Zu den Ursachen der Niederlage der Kommunisten und Linken bei den Parlamentswahlen im April 2008 in Italien

Gerhard Feldbauer:
Zu den Ursachen der Niederlage der Kommunisten und Linken bei den Parlamentswahlen im April 2008 in Italien

Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am 13./14. April 2008 in Italien erlitt das Wahlbündnis der sogenannten Sinistra Arcobalèno (Regenbogenlinke), in dem sich der Partito della Rifondazione Comunista (PRC) und der Partito dei Comunista Italiani (PdCI)[1] mit der Sinistra Democratica (Demokratische Linke)[2] und den Grünen  zusammengeschlossen hatten, eine katastrophale Niederlage. Es erreichte nur 3,1 % und fiel unter die Vier-Prozent-Hürde. Zum ersten Mal in der italienischen Nachkriegsgeschichte sind die Kommunisten nicht im Parlament vertreten. Silvio Berlusconi erhielt mit den AN-Faschisten 37,4 %, Bossis Lega-Rassisten 8,3 %, beide zusammen mit einer kleinen Autonomiepartei 46,8 %. Der Partito Democratico des Ex-Kommunisten und Ex-Linksdemokraten Walter Veltroni  verzeichnete 33,2 %.

Die vorgezogenen Neuwahlen hatte der Staatspräsident gemäß Verfassung ausgeschrieben, nachdem im Januar 2008 eine christdemokratische Splitterpartei die Regierung verließ und danach Ministerpräsident Romano Prodi im Senat eine Abstimmungsniederlage erlitt. Prodi fiel einem rechten Manöver, bei dem Berlusconi und Kräfte des Industriellenverbandes Confindustria die Fäden zogen, zum Opfer. Wochen vorher hatte es kaum einen Tag gegeben, an dem sein Sturz nicht vorausgesagt wurde.[3] Confindustria-Präsident Montezemolo hatte das Ziel mit dem Slogan vorgegeben: „Stoppt die maximalistische Linke“.[4]

Drei Viertel der Wähler verloren

Die Parteien des Regenbogens kamen 2006 zusammen auf rund 12 %. Fast sieben davon entfielen auf den PRC und knapp zwei auf den PdCI. Viele Wähler resignierten und blieben der Wahl fern (mit rund 20 % gaben drei Prozent mehr als 2006 keine Stimme ab). Dann folgten nach Wahlanalysen etwa 40 % der früheren Wähler dem Werben Veltronis, der immer wieder appellierte, seinen PD zu wählen, um einen neuen Wahlsieg Berlusconis zu verhindern.

Im PRC sind nach der Wahlniederlage die seit langem schwelenden aber immer unter den Teppich gekehrten Meinungsverschiedenheiten über einen revolutionären oder reformistisch/ reformerischen Kurs offen ausgebrochen. Sie verdeutlichen, dass es im PRC, der 1991 nach der Umwandlung der IKP in die sozialdemokratische Linkspartei (PDS)[5] gegründet wurde, kaum eine Auseinandersetzung mit dem opportunistischen Erbe der IKP und somit auch keinen Bruch mit diesem gab.[6]

Zu den schwerwiegendsten Folgen gehörte, dass sich in den widersprüchlichen Ergebnissen des 5. Parteitages 2002 offen revisionistische Tendenzen zeigten. Der Kongress beschloss zwar ein linkes Aktionsprogramm mit einem Bekenntnis zur sozialistischen Perspektive, sagte sich in der Substanz aber gleichzeitig vom Marxismus-Leninismus los. Nicht nur Lenin, sondern auch Marx wurden nur noch im historischen Kontext und von Bedeutung nur unter bestimmten Gesichtspunkten, die Leninsche Imperialismus-Analyse als „unangemessen zur Interpretation der Form der Herrschaft des neuen Kapitalismus“ gesehen.

Absage an führende Rolle

Der PRC verzichtete auf die führende Rolle der Arbeiterklasse, die der „Bewegung“ (No-Global-Bewegung) zugeschrieben wurde. Diese Absage schloss die Reduzierung Antonio Gramscis als Theoretiker der Hegemonie der Arbeiterklasse auf ebenfalls historische Aspekte ein. Aber selbst diese Gesichtspunkte fielen später der Vergessenheit anheim, darunter auch der von Gramsci fixierte Grundsatz, dass die KP in allen Bündnissen stets ihr politische und ebenso organisatorische Unabhängigkeit wahren müsse.[7] Hier liegt zweifelsohne eine entscheidende Ursache für die gegenwärtige Niederlage.

Die kommunistische Strömung (die je nach der Abstimmung über verschiedene Anträge zwischen 27 und 40 % Stimmen verzeichnete), zu deren führenden Mitgliedern Domenico Losurdo[8] gehört, kündigte „strategischen Dissens“ an. Sie gab seitdem bis 2006 das Bulletin „Aginform“ heraus und wollte in der Tradition Gramscis als Sammelpunkt eine kommunistische Zeitung schaffen (was bisher jedoch keine Ergebnisse zeitigte).

Eine der Ursachen der Niederlage wird im Eintritt des PRC in die nach dem Wahlsieg der Linken Mitte im Mai 2006 gebildete Regierung unter dem früheren Christdemokraten Romano Prodi gesehen. Folgt man den Berichten über die gegenwärtige Diskussion der Niederlage im PRC in der Parteizeitung „Liberazione“ scheint es so, dass dieser Fakt überhaupt als der entscheidende und fast als einzige Ursache gesehen wird. Das scheint mir eine etwas zu kurze Sicht. 2005/06 war es durchaus gerechtfertigt, dem Parteienbündnis der Linken Mitte und danach ihrer Regierung beizutreten, um  zunächst einen erneuten Wahlsieg der profaschistisch-rassistischen Koalition Berlusconis zu verhindern. Es muss also konkret darum gehen, zu analysieren, unter welchen Bedingungen die Kommunisten in die Regierung eintraten, welche Rolle sie in ihr spielten bzw. hätten spielen können/müssen, was sie bewirkten bzw. nicht bewirkten, aber hätten bewirken können.

