Über Spaltungen, Vereinigungen und Neugründungen von Kommunistischen Parteien

Ulrich Huar: Über Spaltungen, Vereinigungen und Neugründungen von Kommunistischen Parteien

In der Geschichte der kommunistischen Bewegung seit dem Bund der Kommunisten 1847 sind Spaltungen, Vereinigungen, Neugründungen von Kommunistischen Parteien keine Seltenheit. Man kann darüber streiten, ob Spaltungen/Vereinigungen allgemeine Bewegungsformen in der geschichtlichen Entwicklung Kommunistischer Parteien sind oder zu den Ausnahmen gehören.

Die Klassenspaltung der kapitalistischen Gesellschaft so wie die ständigen Veränderungen der Struktur der Arbeiterklasse werden ideologisch und organisatorisch innerhalb der Partei reflektiert. Die Geschichte der Kommunistischen Parteien ist auch eine Geschichte der Auseinandersetzungen als Form des theoretischen Klassenkampfes, die in vielen Fällen zu organisatorischen Spaltungen geführt haben – oder zu deren Zerstörung. Insofern sind organisatorische Fragen auch ideologische.

Die Arbeiterklasse ist in der kapitalistischen Gesellschaft homogen bezüglich ihrer Stellung zu den Produktionsmitteln als Nichteigentümer, als Verkäufer ihrer Arbeitskraft, als Ausgebeutete, zugleich in sich differenziert, heterogen nach Berufen, – Facharbeiter, angelernte, ungelernte Arbeiter -, demzufolge nach Einkommen, relativ sicherem Arbeitsplatz, „Stammpersonal“ oder Leiharbeiter, nach weltanschaulichen Überzeugungen, Erziehung, Schulbildung, nach Nationalitäten, nach Betrieben, ob Großbetrieb, mittelständischer Betrieb oder kleiner Handwerksbetrieb; auch das „kommerzielle Proletariat“ gehört zur Arbeiterklasse sowie die unteren Gruppen der Angestellten. Demzufolge hat die Arbeiterklasse neben ihrem gemeinsamen Klasseninteresse, ihrem politischen Interesse, in ihrer Differenziertheit auch spezifische Interessen, die von den einzelnen Gruppen als Gruppeninteressen artikuliert werden. Diese soziale Differenziertheit der Arbeiterklasse ist auch in den Kommunistischen Parteien vorhanden, die von ihren Mitgliedern verlangen, ihre spezifischen Interessen dem Klasseninteresse, dem politischen Interesse, unterzuordnen. In die Kommunistischen Parteien gelangen nicht nur Angehörige der Arbeiterklasse, sondern auch Kleinbürger, Handwerker, Bauern, einfache Warenproduzenten und, nicht zuletzt, Intellektuelle, Literaten, Künstler, Lehrer, Ärzte, etc. In der differenzierten sozialen Zusammensetzung Kommunistischer Parteien existiert ein objektiv bestimmter Boden für die Akzeptanz bürgerlicher und kleinbürgerlicher Ideologie. Die bürgerliche Ideologie in ihren vielen Erscheinungsformen ist in der kapitalistischen Gesellschaft die herrschende, und es wäre geradezu ein Wunder, wenn sie nicht auch in die Kommunistischen Parteien hineinwirken würde.

Verfolgt man die Parteibildungsprozesse seit 1848, so zeigt sich ein permanenter Prozeß von Bildung von Parteien, Auseinandersetzungen, Spaltungen, Auflösungen, Neugründungen und Vereinigungen. Dies nicht nur in West- und Mitteleuropa; ab 1898 auch in Russland, in Asien, Afrika und Lateinamerika. Die mannigfaltigen Strömungen in den Parteien lassen sich auf die beiden Grundlienien reduzieren: die proletarisch-revolutionäre und die bürgerlich-reformistische. Obwohl beide Ideologien nicht miteinander vereinbar sind, treten sie in der gesellschaftlichen Praxis selten in „reiner Form“ auf. Neben der bürgerlich-reformistischen gibt es noch Anarchismus, linksextremen Revolutionarismus, Sektierertum als kleinbürgerliche Strömung; in letzter Konsequenz erweisen sich auch diese Ideologien als aparte Bestandteile der bürgerlichen Ideologie.

