Zeitschrift für Sozialismus und Frieden 4/2002

Herausgeber: Kommunistische Plattform der PDS Hannover

Spendenempfehlung: 1,60 EURO

 

 

Ausgabe

März – April

2002

 

 

 

Redaktionsnotiz

Berichte und Informationen

Redaktion Offensiv: „offen-siv" bei Schwedens Kommunisten

Antiimperialistische Koordination Wien: Demonstration in Rom

Andrea Schön: Bündniskongreß Roter Tisch Jena/Ost-Thüringen

Antifaschistische Aktion Hannover: Anständiger Aufstand.

Zur Lesereise mit Harpal Brar: „Imperialismus..."

Frank Flegel: Kurzbericht

Harpal Brar: Über meinen Deutschlandbesuch

Imperialismustheorie

Harpal Brar: Vortrag auf der Lesereise in der BRD vom 1. bis 22. März 2002

Zur Geschichte des Sozialismus

Kurt Gossweiler: Vor 60 Jahren IV: Wie der Browderismus nach Europa verpflanzt wurde – Teil 3

Interview mit Autoren von „Die Sicherheit"

Redaktion Offensiv: Interview zu „Die Sicherheit"

Diskussionen zum Parteienheft

Hans Schröter: Lieber Frank!

Werner Roß: Einige Anmerkungen für die weitere Diskussion

Gerda Schied: Es ist eine Zumutung

Hermann Jacobs: Der Marxismus ist in der Revisionismusfrage unentwickelt

Ursula Siegmayer: Sehr gute Prognose

Carsten Messerschmidt: Welcher Seite soll ich nun vertrauen?

Günter Bauch: Das Gemeinsame in das Zentrum der Arbeit rücken

Hansjörg Schupp: Unter scharfem, sachlichem Stil verstehe ich etwas anderes

Dr. med. Günther Lange: Wohin der Dampfer gesteuert wird

Hans Schröter: Zur Kritik der Roten Fahne (KPD) am Parteienheft

Heinz W. Hammer: Leserbrief an „Die Rote Fahne" mit Bitte um Veröffentlichung.

 

Redaktion Offensiv: Zur Einschätzung der bisherigen Diskussion

Weitere Resonanz

Gernot Bandur: Kritik zur Kritik meines Leserbriefes in der Ausgabe Nov.-Dez. 2001

Buchbesprechung

Frank Flegel: Kurt Gossweilers „Taubenfuß-Chronik" ist erschienen!

Spendeneingang 12/01 bis Anfang 4/02

 


 

Redaktionsnotiz

Wir müssen mit einer Entschuldigung beginnen. Der Schatzmeister der niedersächsischen PDS hat bisher die Partei-Spendenquittungen für Offensiv-Spenden nicht verschickt, wofür auf unsere Nachfrage mehrere Gründe angegeben wurden: da habe es eine staatliche Rechnungsprüfung gegeben, zusätzlich sei ein neues Computerprogramm eingeführt worden und dann sei auch noch ein Krankenhausaufenthalt dazwischen gekommen. Obwohl wir Anfang Januar die Spendenlisten eingereicht haben, habe sich dadurch eine solche Verzögerung ergeben. Wir bitten all diejenigen, die mit Spenden zum Gedeihen unserer Zeitschrift beigetragen haben, sozusagen „stellvertretend" für die Finanzverwaltung der PDS Nieder-sachsen um Entschuldigung. Und vor der nächsten Finanzabrechnung zu Beginn des Jahres 2003 werden wir Vorschläge zur Beschleunigung des Verfahrens einholen.

Es liegt eine interessante Lesereise hinter uns: Harpal Brar: „Imperialismus im 21. Jahrhundert – Sozialismus oder Barbarei", ISBN 3-89144-293-9, Pahl-Rugenstein-Verlag, Tel:0228-632306. Näheres dazu entnehmt Ihr bitte der Nachbetrachtung in diesem Heft

In der Redaktionsnotiz des Januar-Februar-Heftes haben wir angekündigt, interessantes Material über die Kooperation von Kommunisten bringen zu können. Dem ist leider nicht so. Es handelte sich um Erklärungen und Vorlagen für den Diskussionsprozess zur Vereinheitlichung der Positionen der KPD Brandenburg, der DKP Brandenburg und der Kommunistischen Plattform (KPF) der PDS Brandenburg, konkret um Diskussionsmaterial aus der KPF. Es gibt einen Entwurf, einen Gegenentwurf, beides sehr interessant – aber leider wurde der Gegenentwurf gesperrt, so dass wir nicht berichten können. Die dortigen Genossinnen und Genossen wollen ihren Diskussionsprozess erst abschließen. Schade! Denn so bekommt man keinen Eindruck über den Verlauf der Diskussion und über die Argumente, sondern nur fertige, wahrscheinlich dann recht ausgewogene Erklärungen. Obwohl wir eher der Meinung sind, dass der Argumentenaustausch und die Diskussion in die Öffentlichkeit gehören, damit sie allen Beteiligten zugänglich sind, achten wir selbstverständlich die Haltung der Brandenburger Genossen und bringen – sicherlich mit Bedauern - nichts.

Um so mehr offene Diskussion gab und gibt es um unser Parteienheft. Hier sind wir ungebunden und dokumentieren ohne Zensur. Eine Stellungnahme unsererseits findet sich dort ebenfalls. Und eins sei jetzt schon gesagt: wir sind der Meinung, dass der Diskussionsprozess weder über das Heft noch – erst recht natürlich – über die Probleme abgeschlossen ist.

Auf dem Buchmarkt ist ein wichtiges Werk erschienen, an dem man, will man zukünftig über die Dienste der DDR sprechen, nicht vorbeikommen wird: „Die Sicherheit", geschrieben von 20 hochrangigen Mitarbeitern des MfS. Wir bringen in dieser Ausgabe ein Interview mit einigen der Autoren. Ebenfalls weisen wir auf eine weitere – unserer Meinung nach ebenso epochemachende – Veröffentlichung hin: Kurt Gossweiler: „Die Taubenfuß-Chronik". Ohne Kenntnisnahme dieser Arbeit von Kurt Gossweiler sollte niemand mehr versuchen, Aussagen über die Niederlage des Sozialismus zu machen. Wir bitten Euch: lest die Ankündigungen in diesem Heft - und lest die Bücher!

Unsere Kampagne 1.500,- E zusätzlich für die Offensiv läuft und hat, wie Ihr am Ende des Heftes ersehen könnt, bisher ein Gesamt-Spendenergebnis von 4.222,96 E erbracht. Leider stehen dem Ausgaben in Höhe von 3.800,06 E gegenüber, so dass wir also erst 422,90 E zusätzlich ausweisen können. Näheres zu den Zahlen wie gesagt am Ende des Heftes. Liebe Genossinnen und Genossen, wir brauchen noch rund 1.000,- E, sonst kommen wir nicht über den Sommer! Spendenkonto: Konto Frank Flegel, Nr. 21827 249, Stadtsparkasse Hannover, BLZ 250 501 80, Kennwort „Offensiv" (Kennwort nicht vergessen!)

Diesem Heft liegt ein Katalog der Buchhandlung Che und Chandler / Pahl-Rugenstein-Verlag bei. Wir bitten Euch um freundliches Interesse! Redaktion Offensiv, Hannover


 

Berichte und Informationen

 

Redaktion Offensiv: „offen-siv" bei Schwedens Kommunisten

Vom 3. bis zum 5. Januar 2002 fand in Göteborg der 13. Parteitag der schwedischen Kommunisten der KPML(r) statt. Die schwedischen Genossen und ihre revolutionäre Partei sind „offen-siv"-Lesern ja nicht ganz unbekannt. Genosse Teddy-John Frank, bis zum 13. Parteitag internationaler Sekretär seiner Partei, ist als Referent im Rahmen des von „offen-siv" und „Rotfuchs" im Jahre 2000 gemeinsam veranstalteten Seminars „Imperialismus und antiimperialistische Kämpfe im 21. Jahrhundert" aufgetreten. Auch sein Beitrag ist im Protokollband über diese Konferenz enthalten, der bei der „offen-siv"-Redaktion zu bestellen ist.

Die Redaktion von „offen-siv" war – neben dem „Rotfuchs" und der KPD aus Deutschland sowie zahlreichen weiteren internationalen Delegationen – von den schwedischen Genossen eingeladen worden, am Parteitag teilzunehmen.

Dieser Parteitag war tatsächlich ein beeindruckendes Ereignis. Nicht nur, dass in allen Diskussionsbeiträgen deutlich wurde, wie stark sich die schwedische Partei inzwischen in den Klassenkämpfen des Landes verankert hat, dies vor allem vor der traditionell in Schweden fast erdrückenden Hegemonie der Sozialdemokratie und den jahrzehntelangen Illusionen um den so genannten „schwedischen Weg zum Sozialismus". Vor allem ist aber festzuhalten: die Partei konnte stärker werden, ohne ihren marxistisch-leninistischen Charakter und eine dementsprechende Grundorientierung aufzugeben. Der aufmerksame Beobachter konnte zudem feststellen, dass sich die Partei in den zurückliegenden Jahren deutlich verjüngen konnte. Inzwischen verfügt die KPML(r) über einen im ganzen Land aktiven und organisierten kommunistischen Jugendverband. Ein nicht zu unterschätzender „Zugang" ist für die Partei außerdem der wachsende, der Partei nahe stehende Sportclub „Proletären FF", der alleine im Göteborg über 1200 (!), zumeinst junge, Mitglieder hat und dessen Fußballclub sogar in der schwedischen Nationalliga spielt. Der 13. Parteitag hat einmal mehr bewiesen: die KPML(r) ist tatsächlich DIE kommunistische Partei Schwedens!

In seiner Grußadresse an den Parteitag betonte Michael Opperskalski für die Redaktion der „offen-siv", dass die Tatsache, dass drei Delegationen von Kommunisten aus Deutschland in Göteborg anwesend waren, zum einen belege, dass die Zersplitterung der kommunistischen Bewegung in der BRD noch anhält und es noch ein ganzes Wegesstück hin bis zu einer einheitlichen Partei in Deutschland ist, die fest auf marxistisch-leninistischen Positionen steht, zum anderen bedeute die gleichberechtigte und „harmonische" Anwesenheit der drei Delegationen jedoch auch, dass in Deutschland – trotz aller nach wie vor vorhandenen Probleme und Widersprüche – ein Prozess des „Zusammenrückens" der Kommunisten in der BRD sowie die dafür auch notwendigen Klärung politischer und ideologischer Fragen stattfinde. Unterstützung von Seiten der schwedischen Genossen fand auch sein Vorschlag, zumindest auf west-europäischer Ebene ein – wie auch immer geartetes – ideologisches Forum zu schaffen, indem in organisierterer Form ideologisch-politische Fragen, ökonomische Analysen sowie Studien des Imperialismus diskutiert, ausgetauscht und ggf. auch veröffentlicht werden.

Redaktion Offensiv, Hannover

 

Antiimperialistische Koordination Wien: Demonstration in Rom

Rom: 100.000 demonstrieren für die Selbstbestimmung Palästinas und gegen die zionistische Besatzung

Trotz des Regens, des Verschweigens der Massenmedien und der Boykottversuche seitens der pazifistischen, „äquidistanten" Linken demonstrierten am 9. März in Rom rund 100.000 Menschen in Solidarität mit der Intifada. Es handelte sich dabei um die größte Solidaritätskundgebung mit der palästinensischen Sache, die jemals in Italien stattfand, noch größer als jene 1976 gegen das Massaker von Tal El Zaatar. Wahrscheinlich war es die größte Demonstration in Unterstützung der Intifada, die jemals im Westen stattgefunden hat.

Lanciert wurde die Idee zu einer großen Demonstration im Oktober vergangenen Jahres durch das Palästina-Forum. Realisiert wurde sie in der Folge durch das zähe Engagement eines gemeinsamen Basisaktionskomitees, an dem auch das Campo Antimperialista (die italienische Sektion der Antiimperialistischen Koordination) beteiligt war. Der Aufruf enthielt fünf einfache und klare Punkte:

Rückzug der israelischen Armee aus den besetzen Gebieten!

Schleifung aller zionistischen Siedlungen!

Rückkehrrecht für alle palästinensischen Flüchtlinge!

Für einen unabhängigen palästinensischen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt!

Entsendung einer internationalen Beobachtermission gegen die israelischen Übergriffe!

Schließlich enthielt er einen Appell an die Palästinensische Nationalbehörde, den Generalsekretär der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und alle anderen unter dem Druck Israels, der USA und Europas inhaftierten Aktivisten der Intifada freizulassen.

Die Medien versuchten sogleich diese grandiose Demonstration in einem pazifistischen Sinn umzudeuten, als hätte sie sich zwischen die zionistischen Schlächter und die palästinensischen Opfer gestellt und gegen jede Form der Gewalt von beiden Seiten aufgerufen. Dem war keineswegs so. Die Demonstration hatte einen klar antiimperialistischen Charakter: sie unterstützte das legitime Recht der Palästinenser, in ihrem Befreiungskampf alle Mitteln zu verwenden und sie insistierte darauf, dass der Kampf für die Abschüttelung der Besatzung und gegen die Unterdrückung nicht als terroristisch bezeichnet werden dürfte. Gesetzlos und terroristisch sind hingegen die USA und die NATO-Staaten, die eine Strategie des permanenten Krieges zur Aufrechterhaltung ihrer imperialen Vorherrschaft verfolgen. In krimineller Weise bombardierten sie Jugoslawien und Afghanistan und verhängten ein mörderisches Embargo gegen das irakische und kubanische Volk.

Der außergewöhnliche Erfolg der Demonstration vom 9. März muss ein Anstoß für die gesamte internationale antiimperialistische Bewegung sein. Sie muss als Impuls verstanden werden, gemeinsam den Kampf fortzusetzen, die Kampagne für die Unterstützung der Intifada zu intensivieren und all jene Völker und Bewegungen zu unterstützen, die gegen die westlichen Aggressionskriege und die kapitalistische Globalisierung kämpfen.

Auch wir leisten dazu unseren Beitrag: Ende März hat sich eine internationale Solidaritätsdelegation in den Irak begeben. Für den Jahreswechsel planen wir abermals eine breite antiimperialistische Solidaritätsdelegation für Palästina.

Vom 3. bis zum 10. August findet in Assisi, Italien, das Antiimperialistische Sommerlager statt, bei dem die verschiedensten antiimperialistischen und revolutionären Kräfte zusammentreffen. In dessen Rahmen rufen wir zu einem europäischen Koordinationstreffen der verschiedenen die Intifada unterstützenden Kräfte auf.

Hinweis auf die Zeitschrift „Intifada":

Die achte Ausgabe der Zeitschrift "Intifada" ist erschienen. Sie befasst sich vor allem mit den Berichten und Auswertungen der Internationalen Solidaritätsdelegation, die zum Jahreswechsel Palästina besuchte.

Hier ausgewählte Artikel der Intifada 8 (mehr unter http://www.antiimperialista.org/de): "Die Hoffnung ist unsere stärkste Waffe"; Madsched Nassar - Volksfront zur Befreiung Palästinas. /// "Ohne massiven Druck von außen kein Frieden"; Michel Warschawski - Alternative Information Center. /// "Wir lassen uns nicht in einen Krieg mit der Palästinensischen Nationalbehörde treiben"; Abdel Maluh - stellvertretender Vorsitzender der PFLP. /// "Unser Kampf richtet sich nicht gegen die Juden, sondern gegen die Besatzung"; Abdalla al-Schami - Sprecher des Islamischen Dschihad

Antiimperialistische Koordination, PF 23, A-1040 Wien, Tel&Fax +43 1 504 00 10

 

Andrea Schön: Bündniskongreß Roter Tisch Jena/Ost-Thüringen

Fruchtbare Diskussionen und konkrete Anregungen zur Vernetzung von Kommunisten in Deutschland

Der Rote Tisch Jena/Ost-Thüringen, ein Zusammenschluß aus Vertretern verschiedener kommunistischer Organisationen und Einzelpersonen, veranstaltete vom 21. bis 23. September 2001 seinen ersten bundesweiten Bündniskongreß. Knapp 60 Organisationsvertreter und Einzelpersonen aus dem Spektrum DKP/SDAJ/KPD/RFB/FDJ/Neue Einheit trafen sich, um über gemeinsame theoretische und praktische Ansätze in den Bereichen Antifaschismus, Militarismus, politische Aspekte von Krieg und Frieden, Nationalismus/Imperialismus sowie Wahlbündnisse und antiimperialistischen Kampf zu diskutieren.

Beherrschendes Thema des Kongresses waren außerdem die Ereignisse des 11. September und die abzusehenden Folgen imperialistischer Intervention einschließlich der aufziehenden Weltkriegsgefahr. Es wurde daher eigens eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema eingerichtet und eine gemeinsame Resolution verabschiedet. Die Diskussionen verliefen trotz teilweise heftiger Meinungsverschiedenheiten in einer äußerst solidarischen und um konstruktive Ergebnisse bemühten Atmosphäre. Immer wieder wurde die Notwendigkeit bekundet, daß sich alle Kommunisten in Deutschland in einem gemeinsamen organisatorischen bzw. Handlungsrahmen zusammenfinden, UNABHÄNGIG VON IHRER SONSTIGEN ORGANISATORISCHEN BINDUNGEN.

Die konkreten Vorschläge zur Vernetzung sollen als ein Schritt in diese Richtung verstanden werden. Es geht dabei vor allem darum, Pools von Aktionsterminen, Referenten, Schulungsmaterial, Videos etc. zu schaffen, die den Zugang zu Informationen erleichtern und den Erfahrungsaustausch bzw. Aktionseinheiten befördern. Äußerst beachtenswert ist auch die Idee, einen "kommunistischen Block" auf der LLL-Demo zu bilden, um unsere Kräfte und die Bestrebungen nach "kommunistischer Einheit" auch nach außen sichtbar zu machen. Des weiteren ist der Vorschlag zur Erstellung/Nutzung einer "kommunistischen Sonderseite" in der Jungen Welt, insbesondere für die Veröffentlichung von Terminen, Veranstaltungen, Aktionen etc., als wichtiger Schritt in Richtung Vernetzung zu bedenken.

Alles in allem kann man die GenossInnen aus Jena und Umgebung nur beglückwünschen zu ihrer enormen Leistung, mit äußerst begrenzten Kräften eine solche Veranstaltung auf die Beine gestellt, wertvolle Anregungen gegeben und eine ausgesprochen solidarische Atmosphäre, in der zugleich offen und kompromißlos um ideologische Grundpositionen gerungen werden konnte, geschaffen zu haben. Hut ab!

Resolution des Bündniskongresses

Die folgende Resolution wurde nach intensiver Diskussion im einmütigen Konsens (per Akklamation) verabschiedet und somit als Resolution des gesamten Kongresses deklariert. Heftig debattiert wurde in diesem Zusammenhang die Rolle des deutschen Imperialismus und das Kräfteverhältnis mit den USA. Meiner Ansicht nach gilt es gerade bei den laufenden Kriegsereignissen, die Manöver der europäischen Staaten, insbesondere Deutschlands, genauestens zu beobachten. Bei all der lauthals beschworenen "rückhaltlosen Solidarität" gegenüber der U.S.-Kriegsführung werden sich die Europäer, allen voran Deutschland, um die Wahrung ihrer eigenen Interessen bemühen, insbesondere im Hinblick auf ihre Beziehungen zu den arabischen Staaten. So ist es kein Zufall, daß die Bundesregierung den EU-Partnern auf der Außenministertagung in Luxemburg am 8. Oktober ein Strategiepapier für Afghanistan vorgelegt hat, wonach nach einem möglichen Sturz der Taliban-Regierung eine neue Regierung unter UN-Beteiligung aus Vertretern der oppositionellen Nordallianz, dem ehemaligen Königs Zahir Schah und Exilafghanen gebildet werden soll (Financial Times Deutschland, 8.10.2001). Man will mit diesen Plänen auf jeden Fall verhindern, daß Afghanistan zum U.S.-Protektorat und Brückenkopf im rohstoffreichen Kaukasus wird. Auch wird die "Antiterrorallianz" nicht nur in der arabischen Welt, sondern insbesondere auch in Europa heftige Risse bekommen, sobald die US-Aggression auf weitere Staaten der Region übergreift. Es sind diese Bruchstellen, die den Keim des Dritten (innerimperialistischen) Weltkriegs in sich bergen ... (A.S.)

Teil I: "An Alle!! Vom 21.-23.9.2001 fand in der Nähe von Jena der 1. bundesweite Bündniskongreß vieler linker, antiimperialistischer und antikapitalistischer Organisationen, Gruppen, Parteien, Bündnisse und Einzelpersonen statt.