Gute Ausgangsbedingungen bestanden zunächst darin, dass die Linke Mitte nach ihrem Wahlsieg[9] die Präsidenten von Senat und Parlament stellte. Der Ex-Kommunist und Senator auf Lebenszeit der damals noch existierenden Linksdemokraten, Giorgio Napolitano, wurde Staatspräsident.[10] Der Abgeordnetenkammer stand der vorherige PRC-Sekretär, Fausto Bertinotti, vor. Noch nie hatte die Linke Mitte derart die Schlüsselpositionen des politischen Systems besetzt. Zur Einleitung eines Politikwechsels wurden sie wenig genutzt.

Bertinotti versprach „partizipative Demokratie“

Auf seinem Parteitag im April 2005 sprach sich der PRC für ein Wahlbündnis mit der Linken Mitte aus. Fausto Bertinotti, der als Sekretär wiedergewählt wurde, sagte zu, dass sich die Partei nach einem Wahlsieg an der Regierung beteiligen werde. Nur so werde es möglich sein, die Berlusconi-Regierung zu Fall zu bringen und eine „programmatische Regierungsalternative an ihre Stelle zu setzen“, die den neoliberalen Zyklus durchbreche und einen progressiven Weg sozialer und struktureller Reformen einschlage. Ein Leitantrag skizzierte, das müsse einschließen, die antisozialen und antidemokratischen Gesetze der Berlusconi-Regierung rückgängig zu machen, die Macht des Marktes einzuschränken, den gemischten Charakter der Wirtschaft wiederherzustellen, Art und Ziel der Produktion unter dem Gesichtpunkt gesellschaftlicher Interessen, darunter der Arbeitsplätze und entsprechender Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter zu modifizieren. Als Grundzug künftiger Regierungspolitik der Linken Mitte nannte Bertinotti, eine „partizipative Demokratie“ zu entwickeln, um der Autonomie der Bewegungen und dem Klassenkonflikt neue Räume für die Transformation der Gesellschaft zu eröffnen. Der mangelnden Binnennachfrage sollte mit der Stärkung der Kaufkraft durch Erhöhung der Löhne und Renten begegnet werden. Diesen Weg zu beschreiten, erfordere „Einheit und Konsens“ in der Regierungskoalition, betonte Bertinotti, der gleichzeitig dafür plädierte, im Bündnis einen „gesunden Antagonismus“ zwischen reformistisch/ reformerischer und radikaler Linker zu wahren. Zum Terminus radikale Linke präzisierte er: „Früher hätte man von einer revolutionären Linken gesprochen, und ich denke, dass man diesen Begriff auch wieder gebrauchen sollte.“

Der PRC-Sekretär warnte damals, es gehe nicht nur darum, Berlusconi eine Niederlage zu bereiten, sondern den Kurs von Reformen einzuschlagen, um das perverse Pendel außer Kraft zu setzen, dass die Linke in der Opposition Hoffnungen und Erwartungen wecke, an die Regierung gekommen, sie aber vergesse und eine Politik betreibe, die sich nicht von jener der Rechten unterscheide. Gelinge das nicht, drohe Italien eine Phase sozialen und demokratischen Rückschritts und des Abbaus bürgerlicher Rechte, die auf lange Zeit unumkehrbar blieben. Gegen die Regierungsbeteiligung stimmte eine Minderheitsfraktion von etwa 15 %. Außenpolitisch ragte die Forderung hervor, eine Regierung der Linken Mitte müsse sofort die italienischen Soldaten aus dem Irak heimholen.[11]

Als Regierungs- und Protestpartei gescheitert

Was ist aus diesen Grundsätzen geworden?

Berlusconi hinterließ ein katastrophales Erbe an Demokratie- und Sozialabbau, darunter eine dekretierte Verfassungsreform, welche die antifaschistischen Grundsätze beseitigen und einem Präsidialregime den Weg frei machen sollte. Unter Prodi fand dagegen ein Referendum statt, bei dem 61,7 % dieses Gesetz annullierten. Verwirklicht wurde der Abzug der italienischen Truppen aus Irak. Eingestellt wurde das geplante Milliarden verschlingende Projekt des Brückenbaus zwischen dem Festland und Sizilien, mit dem Berlusconi vor allem in die eigene Tasche wirtschaften wollte.[12] Es wurden zwei unter Berlusconi inszenierte Abhörskandale aufgedeckt, in welchen die Geheimdienste SISMI (Militär) und SISDE (Zivil) aktiv waren. Die Mailänder Staatsanwaltschaft begann Ermittlungen wegen der Entführung des Imam der Stadt, Osama Mustafa Hassan, auch als Abu Omar bekannt, durch die CIA unter Beteiligung der italienischen Dienste. Ein Skandal betraf einen Spionagering bei der Telekom, der andere die Ausspionierung der Steuerdatenbank. In beiden Fällen waren höchste Politiker der Opposition ausspioniert worden, darunter der nunmehrige Ministerpräsident Prodi, Staatspräsident Napolitano, Außenminister D´Alema. Große Beunruhigung löste ein bekannt gewordenes Papier des SISMI aus, das fast wörtlich an die Termini des früheren CIA-Dokumentes FM 30-31[13] erinnerte und festlegte, Gegner Berlusconis zu „neutralisieren“ und „auseinanderzunehmen“, auch mit „traumatischen Operationen“.[14]

Diese ersten Schritte weckten Hoffnungen, auf diesem Weg voranzuschreiten. Die Antikriegsbewegung erhielt nach dem  Rückzug aus Irak Auftrieb und forderte als nächstes, die 2.500 Mann aus Afghanistan abzuziehen und den von Berlusconi gewährten Ausbau der US-Militärbasis in Vincenza mit einer Truppenverstärkung um 4,500 Mann zu einem Stützpunkt für Kriegseinsätze im Nahen und Mittleren Osten nicht nur zu untersagen, sondern die Basis überhaupt zu schließen, da ihre Existenz angesichts der Nutzung für Washingtons Angriffskriege gegen Artikel 11 der Verfassung verstößt, der Italien verpflichtet, für „Frieden und Gerechtigkeit zwischen den Nationen“ zu wirken und „den Krieg als Mittel des Angriffs auf die Freiheit anderer Völker und zur Lösung internationaler Streitfragen“ abzulehnen. Auf dieser Grundlage bestanden gute Voraussetzungen, ein Referendum einzuleiten und die Regierung zum Handeln zu zwingen. Des weiteren hätten sowohl der Staatspräsident als auch der Parlamentspräsident über bestimmte Möglichkeiten verfügt, den Regierungschef zum Handeln zu veranlassen. Nichts dergleichen geschah jedoch.