Für das 19. Jahrhundert sei hier auf die Auseinandersetzung zwischen den Lassalleanern und den Eisenachern, auf den Vereinigungsparteitag in Gotha 1875, die innerparteilichen Auseinandersetzungen in der deutschen Sozialdemokratie verwiesen, desgleichen auf die ideologischen Kämpfe in der Internationalen Arbeiter Assoziation (IAA) und der II. Internationale. In diesen Kämpfen konnten sich bis zur Jahrhundertwende die proletarisch-revolutionären Kräfte gegen die bürgerlich-opportunistischen und die anarchistischen Strömungen durchsetzen, endete diese Geschichtsperiode mit dem Sieg des Marxismus in der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung.

Mit dem Übergang des Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Monopolkapitalismus und Imperialismus, Veränderungen in der Klassenstruktur der imperialistischen Gesellschaft, auch in der Arbeiterklasse, setzte mit dem Revisionismus eine neue Strömung der bürgerlich-reformistischen Linie in der Arbeiterbewegung ein, die die sozialdemokratischen Parteien zu zersetzen begann. Bekanntlich gilt Bernstein als Stammvater des Revisionismus. Das Neue im Revisionismus war, dass sich deren Verfechter auf Marx beriefen, den Marxismus „weiterentwickelten“, ihn auf die neuen Bedingungen „anwandten“. Die wirklichen Marxisten, d.h. die proletarisch-revolutionären Kräfte in den Parteien, wurden als „Dogmatiker“, als „Orthodoxe“ bezeichnet.

In seiner Broschüre „Kurze Darlegung der Meinungsverschiedenheiten in der Partei“ vom Mai 1905 setzte sich Stalin mit revisionistischen Auffassungen der Menschewiki auseinander, von denen einer behauptete, dass der „Leninismus dem Marxismus von Grund aus widerspricht“. (Stalin Werke, 1/94) Diese heutzutage geradezu „moderne“ These vom „Leninismus als Bruch mit dem Marxismus“ ist mittlerweile nun schon hundert Jahre alt.

Wie die Revisionisten um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert sich auf Marx beriefen, so Chruschtschow und Gorbatschow sowie deren Anhänger auf Lenin, die „Wiederherstellung“ der Leninschen Normen der Partei gegen deren „Verfäschung“ durch den „Stalinismus“, sekundiert von alten und neuen Trotzkisten. Die Ergebnisse dieses „neuen Denkens“ sind inzwischen hinreichend bekannt.

Die Erscheinungsweisen bürgerlicher Ideologien in der Kommunistischen Bewegung waren entsprechend den konkret-historischen Bedingungen in Raum und Zeit unterschiedlich, so auch die Art und Weise des Kampfes zwischen den Repräsentanten der proletarisch-revolutionären und der bürgerlich-reformistischen und anarchistischen Strömungen innerhalb der Parteien.

Im Deutschland des 19. Jahrhunderts fanden diese Kämpfe nach der Niederschlagung der bürgerlichen revolution 1849 zwischen verschiedenen Gruppierungen innerhalb des „Bundes der Kommunisten“, wie auch zwischen verschiedenen Gruppierungen außerhalb des Bundes statt, ab 1863 im „Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein“ (ADAV), sowie in den Arbeiterbildungsvereinen, die noch ganz unter dem Einfluß bürgerlicher Demokraten standen, von dem sich die fortgeschrittensten Arbeiter allmählich zu lösen verstanden, die unter der Führung von August Bebel und Wilhelm Liebknecht 1869 die „Sozialdemokratische Deutsche Arbeiterpartei“ (SDAP) gründeten. Zwischen den Arbeitern des ADAV und der SDAP fanden harte Auseinandersetzungen statt, die auch mal mit Knüppeln ausgetragen wurden.