Der Bündniskongreß ruft alle progressiven Kräfte auf, dem vom US-Imperialismus und der NATO geplanten Krieg gegen die von ihnen unterdrückten Länder entschieden entgegenzutreten. Der Terroranschlag gegen die USA ist ihnen ein willkommener Anlaß, um ihre machtpolitischen Ziele durchzusetzen und von der weltweiten ökonomischen Krise des Imperialismus abzulenken. Die imperialistischen Weltherrschaftspläne, allen voran die der USA, aber auch Deutschlands zielen auf die Erhaltung und Ausdehnung der Rohstoffquellen und Absatzmärkte ab. Dies bringt den Rüstungskonzernen und dem Finanzkapital Riesenprofite ein. Die innerimperialistischen Widersprüche verschärfen die weltweite Kriegsgefahr erheblich. Zur Kriegsvorbereitung schrecken die Herrschenden auch nicht davor zurück, Völkerrecht und Grundrechte auszuhebeln. Unter dem Vorwand der Bekämpfung des Terrorismus sollen oppositionelle Kräfte, ja ganze Länder paralysiert, mundtot gemacht und ausgeschaltet werden. Die Befürchtung besteht, daß in der BRD Notstandsgesetze aktiviert und unliebsame Ausländer in ihre Fluchtländer abgeschoben werden. Wir verurteilen das und rufen zum Widerstand dagegen auf.

Der Bündniskongreß appelliert an alle progressiven Kräfte auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene, Bündnisse gegen diese Kriegstreiberei zu gründen und die Bevölkerung in aktiver Form über die wahren Hintergründe aufzuklären."

Teil II: "Schwerpunkte der Diskussion waren regionale, nationale und internationale Aspekte. Auf regionaler Ebene sollen Wahlbündnisse von Kommunisten und Sympathisanten geschaffen werden. In Auswertung unterschiedlicher Erfahrungen mit ähnlichen Ergebnissen wird die Notwendigkeit unterstrichen, eine Zusammenarbeit aller Friedenskräfte zu intensivieren. Dabei sollte darauf geachtet werden, daß auch individuelle Kräfte und Einzelpersonen stärker einbezogen werden.

Deutschlandweit regen die Anwesenden des Bündniskongresses alle Parteivorstände und überregionalen Initiativen und Organisationen dazu an, die regionalen Bündnisse nach Kräften zu unterstützen. Alle Parteien und Gruppierungen werden gebeten., eine stärkere Koordinierung ihrer Kontakte und Verbindungen zu ausländischen Parteien und Initiativen zur Schaffung einer internationalen Aktionseinheit zu erreichen.

Des weiteren wird angeregt, internationale Friedensbündnisse zu initiieren und zu fördern.

Die Teilnehmer des Kongresses übernehmen den Auftrag, diese Ergebnisse in ihren Verantwortungsbereichen auszuwerten und eigene Schlußfolgerungen daraus abzuleiten."

Konkrete Anfragen und Anregungen

Der 1. Bündniskongreß der Linken hat beschlossen, ein gemeinsames, landesweites Bildungsarchiv zu schaffen. Sein Ziel soll es sein, eine wirksame Unterstützung in der Bildungsarbeit zu leisten und Angebote (Vorträge, Foren, Seminare, Informationsrunden) bundesweit verfügbar zumachen. Diese Angebote können aus allen Bereichen des Lebens, der Geschichte, der Politik oder Kultur kommen.

Eine Beschränkung wird nur insoweit vorgenommen, daß wir geschlechterfeindliche, rassistische oder gar faschistische bzw. pro-imperialistische Propaganda nicht dulden werden. Das Archiv werden wir ins Netz stellen und dann bundesweit zur Betreuung ausgeschrieben. Dies in dem Bestreben eine linke Gruppe, Vereinigung, Bündnis oder gar Partei zu finden die es betreut und ständig aktualisiert. Dabei muß es aber völlig Partei oder Strömungsneutral weitergeführt werden. Weiterhin werden wir alle linken Gruppen bitten, in ihre Internetpräsentationen, einen Link auf diese Seite an einzufügen um sie breiter verfügbar zu machen.

Unterstützt die Gründung des Bildungsarchivs durch Eure aktive Mithilfe! Wir brauchen dringend Eure Vorträge, Euer Wissen, Euer Engagement!

Zu den einzelnen Themen bräuchten wir folgende Informationen

1.Titel // 2.Kurzer Inhalt oder Gliederung // 3.Zeit // 4.Welche technische Unterstützung wird gebraucht // 5.Wer führt es durch (ev. aus welcher Region stammend – wegen Fahrtkosten) // 6.Welche Kosten entstehen // 7.Kontakt über ...

Natürlich werden wir die Seite in verschieden Rubriken einteilen um die Suche nach den geeigneten Vortrag zu erleichtern. Bei Vorhandensein von zwei oder mehr gleichlautenden Vorträgen werden alle veröffentlicht, wobei die Angabe der Region aus der der Referent kommt dann günstig wäre. Der Kontakt zu einem Referenten kann entweder direkt oder über die Vermittlung durch das Archiv hergestellt werden.

Dieses Archiv kann eine wertvolle Arbeit leisten und zu einer schlagkräftigen Waffe, gegen das System der Massenverdummung in diesem Staat, werden. Es liegt an uns – darum unsere Bitte: helft!

Der Rote Tisch im Auftrag des ersten Bündniskongresses der Linken. Kontakt über: SDAJ Thüringen, 07623 Hermsdorf, Postfach 2309 oder E - Mail: rotertisch@web.de

Weitere Vorschläge, die im Vorfeld zusammengetragen bzw. auf dem Kongreß vorgestellt wurden:

- antiimperialistische Blöcke bei Antiglobalisierungsdemonstrationen oder der alljährlichen LLL-Demonstration

- die Fortführung persönlicher Zusammenkünfte politischer AktivistInnen im Rahmen internationaler Zusammenhänge wie z.B. die Antiimperialistische Konferenz in Prag (20. bis 22.9.2002) oder die Ausrichtung Antiimperialistischer Sommerlager

- regelmäßige regionale bzw. bundesweite Treffen der AktivistInnen

- regionale 1.-Mai-Demonstrationen mit antiimperialistischem und revolutionärem Charakter

- eine zentrale Termindatei zur gegenseitigen rechtzeitigen effektiven Information und möglichen Vermeidung allzu großer Terminüberschneidungen

- ein gemeinsamer Referentenpool mit Fachleuten für Spezialgebiete

- Erstellung/Nutzung einer kommunistischen Sonderseite in der Jungen Welt

- Erstellung eines Videoarchivs in Zusammenarbeit mit der SDAJ Friedberg

Für alle Vorschläge/Anregungen/Mitarbeit wende man sich an die Adressen des Roten Tisches!

Andrea Schön, Darmstadt

 

Antifaschistische Aktion Hannover: Anständiger Aufstand.

 

Eine Auswertung

Am Samstag den 9. März 2002 fand in Barsinghausen eine Demonstration unter dem Motto:"Wir bleiben hier" statt. Diese Demonstration sollte eine Gegenveranstaltung zu dem gleichzeitig stattfindenen Nazi-Aufmarsch der NPD/JN und der sogenannte „Kameradschaft Weserbergland" sein.

Sie wurde von einem „Bündnis gegen Rechtsextremismus" aus Barsinghausen organisiert, das ursprünglich von den örtlichen „JungsozialistInnen in der SPD" (Jusos) ins Leben gerufen worden war. Dieses Bündnis besteht im wesentlichen aus VertreterInnen der etablierten Parteien von den Grünen bis zur CDU und deren Jugendorganisation „Junge Union", aber auch aus örtlichen kirchlichen, schulpolitischen und gewerkschaftlichen Kreisen sowie dem „alternativ" geprägten aber städtisch abhängigen Jugendtreff „Falkenkeller".

Die Antifaschistische Aktion Hannover machte hingegen in ihrem Aufruf deutlich, dass sie zu einem „anständigen Aufstand gegen den Aufmarsch der Neo-Nazis" aufruft. Angelehnt ist diese Metapher an dem von Bundeskanzler Gerhard Schröder ausgerufenen „Aufstand der Anständigen". Dass der Schrödersche "Aufstand der Anständigen" kein Aufstand ist und wenig mit Anstand zu tun hat ist für uns keine Frage: Nicht nationalistische Diskurse werden bekämpft, nicht Rassismus und auch nicht das immer noch gültige und antiquierte Bluts- und Abstammungsrecht als vorrangige Ausgangsbasis für den Besitz eines bundesdeutschen Personalausweises! Dieses „Abstammungsrecht" ist Grundlage für völkische Ideen und einer fiktiven deutschen „kulturellen Identität" und „Leitkultur". Schröders „Aufstand der Anständigen" richtet sich gegen den Extremismus an sich und macht in alter Manier die Gleichsetzung von links und rechts – wobei selbst den Schwerfälligsten zwischenzeitlich aufgegangen sein dürfte, dass es die Rechten sind, die Häuser niederbrennen, Menschenjagden veranstalten und für den Tod zahlloser Menschen verantwortlich sind. Der sogenannte „Aufstand der Anständigen" war und ist in erster Linie ein Griff in die Mottenkiste der Totalitarismusthesen mit dem Ziel der Stabilisierung der deutschen Kriegs-Zivilgesellschaft, – und das selbst in Zeiten von Kriegseinsätzen der Bundeswehr!"

Wer diesen 'antitotalitären Konsens' in Frage stellt, wer z.B. den alltäglichen und von allen Regierungsparteien getragenen Rassismus der deutschen Asyl- und Migrationspolitik benennt, zwingt den diskursiven Mainstream, über die Wurzeln nachzudenken, darüber, woher rassistischer Terror und antisemitische Hetze stammen, und ist deshalb zugleich "extremismusverdächtig" und damit diskreditiert.

Von den örtlichen VertreterInnen genau dieser Regierungsparteien wurde die Demonstration maßgeblich initiiert und angeführt. Ein Dilemma für AntifaschistInnen, die den Minimalkonsens ‚Alle gemeinsam gegen die Nazis‘ kritisch in Frage stellen. Konsequenter Antifaschismus will nicht nur die Neonazis bekämpfen sondern auch an die Wurzeln des Problems gehen und die Zusammenhänge, in denen der Neofaschismus steht, aufzeigen.

Als Antifaschistische Aktion Hannover [AAH] beteiligen wir uns aber auch an antifaschistischen Demonstrationen wie in Barsinghausen, die von linksliberalen und bürgerlichen Kräften zumindest geprägt sind. Es ist uns wichtig mit unseren Positionen auch an antifaschistische Kräfte heranzutreten, die sich nicht der radikalen Linken zuordnen lassen. Und auch das Bewußtsein einer Bevölkerung, die zunehmend apolitisch – oder sogar ‚rechts eingestellt‘ – ist, wird sich nicht durch das Fernbleiben einer radikalen Linken dahingehend verändern, dass sie sensibel und empört auf das Auftreten neofaschistischer Gruppen oder die Durchsetzung rassistischer Politik reagiert!

Wobei die Beteiligung an Demonstrationen, auf deren inhaltlicher Ausprägung man keinen Einfluß hatte, die Gefahr birgt, stillschweigend die totalitaristische, rassistische und heute auch kriegsführende Politik Deutschlands zu unterstützen und sich als ‚Fußvolk‘ für den Schröderschen ‚Aufstand der Anständigen‘ herzugeben. Gegen diese Politik hätten wir lieber einen anständigen Aufstand.

Betreffend der Demonstration am 9.3.2002 in Barsinghausen war für die Antifaschistische Aktion Hannover [AAH] klar: Der Aufmarsch der Nazis sollte verhindert oder zumindest empfindlich gestört werden und auf der Kundgebung des Bündnisses sollte ein Redebeitrag gehalten werden, mit dem unsere politischen Beweggründe vermittelt werden. Was in der Berichterstattung der Medien überhaupt nicht auftauchte: Dieser Redebeitrag wurde auch gehalten, weil die [AAH] mit einem Redebeitrag spontan für die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN - Bund der AntifaschistInnen) einspringen durfte. Eine Sprecherin der Antifaschistischen Aktion Hannover [AAH] erklärte folgendes:

Dass die Neonazis heute so oft und so zahlreich auftreten können liegt auch daran, dass der Staat und die jeweiligen Regierungen jahrelang eine Politik gemacht haben, die die Entwicklung des Neofaschismus ignoriert bzw. vorangetrieben hat: Mit "akzeptierender Sozialarbeit" haben sie nicht nur den Neofaschismus zu einem Jugendproblem angeblicher Modernisierungsverlierer verharmlost, sie haben den Neofaschisten zudem zu Treffpunkten, Übungsräumen usw. verholfen. Mit den "Ausländergesetzen" haben sie nicht nur die Lage der MigrantInnen beständig verschlechtert. Weit davon entfernt, die gleichen Rechte oder die Gleichheit für alle Menschen anzustreben, wird hinaus geschmissen wer nicht "nützlich" ist, rein gelassen wer "nützlich" ist und wieder rausgeschmissen wer nicht mehr "nützlich" ist. Damit haben sie rassistischen Angriffen Legitimität verschafft. Mit der Sozial- und Wirtschaftspolitik haben sie den ArbeiterInnen nicht nur Lohndumping und Niedriglohnsektoren beschert, bzw. dem Kapital die Durchsetzung immer schärferer Akkordhetze ermöglicht, sondern auch der sozialen Demagogie faschistischer Organisationen Tür und Tor geöffnet. Mit der Außenpolitik haben sie nicht nur dafür gesorgt, dass deutsche Truppen wieder weltweit marschieren können, sie haben zudem innerhalb der Gesellschaft soldatischen Männerbildern und Werten zu neuem Ansehen verholfen. Dabei verhelfen Stereotypen von "Anstand und Sauberkeit, "eisenhartem Durchgreifen", "politischer Hygiene", der Hetze gegen die "faulen arbeitslosen Drückeberger" und der Ruf nach "lebenslangem Wegsperren von Kinderschändern" etc. Versatzstücken rechtsradikaler Ideologie zu neuem Glanz und Gloria. Gleichzeitig wird der "Stolz, ein Deutscher zu sein" wiederentdeckt. Das dieser Stolz weniger völkisch definiert wird, sondern vielmehr standort-nationalistisch ist, macht ihn nicht besser. In diesem Zusammenhang zeigt sich auch, dass der sogenannte "Aufstand der Anständigen" mit Antifaschismus herzlich wenig zu tun hat. Statt dessen trägt er mit seiner Ideologie des "Anti-Extremismus" und "Anti-Totalitarismus" zur Formierung eines repressiven, neoliberalen Staates bei. Dass das „Bündnis gegen Rechtsextremismus Barsinghausen" und die Medien diesen Redebeitrag gewissenlos verschwiegen haben, macht deutlich, dass radikale Kritik an den herrschenden Verhältnissen und eine tatsächliche Analyse von der Bedeutung neofaschistischer Organisationen nicht erwünscht sind. Vielmehr geht es darum einer Kleinstadt wie Barsinghausen wieder zu besserem Ansehen zu verhelfen und autonome Politik auf Militanz zu reduzieren.

Das System schafft sich seine eigenen Kinder. Hand in Hand verkünden NPD, die hiesigen Medien und die Stadt Barsinghausen: „Schreckliche Gewalttätigkeiten" seien von „linken Krawallmachern" aus Hannover ausgegangen. Wie diese „schreckliche Gewalt" aussah, fragt sich die/der kritische BetrachterIn noch heute. Etwa als rund 30 Menschen versuchten ihren antifaschistischen Protest offensiv dort hinzutragen, wo dieser auch hingehört? Nämlich direkt zur NPD- Kundgebung! Sicher, diese 30 Menschen waren mit einem Transparent „bewaffnet" und gaben somit allen Grund für die Polizei gemeinsam mit den Nazis, die im Übrigen mit Flaschen und Knüppeln bewaffnet waren, auf die AntifaschistInnen einzuschlagen. Nun ja nichts neues im BRD- Alltag. Aber die Geschichte nimmt noch kein Ende. Bei dem Abmarsch der rund 50 Nazis, hatten vor allem junge AntifaschistInnen einen Blockade- Versuch unternommen. Dieser wurde brutal von der Polizei weg geprügelt. Eine Aufforderung von Seiten der Staatsmacht, die Straße zu räumen erfolgte nicht. Nicht verwunderlich, wenn Jugendliche, die zumeist ihre ersten Protesterfahrungen machen, dann zu den Steinen greifen, um sich zu wehren. Der Juso-Vorsitzende Markus Hugo, der gleichzeitig als Sprecher des Barsinghäuser Bündnisses auftritt, betonte während der Demonstration immer wieder die Gewaltlosigkeit und forderte sie einpeitschend von allen DemonstrantInnen ein. Dabei vergisst er die Ursachen von Gewalt und Gegengewalt zu benennen: Ist es doch die kapitalistische Gesellschaft an sich, in der die Gewalt strukturell angelegt ist und auch drakonisch durchgesetzt wird.Zwang und Gewalt sind weder Versehen noch Ausnahme. Jegliche „öffentliche Ordnung" wird durch gewaltgesetzte Grenzen aufrechterhalten. Zu dieser öffentlichen Ordnung gehört der Krieg wie z.B. auf dem Balkan oder in Afghanistan genauso wie die Existenz faschistischer Organisationen.

Das Treiben von faschistischen Organisationen wird durch staatliche Organe wie den Verfassungsschutz gefördert. Es gibt ein Interesse an der „kontrollierten Existenz" des Neofaschismus – und somit ein Interesse an der Gewalt, die die Neonazis alltäglich ausüben:Neofaschistische Propaganda, wie sie z.B. mit Kundgebungen der NPD in die Öffentlichkeit getragen werden soll, spielt eine Vorreiterrolle, an deren Akzeptanz in der Bevölkerung abzusehen ist, welche administrativen Maßnahmen, beispielsweise in der Rechtsprechung, politisch durchsetzbar sind.Durch die Eigendynamik neofaschistischer Gruppen und der von ihnen mobilisierten Anhänger wird der militante Neofaschismus zum ausführenden Organ einer Politik der „Drecksarbeit auf der Straße", inklusive brutalster Gewalt, deren Umsetzung durch staatliche Organe nach aktueller Rechtslage nicht möglich ist. Das Nichteingreifen der Polizei bei vielen direkten Aktionen der Faschisten, die Entpolitisierung von neofaschistischem Terror und das Märchen vom „Einzeltäter mit ungünstiger Sozialisation" durch Medien und Sozialwissenschaftler gaben und geben den Neofaschisten Handlungsfreiraum für bestimmte Zwecke in bestimmten Situationen. Die Neonazis  erfüllen ihren Zweck - und gleichzeitig kann der Staat sich von ihnen distanzieren.Im selben Moment benutzen Politiker und Massenmedien die sich zuspitzenden Auseinandersetzungen zwischen Antifaschisten und Neofaschisten zur Manifestierung der Totalitarismusthese, nach der der Staat gleichermaßen von „Links-" und „Rechtsextremisten" bedroht wird.

Der bürgerlich-demokratische Staat Bundesrepublik Deutschland - juristisch gesehen der Rechtsnachfolger des III. Reiches - ist demnach die „demokratische Mitte", dessen Existenz ständig durch repressivere Gesetze und Vorschriften sowie einen Polizeiapparat mit immer weiter gehenden Befugnissen abgesichert werden muss.In diesem Sinne ist der Mord an einem Asylbewerber „verwerflich", aber seine Abschiebung „legal", ganz gleich, welches Schicksal in seinem Herkunftsland auf ihn wartet. Selbst bürgerliche Rechts- und Freiheitsideale werden somit immer weiter zurückgeschraubt. Wenn Faschismus als eine Form bürgerlicher und kapitalistischer Herrschaft begriffen wird, ist es zwangsläufig, dass der bürgerlich-kapitalistische Staat sich mehr von AntifaschistInnen als denn vom Neofaschismus bedroht sieht. Genießen die Neofaschisten die Toleranz des kapitalistischen Staates innerhalb der vermeintlich „kontrollierbaren Existenz", zwingen sie linken und emanzipatorischen Bewegungen einen Abwehrkampf auf, in dem Kräfte gebunden werden, die sich ansonsten gegen den kapitalistischen Staat und all seine Auswüchse richten können. Auch in der Bindung dieser Kräfte verdeutlicht sich das große Interesse an der Nicht-Zerschlagung neofaschistischer Strukturen durch den Staat. Und somit auch an der Aufrechterhaltung alltäglicher Gewalt. Selbst ein NPD-Verbot wird daran nichts ändern!

