierten Hauptquartiers, wonach Dönitz und andere deutsche Offiziere lediglich mit der Verpflegung, Entwaffnung und medizinischen Betreuung der deutschen Streitkräfte unter alliierter Kontrolle beauftragt worden seien.103) Der „Labour Daily Herald” sah darin einen Versuch der US- und britischen Regierung, eine „Art Quisling-Regierung in Deutschland zu errichten.”104)
Am 17. Mai trafen die sowjetischen Mitglieder der Alliierten Kontrollkommission unter Führung von General Truskow in Flensburg ein. Sie forderte kategorisch die Auflösung der Dönitz-Regierung, die am 23. Mai erfolgte. Dönitz und die Mitglieder seiner Regierung wurden auf Befehl Eisenhowers verhaftet, Dönitz als Kriegsverbrecher im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Anmerkungen zu Teil 2
1) Shukow, a.a.O. S. 261. Shukow nennt mehrere Artikel von Tschuikow in den Zeitschriften „Nowaja i nowejschaja” Heft 2/1965; „Wojenno-istoritscheski-shurnal” Heft 3 und 4/1965; „Oktjabr” Heft 4/1964.
2) Ebd. 3. 262.
3) Ebd. S. 263.
4) Ebd. S. 264.
5) Guderian, a.a.O. S. 375.
6) Ebd. S. 377.
7) Shukow, a.a.O. S. 264.
8) Ebd.
9) Ebd. S. 265.
10) Konew, a.a.O. S. 60.
11) Ebd. S. 48 – 53.
12) Ebd. S. 59.
13) Ebd. S. 50.
14) Domarus, a.a.O. S. 2232/ Fußnote 185.
15) Churchill, a.a.O. S. 1042. Siehe Ulrich Huar, “Schriftenreihe…” Heft 200/2, S. 3 oder “offen-siv” Heft 8/2004, S.67.
15a) Marschall Montgomery: Memoiren. Paul List Verlag, München, o.J. S. 372.
16) Shukow, a.a.O. S. 278.
17) Ebd. S. 279.
18) Ebd. S. 280.
19) Parotkin: Das Ende des Dritten Reiches. In: Gretschko: Die Befreiungsmission…, a.a.O. S. 421.
20) Shukow, a.a.O. S. 281.
21) Schtemenko, a.a.O. S 363.
22) Konew, a.a.O. S. 72.
23) Guderian, a.a.O. S. 365.
24) Ebd. S. 367 und 368.
25) Ebd. S. 382 f und S. 387.
26) Parotkin, a.a.O. S. 407 f.
26a) Konew, a.a.O. S. 78.
26b) Rokossowski, a.a.O. S. 415.
26c) Ebd. S. 419.
26d) Ebd. S. 392.
26e) Ebd.
26f) Ebd. S. 418 – 420.
27) Shukow, a.a.O. S. 284.
28) Ebd. S. 284f.
29) Ebd. S. 285.
30) Parotkin, a.a.O. S. 408f.
31) Ebd. S. 410.
32) N.A. Antipenko: In der Hauptrichtung. Moskau 1971, Berlin 1973. S. 275 – 278.
33) Ebd. S. 278.
34) Ebd. S. 278f.
35) Ebd. S. 279.
36) Ebd. S. 282.
37) Ebd. S. 283.
38) Moskalenko, a.a.O. S 567f.
38a) Antipenko, a.a.O. S. 285.
39) Ebd. S. 281.
40) Parotkin, a.a.O. S. 409.
41) SW 14/266.
42) Tippelskirch, a.a.O. S. 566.
43) Goebbels, Tagebücher, a.a.O. S. 116, 157, 210.
44) Shukow, a.a.O. S. 296f.
45) Konew, a.a.O. S. 83 – 85.
46) Ebd. S. 85.
47) Randow. Kleiner Fluß, verläuft auf der Westseite parallel zur Oder. Das Gelände um die Randow war ebenfalls Sumpfgelände, das Randowluch.
48) Rokossowski, a.a.O. S. 430 – 442.
49) Shukow, a.a.O. S. 298.
50) Ebd. S. 299f.
51) Parotkin, a.a.O. S. 413f.
52) Shukow, a.a.O. S. 300 und 301.
53) Konew, a.a.O. S. 89.
54) Ebd. S. 74.
55) Ebd.
56) Ebd. S. 122.
57) Parotkin, a.a.O. S. 419.
58) Domarus, a.a.O. S. 2230.
58a) Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht. 1944 – 1945. Bd. IV, Teilband 2. Hrsg. Percy E. Schramm. Bonn, o.J. S. 1462. Weiterhin KTB/OKW genannt.
59) Tippelskirch, a.a.O. S. 571f.
60) Domarus, a.a.O. S. 2232.
61) Parotkin, a.a.O. S. 421 f.
62) Ebd. S. 422.
63) Shukow, a.a.O. S. 315.
64) Krebs sprach fließend russisch und bedurfte keines Dolmetschers.
65) Shukow, a.a.O. S. 315.
66) Churchill, a.a.O. S. 1069f.
67) Ebd. S. 1070.
68) Ebd.
69) Guderian, a.a.O. S. 365.
70) Karl Dönitz: Zehn Jahre und zwanzig Tage. Erinnerungen 1935 – 1945. 9. Auflage. Koblenz 1985. S. 436. Hervorhebung bei Dönitz.
71) KTB/OKW, a.a.O. S. 1468.
72) Förster/Lakowski: 1945…a.a.O. S. 316. Im KTB/OKW wird als Dienstgrad von Lüdde-Neurath “Kapitänleutnant” angegeben.
73) KTB/OKW a.a.O. S. 1476.
74) Shukow, a.a.O. S. 329.
74a) Dönitz, a.a.O. S. 443f. Hervorhebung bei Dönitz.
74b) KTB/OKW, a.a.O. S. 1076.
74c) Dönitz, a.a.O. S. 452.
75) Daily Herald, London, 24. November 1954. „…to be careful in collecting the German arms, to stack them so that they could easily be issued again to the German soldiers whom we should have to work with if the Soviet advance continued.” Zitiert nach W.P. Morosow: Brüderliche Hilfe für die Völker der Tschechoslowakei. In: Gretschko: Die Befreiungsmission der Sowjetstreitkräfte, a.a.O. S. 385.
75a) Shukow, a.a.O. S. 356
75b) Ebd. S. 381 – 383
76) Tippelskirch, a.a.O. S. 76. Dönitz, a.a.O. S. 457.
77) Dönitz, a.a.O. S. 450.
78) N.G. Kusnezow: Auf Siegeskurs. Moskau 1975/Berlin 1979. S. 201. Dönitz gibt an, daß zwischen dem 23. Januar bis 8. Mai 2.204.477 Menschen aus diesen Gebieten „in den rettenden Westen” gebracht wurden, bei Kusnezow zwischen dem 2. und 8. Mai. Letzteres muß ein Irrtum sein. Nach dem KTB/OKW waren es etwa 1.500.000 von Januar bis 9. Mai. Die Zahlenangaben sind insgesamt ungenau. Exakte Angaben waren in der Endphase des Krieges wohl auch nicht mehr zu erhalten.
79) KTB/OKW, a.a.O. S. 1278.
80) Dönitz, a.a.O. S.454.
81) Kusnezow, a.a.O. S. 202.
82) Schtemenko, a.a.O. S. 363.
83) Ebd. S. 367.
84) Ebd.
85) Ebd. S. 378f.
86) Ebd. S. 384.
87) Ebd. S. 384f.
88) Ebd. S. 385
88a) Shukow, a.a.O. S. 322. Ablauf der Kapitulation siehe ebenda S. 323 – 326.
89) Schtemenko, a.a.O. S. 386.
90) KTB/OKW, a.a.O. S. 1281.
91) Morosow, a.a.O. S.388.
92) Ebd. S. 385f.
93) Archiv des Ministeriums für Verteidigung der UdSSR, Fonds 592, Liste 70 500, Akte 2, BI. 26. Zitiert nach Konew, a.a.O. S. 204.
93a) Moskalenko, a.a.O. S. 584.
94) KTB/OKW, a.a.O. S. 1281.
95) Konew, a.a.O. S. 181.
96) Ebd. S. 181. Siehe auch Moskalenko, a.a.O. S. 583.
97) Konew, a.a.O. S. 182.
98) A.A. Gretschko: Über die Karpaten. Moskau 1970/Berlin 1972. S. 429f.
99) Schtemenko, a.a.O. S. 389.
100) Ebd. S. 393.
101) Moskalenko, a.a.O. S. 589.
102) Dönitz, a.a.O. S. 465.
103) „Dönitz and other German officers are being employed only in connection with the feeding, disarmament and medical care of the German fordes” under Allied control. G. Deborin: The Second WorId War. Progress Publishers, Moscow, o.J. S. 462.
104) “…that it was aimed at creating a sort of quisling government in Germany.” Ebd.

„Das Jahr Fünfundvierzig” – Teil 3
Zwischen heißem und kaltem Krieg
Potsdam – Eröffnung
Ursprünglich sollte die Potsdamer Konferenz1) am 15. Juni beginnen. Aus einem Gespräch zwischen Shukow und Harry Hopkins, einem Vertrauten des verstorbenen US-Präsidenten Roosevelt, ging hervor, daß Churchill auf diesem Datum bestanden habe. Truman habe vorgeschlagen, sie auf den 15. Juli anzusetzen, da sie noch nicht bis zu dem von Churchill vorgeschlagenen Termin darauf vorbereitet seien.2)
Die wirklichen Gründe für die von Truman vorgeschlagene Verschiebung des Terminbeginns hat Gromyko in seinen Erinnerungen genannt: „Der amerikanische Kriegsminister Stimson schrieb in seinen Memoiren, Washington habe es für wesentlich erachtet, die Entscheidung über Nachkriegsfragen in Europa und anderswo so lange hinauszuzögern, bis die USA die atomare Trumpfkarte in der Hand hielten.
Jedenfalls versuchte der amerikanische Präsident, die Potsdamer Konferenz so lange hinauszuschieben, bis die Herstellung der Bombe abgeschlossen war, und tatsächlich wurde die Konferenz auf sein Ersuchen von Juni auf Juli verlegt. Ungeduldig wartete er die Testergebnisse ab, und als er sie endlich insgeheim bekam – am 16. Juli 1945, genau einen Tag vor Konferenzeröffnung -, fühlte er sich offenbar in der Lage, in den Verhandlungen einen harten Kurs zu fahren.”3)
In der DDR-Historiographie wurde in der Darstellung der Potsdamer Konferenz der Schwerpunkt auf den Abschnitt III, „Deutschland”, des Kommuniques gelegt, die politischen und wirtschaftlichen Grundsätze für die Politik der Besatzungsmächte gegenüber dem vom Faschismus befreiten Deutschland. Das war insofern gerechtfertigt, als es die völkerrechtliche Grundlage für die Politik der SED und ab 7. Oktober 1949 der Regierung der DDR war, die von der Regierung der BRD mit Unterstützung der westlichen Besatzungsmächte – oder genauer, auf Befehl der USA – nicht nur nicht eingehalten, sondern willkürlich beiseite geschoben wurde. Den alten DDR-Bürgern sind die wichtigsten Bestimmungen des Abschnitts III bekannt: Ausrottung des deutschen Militarismus und Nazismus – völlige Entwaffnung und Entmilitarisierung Deutschlands – Umgestaltung des politischen Lebens in Deutschland auf demokratischer Grundlage – Aufhebung aller nazistischen Gesetze zur Diskriminierung auf Grund der Rasse, Religion oder politischen Überzeugung – Kriegsverbrecher sind zu verhaften und vor Gericht zu stellen – Entfernung nazistischer und militaristischer Doktrinen aus dem Bildungswesen, Entwicklung demokratischen Gedankenguts – Dezentralisierung der politischen Struktur der Verwaltung in Deutschland – Entwicklung der örtlichen Selbstverwaltung – demokratische politische Parteien sind zugelassen – bis auf weiteres keine deutsche Zentralregierung, jedoch einige wichtige zentrale deutsche Verwaltungsabteilungen sollen errichtet werden (Finanzen, Transport- und Verbindungswesen – Außenhandel – Industrie) – Gewährung von Presse-, Rede- und Religionsfreiheit.
Auf ökonomischem Gebiet: Verbot jeglicher Rüstungsindustrie – Dezentralisierung der deutschen Wirtschaft, Vernichtung übermäßiger Konzentration, besonders Kartelle, Syndikate, Trusts u.a. Monopolvereinigungen – Deutschland ist als wirtschaftliche Einheit zu betrachten – Erhaltung eines mittleren Lebensstandards in Deutschland.4)
Die jüngere und junge Generation, vor allem in den alten Bundesländern, wissen über die Potsdamer Konferenz im Allgemeinen und über den Abschnitt III im Besonderen erfahrungsgemäß so gut wie gar nichts.
Auf der Potsdamer Konferenz nahm Abschnitt III zwar auch eine besondere Stellung ein, denn es ging um die Entscheidung, entweder ein demokratisches, friedliches, militärisch neutrales Deutschland in der Mitte Europas, oder Restauration der alten monopolkapitalistischen Ordnung, des Militarismus und die Eingliederung als Satellitenstaat der USA in die Aggressionspolitik des Pentagon gegen die UdSSR. Aber die Deutschlandfrage war nicht das einzige Problem, das in Potsdam zu scharfen Konfrontationen zwischen der sowjetischen und der amerikanischen und britischen Delegation führte.
In der DDR-Historiographie wurden die Auseinandersetzungen durchaus genannt, aber hervorgehoben, daß letztendlich die Konferenz ein Erfolg für die Kräfte des Friedens und der Demokratie in der Welt war, meinte doch Stalin auf der Abschlußsitzung am 1. August: „Die Konferenz kann man wohl als gelungen bezeichnen.”5)
Nun war die Konferenz das eine, die Realisierung ihrer Beschlüsse das andere. Der Abschnitt III trägt – wie auch die anderen Abschnitte – Kompromißcharakter. Stalin konnte zwar eine Zerstückelung Deutschlands verhindern, sich aber hinsichtlich der Bildung einer zentralen deutschen Regierung nicht durchsetzen. Umgekehrt gelang es Truman und Churchill nicht, Polen in einen cordon sanitaire gegen die UdSSR zu verwandeln. Die Formulierungen im Kommunique waren teilweise interpretierbar. Die westlichen Alliierten waren in Potsdam noch sehr daran interessiert, daß die Sowjetunion in den Krieg gegen Japan eintrat – trotz ihrer erfolgreichen Experimente mit der A-Bombe. Das veranlaßte sie, auf einen allzu offenen Konfrontationskurs gegenüber der sowjetischen Delegation zu verzichten. Darüber hinaus genoß Stalin ein sehr hohes internationales Ansehen. Seine unbestrittene Autorität beeindruckte sogar Churchill, der sehr vorsichtig war, sich in einen offenen Kampf mit ihm einzulassen. Ein offener Bruch mit der Sowjetunion war in Potsdam noch nicht möglich, trotz der A-Bombe.
Im folgenden konzentriere ich mich gerade auf die Fragen, die die unüberbrückbaren Klassengegensätze auf der Konferenz deutlich werden ließen, die nach Potsdam die Politik der Sowjetunion wie der USA und Großbritanniens bestimmten.
Wenn sich die Sowjetregierung in ihrer Politik auf die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz berufen konnte, ihre völkerrechtliche Verbindlichkeit betonte, führten die Westmächte sie anfangs nur formal, sporadisch, dann gar nicht mehr durch, bis sie sie offen brachen, so zeigt das, daß Stalin auf der Konferenz wesentliche friedens- und demokratiefördernde Beschlüsse durchsetzen konnte. Insofern war sie ein Erfolg.
Allerdings gelang es der sowjetischen Delegation nicht, die Demokratisierung, Demilitarisierung und Denazifizierung in ganz Deutschland durchzusetzen. Die schrittweise Zerstörung des deutschen Nationalverbandes durch separate Währungsreform, Bizone, Trizone, Bildung des westdeutschen Separatstaates und dessen Eingliederung in die NATO dokumentieren die wahren Absichten der USA und Großbritanniens auf der Konferenz. Es war dies die Fortsetzung der Politik Churchills gegenüber der Flensburger Regierung Dönitz’, die Erhaltung der deutschen Wehrmacht unter anderem Etikett als antisowjetische Streitkraft unter angloamerikanischem Kommando.

„Was bedeutet jetzt Deutschland?”
Diese Frage stellte Churchill auf der 2. Sitzung am 18. Juli. Er ergänzte sie noch, wohl nicht ganz ohne Hintergedanken: „Kann man es in dem Sinne auffassen, wie es vor dem Krieg war?”
Truman fragte nach der Auffassung der sowjetischen Delegation darüber.
Stalin: „Deutschland ist das, was es nach dem Krieg geworden ist. Ein anderes Deutschland gibt es heute nicht…”
Truman steuerte nun direkt auf den Kern der Frage zu: „Kann man von Deutschland sprechen, wie es vor dem Kriege im Jahre 1937 war?”
Stalin sehr kurz: „Wie es im Jahre 1945 ist.”
Truman meinte, Deutschland habe „im Jahre 1945 alles verloren. Deutschland besteht heute faktisch nicht.”
Nach Stalin war Deutschland ein „geographischer Begriff. Wir werden es erst einmal so auffassen. Man kann nicht von den Ergebnissen des Krieges abstrahieren.”
Truman meinte, es müsse „irgendeine Bestimmung des Begriffs ‘Deutschland’ geben.” Er schlug vor, „…von Deutschland zu sprechen, wie es vor dem Krieg im Jahre 1937″ war.
Stalin konterte: „Formal kann man es so auffassen, dem Wesen der Sache nach ist es nicht so. Sollte in Königsberg eine deutsche Verwaltung auftauchen, so werden wir sie davonjagen. Unbedingt davonjagen.”