1875 kam es zur Vereinigung der beiden Parteien mit dem bekannten, von Marx und Engeks ob seiner opportunistischen Phrasen scharf kritisierten „Gothaer Programm“. Der Kampf zwischen den beiden ideologischen Linien wurde nun innerhalb einer Partei weitergeführt, in dem sich bis zur Jahrhundertwende der Marxismus durchsetzen konnte. Diese ideologischen Klassenkämpfe waren ebenfalls kennzeichnend für die 1864 gegründete „Internationale Arbeiterassoziation“ (IAA) sowie für die 1889 gebildete Zweite Internationale. Dies theoretischen Klassenkämpfe wurden zwar in den nationalen Parteien geführt, trugen aber stets internationalen Charakter. So trugen die Auseinandersetzungen mit dem Opportunismus in seinen linken und rechten Erscheinungsformen im 19. Jahrhundert von Marx und Engela, im 20. Jahrhundert von Lenin und Stalin, internationalen Charakter und hatten somit neben spezifisch-nationalen Zügen auch allgemeingültige Bedeutung, lassen sich nicht auf nationale „Besonderheiten“ reduzieren.

In all diesen Auseinandersetzungen spielten die Personen, die sie führten, eine nicht zu unterschätzende Rolle. Zusammenschluß oder Spaltungen von Parteien hingen nicht zuletzt vom Charakter der jeweiligen Führungspersönlichkeiten der Parteien. Fraktionen, Gruppierungen ab.

Für die 60er und 70er Jahre des 19. Jahrhunderts sei hier auf die Auseinandersetzung zwischen Bebel und Schweitzer verwiesen, um die Rolle von Persönlichkeiten auf die Frage Spaltung oder Einheit einer Partei zu verdeutlichen. Bebel widmete in seinen Erinnerungen dem Wirken Schweitzers ein ganzes Kapitel von immerhin 137 Seiten nach dessen Tode: „Mit Schweitzer schied eine Persönlichkeit aus dem politischen Leben, die, wenn sie zu ihren sonstigen Eigenschaften auch die Eigenschaft gehabt hätte, die der Führer einer Arbeiterpartei unbedingt haben muß, Selbstlosigkeit, Ehrlichkeit und volle Hingabe an die zu vertretende Sache, unbestreitbar der erste Führer der Partei bis an sein Lebensende geblieben wäre…“ Man dürfe aber nicht die „großen Fehler seiner Persönlichkeit“ übersehen. „Unter den damaligen Verhältnissen wäre er der gegebene Mann gewesen. Viele Jahre erbitterter Kämpfe, in denen Zeit, Kraft, Gesundheit und Geld zur Freude der gemeinsamen Gegner verschwendet und verpufft wurden, was wieder ungezählte Kräfte abhielt, sich der Bewegung anzuschließen, wären unmöglich gewesen. Die Saat, die Schweitzer gesät, trug auch weiter ihre Früchte…“ Schweitzer habe aber, trotz Verdiensten, politisch „Unheil gesät, den Fanatismus großgezogen und durch den Apfel der Zwietracht eine dauernde Spaltung und damit die Schwächung der Arbeiterbewegung aufrecht zu erhalten versucht.“ (August Bebel, Aus meinem Leben. Zweiter Teil. Stuttgart 1911, S. 131.)

Trifft die Charakteristik, die Bebel über Schweitzer gab, nicht in dieser oder jener Form auch auf Parteifunktionäre des 20. Jahrhunderts, bis in die Gegenwart, zu? „Für die Rolle, die Schweitzer spielte, war aber auch unumgänglich notwendig, dass er frei und unabhängig nach eigenem Gutdünken mit dem Verein schalten und walten konnte, an dessen Spitze er stand. Dazu gehörte die Diktatur,… die ihn jeder Kontrolle entzog, die ihm erlaubte, ganz nach seinem Gutdünken zu handeln, ohne dass er nötig hatte, andere in seine Machenschaften einzuweihen oder gar ihre Zustimmung einholen zu müssen…“ (Ebd., S. 132f.)