Eine „Gewaltdebatte" ohne diese politischen Hintergründe verschleiert die tatsächliche Situation. Faschismus und Krieg stehen nur formal im Gegensatz zur bürgerlichen Demokratie, die moralisch und juristisch das ausschließen muss, was sie selbst erzeugt und nach Außen vertreten muss. Hinter dieser Demokratie steht der Kapitalismus, der die Faschisten dann benötigt, wenn seine eigene Existenz in Frage gestellt ist.Die Gewaltfreiheit des „demokratischen Bürgers" ist daher nicht die reflektierte Gewaltlosigkeit einer emanzipierten Gesellschaft, sondern konstitutives Element der kapitalistischen Gesellschaft. Kapitalistischer Alltag bedarf eben nicht des - ständig eingeforderten - Verzichts auf "jede Gewalt". Er verträgt lediglich diejenige Gewalt nicht, die seine Verkehrsformen beeinträchtigen, während er sich notwendig auf andere stützt. Gewalt erscheint als das ausgeschlossene der bürgerlichen Gesellschaft, als zivilisationsfeindlich und ordnungszerstörend. Gewalt erscheint aber als das Andere der demokratischen Gesellschaft, weil ihr Ausschluss aus der Gesellschaft Gewalt in einen vermeintlichen Naturzustand rückprojeziert, auf einen "Krieg Alle gegen Alle" ausgelagert wird, der von den bürgerlichen Rechtsformen zu bändigen sei, obwohl doch erst durch diese der marktliberale Kampf "Alle gegen Alle" möglich wird. In der kapitalistischen Gesellschaft aber erscheint Gewaltverzicht nur deshalb vernünftig und moralisch zwingend, weil sie die Vernunft und Moral der Marktwirtschaft und des freien und gleichen Warenverkehrs sind. Der Gewaltverzicht kann daher dem Individuum abverlangt werden, ohne das er Wesensmerkmal der Gesellschaft zu sein braucht, im Gegenteil; die Gewaltlosigkeit richtet sich genau nach den Kategorien kapitalistischer Vergesellschaftung aus, in der Gewalt an anderer Stelle notwendig und alltäglich bleibt. So garantiert das Gewaltmonopol des Staates nicht das Ende von Gewalt, sondern bestimmt lediglich deren Grenzen und sanktioniert dysfunktionales und destruktives Verhalten im Sinne von Warenverkehr und -produktion und ihrer notwendigen Rechtsformen. Wie anders kann es sein, dass gerade Kids Gewalt als Spektakel empfinden. So ist es doch ein Highlight in dieser tristen verkonsumierten Gesellschaft, wenn Mensch erlebt, sich mit anderen zu solidarisieren und gemeinsam gegen Gewalt (ob nun von Polizei oder Nazis) gewalttätig bürgerliche Grenzen überschreitet. Gerade in der Ausgrenzung durch Bürger und Medien liegt die Würze. Eine Vereinnahmung durch Kommerz und bürgerlicher Zivilgesellschaft ist hier tatsächlich nicht gegeben.

Barsinghausen die Dritte und kein Ende? Gibt es doch langläufig wichtige Tagespolitische Ereignisse, wie der Protest gegen den Krieg in Afghanistan, die rassistische Deportation von Flüchtlingen, sowie den Überwachungswahn der Herrschenden, die die radikale Linke zum Handeln zwingt, wenn da nicht auch noch die notwendige antifaschistische Selbsthilfe wäre. Offenkundig versuchen NPD und sogennante „Freie Kameradschaften" aus Barsinghausen einen Wallfahrtsort der Nazis zu produzieren, um somit jeden emanzipatorischen Ansatz in dieser Kleinstadt zu erdrücken. Dabei stoßen die Nazis durchaus auf fruchtbaren Boden, denn die „Stadtväter" von Barsinghausen machen in alter totalitaristischer Manier den Feind links aus. Zum 27.04.02 haben die Nazis nun wieder einen Aufmarsch angemeldet- dieses mal wollen sie bundesweit mobilisieren. Für uns gibt es dabei nur eine Antwort: Eine kraftvolle antifaschistische Demonstration weit ab von deutscher Zivilgesellschaft! Zusammen kämpfen! Für das Ende kapitalistischer Gewalt!

Antifaschistische Aktion Hannover, Kornstr. 28-30, 30167 HannoverFax/AB: 040/3603817037

 

 

Zur Lesereise mit Harpal Brar: „Imperialismus..."

Frank Flegel: Kurzbericht

 

Die Reise hatte 16 Stationen, dauerte drei Wochen und fand großes Interesse. Die Teilnehmerzahlen schwankten zwischen 25 und 60 Personen, insgesamt haben fast 600 Genossinnen und Genossen teilgenommen! Die Aufnahme jeweils vor Ort war herzlich, die Atmosphäre sehr gut und die Dikussionen waren interessant und wichtig. Das alles hat unsere Erwartungen übertroffen, denn einer solchen recht umfangreichen Reise steht man als Mitorganisator ja immer auch etwas angespannt, vielleicht sogar ängstlich gegenüber. Aber wir durften erleben, dass unsere Befürchtungen unbegründet waren, was vor allem daran lag, dass die Genossinnen und Genossen vor Ort ganze Arbeit geleistet haben: Räume, Übersetzer/innen, Öffentlichkeitsarbeit, Unterbringung – alles lief wie am Schnürchen! Das Imperialismus-Buch und auch die Ankündigung eines weiteren Buches von Harpal Brar in deutscher Übersetzung „Perestrojka – der völlige Zusammenbruch des Revisionismus" wurde breit publik gemacht.

Und was uns besonders freut: das Ganze war kein finanzielles Desaster (Harpal Brar hatte angeboten, eventuelle Defizite, die durch die Fahrt- und Übernachtungskosten, die Anreise aus England usw. entstehen könnten, selbst zu bezahlen), die Genossinnen und Genossen vor Ort haben jeweils so viele solidarische Spenden aufgebracht, dass die ganze Angelegenheit ohne Defizit ausgegangen ist. Herzlichen Dank dafür!

Allen, die an der Organisation der Lesereise beteiligt waren, egal ob zentral oder lokal vor Ort, sei hiermit nochmals gedankt! Nach diesen guten Erfahrungen kann es möglich sein, eine weitere solche Reise mit Harpal Brar und seinem Perestrojka-Buch zu unternehmen. Aber hierüber wird noch weiter zu beraten sein.

In diesem Heft bringen wir unter der Rubrik „Imperialismus" den von Harpal Brar vorbereiteten, ins Deutsche übersetzte Eröffnungsvortrag seiner Lesereise (für all diejenigen, die ihn noch mal lesen wollen oder die nicht teilnehmen konnten). Frank Flegel, Hannover

 

Harpal Brar: Über meinen Deutschlandbesuch

Auf Einladung des antirevisionistischen Magazins „Offensiv" und des fortschrittlichen Verlages „Pahl-Rugenstein-Nachfolger" war ich drei Wochen lang in Deutschland, um die gerade erschienene deutsche Übersetzung meines Buches „Imperialismus im 21. Jahrhundert, Sozialismus oder Barbarei" zu präsentieren und publik zu machen. Diese deutsche Ausgabe meines Buches wurde möglich gemacht durch das Engagement sowohl des oben genannten Verlages und der Offensiv sowie durch die Arbeit des Anti-Imperialistischen Forums Deutschland.

Während dieser Reise sprach ich an 16 verschiedenen Orten, fuhr kreuz und quer durch die BRD und war auch in Luxemburg. Die Veranstaltungen wurden in Kooperation mit lokale Organisationen von DKP, PDS (beide an mehreren Orten), KAZ (in Nürnberg), Rotem Tisch (in Jena), Cuba-Solidaritäts- und anti-imperialistischen Gruppen (in Heidelberg), Antifa-Gruppen (in Braunschweig), DVS (in Frankfurt/M) und der Kommunistischen Partei Luxemburgs durchgeführt.

Diese Veranstaltungen waren weit über meine Erwartungen hinaus erfolgreich, vor allem bewiesen sie die Richtigkeit der von den Organisatoren vorgenommenen Einschätzung, dass ein Angebot intensiver politischer und ideologischer Arbeit auf lokaler und regionaler Ebene auf großes Interesse stoßen würde. Alle Veranstaltungen zogen erstaunlich viele Menschen an und waren von großem Ineresse geprägt, was sich in lebendigen Diskussionen sowie klugen Fragen und Antworten zeigte, die auf meine Ausführungen folgten.

Es waren so viele Menschen, deren Anstrengungen diesen Erfolg der Lesereise erst ermöglichten, und es gab so viele Menschen, die mich freundlich bei sich aufnahmen und mir Quartier gaben, dass es mir gar nicht möglich ist, ihnen allen persönlich zu danken. Ich möchte aber nicht versäumen, in diesem kurzen Bericht all diesen wunderbaren Genossinnen und Genossen in Berlin, Potsdam, Jena, Leipzig, Halle, Schwedt, Bernau, Frankfurt/M, Köln, Nürnberg, Darmstadt, Braunschweig, Heidelberg, Bonn und Luxemburg meinen von Herzen kommenden Dank auszudrücken. Ihr Engagement und ihre Wärme haben bei mir wirklich einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Und zum Schluss möchte ich Mathias Musch und Andrea Schön danken, die die harte Arbeit übernahmen, den englischen Text meines Buches ins Deutsche zu übersetzen und es so möglich machten, dass ich meine Auffassungen über den Imperialismus mit dem deutschen Proletariat teilen konnte.

Harpal Brar, London, 12.4.2002, Übersetzung: Red. Offensiv

 

Imperialismustheorie

Harpal Brar: Vortrag auf der Lesereise in der BRD vom 1. bis 22. März 2002

In meinem Buch „Imperialismus im 21. Jahrhundert – Sozialismus oder Barbarei" habe ich anhand unzweifelhafter Statistiken aus renommierten bürgerlichen Quellen die Richtigkeit von Lenins Imperialismustheorie und ihre heutige Aktualität nachgewiesen. Ich konnte in diesem Datenmaterial eine umfassende Bestätigung für die Hauptkriterien von Lenins Imperialismus-begriff finden:

- den Prozeß der Monopolisierung

- zunehmenden Kapitalexport

- die Verschmelzung von Bank- und Industriekapital zum Finanzkapital

- die Aufteilung der Weltwirtschaft durch internationale Kartelle

- das Bestreben nach territorialer Neuaufteilung einer bereits abgeschlossenen Aufteilung der Erde unter den kapitalistischen Großmächten.

In meinem Vortrag möchte ich Bezug nehmen auf die jüngsten Entwicklungen in diesen Bereichen:

1. Prozeß der Monopolisierung

a) weltweit: In der kurzen Zeit nach Veröffentlichung meines Buches beschleunigte sich die Monopolisierung der Weltwirtschaft in nie dagewesenem Ausmaß. Fusionen und Übernahmen erreichten 1997 weltweit einen Wert von 1,6 Billionen US-Dollar und 2,4 Billionen US-Dollar im Jahre 1998 (siehe Financial Times [im folgenden abgekürzt: FT] vom 29.12.1998, deren Zahlen auf Wertpapierdaten basieren). Diese Unsummen wurden in den beiden folgenden Jahren noch erheblich in den Schatten gestellt. Das Fusions- und Übernahmefieber führte 1999 zu einem Höhepunkt, in dem die Gesamtsumme einen bisher undenkbaren Wert von 3,4 Billionen US-Dollar erreichte (FT vom 28.1.2000). Allein in den Vereinigten Staaten erreichte der Umfang der Fusionen und Übernahmen 1999 1,7 Billionen US-Dollar – gegenüber 1,6 Billionen im Jahre 1998. Im Jahr 2000 schließlich stieg das Volumen in den USA sogar auf 1,8 Billionen.

Die folgende Tabelle gibt einige Beispiele für den Wert einzelner zufällig herausgegriffener Fusionen in den letzten drei Jahren:

Vodafone Mannesmann US$ 203 Mrd.

AOL Time Warner US$ 182 Mrd.

MCI Sprint US$ 115 Mrd.

BP Amoco US$ 94 Mrd.

Pfizer Warner-Lambert US$ 85 Mrd.

Glaxo Wellcome SmithKline Beecham US$ 78 Mrd.

Exxon Mobil US$ 77 Mrd.

Olivetti Telecom Italia US$ 66 Mrd.

Daimler-Benz Chrysler US$ 40 Mrd.

Nicht umsonst meint Herr Irwin Stelzer in der Sunday Times vom 22.8.1999: „Es gab einmal eine Zeit, in der ein Milliarden-Dollar-Deal eine Nachricht war, eine echte Nachricht, die Sonderberichte und stundenlange Expertenrunden im Fernsehen nach sich zog. Das ist heute nicht mehr so – aus gutem Grund ... Zum einen sind Fusionen in der Milliarden-Dollar-Liga heute so gewöhnlich, dass sie praktisch kaum noch erwähnenswert sind. Zum anderen kann eine Wettbewerbsbedrohung leicht ausgeräumt werden, indem man so lange an den Ecken und Kanten eines Deals herumfeilt, bis die Kartellbehörden zufrieden sind. Als John D. Rockefeller seine Standard Oil zusammenschob, gab es einen riesigen Aufschrei unter sensationsgierigen Journalisten, so daß die Monopolbrecher schließlich das Ganze zerteilten; als Exxon mit dem Kauf von Mobil seine zwei größten Bestandteile wieder zusammenflickte, widmete dem niemand viel Aufmerksamkeit." („Unwiderstehliche Kräfte treiben die Welt ins Fusionsfieber").

Und gerade im Bereich der Mineralölindustrie können wir eine atemberaubende Monopolisierung feststellen: Von dem ehemaligen 7 Schwestern-Kartell sind heute mal gerade drei Schwestern und ein „armer Cousin" übrig geblieben: ExxonMobil, BP-Amoco, Royal Dutch-Shell und – etwas abgeschlagen auf Rang 4 – TotalFinaElf.

b) Europa: Werfen wir einen Blick nach Europa. So schrieb die FT am 14.10.1997: „Übernahmen sind in Frankreich, Deutschland, Italien und anderen Staaten des Kontinents, die einst mit Hohn auf den ‘angelsächsischen’ Kapitalmarkt blickten, inzwischen gang und gäbe. Fusionen und Übernahmen haben in Europa gemäß dem Fachmagazin ‘Acquisitions Monthly’ bereits in diesem Jahr einen Wert von mehr als 280 Milliarden US-Dollar (einschließlich beabsichtigter Transaktionen) im Vergleich zum Vorjahreswert von 253 Milliarden und zum in den achtziger Jahren erreichten Spitzenwert von 148 Milliarden. Fast die Hälfte davon waren grenzüberschreitende Transaktionen". So atemberaubend diese Werte damals erschienen, so wirken sie doch recht kümmerlich im Vergleich zu den Zahlen für 1999 und 2000. Wenn die 1999 verkündeten Fusionen und Übernahmen einen Wert von 1,2 Billionen US-Dollar erreichten, so waren es im Jahr 2000 1,5 Billionen, was im übrigen dem Gesamtwert in den USA von 1,8 Billionen US-Dollar recht nahe kommt. Fusionsaktivitäten werden in Europa insbesondere durch die Umstrukturierung im Bereich Telekommunikation, Medien und Technologie sowie im Bereich Chemie und Pharmazie vorangetrieben. Unter den Aufsehen erregenden Transaktionen war z.B. die 78 Milliarden US-Dollar-Fusion von Glaxo Wellcome und Smith-Kline Beecham.

Die britische Wirtschaft ist eine der hochkonzentriertesten der Welt. Die einzig noch übrigen Bereiche für weitere Zusammenschlüsse sind Medien und Telekommunikation, Chemie, Öl, Freizeitprodukte und Finanzdienstleistungen. In den kleineren Bereichen, z.B. in der Lebensmittelproduktion, ist die Konsolidierung im wesentlichen abgeschlossen. Aus diesem Grund halten die größeren Firmen im Ausland Ausschau nach Mega-Deals. Im Jahre 1999 war Großbritannien „das weltweit agilste Land bei grenzüberschreitenden Akquisitionen, angespornt von Transaktionen wie Zenecas Übernahme von Astra, dem schwedischen Pharmakonzern" (FT, 30.6.2000). Die Einführung des Euro im Januar 1999 hat einen paneuropäischen Markt geschaffen, und ungeachtet der Tatsache, daß Großbritannien kein Mitglied der Einheitswährung ist, „betrachten Finanzunternehmen zunehmend die paneuropäische Konsolidierung als die größte Geschäftsquelle".

c) Deutschland: Laßt uns noch einen kurzen Blick auf Deutschland werfen: Hinter der Welle der Zusammenschlüsse – Fusionen, Übernahmen, Umstrukturierungen, Aufspaltungen und Allianzen –, die durch Europa fegt, liegt die beschleunigte industrielle Transformation von Europas größtem Wirtschaftsraum: Deutschland. Diese Transformation ist sowohl getrieben von und treibt ihrerseits an: die weltweite Konkurrenz, Deregulierung, Druck auf das Management in Sachen „Shareholder Value" (d.h. Profitmaximierung), durch Größe erlangte Möglichkeit zur Kostenreduktion, die Notwendigkeit zur Größe, um lauernde Raubtiere ebenso abzuwehren wie fallende Preise durch Konkurrenz, schließlich die Einführung des Euro und die Schaffung eines paneuropäischen Marktes. Deutsche Vorstände wie Ron Sommer von der Deutschen Telekom und Ulrich Hartmann vom (ehemaligen) Energiegiganten VEBA, Repräsentanten einer im Aufstieg befindlichen Generation rücksichtsloser Manager, haben sich auf den Weg gegen ihre europäischen und amerikanischen Rivalen gemacht mit einer Mischung aus Zusammenschlüssen im Heimatmarkt und Übernahmen im Ausland. „Allein in diesem Jahr", schreibt die Sunday Times am 28.8.1999, „haben die Giganten der deutschen Geschäftswelt sieben Fusionen und Übernahmen angekündigt. Die Deutschen sind Spätzünder in Sachen Globalisierung, aber sie legen einen unbändigen Aufholeifer an den Tag." (Michael Wood, „Deutschland auf dem Vormarsch")

Die Übernahme der britischen One2One durch die Deutsche Telekom, der Griff der Deutschen Bank nach der amerikanischen Bankers Trust, die ihr einen Platz unter dem ersten halben Dutzend der weltweit größten Banken verschaffte, die Fusion von Daimler mit Chrysler (tatsächlich eine Übernahme seitens Daimler) zum weltweit drittgrößten Automobilhersteller sowie die erfolgreiche Kampagne von Hoechst zur Überredung der französischen Rhône-Poulenc, „Bestandteil eines deutsch dominierten Life-Science-Giganten [Pharma- und Agrarprodukte – d.Ü.] mit dem freundlich klingenden Namen Aventis zu werden" (ebd.), all diese Transaktionen verdeutlichen den Erfolg des deutschen Monopolkapitals im Bereich internationaler Fusionsaktivitäten. Zu Hause fusionierte VEBA mit der bayerischen VIAG zu E.ON, um Europas größtes Energiekonglomerat mit einer Marktkapitalisierung von 90 Milliarden DM zu schaffen [sowie den weltweit größten privaten Energiedienstleister, der derzeit die Übernahme der Ruhrgas AG mit ihrem Ferngas-Marktanteil von 60% in Deutschland ansteuert – Anm. d.Ü.]

Die beiden jüngst zusammengeschobenen Banken- und Versicherungskonzerne Dresdner-Allianz und Bayerische HypoVereinsbank (letztere schuf mit der Übernahme der Bank Austria Europas drittgrößten Konzern nach Vermögenswerten und die Nr. 12 nach Marktkapitalisierung und besitzt das größte Banknetzwerk in Zentraleuropa – Deutschland, Österreich, Polen, Ungarn, die Tschechische Republik, die Slowakische Republik und Kroatien) haben zusammen mit der Deutschen Bank, die bereits zur internationalen Bank mit einem starken Investmentarm [der Deutschen Morgan Grenfell – d.Ü.] wurde, das deutsche Finanzkapital in eine außerordentlich starke Position katapultiert, um ihren imperialistischen Rivalen zu begegnen, und letztere zur Überdenkung ihrer Strategien bewogen.

Mit entwaffnender Offenheit und beinahe leninistischer Terminologie meint DaimlerChryslers Finanzdirektor Dieter Zetsche: „Es gibt nun keine neuen Märkte mehr in der Industrie zu entdecken. Wir bekämpfen einander um zu siegen. Das macht das Ganze so unterhaltsam." (zit. in Sunday Times, 29.8.1999).

Der Boden für die wahnsinnigen Fusionen im In- und Ausland wurde mit einem Angriff des deutschen Monopolkapitals auf die Arbeiterklasse mit dem Ziel gestartet, um endlich das abzuschaffen, was die Bourgeoisie und ihre intellektuellen Zuträger „traditionelle, unflexible Arbeitsbedingungen" nennen - mit Aussicht auf Kostenreduzierung und Erhöhung der Arbeitsproduktivität (zur verstärkten Abpressung von Mehrwert). Man lasse die FT vom 21.11.1998 zu diesem Thema zu Wort kommen: „Mit einer solchen Transformation hat das korporative Deutschland die traditionell zärtlichen Beziehungen zwischen Arbeit und Kapital erschüttert. Und es unternimmt einiges, um sich des Images einer konservativen Nation zu entledigen, die sich mehr um die Überreste ihrer sozialen Nachkriegsökonomie sorgt als um eine durch Modernisierung erzielte Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt.