Das war unmißverständlich, wie Stalin über Deutschland „in den Grenzen von 1937″ dachte. Truman beharrte dennoch darauf, „die Grenzen Deutschlands von 1937″ als „Ausgangspunkt” zu nehmen. „Ausgehen kann man von allem”, meinte Stalin. Man könne „Deutschland von 1937″ als „Ausgangspunkt” nehmen. „Das ist einfach eine Arbeitshypothese…” Churchill bestätigte: „Nur als Ausgangspunkt”. Dann fügte er noch einen Schlenker hinzu: „Das bedeutet nicht, daß wir uns darauf beschränken.”6)
Mit anderen Worten, er und Truman behielten sich die Entscheidung darüber offen, Deutschland in den Grenzen von 1937 eben nicht nur als „Arbeitshypothese”, sondern als Tatsache zu behaupten.
Mit dieser in der Möglichkeitsform ausgedrückten Anerkennung Deutschlands in den Grenzen von 1937 lenkten Truman und Churchill Wasser auf die Mühlen der deutschen Revanchisten in den westlichen Besatzungszonen. Die Forderung nach Deutschland in den Grenzen von 1937 wurde zur Staatsdoktrin der BRD, auch wenn gegenwärtig diese Forderung in den Hintergrund gedrängt wurde. Sie wurde nie aufgegeben und ist latent in den „Heimatverbänden” noch immer vorhanden. Über die Einbindung Polens in die EU bieten sich ungeahnte Möglichkeiten, die alte revanchistische Forderung auf eleganterem Wege sukzessive zu realisieren.

Aufteilung der deutschen Flotte
Auf der ersten Sitzung am 17. Juli stellte Stalin die Frage, warum „Herr Churchill den Russen ihren Anteil an der deutschen Flotte verweigert.” Churchill gab zu verstehen, daß er für eine Versenkung der deutschen Flotte sei. Stalin bestand auf Aufteilung der Flotte: „Wenn Herr Churchill es vorzieht, die Flotte zu versenken, so kann er seinen Anteil versenken. Ich beabsichtige nicht, meinen Anteil zu versenken.” Churchill erklärte, daß sich fast die ganze Flotte in ihrer Hand befindet. Gerade darum, so Stalin, müsse diese Frage entschieden werden.7)
Auf der 3. Sitzung am 19. Juli ging es erneut um die Flotte. Truman stellte die Frage, ob die deutsche Flotte Kriegsbeute sei oder zu den Reparationen gehöre. Stalin meinte, daß die Kriegsflotte Kriegsbeute sei, die Handelsflotte könnte den Reparationen zugeordnet werden. Er erinnerte daran, daß im „Fall Italiens” beide, „die Seekriegs- und die Handelsflotte, zur Kategorie der Kriegsbeute zählten.”8)
Churchill hatte „im Prinzip” keine Einwände gegen eine Aufteilung, aber, man müsse die Frage nach den Verlusten stellen.
Großbritannien hat etwa zehn große Schiffe verloren, d.h. Schlachtschiffe, schwere Kreuzer und Flugzeugträger, überdies mindestens 20 Kreuzer und mehrere hundert Zerstörer, U-Boote und kleine Schiffe… Da die deutschen U-Boote eine „besondere Rolle” spielten, sollten sie alle vernichtet oder versenkt werden, nur die neuesten deutschen U-Boote, die von „bestimmtem wissenschaftlichen und technischen Interesse sind” seien „zur Besichtigung” zu erhalten.
Was die „Überwasserschiffe” betraf, so sollten sie „zu gleichen Teilen unter uns aufgeteilt werden, unter der Bedingung, daß wir über alle anderen Fragen eine Übereinkunft erzielen und hier im besten Einvernehmen auseinandergehen.”9) Und wenn nicht? Dann behält Herr Churchill die Flotte! Im nichtdiplomatischen Sprachgebrauch nennt man dies eine Erpressung.
Bezüglich der Handelsflotte unterstellte Churchill der Sowjetregierung, daß die Handelsflotte Finnlands mit 400.000 Tonnen (Bruttoregistertonnen, d.h. Fassungsvermögen der Fracht, UH) „in die Hände unseres russischen Verbündeten übergegangen” sei, wie auch einige rumänische Schiffe, „darunter zwei wichtige Transporter, die dringend für Truppentransporte benötigt werden.” Die Schiffe müßten „in die insgesamt zur Aufteilung kommenden Schiffe einbezogen werden.”
Stalin korrigierte diese Unterstellung: „Wir haben nichts von Finnlands Handelsflotte übernommen, kein einziges Schiff, und von Rumänien haben wir ein Schiff genommen.”10)
Truman schlug vor, die Frage der Flotte bis Ende des Krieges gegen Japan aufzuschieben.
Stalin fragte: „Und wenn Russen gegen Japan kämpfen werden?” (Der Aufmarsch sowjetischer Armeen in den Konzentrierungsräumen in Transbaikalien und Fernost war zu dieser Zeit voll im Gange.)11)
Truman meinte, daß die Russen natürlich Anspruch auf ein Drittel der Flotte erheben können, das ihnen dann übergeben werden wird.
Stalin legte nun in längeren Ausführungen den Standpunkt der Sowjetregierung dar: „Man darf die Russen nicht als Menschen hinstellen, die die erfolgreichen Aktionen der Flotte der Alliierten gegen Japan zu behindern wünschten. Aber man darf daraus auch nicht den Schluß ziehen, die Russen wünschten ein Geschenk von ihren Verbündeten. Wir wollen kein Geschenk, wir wollen nur wissen, ob dieses Prinzip anerkannt wird, ob der Anspruch der Russen auf einen Teil der deutschen Flotte als berechtigt angesehen wird…
Wenn im Prinzip anerkannt wird, daß die Russen ein Anrecht auf ein Drittel der Kriegs- und Handelsflotte Deutschlands haben, so sind wir zufrieden. Was die Verwendung der Handelsflotte und insbesondere jenes Drittel, das Rußland rechtmäßig zugesprochen wird, betrifft, so werden wir natürlich nicht zu verhindern suchen, daß dieses Drittel von den Alliierten in ihrem Kampf gegen Japan maximal eingesetzt wird. Ich bin auch damit einverstanden, daß diese Frage am Ende der Konferenz entschieden wird.”12)
Im Kommunique hieß es dazu nur lakonisch, daß „im Prinzip” Einigung über die Flotte erzielt wurde, daß die drei Regierungen „Sachverständige bestellen” werden, die detaillierte Pläne ausarbeiten sollen, eine „gemeinsame Erklärung” der drei Regierungen „zur rechten Zeit” veröffentlicht werden wird.12a) Das war es dann auch.

Polen
Wenn Churchill auf der 9. Sitzung am 25. 7. die Polen betreffende Frage als „den Grundstock des Gelingens der gesamten Konferenz” bezeichnete13), hatte er aus seiner Sicht recht. Das Ziel von Churchill und Truman bezüglich Polens bestand darin, die alten Macht- und Eigentumsverhältnisse in Polen zu erhalten bzw. wiederherzustellen, in Polen die Macht der antisowjetischen/antirussischen Kräfte der ehemaligen polnischen Exilregierung in London, der Anders-Armee, der antisowjetischen/antirussischen Emigration in den USA und Großbritannien zu errichten, kurz, in Polen ein extrem reaktionäres, nationalistisches Regime zu errichten. Polen sollte erneut zu einem Aufmarschgebiet für eine Aggression gegen die Sowjetunion ausgebaut werden. „Wenn die Konferenz ihre Arbeit … nach zehn Tagen abschließt”, erklärte Churchill, „ohne eine Entscheidung über Polen angenommen zu haben, … so bedeutet das zweifellos einen Mißerfolg der Konferenz.”14)
Die Pläne Trumans und Churchills bezüglich Polens scheiterten an der konsequenten Haltung Stalins. Insofern war die Konferenz ein „Mißerfolg” für diese beiden.
In wohl keiner anderen Frage auf der Konferenz kamen die Klassenpositionen so deutlich zum Ausdruck, wie in den Debatten über Polen.
In der polnischen Frage ließen sich zwei Seiten unterscheiden, einmal die Frage der Westgrenze Polens und zum anderen die Frage der inneren politischen Ordnung Polens. Die letztere war als die Klassenfrage die dominierende. Es ist nicht auszuschließen, daß wenn Stalin den restaurativen Forderungen Trumans und Churchills nach Errichtung eines reaktionären-nationalistischen Regimes in Polen zugestimmt hätte, sie ihren Widerstand gegen die Oder/(westl.) Neiße-Grenze aufgegeben hätten. Doch dies ist spekulativ.
Bezüglich der Westgrenze Polens argumentierte Churchill auch mit falschen Behauptungen, die aber geeignet waren, den deutschen Revanchisten Material für ihre aggressive Ostpolitik zu liefern: „Wir haben zugestimmt, daß Polen auf Kosten Deutschlands für das Gebiet, das es östlich der Curzonlinie verloren hat, entschädigt wird.”14a)
Churchill verfälschte den historischen Sachverhalt. Erstens hat Stalin einer solchen Behauptung nicht zugestimmt, weder auf der Krim-Konferenz noch in Potsdam. Das „wir” traf also nur auf Churchill zu, denn weder Roosevelt auf der Krimkonferenz noch Truman haben eine solche Behauptung geäußert. Zweitens gehörten die Gebiete östlich der Curzonlinie nicht den Polen.
Diese zum sowjetischen Weißrußland und der Sowjetukraine gehörenden Gebiete haben die polnischen Pans nach ihrem Aggressionskrieg gegen Sowjetrußland mit starker militärischer Unterstützung der französischen, britischen und US-Regierung annektiert. Von den USA erhielten die Polen im ersten Halbjahr 1920 200 Panzer, 300 Flugzeuge, 20.000 Maschinengewehre. Frankreich lieferte 2.000 Geschütze, 3.000 Maschinengewehre, 500.000 Gewehre und 350 Flugzeuge. Etwa 700 französische Offiziere, darunter 38 Generäle und Oberste übernahmen die Rolle von Instrukteuren der polnischen Armee. Die polnische Armee (740.000 Mann) wurde von dem französischen General Weygand beraten und von der britischen Mission Lord d’Abernon unterstützt.14b)
Churchill war damals Kriegsminister im britischen Kabinett seiner Majestät und kannte die Fakten sehr genau. Hatte er sie „vergessen”? Stalin hatte nichts vergessen, der damals an der Südfront im Kampf gegen Wrangel stand, der auf Weisung der Ententemächte mit einer Offensive die polnische Interventionsarmee unterstützen sollte.
Die zwischen Churchill und Truman abgestimmte Argumentation fand unter dem Slogan der Demokratie, der Durchführung „freier Wahlen”, der Zulassung von Beobachtern aus den USA und Großbritannien, „freier” Betätigung westlicher Journalisten statt. Diese „Demokratie”forderungen verbanden sie mit Fragen der Reparationen und Lieferungen von Kohle aus den schlesischen Revieren unter Berufung auf den „östlichen Teil Deutschlands von 1937″, die nach Truman hinsichtlich der Reparationen und der Versorgung der gesamten Bevölkerung Deutschlands nicht ausgegliedert werden sollten.15) Truman „vergaß” dabei die Kohle im Ruhrgebiet, auf die Stalin diskret hinwies.16)
Stalin schlug vor, die Frage der Westgrenze mit der polnischen Regierung zu besprechen, deren Vertreter nach Potsdam eingeladen werden sollten. Churchill versuchte mit allerlei Finten, dies zu verhindern. Truman meinte, die Entscheidung über die Westgrenze Polens der Friedenskonferenz zu überlassen, was Churchill auch nicht gefiel, da sie nach seiner Auffassung „von bestimmter Dringlichkeit ist. Wird die Entscheidung in dieser Frage aufgeschoben, so wird die bestehende Linie fixiert. Die Polen werden mit der Nutzung dieser Gebiete beginnen, sie werden sich dort festsetzen, und wenn der Prozeß fortdauert, so wird es sehr schwer sein, dann irgendeinen anderen Beschluß zu fassen.”17)
Churchill rechnete wohl schon damit, daß es mit der Friedenskonferenz nicht so schnell gehen würde – da die Westmächte sie mit allen Mitteln verhinderten, und die polnische Regierung inzwischen mit sowjetischer Unterstützung Tatsachen schaffen würde, die sie nicht mehr rückgängig machen könnten.
Churchill schlug in weiteren, langatmigen Ausführungen vor, die Gebiete östlich der Oder/(westl.) Neiße als Teil der SBZ zu betrachten, die unter Verwaltung der sowjetischen Regierung stehe.18)
Stalin wiederholte noch einmal den Standpunkt der sowjetischen Delegation: „Wenn Sie die Erörterung dieser Frage nicht satt haben, bin ich bereit, noch einmal das Wort zu ergreifen.
Ich gehe ebenfalls von dem Beschluß der Krimkonferenz aus, den der Präsident gerade zitiert hat. Aus dem genauen Sinn dieses Beschlusses geht hervor, daß wir, nachdem sich die Regierung der Nationalen Einheit in Polen gebildet hat, die Meinung der neuen polnischen Regierung zur Frage der Westgrenze Polens einholen mußten. Die neue polnische Regierung hat uns ihre Meinung mitgeteilt. Jetzt haben wir zwei Möglichkeiten: entweder die Meinung der polnischen Regierung über die Westgrenze Polens zu bestätigen, oder wir müssen, wenn wir mit den polnischen Vorschlägen nicht einverstanden sind, die polnischen Vertreter anhören und erst danach die Frage entscheiden…
Hier wird die Frage der Grenzen behandelt und kein provisorischer Grenzverlauf. Diese Frage läßt sich nicht umgehen. Wenn Sie mit den Polen einverstanden wären, könnte man einen Beschluß fassen, ohne Vertreter der polnischen Regierung hierher einzuladen. Aber da Sie die Meinung der polnischen Regierung nicht teilen und Abänderungen wünschen, wäre es gut, wenn wir die Polen hierher einladen und ihre Meinung anhören. Das ist die prinzipielle Frage.”19)
Churchill kam nicht umhin, seine „im Namen der britischen Regierung” erhobenen Einwände gegen die Einladung der Polen nach Potsdam zurückzunehmen.
Die polnische Delegation unter Leitung von Präsident Boleslaw Bierut reiste an. Sie legte ihren Standpunkt auf der Sitzung der Außenminister am 22. Juli dar: „Die polnische Delegation ist der Meinung, daß die Westgrenze Polens von der Ostsee über Swinemünde verlaufen soll, wobei Stettin in den Bestand Polens eingeht, weiter entlang der Oder bis zur Westlichen Neiße und entlang der Westlichen Neiße bis zur Grenze der Tschechoslowakei.
Bei der neuen territorialen Gestaltung Polens brauchen polnische Bevölkerungsteile nicht mehr in andere Länder auszuwandern, und die Arbeit jener Polen, die früher gezwungen waren, in andere Länder auszuwandern, kann voll genutzt werden.
Vom Standpunkt der Sicherheit ist von großer Bedeutung, daß die von der polnischen Delegation vorgeschlagene Grenze die kürzest mögliche Grenze zwischen Polen und Deutschland ist und leichter verteidigt werden kann.
Die Deutschen haben versucht, die polnische Bevölkerung zu vernichten und die polnische Kultur zu zerstören Vom historischen Standpunkt aus wäre es gerecht, einen starken polnischen Staat zu schaffen, der in der Lage wäre, sich gegen jede deutsche Aggression zu verteidigen.
Diese Gebiete gehörten zu den stärksten Basen der deutschen Rüstungsindustrie und waren eine Basis des deutschen Imperialismus. Bei Akzeptierung der vorgeschlagenen Lösung würde Deutschland das Aufmarschgebiet im Osten und die Basis der Rüstungsproduktion entzogen. Polen würde ein Staat ohne nationale Minderheiten werden.
Vor dem Krieg hatte Polen einen Überschuß an ländlicher Bevölkerung, die in der Industrie keine Arbeit finden konnte, da die Industrie nicht hinreichend entwickelt war. Der Erwerb dieser Gebiete wird es Polen gestatten, die Dorfbevölkerung zur Arbeit in den Städten heranzuziehen, und jene, die aus Polen ausgewandert sind, werden in die Heimat zurückkehren und dort Arbeit bekommen können.
Die polnischen Vertreter wiesen ferner darauf hin, daß das Einzugsgebiet der Oder vollständig Polen übergeben werden soll, da die Oder selbst nicht genügend Wasser führt und die Quellen ihrer Zuflüsse im Gebiet der Westlichen Neiße liegen.
