Widerspruch eigener Art in der Revisionismus-Kritik

Hermann Jacobs: Widerspruch eigener Art in der Revisionismus-Kritik

Der Nachtrag von Kurt Gossweiler in „offensiv” 9/2004 bedeutet nach meinem Empfinden eine wichtige Wende im Verhältnis zu der Diskussion im allgemeinen zu Fragen der Politischen Ökonomie des Sozialismus; denn Kurt Gossweiler bekennt hier, dass er die Warenproduktion im Sozialismus nicht als „wesenseigen” und nicht als „dauerhaft” gekennzeichnet sehen will (das müßte er natürlich auf die in der Kritik befindlichen gewissen Reformen im Sozialismus übertragen). Sowjetische Auffassungen, die aber behaupten, dass Warenproduktion dem Sozialismus „wesenseigen” ist und sie „dauerhaft” (bis in den Kommunismus hinein) gültig sein muß, bezeichnet Gossweiler als „markantes Eindringen des Revisionismus” in die ökonomische Wissenschaft. (Seite 53)

Damit würden wir aber prinzipiell gesehen eine gleiche Position einnehmen.

Es ergeben sich nun allerdings zwei Fragen: Was heißt „nicht wesenseigen”, und was „nicht dauerhaft”? „Nicht wesenseigen” ist ja eine Charakteristik, die ziemlich allgemein gelten und den Aufbau der sozialistischen Gesellschaft resp. Produktionsweise von Anfang an betreffen könnte; „nicht dauerhaft” aber heißt, dass es zunächst um Warenproduktion im Sozialismus gegangen wäre, doch mit dem Übergang zur höheren Form des Sozialismus/Kommunismus sie ein Ende finden müsse. Wieso Gegensatz resp. nicht wesenseigen? Nicht wesenseigen bezieht sich ja nur auf die Warenproduktion. Und auf was bezieht sich dann wesenseigen? Es wird das Bild eines Doppelcharakters der Gesellschaft vermittelt. Was verursacht schließlich das Umschlagen der Form nicht wesenseigen in nicht dauerhaft, also Beenden der Warenproduktion? Hier ist ja ein Entwicklungsgang angedeutet von einer relativen zu einer absoluten Kritik.

Dies also die erste Frage, und die zweite wäre die: Wie steht denn Kurt Gossweiler nun zu den waren- und wertökonomischen Reformen in der Sowjetunion und der DDR usw. ab den 60er Jahren? Sie sollten doch die sozialistische Gesellschaft stärker warenökonomisch prägen, z.B. sollte über sie die so genannte Selbsterwirtschaftung der Mittel (für einfache und erweiterte Reproduktion) der Betriebe durchgesetzt werden. D.h. die zentrale Regulation der Mittel sollte abgeschafft werden. Was bedeuten diese Reformen nun in Bezug auf „nicht wesenseigen” und „nicht dauerhaft”?

Ich möchte andererseits noch einmal auf die von mir vertretene Position aufmerksam machen. In ihr ist davon gesprochen, dass der reale Sozialismus („je später desto weniger”) nie Warenproduktion war, niemals, zu keiner Zeit wirkte das Wertgesetz. „Nicht wesenseigen” heißt in dieser Position, auch nicht mal der Form nach „nicht wesenseigen”. Gerade die Formen, die in der sozialistischen Gesellschaft gefunden worden sind, sind nicht mehr der Warenökonomie zuzuordnen, sind nicht mehr Kategorien im Sinne der Wertökonomie. Die Nichtzuordnung ist andererseits „wesenseigen”, ist also bereits der Gegensatz. Und dies „dauerhaft”

Womit dann klar ist, was entsprechen einerseits und „über Gossweiler hinausgehen” andererseits bedeutet.