Um das Ausmaß der Transformation zu erfassen, ist es notwendig zu verstehen, was dahinter liegt. Möglicherweise hat die größte Revolution in Deutschlands Fabriken stattgefunden, wo Unternehmer ein ganzes Arsenal flexibler Arbeitsmethoden eingeführt haben, die ein Jahrzehnt zuvor undenkbar gewesen wären. Arbeiter, insbesondere im Maschinenbau und der Autoindustrie, haben längere Arbeitszeiten sowie flexiblere Schichten akzeptiert. Verschiedene Firmen verwenden nun sogenannte Arbeitszeitkonten, die es Managern erlauben, in Zeiten großer Nachfrage die Arbeitszeit zu erhöhen gegen Freizeitausgleich in ruhigeren Zeiten. ‘Sechs Jahre zuvor war die japanische Autoindustrie die Richtschnur, danach strukturierte die US-Autoindustrie um, und nun sind wir oben auf der Liste’, sagt der Chefökonom eines deutschen Autokonzerns." (Graham Bowley, „Deutschlands neues Schaufenster").

d) Monopolisierung im Bankensektor: Wenn wir uns kurz die Entwicklung im Bankensektor anschauen, so lassen sich im Zuge des Fusionsprozesses folgende Entwicklungen feststellen: Von den einstmals ersten sechs japanischen Banken sind heute vier übrig geblieben, gefolgt von einer französischen, zwei US-Banken, einer deutschen, einer schweizerischen und einer britischen Bank:

Top 10 der Weltbanken (nach Vermögenswerten in Mrd. US$), September 2000

Fuji-IBJ-DKB 1999, Fusion aus Fuji Bank, Industrial Bank of Japan (IBJ) und Dai-Ichi Kangyo Bank (DKB) Japan: 1.481Mrd US$

Sanwa-Asahi-Tokai 1999, Fusion von Asahi Bank und Tokai Bank, 2000 Fusion mit Sanwa Japan: 1.056 Mrd. US$

Sumitomo-Sakura 2000, Fusion von Sumitomo und Sakura Japan: 960 Mrd. US$

Bank of Tokyo-Mitsubishi Japan: 691 Mrd. US$

BNP-Paribas 1999, Übernahme von Paribas durch Banque Nationale de Paris Frankreich: 674 Mrd. US$

Citigroup USA: 669 Mrd. US$

Bank of America 1998, Fusion mit NationsBank USA: 618 Mrd. US$

Deutsche Bank 1998, Fusion mit Bankers Trust Deutschland: 600 Mrd. US$

Union Bank of Switzerland (UBS) 1998; Fusion mit Schweizerische Bankgesellschaft (SBC) Schweiz: 564 Mrd. US$

Hongkong Shanghai Banking Corp. Holdings (HSBC) Großbritannien: 483 Mrd. US$

(Quelle: Reuters Securities 3000, zit. n. Financial Times vom 28.9.2000)

In diesem Zusammenhang einige Worte zur sogenannten Globalisierung: So fühlt sich Peter Martin in der FT vom 22.12.1998, wenn auch widerstrebend, zu folgender „konventionellen Weisheit" verpflichtet: „Nach konventioneller Weisheit spiegeln die heutigen Mega-Mergers die unwiderstehliche Kraft der Globalisierung wider. So wie die vergangene Jahrhundertwende Zeuge der Entstehung beherrschender Unternehmen auf nationaler Ebene wurde, gebären die heutigen Fusionen Konzerne mit globaler Dominanz ... Die ehrgeizigsten großen Firmenbosse ergreifen die Gelegenheit, noch größer zu werden, um ein Ausmaß zu erreichen, das ihre kleineren Rivalen für immer abhängt. Nach dem Motto: Jetzt fusionieren oder in ultimative Vergessenheit geraten." („Vollfressen mit Fusionen"). So nehmen die meisten bürgerlichen Kommentatoren die irrsinnige Monopolisierung der Weltwirtschaft wahr – in Begriffen der globalen Beherrschung. Und, angesehene Bourgeois, die sie sind, erklären sie zugleich den Marxismus-Leninismus für tot und begraben. Aber was unterscheidet diese Wahrnehmung von der in folgenden Worten Lenins formulierten: „Die Monopolverbände der Kapitalisten – die Kartelle, Syndikate und Trusts – teilen vor allem den ganzen Binnenmarkt unter sich auf, indem sie die Produktion des betreffenden Landes mehr oder weniger vollständig an sich reißen. Aber der Binnenmarkt hängt unter dem Kapitalismus untrennbar mit dem Außenmarkt zusammen. Der Kapitalismus hat längst den Weltmarkt geschaffen. Und in dem Maße, wie der Kapitalexport wuchs und die ausländischen und kolonialen Verbindungen und ‘Einflußsphären’ der riesigen Monopolverbände sich in jeder Weise erweitern, kam es ‘natürlicherweise’ unter ihnen zu Abmachungen im Weltmaßstab, zur Bildung von internationalen Kartellen. Das ist eine neue Stufe der Weltkonzentration des Kapitals und der Produktion, eine unvergleichlich höhere Stufe als die vorangegangenen." (Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, LW Bd. 22, S. 250)

Die Bildung dieser internationalen Supermonopole, bereits eine Tatsache zu Lenins Zeiten, ist seit damals unerbittlich fortgeschritten, wie sich an den obigen Zahlen unschwer nachweisen ließ, und führte zur Monopolisierung und Konzentration in allen Bereichen der Wirtschaft im Weltmaßstab. Die Kapitalisten der imperialistischen Zentren sind eifrigst dabei, die Welt unter sich aufzuteilen. Und sie tun dies „... nicht etwa aus Bosheit ..., sondern weil die erreichte Stufe der Konzentration sie zwingt, diesen Weg zu beschreiten, um Profite zu erzielen; dabei wird die Teilung ‘nach dem Kapital’, ‘nach der Macht’ vorgenommen – eine andere Methode der Teilung kann es im System der Warenproduktion und des Kapitalismus nicht geben." (ebd., S. 257)

In welcher Erscheinungsform auch immer, das Wesen, das Ziel des ökonomischen Kampfs zwischen internationalen Monopolen ist die Aufteilung der Welt. Und da diese Aufteilung auf der relativen Stärke der Parteien beruht, proportional zur Kapitalgröße, ist es nur natürlich, daß Verschiebungen in der Stärke, die immer wieder infolge des ökonomischen und politischen Entwicklungsgrades auftauchen, eine Neuaufteilung erforderlich machen und zu entsprechenden Anstrengungen führen – mit friedlichen oder anderen Mitteln.

Die ganze Epoche des Monopolkapitalismus/Imperialismus legt beredtes Zeugnis für die Tatsache ab, daß sich „daneben und im Zusammenhang" mit bestimmten Beziehungen, die sich zwischen kapitalistischen Monopolen „auf dem Boden der ökonomischen Aufteilung der Welt" entwickelt haben, solche „zwischen den politischen Verbänden, den Staaten, ... herausbilden auf dem Boden der territorialen Aufteilung der Welt, des Kampfes um die Kolonien, ‘des Kampfes um das Wirtschaftsgebiet’".(ebd., S. 258) Genau aus diesem Grund kann die Außenpolitik des Finanzkapitals nichts anderes sein als der Kampf der imperialistischen Mächte um die wirtschaftliche und politische Aufteilung der Welt. Hilferding hatte hundertmal Recht, wenn er sagte: „Das Finanzkapital will keine Freiheit, sondern Herrschaft." Und das aus dem einfachen Grund, daß unter den Bedingungen des Privateigentums Monopole in der Wirtschaft inkompatibel sind mit einem „nicht monopolistischen, nicht gewalttätigen, nicht annexionistischen Vorgehen in der Politik". Anders zu denken, kommt dem Versuch gleich, „die Politik des Imperialismus von seiner Ökonomik" zu trennen. „Das Resultat ist eine Vertuschung, eine Abstumpfung der fundamentalsten Widersprüche des jüngsten Stadiums des Kapitalismus statt einer Enthüllung ihrer Tiefe, das Resultat ist bürgerlicher Reformismus statt Marxismus." (ebd., S.274)

2. Rolle des Kapitalexports

Einige Worte zum Kapitalexport: „Für den alten Kapitalismus, mit der vollen Herrschaft der freien Konkurrenz, war der Export von Waren kennzeichnend. Für den neuesten Kapitalismus, mit der Herrschaft der Monopole, ist der Export von Kapital kennzeichnend geworden." (ebd., S. 244) Die Trennung des Eigentums an Kapital von der Anwendung des Kapitals auf die Produktion, von Geldkapital und Industriekapital (und folglich die Trennung von Rentier und Unternehmer), die für den Kapitalismus charakteristisch ist, führt zu völlig neuen Proportionen im Stadium des Imperialismus – dem Stadium der Dominanz des Finanzkapitals mit seiner Vorherrschaft des Rentiers und der Finanzoligarchie.

Das jüngste Stadium des Kapitalismus ist nicht nur durch das Entstehen monopolistischer Kapitalistenverbände in allen entwickelten kapitalistischen Ländern gekennzeichnet, sondern auch durch die „Monopolstellung der wenigen überaus reichen Länder, in denen die Akkumulation des Kapitals gewaltige Ausmaße erreicht hat", deren Folge ein „ungeheurer ‘Kapitalüberschuß’" ist. (ebd., S.245) Und diese kleine Anzahl finanziell mächtiger Staaten beherrscht den Rest der Welt. „Fast die ganze übrige Welt spielt so oder anders die Rolle des Schuldners und Tributpflichtigen dieser Länder – der internationalen Bankiers, dieser ... ‘Säulen’ des Weltfinanzkapitals." (ebd., S. 244)

Die Notwendigkeit des Kapitalexports entsteht, weil „in einigen Ländern der Kapitalismus ‘überreif’ geworden ist und dem Kapital ... ein Spielraum für ‘rentable’ Betätigung fehlt." Schließlich die Notwendigkeit, diesen „Kapitalüberschuß" zu exportieren. (ebd., S. 245) Selbstverständlich gäbe es die Frage des Kapitalüberschusses nicht, wenn der Kapitalismus den Lebensstandard der Massen anheben würde – ein Argument, zu dem kleinbürgerliche Kapitalismuskritiker allzu gerne Zuflucht nehmen. Kapitalismus wäre aber nicht Kapitalismus, wenn solche Dinge möglich wären. Der Kapitalismus ist zum Profitmachen da. Daher wird „Kapitalüberschuß" dahin exportiert, wo immer sich die Gelegenheit zum Profitmachen ergibt.

3. Die Aufteilung der Welt unter den imperialistischen Ländern

„Unzweifelhaft ist daher die Tatsache, daß der Übergang des Kapitalismus zum Stadium des Monopolkapitalismus, zum Finanzkapital, mit einer Verschärfung des Kampfes um die Aufteilung der Welt verknüpft ist." (ebd., S. 260) Es ist zweifellos der Fall, daß das Ende des 19. Jahrhunderts und der Beginn des 20. (genau jene Periode, die den Übergang des vormonopolistischen Kapitalismus zum monopolistischen Stadium seiner Entwicklung markiert) eine ungeheure Intensivierung des Kampfes zwischen den imperialistischen Mächten um die Eroberung jener Teile des Globus erlebten, die bisher noch nicht von jenen Mächten besetzt waren. Sobald diese Aufteilung der Welt abgeschlossen war, konnte lediglich eine Neuaufteilung stattfinden – als Folge einer veränderten relativen Stärke der imperialistischen Länder infolge ungleicher Entwicklung: Das allein erklärt den Ersten wie den Zweiten Weltkrieg.

Infolge des Zweiten Weltkriegs konnten die meisten Kolonien die politische Unabhängigkeit erreichen, wobei der Imperialismus durchaus in der Lage war, Mechanismen zu entwickeln, die die formal unabhängigen Länder vollständig in ein Netz finanzieller, diplomatischer und militärischer Abhängigkeit verstrickten. Mit anderen Worten, der Kolonialismus ebnete den Weg zum Neokolonialismus.

Tatsächlich findet derzeit, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, eine Entwicklung von der politischen Unabhängigkeit zurück zu einem halbkolonialen Status statt – z.B. Südkorea, Saudi-Arabien, die Golfstaaten, viele afrikanische und lateinamerikanische Länder und, last not least, der Balkan. Durch ein System von Allianzen, ein Netzwerk von Militärbasen, die Einrichtung von einer Reihe von Marionettenregimes und mit seiner wirtschaftlichen Macht kann das Finanzkapital beinahe die gesamte Welt in ein Netz von Abhängigkeiten binden. Tatsächlich kann man sagen, daß kaum noch ein Zentimeter der Erdoberfläche übrig ist, wo es nicht seinen schweren Stiefel plaziert. Das heißt, obwohl es nicht mehr viele formale Kolonien gibt und die meisten Länder mit den formalen Insignien politischer Unabhängigkeit ausgestattet sind, ist das charakteristische Merkmal der heutigen Welt dennoch in seinem Wesen dasselbe wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nämlich die Aufteilung in hegemoniale Einflußsphären unter den rivalisierenden imperialistischen Mächten.

Tatsächlich ist ein irrsinniger Kampf um die Neuaufteilung der Welt bereits im Gange, und zwar zwischen den imperialistischen Zentren der USA, der EU und Japan. Der Krieg in Jugoslawien, die Besetzung des Golf, die tägliche Bombardierung des Irak seitens anglo-amerikanischer imperialistischer Kräfte, die Kriegsprovokationen auf der koreanischen Halbinsel, die Erweiterung der kriegstreiberischen NATO an die Grenzen Rußlands, die amerikanische Bombardierung der chinesischen Botschaft während des Jugoslawienkriegs, der Zwischenfall des amerikanischen Spionageflugzeugs an der chinesischen Küste, der Verkauf intelligenter Waffen an die Renegatenprovinz Taiwan, die europäischen Versuche, eine Interventionsarmee zu bilden sowie die amerikanische Entscheidung, ihr NMD-Programm (Nuclear Missile Defence – nukleare Abwehrraketen à la Sternenkriegsprogramm– d.Ü.) in offener Verletzung des ABM-Vertrags von 1972, die Stellvertreterkriege in Afrika, die Versuche zur Bildung dreier Wirtschaftsblocks (in Amerika, Europa und im asiatisch-pazifischen Raum) und – last not least – der Krieg in Afghanistan mit den sich abzeichnenden Folgekriegen der sogenannten Antiterror-Allianz, all das kann lediglich im Kontext eines komplizierten, wilden Kampfes zur Neuaufteilung der Welt verstanden werden, der sich direkt vor unseren Augen abspielt. Früher oder später, wenn nicht durch proletarische Revolutionen verhindert, müssen die imperialistischen Blöcke, oder eine Kombination von ihnen, unweigerlich aneinander geraten. Ein dritter Weltkrieg erscheint unausweichlich.

4. Parasitismus und zunehmender Opportunismus

Lenin folgend, müssen wir am Ende „noch auf eine sehr wichtige Seite des Imperialismus eingehen, die bei den meisten Betrachtungen über dieses Thema nicht genügend beachtet wird", nämlich den Parasitismus, der einer der wesentlichen Merkmale des Imperialismus darstellt. Da der Imperialismus eine enorme Akkumulation von Geldkapital in einigen wenigen Ländern bedeutet, entsteht daraus „das außergewöhnliche Anwachsen der Klasse oder, richtiger, der Schicht der Rentner, d.h. Personen, die vom ‘Kuponschneiden’ leben, Personen, die von der Beteiligung an irgendeinem Unternehmen völlig losgelöst sind, Personen, deren Beruf der Müßiggang ist. Die Kapitalausfuhr, eine der wesentlichsten ökonomischen Grundlagen des Imperialismus, verstärkt diese völlige Isolierung der Rentnerschicht von der Produktion noch mehr und drückt dem ganzen Land, das von der Ausbeutung der Arbeit einiger überseeischer Länder und Kolonien lebt, den Stempel des Parasitismus auf." (ebd., S. 281)

Daraus schließt Lenin, daß der Opportunismus der Arbeiterklasse in den imperialistischen Ländern kein zufälliges Phänomen darstellt; daß er im Gegenteil tief verwurzelt ist in den Extraprofiten, die die Bourgeoisie der imperialistischen Länder aus der Plünderung der ganzen Welt herausholt und die sie teilweise einsetzt zur Bestechung einer Oberschicht der Arbeiter – der Arbeiteraristokratie – und damit eine Spaltung der Arbeiterklasse herbeiführt; daß diese Schicht „verbürgerter Arbeiter", durch und durch kleinbürgerlich in ihrem Lebensstil, nach ihrem Einkommen und in ihrer Weltsicht, als „soziale ... Hauptstütze der Bourgeoisie" dient, als „wirkliche Agenten der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiterbewegung, Arbeiterkommis der Kapitalistenklasse ..., wirkliche Schrittmacher des Reformismus und Chauvinismus. Im Bürgerkrieg zwischen Proletariat und Bourgeoisie stellen sie sich in nicht geringer Zahl unweigerlich auf die Seite der Bourgeoisie, auf die Seite der ‘Versailler’ gegen die ‘Kommunarden’". (ebd., S. 198) Lenin fügt hinzu: „Ohne die ökonomischen Wurzeln dieser Erscheinung begriffen zu haben, ohne ihre politische und soziale Bedeutung abgewogen zu haben, ist es unmöglich, auch nur einen Schritt zur Lösung der praktischen Aufgaben der kommunistischen Bewegung und der kommenden sozialen Revolution zu machen." (ebd.)

Die Haltung der Opportunisten – von Gewerkschaftsführern bis zu Führern der Sozialdemokratie – angesichts der Golf- und Balkankriege liefern ein beredtes Zeugnis von der Richtigkeit dieser Beobachtung Lenins. In unserem eigenen Land, in Großbritannien, hat mit Ausnahme von Arthur Scargill und ein oder zwei seiner Genossen kein einziger nennenswerter Gewerkschafter den imperialistischen Krieg gegen Jugoslawien oder die tägliche Bombardierung des Irak verurteilt.

Schlußfolgerung

Angesichts des Gesagten ist klar, daß der Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium verrottet ist bis in die Knochen – er ist dekadent, parasitär, und er ist sterbender Kapitalismus, der für vier Fünftel der Menschheit nichts zu bieten hat; er ist ein System, in dem spekulative Operationen, die täglich drei Billionen US-Dollar betragen, das Leben von Milliarden von Menschen zerstören und die Wirtschaft Dutzender Länder rund um die Welt erschüttern. Eine solche Architektur ist unrettbar baufällig; sie muß abgerissen werden und ersetzt werden durch ein System, in dem die Produktion zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse im Mittelpunkt steht. Für eine winzige Minderheit der Weltbevölkerung bietet das System Reichtum und Annehmlichkeiten, aber die überaus große Mehrheit belohnt es mit Arbeitslosigkeit, Entbehrung, Qual und Plagen, Sklaverei, Ignoranz, Brutalität, mentaler Degradierung und Krieg.

Das bedeutet, dass der Imperialismus die Menschheit vor die Wahl stellt: entweder Revolution oder Krieg und Barbarei. Es ist unsere Pflicht, im Proletariat folgende „harte Wahrheit" zu verbreiten: „Man kann dem imperialistischen Krieg und der ihn unvermeidlich erzeugenden imperialistischen Welt ... nicht anders entrinnen, man kann dieser Hölle nicht anders entrinnen als durch den bolschewistischen Kampf und durch die bolschewistische Revolution" (Lenin, „Zum vierten Jahrestag der Oktoberrevolution", LW Bd. 33, S. 36)

Die leninistische Revolutionstheorie und die leninistische Taktik und Organisationsmethode bieten den einzigen Ausweg für das Proletariat, das mit folgender unausweichlicher Entscheidung konfrontiert ist: „Entweder du ergibst dich dem Kapital auf Gnade und Ungnade, vegetierst in alter Weise weiter und sinkst immer tiefer, oder du greifst zu einer neuen Waffe – so stellt der Imperialismus die Frage vor den Millionenmassen des Proletariats. Der Imperialismus führt die Arbeiterklasse an die Revolution heran." (Stalin, Werke Bd. 6, S. 65)

In seinem Streben nach Profiterhaltung konfrontiert der Imperialismus die Menschheit mit dem Dilemma: „Entweder wird die ganze Kultur geopfert, oder es muß auf revolutionärem Wege das kapitalistische Joch abgeschüttelt, die Herrschaft der Bourgeoisie beseitigt, die sozialistische Gesellschaft und der dauernde Friede erobert werden." (Lenin, „Um Brot und Frieden", Bd. 26, S. 387) Zugleich verschärft der Imperialismus all seine Widersprüche bis ins Extrem – den zwischen Arbeit und Kapital, zwischen den imperialistischen und den unterdrückten Ländern, zwischen den verschiedenen imperialistischen Ländern sowie den Widerspruch zwischen den imperialistischen und den sozialistischen Ländern. Durch seine Rücksichtslosigkeit spornt er unweigerlich die Arbeiterklasse und die unterdrückten Menschen zu dessen revolutionärer Überwindung an.