Die polnische Delegation erklärte abschließend, daß ihrer Ansicht nach zu dieser Frage möglichst schnell ein Beschluß gefaßt und ein Abkommen erzielt werden sollte, damit die polnische Regierung die Möglichkeit erhält, möglichst schnell die Polen aus dem Ausland zu repatriieren, damit sie am Wiederaufbau Polens teilnehmen können.”20)
Es ist hier daran zu erinnern, daß die deutschen Faschisten 6 Millionen Polen ermordet haben, 20 Prozent der polnischen Bevölkerung. Die an Polen abzutretenden Gebiete im Westen waren einmal deutsch. Daß sie abgetreten werden mussten, war ein Ergebnis der Aggression und der Verbrechen des faschistischen deutschen Imperialismus. Stalin hat die Forderungen der polnischen Regierung unterstützt. Die Sowjetunion hatte ein legitimes Sicherheitsbedürfnis und Interesse, ein starkes, demokratisches Polen an ihrer Westgrenze zu haben. Auch Stalin trat für freie demokratische Wahlen ein, an der sich alle demokratischen, nichtnazistischen Parteien beteiligen konnten.21)
Das Demokratieverständnis Stalins unterschied sich von bürgerlich-parlamentarischen Demokratieauffassungen. Die bürgerlich-parlamentarische Demokratie ist die bestmögliche Regierungsform für die Klassendiktatur des Kapitals. Sie sichert diese Klassenherrschaft und ermöglicht den Bourgeois zugleich, die Konkurrenz untereinander politisch auszutragen, wobei jede Bourgeoisfraktion ihr Fraktionsinteresse stets nur in Übereinstimmung mit den Klasseninteressen der gesamten Kapitalistenklasse durchsetzen kann. Der Trick besteht darin, von der bürgerlichen Demokratie das Adjektiv „bürgerlich”, das den Klasseninhalt dieser Demokratie ausdrückt, wegzulassen, damit eine abstrakte Demokratie, die reine Demokratie behauptet, die es bisher, seit der Zeit der antiken Demokratien in Griechenland und Rom noch nirgendwo gegeben hat und auch nicht geben wird. Hat man diese Trennung vollbracht, dann kann man die Demokratie, die „reine” Demokratie der Diktatur, die gleichfalls ihrer klassenmäßigen Bestimmung beraubt ist, der „reinen” Diktatur gegenüberstellen und hat die „Totalitarismus-Theorie”, als deren Erfinder Kautsky zu nennen ist, nachdem er Renegat geworden war. Nach dieser famosen Theorie lassen sich dann die Staaten, Regierungen einteilen in „Demokratien”, die „Guten” und die „Diktaturen”, die „Bösen”, „Schurkenstaaten”, die man bombardieren muß.
Was an den Forderungen Trumans und Churchills neu war, ist die Ausnutzung des abstrakten Demokratiebegriffs für ihre Intervention, für die Destabilisierung der inneren Ordnung anderer Staaten, nicht nur gegenüber Polen, sondern auch Rumäniens, Bulgariens, Ungarns und sogar Finnlands. (Es gab im 19. Jahrhundert eine solche Destabilisierung Mexikos durch die Regierung Großbritanniens, als „Vorläufer” einer Methode, die seit Mitte des 20. Jahrhunderts zu einem Grundbestandteil imperialistischer Außenpolitik geworden ist.)
Friedrich Engels hat eine solche Entwicklung vor 120 Jahren schon vorausgesehen. In seinem Brief an August Bebel vom 11./12. Dezember 1884 schrieb er: „Im Moment der Revolution fungiert die „reine Demokratie… als äußerste bürgerliche Partei … als letzter Rettungsanker… In einem solchen Moment tritt die ganze reaktionäre Masse hinter sie und verstärkt sie: alles was reaktionär war, gebärdet sich dann demokratisch… Jedenfalls ist unser einziger Gegner am Tag der Krise und am Tag nachher – die um die reine Demokratie sich gruppierende Gesamtreaktion, und das, glaube ich, darf nicht aus den Augen verloren werden.”22)
Stalin hatte es jedenfalls nicht aus den Augen gelassen.
Genau das steckte hinter den wiederholten Forderungen Trumans und Churchills nach „freien Wahlen”, „freiem Zugang von westlichen Journalisten, Beobachtern etc”. Unter der Losung der „reinen Demokratie” hofften sie, eine ihnen genehme reaktionäre Regierung in Polen installieren zu können.
Die polnische Gesellschaft war noch immer eine tiefgespaltene Klassengesellschaft. Den progressiven volksdemokratischen Kräften unter Führung der Polnischen Arbeiterpartei (PPR) standen die antikommunistischen und antisowjetischen restaurativen Kräfte der Emigration und auch in Polen selbst gegenüber.
Beide Seiten verfügten über gut ausgerüstete, kampfererfahrene Armeen. In einigen Gebieten Polens kämpften Einheiten der polnischen Volksarmee gegen reaktionäre Banden, die mit Sabotageakten und Mord an polnischen Bürgern das Land zu destabilisieren suchten.
Truman und Churchill waren wohl davon überzeugt, wenn es ihnen gelingt, unter diesen Bedingungen „freie Wahlen” in ihrem Sinne in Polen durchzusetzen, ihrer Einmischung von Außen zur Unterstützung und Lenkung der konterrevolutionären Kräfte Tür und Tor geöffnet sein würden. Sie konnten sich dabei der Unterststützung der starken klerikalfaschistischen Kräfte in der katholischen Geistlichkeit, einschließlich des Papstes, sicher sein.
Bei einem Nachgeben ihnen gegenüber wäre der Bürgerkrieg in Polen mit unkalkulierbaren Folgen sicher gewesen. Die Forderungen Trumans und Churchills waren nichts anderes als die Fortsetzung von Plan „Rankin”23) in „freiheitlich-demokratischer” Verpackung. Ging es bei Plan „Rankin” darum, die „Russen draußen, nicht rein zu lassen”, so jetzt in umgekehrter Richtung, die „Russen wieder raus zu drängen” um die Politik des „roll back”, wie sie später von Truman genannt wurde.
Natürlich war mit Stalin eine solche „Politik” nicht zu machen. Er durchschaute dieses Spiel, das an seinem Widerstand scheiterte.
Truman und Churchill ihrerseits verhinderten die diplomatische Anerkennung der Oder/(westl.) Neiße-Grenze, die sie auf die Friedenskonferenz, also den St. Nimmerleinstag, vertagten. Mit dem diplomatischen Offenhalten der Westgrenze Polens gaben sie im Zusammenhang mit der „Idee” von „Deutschland in den Grenzen von 1937″ zugleich grünes Licht für die Revanchisten in den westlichen Besatzungszonen.
Die Bürger Polens sollten nicht über dem Geschrei der polnischen Nationalisten vergessen, daß sie ihre heute völkerrechtlich anerkannte Westgrenze dem Genossen Stalin verdanken.

Rumänien, Bulgarien, Ungarn, Finnland
Wie Truman verkündete, beabsichtigte die US-Administration Italien „Erleichterungen”, einen Kredit in Höhe von 500.000 bis 1 Milliarde $ zu gewähren.24) Auf die Frage Stalins, warum nicht auch für Rumänien, Bulgarien und Ungarn Erleichterungen bei den Friedensverhandlungen vorgesehen seien, warum keine „Gleichbehandlung” mit Italien25), lautete die Antwort, daß Italien zuerst aus der faschistischen Koalition ausgetreten sei, als erster der Satellitenstaaten Deutschland den Krieg erklärt habe und diplomatisch anerkannt sei. In Rumänien, Bulgarien und Ungarn hätten keine „freien Wahlen” stattgefunden; zu diesen Ländern gebe es keine diplomatischen Beziehungen. Churchill bediente sich der gleichen Argumentation.
Stalin wies darauf hin, daß auch die italienische Regierung unter Badoglio nicht aus „freien Wahlen” hervorgegangen sei, auch nicht die französische Regierung, dennoch unterhielten die USA und Großbritannien diplomatische Beziehungen zu diesen Regierungen.
Von Seiten Trumans und Churchills erfolgte die ganze Palette von „demokratischen” Freiheitsforderungen, die sie auch gegenüber Polen forderten. Truman wurde über die Freiheitstiraden hinaus sehr deutlich und sprach in unverhohlener Deutlichkeit aus, worum es sich handelte: 1. Wir haben nicht die Möglichkeit, durch unsere Vertreter die „erforderlichen Informationen” aus Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Finnland zu erhalten wie aus Italien. 2. Der „Charakter der gegenwärtigen Regierungen in diesen Ländern” gibt „uns nicht die Möglichkeit, unverzüglich diplomatische Beziehungen mit ihnen herzustellen.” Diese Staaten „können unsere Anerkennung erhalten, wenn ihre Regierungen unseren Forderungen entsprechen.” 3. „Wir möchten, daß diese Regierungen umgebildet werden…” 4. „…so lange keine diplomatischen Beziehungen … als sie nicht so organisiert sind, wie wir es für erforderlich halten.”26) Ein Kommentar erübrigt sich hier.
Interessant für das Demokratieverständnis von Truman und Churchill erwies sich deren Verhalten gegenüber der faschistischen Diktatur Francos in Spanien.
Stalin hatte vorgeschlagen, die diplomatischen Beziehungen, zur Franco-Regierung abzubrechen.27) Churchill hielt einen solchen Abbruch „nicht für ein geeignetes Verfahren zur Lösung dieser Frage.” Er meinte, „daß wir uns nicht in die inneren Angelegenheiten eines Staates einmischen sollen… Die in San Francisco gegründete Weltorganisation lehnt Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder ab.”28)
Stalin erinnerte daran, „daß das Franco-Regime von Hitler und Mussolini aufgezwungen wurde und deren Hinterlassenschaft darstellt. Wenn wir das Franco-Regime vernichten, so vernichten wir das Erbe Hitlers und Mussolinis. Man darf auch nicht außer acht lassen, daß die demokratische Befreiung Europas gewisse Pflichten auferlegt.” Wenn „ein Mittel wie der Abbruch der diplomatischen Beziehungen … zu drastisch” wäre, könnten wir „über andere, elastischere Mittel auf diplomatischer Ebene nachdenken…” es wäre „gefährlich, das Franco-Regime so bestehen zu lassen, wie es jetzt ist.”29)
Selbst dieser Kompromißvorschlag von Stalin ging Churchill noch zu weit, denn sie hätten „seit langem Handelsbeziehungen mit Spanien. Sie liefern uns Apfelsinen, Wein und einige andere Produkte…”30)
Churchill mochte den Import von Apfelsinen aus Spanien nicht gefährden. Es ging nun aber nicht um Apfelsinen.
Ein durch Sanktionen herbeigeführter Sturz des Franco-Regimes konnte in Spanien eine demokratische Massenbewegung auslösen, die unabsehbare Auswirkungen auf das kapitalistische System haben könnte.
Noch deutlicher konnten die Klassenpositionen nicht mehr werden:
In Rumänien, Bulgarien, Ungarn, Polen, Jugoslawien war die Forderung nach „Demokratisierung” etc. keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates, bezüglich des Franco-Regimes wäre es eine, die den Beschlüssen der Vereinten Nationen widersprach. Destabilisierung der Volksdemokratien (Finnland als bürgerlich-demokratischer Staat hier ausgenommen) zur Beseitigung der Volksmacht und Restauration kapitalistischer Macht- und Eigentumsverhältnisse war legitim, „demokratisch”, diplomatischer Druck auf die faschistische Diktatur in Spanien, die sich mit der „Blauen Division” am Krieg gegen die UdSSR beteiligt, den deutschen U-Booten Unterstützung und Zuflucht gewährt hatte, verstieß gegen das völkerrechtliche Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten, war mit den Prinzipien der „Demokratie”, des „Selbstbestimmungsrechts” der Völker nicht vereinbar.
In diesem Zusammenhang sei an die „Nichteinmischungspolitik” Großbritanniens, Frankreichs und der USA gegenüber Spanien von 1936 erinnert, die die Waffenzufuhr für die ungerüstete legitime Spanische Republik blockierte, damit die Franco-Putschisten und die militärische Intervention der deutschen und italienischen Faschisten im Krieg gegen die Republik unterstützten. Großbritannien und Frankreich erkannten das Franco-Regime am 27. Februar und die USA am 1. April 1939 diplomatisch an. Das Franco-Regime trat am 27. März 1939 dem Antikominternpakt bei und hat wohl damit seine „demokratische” Legitimation unter Beweis gestellt. Über Spanien gab es keine Einigung auf der Konferenz. Die faschistische Franco-Diktatur konnte sich weiterhin der wohlwollenden Unterstützung der „demokratischen” Westmächte erfreuen, dem Export von Apfelsinen nach Großbritannien stand nichts im Wege.

Reparationen
Am 24. Juli fand in der Potsdamer Residenz Stalins eine Besprechung über die Reparationsfrage statt. Nach einer kurzen Zusammenfassung der Diskussion auf der Krimkonferenz charakterisierte Molotow die Stellung Churchills zur Reparationsfrage: „Churchill ist offenkundig entschlossen, in dieser Frage keine Einigung zuzulassen…” Wir müssen „die Frage in Potsdam wieder auf den Tisch bringen und kategorisch auf einer realistischen Entschädigung für die Verheerungen unserer Wirtschaft bestehen…”31)
Stalin stimmte dem zu: „Die Haltung Englands und Amerikas in dieser Frage ist ungerecht… Die UdSSR wird betrogen – betrogen, denn die Amerikaner haben aus den technischen Labors in den britisch und amerikanisch besetzten Gebieten bereits die beste Ausrüstung einschließlich der gesamten Dokumentation abtransportiert… Die Reparationsfrage hat fundamentale Bedeutung.”32)
Diesen Sachverhalt brachte Stalin auf der 11. Sitzung der Konferenz am 27. Juli zur Sprache: „Ich weiche etwas vom Hauptthema ab und möchte über die Entnahmen sprechen, die die Engländer in der russischen Besatzungszone vor ihrer Einnahme durch die sowjetischen Truppen durchgeführt haben. Es handelt sich um den Abtransport von Waren und Ausrüstungen. Außerdem gibt es einen Bericht des sowjetischen Militärkommandos, in dem festgestellt wird, daß die amerikanischen Behörden aus dem gleichen Gebiet 11.000 Waggons fortgeschafft haben. Was mit diesem Vermögen geschehen soll, weiß ich nicht. Wird es den Russen zurückgegeben oder in irgendeiner anderen Weise vergütet werden? Jedenfalls transportieren die Amerikaner und Engländer nicht nur aus ihren Zonen Ausrüstungen ab, sondern haben solche auch aus der russischen Zone abtransportiert, während wir aus ihren Zonen keinen einzigen Waggon weggeschafft und keine Ausrüstungen aus den Betrieben genommen haben. Die Amerikaner haben versprochen, nichts wegzuschaffen, haben aber weggeschafft.”33)
Truman erklärte dazu: „…Wir haben davon vor drei Tagen erfahren, als uns die Liste dieser Ausrüstungen übergeben wurde. Ich habe General Eisenhower geschrieben, er soll der Sache nachgehen und uns Bericht erstatten. Hat eine solche Entnahme stattgefunden, so versichere ich Ihnen, daß es nicht auf Weisung der USA-Regierung geschah. Ich kann Ihnen versichern, daß wir eine Möglichkeit der Entschädigung finden werden.”34)
Solche windigen Geschichten wie die gezielte Suche und Entnahme von Patenten und Ausrüstungen geschehen auf folgende Weise: Die Regierung sagt: Macht! Aber wir wissen von nichts. Geht die Sache gut, um so besser; wenn nicht, wir haben keine Weisung gegeben. Schlimmstenfalls lösen wir einen untergeordneten Kommandeur ab, versetzen Ihn – nach Beförderung – auf einen anderen Posten und bieten eine Entschädigung an, deren Wert natürlich nicht dem Wert der geklauten Dokumente entspricht. Wer will das nachprüfen?
Noch vor der Konferenz, Anfang Juni, regelte Marschall Shukow als Vertreter der Sowjetunion im Kontrollrat diese Frage sehr energisch auf seine Weise, von der Stalin ja auch nicht unbedingt etwas wissen mußte.
Montgomery hatte Shukow erklärt, daß sie „beschlossen” hätten, in den nächsten Tagen ihren „Sektor” in Berlin zu beziehen und wollte mit ihm „die Verbindungswege” nach Berlin vereinbaren. Shukow antwortete: „Bevor wir die Frage der Verbindungswege, über die britische und amerikanische Truppen nach Berlin kommen sollen, entscheiden, müssen alle Truppen der Alliierten in den Räumen in Deutschland stationiert werden, die durch die Beschlüsse der Krimkonferenz vereinbart worden sind… Erst dann werden wir die mit dem Durchgang alliierter Truppen nach Berlin und der Unterbringung von alliiertem Personal in Berlin selbst zusammenhängenden praktischen Fragen prüfen. Solange die amerikanischen Truppen Thüringen sowie die britischen Truppen den Raum Wittenberg nicht verlassen, kann ich nicht meine Zustimmung zum Einrücken der Alliierten nach Berlin geben.”35) Später wurde von bürgerlichen Publizisten behauptet, daß die Westsektoren von Berlin gegen Gebiete in Thüringen und an der Elbe „getauscht” worden seien, womit die Verletzung der Festlegungen der Krimkonferenz kaschiert wurden.
Es ging der amerikanischen und britischen Delegation in Potsdam darum, die Sowjetunion um ihre Ansprüche auf Reparationen, die im Verhältnis zu den Zerstörungen ihres Landes von der karelischen Landenge bis an den Kaukasus sehr bescheiden waren, zu prellen. Churchill setzte sogar noch eins drauf. In der Diskussion auf der Konferenz sei „nichts gesagt über die Übertragung von Verpflichtungen gegenüber Großbritannien auf die Provisorische Polnische Regierung, und zwar die 120 Millionen Pfund Sterling, die wir der ehemaligen polnischen Regierung in London vorgeschossen haben.”36)
Das war schon eine gezielte Provokation. Die Polnische Regierung sollte auch noch bezahlen, was die britische Regierung für die antisowjetische und gegen die nationalen Interessen des polnischen Volkes gerichtete Destabilisierungspolitik im von den deutschen Faschisten besetzten Polen an die reaktionäre polnische Emigrantenregierung in London ausgegeben hatte. Natürlich ging in diese Ausgaben auch der Unterhalt der polnischen Truppen (Anders-Armee) mit ein, die an der Seite der Westmächte am Krieg gegen die deutschen Truppen teilgenommen hatten, wobei der russenfeindliche Charakter General Anders nicht übersehen werden konnte. Mit diesem unverschämten Ansinnen kam Churchill nicht durch. Stalin fragte: „Gedenkt die britische Regierung die Vorschüsse, die sie für den Unterhalt der polnischen Truppen gewährt hat, von Polen in vollem Umfang zurückzufordern?”
Churchill mußte diese direkte Frage verneinen, schränkte aber sofort wieder ein: „Das werden wir mit den Polen erörtern”.