Eine Parteigründung, -entwicklung, -spaltung oder auch Vereinigung ist ohne handelnde Subjekte, also Persönlichkeiten, ein Unding. Insofern kommt den Charaktereigenschaften von Parteifunktionären – nicht nur von Parteiführern – eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu.

Der Revisionismus hat seine sozialen Wurzeln im kapitalistischen System. Nach der Herausbildung des Monopolkapitals konnte die Bourgeoisie aus ihren Extraprofiten Teile des Kleinbürgertums und der Arbeiterklasse korrumpieren, wie die „Arbeiteraristokratie“. Die Mehrhheit der lohnabhängigen Wertätigen steht unter dem Einfluß der bürgerlichen Ideologie, wie w.o. bereits erwähnt. Hier geht es nun darum, nachzuweisen, dass der Revisionismus seit seinem Aufkommen Ende des 19. Jahrhunderts zur Spaltung von Kommunistischen Parteien bis in die Gegenwart geführt hat, und, wo er nicht bekämpft wird, auch weiterhin führen wird. Weltgeschichtlich sichtbar wurde das erstmalig in der Zersetzung der einst größten Sozialdemokratischen Partei, der deutschen, durch den Revisionismus, zunächst in der Bildung einer rechten, einer zentristischen und einer linken Gruppierung, noch innerhalb der Partei, letztendlich in ihrer Spaltung, für die, um dies unmissverständlich zu sagen, die Revisionisten die Verantwortung tragen. Mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914, dem Übergang zum Sozialchauvinismus, auf Positionen des deutschen Imperialismus, war die einst marxistische Partei zerstört. Dem Beispiel folgten bis auf die Bolschewiki in Russland auch die anderen europäischen Parteien.

Mit der Gründung der KPD begann ein neues Kapitel von Parteigründungen, Spaltungen und Vereinigungen. Die Gründung der KPD war einmal Ergebnis der Trennung des Spartakusbundes von der USPD und zum anderen der Vereinigung mit linken Gruppierungen in Bremen, Hamburg, Hannover und anderen Städten, die sich ihrerseits in der Gruppe „Internationale Kommunisten Deutschlands“ zusammengeschlossen hatten. Die „Bremer Linken“ unter Führung von Johann Knief hatten bedeutend früher als die Spartakusgruppe/-bund zur Trennung von der USPD und zur Bildung einer Kommunistischen Partei aufgerufen, wobei sie allerdings linksextreme Auffassungen vertraten, die sie mit in die KPD einbrachten: Ablehnung der Teilnahme an den Wahlen zur Nationalversammlung, „Raus aus den reformistischen Gewerkschaften“! Die Auseinandersetzungen unter den Kommunisten mussten in der gerade gegründeten Partei weitergeführt werden. Die scharfen Klassenkämpfe nach der Novemberrevolution, die Erfahrungen des gemeinsamen Kampfes der Arbeiter gegen die Kapp-Putschisten im März 1920 führten auf dem Vereinigungsparteitag im November 1920 zur Vereinigung der KPD mit der linken Mehrhheit der USPD, die von Thälmann geführt wurde, zur Gründung der „Vereinigten Kommunistischen Partei Deutschlands“ (VKPD). „Zum ersten Mal in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung hatte in einem industriell hochentwickelten Land der gemeinsame Kampf zweier Arbeiterparteien zur Vereinigung in einer Partei auf revolutionärer Grundlage geführt.“ (Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 3, Berlin 1966, S. 310) Die Durchsetzung des Leninismus in der VKPD verlief nicht konfliktlos. Es kam mehrfach zu Abspaltungen linksradikaler und rechter Gruppierungen, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann.