Die Kriegsgegner im Stich gelassen

Als im Februar 2007 vor der US-Basis 200.000 Italiener demonstrierten, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, verlangten PRC-Parlamentarier, unter ihnen Sozialminister Paolo Ferrero,[15] von Prodi, „auf Volkes Stimmes zu hören“. Daraufhin wagten im Februar 2007 zwei Senatoren des PRC und des PdCI die von Bertinotti angesprochene „partizipative Demokratie“ und brachten einen Antrag zur Verlängerung des Afghanistaneinsatzes zu Fall. Schon damals forderte Berlusconi Neuwahlen. Im Regierungslager brach offen die Furcht vor einem neuen Wahlsieg des Mediendiktators aus. In der eingetretenen Regierungskrise gab Bertinotti als Parlamentspräsident die Losung aus, eine neue Regierung Berlusconi müsse auf jeden Fall verhindert werden. Das wirkte nicht nur desorientierend, sondern stieß auch die Antikriegsbewegung vor den Kopf. Diese Linie wurde dann im Vertrauensvotum für Prodi mit der Zustimmung zum Afghanistaneinsatz (Bewilligung der Finanzmittel) und der Hinnahme des Ausbaus in Vincenza sowie tiefen sozialen Einschnitten verwirklicht. Hätte der PRC im Februar 2007 die Regierung verlassen und Neuwahlen in Kauf genommen, wäre zweifelsohne die jetzige Niederlage und damit wahrscheinlich auch ein Sieg Berlusconis verhindert worden.

Prodi kamen außerdem mehrere nicht zu seiner Koalition gehörende Senatoren der äußersten Rechten zu Hilfe.  Damit begab sich der Regierungschef in eine Abhängigkeit, die obendrein das Image seiner Koalition schwer schädigte. Denn unter den „Helfern“ befanden sich die Senatoren auf Lebenszeit Francesco Cossiga und Giulio Andreotti, die später an seinem Sturz mitwirkten. Der eine ein bekannter Faschistenfreund, der andere in den 90er Jahren der Komplizenschaft mit der Mafia angeklagt und verurteilt, in der Revision nur wegen Mangels an Beweisen freigesprochen. Cossiga wurde kürzlich von dem früheren stellvertretenden Vorsitzenden der Democrazia Cristiana, dem achtzigjährigen Giovanni Galloni, beschuldigt, für die Ermordung Aldo Moros im Mai 1978 hauptverantwortlich gewesen zu sein.[16] Er war damals Innenminister, sein Regierungschef war Andreotti. Bei Abstimmungen, z. B. über den Kriegseinsatz in Afghanistan, standen die Kommunisten plötzlich mit solchen Leuten in einer Reihe.

Faschistisch-rassistischen Charakter der Berlusconi-Koalition verharmlost

Der Versuch des PRC, als Regierungs- und Protestpartei zu handeln  und die Regierungsachse nach links zu verschieben, misslang. Mehrfach untersagte die Parteiführung ihren Ministern und Spitzenfunktionären an Demonstrationen zur Durchsetzung sozialer Forderungen  teilzunehmen.   Es gelang nicht, das soziale Elend zu verringern, die Arbeitslosigkeit  abzubauen oder im Gesundheitswesen etwas zu verbessern. Für die Rentner, viele arbeitslos, wurde das Pensionsalter heraufgesetzt,  ein zugesagtes Referendum über den Stopp des Ausbaus der US-Basis in Vincenza  nicht eingeleitet. Die seit über zwei Jahrzehnten existierende  Mediendiktatur Berlusconis blieb unangetastet. Es hat seitens des PRC seit seiner Gründung 1991 auch keinen  Vorstoß im Parlament gegeben, diese immer wieder auch gegen gesetzliche Auflagen verstoßende Monopolstellung zu begrenzen. Ohne dass sich hier etwas im positivem Sinne verändert, werden auch in Zukunft grundlegende Veränderungen äußerst schwierig sein.

Die Koalition Berlusconis mit AN-Faschisten und Lega-Rassisten wurde, auch vom PRC, als Centro Destra (Rechtes Zentrum) verharmlost.[17] Damit hat der PRC objektiv dazu beigetragen, die AN-Faschisten und die Lega-Rassisten salonfähig zu machen. Vom PRC liegt bis heute auch keine Analyse der wachsenden faschistischen und rassistischen Gefahren, die von dieser Koalition bzw. ihren Regierungen ausgingen/ausgehen, vor.[18] Die Warnungen des Nobelpreisträgers Dario Fo, Umberto Ecos, Andrea Camileris, Vincenzo Consolos oder Antonio Tabucchis vor den von Berlusconi, Fini und Bossi ausgehenden Gefahren der Etablierung eines neuzeitlichen faschistischen Regimes wurden nicht aufgegriffen.[19] Die Polizei dieser vorgeblich rechten Zentrumsregierung stürmt heute Sinti- und Roma-Lager, die sich danach laut der EU-Abgeordneten Victoria Mohacsi, welche die Lager in Rom und Neapel besuchte, in „einer entsetzlichen, grauenvollen Situation“ befinden. Von Berlusconi geplante Regierungsdekrete sehen heute im Geiste der 1938 von Mussolini eingeführten Rassengesetze wieder den „Begriff der Rasse“ und die Nominierung eines „Sonderbeauftragten für Roma“ vor. Antifaschisten erinnerten daran, dass „auch Hitler mit der Vertreibung der Roma begonnen“ hat.[20]