Ich spreche also durchaus von „wesenseigen” und „dauerhaft” (würde also auch sowjetische Wissenschaftler verstehen, die sich um Charakteristika wie „wesenseigen” und „dauerhaft” bemühen), aber in einem Warenform der Produktion negierenden Sinne, also Sinne einer anderen Gesellschaft (die ja letztlich im zweiseitigen Verhältnis der Gesellschaft auch von Gossweiler angedeutet ist). Es gibt an Stelle einer relativen eine absolute Anerkennung der in der Gesellschaft „verbliebenen Wertkategorien”, aber in einem die Warenproduktion bereits aufhebenden Sinne. Die so genannte in der Gesellschaft verbleibende Warenproduktion bedarf einer anderen Theorie. Das ist der ganze Witz an der Sache (und auch der Grund einer relativen Kritik an der sowjetischen Wissenschaft seit „Stalin”.) Und wohl das Überraschende für alle Kritiker…, haben sie es doch bisher überhaupt „nicht verstanden”. (Dies auch der Grund, weshalb wir uns erst angesichts der Reformen, die nun wahrhaft echt Warenproduktion bedeuten, in die Haare kriegen, d.h. auseinander definieren).

Die dauerhafte Fixierung immer auf die Frage der Warenökonomie hat den Begriffen „wesenseigen” und „dauerhaft” einen völlig falschen Inhalt, eben warenökonomischen Bezug gegeben, aber wir müssen ihnen umgekehrt den Bezug des Kommunismus geben, und dies unter Einbeziehung der Nichtwertkategorien „Preis und Geld einer Planwirtschaft” – deren wertökonomische Reform deren Revision wäre.

Woran ist das zu beweisen bzw. theoretisch festzumachen? Am … Festpreis. Der Festpreis ist kein der Warenproduktion mehr zuzuordnender Preis. Er, nichts anderes, ist der Schnittpunkt, an dem wir den Gegensatz ausfechten. Der Festpreis ist der einzige Preis, unter dem die Warenproduktion aufhebbar ist, ohne sie formell, d.h. in ihrer Form, aufzuheben. (Ansonsten könnte man sie nur noch aufheben, indem man ihre Formen „abschafft”; das ist dann die grobe Tour, die Kritik noch eines äußeren Kommunismus am Kapitalismus).

Gossweiler hat in seinem ersten Beitrag zu erkennen gegeben, dass er den Festpreis „verstanden hat”. Ach, sagt er, das ist ja nichts als jener der Sozialpolitik des Sozialismus dienende Preis, der – in seiner positiven Bestimmung – weit unterhalb des Wertes festgelegt worden ist. Er ist auch unrentabel, weil in ihm aufgrund der Preissenkung die Kosten höher liegen als der Preis hoch ist. (Das berühmte Behrenssche „Steigen der Kosten über den Preis”). Ihm gegenüber stehen aber die anderen (negativ für die Sozialpolitik bestimmten) Preise, die weit oberhalb des Wertes festgelegt sind, sie sind – überrentabel. (Hier müßte es eigentlich heißen: Das „Steigen der Gewinne über die Preise”, d.h. es müßte von einer – ebenso künstlichen – Preissteigerung „über den Wert” („über die Kosten”) die Rede sein). In der Summe gleichen sich die Preise wieder aus, bzw. die nicht gedeckten Kosten der unrentablen Preise werden aus den Gewinnen der überrentablen Preise beglichen. (Gossweiler: Stalin hat das alles schon erklärt, „volkswirtschaftliche Rentabilität” usw., man muß nur lesen wollen). Zwar kann ich mich an keinen Zeitpunkt erinnern, zu dem ein solches Preissystem flächendeckend in der DDR (Sowjetunion etc.) eingeführt worden ist, aber bitte.

Gossweiler versteht den Festpreis (solche sozialen Preise sollen möglichst stabil sein, das kommt dem Gedanken ihrer Unveränderbarkeit/Festigkeit entgegen) als nichtäquivalenten Preis. Auf den ersten Blick scheint es, dass Nichtäquivalenz seine Erklärung ist. Aber wie steht es denn mit dem Verhältnis eines solcherart erklärten Preises zur Arbeit? Auch nichtäquivalente Preise, selbst wenn gesellschaftlich verallgemeinert, könnten doch sinken, wenn der Wert sinkt. Sie (ihre „äußere Hülle”, der Preis als solcher) blieben also fest, aber die Kosten dieses Preises würden mit steigender Produktivität doch sinken! So geht es doch los. (An Stelle der Lohnkost pro ganzen Tag erschiene doch die Lohnkost pro halben, viertel usw. Tag). Wegen der sinkenden Kosten müßten unrentable Preise früher oder später in die Rentabilität hinüberwachsen und rentable Preise werden. Die an sich überrentablen Preise würden sogar noch überrentabler.