Aus dem gemeinsamen antifaschistischen Widerstandskampf kam es nach der Befreiung vom Faschismus durch die Sowjetarmee mit den verbündeten Truppen der Antihitlerkoalition zur Annäherung von KPD und dem linken Flügel der SPD, die im April 1946 in der Sowjetischen Besatzungszone zu ihrer Vereinigung in der SED auf marxistischer Grundlage führte. In den Westzonen wurde die Vereinigung durch die Besatzungsmächte verboten. Die Entwicklung der SED zur Partei neuen Typus, zur marxistisch-leninistischen Partei, war nicht von vornherein als eine Art Automatismus oder auf „Befehl“ der sowjetischen Besatzungsmacht gegeben. Die Entwicklung hätte auch in Richtung einer Sozialdemokratisierung gehen oder in einer erneuten Spaltung enden können.

Letzteres gelang erst, nachdem sich in den 80er Jahren die immer latent vorhandenen revisionistischen Kärfte, besonders unter Einfluß Gorbatschows – nicht nur als äußerer, sondern auch als innerer Faktor – durchsetzten, die SED zersetzten und schließlich durch Putsch zerstören konnten. Damit kam es zu einer erneuten Spaltung, in die PDS, die sich zu einer sozialdemokratischen Partei entwickelte – die in ihr verbliebenen Kommunisten einschließlich der Kommunistischen Plattform ändern daran gar nichts – und der KPD, in der die marxistisch-leninistischen Traditionen bewahrt blieben.

Auch in Russland vollzog sich der Parteibildungsprozeß seit Gründung der SDAPR 1898 unter andren Bedingungen, in ähnlicher Form. Auch hier stand ein proletarisch-revolutionärer Flügel einer bürgerlich-reformistischen Gruppierung gegenüber, die Bolschewiki den Menschewiki, wobei auf Differenzierungen hier verzichtet werden kann. Die ideologische Spaltung der Partei führte in der bürgerlich-demokratischen Revolution 1905 zu einer ausschließenden Atrategie, so in der Frage nach dem Hegemon in der Revolution, der Agrarfrage, der Stellung zur Duma und dem Verhältnis gegenüber den bürgerlichen Parteien. In der Parteitheorie ging es um die Frage der Mitgliedschaft, der „Freiheit der Kritik“, d.h. um den Charakter der Partei, ob proletarisch-revolutionär oder bürgerlich-reformistisch. Die Werke „Was tun?“, „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück“, „Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der bürgerlichen Revolution“ von Lenin sind hinreichend bekannt, die Schriften Stalins zu diesen Fragen weniger, wenn überhaupt.

Im Verlauf der Revolution, der Notwendigkeit der Schaffung einer einheitlichen Kampfpartei zur Führung des Klassenkampfes, fand im April 1906 der IV. Parteitag der SDAPR in Stockholm statt, der als „Vereinigungsparteitag“ in die Geschichte eingegangen ist. Lenin schätzte die Ergebnisse des Parteitages sehr positiv ein, wenn er schrieb: „Die Spaltung hat aufgehört.“ (Lwenin Werke, Bd.10, S. 379) Die organisatorischen Meinungsverschiedenheiten seien „fast restlos überwunden“. (Ebd.) Er meinte, „…in einer einheitlichen Partei darf dieser ideologische Kampf die Organisation nicht spalten, darf er die Aktionseinheit des Proletariats nicht stören. Das ist ein in der Praxis unserer Partei noch neues Prinzip, und man wird viel Arbeit aufwenden müssen, um es richtig in die Tat umzusetzen.“ (Lenin Werke, Bd. 10, S. 384) Glaubte Lenin 1906 noch, dass die zwei entgegengesetzten ideologischen Strömungen in einer Partei möglich sind? Lenin verzichtete keineswegs auf den ideologischen Kampf innerhalb der Partei, wobei er wahrscheinlich überzeugt war, dass er durch den Kampf die proletarisch-revolutionäre Richtung durchsetzen konnte.