Ungeachtet der kolossalen Rückschläge, die der Sozialismus im vergangenen Jahrzehnt erlitten hat, ungeachtet des Zickzacks und des umständlichen Verlaufs der Ereignisse, kann nichts auf der Welt den Sieg der proletarischen Revolution im Weltmaßstab verhindern. „Der Imperialismus ist der Vorabend der sozialen Revolution des Proletariats." (Lenin, Vorwort zur französischen und deutschen Ausgabe „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus", 6. Juli 1920).

Harpal Brar, London

Das alles ausführlicher in:

Harpal Brar: Imperialismus im 21. Jahrhundert. Sozialismus oder Barbarei.

208 S., brosch., ISBN 3-89144-293-9, Pahl-Rugenstein-Verlag Bonn, Breite Str. 52,

53111 Bonn, Tel: 0228 – 632306, Fax: 0228 – 63 49 68.

 

Zur Geschichte des Sozialismus

Kurt Gossweiler: Vor 60 Jahren IV: Wie der Browderismus nach Europa verpflanzt wurde – Teil 3

V. Field als Propagandist und Verbreiter der „Browdwer-Ideen"

Am Schluss des Abschnitts 2 kam ich als Ergebnis der Kennzeichnung der Konzeption Browders durch Kießling als bewusste und gewollte Gegenkonzeption gegen den Marxismus-Leninismus zu der Feststellung, der Browderismus sei die amerikanische Urform des „modernen Revisionismus", - also des Revisionismus in der Kommunistischen Bewegung. Und ich stellte die Frage: wie und von wem ist der Browderismus über den großen Teich in die europäischen Kommunistischen Parteien eingeschleust worden?

Nun endlich kann die Antwort daraufgegebene werden: Auch dies war das Werk Noel Fields. Diese Seite seiner „Hilfstätigkeit" enthüllt deren wirklichen Charakter am deutlichsten. Mit ihr erzielte er die verhängnisvollsten und nachhaltigsten, bis in die Gegenwart und darüber hinaus reichenden Wirkungen. Lassen wir auch dazu unseren Kronzeugen Kießling sprechen. Folgt man ihm, dann hat Browder Field zum Kommunisten gemacht:

„Es ist fraglich, ob Noel Field ohne den ideellen, den weltanschaulichen Einfluss Earl Russel Browders (1891-1973) und die Bekanntschaft mit ihm zum überzeugten Kommunisten geworden wäre. Der um fünfzehn Jahre ältere und seit 1929 unangefochten amtierende Generalsekretär der KPUSA war ihm Vorbild und Beispiel als pragmatischer Politiker und theoretischer Denker. Er bewunderte ihn als glänzenden Essayisten und brillanten Verfechter seiner Auffassungen..'' (S.96).

„Anfang 1943 erhielt Field über die Gesandtschaft in Bern Browders neueste Publikation, das Buch , Victory and After' (Der Sieg und nach dem Sieg). ...Browder schrieb: 'Dieser Krieg ist nicht ,für oder gegen den Kommunismus'..., deshalb wird auch nicht der Kommunismus gewinnen, sondern das Recht jeder Nation auf Selbstbestimmung, das heißt: gewinnen wird die Demokratie.' Das Ziel der Alliierten sei die nationale Freiheit der Völker. Daraus folgt, dass alles der Aufgabe, den Krieg zu gewinnen, untergeordnet werden muss. Browder erklärte, dass die amerikanischen Kommunisten aus diesem Grunde die Sozialismuspropaganda für die Dauer des Krieges zurückgestellt haben. Ein Jahr später kam er zu dem Schluss, auch nach dem Krieg stehe die Forderung nach einer sozialistischen Umgestaltung der amerikanischen Gesellschaft nicht auf der Tagesordnung. Die KPUSA, die ‚einzige Partei des Sozialismus in diesem Lande', müsse ihre Programmatik an den nationalen Realitäten messen. Und diese besagen, die überwiegende Mehrheit des amerikanischen Volkes wünscht keine grundlegende Veränderung der Gesellschaft, man könne auch sagen, ,dass das amerikanische Volk subjektiv sehr schlecht für eine tiefgehenden Veränderung in Richtung auf den Sozialismus vorbereitet ist.; dass Nachkriegspläne mit einem derartigen Ziel die Nation nicht einigen, sondern sie noch weiter spalten würden. Und sie würden gerade das demokratische und fortschrittliche Lager weiter zersplittern und schwächen, während sie die reaktionären Kräfte im Lande einigen und stärken würden.' Browder meinte, ,für die vereinigten Staaten ist die Perspektive der Nachkriegszeit nicht eine Perspektive des Sozialismus, sondern des Wiederaufbaus auf einer kapitalistischen Basis.'" (S.98/99).

Diese Ausführungen Browders unterstreichen noch einmal, dass die US-Justizbehörden guten Grund hatten, Browder in der Gewissheit aus dem Gefängnis zu entlassen, das läge "im Interesse der Einheit der nationalen Front."

Browders Argumentation ist im übrigen ein Musterbeispiel dafür, dass für Revisionisten die Zeit für den Sozialismus nie reif ist: in einem kapitalistisch schwach entwickelten Land kommt eine sozialistische Revolution „zu früh", „weil die objektiven Bedingungen für den Sozialismus noch nicht reif sind"; aber in einem kapitalistisch hoch entwickelten Land kommt sie auch „zu früh", „weil die überwiegende Mehrheit auf den Sozialismus sehr schlecht vorbereitet ist." (Diese Zwischenbemerkung zum Nachdenken für alle, die dazu neigen, jenen recht zu geben, die erklären, die Sowjetunion sei nach 70 Jahren, in denen die sozialistische Gesellschaftsordnung das Land innerhalb von 20 Jahren zur politisch und wirtschaftlich zweitstärksten Macht der Erde werden ließ, daran zugrunde gegangen, dass 1917 Russland noch nicht reif gewesen sei zur sozialistischen Revolution und deshalb von Anfang an keine Überlebenschance gehabt habe!)

Doch zurück zu Field und Browder. Folgen wir weiter Kießling: „Nachdem Noel Field den Wortlaut der Rede Earl Browders und die dazugehörigen Kommentare und Erläuterungen in der theoretischen Zeitschrift ,New Masses' erhalten hatte, zeigte er sich bei einer Begegnung mit Bruno Goldhammer besonders von den wirtschaftspolitischen Aspekten, wie sie sich später im Marshallplan, den die Sowjetunion für sich und ihren Einflussbereich radikal ablehnte, wiederfanden, beeindruckt...

Die breite und dennoch viele Themen ausklammernde Wiedergabe der Browderschen Gedankengänge ist notwendig, um Noel Field besser kennenzulernen und zu verstehen. Wie die überwältigende Mehrheit der amerikanischen Kommunisten... stimmte ihnen Field zu. Dabei fiel besonders ins Gewicht, dass er für sie in Europa eintrat und sie in der Schweiz und damit auch unter den kommunistischen Emigranten aus mehreren Ländern verbreiten half. (Hervorhebung von mir, K. G.) Mit der Leitung der Partei der Arbeit der Schweiz kam er überein, Browders Rede vom 10. Januar 1944 und ergänzende Materialien aus , New Masses' zu übersetzen und ihren Druck finanziell zu unterstützen.. Die 68 Seiten umfassende Schrift von E.R. Browder ,Krieg oder Frieden?', erschien, herausgegeben von der Partei der Arbeit, (in Wirklichkeit von Field und Allan Dulles!, K.G.), Zürich-Wiphingen, 1944 in einer deutschen und einer französischen Ausgabe. " (S. 102/103).

In einem Nachwort der Partei der Arbeit wird versucht, den Bruch Browders mit den Grundsätzen der kommunistischen Bewegung zu vertuschen, indem gesagt wurde, die Orientierung, die Browder gäbe, enthalte „nichts grundsätzlich Neues" (S. 103). Doch weiter im Kießling-Text:

„Browders Schrift wurde von den deutschen Internierten ebenso lebhaft diskutiert wie von den Kommunisten am Züricher Schauspielhaus und denen in der Illegalität. Die meisten der von Browder aufgeworfenen Fragen stellten sich ihnen auch, jetzt und in naher Zukunft, wenn sie ihren Platz wieder in Deutschland einnehmen würden. Hans Teubner, Bruno Goldhammer, Ernst Eichelsdörfer, Fritz Sperling, Walter Fisch, Leo Bauer und andere fanden besonders gut, dass Earl Browder vorausschauend neue Entwicklungsprobleme erkannte und Lösungsvorschläge machte, die ihn als klugen Marxisten auswiesen. " (S. 104). Kießling sagt, womit er durchaus recht hat, dass Browders Ansichten eine „Absage an die marxistisch-leninistische Partei neuen Typus war."

Da aber genau dies auch die Einschätzung des ZK der SED war und der Vorwurf gegen Merker, Teubner und die anderen Genossen gerade der war, dass sie Browders Ansichten zugestimmt hätten, wogegen sie sich der ZPKK gegenüber damit verteidigten, sie hätten das damals nicht durchschaut, sieht sich Kießling einer Schwierigkeit gegenüber: er will mit seinem Buch doch beweisen, dass die Vorwürfe und Beschuldigungen gegen Field und gegen die mit ihm verbundenen Genossen jeglicher Grundlage entbehrten; dass diese Vorwürfe nur stalinistische Erfindungen waren. Diese seine Kernthese würde er aber selbst ad absurdum führen, würde er diese Genossen für ihre Zustimmung zu Browders „Absage an die marxistisch-leninistische Partei neuen Typs" loben und damit bestätigen, dass die Vorwürfe der ZPKK nicht aus der Luft gegriffen waren, sondern zutrafen. Also lesen wir bei ihm, sie, diese Genossen, „durchschauten aus der geographischen Ferne kaum, dass es die Absage... an die marxistisch-leninistische Partei neuen Typus war". Aber Kießlings weitere Ausführungen bezeugen, dass dem keineswegs so war:

„Bemerkenswert, aber nicht verwunderlich ist, dass Hans Teubner in seinem 1975 in der DDR erschienen Buch über das kommunistische Exil in der Schweiz weder die Diskussionen über Earl Browders Konzeptionen noch überhaupt den Namen des Amerikaners erwähnt. Selbst Karl Hans Bergmann, der als Kommunist sicherlich an den Gesprächen über Browder teilgenommen hatte oder zumindest den hohen Stellenwert Browders in der Schweiz kannte, schwieg sich in seinem 1974 in der BRD erschienenen Buch über das Schweizer Exil von 1943 bis 1945 darüber aus. Nur von Paul Bertz ist bekannt, dass er Vorbehalte gegen Browders Konzept hatte....Als Bertz vierzehn Tage nach dem Rajk-Prozess vom September 1949 Hermann Matern gegenüber seine Kontakte zu Field erklären musste, stellte er sich, obwohl er nicht wissen konnte, was Field selbst ausgesagt hatte, auch in der Frage Earl Browder schützend vor ihn: ,Bei allgemeinen politischen Unterhaltungen stand F(ield). immer positiv zur Sowjetunion. Und als Browder seine bekannte Rede hielt,... verurteilte F,. nach kurzen Schwankungen Browders Theorie. "

Dass dies eine Lüge war, stellt Kießling mit den sofort anschließenden Zeilen klar: „Tatsächlich hatte Field nicht nur den Druck der Browderschen Broschüre veranlasst, sondern viele Gelegenheiten genutzt, darüber zu sprechen. Die junge Schweizer Kommunistin Rosemarie Muggli, die später den deutschen Emigranten Walter Trautzsch heiratete und hier Mitglied der SED wurde, war im Sommer 1944 wegen ihrer Bewerbung um Teilnahme an einem vom USC mitgetragenen Sozialkurs in Fields Wohnung bestellt worden. Daran erinnerte sie sich, als sie 1950 von der ZPKK der SED vernommen wurde. Nachdem sie damals, 1944, ihr Schreiben bei Field abgegeben hatte, ,wurde ich gefragt, ob ich die Rede Browders kenne. Ich sagte, ich hätte davon gehört, sie aber noch nicht gelesen, worauf Field erwiderte, sie sei hoch interessant und wirklich lesenswert.' Wenig später, während dieses Lehrganges von Schweizern und Emigranten, an dem nicht nur Kommunisten teilnahmen, ,wurde viel vom Geist von Teheran gesprochen. Unsere Gruppe diskutierte eingehend die Rede Browders. Sie stieß nicht auf Ablehnung....Meine Einwendungen gegen Browders Politik waren nur schwach und dahingehend, dass eine kommunistische Partei doch etwas ganz anderes bedeute als nur eine kommunistische Vereinigung und dass eine KP doch wohl auch wirksamer gegen den Faschismus kämpfen könne als ein Verein. Als aber die Schweizer Partei die gleiche Stellung zur Browderrede einnahm wie die Genossen im Schulungskurs sie vertraten, nahm ich diese Argumentation auch an..' (S. 104-106).

Über Teubners Stellung zu Browder schreibt Kießling an anderer Stelle (S.231/32): „Teubner, in Brissago von anderen Arbeiten befreit, verfasste politische Analysen, schrieb Material für die sich in Zürich herausbildende Bewegung Freies Deutschland in der Schweiz und Flugblätter für die illegale Arbeit in Süddeutschland. 1944 überwarf er sich mit Paul Bertz wegen einer spektakulären Rede des Vorsitzenden der KP der USA, Earl Browder.... Teubner pries in einem Brief vom 6. August 1944 an die Genossen in Brassecourt ,die Wichtigkeit der Rede Browders.' Er habe in Locarno Freunde getroffen, ... die ihm berichteten: ,Helm (Deckname für Bertz) führt eine wüste Hetze gegen die Browder-Rede und erklärt, für Browder stünden nur aus der Gemeinschaft (der kommunistischen Parteien) Ausgeschlossene ein. Ich habe dessen ungeachtet den Freunden eingeschenkt, dass sie 's H. ordentlich geben könnten.' Bertz nannte Teubners Position opportunistisch und reformistisch und verwahrte sich gegen den Versuch, ‚ auch mich auf diesen Unsinn festzulegen.'

Mit dieser Meinung stand Bertz aber ziemlich alleine. Merker, Teubner, Bauer und die meisten anderen deutschen Genossen der schweizer Emigration waren mit Field Anhänger und Verbreiter der Browder-Ideen. Kießling weiß zu berichten: Als Field Paul Merker im Dezember 1945 in Mexiko besuchte, „bedauerten Merker und Field, dass die Kommunisten der USA von dem von Earl Browder vorgezeichneten nationalen Weg abgebracht wurden." (S.127).

Diese Bemerkung bezog sich darauf, dass der Kampf der amerikanischen Kommunisten unter Führung William Fosters um die Wiederherstellung der kommunistischen Partei der USA am 20. Mai 1945 dazu geführt hatte, dass Browder als Generalsekretär der Communist Political Association abgesetzt, diese Organisation Ende Juli 1945 aufgelöst, die KP der USA neu konstituiert und Foster wieder zu ihrem Vorsitzenden gewählt wurde.

Zum „nationalen Weg" des Earl Browder gehörte auch, wie wir oben sahen, die Idee des „Wiederaufbaus des zerstörten Europa und der Sowjetunion mit amerikanischer Finanzhilfe", also das, was dann als „Marshallplan" von den USA lanciert wurde. Dessen Ablehnung wurde nicht nur von den deutschen Field- und Browder-Freunden heftig missbilligt. Leo Bauer veröffentlichte 1956 einen Erinnerungsartikel, in dem er sich und seine tschechischen Gesinnungsgenossen als Anhänger dieser ursprünglichen Browder-Idee und zugleich als Tito-Freunde vorstellte: „Im Sommer 1948 hatte ich anlässlich eines Aufenthaltes in Prag die Gelegenheit, mit einigen jener Männer zu sprechen, die später ... den Tod am Galgen fanden. Slansky selbst, Clementis, André Simone und andere erzählten mir über die Ereignisse des Jahres 1947, als die Tschechoslowakei sich für den Marshall-Plan aussprach und nur unter dem Druck von Moskau die bereits ausgesprochene Zustimmung zurückziehen musste ... Was mir Slansky, Clementis und andere sagten, war mir nicht fremd. Aus ihren Worten sprach die große Unzufriedenheit mit dieser Entwicklung. Denn die Gespräche fanden nach dem Bruch des Kominform mit Tito statt". (S.142).

Das ist ein Hinweis darauf, dass die Sympathisanten der Browder-Ideen auch Sympathisanten der Tito-Ideen waren Und das ist im Grunde selbstverständlich, da Tito und die jugoslawischen Revisionisten ihre Ideen nicht selbst erfunden, sondern von Browder und Field übernommen haben. Tibor Szönyi – wir haben ihn schon als einen Arzt Dr. Hoffmann an der Züricher Charité kennengelernt, dem Noel Field Bruno Goldhammer als Patienten zuführte –, deckte im Rajk-Prozess auch die Verbindungen von Allan Dulles und Field zur Tito-Gruppierung auf.15 Aus seiner ausführlichen Schilderung sei nur das Folgende zitiert:

„Weitere Mithelfer und unmittelbare Mitarbeiter des Allan Dulles ...waren die jugoslawischen Spione. Namentlich war Mischa Lompar, der damals in Zürich offiziell als Leiter der dortigen jugoslawischen Emigrantengruppe figurierte, in Wirklichkeit schon damals amerikanischer Spion und direkter Mithelfer Dulles’. Später wurde Mischa Lompar Generalkonsul in Zürich, also Berufsdiplomat....Unter dem politischen Einfluss des Mischa Lompar, bei dem die Theorie des früheren Leiters der Amerikanischen Kommunistischen Partei, Browder, eine große Rolle spielte, wurden diese Ansichten im Auftrag der amerikanischen Geheimorgane von Lompar und Field in der Schweiz in französischer und deutscher Sprache in großer Auflage gedruckt und verbreitet."

Es handelt sich dabei um die von der Partei der Arbeit herausgegebene Schrift, von der oben schon die Rede war und mit der Field dem „Browderismus" den Weg nach Europa bereitet hatte. Stellen wir noch einmal die Kernsätze Kießlings nebeneinander, mit denen er hervorhob, was er als ein besonderes Verdienst Fields hielt, was aber in Wahrheit stärker als alles übrige Kießling und seine krampfhaften Bemühungen widerlegt, uns Field als überzeugten Kommunisten und treuen Freund der Sowjetunion vorzuführen:

„Dabei fiel besonders ins Gewicht, dass er (Field) für sie (die Browderschen Gedankengänge) in Europa eintrat und sie in der Schweiz und damit auch unter den kommunistischen Emigranten aus mehreren Ländern verbreiten half".(S.103). Und: „Noch ehe die sowjetische Nachkriegspolitik in ihrem europäischen Einflussbereich in Aktion trat, lag mit Browders Programmatik ein kommunistischer (?!K.G.) Gegenentwurf vor. Und Noel H.Field war derjenige, der ihn kolportiert hatte." (S.104)

Berücksichtigen wir die Beurteilung des „Browderismus" durch solch hervorragende Führer der kommunistischen Bewegung, wie William Foster und Jaques Duclos, sowie das, was uns Kießling selbst als den wesentlichen Inhalt der Browder-Ideen vorgeführt hat, dann kann man als Kommunist zu keinem anderen Ergebnis kommen als zu dem: Diese von Kießling so positiv bewertete „Leistung" des Noel Field bestätigt die Auffassung derer, die in Field einen besonders fähigen und dadurch besonders gefährlichen V-Mann des Allan Dulles sahen und es daher für notwendig hielten, dementsprechende Maßnahmen zum Schutze der jungen antifaschistisch-demokratischen bzw. sozialistischen Staatswesen und der in ihnen führenden kommunistischen und Arbeiterparteien zu ergreifen.

Das „Verdienst" Fields, den „Browderismus", diese Urform des „modernen Revisionismus", in die kommunistischen Bewegung in Europa implantiert zu haben, ist in ihren Auswirkungen so weittragend, dass Noel Field nach Browder und zusammen mit Tito, Chruschtschow und Gorbatschow ein „Ehrenplatz" in der Galerie der verdienstvollsten Köpfe von Führern der von den imperialistischen Geheimdiensten gesteuerten Fünften Kolonnen im kommunistischen Lager gebührt.

Was sich aus dieser Einschleusung des Browderismus in die europäische kommunistische Bewegung an Folgen ergab, unterstreicht die Berechtigung und Notwendigkeit der Warnung Dimitroffs, mit der wir diesen Teil IV einleiteten. Mit Betrachtungen zu diesen Folgen wird sich der nun folgende und letzte Abschnitt beschäftigen.

VI. Zum Anteil des Revisionismus an der Niederlage des Sozialismus in Europa

1. Hat der Revisionismus überhaupt etwas mit der Niederlage des Sozialismus zu tun?

Schon Marx und Engels, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht bekämpften den Revisionismus als eine bürgerliche Ideologie der Sozialismus-Verhinderung, und die Kommunistischen und Arbeiterparteien charakterisierten den Revisionismus auf ihren Internationalen Konferenzen als eine Agentur der Bourgeoisie zur Sozialismus-Liquidierung.

