Mein Leben und der Sozialismus

Ingeborg Böttcher
Mein Leben und der Sozialismus

Geboren bin ich am 30. 05. 1932 in Berlin als zweites Kind einer einfachen Arbeiterin. Meine Mutter ist Jahrgang 1891, Kind einer Landarbeiterfamilie in Niederschlesien, ungelernt, als Putz- und Küchenfrau angestellt, über 40 Jahre in einem Berliner Krankenhaus tätig,

Sie war Sozialdemokratin, begeisterte Kämpferin für und mit Liebknecht und Luxemburg und begeistert für Schriften und Persönlichkeit Rosa Luxemburgs. Das hat sie sowohl meinem 17 Jahre älteren Bruder, der im II. Weltkrieg bei Charkow tragisch aber ehrenvoll im Strafbataillon fiel, wohin er nach einer Befehlsverweigerung versetzt worden war, als auch mir in die Wiege gelegt.

Ich wuchs, da unsere Mutter Alleinverdienerin war, bei verschiedenen Pflegemüttern auf, erlebte die Progrom-Nacht hautnah in Berlin Prenzlauer Berg und hatte am nächsten Tag eine Klassen-kameradin, zwei Spielgefährten und ein älteres Ehepaar, für das wir wochenlang die Einkäufe erledigt hatten, da sie sich nicht getrauten, auf die Straße und in Geschäfte zu gehen, zu beklagen.

Als die Luftangriffe auf deutsche Städte insbesondere durch die Anglo-Amerikaner zunahmen, schickte meine Mutter mich zu ihrem jüngsten Bruder nach Löwenberg in Schlesien, im Riesen-gebirge, wo ich am 09. 02. 1945 den Einmarsch der Roten Armee erlebte.

Ich war dreizehn. Mein Eindruck von dieser Armee war überwältigend. In dieser Erinnerung ist meine spätere hohe Verehrung zu Stalin begründet, die ich bis auf den heutigen Tag nicht bereit bin zu widerrufen, auch begründet durch spätere Literatur, insbesondere Seitens Ludo Martens.

Nach Hause kam ich durch die Hilfe eines von der Roten Armee in unserer Nachbarstadt Lähn als Bürgermeister eingesetzten Kommunisten, Richard Raupach, der mit Hilfe aus Oberschlesien nach Berlin fahrender voll beladener Kohlenzüge die ersten Umsiedlungen organisierte.

Bei der Ankunft am Berliner Güterbahnhof, Juli/August 1945, wurde ich von zwei Sowjet-soldaten mit einem Jeep nach Hause gebracht. (Ich habe keine Ahnung, wie die dazu kamen, nehme aber an, dass die Sorge um uns Kinder per Funk befohlen worden war.) Meine Mutter ist fast in Ohnmacht gefallen.

Ich besuchte in Berlin Prenzlauer Berg die 9. Klasse meiner früheren Volksschule bis 1947. Die Suche nach einer Lehrstelle war kompliziert, aber ich beendete im August 1949 die erste Kategorie mit Auszeichnung in der ersten Berliner Kommunalen Lehrwerkstatt im sowjetischen Sektor, die ich neben rund 32 Damenmaßschneiderinnen, 33 Buchbindern/innen und 33 Schuh-machern, der ersten Berufsgruppe zugehörig, mit Auszeichnung bestehen konnte. Die Frei-sprechung wurde am 7. Oktober 1949 datiert und wenige Tage danach im Berliner Kino Babylon, also direkt nach den Gründungsfeierlichkeiten der DDR, feierlich begangen. Die Festansprache hielt kein geringerer als Walter Ulbricht.

Sicher wäre es ein Anachronismus gewesen, wenn wir Lehrlinge der ersten Berliner Kommu-nalen Lehrwerkstatt im sowjetisch besetzten Sektor nicht zunächst dem Jugendausschuß und dann, nach Gründung, der FDJ beigetreten wären.