Die Arbeitsproduktivität hat in der DDR in den Jahren ihres Bestehens immerhin um die stattliche Größenordnung des Achtfachen zugelegt. So könnte man also – wenn es denn so gewesen ist – „1954″, einem frühen Jahr, ein nichtäquivalentes Preiswesen organisiert haben, aber mindestens „1970″, dem späteren Jahr, müßte es in ein insgesamt rentables umgewandelt worden sein.

Warum ist das nicht der Fall gewesen? Bitte, hier ist Erklärungsbedarf – für eine andere Theorie des Festpreises, die eigentliche. Ich will sie hier nur kurz wiederholen, da ich das ja schon an anderer Stelle getan habe. Sinken die Preise mit den Werten, so kann ein selbes Geldvolumen die Waren, d.h. auch die mehr produzierten Waren, zur Zirkulation bringen. (Die sinkenden Warenpreise, übertragen in Löhne, würden dann deren Sinken ergeben – der Gewinn stiege; von dieser Selbstkostentheorie ist im sozialistischen Preissystem weit und breit nichts zu sehen, warum nicht, gilt das Wertgesetz nicht mehr – für den Arbeiter, nur für ihn nicht mehr?) Sinken sie aber nicht, erhöht sich die Summe der Warenpreise mit der Mehrproduktion von Waren. Sie umzusetzen, erfordert nun eine größere Summe Geldes. Aber das nicht allein. Diese Summe gelangt ja zur Aneignung. Und sofern unter den mehr produzierten Waren solche sind, die in die Konsumtion der Individuen fallen, also Aufnahme in die Löhne und Gehälter finden müssen, müssen diese steigen. Aber was sind sie anderes als Kosten. Ergo: Die Löhne (oder inneren Kosten) steigen wie die Arbeitsproduktivität steigt. Das ist ein die Aufhebung der Warenproduktion ausdrückender Satz. Im Sozialismus steigen die (inneren) Kosten, weil die Preise nicht sinken wenn die Werte sinken. D.h. steigt die – „Unrentabilität” mit steigender Produktivkraft der Arbeit.

Ein „Widersinn” (allerdings nur zur bisherigen Theorie oder wirklichen Theorie der Warenproduktion), den man nicht bemerkt, dem man sich auch nicht stellt, wenn man im Festpreis nichts als ein Phänomen der Nichtäquivalenz „erkennt”.

Während von der Steigerung der Produktivkraft im allgemeinen Verständnis angenommen wird, dass über sie die Rentabilität gesteigert würde, ist es in der „sozialistischen Warenproduktion” genau umgekehrt. Sie „sinkt”. Um dieses Phänomen zu erklären resp. ihm aus dem Wege zu gehen, prägte die Partei (oder ökonomische Wissenschaft des Sozialismus) den schönen Satz: „Aber die Löhne dürfen nicht schneller steigen als die Arbeitsproduktivität steigt”. Wie man sieht, ein dicht an der Bewußtheit vorbeirutschender Satz. Es sieht noch wie Warenproduktion aus (Preis und Geld sind ja erhalten, und irgendwo im Hintergrund geistert noch der „Marxsche” Wertbegriff herum), aber „eigentlich” ist es keine mehr. (Oder eine sehr, sehr schlechte Warenproduktion, na ja, eben kommunistische).

Gossweilers Erklärung des „stabilen Preises” im Sozialismus ist eine (sozial)politische, sie verteidigt den Kommunismus – politisch. (Sie ist daher auch historisch bedingt, sie ist eine vorökonomische (vorplanwirtschaftliche) Erklärung der Preise, als der Kommunismus noch reine Politik erst sein konnte, und sich gegen „wirkliche Warenproduzenten” noch durchsetzen mußte). Sie erlaubt, von der Ökonomie noch immer zu unterstellen, dass sie eine Warenproduktion ist, daher eben sein verzweifelter Versuch, sie als dem Sozialismus „nicht wesenseigen” zu erklären. Dieser Verrenkung braucht es aber nicht.