Selbst in den Erklärungen der Beratungen von 1957 und 1960, die – als Kompromissprodukte des erbitterten Kampfes der Marxisten-Leninisten mit den Vertretern der KP Chinas an der Spitze gegen die Revisionisten mit Chruschtschow als deren Hauptvertreter - ein Gemisch von marxistisch-leninistischen und revisionistischen Aussagen darstellen, wird festgestellt:

„Die Beratung betont die Notwendigkeit, Revisionismus und Dogmatismus in den Reihen der kommunistischen und Arbeiterparteien entschlossen zu überwinden. ... Während die kommunistischen Parteien den Dogmatismus verurteilen, sehen sie unter den gegenwärtigen Umständen die Hauptgefahr im Revisionismus oder mit anderen Worten im rechten Opportunismus als einer Ausdrucksform der bürgerlichen Ideologie, die die revolutionäre Energie der Arbeiterklasse lähmt und die Erhaltung oder Restauration des Kapitalismus fordert".

Zur Abschwächung dieser Konzentration des Feuers auf den Revisionismus als der aktuellen Hauptgefahr setzten die Revisionisten – das Trio Chruschtschow, Gomulka, Kadar als deren Hauptvertreter – als nächsten Satz folgende Ergänzung durch: „Jedoch können auch Dogmatismus und Sektierertum in bestimmten Entwicklungsphasen einzelner Parteien die Hauptgefahr darstellen. Jede kommunistische Partei entscheidet, welche Gefahr für sie im gegebenen Zeitpunkt die Hauptgefahr ist."

Den Marxisten-Leninisten gelang es allerdings wiederum, einen Katalog der wichtigsten Merkmale und Zielsetzungen des modernen Revisionismus in das Dokument zu bringen:

„Der moderne Revisionismus ist bemüht, die große Lehre des Marxismus-Leninismus in Verruf zu bringen, er erklärt sie für ‚veraltet’, behauptet, sie habe heute ihre Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung verloren. Die Revisionisten sind bestrebt, die revolutionäre Seele des Marxismus auszumerzen und den Glauben der Arbeiterklasse und des schaffenden Volkes an den Sozialismus zu erschüttern. Sie wenden sich gegen die historische Notwendigkeit der proletarischen Revolution und der Diktatur des Proletariats beim Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus, sie leugnen die führende Rolle der marxistisch-leninistischen Partei, sie lehnen die Prinzipien des proletarischen Internationalismus ab, sie fordern Verzicht auf die grundlegenden Leninschen Prinzipien des Parteiaufbaus und vor allem auf den demokratischen Zentralismus, sie fordern, dass die kommunistische Partei aus einer revolutionären Kampforganisation in eine Art Diskutierklub verwandelt wird."16

Es gelang jedoch nicht, die Träger des Revisionismus aus der Anonymität herauszuholen und sie im Dokument mit Namen und Adresse zu nennen; kein Wunder, hätte dann doch gleich nach dem Namen „Tito" der Name „Chruschtschow" stehen müssen.

Die Erklärung der Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien vom November 1960 trägt den gleichen zweideutigen Kompromisscharakter wie jene von 1957.Einerseits wird die Gefahr des Revisionismus bagatellisiert, indem in völligem Widerspruch zur Realität behauptet wird: „Die kommunistischen Parteien haben die Revisionisten in ihren Reihen, die sie vom marxistisch-leninistischen Weg abzubringen versuchten, ideologisch zerschlagen. Im Kampf gegen den Revisionismus haben sich die einzelnen kommunistischen Parteien wie die kommunistische Weltbewegung in ihrer Gesamtheit ideologisch und organisatorisch noch mehr gefestigt."

Dann jedoch erfolgt – was 1957 Chruschtschow noch zu verhindern gelang - eine scharfe Kennzeichnung und Verurteilung des Revisionismus der Tito-Partei, (womit jedoch – da nur sie genannt wurde - zugleich alle anderen und vor allem der gefährlichste Revisionist, Chruschtschow selbst -, bestätigt bekamen, einwandfreie Marxisten-Leninisten zu sein):

„Die kommunistischen Parteien haben die jugoslawische Spielart des internationalen Opportunismus, die einen konzentrierten Ausdruck der ‚Theorien’ der modernen Revisionisten darstellt, einmütig verurteilt. Die Führer des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens, die den Marxismus-Leninismus verrieten, indem sie ihn für veraltet erklärten, haben der Erklärung von 1957 ihr antileninistisches revisionistisches Programm entgegengestellt. Sie haben den BdKJ der gesamten kommunistischen Weltbewegung entgegengestellt, ihr Land vom sozialistischen Lager losgerissen, es von der sogenannten Hilfe der amerikanischen und anderen Imperialisten abhängig gemacht und damit die Gefahr heraufbeschworen, dass das jugoslawische Volk seiner im heroischen Kampf erzielten revolutionären Errungenschaften verlustig geht. Die jugoslawischen Revisionisten betreiben eine Wühlarbeit gegen das sozialistische Lager und die kommunistische Weltbewegung. Unter dem Vorwand einer blockfreien Politik entfalten sie eine Tätigkeit, die der Einheit aller friedliebenden Kräfte und Staaten Abbruch tut. Die weitere Entlarvung der Führer der jugoslawischen Revisionisten und der aktive Kampf dafür, die kommunistische Bewegung wie auch die Arbeiterbewegung gegen die antileninistischen Ideen der jugoslawischen Revisionisten abzuschirmen, ist nach wie vor eine unerlässliche Aufgabe der marxistisch-leninistischen Parteien....Die Interessen der weiteren Entwicklung der kommunistischen und Arbeiterbewegung erfordern auch in Zukunft, wie es in der Erklärung der Moskauer Erklärung von 1957 heißt, einen entschiedenen Zweifrontenkampf: gegen den Revisionismus, der die Hauptgefahr bleibt, und gegen den Dogmatismus und das Sektierertum.

Indem der Revisionismus, der Rechtsopportunismus den Marxismus-Leninismusentstellt und ihn seines revolutionären Geistes beraubt, widerspiegelt er die bürgerliche Ideologie in Theorie und Praxis, lähmt er den revolutionären Willen der Arbeiterklasse, entwaffnet und demobilisiert er die Arbeiter, die Massen der Werktätigen im Kampf gegen das Joch der Imperialisten und Ausbeuter, im Kampf für Frieden, Demokratie, nationale Befreiung und den Triumph des Sozialismus."17

So treffend diese Charakteristik auch war: ihr Pferdefuß zeigte sich darin, dass alle anderen von Revisionisten geführten Parteien und deren Führer – an ihrer Spitze Chruschtschow - ungenannt

blieben und damit die Möglichkeit erhielten, die jetzt zu recht gebrandmarkte Tito-Partei samt ihrem Chef wieder – wie schon 1955 – als „teurer Genosse Tito!" wieder in die Festung hereinzuholen und dann den Spieß gegen seine Ankläger zu richten – wie es ja dann auch wenig später geschah. Dennoch habe Ich diese Passagen aus zwei Gründen so ausführlich zitiert:

Erstens bringen sie eindeutig die marxistische Erkenntnis zum Ausdruck, dass eine revisionistische Politik zum Untergang des Sozialismus, zur Restauration des Kapitalismus führt.

Zweitens lässt die Aufzählung der Merkmale revisionistischer Politik -

- den Marxismus-Leninismus für veraltet erklären

- die revolutionäre Seele des Marxismus ausmerzen,

- die Überzeugung der Werktätigen an die Richtigkeit des Sozialismus erschüttern,

- Leugnung der Notwendigkeit der proletarischen Revolution

- Leugnung der Diktatur des Proletariats

- Leugnung und Verneinung der führenden Rolle der marxistisch-leninistischen Partei,

- Ablehnung der Prinzipien des proletarischen Internationalismus,

- Verzicht auf die grundlegenden Leninschen Prinzipien des Parteiaufbaus, besonders auf den demokratischen Zentralismus,

- Verwandlung der kommunistischen Partei aus einer revolutionären Kampforganisation in eine Art Diskutierklub -

keinen Zweifel daran, dass die Politik nicht nur Titos, sondern auch Chruschtschows, Gomulkas und Kadars revisionistisch war, also zur Liquidierung des Sozialismus führen musste, falls ihr nicht Einhalt geboten wurde. Das geschah jedoch nicht, sondern sie wurde fortgeführt und durch Gorbatschow zur Vollendung, also zur völligen Liquidierung des Sozialismus in der Sowjetunion und in den europäischen sozialistischen Staaten geführt.

In diesen Erklärungen ist die Antwort auf die Frage enthalten nach den Ursachen für die Niederlage des Sozialismus in Europa gegen Ende des Jahrhunderts, von dem wir erwarteten und erhofften, es würde das Jahrhundert des nicht mehr rückgängig zu machenden Triumphes des Sozialismus werden, das Jahrhundert der endgültigen Befreiung der Mehrheit der Menschheit von der Herrschaft des Kapitals.

Diese Antwort lautet: Weil der Revisionismus - trotz der Warnungen der Beratungen der kommunistischen Parteien vor dem Revisionismus als der Hauptgefahr für den Bestand des Sozialismus - in der führenden Partei des sozialistischen Lagers, in der KPdSU, über den Marxismus-Leninismus siegte, konnte der Imperialismus über den Sozialismus in der Sowjetunion und Europa siegen.

So selbstverständlich die Feststellung, dass der Sozialismus nur auf dem Wege des wissenschaftlichen Sozialismus mit Erfolg aufgebaut werden kann, jedes Abweichen von diesem Wege aber den Sozialismus ruiniert, für jeden Marxisten auch sein müsste - sie ist es nicht.

Und leider gehören zu denen, die dieser Feststellung widersprechen und sie zu widerlegen suchen, auch so erprobte und geschulte Kommunisten, wie der im vorigen Jahr verstorbene Antifaschist, Spanienkämpfer und Hochschullehrer in Fragen des Marxismus-Leninismus, Genosse Fred Müller. In verschiedenen Artikeln und in zwei großen Sonderheften von „Offensiv" hat er - neben Vielem, dem ich nur aus vollem Herzen zustimmen konnte –, Thesen aufgestellt, über die ich mit ihm schon zu seinen Lebzeiten gestritten habe und über die ich meinen genossenschaftlichen Streit mit ihm weiter führen wollte. Sein Tod hat das verhindert.

Aber diese seine Thesen können nicht unwidersprochen bleiben, erstens, weil sie meiner Ansicht nach nicht Klärung, sondern Verwirrung bewirken, und zweitens, gerade weil sie von ihm kommen und also ernst genommen werden müssen.

Fred Müllers Erklärung lautet, kurz gesagt, so: Der Niedergang des Sozialismus ist nicht die Folge falscher Politik, sondern die Folge dessen, dass er infolge des Ausbleibens der Weltrevolution nicht nur die ganze Zeit über schwächer blieb als der Imperialismus, sondern nach dem Sieg der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg im Verhältnis zum Imperialismus sogar noch schwächer wurde als vor dem Kriege. Deshalb war sein Untergang unvermeidlich, denn über Sieg oder Niederlage entscheidet nur das Kräfteverhältnis, nicht die höhere gesellschaftliche Qualität. Bei Fred Müller liest sich das so: „Lenin hat zur Hauptfrage ‚wer – wen’ nie ein Hehl daraus gemacht, dass es der Stärkere sein wird, der sie zu seinen Gunsten entscheidet. ...

Wenn eine real existierende sozialistische Gesellschaft nicht mehr die wirtschaftliche Potenz besitzt, um im internationalen Kräfteverhältnis die erforderliche politische und militärische Unabhängigkeit zu garantieren, ist sie dem Niedergang und schließlich der Niederlage ausgesetzt.

Das internationale Kräftemessen stand seit der Oktoberrevolution unerbittlich vom ersten Tage an für die beiden antagonistischen Systeme auf der Tagesordnung und wurde nicht dadurch entschieden, wer die historisch höhere Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern wer zur Aufrechterhaltung seiner Ordnung die dazu erforderliche Macht besaß!"18

Fred Müller hat mit diesen Sätzen Lenin kräftig missdeutet. Lenin sagte nirgends, dass im Kampfe „Wer-Wen?" gesetzmäßig der Stärkere siegen müsse. Wäre es so, brauchte man den Kampf erst gar nicht anzufangen. Denn jede neue Gesellschaftsordnung, die aus der alten hervorgeht, ist zunächst einmal für längere Zeit der schwächere Teil. Lenin sagte vielmehr, der Kampf ‚wer-wen’ werde in letzter Instanz durch die höhere Arbeitsproduktivität entschieden.

Müller hat nicht beachtet und nicht erwähnt, dass die Sowjetunion in den ersten drei Jahrzehnten ihrer Existenz aufgrund der höheren Arbeitsproduktivität der sozialistischen Planwirtschaft einen Großteil des Rückstandes Russlands aufgeholt hat und nach nur zwei Jahrzehnten, zu Beginn des Zweiten Weltkrieges, in der Liste der Industriemächte bereits den zweiten Platz hinter den USA einnahm und imstande war, nach deren Überfall auf die Sowjetunion die bis dahin größte und stärkste imperialistische Kriegsmaschine, die des deutschen Faschismus, zu zerschmettern.

Fred Müller registrierte zwar, dass dann in den fünfziger Jahren der „unaufhaltsame", - wie er meint, - Niedergang begann. (S.28). Aber er nahm nicht Kenntnis davon, dass an die Stelle einer bisher vom wissenschaftlichen Sozialismus geleiteten Gesellschafts- und Wirtschafts- Politik in der Sowjetunion nach dem XX. Parteitag der KPdSU eine Politik beurieben wurde, die immer deutlicher jene oben aufgeführten Merkmale aufwies, die von der 1957er Beratung als Merkmale des modernen Revisionismus aufgelistet wurden. Es muss auffallen, dass in seinem Geschichtsbild die scharfe Auseinandersetzung mit dem Revisionismus in der Kommunistischen Bewegung nicht vorkommt. Selbst den Begriff des modernen Revisionismus wird man bei ihm vergeblich suchen. Statt dessen finden wir bei ihm dies: „Manche suchen die Gründe in der Entartung des Systems vor allem im Eindringen des ideologisch zersetzenden Einflusses des Klasssenfeindes. Des weiteren in dem politischen und fachlichen Unvermögen, den Fehlern und Verfehlungen, die sogar kriminellen Charakter annehmen konnten, der verantwortlichen Funktionäre.... Die fast ein Jahrhundert bestehende Sowjetunion hat unter Beweis gestellt, dass nicht irgendwelche Fehler und Verfehlungen ihre Existenz gefährdeten, sondern der Verlust der materiellen, besonders wirtschaftlichen Grundlagen zur Aufrechterhaltung des Systems." (S.17)

Fred Müller bestreitet hier eine der unbestreitbaren marxistischen Erkentnisse: dass nämlich, da der Sozialismus eine Wissenschaft ist, auch der Aufbau der sozialistischen Ordnung nur erfolgreich sein kann, wenn er wissenschaftlich betrieben wird, dass also Sieg oder Niederlage nicht nur von objektiven Bedingungen, sondern natürlich auch davon abhängen, ob die Politik der führenden Partei den gesellschaftlichen Bedingungen entspricht und ob sie die ökonomischen Gesetze kennt und berücksichtigt.

Das alles gibt es bei Fred Müller aber nicht, und deshalb stellt er auch gar nicht erst die Frage, woher es denn wohl kommt, dass in der Sowjetunion auf einmal „das System entarten" konnte und „die materiellen, besonders wirtschaftlichen Grundlagen zur Aufrechterhaltung des Systems" verloren gingen. Denn er weiß ja mit Bestimmtheit, dass die Ursache dafür „nicht im subjektiven Handeln", sondern darin liegt, dass „die Folgen des Krieges, den die Sowjetunion gegen den Faschismus geführt und gewonnen hatte, nicht nur die Befreiung der Völker des eigenen Landes und vieler Völker der Welt bedeutete, sondern auch den eigenen Niedergang und die Niederlage einleiteten und unvermeidbar machten.!" (S.28. Unterstreichung von mir, K.G.)

Wenn Fred Müllers Erklärung für den Untergang der Sowjetunion und der mit ihr verbündeten europäischen sozialistischen Staaten zutreffend wäre, dann wäre es nur durch ein Wunder zu erklären, dass das sozialistische Kuba auch 12 Jahre nach dem Verlust seines stärksten ökonomischen, politischen und militärischen Rückhaltes noch immer dem übermächtigen USA-Imperialismus standgehalten hat. Warum bloß hat er das nicht selbst gesehen, und uns statt dessen eine Erklärung vorgelegt, die einen Gorbatschow vom Vorwurf, zum Untergang der Sowjetunion aktiv beigetragen zu haben, freispricht, ihm vielmehr den Rang eines Vollstreckers des Urteils der Geschichte zuweist ?

Denn – so wieder Fred Müller: „Bedeutete denn die Erweiterung durch die Länder der Sozialistischen Staatengemeinschaft eine spürbare Verbesserung? Nein, im Gegenteil. Sie bedeutete neben den anderen internationalen Verpflichtungen eine zusätzliche schwere Belastung für die Sowjetunion." (S.31).

Schließlich noch dieses Argument von Fred Müller: „Nur durch die siegreiche Weltrevolution ist der endgültige Sieg des Sozialismus gewährleistet. Weil diese Voraussetzung nicht vorhanden war, ist dies der Hauptgrund, dass die Bedingungen für die Entwicklung der Übermacht des Imperialismus so wirksam werden konnten, dass der Niedergang und die Niederlage des real existierenden Sozialismus nicht mehr verhindert werden konnten." (S.17.)

Es muss verwundern, dass Fred Müller einerseits beklagt, dass „die siegreiche Weltrevolution" ausblieb und darin eine Ursache für die Unvermeidlichkeit des Niederganges und der Niederlage im Kampfe „Wer-Wen?" sah, andererseits aber die Ereignisse, die doch tatsächlich Glieder der sich in Etappen vollziehenden Weltrevolution waren, nämlich die Erweiterung des Machtbereiches des Sozialismus „durch die Länder der Sozialistischen Staatengemeinschaft", ebenfalls zur Ursache für die Unvermeidlichkeit der Niederlage erklärte - wegen der „zusätzlichen schweren Belastung für die Sowjetunion", die dazu geführt habe, den USA einen „großen, sehr schnell wachsenden wirtschaftlichen Vorsprung" zu verschaffen. (S.29).

Fred Müller kam nicht in den Sinn, dass es keine Stärkung, sondern eine Schwächung des Imperialismus bedeutet,

- wenn sein Macht- und Ausbeutungsbereich um die Hälfte Europas, um das nach der Sowjetunion größte und volkreichste Land der Erde, um China, um Nordkorea und Vietnam, verkleinert wurde; - wenn er in Korea und Vietnam militärische Niederlagen einstecken musste, weil sein Atomwaffenmonopol gebrochen wurde und der Sozialismus auf allen Kontinenten, Australien ausgenommen, Fuß gefasst hat;

- wenn damit dem an sich grenzenlosen Streben des Imperialismus nach Auspressung von Superprofiten aus allen anderen Ländern und Völkern Grenzen gesetzt wurden, weil ihnen das sozialistische Lager in ihrem Kampf um Unabhängigkeit und Abwehr der imperialistischen Erpressungsversuche Rückhalt bot!

All dies sieht Fred Müller nicht – statt dessen: eine Stärkung des Imperialismus durch die Schrumpfung seines Machtbereiches und eine Schwächung des Sozialismus durch die Ausdehnung seines Herrschaftsbereiches auf ein Drittel statt eines Sechstels des Erdballs!

Ich vermisste bei Fred Müller ferner, dass er bei seiner Suche nach den Ursachen für die Niederlage nicht wenigstens die Frage stellte, ob zur Schwächung des Sozialismus nicht doch auch die Spaltung des sozialistischen Lagers durch die feindliche Konfrontation der Sowjetunion gegen Volks-China beigetragen hat. Und ich frage mich, ob er diese Spaltung ebenfalls als unabhängig von der Politik nur als Folge der objektiven Gegebenheiten erklärt hätte.

Fred Müllers Postulat der Erklärung der Niederlage ausschließlich als Ergebnis objektiver Gegebenheiten kann von ihm selbst nicht durchgehalten werden: Wie wir sahen, erklärt er einerseits, nicht Fehler der sowjetischen Politiker hätten die Niederlage verursacht, sondern das Ausbleiben der Weltrevolution. Warum aber blieb sie aus? Wäre er konsequent gewesen, hätte er auch dafür objektive Gegebenheiten anführen müssen. Wie aber erklärte er ihr Ausbleiben tatsächlich? In einer Erwiderung auf Einwände von mir 19 gegen einige Punkte seiner Darlegung schrieb er: Der Verrat der Sozialdemokratie war ausschlaggebend, dass der Rote Oktober nicht in den Sieg der Weltrevolution überging."20 (Unterstreichung von mir, K.G.)