Ach Stalin meinte: „…der Parteitag hat friedlich geendet, die Partei hat die Spaltung vermieden, die Verschmelzung der Fraktionen ist formal besiegelt und damit ist das Fundament gelegt worden, auf dem die Partei zu einer politischen Macht werden kann.“ (Stalin Werke, Bd. 1, S. 219) Stalin arbeitete jedoch die unterschiedlichen Positionen der beiden Fraktionen stärker heraus als Lenin.

Wichtig in unserem Kontext ist, dass die Frage, ob eine proletarisch-revolutionäre und eine bürgerlich-reformistische, ob marxistische und revisionistische Theorie und Ideologie in einer Partei organisatorisch vereinigt sein können, praktisch in Russland gestellt war.

Der V. Parteitag der SDAPR, Mai 1907 in London, schien diese Möglichkeit zu bestätigen, wobei die Bolschewiki die Mehrheit bildeten und ihre Auffassungen stärker durchsetzen konnten. Aber diese Einheit sollte nicht lange aufrecht erhalten bleiben. Auf der gesamtrussischen Konferenz im Dezember 1908 gab es den „Versuch eines gewissen Teils der Parteiintellektuellen, die bestehende Organisation der SDAPR zu liquidieren…“, wie Lenin schrieb. (Lenin Werke, Bd. 17, S. 472) Die ideologischen Gegensätze brachen auf und führten auf der bekannten VI. Parteikonferenz in Prag im Januar 1912 zur Spaltung. Die Bolschewiki und die Menschewiki konstituierten sich als selbständige Parteien.

„Es ist verständlich“, schrieb Stalin später, „dass nach so ernsten Meinungsverschiedenheiten die SDAPR sich in der Tat als in zwei Parteien gespalten erwies, in die Partei der Bolschewiki und die Partei der Menschewiki. Der IV. Parteitag änderte nichts an der tatsächlichen Lage der Dinge innerhalb der Partei…“ (Stalin, Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki), Kurzer Lehrgang, Berlin 1946, S. 114).

Die Prager Parteikonferenz beantwortete praktisch die Frage: proletarisch-revolutionäre und bürgerlich-reformistische Linien sind in einer Partei organisatorisch dauerhaft nicht zu vereinen. Unter besonderen Bedingungen können sie zeitweilig möglich sein.

Die Trennung der Bolschewiki von den Menschewiki war die entscheidende politische und theoretische Voraussetzung für den Sieg der Bolschewiki in der Oktoberrevolution, die verspätete Trennung des Spartakusbundes von der USPD von entscheidender Bedeutung für die Niederlage der revolutionären Arbeiter in der Novemberrevolution in Deutschland.

Analoge Entwicklungen im Parteibildungsprozeß lassen sich auf allen fünf Kontinenten in Geschichte und Gegenwart nachweisen. Spaltungen/Vereinigungen sind besonders nach Niederlagen der Fall.

In denjenigen kommunistischen Parteien, in denen sich die marxistisch-leninistischen Kräfte in den vielschichtigen Kämpfen gegen Revisionisten und linke Opportunisten durchsetzen konnten, am Marxismus-Leninismus als theoretischer Grundlage festhielten, ihn auf ihre konkreten nationalen Bedingungen anwandten und ihren Beitrag zur Weiterentwicklung dieser Theorie leisteten, wie in der VR China, Kuba, Vietnam und der VDRK, konnten sie trotz gewaltiger Schwierigkeiten und komplizierter Probleme, die zum großen Teil Hinterlessenschaften der halbkolonialen Vergangenheit sind, unter den Bedingungen imperialistischer Aggressionen politische Stabilität und Fortschritte auf den ersten Schritten in Richtung einer sozialistischen Gesellschaft bewahren.