Diese Warenproduktion ist dem Sozialismus, ja dem Kommunismus wesenseigen – weil sie gar keine mehr ist. Man muß aus der politischen zur ökonomischen Erklärung der Preise im Sozialismus übergehen, man muß den Mut haben, sie der Warenökonomie entgegen zu stellen. (Dies entzöge der warenökonomischen Reform den Boden – obwohl sie sie gerade erklärt; denn die warenökonomische Reform kann mit einem Festpreis nicht zufrieden sein, d.h. die Reform ist wesentlich Reform der Preise – als hätten die Reformer sehr wohl begriffen was Verteidiger des Sozialismus/der Planwirtschaft, oder Kritiker des Revisionismus, nicht begreifen wollen).

Eine bloße Erklärung des Festpreises als nichtäquivalent stellt nicht die weitergehenden Fragen nach dem ökonomischen Mechanismus, der über das Preiswesen und weiter in das Kostenwesen der Preise hinein abläuft. Sie kann davon ausgehen, dass sich hier zu einer originären Weise der Warenproduktion nichts geändert habe. Aber wenn das so wäre, müßten sukzessive die Preise allgemein in die Rentabilität hineingerutscht sein. Dass dieser Effekt nicht eingetreten, ist zugleich der Schwachpunkt der Theorie der bloßen Nichtäquivalenz der Fest-Preise, ist ihre Nichtkompatibilität mit der sozialistischen Praxis. Dass im Gegenteil die „Stützungen” aus dem Staatshaushalt für die Betriebe immer umfangreicher geworden sind, ist die Stärke der anderen, ökonomischen Theorie des Festpreises. Sie bringt nun die andere Seite der Arbeit, die konkrete Seite, die Funktion des Arbeitsertrages zur Geltung in der Theorie. Die Warenproduktion ist unter Bedingung des Erhalts ihrer Formen an ihre Aufhebung geraten, weil an die Darstellung der konkreten Seite der Arbeit. Das Geldwesen des Sozialismus stellt die Bewegung des Arbeitsertrages statt die der Arbeitszeit dar. Das muß in die von der Wertökonomie besessenen Köpfe gehämmert werden. Niemand hat den Kommunismus bisher verstanden (weil in der ökonomischen Form noch nicht), aber er ist zu verstehen.

Nur deshalb kann man dieses Geld und diesen Preis als dem Sozialismus, d.h. der Aufhebung der Warenproduktion dem Inhalt nach, „wesenseigen” nennen und ihm die „Dauerhaftigkeit” seiner Existenz wünschen, bis zum Übergang in den Kommunismus, bis in den Kommunismus selbst „hinein”.

Kurt Gossweiler muß doch wohl meinen, diese Formen seien echt (Warenproduktion), und deshalb nennt er ihren Erhalt als aber nicht wesenseigen mit dem Sozialismus und wünscht sich ihre Dauerhaftigkeit nicht. So sind Unterschiede. Aber er ist, wie unschwer zu erkennen, keiner des Inhalts, sondern einer des Erkennens von Formen, d.h. des Weges des Kommunismus in seiner wirklichen Realität. In der einen Form (Fassung, Auffassung) kann man nur Gegensatz sein, indem man Formen abschafft, in der anderen auch, indem man den Inhalt abschafft indem man Formen umwandelt. Man muß ja in der Tat den Kapitalismus in den Kommunismus umwandeln, und das ist dessen Abschaffung. Der Revisionismus bestand und besteht immer darin, dass man von Formen meint, dass sie nicht umwandelbar sind, und daher von den Formen auf den Inhalt schließt – zu dem man allerdings immer zurückkehren will.

Fazit: Für die Revisionismus-Kritik, die gleich mit ihrer entwickelten Form (den Reformen) anfängt, ist es wohl auch notwendig, sich mit den frühen, sehr frühen Formen der Erscheinung – und des Verständnisses des möglichen Revisionismus – zu befassen. Eine entwickelte Kritik kommt ohne diesen im wesentlichen noch nichtökonomischen Teil seiner Erscheinung nicht aus. Aber natürlich richtet sich der Hauptteil der Kritik auf jenen Revisionismus, der für die Entstehung des so genannten Reform-Sozialismus verantwortlich zeichnet. Er hat dem politischen Kommunismus zur Überraschung wohl aller seine gesellschaftsformatorische Grundlage – na, wenn nicht gleich genommen, so doch zerredet. Hermann Jacobs, Berlin