Der Chef der Rassistenlega, Bossi, drohte, er werde seine Anhänger „an die Gewehre rufen“, um auf die „römischen Schurken“, womit die Linken gemeint sind, anzulegen. Es sei leider, so dieser Rassist weiter, „leichter, Ratten zu vernichten als Zigeuner auszurotten“.[21] Zum politischen Leitbild dieses Ministers Berlusconis gehört die faschistische Blut- und Bodenideologie. Seine Anhänger empfingen schon früher in Mailand den Fußballclub von Neapel mit Spruchbändern wie „Was Hitler mit den Juden gemacht hat, wäre auch das Richtige für Napoli“. Lega-Innenminister Maroni will illegale Einwanderer in Gefangenenlager sperren. Das betrifft 650.000 Menschen, die sich teilweise schon seit Jahrzehnten mit Wissen der Behörden in Italien aufhalten und oft auch Arbeitsverhältnisse der niedrigsten Stufen haben. Der notorisch fremdenfeindliche Lega-Minister Roberto Calderoni forderte, die Marine solle das Feuer auf Flüchtlingsboote eröffnen. Im Jargon, der unter den Rassengesetzen Mussolinis üblich war,[22] diffamierte er, Einwanderer, Homosexuelle und Süditaliener sollten sich „zu den Kamelen in der Wüste“ aufmachen oder im Dschungel „mit den Affen tanzen“.

Als in der weltberühmten Kulturstadt Verona Skinheads einen Italiener zu Tode prügelten, hatte der „Duce“ der Alleanza Nazionale, Gianfranco Fini, der Parlamentspräsident wurde, die Stirn, offiziell zu erklären, das sei „nicht so schlimm“, wie wenn Fahnen der USA und Israels, zerrissen würden, wie in Turin aus Protest gegen den Terror dieser Staaten gegen die Palästinenser geschehen. Die Enkelin des 1945 von Partisanen hingerichteten Diktators, Alessandra Mussolini, feierte mit Tausenden Anhängern mit Führergruß und Sieg-Heil-Rufen den Wahlsieg des AN-Faschisten Giovanni Alemanno ins Bürgermeisteramt von Rom als „Befreiung“ der Hauptstadt von kommunistischer Herrschaft (die nie existierte).[23] Inzwischen scheint sich in der Berichterstattung der „Liberazione“ dazu eine Wende abzuzeichnen, wenn der amtierende PRC-Vorsitzende von Verona, Mauro Tosi, z. B. den Mord in Verona und die Ausschreitungen gegen Roma, Sinti und andere Immigranten als „neuen Faschismus“ charakterisierte.[24]

Es gab, auch seitens des PRC, keine Initiativen, das von Berlusconi verabschiedete und selbst nach bürgerlich-demokratischen Spielregeln undemokratische Wahlgesetz zu beseitigen. Es sichert dem Sieger in der Abgeordnetenkammer bei nur einer Stimme Mehrheit 340 der 630 Sitze. Da die Linke Mitte bei der Wahl 2006 davon profitierte, hoffte man, es könne ihr bei neuen Wahlen wieder zugute kommen und zögerte, eine Wahlrechtsreform einzubringen.

Aus Protest gegen die Regierungsbeteiligung verließ bereits im Mai 2006 eine Gruppe Progetto Comunista unter dem Philosophieprofessor Marco Ferrando den PRC und gründete danach im September den Partito Comunista dei Lavoratori (Kommunistische Arbeiterpartei). Die Strömung hatte 2005 auf dem Parteitag 6,5 % der 95.000 PCR-Mitglieder vertreten. Ferrando, der Mitglied der Leitung der IV. (trotzkistischen) Internationale ist, betonte den „nicht unbedingt trotzkistischen“ Charakter der Partei, die einen Rückzug aus Afghanistan und die Einschränkung der Mediendiktatur Berlusconis forderte.[25]

Als nächstes entstand als Strömung innerhalb des PRC eine Sinistra critica (Kritische Linke), von der einige führende Mitglieder ebenfalls der IV. Internationale angehören. Sie stellte die Perspektive des PRC in Frage und forderte, über die Schaffung einer „revolutionären Linken“ nachzudenken. Bei Abstimmungen im Politischen Komitee des PRC erreichte die Strömung etwa 15 %.[26]

Revisionismus der Linksdemokraten half Berlusconi

In übler Weise hat die Führung der früheren Linksdemokraten mit Walter Veltroni und Massimo D´Alema[27] an der Spitze zur Niederlage der Linken beigetragen, ja sie ganz gezielt mit herbeigeführt. Auf Betreiben der Zentrumsparteien und der Linksdemokraten war bereits vor den Wahlen 2006 die offizielle Bezeichnung des Bündnisses als Linke Mitte beseitigt und es in „Demokratische Union“ umbenannt worden. Trotz starker Proteste seiner Basis stimmte der PRC dem zu.[28]

Mit der Fusion der Linkspartei mit der katholischen Zentrumspartei Margherita, die Veltroni und D´Alema im Herbst 2007 durchsetzten, erlebte Italien dann eine bisher in der internationalen Arbeiterbewegung einmalige neue Stufe revisionistischer Entwicklung mit verheerenden Folgen für die Linken und alle Fortschrittskräfte. Große Teile der  Arbeiterklasse werden in die Ausgangspositionen ihrer Entstehung zurückgeworfen, die Linksdemokraten zu einem Anhängsel der bürgerlichen Mitte degradiert, zum Bestandteil einer katholisch beeinflussten Zentrumspartei, die sich erklärtermaßen in der Tradition der 1992 untergegangenen großbürgerlichen Democrazia Cristiana sieht.[29]

Der PD-Gründungsprozess fand zum Zeitpunkt der bereits schwelenden Krise der Regierung Prodi statt, mit deren Sturz ständig gerechnet wurde. Es wurden bereits Neuwahlen einkalkuliert, bei denen die Kommunisten ausgeschaltet, eine neue Regierung der Linken Mitte zumindest von deren Stimmen unabhängig gemacht werden sollte. Am liebsten wäre es der neuen PD-Führung gewesen, wenn die früher zur Berlusconi-Koalition gehörende Union Demokratischer Christen (UDC), eine weitere Nachfolgerpartei der Anfang der 90er Jahre untergegangenen DC oder zumindest ein Teil von ihr, ihrer Partei beigetreten wäre, was jedoch misslang. Auch zu den Neuwahlen kam kein von Veltroni erhofftes Wahlbündnis zustande.