Wenn aber der Verrat der Sozialdemokratie das Ausbleiben der Weltrevolution verursachen konnte, - warum sollte dann „der Verrat des Revisionismus" nicht das Ausbleiben des Sieges des Sozialismus bewirken können?

Lassen wir uns also nicht länger davon abhalten, den Anteil des Revisionismus an der Niederlage des Sozialismus näher zu betrachten. (Fortsetzung folgt)

Antwort auf die Frage: „Warum konnte der Revisionismus in der KPdSU über den Marxismus-Leninismus siegen?" – mit folgenden Unterpunkten: a) „Zum Problem von objektiven und subjektiven Ursachen"; b) „Gemeinsamkeiten und Unterschiede von „altem" und „modernem" Revisionismu;" c) „Der Imperialismus geschwächt, aber mit neuen Waffen ausgerüstet" – und die über diese Unterpunkte hinausgehende weitere Fortsetzung der Arbeit von Kurt Gossweiler im nächsten Heft! Die Red.

 

 

Interview mit Autoren von „Die Sicherheit"

Redaktion Offensiv: Interview zu „Die Sicherheit"

 

Wir freuen uns, über eine der interessantesten Buchveröffentlichungen der letzten und wahrscheinlich auch der nächsten Jahre sehr direkt berichten zu können. Es geht um „Die Sicherheit". Aus dem Informationsblatt des Verlages: „Auf zwei Säulen stand das Ministerium der Staatssicherheit: der „Hauptverwaltung Aufklärung" (entsprach dem westdeutschen BND) und der „Abwehr" (Verfassungsschutz). Zwanzig Generäle und Oberste der Abwehr, praktisch deren gesamte Führung, berichten auf über tausend Seiten über die Arbeit dieser Institution. Die in der Welt wohl einmalige Tatsache, dass die Leitung des liquidierten Geheimdienstes eines untergegangenen Staates sich öffentlich erklärt, erregte bereits bei ihrer Ankündigung einiges Aufsehen."

Drei der Autoren standen uns Rede und Antwort, waren bereit, auf unsere Fragen kollektiv einzugehen: Reinhard Grimmer, Werner Irmler, Wolfgang Schmidt.

Wir freuen uns sehr über diese Informationen aus erster Hand! Red. Offensiv, Hannover

 

Red. Offensiv: Ihr habt die zweibändige Ausgabe „Die Sicherheit. Zur Abwehrarbeit des MfS." herausgebracht. Welches Ziel verfolgt Ihr mit dieser Veröffentlichung?

Antwort: Mit dem zweibändigen Sachbuch zur Abwehrarbeit des MfS wollen wir Einblicke vermitteln, was wir in langjähriger Tätigkeit mit den von uns geleiteten Kollektiven an Kenntnissen und Erfahrungen gewonnen haben. Anliegen ist es, damit zu einem objektiven Bild über das MfS als Schutz-, Sicherheits- und Rechtspflegeorgan und speziell über die Aufgaben, Struktur und Arbeitsweise der Abwehrdiensteinheiten beizutragen. Wir wollen Antwort geben auf Fragen, wie das MfS wirklich gearbeitet, was die Abwehrarbeit und unser eigenes Handeln bestimmt hat. Dabei erheben wir keinesfalls Anspruch auf eine allseitige oder gar abschließende Behandlung dieses Themas. Wir wähnen uns nicht im Besitz eines Wahrheitsmonopols. Als aktiv Beteiligte und kompetente Zeitzeugen sind wir nicht frei von subjektiven Sichten und Wertungen. Dennoch haben wir uns bemüht, mit unserer Vergangenheit objektiv, sachlich und souverän umzugehen. In diesem Sinne fühlen wir uns in besonderer Weise gegenüber den ehemaligen Angehörigen und Inoffiziellen Mitarbeitern des MfS, allen, die sich für den Schutz der DDR eingesetzt haben, verpflichtet. Mit unserem Wissen und unseren Erfahrungen wollen wir gleichwohl dazu beitragen, allen Interessierten ein Stück erlebte Geschichte zu vermitteln. Mit unserem Buch wollen wir vor allem auch an Fakten erinnern, die dem Zeitgeist geschuldet heute totgeschwiegen werden. Wir wollten unsere Erinnerungen festhalten, solange uns das noch möglich ist.

Mit unserer Vergangenheit und der des MfS souverän umzugehen, ist nicht nur eine Sache unseres guten Willens und Wollens, sondern auch eine Sache der politischen Rahmenbedingungen und des gesellschaftlichen Klimas. Seit 1989 wird die öffentliche Meinung durch eine Flut von Publikationen über das MfS bestimmt, die oft mit bösartigen Unterstellungen und Verleumdungen, tendenziösen und selektiven Darstellungen darauf gerichtet sind, via Stasi-Hysterie jede positive Erinnerung an die DDR und ihren Sozialismus-Versuch auszulöschen. Dabei produzieren sich zahlreiche selbst ernannte Stasi-Experten, fanatische Antikommunisten mit und ohne wissenschaftlichen Anstrich, gut bezahlte Parteigänger des heutigen Systems, aber auch tatsächliche und vermeintliche Opfer mit ihren subjektiven Sichten. Was wurde in den vergangenen 12 Jahren dem MfS, und speziell auch seinen Abwehrorganen, alles angedichtet?: Mord, Totschlag, Komplizenschaft mit Terroristen, Folter, Psychiatriemißbrauch, radioaktive Bestrahlung von Inhaftierten, Machtmißbrauch, Korruption, flächendeckende Ausspähung und Repression usw. Obwohl die eifrigen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte der BRD im Ergebnis zehntausender Ermittlungsverfahren die Mitarbeiter des MfS de fakto juristisch rehabilitieren mußten, beherrschen auch heute noch Horrorszenarien das MfS-Thema in den Medien. Anliegen unserer Publikation ist es, zu einer Versachlichung beizutragen und die Leser in die Lage zu versetzen, sich ein eigenes Urteil zu bilden.

Red. Offensiv: Wie seid Ihr auf die Idee der Herausgabe eines solchen umfangreichen Sachbuches gekommen?

Antwort: In den zurückliegenden Jahren haben eine Reihe von ehemaligen Mitarbeitern des MfS themenbezogen immer wieder versucht, objektiv und sachlich zu einzelnen Seiten der Arbeit des MfS Stellung zu nehmen. Besonders notwendig wurde das im Zusammenhang mit der politisch motivierten Strafverfolgung, der politischen und sozialen Ausgrenzung der hauptamtlichen und Inoffiziellen Mitarbeiter des MfS. Angesichts der Übermacht der bei der Behandlung des MfS-Themas weitgehend gleichgeschalteten Medien und der Anmaßung des Deutungsmonopols seitens der Gauck-Birthler-Behörde blieben diese Bemühungen „Tropfen auf den heißen Stein". Gleichzeitig wuchsen die Erwartungen vieler Mitarbeiter, daß sich ihre ehemaligen Leiter grundsätzlich, umfassend und selbstredend auch kritisch zur Abwehrtätigkeit öffentlich äußern. Das wurde noch verstärkt durch die Publikationen und öffentlichen Anhörungen zur Tätigkeit der Aufklärung des MfS, der HVA.

Wir erinnern in diesem Zusammenhang an die Veranstaltungen der Alternativen Enquete-Kommission Deutsche Zeitgeschichte vom 15. Dezember 1993 und vom 29. Mai 1994 in Berlin (abrufbar unter www.mfs-insider.de).

Ursprünglich war geplant, anknüpfend an diese Veranstaltungen in analoger Weise zu einer komplexen und differenzierten Darstellung des Abwehrbereiches überzugehen. Das gestaltete sich jedoch komplizierter als zunächst angenommen und ging nicht ohne intensiven, unausbleiblich und unerläßlich auch von kontroversen Diskussionen geprägten konstruktivem Meinungsstreit. Besonders hinderlich war die teilweise bis heute anhaltende Strafverfolgung Beteiligter. Selbstverständlich war es einer emotional aufgeputschten Öffentlichkeit auch leichter zu vermitteln, daß die Arbeit der Aufklärung des MfS der international üblichen Tätigkeit von Nachrichtendiensten entsprach als über Aufgabenbereiche der inneren Abwehr zu sprechen, die unmittelbar DDR-Bürger betrafen. Es war und ist auch nicht zu erwarten, daß sich Abwehrverantwortliche der BRD zu ihrer Arbeit im Diskurs mit ehemaligen Abwehrspezialisten des MfS äußern. Seit 1994 war aber absehbar, daß eine zusammenfassende Darstellung der Abwehrarbeit des MfS erforderlich ist. Es entstanden zahlreiche, immer wieder diskutierte und überarbeitete Ausarbeitungen. Besonders intensiv wurde daran in den letzten 3 Jahren gearbeitet. Am 16. Februar 2000 wurde mit einer Podiumsdiskussion des Berliner Alternativen Geschichtsforums ein erneuter Versuch gestartet, eine öffentliche Diskussion über die Abwehrarbeit des MfS zu führen. Das Publikum, die öffentliche Wahrnehmung und der Kreis der tatsächlich zu vermittelnden Fragen und Probleme blieben jedoch begrenzt. Damit verdichtete sich die Idee der Herausgabe eines zusammenfassenden Kompendiums zur Abwehrarbeit. Entgegen anders lautenden Darstellungen war zu keinem Zeitpunkt eine wie auch immer geartete Darstellung der gesamten Tätigkeit des MfS ins Auge gefaßt worden.

Red. Offensiv: „Die Sicherheit..." enthält Beiträge von 20 Autoren. Wie habt Ihr das geschafft?

Antwort: Die Autoren kennen sich aus jahrzehntelanger gemeinsamer Tätigkeit, sind z. T. untereinander langjährig befreundet. Hinzu kam, daß die aktive Solidarität im Gerichtssaal, im Kampf gegen das Rentenstrafrecht, gegen die berufliche und soziale Ausgrenzung, gegen öffentliche Diskriminierung und Diffamierung, die selbstverständliche Hilfe und Unterstützung bei familiären und gesundheitlichen Problemen zusammenschweißt. Das hat nichts mit alten Strukturen, „Seilschaften" oder Konspiration zu tun.

Der Schwerpunkt der Erarbeitung der einzelnen Beiträge lag bei den Autoren selbst, brachte doch jeder spezifisches Wissen ein. Die Aussprache zu Entwürfen erfolgte in offenen Diskussionsrunden mit jeweils unterschiedlichen Teilnehmern in einer sehr lockeren Form. Das schloß die Konsultation mit anderen ehemaligen Mitarbeitern des MfS nicht aus sondern erforderte sie regelrecht. Neben den 20 Buchautoren haben wenigstens hundert weitere Mitarbeiter des MfS durch Hinweise, Erinnerung an konkrete Personen und Ereignisse, kritische Bemerkungen usw. an dem vorliegenden Sachbuch aktiv mitgewirkt. Hinzu kommt eine Reihe weiterer Personen, die zwar keine Mitarbeiter des MfS waren, die uns mit der Vermittlung ihrer Erkenntnisse ebenfalls sehr geholfen haben.

Red. Offensiv: Aber nun zum Inhalt: Was erwartet die Leserinnen und Leser?

Antwort: Die beiden Bände des Buches umfassen 1248 Seiten, also viel Lesestoff, der von Umfang, Inhalt und Darstellung her nicht geringe Ansprüche an die Leserinnen und Leser stellt. Schon ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis des Buches läßt erkennen, wie vielfältig und komplex die behandelten Themen sind. Sie erfassen alle wesentlichen Bereiche der Abwehrarbeit des MfS, die Darstellung grundsätzlicher Fragen der Sicherheitspolitik zur Gewährleistung der staatlichen Sicherheit, der Hauptaufgaben, Mittel und Methoden der Abwehrarbeit (einschließlich der Zusammenarbeit mit den Inoffiziellen Mitarbeitern) bis zu deren Umsetzung in den jeweils spezifischen Aufgabengebieten. Das sind solche Bereiche, wie die Spionage- und Terrorabwehr, der Schutz der Volkswirtschaft und der politischen Grundlagen der DDR, die Militärabwehr, die Vorbereitung auf einen Verteidigungszustand, die funkelektronische Abwehr und Aufklärung, die Bekämpfung des Verlassens der DDR und des Menschenhandels, die Tätigkeit der Untersuchungsorgane und des Untersuchungshaftvollzugs, die Juristische Hochschule des MfS u.a. Behandelt werden das Ende des MfS sowie die Aktenlage.

Dabei waren alle Autoren bemüht, durch eine objektive, sachliche, auf Fakten gestützte Darstellung ein realistisches Bild von der Tätigkeit des MfS und seiner Diensteinheiten zu zeichnen, auf billige Polemik zu verzichten und sich auch kritischen Bewertungen und Einschätzungen zu stellen bzw. diese selbst vorzunehmen. Im Mittelpunkt steht die Erforschung der historischen Wahrheit. Das erforderte, die Tätigkeit des MfS in den konkreten historischen Zusammenhängen, in den Auseinandersetzungen des Kalten Krieges, unter den Bedingungen der besonderen Bedrohungslage der DDR zu betrachten, aber auch als Teil eines einheitlichen staatlichen und gesellschaftlichen Systems, an dessen Spitze die SED-Führung stand.

Die Autoren waren darauf angewiesen, vorwiegend auf in ihrer Arbeit selbst erworbene Erfahrungen und persönliches Wissen zurückzugreifen. Eine Einsichtnahme und Auswertung der in der Gauck-Birthler-Behörde vorliegenden Originalinformationen und Dokumente war und ist ihnen weitgehend verwehrt. Die Sprache, die speziellen Begriffe und Ausdrucksweisen in den Bänden entsprechen der seinerzeit verwendeten „Partei- und Amtssprache" und der eines militärisch geleiteten Staatsorgans. Die Autoren konnten und wollten sich davon nicht lösen, oder gar in den Sprachstil verschiedener Vergangenheitsbewältiger verfallen, der eher verfälschend als wahrheitsfindend ist. Im übrigen: Alle „Dienste" – so auch das MfS – pflegten bzw. pflegen für bestimmte Sachverhalte bzw. Tätigkeiten spezielle Begriffe, entwickelten eine Art Fachsprache, die für Außenstehende nicht immer leicht verständlich ist. Wir bekennen uns auch auf diesem Gebiet zu unseren „Sünden".

Red. Offensiv: Rechtsanwalt Dr. Peter-Michael Diestel schreibt als Insider der MfS-Auflösung in seinem dem Buch vorangestellten Plädoyer, daß er auf eine „faire, offene Diskussion dieses bisher einzigartigen MfS-Kompendiums" hoffe. Seht Ihr das auch so?

Antwort: Um über das Buch diskutieren zu können, sollte es zunächst einmal gelesen werden, was bei ca. 1.250 Seiten, noch dazu eines Sachbuches mit komprimierten Aussagen, durchaus nicht einfach ist. Wie bereits erwähnt, wollen wir mit unserem Buch zur Versachlichung und Objektivität in der Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR, im speziellen des MfS beitragen. Eine faire und offene Diskussion würde mithelfen, Barrieren abzubauen, Vorurteile zu beseitigen, politisch motivierte Verfolgungen, Ungleichbehandlungen und Ausgrenzungen zu beenden. Das würde allerdings auch die Aufgabe vorgegebener und eingeübter Rituale beim Thema „Stasi" voraussetzen. Wir werden uns Diskussionen stellen (Anfragen dazu, zu Buchbesprechungen, liegen bereits vor), die auf gleicher Augenhöhe geführt werden, d. h., die ohne diskriminierende oder diffamierende Begleitumstände ablaufen können. Allerdings haben wir auch die Erfahrung machen müssen, daß Leute, die ihre heutige gesellschaftliche Bedeutung fast ausschließlich aus der permanenten Verteufelung des MfS herleiten, an einer inhaltlichen Diskussion im Grunde nicht interessiert sind. Wir kennen ihre stereotypen Inszenierungen und können auf sie verzichten. Das trifft übrigens auch für bestimmte Medien zu, die nicht müde werden, immer wieder neue (meistens nur alte, wieder aufgewärmte) Stories zu verkünden.

Red. Offensiv: Ihr schreibt im Klappentext: „Gemessen an der Aufgabe des MfS,... die DDR und das friedliche Aufbauwerk von Generationen zu schützen, haben wir letztlich nicht bestanden." Seid Ihr der Auffassung, bei einer anderen Sicherheitspolitik und anderem Handeln wäre die DDR zu retten gewesen?

Antwort: Diese Frage bewegt auch uns sehr. Sie berührt grundsätzliche historische und politische Entwicklungen und ist letztlich nur spekulativ zu beantworten. Der Realsozialismus ist schließlich nicht nur in der DDR zusammengebrochen. Unsere Position dazu haben wir in unserem Buch an verschiedenen Stellen dargelegt. Wir verweisen im Besonderen auf den Beitrag „Sicherheitspolitik der SED, staatliche Sicherheit der DDR und Abwehrarbeit des MfS", in dem unsere Auffassungen zu den Ursachen für das dargelegt werden, was gemeinhin als „Scheitern des realexistierenden Sozialismus" bezeichnet wird. Zitat: „Die Ursachen für die Niederlage der DDR sind vielschichtig und komplexer Natur, es gab innere und äußere Faktoren, die sich gegenseitig durchdrangen oder wechselseitig bedingten. Dazu gehören falsche und fehlerhaft umgesetzte Gesellschaftskonzepte – auch auf dem wichtigen Gebiet der Sicherheitspolitik. Eine wesentliche Rolle spielte auch der Subjektivismus in der Gesellschaftspolitik. Aber zum Komplex der Ursachen gehören vor allem auch die Politik und die Maßnahmen der Westseite gegen die DDR. ... Es war kein fairer Wettstreit der Systeme. Es war Kalter Krieg. ... Aber unzweifelhaft dürfte bei alledem auch sein: Ohne die Sowjetunion mit ihrem politischen, ökonomischen und militärischen Potential war der Sozialismus in der DDR zum Scheitern verurteilt."

Die Entwicklung der DDR als sozialistischer Staat und die Gewährleistung seiner Sicherheit war eine gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe unter Führung der SED und hätte das Engagement der übergroßen Mehrzahl der Bürger erfordert.

Red. Offensiv: Es geistert immer wieder die Auffassung durch die Medien, daß Markus Wolf nicht genug dafür getan habe, die Kundschafter und andere Quellen des MfS vor der Enttarnung und der darauf basierenden Verfolgung durch die bundesdeutsche Justiz zu schützen. Was sagt Ihr dazu?

Antwort: Die Buchveröffentlichungen von Markus Wolf, Werner Großmann, Gabriele Gast und anderen – wie nunmehr auch unser zweibändiges Sachbuch – ermöglichen jedem aufmerksamen Leser ein eigenes Urteil. Wir wissen, daß die Genossen der HVA mit Werner Großmann an der Spitze große Anstrengungen unternommen haben, ihre Kundschafter zu schützen und vor Repressionen zu bewahren. Wo das möglich war, haben Mitarbeiter der Abwehr sie dabei unterstützt. Was Markus Wolf betrifft, so war er bereits 1986 aus dem aktiven Dienst ausgeschieden.

Wenn es um die Enttarnung von Kundschaftern des MfS geht, so ist für uns der erbärmliche Verrat einer kleinen Anzahl z. T. leitender Mitarbeiter des ehemaligen MfS, darunter auch der Abwehr, besonders schwerwiegend und enttäuschend. Auch die Abwehr hätte ihre IM besser schützen können und müssen.

Red. Offensiv: Wie steht Ihr mit dem Abstand von mehr als einem Jahrzehnt zu Eurer Verantwortung?

Antwort: So wie es historisch gerechtfertigt war, in Gestalt der DDR eine gesellschaftliche Alternative – den Sozialismus auf deutschem Boden – zu schaffen, so legitim und notwendig war es, dieses Vorhaben zu schützen. Daran wirkten die Angehörigen, die Kundschafter und IM des MfS engagiert mit. Sie haben deshalb weder Grund zur Reue noch Anlaß, sich hinsichtlich ihrer staatssichernden Tätigkeit dem Deutungsmonopol der damaligen Gegner der DDR zu unterwerfen.

Wir wissen uns in Übereinstimmung mit vielen ehemaligen Mitarbeitern des MfS, daß es notwendig ist, weiter aktiv zusammenzustehen und Solidarität zu üben. Wir stehen fest an der Seite der von der politischen Siegerjustiz verfolgten ehemaligen Bürger und Kundschafter der DDR sowie der Opfer des Kalten Krieges in der BRD. Wir wenden uns gegen das anhaltende Rentenunrecht, von dem die DDR-Bürger, darunter auch die MfS-Angehörigen, betroffen sind. So wie es uns möglich ist, engagieren wir uns für den Frieden in der Welt, gegen die Verletzung von Menschenrechten, für soziale Gerechtigkeit und die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West.