Stalin: „Wir haben bestimmte Mittel für die Regierung Sikorski und auch für den Aufbau der Armee der Provisorischen Nationalen Regierung gegeben. Wir sind aber der Ansicht, daß das polnische Volk diese Schulden mit seinem Blute getilgt hat.”37)
Selbst Truman ging ein solches Ansinnen von Churchill zu weit.
In der Reparationsfrage konnte die sowjetische Delegation ihre Forderungen nicht durchsetzen. Die Debatte endete mit dem „Kompromiß”, daß die UdSSR ihre Reparationsforderungen durch Demontagen von Industrieausrüstungen und Entnahmen aus der laufenden Produktion im Werte von 10 Milliarden $ aus ihrer Besatzungszone und den entsprechenden Auslandsguthaben befriedigen könne. Die Reparationsansprüche Polens werden aus dem sowjetischen Anteil beglichen.38)
So kam es, daß die SBZ/DDR die Reparationen an die UdSSR, d.h. die Rechnung des deutschen Imperialismus allein bezahlen durfte. Die DDR hatte bis Ende 1953 Reparationen an die UdSSR in Höhe von 4,3 Milliarden $ geleistet. Auf Beschluß der Sowjetregierung vom August 1953 wurden der DDR die noch ausstehenden Reparationsleistungen in Höhe von 2,537 Milliarden $ erlassen. Mit Wirkung vom 1. Januar 1954 übergab die Sowjetregierung die restlichen 33 SAG-Betriebe unentgeltlich an die DDR.39)
Für die SBZ/DDR waren die geleisteten Reparationen fühlbar, gemessen an den Zerstörungen, die die deutschen Faschisten in der UdSSR angerichtet hatten, waren sie ein Tropfen auf einen heißen Stein. Ohne die Leistungen der SBZ/DDR gering zu achten, faktisch erhielt die Sowjetunion nichts für die großen Opfer, die sie an Menschenleben, materiellen und kulturellen Gütern für die Befreiung Europas vom Faschismus erbracht hatte.
Nach neueren Angaben hat der antifaschistische Befreiungskrieg die Völker der Sowjetunion 25 bis 30 Millionen Menschenleben gekostet.

Antisowjetische Aktionen
Zum Abschluß der 6. Sitzung der Konferenz am 22. Juli informierte die sowjetische Delegation „über ein Lager sowjetischer Kriegsgefangener in Italien”. Sie teilt mit, daß es sich um das Lager Nr. 5 handelt, das im Gebiet der Stadt Celsenatico unter Kontrolle der britischen Behörden steht und in dem sich hauptsächlich Ukrainer befinden. Die sowjetische Delegation teilt mit, daß die britischen Behörden ursprünglich erklärt hätten, im Lager befänden sich 150 Mann, als jedoch der sowjetische Vertreter das Lager besichtigte, fand er 10.000 Ukrainer vor, aus denen das englische Kommando eine ganze Division gebildet hatte. Es waren zwölf Regimenter aufgestellt, darunter ein Nachrichtenregiment und ein Pionierbataillon. Zu Offizieren hatte man vorwiegend ehemalige Petljura-Leute ernannt, die früher in der Hitlerwehrmacht Kommandoposten bekleideten. Die sowjetische Delegation weist abschließend darauf hin, daß beim Besuch des sowjetischen Offiziers im Lager 625 Mann den Wunsch geäußert hatten, unverzüglich in die Sowjetunion zurückzukehren.40)
Wie nicht anders zu erwarten, Churchill wußte natürlich nichts darüber und „begrüßte … jede Beobachtung” von sowjetischer Seite. Er meinte: „Möglicherweise gab es dort viele Polen.”
Stalin verneinte, „…es waren dort nur Ukrainer, sowjetische Staatsangehörige.”
Truman schloß die Sitzung!41)
Auf der 8. Sitzung der Konferenz am 24. Juli mußte Churchill den Bericht der sowjetischen Delegation bestätigen und erklärte dazu: „Mit diesen 10.000 Mann beschäftigt sich jetzt die sowjetische Mission in Rom, und diese Mission hat freien Zutritt zum Lager. Es wurde mitgeteilt, daß die im Lager befindlichen Personen überwiegend Ukrainer, aber nicht Sowjetbürger sind. In diesem Lager gibt es auch eine gewisse Zahl von Polen, die, soweit wir feststellen konnten, in den Grenzen Polens von 1939 gelebt haben. 665 Mann wünschen unverzüglich in die Sowjetunion zurückzukehren, und es werden Maßnahmen zu ihrem Abtransport getroffen. Wir sind auch bereit, alle übrigen, die zurückzukehren wünschen, zu übergeben. Diese 10.000 Mann haben sich uns fast als geschlossene Einheit ergeben, und wir haben sie als solche erhalten, unter Führung ihrer eigenen Kommandeure, ausschließlich aus administrativen Erwägungen.”42)
Aus dem Kontext der Mitteilung der sowjetischen Delegation und dem Bericht Churchills ist ersichtlich, daß es sich in der Mehrheit um ukrainische Nationalisten und Konterrevolutionäre handelte, die an der Seite der deutschen Faschisten in Italien gegen die angloamerikanischen Truppen eingesetzt waren und die das britische Oberkommando als antisowjetische Einheit erhalten wollte, analog zu Bestrebungen Montgomerys mit deutschen Einheiten in Schleswig-Holstein. Was aus diesen Ukrainern geworden ist, konnte ich nicht ermitteln. Diejenigen, die in die Sowjetunion zurückkehren wollten, sollten übergeben werden, „die zurückzukehren wünschen”! diejenigen, die das „nicht wünschten!” wurden offenbar nicht an die Sowjetunion ausgeliefert.
Churchill versicherte, daß es ihre Absicht sei, „diese Truppen zu entwaffnen”, woran Stalin auch nicht zweifelte. Churchill fügte noch hinzu: „Wir halten sie nicht in Reserve, um sie plötzlich aus dem Ärmel zu schütteln. Ich werde sofort einen Bericht darüber anfordern.”43) Offenbar hatte Churchill seinen Befehl an Montgomery vergessen, die Waffen der deutschen Truppen einzusammeln und bereit zu halten, was Montgomery auch mit Eifer betrieb.
In Norwegen befanden sich zu dieser Zeit noch 400.000 deutsche Soldaten, die nicht entwaffnet waren. Vermutlich auch aus „administrativen Erwägungen.”43a)
Bezüglich antisowjetischer Tätigkeit russischer Weißgardisten und anderer der UdSSR feindlich gesinnter Personen und Organisationen in der amerikanischen und britischen Besatzungszone in Deutschland und Österreich erklärte US-Außenminister Byrnes auf der 12. Sitzung der Konferenz am 31. Juli, daß die angloamerikanischen Vertreter die von der sowjetischen Delegation genannten Fakten „untersuchen” – „Maßnahmen zur Unterbindung dieser Tätigkeit erörtern” – sich in London „unverzüglich mit dieser Frage befassen” – ihr „sobald wie möglich nachgehen” werden.44)
Inzwischen konnten diese „Organisationen” ihre antisowjetische Tätigkeit ungestört fortsetzen, wobei es nicht nur bei wohlwollender Duldung der amerikanischen Besatzungsmacht blieb.
Shukow erinnert sich, daß nach einer Sitzung Truman Stalin mitteilte, daß die USA eine Bombe von ungewöhnlicher Sprengkraft besäßen, ohne sie als Atombombe zu bezeichnen. Stalin zuckte mit keiner Muskel. Churchill und andere britische und amerikanische Autoren meinten später, „Stalin habe die Bedeutung der Mitteilung wahrscheinlich wirklich nicht erkannt.” Nach der Rückkehr von dieser Sitzung habe Stalin Molotow von dem Gespräch mit Truman berichtet. Molotow meinte: „Sie wollen im Kurs steigen.” Stalin lachte: „Sollen sie nur. Man muß mit Kurtschatow sprechen, daß er die Arbeiten beschleunigt.”45)
Gromyko nahm an der anschließenden Besprechung in Stalins Residenz in Potsdam teil und schrieb in seinen Erinnerungen: Stalin kam auf das zu sprechen, was sich als Hauptpunkt der Beratung erweisen sollte: „Unsere Alliierten haben uns gesagt, die USA hätten eine neue Waffe, die Atombombe. Gleich nachdem mir Truman sagte, sie hätten sie erfolgreich erprobt, habe ich mit unserem Physiker Kurtschatow gesprochen. Wir werden mit Sicherheit binnen kurzem unsere eigene Bombe haben. Aber ihr Besitz erlegt jedem Staat eine riesige Verantwortung auf. Die eigentliche Frage lautet, ob die Länder, die die Bombe haben, einfach miteinander in ihrer Herstellung konkurrieren oder wie auch andere Länder, die sie später erwerben, eine Lösung suchen sollen, die ihre Herstellung und Verwendung verbietet? Im Augenblick ist kaum zu sehen, wie eine solche Einigung aussehen könnte, aber eines ist klar: Die Kernenergie darf nur friedlichen Zwecken dienen.”
Molotow wies darauf hin, daß die Amerikaner die ganze Zeit an der Atombombe gearbeitet aber ihnen kein Wort darüber gesagt haben.
Stalin fuhr fort: „Zweifellos hoffen Washington und London, daß wir noch einige Zeit brauchen, bis wir die Atombombe entwickelt haben. Inzwischen wollen sie das amerikanische – genauer: das amerikanisch-britische – Monopol dazu benutzen, uns zur Hinnahme ihrer Pläne für Europa und die Welt zu zwingen. Das wird aber nicht gelingen!”46)
Nach den scharfen Kontroversen auf der Konferenz gab es auch heitere und für manchen Teilnehmer auch erfreuliche Augenblicke und Ansichten.
Gromyko erinnerte sich an die hübschen sowjetischen Verkehrspolizistinnen, die offenbar die Aufmerksamkeit der Delegierten erregten: „An jeder Kreuzung und auf jedem Platz standen sowjetische Verkehrspolizistinnen mit Flaggen in der Hand. Sie alle hatten sehr schön geschnittene, nagelneue Armee-Uniformen an, und ihre Bewegungen waren so graziös, daß man sie fast für Ballerinen hätte halten können. Wir ließen uns sagen, die amerikanischen und britischen Delegierten hätten ihren Anblick nicht weniger genossen als wir… Churchill war so von unseren Verkehrspolizistinnen in ihren herrlichen Uniformen angetan, daß er seine Zigarrenasche über den ganzen Anzug verstreute, im übrigen jedoch unverletzt blieb. Stalin lächelte, vielleicht zum ersten Mal während der ganzen Besprechung.”47)

Fernost
Während die Armeen der 1. und 2. Belorussischen sowie der 1. Ukrainischen Front die letzten Vorbereitungen für die Berliner Operation und damit zur Beendigung des Krieges gegen das faschistische Deutschland trafen, bestiegen Marschall Merezkow und die Generale seines Stabes der einstigen Karelischen Front am 31. März 1945 in Jaroslawl einen in Moskau für sie bereitgestellten Sonderzug in Richtung Fernost.
Aus dem Oberkommando der ehemaligen Karelischen Front war das Oberkommando der Küstengruppe geworden (wenig später in 1. Fernostfront umbenannt), mit Merezkow als FOB. Die Küstengruppe war Stalin unmittelbar unterstellt.48)
Warum fiel die Wahl Stalins auf Merezkow als FOB der Küstengruppe? „Er ist pfiffig genug und wird schon ausknobeln, wie die Japaner zu schlagen sind”, meinte er. „Es ist nicht das erste Mal, daß er im Walde Krieg führen und befestigte Räume durchbrechen muß.”48a)
Gemäß der Verpflichtung, die Stalin auf den Konferenzen in Teheran (28. November bis 1. Dezember 1943) und Jalta (4. bis 11. Februar 1945) eingegangen war, zwei bis drei Monate nach Beendigung des Krieges in Europa an der Seite der westlichen Alliierten in den Krieg gegen Japan einzutreten, liefen nunmehr die Vorbereitungen zur Erfüllung dieser Verpflichtung.
Die Regierungen der USA und Großbritanniens hatten die UdSSR bereits 1943 nach der Kursker Schlacht zur „Eile” gedrängt, in den Krieg gegen Japan einzutreten. Sie waren bestrebt, „uns so schnell wie möglich in den Krieg im Fernen Osten einzuschalten”, schrieb Schtemenko. Ende Juni 1944, nach Eröffnung der zweiten Front in Frankreich, wandte sich der Chef der US-Militärmission in Moskau, Generalmajor Deane, an den Chef des sowjetischen Generalstabs mit der „dringenden Bitte … den Eintritt der UdSSR in den Krieg im Fernen Osten mit allen Mitteln zu beschleunigen.”
Die Sowjetregierung war nicht bereit, vor der endgültigen Beendigung des Krieges in Europa in den Krieg gegen Japan einzugreifen. Die Sowjetunion hätte ihre militärischen Kräfte verzettelt, damit den Sieg über das faschistische Deutschland verzögert.48b)
Die Sowjetunion/Rußland war/ist nicht nur ein europäischer, sondern zugleich auch ein asiatischer Staat. Von Japan gingen seit 1904 ernsthafte Bedrohungen der Fernostgebiete Rußlands, ab 1917 Sowjetrußlands, aus. Bis 1922 hatten japanische Truppen als Teil der imperialistischen Interventionsarmeen gegen Sowjetrußland Teile der Fernöstlichen Republik mit Wladiwostok besetzt, bis sie von Truppen Sowjetrußlands und der Fernöstlichen Republik vertrieben werden konnten. Am 25. Oktober 1922 befreiten Truppen der Roten Armee Wladiwostok. Auf Beschluß der Volksversammlung trat die Fernöstliche Republik am 15. November 1922 der RSFSR bei. Am 29. Juli 1938 überfielen japanische Truppen Sowjetgebiete am Chassan-See, am 11. Mai 1939 fielen sie in die Mongolische Volksrepublik ein. Zwischen der UdSSR und der MVR bestand ein Beistandspakt, der die UdSSR verpflichtete der MVR zu Hilfe zu kommen. Der Überfall der Japaner auf die MVR war keine einfache „Grenzverletzung”, sondern ein regelrechter Krieg, in dem die Japaner von dem damals noch wenig bekannten General Shukow vernichtend geschlagen wurden. Der Krieg endete erst am 31. August 1939, unmittelbar vor dem Überfall Hitler-Deutschlands auf Polen.
Nach dem Einfall der faschistischen deutschen Wehrmacht in die Sowjetunion standen die japanischen Truppen in der Mandschurei, die sogenannte Kwantungarmee49), auf dem Sprung, nach Sibirien vorzudringen, um bei der „Aufteilung” der Sowjetunion rechtzeitig dabei zu sein.
Regierung und Militärs Japans faßten nach einer Beratung unter Vorsitz Kaiser Hirohitos am 2. Juli 1947 folgenden Beschluß: „Obgleich unser Verhältnis zum Deutsch-Sowjetischen Krieg durch den Geist der Achse Rom-Berlin-Tokio bestimmt wird, werden wir uns zunächst nicht in ihn einmischen; wir werden aber aus eigener Initiative Maßnahmen treffen und im geheimen zum Krieg gegen die Sowjetunion rüsten… Falls sich der Deutsch-Sowjetische Krieg zugunsten Japans entwickelt, werden wir unter Anwendung von Waffengewalt das nördliche Problem lösen und die Stabilität in den nördlichen Gebieten sichern.”49a)
Nach Stalingrad kühlten diesbezügliche Ambitionen der japanischen Militaristen allmählich ab, nach Kursk sahen sie sich zur Aufgabe ihrer Annexionsgelüste gezwungen. Aber auch der Krieg im Pazifik gegen die USA und Großbritannien verlief nach Anfangserfolgen auch nicht nach ihren überspannten Erwartungen. Wie die deutschen, hatten auch die japanischen Militärs sich in den bestehenden Kräfteverhältnissen gründlich geirrt.
Am 4. Juni 1942 hatte ein starkes japanisches Geschwader, bestehend aus 50 Transportern und 30 Kriegsschiffen, darunter vier Flugzeugträger, Kurs auf den US-Flotten- und Luftwaffenstützpunkt auf dem Midway-Atoll genommen. US-Trägerflugzeuge griffen die Japaner erfolgreich an. Sie versenkten alle vier Flugzeugträger, zwei schwere Kreuzer, drei Zerstörer und beschädigten drei Schlachtschiffe. Die Japaner drehten ab, verfolgt von US-Flugzeugen, die ihnen noch weitere Verluste zufügten.49ax)
Der sowjetische Militärhistoriker G.K. Plotnikow schrieb: „Trotz einer Reihe Siege über die Streitkräfte Japans im Raum des Stillen Ozeans und in Südostasien gelang es den alliierten Truppen nicht, den japanischen Okkupanten eine entscheidende Niederlage beizubringen. Obwohl die alliierten Truppen an den nahen Zugängen zum Mutterland standen, besaßen die japanischen Imperialisten noch beträchtliche Möglichkeiten, den Krieg fortzusetzen. Nicht ohne Grund hofften sie, auf den Inseln des Mutterlands und später auf dem Festland eine dauerhafte und stabile Verteidigung gegen die Streitkräfte der USA und Großbritanniens aufbauen zu können. Unter diesen Umständen war es von entscheidender Bedeutung, daß die Sowjetunion gegen die japanischen Aggressoren auf den Plan trat”.49b)
In den Stäben der USA und Großbritanniens rechnete man damit, daß der Krieg gegen Japan nach dem Sieg in Europa noch ein bis zwei Jahre dauern würde. Insofern war ein Eingreifen sowjetischer Truppen auf dem asiatischen Festland, in Nordchina, von entscheidender strategischer Bedeutung. Andererseits traten auch hier klassenmäßige Interessen der beiden angelsächsischen Mächte in Erscheinung: Ein Sieg der sowjetischen Armeen in China und Korea über die Japaner würde unübersehbare Auswirkungen auf die Völker Asiens haben, die Autorität der Sowjetunion in Asien erhöhen. Dadurch würden die chinesische Volksbefreiungsarmee und die Partisanenbewegung in Korea politisch und militärisch gestärkt werden. Der Einfluß der KP Chinas und der antiimperialistisch-demokratischen Bewegung in Korea49bx) würde wachsen.