Die völlig bürgerliche Linie Veltronis kam in seiner Konzeption zur Wahl zum Ausdruck. Er ließ sich in der „Repùbblica“,[30] die zum Sprachrohr des PD aufstieg, als Vertreter der „authentischen produktiven Bourgeoisie“ und eines „demokratischen Kapitalismus“ Italiens vorstellen und propagierte einen „demokratischen Pakt zwischen Arbeitern und Bourgeoisie“. Er orientierte sich am Kandidaten seiner US-Vorbildpartei Barack Obama und trat unter dessen Wahlslogan „Yes we can“ (si poù fare) für einen „Wechsel“ ein.

Zu den vorgezogenen Neuwahlen im April 2008 lehnte der PD-Chef dann ein Wahlbündnis mit dem Regenbogen ab. In der Wahlkampagne betonte er permanent, Stimmen für die Linke seien verschenkte Stimmen und rief zur Wahl seiner Partei auf, was nicht ohne Erfolg blieb.

Veltroni für  bipolares US-amerikanisches Parteiensystem

Mit ihrer Linie der Vertreibung der Linken und Kommunisten aus dem Parlament verfolgen die Ex-Linksdemokraten um Veltroni und D´Alema das Ziel, in Italien ein bipolares Parteiensystem nach US-amerikanischen Vorbild zu installieren. In ihm will der neue PD die Rolle der Demokratischen Partei der USA übernehmen, während der Forza-Partei des Hitler- und Mussolini-Bewunderers Berlusconi[31] und den AN-Faschisten und Lega-Rassisten der Part der Republikaner überlassen werden soll. Gegenseitige Ablösung an der Staatsspitze soll zur Normalität werden. Schon unmittelbar nach der Berufung Berlusconis zum Ministerpräsidenten traf sich der nunmehrige Oppositionsführer Veltroni mit dem neuen Regierungschef zum „konstruktiven Dialog“ und erklärte seine Bereitschaft, an der Lösung der anstehenden, auch „konstitutionellen Fragen“ mitzuarbeiten. Bezeichnenderweise fand das Treffen einen Tag nach den bereits erwähnten unbeschreiblichen faschistisch-rassistischen Ausschreitungen gegen Sinti, Roma und weitere Immigranten statt, die im Gespräch von Veltroni mit keinem Wort erwähnt wurden, von einem Protest dagegen ganz zu schweigen.[32]

Mit der Reduzierung auf sechs Parteien von bisher 26 im Parlament sehen sich die Repräsentanten der beiden Machtblöcke, Veltroni und Berlusconi, diesem bipolaren Parteiensystem einen entscheidenden Schritt näher.[33] Dafür hat sich im Italienischen bereits der Begriff Veltrusconismus herausgebildet. Es ist  ersichtlich. dass die Fusionsprozesse weiter voranschreiten werden. Berlusconi will im Herbst seine Partei mit der AN zusammenschließen.[34] Der Lega hat er ein gleiches Angebot unterbreitet, was diese bisher nicht akzeptierte. Sie will darauf erst eingehen, wenn ihre Forderungen nach einer föderalen Autonomie der Nordregionen durchgesetzt sind. Veltroni möchte Di Pietros  Wertepartei, die bei den Wahlen 4,3 %. erreichte, für einen Beitritt zu seinem PD gewinnen.[35] Sowohl Berlusconi als auch Veltroni versuchen, die am äußersten rechten Flügel stehende UDC für ihre Partei zu gewinnen. Während Berlusconi damit das „demokratische Image“ seiner Partei weiter aufpolieren möchte, würde das den rechten Flügel des PD Veltronis weiter ausprägen. Forderungen nach der Wahlniederlage, das alte Bündnis der Linken Mitte (die in  Demokratische Union umgetaufte Koalition) zum gemeinsamen Widerstand gegen das Berlusconi-Lager in der Opposition wiederherzustellen, erteilte Veltroni eine klare Absage: „Eine Rückkehr zur Union wird es nicht geben“. Das bedeutet eine klare Absage an jede künftige Zusammenarbeit mit der Demokratischen Linken und natürlich mit den Kommunisten. Nach US-amerikanischem Vorbild will Veltroni auch Primarie (Vorwahlen) einführen.[36]

Der Linken fehlte es an kämpferischer Kraft

Zu den Wahlen 2008 legte die Linke ein Programm demokratischer und sozialer Forderungen vor, das durchaus brennende soziale Fragen aufgriff. An der Spitze stand die Wiedereinführung der Scala mobile (gleitende Lohnskala), ferner die Einführung eines garantierten Mindestlohnes und die Aufhebung des Gesetzes über Leiharbeit.[37] Das  Programm reichte jedoch nicht  annähernd an das von Bertinotti 2005 vorgelegte Alternativprogramm des PRC heran. Nicht zuletzt fehlte eine konkrete außenpolitische Aussage zur Verteidigung des bereits angeführten Artikel 11 der Verfassung. Das hätte die Forderung nach einer Beendigung der Unterstützung des USA-Kriegskurses, dazu  den Abzug aus Afghanistan und den Stopp des Ausbaus der US-Basis in Vincenza einschließen müssen, um die starke Antikriegsbewegung, die 2006 entscheidend zu Prodis Wahlsieg beitrug, wieder als Verbündeten zu gewinnen. Das, sowie ein fehlendes einheitliches Auftreten der Linken bewirkte, dass es dem Wahlkampf an der kämpferischen Kraft fehlte, die ihn seitens des PRC noch 2005/06 charakterisiert hatte. Viele Wähler hatten nach den Enttäuschungen über die Rolle des PRC in der Regierung Prodi auch kein Vertrauen mehr in die Wahlversprechungen. Die fehlende Mobilisierung der Kriegsgegner, so Meinungen aus der Bewegung, habe dem Linksbündnis einige Hunderttausend Stimmen (wenigstens ein Prozent) gekostet.