In Deutschland haben wir 11 Jahre nach der Annexion der DDR zur Zeit zwei Kommunistische Parteien, die KPD, die als Bewahrer marxistisch-leninistischer Theorie und Politik aus der Zerstörung der SED durch den Parteiputsch der bürgerlich-reformistischen Gysi-Fraktion hervorgegangen ist, und die DKP, die sich nach dem verfassungsfeindlichen KPD-Verbot in der BRD 1968 konstituiert hat. Neben den beiden Parteien existieren noch eine Kommunistische Plattform (KPF) in der PDS, kommunistische Gruppen und nicht organisierte Kommunisten. Geht man von quantitativen Kriterien aus, ist die DKP die zur Zeit mitgliederstärkste Partei, wobei quantitative Merkmale noch nichts über theoretische und politische Qualität aussagen. Mehrheiten können durchaus falsche Entscheidungen, Aussagen etc. treffen. Das Problem im Verhältnis von DKP – KPD – KPF scheint mir darin zu liegen, dass in allen drei Organisationen Marxisten-Leninisten vorhanden sind, deren Einfluß auf die jeweiligen Parteiführungen jedoch unterschiedlich ist. Dieser Sachverhalt kommt in dem unter PDS-Genossen schon geflügelten Satz zum Ausdruck: Was der Vorstand macht, na ja, aber „die Basis denkt ganz anders“! Und dabei bleibt’s dann meistens auch.

In der KPD bilden marxistisch-leninistische Theorie und Politik, ihr Zentralkomitee und ihre Mitgliedschaft eben auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus eine Einheit, wie in ihrem Zentralorgan „Die Rote Fahne“ und anderen Publikationen sowie im öffentlichen Auftreten ihrer Repräsentanten nachweisbar.

Die KPF scheint in sich sehr differenziert zu sein, Die KPF der PDS Hannover gibt mit ihrer Zeitschrift „Offensiv“ ein Periodikum heraus, das auf marxistisch-leninistischen Positionen beruht und deren Herausgaber auch als Organisatoren von Kogressen und Tagungen einen beachtenswerten Beitrag zur Verbreitung der marxistisch-leninistischen Theorie und zur Zusammenführung kommunistischer Kräfte im nationalen und internationalen Rahmen leisten. Andere Gruppen der KPF scheinen eher zurückhaltend gegenüber der offen auf sozialdemokratische, anti-leninistische und Anti-DDR-Positionen übergegangenen Führung zu sein, die die von den bürgerlichen Medien verbreiteten plumpen Geschichtslügen und –fälschungen bezüglich der gehaßten SED „schöpferisch“ übernimmt, um sich damit Koalitionsfähigkeit mit bürgerlichen Parteien zu erkaufen. Wie lange die Kommunisten in der PDS dies noch mitmachen, ist natürlich ihrer Entscheidung überlassen und bleibt abzuwarten. Mir sind zur Zeit keine Zahlen bekannt, wie viele Tausend Kommunisten sich inzwischen von dieser Partei verabschiedet haben.

Kompliziert ist die Lage in der DKP. Die Mehrheit ihrer Mitglieder stellen Kommunisten aus den Alt-Ländern. Sie haben ihre Kampferfahrungen aus Jahrzehnten harter Klassenkämpfe gegen einen hochorganisierten und brutalen imperialistischen Feind gewonnen, haben Verfolgung und Kerker einer z.T. noch von alten Nazi-Juristen durchsetzten Klassenjustiz getrotzt. Unter diesen Kommunisten befinden sich auch hervorragende marxistisch-leninistische Theoretiker. Nach dem Sieg der Konterrevolution in der DDR und ihrer Annexion kamen Kommunisten aus den neuen Ländern, die mit der revisionistischen, antikommunistischen Politik der PDS-Führung gebrochen hatten, seit Anfang der 90er Jahre in die DKP, die ihre Erfahrungen aus dem Aufbau des Sozialismus sowie dem Kampf gegen imperialistische Aggression und Diversion, den sie z.T. in den bewaffneten Organen der DDR geführt haben, mit einbrachten. Sie verfügten in der Mehrheit über ein hohes marxistisch-leninistisches theoretisches Niveau. Im Laufe der 90er Jahre kam es zu Diskrepanzen zwischen Mitgliedern, namentlich ehemaligen SED-Mitgliedern, aber auch Mitgliedern der alten Länder und den die Politik bestimmenden Genossen des Parteivorstandes. Seit Veröffentlichung ihrer „Sozialismusvorstellungen“ ist ein allmähliches Abweichen auf revisionistische Positionen in einzelnen Artikeln der Zeitung der DKP „Unsere Zeit“ (UZ) und in Dokumenten der Partei unübersehbar. Solche Tendenzen zeigten sich in der Einschätzung des historischen Platzes der DDR, der Parteitheorie bezüglich der Bewertung der SED, in Relativierung des Klassikerbegriffs, der Imperialismustheorie, Fragen der sozialistischen Demokratie („Gewaltenteilung“), im Verhalten zu anderen Kommunistischen Parteien (KPD, PTB), schließlich in der Bewertung der Zerstörung der DDR als Konterrevolution, des Status der neuen Länder als Halbkolonie des BRD-Imperialismus, letztendlich in der Propagierung eines kleinbürgerlichen Sozialismusbildes und einer bedenklichen „Bündnispolitik“ gegenüber der PDS-Führung.