So waren die US- und die britische Regierung einerseits an einem Eingreifen der Sowjetunion in den Krieg gegen Japan aus strategischen Erwägungen interessiert, andererseits war ein Sieg der sowjetischen Truppen in China und Korea aus klassenmäßigen Überlegungen nicht gerade wünschenswert.
Natürlich haben Stalin und die sowjetischen Generale auch die politischen Auswirkungen eines Sieges für die Entwicklung Chinas und Koreas erkannt und die demokratischen Kräfte – nicht nur die Kommunisten – in diesen Ländern gegen die Machenschaften der inneren und äußeren Konterrevolution unterstützt.
Ende August bestanden zwischen der Sowjetregierung und der Nationalregierung der Chinesischen Republik normale diplomatische Beziehungen, auch wenn der Sowjetregierung die antikommunistischen Machenschaften Tschiang Kai-Scheks nicht verborgen blieben. Am 14. August schlossen die Regierungen der UdSSR und der Chinesischen Republik einen Freundschafts- und Bündnisvertrag ab. In seiner Botschaft an den Präsidenten der Nationalregierung der Chinesischen Republik, Generalissimus Tschiang Kai-Schek schrieb Stalin: „Ich bin sicher, daß dieser Vertrag und die Abkommen als solide Basis für eine weitere Entwicklung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen der UdSSR und China zum Wohl und Wohlergehen unserer Völker und zur Festigung des Friedens und der Sicherheit im Fernen Osten und in der ganzen Welt dienen werden.”49c)
In der Vorbereitung auf die bevorstehenden Kampfhandlungen hatte die sowjetische Führung große Schwierigkeiten zu überwinden. Einige hunderttausend Mann mit der gesamten Ausrüstung, Waffen, Munition, Verpflegung, etc. mußten über eine Strecke von 9.000 bis 11.000 Kilometer unter strengster Geheimhaltung in den Fernen Osten befördert werden. Von Mai bis Juli trafen 136.000 Waggons mit Truppen aus dem Westen in Fernost und in Transbaikalien ein. Hinzu kam die weite Ausdehnung des Territoriums. Die sowjetischen Armeen mußten an einer 5.000 Kilometer langen Front in den Konzentrierungsräumen stationiert werden. Das vorgesehene Operationsgebiet umfaßte ein Territorium von etwa 1,5 Millionen Quadratkilometern.
Mit den bereits in Fernost vorhandenen Truppen bildete das HQ eine starke Gruppierung mit anderthalb Millionen Soldaten und Offizieren, 26.000 Geschützen und Granatwerfern, 5.500 Panzern und über 3.800 Kampfflugzeugen.50) Die Japaner hatten die Grenzen der Mandschurei stark befestigt. Ursprünglich waren die Befestigungen als Ausgangsbasis für den Überfall auf die UdSSR gedacht, nach Stalingrad wurden sie für den Verteidigungsfall umgebaut. Die Kwantungarmee zählte etwa eine Million Elite-Soldaten. Sie konnte jederzeit aus strategischen Reserven auf über anderthalb Millionen Mann verstärkt werden.51) Sie gliederte sich in 42 Infanterie- und 7 Kavalleriedivisionen sowie 23 Infanterie- und 2 Kavalleriebrigaben. Sie verfügte über 5.300 Geschütze, 1.000 Panzer und 1.800 Flugzeuge. Die Technik der Kwantungarmee war dem Gelände entsprechend angepaßt. Sie verfügte über große Vorräte an Munition und Verpflegung. Selbst bei Störungen des Nachschubs über den Seeweg konnte sie längere Zeit ohne Nachschub aus Japan auskommen.52)
Das Kräfteverhältnis war bezüglich des Personalbestandes annähernd ausgeglichen, bei Artillerie, Panzern und Flugzeugen war die sowjetische Fernostarmee den Japanern um ein mehrfaches überlegen.
Auf Grund der großen Entfernung der sowjetischen Truppen von den politischen und ökonomischen Zentren der UdSSR schuf das HQ ein besonderes Oberkommando als eine Art „Vermittlungsstelle” zwischen den Fernost-Fronten und Moskau, das „Oberkommando der sowjetischen Truppen im Ferner Osten.” Oberbefehlshaber wurde Marschall A.M. Wassilewski.
Der Plan des Oberkommandos sah vor, den Gegner in der Mandschurei von drei Seiten anzugreifen und zu zerschlagen. Die sowjetischen Truppen formierten drei Fronten: Die Transbaikalfront, FOB Marschall R.J. Malinowski, die 2. Fernostarmee, FOB Armeegeneral Purkajew, die 1. Fernostarmee (ursprünglich Küstengruppe, die ehemalige Karelische Front), FOB Marschall Merezkow.
Flottenadmiral N.G. Kusnezow hatte die Handlungen der Seestreikräfte (Pazifikflotte, Nordpazifikflotte, Amurflotille) zu koordinieren und das Zusammenwirken mit den Landstreitkräften zu organisieren.
Die Transbaikalfront hatte die Kwantungarmee von Westen, die 2. Fernostarmee von Norden, die 1. Fernostarmee von Osten anzugreifen. Die 2. Fernostarmee hatte gleichzeitig Südsachalin und die Kurilen zu befreien. Dort befanden sich 5 japanische Divisionen, die für Operationen gegen Sachalin und Kamtschatka vorgesehen waren.52a)
Die Pazifikflotte hatte in den ersten Kriegstagen Truppen in Korea anzulanden. Sie hatte die gesamte Küste zu verteidigen und die gegnerischen Verbindungen zu stören. „Die nächstgelegenen Häfen für den Nachschub der Kwantungarmee waren Yuki, Rashin (Nadzin) und Seishin (Chongdzin). Die Flotte war auf Anlandungen in diesen Häfen vorbereitet.”52b)
Auch in Fernost gab es politische Gründe, die Kwantungarmee in kürzester Zeit zu zerschlagen. Rückblickend schrieb Merezkow: „Wenn unsere Truppen hier, wie Tokio vermutete, begonnen hätten, die Kwantungarmee von mehreren Seiten zusammenzupressen, wäre diese schrittweise in Richtung Korea oder China zurückgegangen und hätte so die Verteidigung in die Länge gezogen. Unsere westlichen Alliierten aber hätten gern gesehen, daß die anglo-amerikanischen Truppen als alleinige Befreier der von den japanischen Truppen besetzten asiatischen Gebiete aufgetreten wären. Eine zügige Zerschlagung der Kwantungarmee durchkreuzte beide Pläne. Hinzu kam, daß ein schneller Sieg über die Kwantungarmee das Leben Hunderttausender schonte, indem er die Dauer des Krieges verkürzte. Eine ‘Verdrängungsstrategie’ nutzte uns also nichts.”53)
Die japanische Regierung hatte sich im Juli 1945 an die sowjetische Regierung mit der Bitte gewandt, in Verhandlungen mit den westlichen Alliierten die Rolle eines Vermittlers zu übernehmen.
Am 8. August übergab Molotow dem japanischen Botschafter Sato im Namen der Sowjetregierung eine Erklärung zur Weiterleitung an die japanische Regierung, in der es hieß: „Nach der Zerschlagung Hitlerdeutschlands bleibt Japan die einzige Großmacht, die noch für die Fortsetzung des Krieges eintritt.
Die Forderung der drei Mächte, der Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritanniens und Chinas vom 26. Juli d.J. auf bedingungslose Kapitulation der Streitkräfte Japans wurde von Japan abgelehnt. Damit entbehrt der Vorschlag der japanischen Regierung an die Regierung der Sowjetunion, im Krieg im Fernen Osten die Mittlerrolle zu übernehmen, jeder Grundlage.” Die Sowjetregierung hatte sich dieser Deklaration vom 26. Juli angeschlossen. „Die Sowjetregierung ist der Meinung … daß diese ihre Politik das einzige Mittel ist, die Herbeiführung des Friedens zu beschleunigen, die Völker von weiteren Opfern und Leiden zu befreien und dem japanischen Volk die Möglichkeit zu geben, sich die Gefahren und Zerstörungen zu ersparen, die Deutschland erlitt, nachdem es eine bedingungslose Kapitulation ablehnte.” In der Erklärung hieß es dann weiter, daß sich die Sowjetunion „vom 9. August an als im Kriegszustand mit Japan befindlich betrachtet.”54)
Nach japanischen Autoren der „Geschichte des Krieges im Stillen Ozean” stellte die Nachricht von der Kriegserklärung der UdSSR einen „betäubenden Schlag für die Führer der japanischen Regierung dar… Nicht einmal der Einsatz der Atombombe führte zu Veränderungen in der Staatspolitik, die der Höchste Rat für die Kriegführung festlegte… Der Eintritt der Sowjetunion in den Krieg aber zerstörte alle Hoffnungen, ihn fortsetzen zu können. Erst jetzt kamen der Kaiser, Geheimsiegelbewahrer Kido, Ministerpräsident Suzuki, Außenminister Togo, Marineminister Yonai und andere führende Mitglieder der Regierung zu dem festen Entschluß, den Krieg zu beenden.”
Dennoch erteilte der Kaiser dem Oberbefehlshaber der Kwantung-Armee, General Yamada, den Befehl, die von den japanischen Truppen besetzten Gebiete zu verteidigen und militärische Operationen im „großen Maßstab” vorzubereiten.54a)
Am 10. August erklärte die Mongolische Volksrepublik Japan den Krieg. Unter dem Oberkommando von Marschall Tschoibolsan und Generalleutnant Zedenbal nahm die Mongolische Revolutionäre Volksarmee mit 80.000 Mann an der Seite der Roten Armee an den Kampfhandlungen teil.
Am 9. August begann die sowjetische Offensive, am 14. August erfolgte die bedingungslose Kapitulation der Kwantungarmee. Die Kapitulationsurkunde wurde am 2. September unterzeichnet.
Im Verlauf dieses Krieges hatten die sowjetischen Truppen Nordostchina und Korea, letzteres bis zum 38. Breitengrad von den Japanern befreit. Der zeitlich sehr kurze Verlauf des Krieges bedeutet nicht, daß die Japaner keinen oder nur geringen Widerstand geleistet haben. Im Gegenteil, die Japaner kämpften hartnäckig um jeden befestigten Punkt ihres Verteidigungssystems und um jede Höhe. Dabei kam es zu unerwarteten Vorkommnissen. Merezkow schrieb: „Im befestigten Raum Dongning befahlen die japanischen Offiziere ihren Soldaten, angesichts der Aussichtslosigkeit weiteren Widerstands gegen unsere 25. Armee, die Waffen zu strecken. Doch diese verweigerten den Gehorsam und erschossen ihre Offiziere. In einigen Garnisonen wurden Priester und Lehrer der örtlichen Schulen eingesetzt, um den Soldaten die Sinnlosigkeit weiteren Widerstands klarzumachen. Aber die jahrelang im Samuraigeist erzogenen Soldaten hörten nicht auf sie und kämpften weiter.”55)
Die Japaner setzten auch Todesfreiwilligenkommandos ein. Sie schlichen sich mit umgehängten Taschen voller Sprengstoff und mit Handgranaten durch die Hirsefelder und warfen sich vor die sowjetischen Panzer. Diese „lebenden Minen” erwiesen sich teilweise als gefährlich, bis die sowjetischen Soldaten ihre Taktik darauf einstellten und sie entsprechend zu bekämpfen verstanden.56)
Die Kapitulation vom 14. August bedeutete noch nicht das Ende der Kämpfe. Der japanische Kaiser hatte zwar befohlen, die Kampfhandlungen einzustellen, doch weder die Kwantungarmee noch andere Streitkräfte erhielten die entsprechenden Befehle. Im Befehl des Kaisers war mit keinem Wort erwähnt, daß sich die Truppen gefangen geben sollten. Nach der Samurai-Tradition war es verboten, sich in Gefangenschaft zu begeben.
Also setzten einige japanische Einheiten den Widerstand fort. An einigen Frontabschnitten unternahmen sie sogar Gegenstöße. Auf Sachalin wurde noch bis zum 26. August, auf den Kurilen bis zum 31. August gekämpft.56a)
Der Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August hatten auf die sowjetischen Soldaten nach Merezkow so gut wie keine Auswirkungen auf deren Denken und Verhaltensweisen. „Erstens bestand zwischen unseren Plänen zur Zerschlagung der Kwantungarmee und dem tragischen Geschehen in Hiroshima und Nagasaki kein Zusammenhang. Zweitens war über die tatsächlichen Auswirkungen der Detonationen selbst auf amerikanischer Seite nichts Genaues bekannt; die Japaner aber hüteten sich, uns darüber zu informieren.”57)
Es gab für die USA keinen militär-strategischen Grund, Kernwaffen einzusetzen, noch dazu gegen die Zivilbevölkerung. Von den Wissenschaftlern, die die Bombe konstruiert und gebaut hatten, hatten sich sieben gegen den Einsatz dieser Bombe ausgesprochen. Präsident Truman sei jedoch dem Ratschlag von Verteidigungsminister Stimson und seinen militärischen Ratgebern gefolgt, wonach der Einsatz der Bombe das Kriegsende beschleunigen und Verluste der US-Streitkräfte ersparen würde.57a)
Diese Rechtfertigungsversion wird bis heute in US-Publikationen vertreten. Angesichts des den US-Stäben und dem Präsidenten bekannten unmittelbaren Eingreifens der Sowjetunion in den Krieg gegen Japan gibt es keine Rechtfertigung für dieses Verbrechen.
Es war Stalin, den Mitgliedern des Politbüros und dem sowjetischen Generalstab wie auch anderen demokratischen Kräften in der ganzen Welt klar, an welche Adresse die durch nichts gerechtfertigte verbrecherische Anwendung der A-Bombe gerichtet war. Entsprechend waren auch die öffentlichen Reaktionen. Es war der Anspruch des US-amerikanischen Finanzkapitals auf die ungeteilte Weltherrschaft. Churchill hat dies in seiner berüchtigten Fulton-Rede (6. März 1946) in klarer, unmißverständlicher Weise zum Ausdruck gebracht: „Es wäre verbrecherischer Wahnsinn, wenn man dieses geheime Wissen (über die Produktion von A-Bomben, UH) in dieser noch aufgewühlten, noch nicht geeinigten Welt preisgeben würde. Kein einziger Mensch in irgend einem Lande hat schlechter geschlafen, weil das Geheimnis der Atombombe in der Hauptsache in den Händen der Amerikaner geblieben ist. Ich glaube nicht, daß wir alle so gut geschlafen hätten, wenn es umgekehrt gewesen wäre und irgendein kommunistischer oder neofaschistischer Staat dieses gefährliche Geheimnis monopolisiert hätte.”58)
Es war dies auch zugleich eine politisch naive Auffassung, die Churchill in seinem blindwütigen Antikommunismus öffentlich verkündete. Glaubte er wirklich, daß das „Geheimnis” der A-Bombe allein bei den USA verbleiben würde? Unter westlichen Politikern und Militärs war die Auffassung verbreitet, daß die Sowjetunion Jahrzehnte benötigen würde, um sich von den furchtbaren Kriegsverlusten zu erholen. Montgomery schätzte, daß die UdSSR 15 bis 20 Jahre dafür benötigen würde.58a) In den sowjetischen Forschungseinrichtungen waren Wissenschaftler bereits dabei, das Monopol der USA an der A-Bombe zu brechen. Allerdings ging diese der UdSSR aufgezwungene atomare Rüstung auf Kosten der Produktion von dringend benötigten Waren des täglichen Bedarfs. Der Sowjetunion wurde von den US-amerikanischen und britischen Imperialisten nach dem zweiten Weltkrieg keine Atempause gegönnt.
Auf die Frage des Moskauer Korrespondenten der „Sunday Times”, Alexander Werth, vom 17. September 1946, ob die Atombombe eine der hauptsächlichen Bedrohungen des Friedens darstelle, antwortete Stalin: „Ich glaube nicht, daß die Atombombe eine so schwerwiegende Macht ist, wie gewisse Politiker sie hinzustellen geneigt sind. Die Atombomben sind zur Einschüchterung von Leuten mit schwachen Nerven bestimmt, sie können aber nicht über die Geschicke eines Krieges entscheiden, da sie für diesen Zweck keineswegs genügen. Gewiß schafft ein monopolistischer Besitz des Geheimnisses der Atombombe eine Bedrohung, aber dagegen gibt es zumindest zwei Mittel: a) der monopolistische Besitz der Atombombe kann nicht lange dauern; b) die Anwendung der Atombombe wird verboten werden.”59)
Die Kurzsichtigkeit der US- und britischen Strategen bezüglich der A-Bombe offenbarte sich sehr schnell. Am 25. September 1949 meldete die sowjetische TASS-Agentur erfolgreiche Atombombenversuche der UdSSR. Damit war das US-amerikanische A-Bomben-Monopol durchbrochen. Neben Großbritannien und Frankreich, die zu Atom-Mächten wurden, trat nun auch die VR China nach der Zündung ihrer ersten A-Bombe am 16. Oktober 1964 dem Klub der Atom-Mächte bei.
Trotz aller „Nichtweitergabeverträge” konnte nicht verhindert werden, daß weitere Staaten sich in den Besitz von Kernwaffen brachten, ein Prozeß, der auch in der Zukunft weitergehen wird, wobei technische Verbesserungen bezüglich ihrer Wirkungsweise, mit dem Ziel möglichst viele Menschen auf einmal umzubringen, ständig vorgenommen werden. Allerdings wird das von Stalin angenommene Verbot der Anwendung der A-Bombe ihren erneuten Einsatz nicht ausschließen. Die bisher von den US-Militaristen eingesetzten völkerrechtlich verbotenen Waffen sollten vor Illusionen über die Anwendung von Massenvernichtungswaffen in den zukünftigen Kriegen warnen.