Kommunistische Identität preisgegeben

Bertinotti, der als Spitzenkandidat des Regenbogens antrat, propagierte das Parteienbündnis als „eine neue Linke, die allen offen steht“. Das weckte bei vielen zur kommunistischen Identität stehenden Mitgliedern und Sympathisanten des PRC Befürchtungen, aus dem Parteienbündnis solle eine Linkspartei entstehen und der PRC in ihr aufgehen. Im PRC war bereits umstritten, dass Bertinotti 2004 die Partei in die Europäische Linkspartei eingebracht und selbst bis 2007 deren Vorsitz übernommen hatte.[38] Auf Forderung der Grünen verzichtete die Koalition auf das Parteisymbol des PRC Hammer und Sichel. Auch das habe, wie Kritiker einschätzten, sehr viele  Stimmen gekostet. Von einer „revolutionären Linken“ war im Regenbogen kaum etwas zu spüren. Die Grünen propagierten die Politik des sozialistischen Premiers Spaniens, Luis Zapatero, als Vorbild. Obwohl Veltroni ein Wahlbündnis abgelehnt hatte, bot Bertinotti ihm trotzdem bereits im Wahlkampf bei einer fehlenden eigenen Mehrheit nach einem Wahlsieg die Unterstützung des Regenbogens an. Viele PRC-Wähler befürchteten, die Partei könnte dann erneut in die Regierung, diesmal eine PD-geführte, eintreten oder sie im Parlament unterstützen und so deren propagierte Zusammenarbeit mit dem „demokratischen Kapitalismus“ mittragen.

Offensichtlich muss man auch untersuchen, was Bertinotti dazu führte, frühere Standpunkte aufzugeben und sich dem dubiosen Projekt einer pluralistischen Linken zuzuwenden und zu erwarten, dass es einen Gegenpol zu Veltronis PD bilden könnte. In seinem  Buch „Idee che non muoiono“ (Ideen, die nicht sterben), hatte er noch vor acht Jahren geschrieben, dass „die kommunistische Bewegung im 20. Jahrhundert Träger der Zivilisation, der Freiheit und der Demokratie gewesen ist“, und dass die kommunistischen Ideale auch heute die Zukunft bestimmen, es in der Tat, Ideen, die nicht sterben, sind, der Kommunismus ein Erfordernis der Gegenwart bleibt.[39] Im Oktober 2004 hatte er zu kritischen Stimmen, der PRC riskiere in einem neuen Bündnis mit der Linken Mitte „seine Identität zu verlieren“, geantwortet, diese „Identität werde gestärkt und in der Konfrontation mit den Partnern verteidigt“.[40] Dem folgte auf dem Parteitag im April 2005 die Vorlage des bereits ausführlich dargelegten Alternativprogramms für eine revolutionäre Linke.

Das Aufweichen der kommunistischen Identität führte u. a. auch dazu, dass sowohl die vom PRC 2006 abgespaltene Kommunistische Arbeiterpartei als auch die PRC-Strömung Kritische Linke getrennt zur Wahl gingen. Sie erreichten 0,5 bzw. 0,4 %. Ein relativ geringes Ergebnis, aber es hätte dazu beitragen können, den PRC und damit den Regenbogen über die Vier-Prozent-Hürde zu bringen.

Kommunistische Gruppe will zurück zu Hammer und Sichel

Im Vordergrund der Auseinandersetzung im PRC steht jetzt die Diskussion über die Zukunft der Partei, die sich auf die Frage zuspitzt, ob der Regenbogen sich zur linken Partei konstituieren soll, in der die bestehenden Parteien aufgehen, was ihre Auflösung bedeuten würde. Der PRC könnte darin allenfalls als lose kommunistische Strömung existieren. Diese von Bertinotti bereits in der Wahlkampagne unterschwellig vertretene Linie, habe, wie Domenico Losurdo einschätzte, entscheidend zur Niederlage beigetragen.[41] Gegen die Liquidierung der mit etwa 90.000 Mitgliedern stärksten italienischen KP[42] gibt es jetzt einen besonders von der Basis ausgehenden heftigen Widerstand. Zu seinen Trägern gehören mehr als 100 führende kommunistische Persönlichkeiten, darunter Luciano Canfora[43] und Domenico Losurdo, die „zur Erhaltung der kommunistischen Tradition  wieder mit Hammer und Sichel“ aufrufen, um nicht nur PRC und PdCI, sondern alle in verschiedene Gruppen aufgesplitterten kommunistischen Kräfte zu vereinigen.[44] Wir wollen „eine neue Phase des italienischen Kommunismus beginnen, eine konstituierende Phase“, erklärte Losurdo. Er verwies gleichzeitig auf die „Selbständigkeit der Kommunisten“ als Voraussetzung einer linken Politik und von Bündnissen wie dem Regenbogen. Logisch, dass auch der führende kommunistische Philosoph Italiens und ausgezeichnete Gramsci-Kenner betonte, „dabei müssen wir die kommunistischen Traditionen von Lenin bis Gramsci wieder aufgreifen“.

Das bedeutet an erster Stelle, wie Hans Heinz Holz in einer Studie zu „Antonio Gramscis Parteitheorie“[45] verdeutlichte, dessen Bündniskonzeption aufzugreifen, seine Theorie des Historischen Blocks und der Erringung der Hegemonie durch die Arbeiterklasse. Und das nicht als Klassenzusammenarbeit mit bürgerlichen Parteien, sondern im Sinne von Togliatti als antifaschistische Einheitsfrontpolitik auf der Grundlage des Klassenkampfes („Wende von Salerno“). Holz verwies auf die Frage der Vorhut und gab dazu Gramsci wieder, der betonte, „dass der Kampf nur geführt werden kann, wenn eine Avantgardepartei die Probleme der Massen formuliert, dass Bewusstsein der Massen bildet und in den Massen verwurzelt ist; und dass die Partei das nicht leisten kann, wenn sie nicht auf hohem theoretischem Niveau die Gegenwart analysiert, die Vergangenheit verarbeitet und die Zukunft entwirft.“