Diese revisionistische Tendenz in Theorie und Politik musste zu ideologischen Auseinandersetzungen in der Partei führen. Diese Auseinandersetzungen waren kein Ost-West-Problem, hervorgegangen aus unterschiedlichen Erfahrungswerten, wie es scheinen könnte.

Die Auseinandersetzungen fanden in der Gesamtpartei statt, wobei sie eine besondere Zuspitzung um die Zeitschrift „RotFuchs“ der Gruppe Nordost der Berliner Parteiorganisation zwischen der Mehrheit dieser Gruppe und der Mehrheit des Parteivorstandes fand. Es ging dabei nicht um die Zeitschrift, sondern um deren theoretischen und politisch-ideologischen Inhalt, der eindeutig auf der marxistisch-leninistischen Theorie fundiert war und ist. Es muß schon Befremden auslösen, wenn von der Parteivorstandsmehrheit die Herausgabe dieser marxistisch-leninistischen Zeitschrift von einer DKP-Parteigruppe als mit der Politik der Partei nicht vereinbar erklärt wurde und der Parteivorsitzende, wie vorher schon seine Stellvertreterin, jene Genossen zum Verlassen der Partei aufforderten, die sich für das Zusammenführen der unterschiedlichen Kampferfahrungen aus Ost und West zu einer neuen Legierung einsetzten. Nachdem Mitglieder des Parteivorstandes und des Vorstandes der Berliner Bezirksorganisation den ideologischen Streit nicht mehr mit Argumenten, sondern mit Verleumdungen gegen altbewährte Kommunisten führten, war die Toleranzgrenze für das Austragen von gegensätzlichen politisch-ideologischen Auffassungen innerhalb einer Partei überschritten, was zu Konsequenzen von mehreren Genossen aus Berlin und Brandenburg führte.

Wie weiter? „Das Einfache, das schwer zu machen ist“ (Brecht) Wenn auf örtlicher Ebene Kommunisten aus DKP, KPD und KPF zusammenkommen, um für gemeinsame Ziele gegen einen gemeinsamen Gegner zu kämpfen, so ist dies ein beachtenswerter Anfang auf dem sehr langen und steinigen Weg zu einer „Vereinigten Kommunistischen Partei“ auf der Grundlage der marxistisch-leninistischen Theorie.

Bis jetzt zeigt der Parteivorstand der DKP keine Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit mit der KPD auf Vorstandsebene. Das Beharren einer Partei auf einem „Alleinvertretungsanspruch“, nicht eine, sondern die Kommunistische Partei in Deutschland zu sein, der man sich nur anzuschließen habe, ist für den so notwendigen Vereinigungsprozeß der Kommunisten in einer Partei nicht förderlich.

                                                                                                                                      Ulrich Huar, Berlin