In seiner Ansprache an das Volk vom 2. September 1945 würdigte Stalin den Sieg der Fernostarmeen über die japanischen Aggressoren. Stalin sprach von einer „Weltaggression”, im Westen von Deutschland, im Osten von Japan. Vier Monate nach der Kapitulation des faschistischen Deutschlands, war nunmehr Japan, „der Hauptverbündete Deutschlands”, gleichfalls zur Kapitulation gezwungen. „Das bedeutet, daß das Ende des zweiten Weltkrieges gekommen ist.” Für den „Frieden in der ganzen Welt” seien die „notwendigen Voraussetzungen bereits errungen” worden.
Stalin zog eine kurze Bilanz der japanischen Aggressionen von 1904, noch gegen das zaristische Russland, 1938 am Chassansee und 1939 gegen die Mongolische Volksrepublik.
„Doch hatte die Niederlage der russischen Truppen im Jahre 1904, im Russisch-Japanischen Krieg; im Bewußtsein des Volkes schwere Erinnerungen zurückgelassen. Diese Niederlage legte sich auf unser Land wie ein schwarzer Fleck. Unser Volk glaubte daran und wartete darauf, daß der Tag kommt, da Japan geschlagen und der Fleck getilgt wird. Vierzig Jahre haben wir, Menschen der alten Generation, auf diesen Tag gewartet. Und nun ist dieser Tag gekommen. Heute hat sich Japan als besiegt bekannt und die bedingungslose Kapitulation unterzeichnet.
Das bedeutet, daß Süd-Sachalin und die Kurilen an die Sowjetunion fallen und von nun an nicht als Mittel zur Trennung der Sowjetunion vom Ozean und als Stützpunkt eines japanischen Überfalls auf unseren Fernen Osten dienen werden, sondern als Mittel der direkten Verbindung der Sowjetunion mit dem Ozean und als Stützpunkt der Verteidigung unseres Landes gegen die japanische Aggression.
Unser Sowjetvolk hat für den Krieg weder Kräfte noch Mühe gescheut. Wir haben schwere Jahre durchgemacht. Jetzt aber kann jeder von uns sagen: Wir haben gesiegt. Von nun an können wir unser Vaterland von der Bedrohung durch eine deutsche Invasion im Westen und eine japanische Invasion im Osten als befreit ansehen. Der lang erwartete Friede für die Völker der ganzen Welt ist eingetreten.”60)
Der „lang erwartete Friede” war Wunsch und Ziel der Politik Stalins. Nur sechs Monate nach der Kapitulation Japans folgte in der Fulton-Rede Churchills die offene Kampfansage an die Sowjetunion, die Erhebung des Anspruchs auf die Weltherrschaft der „englischsprechenden” Völker. Der offiziellen Eröffnung des „Kalten Krieges” folgte schon vier Jahre später der Heiße Krieg der US-Imperialisten gegen die Koreanische Demokratische Volksrepublik, der drei Jahre dauerte. Den Abschluß des Koreakrieges mit dem Waffenstillstandsabkommen von Pammundsom hat Stalin nicht mehr erlebt. Er starb am 5. März 1953.
Der „lang erwartete Friede” blieb – und bleibt – ein Traum, solange ein imperialistisches System existiert. Doch hiermit beginnt ein neues Kapitel der Weltgeschichte, das nicht mehr Gegenstand vorliegender Arbeit ist. Die militärtheoretischen und -politischen Beiträge Stalins dürften für die Ausarbeitung von revolutionären Friedensstrategien in unserer Zeit hilfreich sein: „Frieden zu gebieten” … wo die herrschenden Klassen „Krieg schreien”.61)

Anmerkungen zu Teil 3
1) Als Tagungsort der Konferenz der „Großen Drei” war Berlin vorgesehen. Da sich aber in der zertrümmerten Stadt weder ein geeigneter Tagungsraum noch Quartiere für die Delegationen finden ließen, wurde auf Vorschlag der sowjetischen Regierung Potsdam als Tagungsort gewählt. Die Tagungen fanden im Schloß Cecilienhof statt, Quartiere konnten in den Villen des fast unzerstörten Vorort Babelsberg eingerichtet werden. In der Literatur findet sich neben der Bezeichnung „Potsdamer”- daher auch die Bezeichnung „Berliner” Konferenz. Im Folgenden verwende ich die Bezeichnung „Potsdamer Konferenz”.
2) Shukow, a.a.O. S. 367f.
3) Gromyko, a.a.O. S. 156.
4) Vollständiger Text siehe Anhang.
5) Konferenzen, a.a.O. S. 411.
6) Ebd. S. 233 f.
7) Ebd. S.229 f.
8) Ebd. S. 243.
9) Ebd. S. 244.
10) Ebd. S. 245.
11) Siehe hierzu Teil Fernost.
12) Konferenzen, a.a.O. S. 247 f.
12a) Ebd. S. 424.
13) Ebd. S. 343.
14) Ebd.
14a) Ebd. S. 290.
14b) Siehe Stalins Beiträge zur marxistisch-leninistischen Militärtheorie und -politik. 1918-1940. Teil l. Schriftenreihe… Heft Nr. 114/1, Juli 2003, S. 39. oder „offen-siv, gleicher Titel, Heft 12/03, S. 34.
15) Konferenzen, a.a.O. S. 291 f, 294.
16) Ebd. S.299.
17) Ebd. S. 301.
18) Ebd. S. 312.
19) Ebd. S. 304 f.
20) Ebd. S. 326 f.
21) Ebd. S. 281.
22) MEW 36/252 und 253. Hervorhebung bei Engels.
23) Siehe Stalins Beiträge… Das Jahr 1943. Teil 1.Schriftenreihe… Heft Nr. 168/1 Berlin April 2004. S. 42 ff. oder „offen-siv”, gleicher Titel, Heft 5/2004. S.34 f.
24) Konferenzen, a.a.O. S. 356.
25) Ebd. S. 328 f.
26) Ebd. S. 329 f.
27) Ebd. S. 249 f.
28) Ebd. S. 250 f.
29) Ebd. S. 251 f.
30) Ebd. S. 252.
31) Gromyko, a.a.O. S. 157.
32) Ebd. S. 157 f.
33) Konferenzen, a..a.0. S. 365.
34) Ebd. S. 369.
35) Shukow, a.a.O. S. 361.
36) Konferenzen, a.a.O. S. 279 f.
37) Ebd. S. 280. General W. Sikorski, nach September 1939 Ministerpräsident der in Angers (Frankreich) gebildeten polnischen Exilregierung, ab 1940 in London. 1943 kam er bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.
38) Ebd. S. 422.
39) Siehe Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Bd. 7. Von 1949 – 1955. Berlin 1966. S. 240 und 437 f.
40) Konferenzen, a.a.O. S. 310 f. Ataman Petljura, Anführer der bürgerlichen ukrainischen Nationalisten, der im „Vertrag” mit der reaktionären polnischen Regierung unter Pilsudski die Reste konterevolutionärer Truppen sammelte und Aufstände in der Sowjetukraine mit Unterstützung des britischen Kriegsministers Churchill durchführte. November/Dezember 1921 wurden die Petljura-Banden von der Roten Armee zerschlagen. Die von Stalin erwähnten Petljura-Offiziere dürften alte Bekannte von Churchill gewesen sein.
41) Ebd. S. 311.
42) Ebd. S. 338.
43) Ebd. S. 345 f.
43a) Ebd. S. 344.
44) Ebd. S. 395.
45) Shukow, a.a.O. S. 377.
46) Gromyko, a.a.O. S. 158 f.
47) Ebd. S. 143 und 159.
48) K.A. Merezkow: Im Dienste des Volkes. Moskau 1968/Berlin 1982. 3. Auflage, S. 354. 48a) S.M. Schtemenko: Im Generalstab. Bd. l. Moskau 1968/Berlin 1985. 6. Auflage. S. 302. 48b) Ebd. S. 299.
49) Mit „Kwantungarmee” wurden alle japanischen Truppen in der Mandschurei bezeichnet. Rußland pachtete 1898 von China die Kwantung-Halbinsel, den Ausläufer der Halbinsel Liaodong. Dort befanden sich die Städte Port Arthur (Lüshun) und Dairen (Dalian). Im Friedensvertrag von Portsmouth nach dem Russisch-Japanischen Krieg (8. Februar 1904 bis 5. September 1905) vom 5. September 1905 trat Rußland die Pachtrechte auf der Liaoding-Halbinsel Port Arthur und Dalian, den südlichen Zweig der Ostchinabahn (südlich der Bahnstation Kuangtschentsi) und die Hälfte der Insel Sachalin (südlich des 50. Breitengrades) an Japan ab. Siehe Die internationalen Beziehungen im Fernen Osten (1870 – 1945). Gesamtredaktion J.M. Shukow. Moskau 1951/Berlin 1955. S. 123.
Der Pachtvertrag war bis 1923 begrenzt. Japan gab das Kwantunggebiet jedoch nicht an China zurück und annektierte 1931 die gesamte Mandchurei. Daher die Bezeichnung „Kwantungarmee”. Siehe Merezkow, a.a.O. S. 363. Im Mai 1955 übergab die Regierung der UdSSR ihren Flottenstützpunkt Port Arthur an die VR China.
49a) Die internationalen Beziehungen…, a.a.O. S. 409.
49ax) A. Nevins/H. Steele Commager/J. Morris: A Pocket History of the United States. 9. überarbeitete Auflage, August 1992, S. 466.
49b) G.K. Plotnikow: Die Befreiung Nordostchinas und Koreas. In: Gretschko: Die Befreiungsmission…, a.a.O. S. 449.
49bx) Die KP Korea wurde am 17. April 1925 gegründet. Parteifeindliche Fraktionen kleinbürgerlicher Intellektueller, sektierische Elemente, Verrat, Terror und Repressalien durch die japanischen Besatzer zerstörten die Partei. Am 10. Oktober 1945, nach der Befreiung von den japanischen Okkupanten erfolgte ihre Neugründung. Im August 1946 vereinigte sie sich mit der Neuen Volkspartei zur „Partei der Arbeit Koreas”. Siehe Weltgeschichte, Kleine Enzyklopädie, Bd. L, Leipzig 1979. S. 619.
49c) SW 15/30. Auf die sehr komplizierten Beziehungen Stalins zur Nationalregierung Chinas und zu Mao Tse Tung kann hier nicht eingegangen werden.
50) Merezkow, a.a.O. S. 354.
51) Die internationalen Beziehungen…, a.a.O. S. 493.
52) Merezkow, a.a.O. S. 363.
52a) N.G. Kusnezow: Auf Siegeskurs. Moskau 1975/Berlin 1979. S. 220.
52b) Ebd. S. 228. Über die Ausarbeitung des Planes berichtet ausführlich Schtemenko. Bd. l. a.a.O. S. 306 – 316.
53) Merezkow, a.a.O. S. 366.
54) Die internationalen Beziehungen…, a.a.O. S. 491.
54a) Zitiert nach Plotnikow, a.a.O. S. 465.
55) Merezkow, a.a.O. S. 374.
56) Ebd. S. 375 f.
56a) Schtemenko, Bd. l, a.a.O. S. 327f und S.333.
57) Merezkow, a.a.O. S. 383.
57a) A Pocket History…, a.a.O. S. 466..
58) Handbuch der Verträge, a.a.O. S. 669f.
58a) Montgomery: Memoiren. München, o.J. S. 512.
59) SW 15/88.
60) SW 15/33f.
61) Karl Marx: Adresse an die Nationale Arbeiterunion der USA. London, 12. Mai 1869. In: MEW 16/357.

ANHANG
MITTEILUNG ÜBER DIE BERLINER .KONFERENZ DER DREI MÄCHTE
Am 17. Juli 1945 trafen sich der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Harry S. Truman, der Vorsitzende des Rates der Volkskommissare der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, Generalissimus J.W. Stalin, und der Premierminister Großbritanniens, Winston S. Churchill, sowie Herr Clement R. Attlee auf der Berliner Dreimächtekonferenz. Sie wurden begleitet von den Außenministern der drei Regierungen, W.M. Molotow, Herrn D.F. Byrnes und Herrn A. Eden, den Stabschefs und anderen Beratern.
In der Zeit vom 17. bis 25. Juli fanden neun Sitzungen statt. Darauf wurde die Konferenz für zwei Tage unterbrochen, d.h. für die Zeit, in der in England die Ergebnisse der allgemeinen Wahlen verkündet wurden.
Am 28. Juli kehrte Herr Attlee als Premierminister in Begleitung des neuen Außenministers, Herrn E. Bevins, zu der Konferenz zurück. Es fanden vier weitere Sitzungen statt. Während der Konferenz fanden regelmäßige Begegnungen der drei Regierungschefs in Begleitung der Außenminister und regelmäßige Beratungen der Außenminister statt.
Die Kommissionen, die von der Außenministerberatung für die vorherige Vorbereitung der Fragen eingesetzt worden waren, tagten ebenfalls täglich. Die Sitzungen der Konferenz fanden in Cecilienhof bei Potsdam statt.
Die Konferenz endete am 2. August 1945.
Es wurden wichtige Entscheidungen und Vereinbarungen getroffen. Es fand ein Meinungsaustausch über eine Reihe anderer Fragen statt. Die Beratung dieser Probleme wird im Rat der Außenminister fortgesetzt werden, der auf dieser Konferenz gebildet wurde.
Präsident Truman, Generalissimus Stalin und Premierminister Attlee verlassen diese Konferenz, welche die Verbindungen zwischen den drei Regierungen gefestigt und den Rahmen ihrer Zusammenarbeit und Verständigung erweitert hat, mit der neuen Überzeugung, daß ihre Regierungen und Völker, zusammen mit anderen Vereinten Nationen, die Errichtung eines gerechten und dauerhaften Friedens sichern werden.

II. DIE ERRICHTUNG EINES RATES DER AUSSENMINISTER
A. Die Konferenz erzielte eine Einigung über die Errichtung eines Rates der Außenminister, welche die fünf Hauptmächte vertreten, zur Fortsetzung der notwendigen Vorarbeit zur friedlichen Regelung und zur Beratung anderer Fragen, welche nach Übereinstimmung zwischen den am Rat teilnehmenden Regierungen von Zeit zu Zeit an den Rat überwiesen werden können.
Der Text des Abkommens über die Errichtung des Rates der Außerminister lautet:
1. Es ist ein Rat zu errichten, der sich aus den Außenministern des Vereinigten Königreichs, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, Chinas, Frankreichs und der Vereinigten Staaten von Amerika zusammensetzt.
2.a) Der Rat wird normalerweise in London tagen, wo der ständige Sitz des Vereinigten Sekretariats sein wird, das durch den Rat zu schaffen ist. Jeder Außenminister wird durch einen Stellvertreter von hohem Rang begleitet werden, welcher entsprechend bevollmächtigt ist, während der Abwesenheit seines Außenministers die Arbeit weiterzuführen, sowie durch einen kleinen Stab technischer Mitarbeiter.
b) Die erste Sitzung des Rates findet in London nicht später als am 1. September 1945 statt. Die Sitzungen können im gemeinsamen Einvernehmen nach anderen Hauptstädten einberufen werden, was von Zeit zu Zeit vereinbart werden kann.
3.a) Als eine unverzügliche und wichtige Aufgabe des Rates wird ihm aufgetragen, Friedensverträge für Italien, Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Finnland aufzusetzen, um sie den Vereinten Nationen vorzulegen, und Vorschläge zur Regelung der ungelösten territorialen Fragen auszuarbeiten, die in Verbindung mit der Beendigung des Krieges in Europa entstehen. Der Rat wird zur Vorbereitung einer friedlichen Regelung für Deutschland benutzt werden, damit das entsprechende Dokument durch eine für diesen Zweck geeignete Regierung Deutschlands angenommen werden kann, nachdem eine solche Regierung gebildet sein wird.
b) Zwecks Lösung jeder dieser Aufgaben wird der Rat aus Mitgliedern bestehen, welche die Staaten vertreten, die die Bedingungen der Kapitulation unterschrieben haben, diktiert an den Feindstaat, den die gegebene Aufgabe betrifft. Bei der Behandlung der Fragen der Friedensregelung mit Italien wird Frankreich als Unterzeichner der Kapitulationsbedingungen Italiens betrachtet werden. Andere Mitglieder werden zur Teilnahme am Rat eingeladen werden, wenn Fragen erörtert werden, die sie direkt betreffen.
c) Andere Angelegenheiten werden von Zeit zu Zeit dem Rat übertragen werden nach Übereinkunft zwischen den Regierungen, die seine Mitglieder sind.
4.a) Wenn der Rat eine Frage erörtern wird, an der unmittelbar ein Staat interessiert ist, der in ihm nicht vertreten ist, so muß dieser Staat eingeladen werden, seine Vertreter zur Teilnahme an der Beratung und Prüfung dieser Frage zu entsenden.
b) Der Rat kann sein Arbeitsverfahren dem Charakter des jeweiligen, von ihm zu prüfenden Problems anpassen. In einigen Fällen kann er die Frage zunächst in seiner Zusammensetzung vor der Teilnahme anderer interessierter Staaten vorberaten. In anderen Fällen kann der Rat eine offizielle Konferenz der Staaten einberufen, die an der Lösung irgendeines gegebenen Problems am meisten interessiert sind.
B. Der Entschließung der Konferenz entsprechend, schickte jede der drei Regierungen gleichlautende Einladungen an die Regierungen von China und Frankreich, diesen Text anzunehmen und sich ihnen bei der Errichtung des Rates anzuschließen.