Zukunft der KP offen

Die Leitungsgremien des PRC sind nach der Wahlniederlage zurückgetreten. Zur Vorbereitung eines Parteitages im Juli 2008 wurde von der Tagung des Politischen Komitees im Mai eine kommissarische Leitung eingesetzt, an deren Spitze, wie bereits erwähnt, Paolo Ferrero steht, der in der Regierung Prodi Sozialminister, im PCR Mitglied des Sekretariats war. Derzeit scheinen sich drei Strömungen bzw. Konzeptionen abzuzeichnen.[46] Die von Domenico Losurdo mit ins Leben gerufene Gruppe, die für den Zusammenschluss der verschiedenen kommunistischen Organisationen zu einer neuen kommunistischen Partei auf den theoretischen Grundlagen von Lenin und Gramsci eintritt. Eine zweite, die weiter das Ziel verfolgt, den PRC in eine Linke, wie sie in Gestalt des Regenbogens zur Wahl existierte, einzubringen, diese Linke dann als Partei zu konstituieren, in der die Beitrittsorganisationen ihre Selbständigkeit aufgeben, allenfalls politische Strömungen darstellen. Die dritte Gruppe ähnelt einer für die italienische Arbeiterbewegung nach dem Ersten Weltkrieg in der sozialistischen Partei entstandenen typischen zentristischen Strömung, die unter dem Slogan der „Einheit der Partei“ den derzeitigen PRC erhalten und seine verschiedenen Strömungen „aussöhnen“ möchte. Claudio Grassi, Mitglied der Interimsleitung, erklärte zum wichtigsten Ziel, „die Partei zusammenhalten und verhindern, dass sie sich in verschiedene Strömungen auflöst.“ In Livorno brachen die Kommunisten mit Gramsci an der Spitze nicht nur mit den Reformisten, sondern auch mit den Zentristen, verließen die Sozialistische Partei und gründeten ihre eigene, die Kommunistische Partei. Ein großer Teil der Zentristen trennte sich später von den Reformisten und trat der IKP bei.

Dieser Zentrismus spielte auch in der Zeit des von Enrico Berlinguer verfolgten historischen Kompromisses der Klassenzusammenarbeit mit der DC in den 70er Jahren (der scheiterte) bis zu seinem Tode 1984[47] eine beträchtliche Rolle. Während die Reformisten in dieser Zeit die IKP bereits in eine sozialdemokratische Partei umwandeln wollten, hatte Berlinguer unter eurokommunistischen Vorzeichen auf den Erhalt der revolutionären Potenzen und ihre Nutzung in der Regierungszusammenarbeit mit der DC gesetzt. Wenn die Basis der Partei sich in den 70er Jahren mit vielen Vorbehalten letzten Endes dem reformistischen Kurs unterordnete, geschah das im Vertrauen darauf, dass Berlinguer sich auf diese kämpferischen Potenzen stützte. Man darf als sicher annehmen, dass Berlinguer den von seinen Nachfahren Achille Occhetto[48] und Massimo D´Alema eingeschlagenen Weg der Umwandlung der IKP in eine sozialdemokratische Partei und der Aufgabe nicht nur kommunistischer, sondern auch aller sozialistischen Traditionen nicht gegangen wäre. Die „Liberazione“ schätzte zu Berlinguers 15. Todestag ein, er habe den Ausgleich zwischen dem linken und dem rechten Flügel gesucht, sei ein „Mann der Vermittlung“, und als solcher ein „Zentrist“ gewesen.[49]