Meine erste berufliche Tätigkeit fand in einer Kellerwerkstatt des Damaligen Berliner Admirals-palastes als Theaterschneiderin für das Metropol-Theater statt. Der Chef war natürlich zu dieser Zeit noch nicht sozialistisch, wir machten Überstunden bei schlechtem Licht, ich wurde krank und hörte damals gerne auf meine Jugendfreunde die sagten:

Bewirb Dich bei der Arbeiter- und Bauernfakultät (ABF), die nehmen Dich bestimmt, also:

1950 bis 1952 Arbeiter- und Bauernfakultät Berlin, Abschluss Hochschulreife. 1952 bis 1955 Humboldt-Uni/Berlin, vier Semester Philosophie, 1952 geheiratet, 1955 erstes, 1956 zweites, 1957 drittes Kind, 1964 Zwillinge. Deshalb seit 1955 Abgang von der Uni in die Kon-fektionsindustrie, weil dort  (natürlich zuerst) Kinderkrippen-Plätze zu bekommen waren, 1958 bis 1963 absolvierte ich ein Fernstudium an der Fachschule für Bekleidungstechnologie Berlin, Abschluß als Ingenieur.

1967 gab es eine Umprofilierung unseres Betriebes, von der Bekleidungsindustrie zur Elektronik (VEB/Studiotechnik Berlin, Nachrichtenelektronik), dort arbeitete ich zunächst als Arbeits-ökonomin, später als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Betriebsleitungsbereich. Ich absolvierte ein Frauensonderstudium an der Hochschule für Ökonomie Berlin-Karlshorst: Sozialistische Betriebswirtschaft, Abschluß 1973 mit Diplom und Auszeichnung, danach war ich im Einsatz in Leitungsfunktionen bis 1977.

Zwischenzeitlich 1975 bis 1977: Hausbau für kinderreiche Familien in Altlandsberg (Im Mai 2007 hatte ich endlich die Hypothek getilgt, an „teure BRD“! KFW-Kredit – Dresdner Bank – Grundstück und Haus wurden plötzlich mindestens drei mal so teuer, als vorher offiziell bei Anpassung DDR bereits beglichen war.)

Seit 1977 bis 1992 war ich sowohl im Bereich Studiotechnik Materialplanung, als auch als Abgeordnete im Bereich Strausberg/kommunale Wohnungspolitik, aber auch zwischenzeitlich bei der Buchung des Vermögens des Schauspielhauses Berlin zur Übergabe an den Senat, wechselseitig, je nach Hilfeschrei, in Aushilfe. (Durch FDJ / FDGB / SED viele Jahre als BPO-Sekretär bekannt in Berlin Mitte, von wo die „Hilfeschreie“ kamen, ebenso wie im Wohnbereich, das war nichts Besonderes, aber selbstverständlich, sich einzusetzen, wo man gebraucht wurde, wenn irgendwie die Zeit ermöglicht werden konnte, immer im Einklang mit den Dienststellen, man half sich gegenseitig, bis 1985/87 ging das gut, dann bröckelte es mit der „sozialistischen Moral“ auf allen Ebenen.)

Im Juli 1992 mußte ich meinen angetrauten Mann und Vater unserer Kinder nach fast 40 ge-meinsamen Jahren begraben, seit 1993 bin ich im Ruhestand.

Im Januar 1990 verließ ich die SED/PDS, seit Januar 1991 gehöre ich der DKP an, für die ich mich jetzt leider aus dem aktiven Dienst verabschieden muß und mich nur noch auf den ideologischen Kampf um marxistisch-leninistischen Durchsatz konzentrieren kann. (Mein Kopf macht noch ganz gut mit, aber die Physis nicht.)

Mein zweiter Partner, ein zwanzig Jahre älterer Genosse, der Ernst Thälmann noch persönlich gekannt hatte, verstarb 2004 nach elf gemeinsamen Jahren.

(Leider rauben alle solche Schicksalsschläge im Verein mit dem Altern die Kraft. Ich möchte dennoch noch lange auf theoretischer Strecke aktiv sein, um recht viel von den Vorzügen einer sozialistischen Gesellschaft herüber bringen und aufklärend über Theorie und Praxis für ein anderes, besseres Leben der Zukunft mithelfen zu können.)

                                                                                                                  Ingeborg Böttcher, Altlandsberg