C. Die Errichtung des Rates der Außenminister für besondere Ziele, die in diesem Text genannt worden sind, widerspricht nicht der auf der Krimkonferenz erzielten Übereinkunft über die Notwendigkeit periodischer Beratungen der Außenminister der Vereinigten Staaten, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und des Vereinigten Königreichs.
D. Die Konferenz erörterte auch die Lage der Europäischen Beratenden Kommission im Sinne der Übereinkunft über die Errichtung des Rates der Außenminister. Mit Genugtuung wurde festgestellt, daß die Kommission ihre Hauptaufgaben erfolgreich bewältigt hat, indem sie die Empfehlungen betreffend die bedingungslose Kapitulation Deutschlands, die Besatzungszonen Deutschlands und Österreichs und den interalliierten Kontrollmechanismus in diesen Ländern vorlegte. Es wurde festgelegt, daß die weitere, ins einzelne gehende Arbeit zur Koordinierung der Politik der Alliierten hinsichtlich der Kontrolle über Deutschland und Österreich in Zukunft der Zuständigkeit des Kontrollrats in Berlin und der Alliierten Kommission in Wien unterliegen soll. Demgemäß wird empfohlen, die Europäische Beratende Kommission aufzulösen.

III. DEUTSCHLAND
Die alliierten Armeen führen die Besetzung von ganz Deutschland durch, und das deutsche Volk fängt an, Sühne zu leisten für die furchtbaren Verbrechen, die unter der Leitung derer, welche es zur Zeit ihrer Erfolge offen gebilligt und denen es blind gehorcht hat, begangen wurden.
Auf der Konferenz wurde eine Übereinkunft erzielt über die politischen und wirtschaftlichen Grundsätze der koordinierten Politik der Alliierten gegenüber dem besiegten Deutschland in der Periode der alliierten Kontrolle.
Das Ziel dieser Übereinkunft ist die Durchführung der Krim-Deklaration über Deutschland. Der deutsche Militarismus und Nazismus werden ausgerottet, und die Alliierten werden in Übereinstimmung miteinander in der Gegenwart und in der Zukunft auch andere Maßnahmen treffen, die notwendig sind, damit Deutschland niemals mehr seine Nachbarn oder die Erhaltung des Friedens in der ganzen Welt bedrohen kann.
Es ist nicht die Absicht der Alliierten, das deutsche Volk zu vernichten oder zu versklaven. Die Alliierten wollen dem deutschen Volk die Möglichkeit geben, sich darauf vorzubereiten, sein Leben im weiteren auf einer demokratischen und friedlichen Grundlage wiederaufzubauen. Wenn die eigenen Anstrengungen des deutschen Volkes unablässig auf dieses Ziel gerichtet sein werden, wird es ihm möglich sein, mit der Zeit seinen Platz unter den freien und friedlichen Völkern der Welt einzunehmen.
Der Text dieser Übereinkunft lautet:
POLITISCHE UND WIRTSCHAFTLICHE GRUNDSÄTZE, DEREN MAN SICH BEI DER BEHANDLUNG DEUTSCHLANDS IN DER ANFANGSPERIODE DER KONTROLLE BEDIENEN MUSS
A. POLITISCHE GRUNDSÄTZE
1. Entsprechend der Übereinkunft über den Kontrollmechanismus in Deutschland wird die oberste Macht in Deutschland durch die Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs und der Französischen Republik ausgeübt, und zwar von jedem in seiner Besatzungszone nach den Weisungen ihrer entsprechenden Regierungen sowie gemeinsam in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Kontrollrates in den Deutschland als Ganzes betreffenden Fragen.
2. Soweit dies praktisch durchführbar ist, muß die Behandlung der deutschen Bevölkerung in ganz Deutschland gleich sein.
3. Die Ziele der Besetzung Deutschlands, von denen der Kontrollrat sich leiten lassen soll, sind:
I) Völlige Entwaffnung und Entmilitarisierung Deutschlands und die Beseitigung der gesamten deutschen Industrie, welche für Kriegsproduktion benutzt werden kann, oder Kontrolle über sie. Zu diesem Zweck:
a) werden alle Land-, See und Luftstreitkräfte Deutschlands, SS, SA, SD und Gestapo mit allen ihren Organisationen, Stäben und Einrichtungen, einschließlich des Generalstabes, des Offizierskorps, der Reservisten, der Militärschulen, der Kriegervereine und aller anderen militärischen und halbmilitärischen Organisationen zusammen mit ihren Klubs und Verbänden, die den Interessen der Erhaltung der militärischen Tradition in Deutschland dienen, völlig und endgültig aufgelöst, um damit für immer der Wiedergeburt oder Neugestaltung des deutschen Militarismus und Nazismus vorzubeugen;
b) müssen sich alle Waffen, Ausrüstung und Kriegsgeräte und alle Spezialmittel zu deren Herstellung in der Verfügung der Alliierten befinden oder vernichtet werden. Der Unterhaltung und Herstellung aller Flugzeuge und jeglicher Waffen, Ausrüstung und Kriegsgeräte wird vorgebeugt werden.
II) Das deutsche Volk muß überzeugt werden, daß es eine totale militärische Niederlage erlitten hat und daß es sich nicht der Verantwortung entziehen kann für das, was es selbst auf sich geladen hat dadurch, daß seine eigene mitleidlose Kriegführung und der fanatische Widerstand der Nazis die deutsche Wirtschaft zerstört und Chaos und Elend unvermeidlich gemacht haben.
III) Die Nationalsozialistische Partei, ihre Zweigeinrichtungen und die von ihr kontrollierten Organisationen sind zu vernichten; alle nazistischen Einrichtungen sind aufzulösen; es sind Sicherheiten dafür zu schaffen, daß sie in keiner Form wiedererstehen können; jeder nazistischen und militaristischen Betätigung und Propaganda ist vorzubeugen.
IV) Man muß sich vorbereiten auf die endgültige Umgestaltung des deutschen politischen Lebens auf demokratischer Grundlage und eine eventuelle friedliche Mitarbeit Deutschlands am internationalen Leben.
4. Alle nazistischen Gesetze, welche die Grundlagen für das Hitlerregime geschaffen oder eine Diskriminierung auf Grund der Rasse, Religion oder politischer Überzeugung errichtet haben, müssen abgeschafft werden. Keine solche Diskriminierung, weder eine rechtliche noch eine administrative oder irgendeiner anderen Art, wird geduldet werden.
5. Kriegsverbrecher und alle diejenigen, die an der Planung oder Verwirklichung nazistischer Maßnahmen teilgenommen haben, die Greuel oder Kriegsverbrechen nach sich zogen oder zur Folge hatten, sind zu verhaften und vor Gericht zu stellen. Nazistische Führer, einflußreiche Nazianhänger und die Leiter der nazistischen Einrichtungen und Organisationen sowie alle anderen Personen, die für die Besetzung und ihre Ziele gefährlich sind, sind zu verhaften und zu internieren.
6. Alle Mitglieder der nazistischen Partei, welche mehr als nominell an ihrer Tätigkeit teilgenommen haben, und alle anderen Personen, die den alliierten Zielen feindlich gegenüberstehen, sind aus dem öffentlichen oder halböffentlichen Dienst und von den verantwortlichen Posten in wichtigen Privatunternehmen zu entfernen. Diese Personen müssen durch Personen ersetzt werden, welche nach ihren politischen und moralischen Eigenschaften fähig erscheinen, an der Entwicklung wahrhaft demokratischer Einrichtungen in Deutschland mitzuwirken.
7. Das Bildungswesen in Deutschland muß so überwacht werden, daß die nazistischen und militaristischen Doktrinen völlig entfernt werden und eine erfolgreiche Entwicklung der demokratischen Ideen möglich gemacht wird.
8. Das Gerichtswesen wird entsprechend den Grundsätzen der Demokratie und der Gerechtigkeit auf der Grundlage der Gesetzlichkeit und der Gleichberechtigung aller Bürger ohne Unterschied der Rasse, der Nationalität und der Religion neugestaltet werden.
9. Die Verwaltung Deutschlands muß in Richtung auf eine Dezentralisation der politischen Struktur und der Entwicklung einer örtlichen Selbstverantwortung durchgeführt werden. Zu diesem Zwecke:
I) Wird die lokale Selbstverwaltung in ganz Deutschland nach demokratischen Grundsätzen wiederhergestellt, und zwar durch gewählte Räte, so schnell wie es mit der Wahrung der militärischen Sicherheit und mit den Zielen der militärischen Besetzung vereinbar ist.
II) In ganz Deutschland sind alle demokratischen politischen Parteien zu erlauben und zu fördern mit der Einräumung des Rechtes, Versammlungen einzuberufen und öffentliche Diskussionen durchzuführen.
III) Die Grundsätze der Vertretung und der Wählbarkeit sollen in die Kreis-, Provinzial- und Landesverwaltungen, so schnell wie es durch die erfolgreiche Anwendung dieser Grundsätze in der örtlichen Selbstverwaltung gerechtfertigt werden kann, eingeführt werden.
IV) Bis auf weiteres wird keine deutsche Zentralregierung errichtet werden. Jedoch werden einige wichtige zentrale deutsche Verwaltungsabteilungen errichtet werden unter der Leitung von Staatssekretären, und zwar auf den Gebieten des Finanzwesens, des Transportwesens, des Verbindungswesens, des Außenhandels und der Industrie. Diese Abteilungen werden unter der Leitung des Kontrollrates tätig sein.
10. Unter Berücksichtigung der Notwendigkeit der Erhaltung der militärischen Sicherheit wird die Freiheit der Rede, der Presse und der Religion gewährt, die religiösen Einrichtungen werden respektiert werden. Die Gründung freier Gewerkschaften, gleichfalls unter Berücksichtigung der Notwendigkeit der Erhaltung der militärischen Sicherheit, wird gestattet werden.
B. WIRTSCHAFTLICHE GRUNDSÄTZE
11. Mit dem Ziele der Vernichtung des deutschen Kriegspotentials ist die Produktion von Waffen, Kriegsausrüstung und Kriegsmitteln, ebenso die Herstellung aller Typen von Flugzeugen und Seeschiffen zu verbieten und unmöglich zu machen. Die Produktion von Metallen und Chemikalien, der Maschinenbau und die Herstellung anderer Gegenstände, die unmittelbar für die Kriegswirtschaft notwendig sind, ist streng zu überwachen und zu beschränken entsprechend dem genehmigten Stand der friedlichen Nachkriegsbedürfnisse Deutschlands, der den in Punkt 15 angeführten Zielen genügt. Die Produktionskapazitäten, entbehrlich für die Industrie, welche erlaubt sein wird, sind entsprechend dem durch die Interalliierte Reparationskommission empfohlenen und durch die interessierten Regierungen bestätigten Reparationsplan entweder zu entnehmen oder, falls sie nicht entnommen werden, zu vernichten.
12. In praktisch kürzester Frist ist die deutsche Wirtschaft zu dezentralisieren mit dem Ziel der Vernichtung der bestehenden übermäßigen Konzentration der Wirtschaftskraft, die sich besonders in Kartellen, Syndikaten, Trusts und anderen Monopolvereinigungen verkörpert.
13. Bei der Organisation der deutschen Wirtschaft ist das Hauptgewicht auf die Entwicklung der Landwirtschaft und der Friedensindustrie für den inneren Bedarf zu legen.
14. Während der Besatzungszeit ist Deutschland als eine wirtschaftliche Einheit zu betrachten. Mit diesem Ziel ist eine gemeinsame Politik festzulegen hinsichtlich:
a) der Erzeugung und der Verteilung der Produkte der Bergbau- und der verarbeitenden Industrie;
b) der Landwirtschaft, Forstwirtschaft und der Fischerei;
c) der Löhne, der Preise und der Rationierung;
d) des Import- und Exportprogramms für Deutschland als Ganzes;
e) der Währung und des Bankwesens, der zentralen Besteuerung und der Zölle;
f) der Reparationen und der Beseitigung des militärischen Industriepotentials;
g) des Transport- und Verbindungswesens. Bei der Durchführung dieser Politik sind gegebenenfalls die verschiedenen örtlichen Bedingungen zu berücksichtigen.
15. Es ist eine alliierte Kontrolle über die deutsche Wirtschaft zu errichten, jedoch nur in den Grenzen, die notwendig sind:
a) zur Erfüllung des Programms der industriellen Abrüstung und Entmilitarisierung, der Reparationen und der genehmigten Aus- und Einfuhr;
b) zur Sicherung der Warenproduktion und der Dienstleistungen. die zur Befriedigung der Bedürfnisse der Besatzungstruppen und der umgesiedelten Personen in Deutschland notwendig sind und die wichtig sind für die Erhaltung eines mittleren Lebensstandards in Deutschland, der den mittleren Lebensstandard der europäischen Länder nicht übersteigt. (Europäische Länder in diesem Sinne sind alle europäischen Länder mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs und der Sowjetunion);
c) zur Sicherung – in der Reihenfolge, die der Kontrollrat festlegen wird – einer gleichmäßigen Verteilung der wesentlichsten Waren unter den verschiedenen Zonen, um eine ausgeglichene Wirtschaft in ganz Deutschland zu schaffen und die Einfuhrnotwendigkeit herabzusetzen.
d) zur Überwachung der deutschen Industrie und aller wirtschaftlichen und finanziellen internationalen Geschäfte einschließlich der Aus- und Einfuhr mit dem Ziel der Verhinderung einer Entwicklung des Kriegspotentials Deutschlands und der Verwirklichung der anderen hier genannten Aufgaben:
e) zur Überwachung aller deutschen öffentlichen oder privaten wissenschaftlichen, Forschungs- oder Versuchseinrichtungen, Laboratorien usw., die mit der Wirtschaftstätigkeit verbunden sind.
16. Zur Einführung und Aufrechterhaltung der durch den Kontrollrat errichteten wirtschaftlichen Kontrolle ist ein deutscher Verwaltungsapparat aufzubauen; den deutschen Behörden ist nahezulegen, in möglichst vollem Umfang die Verwaltung dieses Apparates zu übernehmen und das zu verkünden. So ist dem deutschen Volk einzuprägen, daß die Verantwortung für diese Verwaltung und jedes ihrer Versagen auf ihm ruhen wird. Jede deutsche Verwaltung, die dem Ziel der Besatzung widersprechen wird, wird verboten werden.
17. Es sind unverzüglich Maßnahmen zu treffen zur:
a) notwendigen Instandsetzung des Verkehrswesens;
b) Steigerung der Kohleförderung;
c) weitestmöglichen Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktion und
d) dringlichen Instandsetzung der Wohnungen und der wichtigen kommunalen Einrichtungen.
18. Der Kontrollrat hat entsprechende Schritte zur Verwirklichung der Kontrolle und der Verfügung über alle deutschen Guthaben im Ausland zu unternehmen, welche noch nicht unter die Kontrolle der Vereinten Nationen, die an dem Krieg gegen Deutschland teilgenommen haben, gelangt sind.
19. Nach Bezahlung der Reparationen sollen dem deutschen Volke genügend Mittel belassen werden, um ohne Hilfe von außen existieren zu können. Bei der Aufstellung des Wirtschaftsplanes Deutschlands sind die nötigen Mittel für die Einfuhr bereitzustellen, die durch den Kontrollrat in Deutschland genehmigt worden sind. Die Einnahmen aus der Ausfuhr der laufenden Produktion und der Warenbestände werden in erster Linie zur Bezahlung dieser Einfuhr verwendet. Die hier erwähnte Bedingung wird nicht angewandt auf Ausrüstungen und Produkte, die in den Punkten 4a und 4b der Übereinkunft über die deutschen Reparationen erwähnt sind.
IV. REPARATIONEN VON DEUTSCHLAND
In Übereinstimmung mit der Entscheidung der Krimkonferenz, wonach Deutschland gezwungen werden soll, in größtmöglichem Ausmaß für die Verluste und die Leiden, die es den Vereinten Nationen verursacht hat, und wofür das deutsche Volk der Verantwortung nicht entgehen kann, Ausgleich zu schaffen, wurde folgende Übereinkunft über Reparationen erreicht:
1. Die Reparationsansprüche der UdSSR sollen durch Entnahmen aus der von der UdSSR besetzen Zone in Deutschland und aus den entsprechenden deutschen Auslandsguthaben befriedigt werden.
2. Die UdSSR wird die Reparationsansprüche Polens aus ihrem Anteil an den Reparationen befriedigen.
3. Die Reparationsansprüche der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und der anderen zu Reparationsforderungen berechtigten Länder werden aus den westlichen Zonen und den entsprechenden deutschen Auslandsguthaben befriedigt werden.
4. In Ergänzung der Reparationen, die die UdSSR aus ihrer eigenen Besatzungszone erhält, wird die UdSSR zusätzlich aus den westlichen Zonen erhalten:
a) 15% derjenigen verwendungsfähigen und kompletten Industrieanlagen, vor allem der metallurgischen, chemischen und Maschinen erzeugenden Industrie, soweit sie für die deutsche Friedenswirtschaft unnötig und aus den westlichen Zonen Deutschlands zu entnehmen sind, im Austausch gegen einen entsprechenden Wert an Nahrungsmitteln, Kohle, Pottasche. Zink, Holz, Tonprodukten, Erdölproduktion und anderen Waren, nach Vereinbarung.
b) 10% derjenigen Industrieanlagen, die für die deutsche Friedenswirtschaft unnötig sind und aus den westlichen Zonen zu entnehmen und auf Reparationskonto an die Sowjetregierung zu übertragen sind ohne Bezahlung oder Gegenleistung irgendwelcher Art.
Die Entnahmen der Ausrüstung, wie sie oben in den Paragraphen a) und b) vorgesehen sind, sollen gleichzeitig erfolgen.
5. Der Umfang der aus den westlichen Zonen zu entnehmenden Ausrüstung, der auf Reparationskonto geht, muß spätestens innerhalb von sechs Monaten von jetzt ab bestimmt sein.