Gerhard Feldbauer,
Poppenhausen

FUSSNOTEN

  1. 1998  vom PCR abgespalten.
  2. Eine Minderheit von etwa 15 Prozent der früheren Linksdemokraten, die sich deren Fusion mit der katholischen Zentrumspartei Margherita zum Partito Democratico (PD) im Oktober 2007 verweigerten und sich unter dem vollen  Namen Sinistra Democratica per il Socialismo Europeo. als eigene Partei konstituierten.
  3. „Süddeutsche Zeitung“, 26. Okt. 2007.
  4. „Liberazione“., 22. Okt. 2007.  Der Begriff  „maximalistische Linke“ zielte auf den PRC.
  5. Nannte sich ab 1999 nur noch Democratici di Sinistra (Linksdemokraten).
  6. Zum Entstehen des PRC als auch mit dem Thema dieses Beitrages zusammenhängenden Fragen siehe Feldbauer: Marsch auf Rom. Faschismus und Antifaschismus in Italien, Köln 2002, bes. S. 113 bis 138.
  7. Gramsci: Quaderni del Carcere, Turin 1975, S. 1551.
  8. Prof. an der Universität von Urbino, führender kommunistischer Philosoph Italiens und auf internatio-naler Ebene, Präsident der Internationalen Gesellschaft für Dialektisches Denken, zusammen mit Hans Heinz Holz Herausgeber der philosophischen Zeitschrift „Topos“, Autor zahlreicher Bücher, darunter über Gramsci, zuletzt unter dem Gesichtspunkt von Geschichtsbetrachtung und Bündnispolitik „Kampf um die Geschichte“ und „Demokratie und Bonapartismus“, beide 2007 bzw. 2008 bei Papyrossa, Köln.
  9. Der im Senat sehr knapp ausfiel und nur zwei Stimmen betrug.
  10. Das ergab sich zeitlich daraus, dass die Neuwahl des Präsidenten, der von  der Abgeordnetenkammer und dem Senat gewählt wird, nach sieben Jahren anstand.
  11. „Liberazione“., 2. bis 7.. März 2005.
  12. Nach seinem Regierungsantritt  im Mai 2008 hat Berlusconi das Projekt sofort wieder in Gang gesetzt.
  13. Geheimdienstdirektive nach der  die von der CIA geführte geheime NATO-Truppe stay behind,  in Italien Gladio genannt, ihre Spannungsstrategie zur Destabilisierung ihrer Gegner organisierte.  Auf ihrer Grundlage wurde das Komplott zur Ermordung des DC-Führers Aldo Moro, Partner Berlinguers im Historischen Kompromiss, durchgeführt. Siehe Feldbauer: Agenten, Terror, Staatskomplott, der Mord an Aldo Moro, Rote Brigaden und CIA. Köln 2000, bes. S. 33 f.
  14. „Geheim-Magazin“, 1/2007.
  15. Nach dem Rücktritt des Sekretariats von der Tagung des Politischen Komitee im Mai 2008 zum amtierenden Sekretär gewählt,
  16. „Liberazione“, 23. Okt. 2007. Siehe auch Feldbauer: Die Recherchen des Commissario Pallotta. Warum Aldo Moro sterben musste. „offensiv“, 4/2008.
  17. Als Centro Destra (Rechtes Zentrum) wurden die bis Anfang der 90er Jahre von der Democrazia Cristiana mit Liberalen und Sozialdemokraten gebildeten Regierungen bezeichnet, während die seit den 60er Jahren von der DC mit Sozialisten und Republikanern formierten Regierungen Centro sinistra (Linkes Zentrum/Linke Mitte) genannt wurden. Sowohl die Republikaner als auch die Sozialdemokraten traten manchmal beiden Konstellationen bei.
  18. Siehe Feldbauer: Berlusconi – ein neuer Mussolini?, Neue Impulse 2001, 2. Aufl. 2003.
  19. Susanne Schüssler (Hg.): Berlusconis Italien. Italien gegen Berlusconi. Berlin 2003.
  20. „Liberazione“. 14. Mai 2008.
  21. „Süddeutsche Zeitung“, 16. April 2008.
  22. Feldbauer: Mussolinis Überfall auf Äthiopien. Bonn 2006, S. 29 f., 60 ff.
  23. „Liberazione“, 10., 14. 16. Mai 2008. Ausf. Feldbauer: „Marsch gegen den „Duce“, in: „jW“, 19.Mai 2008.
  24. Ausg. vom 9. Mai 2008.
  25. „Manifèsto“, 12. Juni 2007.
  26. „Inprekorr“ (Organ der IV. Internationale), 428/429, Sept./Okt. 2007.
  27. Beide frühere Vorsitzende der Linksdemokraten, D´Alema 1998/99 Ministerpräsident, Veltroni  zuletzt Bürgermeister von Rom.
  28. Allgemein wurde in der Öffentlichkeit die alte Bezeichnung Linke Mitte beibehalten, die auch in diesem Beitrag noch verwendet wurde.
  29. Ausf. Feldbauer: „Beispielloses Spektakel“, „UZ“, 26. Okt. 2007.
  30. 10. Febr. 2008.
  31. Norberto Bobio schätzte ein, dass der Berlusconi-Partei „jegliche demokratische Merkmale“ fehlen. Der verstorbenen konservative Starjournalist Indro Montanelli sah in Berlusconi, dem er wegen seines autoritären faschistoiden Führungsstil in seinem Hausblatt „Giornale Nuovo“ die Mitarbeit aufkündigte, die Gefahr eines „neuen Mussolini“.
  32. ANSA, 16. Mai 2008.
  33. Im Parlament sind noch folgende Partein vertreten: Der Berlusconi-Block mit der Forza-Partei, die sich zu den Wahlen in „Partei des Volkes der Freiheit“ umbenannte, die Alleanza Nazionale, die Lega Nord und eine sizilianische Regionalpartei Movimento per Autonomia, die nur 0,1 % erreichte, aber auf der Kandidatenliste Berlusconis ins Parlament einzog. Ihr werden Mafia-Verbindungen nachgesagt und sie soll offensichtlich den Einfluss Berlusconis in Sizilien sichern. Im Bündnis mit Veltronis Demokratischer Partei zog die „Partei der Werte Italiens“ des früheren Mailänder Staranwalts der 90er Jahre (Leiter der Untersuchungen „Saubere Hände“) ins Parlament ein. Vertreten ist ferner die bereits erwähnte UDC.
  34. Die Modalitäten sind noch nicht geklärt. Während Berlusconi vom Beitritt in seine Partei spricht, strebt Fini eine Vereinigung an.
  35. Di Pietros Partei ist stark rechts ausgerichtet und tritt für ein Präsidialregime ein, wie es Berlusconi errichten will.
  36. „Repùbblica“, 25. Mai 2008.
  37. „Liberazione“, 28. Febr. 2008.
  38. Man muss Bertinotti jedoch zugute halten, dass er viel zur Durchsetzung von konsequenten linken Positionen in der Partei beigetragen hat.
  39. Bertinotti: Idee che non muoiono, Mailand 2000.
  40. “Liberazione”, 24. Oktober 2004.
  41. Interview in  „jW“, 19/20. April 2008.
  42. Der PdCI zählt etwa  15.000 Mitglieder.
  43. Luciano Canfora, der an der Universität von Bari klassische Philologie lehrt, erregte 2006 mit dem Werk „Eine kurze Geschichte der Demokratie“ Aufsehen. In einem Epochenüberblick von der Antike bis zur europäischen Union konfrontierte er die dominierenden Vorstellungen mit einem radikalen Begriff von der Demokratie, dem diese nicht als bloße Form und Fassade oligarchischer Herrschaft gilt, sondern als Streben der subalternen Gesellschaftsklassen nach realer Gleichheit. Gramscis Patenschaft ist unzweifelhaft zu erkennen. Canfora erinnerte denn auch an dessen Leistung, die Niederlage gegen den Faschismus „politisch und historisch zu begreifen“.
  44. „Manifèsto“ veröffentlichte den Aufruf am 17. April 2008. „Liberazione“ brachte ihn nicht. „jW“ veröffentlichte ihn am 23. April 2008.
  45. “jW”, 2. u. 3. Mai 2007.
  46. Soweit ersichtlich handelt es sich (noch) nicht um organisierte Gruppen bzw. Strömungen.
  47. Berlinguer erlitt am 7. Juni 1984, während er auf einer Kundgebung seiner Partei in Padua sprach, einen Herzinfarkt. Vier Tage später starb er. Der in Padua anwesende sozialistische Staatspräsident, Sandro Pertini, ließ den im Koma liegenden IKP-Generalsekretär in seiner Präsidentenmaschine nach Rom fliegen. In Italien wurden trotzdem immer wieder Stimmen laut, Berlinguer sei vor Ort nicht sofort alle mögliche medizinische Behandlung zu teil geworden, die sein Leben hätte retten können. Beweise liegen dafür nicht vor.
  48. Wurde nach Alessandro Natta im Mai 1988 zweiter Nachfolger Berlinguer als IKP-Generalsekretär.
  49. “Liberazione”, 11. Juni 1999; 13. Sept. 2003.