6. Die Entnahme der industriellen Ausrüstung soll so bald wie möglich beginnen und innerhalb von zwei Jahren, gerechnet vom Zeitpunkt der in Paragraph 5 spezifizierten Bestimmung, abgeschlossen sein. Die Auslieferung der in Paragraph 4a) genannten Produkte soll so schnell wie möglich beginnen, und zwar in durch Vereinbarung bedingten Teillieferungen seitens der Sowjetunion, und innerhalb von fünf Jahren von dem erwähnten Datum ab erfolgen. Die Bestimmung des Umfanges und der Art der industriellen Ausrüstung, die für die deutsche Friedenswirtschaft unnötig ist und deshalb der Reparation unterliegt, soll durch den Kontrollrat gemäß der Politik erfolgen, die von der Alliierten Kontrollkommission für Reparationen unter Beteiligung Frankreichs festgelegt ist, wobei die endgültige Entscheidung durch den Befehlshaber der Zone getroffen wird, aus der die Ausrüstung entnommen werden soll.
7. Zur Festlegung des Gesamtumfanges der der Entnahme unterliegenden Ausrüstung sollen Vorschußlieferungen solcher Ausrüstung erfolgen, die als zur Auslieferung verfügbar bestimmt werden in Übereinstimmung mit dem Verfahren, das im letzten Satz von Punkt 6 vorgesehen ist.
8. Die Sowjetregierung verzichtet auf alle Ansprüche bezüglich der Reparationen aus Aktien deutscher Unternehmen, die in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands liegen; das gleiche gilt für deutsche Auslandsguthaben in allen Ländern, mit Ausnahme der in Punkt 9 gekennzeichneten Fälle.
9. Die Regierungen der USA und des Vereinigten Königreichs verzichten auf alle Ansprüche im Hinblick auf Reparationen hinsichtlich der Aktien deutscher Unternehmen, die in der östlichen Besatzungszone Deutschlands liegen. Das gleiche gilt für deutsche Auslandsguthaben in Bulgarien, Finnland, Ungarn, Rumänien und dem östlichen Österreich.
10. Die Sowjetregierung erhebt keine Ansprüche auf das von den alliierten Truppen in Deutschland erbeutete Geld.
V. DIE DEUTSCHE KRIEGS- UND HANDELSMARINE
Die Konferenz erzielte im Prinzip eine Einigung hinsichtlich der Maßnahmen zur Ausnutzung und Verfügung über die deutschen Kriegs- und die Handelsschiffe, die sich ergeben haben. Es wurde beschlossen, daß die drei Regierungen Sachverständige bestellen, die gemeinsam detaillierte Pläne zur Verwirklichung der vereinbarten Grundsätze ausarbeiten sollen. Eine weitere gemeinsame Erklärung wird von den drei Regierungen gleichzeitig zur rechten Zeit veröffentlicht werden.
VI. STADT KÖNIGSBERG UND DAS ANLIEGENDE GEBIET
Die Konferenz prüfte einen Vorschlag der Sowjetregierung, daß bis zur endgültigen Entscheidung der territorialen Fragen bei der Friedensregelung derjenige Abschnitt der Westgrenze der UdSSR, der an die Ostsee grenzt, von einem Punkt an der östlichen Küste der Danziger Bucht in östlicher Richtung nördlich von Braunsberg-Goldap und von da zu dem Schnittpunkt der Grenzen Litauens, der Polnischen Republik und Ostpreußens verlaufen soll.
Die Konferenz hat grundsätzlich dem Vorschlag der Sowjetregierung hinsichtlich der Übergabe der Stadt Königsberg und des anliegenden Gebiets an die Sowjetunion gemäß der obigen Beschreibung zugestimmt, wobei der genaue Grenzverlauf einer Sachverständigenprüfung unterliegt. Der Präsident der USA und der Premierminister Großbritanniens haben erklärt, daß sie diesen Vorschlag der Konferenz bei der bevorstehenden Friedensregelung unterstützen werden.
VII. KRIEGSVERBRECHER
Die drei Regierungen haben von dem Meinungsaustausch Kenntnis genommen, der in den letzten Wochen in London zwischen britischen, amerikanischen, sowjetischen und französischen Vertretern mit dem Ziele stattgefunden hat, eine Vereinbarung über die Methoden des Gerichtsverfahrens gegen die Hauptkriegsverbrecher zu erzielen, deren Verbrechen nach der Moskauer Deklaration vom Oktober 1943 nicht durch einen bestimmten geographischen Ort begrenzt sind.
Die drei Regierungen bekräftigen ihre Absicht, diese Verbrecher einer schnellen und gerechten Gerichtsbarkeit zuzuführen. Sie hoffen, daß die Verhandlungen in London zu einer schnellen Vereinbarung führen, die diesem Zwecke dient, und sie betrachten es als eine Angelegenheit von größter Wichtigkeit, daß der Prozeß gegen diese Hauptverbrecher zum frühestmöglichen Zeitpunkt beginnt. Die erste Liste der Angeklagten wird bis zum 1. September dieses Jahres veröffentlicht werden.
VIII. ÖSTERREICH
Die Konferenz hat einen Vorschlag der Sowjetregierung über die Ausdehnung der Kompetenzen der österreichischen Provisorischen Regierung auf ganz Österreich geprüft.
Die drei Regierungen stimmten darin überein, daß sie bereit seien, diese Frage nach dem Einzug der britischen und amerikanischen Streitkräfte in die Stadt Wien zu prüfen.
IX. POLEN
Die Konferenz hat die Fragen erörtert, die die Polnische Provisorische Regierung der Nationalen Einheit und die Westgrenze Polens betreffen.
Hinsichtlich der Polnischen Provisorischen Regierung der Nationalen Einheit definierten sie ihre Haltung in der folgenden Erklärung:
A. Wir haben mit Genugtuung von dem Abkommen Kenntnis genommen, das die polnischen Vertreter aus Polen selbst und diejenigen aus dem Auslande erzielt haben, durch das in Übereinstimmung mit den Beschlüssen der Krimkonferenz die Bildung einer Polnischen Provisorischen Regierung der Nationalen Einheit möglich geworden ist, die die drei Mächte anerkannt haben. Die Herstellung diplomatischer Beziehungen mit der Polnischen Provisorischen Regierung durch die Britische Regierung und die Regierung der Vereinigten Staaten hatte die Zurückziehung ihrer Anerkennung der früheren Polnischen Regierung in London zur Folge, die nicht mehr besteht.
Die Regierungen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens haben Maßnahmen zum Schutze der Interessen der Polnischen Provisorischen Regierung der Nationalen Einheit als der anerkannten Regierung des Polnischen Staates hinsichtlich des Eigentums getroffen, das dem Polnischen Staate gehört, in ihren Gebieten liegt und unter ihrer Kontrolle steht, unabhängig davon, welcher Art dieses Eigentum auch sein mag.
Sie haben ferner Maßnahmen zur Verhinderung einer Übereignung dieses Eigentums an Dritte getroffen. Der Polnischen Provisorischen Regierung der nationalen Einheit werden alle Möglichkeiten zur Anwendung der üblichen juristischen Maßnahmen geboten werden zur Wiederherstellung eines beliebigen Eigentumsrechtes, des Polnischen Staates, das ihm ungesetzlich entzogen worden sein sollte.
Die drei Regierungen lassen es sich angelegen sein, der Polnischen Provisorischen Regierung der Nationalen Einheit bei der Erleichterung der möglichst baldigen Rückkehr aller im Ausland befindlichen Polen nach Polen behilflich zu sein, und zwar aller Polen im Ausland, die nach Polen zurückzukehren wünschen, einschließlich der Mitglieder der polnischen Streitkräfte und der polnischen Handelsflotte. Sie erwarten, daß den in die Heimat zurückkehrenden Polen die gleichen persönlichen und eigentumsmäßigen Rechte zugebilligt werden wie allen übrigen polnischen Bürgern.
Die drei Mächte nehmen zur Kenntnis, daß die Polnische Provisorische Regierung der Nationalen Einheit in Übereinstimmung mit den Beschlüssen der Krimkonferenz der Abhaltung freier und durch nichts gehinderter Wahlen, die so bald wie möglich auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechts und der geheimen Abstimmung durchgeführt werden sollen, zugestimmt hat, wobei alle demokratischen und antinazistischen Parteien das Recht zur Teilnahme und zur Aufstellung von Kandidaten haben und die Vertreter der alliierten Presse volle Freiheit genießen sollen, der Welt über die Entwicklung der Ereignisse in Poler vor und während der Wahlen zu berichten.
B. Bezüglich der Westgrenze Polens wurde folgendes Abkommen erzielt:
In Übereinstimmung mit dem auf der Krimkonferenz erzielten Abkommen haben die Chefs der drei Regierungen die Meinung der Polnischen Provisorischen Regierung der Nationalen Einheit hinsichtlich des Territoriums im Norden und Westen geprüft, das Polen erhalten soll. Der Vorsitzende des Landesnationalrates Polens und die Mitglieder der Polnischen Provisorischen Regierung der Nationalen Einheit sind auf der Konferenz empfangen worden und haben ihren Standpunkt in vollem Umfange dargelegt. Die Chefs der drei Regierungen bekräftigen ihre Auffassung, daß die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens bis zu der Friedenskonferenz zurückgestellt werden soll.
Die Chefs der drei Regierungen stimmen darin überein, daß bis zur endgültigen Festlegung der Westgrenze Polens die früheren deutschen Gebiete östlich der Linie, die von der Ostsee ein klein wenig westlich von Swinemünde und von dort die Oder entlang bis zur Einmündung der Westlichen Neiße und die Westliche Neiße entlang bis zur tschechoslowakischen Grenze verläuft, einschließlich des Teiles Ostpreußens, der in Übereinstimmung mit der auf der Berliner Konferenz erzielten Vereinbarung nicht unter die Verwaltung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken gestellt wird, und einschließlich des Gebietes der früheren Freien Stadt Danzig unter die Verwaltung des Polnischen Staates kommen und in dieser Hinsicht nicht als Teil der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland betrachtet werden sollen.
X. DER ABSCHLUSS DER FRIEDENSVERTRÄGE UND ZULASSUNG ZUR ORGANISATION DER VEREINTEN NATIONEN
Die Konferenz einigte sich auf die folgende Erklärung über eine gemeinsame Politik zur möglichst baldigen Schaffung der Bedingungen für einen dauerhaften Frieden nach der siegreichen Beendigung des Krieges in Europa.
Die drei Regierungen betrachten es als wünschenswert, daß die gegenwärtige anomale Stellung Italiens, Bulgariens. Finnlands, Ungarns und Rumäniens durch den Abschluß von Friedensverträgen beendigt werden soll. Sie vertrauen darauf, daß auch die anderen interessierten alliierten Regierungen diesen Standpunkt teilen.
Für ihren Teil haben die drei Regierungen die Vorbereitung eines Friedensvertrages für Italien als erste unter den vordringlichen und wichtigen Aufgaben vorgesehen, die der Rat der Außenminister erörtern soll. Italien war die erste der Achsenmächte, die mit Deutschland gebrochen hat, zu dessen Niederlage es materiell erheblich beigetragen hat, und es hat sich jetzt mit den Alliierten in ihrem Kampf gegen Japan vereinigt. Italien hat sich selbst vom faschistischen Regime befreit und gute Fortschritte auf dem Wege zur Wiederherstellung einer demokratischen Verwaltung und demokratischer Einrichtungen gemacht. Der Abschluß eines solchen Friedensvertrages mit einer anerkannten demokratischen italienischen Regierung würde es den drei Regierungen ermöglichen, ihrem Wunsche entsprechend eine Bitte Italiens um Aufnahme in die Organisation der Vereinten Nationen zu unterstützen.
Die drei Regierungen haben ferner den Rat der Außenminister mit der Aufgabe einer Vorbereitung von Friedensverträgen für Bulgarien, Finnland, Ungarn und Rumänien beauftragt. Der Abschluß von Friedensverträgen mit anerkannten demokratischen Regierungen in diesen Staaten würde ebenfalls die drei Regierungen in den Stand setzen, deren Bitte um Aufnahme in die Organisation der Vereinten Nationen zu unterstützen. Die drei Regierungen kommen überein, jede für sich in naher Zukunft im Lichte der dann vorherrschenden Bedingungen die Herstellung diplomatischer Beziehungen zu Finnland, Rumänien, Bulgarien und Ungarn zu prüfen, soweit dies vor Abschluß von Friedensverträgen mit diesen Ländern möglich ist.
Die drei Regierungen zweifeln nicht, daß im Hinblick auf die veränderten Umstände, bedingt durch das Kriegsende in Europa, die Vertreter der alliierten Presse volle Freiheit genießen werden, der Welt über die Ereignisse in Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Finnland zu berichten.
Hinsichtlich der Zulassung anderer Staaten zur Organisation der Vereinten Nationen erklärt Artikel IV der Charta der Vereinten Nationen folgendes:
„1. Die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen steht allen anderen friedliebenden Staaten offen, welche die in der vorliegenden Charta enthaltenen Verpflichtungen übernehmen und nach dem Urteil der Organisation fähig und gewillt sind, diese Verpflichtungen zu erfüllen.
2. Die Aufnahme eines solchen Staates als Mitglied der Vereinten Nationen erfolgt durch einen Beschluß der Vollversammlung auf Empfehlung des Sicherheitsrates.”
Die drei Regierungen werden ihrerseits Aufnahmeanträge von Staaten, die während des Krieges neutral geblieben sind und die oben aufgeführten Bedingungen erfüllen werden, unterstützen.
Die drei Regierungen fühlen sich jedoch verpflichtet klarzustellen, daß sie für ihren Teil einen Aufnahmeantrag der gegenwärtigen spanischen Regierung nicht unterstützen werden, die mit Hilfe der Achsenmächte gebildet wurde und wegen ihres Ursprunges, ihres Charakters, ihrer Tätigkeit und ihrer engen Verbindung mit den Aggressorstaaten nicht die notwendigen Eigenschaften zur Rechtfertigung einer derartigen Mitgliedschaft besitzt.
XI. TERRITORIALE TREUHANDSCHAFT
Die Konferenz erörterte einen Vorschlag der Sowjetregierung hinsichtlich einer Treuhandschaft über Territorien, wie sie in dem Beschluß der Krimkonferenz und in der Charta der Vereinten Nationen definiert sind.
Nach einem Meinungsaustausch wurde beschlossen, daß die Verfügung über frühere italienische Kolonialgebiete zu den Fragen gehört, die im Zusammenhang mit der Vorbereitung eines Friedensvertrages für Italien geklärt werden müssen, daß die Frage über die italienischen Kolonialgebiete im September vom Rat der Außenminister beraten werden soll.
XII. REVISION DES VERFAHRENS BEI DEN ALLIIERTEN KONTROLLKOMMISSIONEN IN RUMÄNIEN, BULGARIEN UND UNGARN
Die drei Regierungen nahmen zur Kenntnis, daß die Sowjetvertreter bei den Alliierten Kontrollkommissionen in Rumänien. Bulgarien und Ungarn ihren Kollegen vom Vereinigten Königreich und von den Vereinigten Staaten Vorschläge zur Verbesserung der Arbeit der Kontrollkommissionen jetzt übermittelt haben, nachdem die Feindseligkeiten in Europa aufgehört haben.
Die drei Regierungen kamen überein, daß die Revision des Verfahrens der Alliierten Kontrollkommissionen in diesen Ländern jetzt durchgeführt werden wird, wobei die Interessen und Verantwortlichkeiten der drei Regierungen berücksichtigt sind, die gemeinsam die Waffenstillstandsbedingungen den jeweiligen Ländern vorgelegt haben, und wobei die vereinbarten Vorschläge als Grundlage genommen werden.
XIII. GEREGELTE UMSIEDLUNG DEUTSCHER BEVÖLKERUNG
Die Konferenz erzielte folgendes Abkommen über die Aussiedlung Deutscher aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn:
Die drei Regierungen haben die Frage unter allen Gesichtspunkten beraten und erkennen an, daß die Umsiedlung deutscher Bevölkerung oder Bestandteile derselben, die in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn zurückgeblieben sind, nach Deutschland durchgeführt werden muß. Sie stimmen darin überein, daß jede derartige Umsiedlung, die stattfinden wird, in ordnungsgemäßer und humaner Weise erfolgen soll. Da der Zustrom einer großen Zahl Deutscher nach Deutschland die Lasten vergrößert, die bereits auf den Besatzungsbehörden ruhen, sind sie der Auffassung, daß der Kontrollrat in Deutschland zunächst dieses Problem unter besonderer Berücksichtigung der Frage einer gerechten Verteilung dieser Deutschen auf alle Besatzungszonen prüfen soll. Sie beauftragen demgemäß ihre jeweiligen Vertreter beim Kontrollrat, ihren Regierungen so bald wie möglich über den Umfang zu berichten, in dem derartige Personen schon aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn nach Deutschland gekommen sind, und einen Vorschlag über Zeit und Tempo zu unterbreiten, in dem unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Lage in Deutschland die weitere Umsiedlung durchgeführt werden könnte.
Die tschechoslowakische Regierung, die Polnische Provisorische Regierung und die Alliierte Kontrollkommission in Ungarn werden gleichzeitig von obigem in Kenntnis gesetzt und ersucht werden, inzwischen weitere Ausweisungen deutscher Bevölkerung einzustellen, bis die betroffenen Regierungen die Berichte ihrer Vertreter im Kontrollrat geprüft haben.
XIV. MILITÄRISCHE BESPRECHUNGEN
Während der Konferenz fanden Begegnungen zwischen den Stabschefs der drei Regierungen über militärische Themen gemeinsamen Interesses statt.
XV
(Es folgen die Listen der Konferenzdelegierten der Sowjetunion, der USA und Englands.)
Unterschriften:
J. Stalin
Harry Truman
C.R. Attlee