Unsere Interviewpartner: Wolfgang Schmidt, Abteilungsleiter der Hauptabteilung 20 im MfS, Oberst a.D.; Werner Irmler, Leiter der zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG), Generalleutnant a.D.; Reinhard Grimmer, leitender Mitarbeiter der ZAIG, Oberst a.D.

 

 

Diskussionen zum Parteienheft

Hans Schröter: Lieber Frank!

Nun die versprochene Meinung zur Parteien-Broschüre. Zwei Dinge voraus: es ist verdienstvoll, eine derartige Charakteristik und Einordnung vorzunehmen. Die Unterscheidung zwischen Charakteristik und Einordnung ist nicht willkürlich gewählt, sondern offenbart Zusammenhänge, die in ihrer Einheit erst einen objektiven Sachverhalt deutlich, verständlich machen und die der politischen sowie ideologischen Auseinandersetzung Gewicht verleihen, ansonsten kann die Gefahr einer "Erzähle" kaum vermieden werden. Womit ich mit "Erzähle" kein Gequatsche meine, zumal das der Ernsthaftigkeit und dem Niveau Eures Angebotes überhaupt nicht gerecht würde.

Die größten Schwierigkeiten habe ich, mich den Ausführungen zur KPF und KPD anzuschließen, bzw. sie zu akzeptieren. Ich meine hier nicht einige Textstellen, sondern die Anlagen dieser Abschnitte und in ihnen enthaltene generalisierende Aussagen insgesamt. Meine Schwierigkeiten ergeben sich wohl daraus, daß ich nicht verkennen kann, daß die Beschreibung der KPF und auch der KPD völlig abgehoben wurde von jenen objektiven Zusammenhängen, in die sie nun einmal gestellt sind und die ihre Organisation und Funktion bestimmen und wie das auch in den grundlegenden Beschlüssen der KPD zum Ausdruck kommt. Und das unabhängig davon, in welchem Grade diese Bestimmung bereits verwirklicht wird bzw. werden kann. Mit anderen Worten: weder die KPF noch die KPD kann, wie geschehen, subjektivistisch bewertet oder gar an sich selbst bewertet werden. Mir scheint aber, daß dies im vorliegendem Falle geschehen ist.

Der objektive Maßbezug, zu dem die Parteien bzw. die Plattform in Beziehung zu setzen sind, besteht doch wohl darin, daß sie Klassenorganisationen sind, die in der Übergangsperiode vom imperialistischen Kapitalismus zum Sozialismus auch Klassenfunktionen zu erfüllen haben und dafür der Marxismus-Leninismus als ideologisches und theoretisches Fundament zur Verfügung steht. Fast 154 Jahren nach dem Erscheinen des Kommunistischen Manifestes, fast 70 bzw. 40 Jahre nach seiner weitgehenden praktischen Verwirklichung in der Sowjetunion, der DDR und anderen Ländern und angesichts des gegenwärtigen Kampfes in China, Nordkorea, Kuba, Vietnam sich dazu ignorant zu verhalten, wie es die Führung der KPF praktiziert, ist nicht nur verwerflich, sondern verräterisch. Unabhängig von unserer zeitweiligen Niederlage hat sich der Charakter der Epoche, die Epoche des revolutionären Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus zu sein, nicht im Geringsten geändert, wenn auch der Klassenkampf gegenwärtig komplizierter und schwieriger denn je geworden ist.

Die KPF ist deshalb nicht schlechthin ein weiteres Glied in der Kette der Abweichungen und Verwerfungen in der Geschichte der Arbeiterbewegung, sondern ein bisher erfolgreiches Unternehmen, Kommunisten von kommunistischer Politik abzuhalten. Anstelle in den konterrevolutionären Zeiten für die Wiederherstellung der Partei neuen Typus durch Überwindung vielfältiger Abweichungen und Entstellungen, wie sie z.B. in der SED in den letzten zwei Jahrzehnten passierten, zu kämpfen und den revolutionären Widerstand gegen die konterrevolutionären Prozesse zu organisieren, waren spätere führende Mitglieder der KPF an der Zerschlagung der Reste der SED führend und fördernd beteiligt. Daran ändert auch eine gelegentliche verbale Polemik gegen die Vorstandspolitik der Revisionisten in der PDS nichts.

Nicht zu akzeptieren ist auch der Abschnitt über die KPD. Man hat den Eindruck, daß die Verfasser weder das Programm der KPD noch nachfolgende Beschlüsse gründlich zur Kenntnis genommen haben. Anders ist die schreiende Oberflächlichkeit, mit der die KPD behandelt wird, nicht zu erklären. Jedenfalls kann der KPD nicht abgesprochen werden, daß sie ein marxistisch-leninistisches Programm besitzt, auf dieser Grundlage strategische und taktische Entscheidungen trifft. Das sind doch wohl auch Gründe, weswegen die KPD sich immer regeren Zuspruchs und Mitgliederzuwachses erfreuen kann. In der BRD gibt es keine andere, mit der KPD vergleichbare Partei.

Indes, trotz Antikommunismus und Prokapitalismus der Massenmedien wachsen Unzufriedenheit und oppositionelle Stimmungen und Haltungen und vereinzelt auch schon Aktionsansätze. Vielfach bleiben sie noch immer auf der Ebene des Trade-Unionismus und isoliert voneinander. Sicherlich deshalb, weil der revolutionäre politische Einfluß nicht ausreichend ist dafür, im Alltagsbewußtsein wachsen zu lassen, daß nur eine gründliche Veränderung des politischen und ökonomischen Systems den grundlegenden Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privatkapitalistischer Aneignung überwinden, die Schere zwischen Arm und Reich sich schließen läßt. Einen derartigen Einfluß zu erzielen kann nicht allein der Spontaneität, der Erfahrung überlassen werden, wie die Geschichte der BRD hinreichend belegt. Allumfassender Parteieinfluß ist immer mehr nötig.

Es ist deshalb überhaupt nicht zu verstehen, daß noch im Fettdruck auf Seite 77 des Parteienheftes unruhig werdende, in Bewegung geratende Kommunisten aufgefordert werden: "bleibt, wo Ihr seid" anstatt die Forderung zu erheben: Kommunisten und revolutionäre Sozialisten aller Bundesländer vereinigt Euch ! Die Zeit ist überreif!!!

Natürlich wäre es illusionistisch zu glauben, mir nichts, dir nichts eine neue Partei neuen Typus aus den Hut zaubern zu können. Aber mit einer einheitlichen Bewegung Einzelner und Organisationen läßt es sich wohl anfangen, um dann an Hand von Erfahrungen Schritt für Schritt eine führende Kraft entstehen zu lassen. Hans Schröter, Kelbra

 

Werner Roß: Einige Anmerkungen für die weitere Diskussion

Werter Genosse Flegel, Eure Zeitschrift „Offensiv" 1/2002 habe ich zufällig von einem Genossen erhalten. Die Beiträge haben mich angesprochen. Ich habe sie mit Interesse und Gewinn gelesen. In den Grundsatzfragen gibt es meinerseits Übereinstimmung. Wir werden in der KPF Sachsen über diesen Themenbereich diskutieren. Wichtig ist, dass Ihr gedankliche Anregungen gegeben und Denkstoff hinterlassen habt. Das betrifft insbesondere die Revisionismusthematik. Gestattet mir einige Anmerkungen für die weitere Diskussion:

1. Etwas unterbelichtet ist die Frage der so genannten „Freiheitsgüter", die Kernpunkt des libertären Sozialismus des Programmentwurfs der PDS (A.Brie, M.Brie, Klein) darstellen. Für Irritationen und Polemik gegen unser Sozialismusbild hat auch der aus dem Kontext gerissene Satz von R. Luxemburg gesorgt, die von der „Schaffung einer Gesellschaft" gesprochen hat, „worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist". Nun wissen wir, anknüpfend an K. Marx und F. Engels, dass für diese freie Entwicklung Voraussetzungen notwendig sind. Die Prämissen sind die Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln, die Abschaffung des Staates und der Konkurrenz. Alle Produktion muss in den Händen der assoziierten Produzenten konzentriert werden.

Mir scheint, dass wir im Bereicht der Menschen- und Grundrechte offensiver sein müssen. Das betrifft die Universalität der Grundrechte und deren Garantie (politische, ökonomische, soziale, juristische), die erst im Sozialismus Realität werden. Ohne die Lösung der Macht- und Eigentumsfrage sind die Grundrechte in ihrer Totalität nicht zu verwirklichen.

2. Was die Vergesellschaftung des Eigentums angeht, so ist deren Unabdingbarkeit in Zusammenhang mit der Beseitigung der Ausbeutung und der Arbeitslosigkeit, der Schaffung sozialer Gerechtigkeit, der planmäßigen und rationalen Steuerung gesellschaftlicher Prozesse zu betonen. Ohne die Vergesellschaftung des Eigentums ist die Lösung der durch das Kapitalverhältnis resultierenden Widersprüche eine Farce. Marx und Engels haben im Kommunistischen Manifest dargelegt, dass „die Kommunisten ihre Theorie in dem einen Ausdruck zusammenfassen (können): Aufhebung des Privateigentums".

Scharf polemisieren müssen wir gegen die Vergesellschaftung im Sinne der Beschränkung der Verfügungsmacht der Kapitaleigner über das Eigentum, soweit die Vergesellschaftung darauf beschränkt wird. Hier haben wir es mit einer klassischen sozialdemokratischen Position zu tun, die sich die PDS zueigen gemacht hat. Eine solche Sichtweise ist nicht dazu angetan, das Ausbeutungsverhältnis als Quelle von Mehrwert und Profit zu eliminieren.

Illusionen gilt es auch über das Gruppeneigentum auszuräumen, soweit es sich um vorherrschendes gesellschaftliches Eigentum handeln soll. Die Problematik liegt sicher in der Gesellschaftskonzeption des Anarchismus, der dem Staat, der Zentralgewalt und der Autorität abschwört. Sein Ziel ist ein föderalistischer sozialer und ökonomischer Aufbau der Gesellschaft, wobei die Sozialisierung nicht durch die zentralisierte politische Macht, sondern durch Kooperation und Assoziation, durch Gegenseitigkeit der Arbeiter und Bauern erreicht werden soll. Betont wird die persönliche Verantwortung des Einzelnen, bedingt durch seine individuelle Interessenlage (vgl. die Theorien von William Godwin, Pierre Joseph Proudhon, der als erster den Begriff Anarchismus prägte, sowie von Max Stirner und M.A. Bakunin). Hier haben wir es mit einem utopischen Glauben an Gerechtigkeit und Gegenseitigkeit, von gleicher Verteilung der Produktionsmittel zu tun. Dieser bezieht sich auch darauf, dass alle Arbeiter in Warenproduzenten und Kleineigentümer verwandelt werden sollen. Dies sei die Voraussetzung, um die Staatsgewalt zu verdrängen und somit den Kapitalismus reformieren zu können. K. Marx setzte sich mit den philosophischen und ökonomischen Auffassungen von Proudhon in seinem Werk „Elend der Philosophie" (1847) auseinander und kritisierte ihren idealistischen und kleinbürgerlichen Charakter.

Die Konsequenz für das gesellschaftliche Eigentum ist, dass es nur als Staatseigentum fungieren kann, wobei von den Grundpositionen der wissenschaftlichen Sozialismuskonzeption des Marxismus auszugehen ist, hier von der Dialektik von Staat und Eigentum. Durch die politische Machtergreifung der Klasse der Lohn- und Sozialabhängigen wird gesellschaftliches Eigentum geschaffen, das selbst wiederum die Grundlage für deren politische Machtausübung darstellt. Gerade im gesamtgesellschaftlichen Eigentum äußert sich die wechselseitige Beziehung von Eigentümerfunktion und politischer Machtausübung.

3. Gegen die Gewaltenteilung wird in fast allen Artikeln polemisiert und angemerkt, dass eine solche für den Sozialismus inakzeptabel sei. Eine die Thematik problematisierende Sichtweise wäre m.E. wünschenswert gewesen. Wesentlich scheint mir zu sein, die Gewaltenteilung als arbeitsteilige Verwirklichung der Machtverhältnisse des Kapitals im bürgerlichen Staat zu werten (vgl. Auseinandersetzung von Marx mit Monesquieu). In einem sozialistischen Staat geht es auch um die Verwirklichung der Machtverhältnisse, allerdings unter anderen Vorzeichen, aber unter Aspekten von Gegenkontrolle und der Durchsetzung der sozialistischen Gesetzlichkeit.

In diesem Zusammenhang scheint mir eine Bemerkung zum demokratischen Sozialismus als organische Verbindung von zentraler Staatlicher Leitung und eigenverantwortlichem Handeln der sozialistischen Betriebe sowie der Werktätigen und Bürger angezeigt. Der nach der so genannten „Wende" politisch von rechts, aber auch von links befehdete „demokratische Zentralismus" darf nicht als Vollzugsdemokratie, sondern muss als Entscheidungsdemokratie unter aktiver Mitwirkung der Bürger verstanden werden. Erst dann kann er als unerlässliches Grund-, Entwicklungs- und Organisationsprinzip der Gesellschaft seine Optimierungsfunktion erfüllen.

4. Was das Abgleiten der PDS in eine Partei mit sozialdemokratischem Profil angeht sowie die Wahrnehmung typischer Aufgaben eines Wahlvereins, so gibt es hier keinen Dissens zwischen uns. Wir können allerdings an der Frage unserer eigenen Blauäugigkeit nicht vorbei gehen. Dabei geht es um zwei miteinander zusammenhängende Grundprobleme. 1. Ist Politik ohne Ideologie möglich? 2. War die Grundkonstruktion des Pluralismus für eine antikapitalistische und sozialistische Partei vom Ansatz her richtig?

Beide Fragen verneine ich. Wir waren hier Illusionen aufgesessen; denn ohne eine marxistisch-leninistische Orientierung ist Antikapitalismus auf sozialistischer Grundlage politisch nicht möglich. Der unausbleibliche Revisionismus zeigte uns, wohin eine solche Fehleinschätzung führt.

Übrigens: weiter in der PDS als Kommunist zu bleiben, bedeutet Illusionen für den Widerstand aufzubauen und einen politischen Tod auf Raten zu betreiben. Ich persönlich habe durch meinen Austritt aus der PDS nach dem Dresdener Parteitag meine Konsequenzen gezogen. Sowohl Marx als auch Lenin haben darauf aufmerksam gemacht, wann ein Bruch mit einer revisionistischen Partei notwendig ist.

Mit solidarischen und kommunistischen Grüßen! Werner Roß, Zwickau

 

Gerda Schied: Es ist eine Zumutung

Meines Erachtens ist es eine Zumutung, wenn zwei DKP- und PDS-ler auf drei (3!) Seiten eines DIN-A-5-Heftes glauben, die 90er KPD (ab-)qualifizieren zu können. Insbesondere einem PDS-Mitglied – opportunistische Revisionistenclique! – steht es überhaupt nicht an, hier irgendwie zu verurteilen. Wer selbst jeglichen marxistisch-leninistischen Standpunkt „ab uovo" („Umbenennung" der SED durch die Gysi-Bisky-Bergmann-Modrow-Bande...!) vermissen lässt, hat nicht das geringste Recht, sich über die marxistisch-leninistische KPD auszulassen, und zwar in jener arroganten Art.

Das Letzte ist übrigens die Aufforderung Flegels, „bleibt, wo Ihr seid!". Natürlich bleiben die sozialdemokratischen Opportunisten in ihrem PDS-Verein und spekulieren auf Regierungspfründe.

Bleibt, wo Ihr seid, bitte, aber macht nicht als Trojanische Pferde des kapitalistischen Imperialismus Sozialisten und Kommunisten an! Gerda Schied, Möttingen-Lierheim

 

Hermann Jacobs: Der Marxismus ist in der Revisionismusfrage unentwickelt

Man sollte eine Konferenz ins Auge fassen, des Themas Revisionismus in der Arbeiterbewegung. Wir schlagen uns im Grunde mit keinem anderen Problem herum. Wobei wir die neue Dimension beachten müssen: Es geht nicht mehr nur um die Staatsfrage, sondern sie ist erweitert um die Ökonomiefrage.

Wir hatten eine sozialistische Gesellschaft gehabt. Sie ist sowohl in der Beziehung Staat als in der Beziehung Eigentum revidiert, wieder aufgehoben worden, dem Revisionismus liegt also eine ziemlich starke Kraft inne, hier Revision, Aufhebung gewesen zu sein. Jedenfalls ist durch diese Erweiterung zum Eigentumsverhältnis, also zur Ökonomiefrage der Arbeiterbewegung, die Revisionismusfrage als gesellschaftliche abgerundet worden.

Das "Parteienheft" von "Offensiv" reflektiert das Thema unter dem Gesichtspunkt der Widerspiegelung in DKP, KPF der PDS und der KPD ostdeutsche Länder der BRD, also in drei Organisationen, von denen wir noch eine Kritik an der neuen Revisionismus-Dimension erwarten.

Andere Parteien entsprechen allerdings der Revision des Sozialismus direkt. D.h. es sind aus dem Revisionismus in seiner höchsten geschichtlichen Erscheinung, seiner Revision des realen Sozialismus, sozialdemokratische Parteien ebenfalls neuer Art und Dimension hervorgegangen. Sie spiegeln die dem Revisionismus eigene Kritik des Sozialismus direkt wider, in einem gesellschaftlichen Gegensatz, d.h. in der Form einer anderen Gesellschaft. Diesem Unterschied von direkter und indirekter Widerspiegelung des auf Revisionismus beruhenden Reformismus muß auch eine wiederum marxistische Kritik am Revisionismus aller Arten Rechnung tragen; sie muß doppelt operieren, zwei Arten von Kritik entwickeln. Bedingt durch die Dimension des Revisionismus ins Gesellschaftliche des Sozialismus hinein, machen wir die eigentliche Verantwortlichkeit für ihn nicht in den nur widerspiegelnden Parteien von heute aus, sondern datieren wir sie in die Geschichte des realen Sozialismus zurück.

Für die Entwicklung des modernen, also gesellschaftlich völlig entwickelten Revisionismus in der Arbeiterbewegung trägt die Arbeiterbewegung des realen Sozialismus die Verantwortung. An ihr, die durchaus eine Kritik am modernen Revisionismus entwickelt hatte, liegt es, die Frage für alle zu beantworten, warum sie nicht widerstand. Wenn ich mir das erlauben darf: Es gibt drei große Themenkreise, in denen der Revisionismus gegenständlich geworden ist und die bisher von der marxistischen Revisionismus-Kritik auch thematisiert worden sind:

  1. die Staatsfrage, die Ablehnung eines proletarischen Staatsbegriffs; sie beginnt quasi mit der Kritik an Marx und ist ihr ältester, bis in den Kapitalismus reichender geschichtlicher Gegenstand, hier konnte der Revisionismus auch erfolgreich überwunden werden, aber ohne letzte geschichtliche Garantie - wie sich nunmehr zeigt;

  2. die sowjetische Außenpolitik seit N.S. Chrustschow, sie macht als bereits in den realen Sozialismus fallender Gegenstand den größten Inhalt des modern genannten Revisionismus aus, ist am stärksten auch von marxistischen Kritikern bearbeitet und historisiert worden - wenn auch nie mit Erfolg; es handelt sich um begleitende, bestenfalls nachgereichte Kritik;

  3. der ökonomische Revisionismus, die Wiederinfragestellung der Aufhebung des Privateigentums im realen Sozialismus; dieser Gegenstand des Revisionismus ist der zuletzt entwickelte und hat viele Gesichter, ist aber am wenigsten in der marxistischen Kritik thematisiert; hier gehen die Meinungen, was überhaupt revolutionär, was revisionistisch, bis zum Gegensatz auseinander.

Dass im modernen Revisionismus der Revisionismus als ein Recht (als eine Antwort auf die Geschichte) empfunden wird - und der Reformismus sogar eine Art Legitimation erfahren hat -, ist darauf zurückzuführen, dass sich die sozialistische Revolution nicht eindeutig entschieden hat, welches ökonomische System sein revolutionäres ist. Dass folglich die Revisionismusfrage solche Bedeutung in der Arbeiterbewegung erlangt, verdankt sie nicht ihrem eigenen Recht, sondern der Unentschiedenheit der Revolution. Nicht von allen genannten Gebieten ist daher die Auffassung geteilt, dass es sich hier auch um Revisionismus, Revision des Marxismus oder revolutionären Anliegens der Arbeiterbewegung handelt, es handelt sich auch um solche Auffassungen, dass Revision Revolution wiederherstellt. Die Kritik am Revisionismus als marxistische kann keineswegs als eine geschlossene betrachtet werden. Man kann nicht von einer völligen Übereinstimmung in der Thematisierung und Wertung genannter Gebiete als revisionistisch durch Marxisten sprechen.

Der Marxismus ist. in der Revisionismusfrage unentwickelt, nicht auf seinem höchsten, also gegenwärtig notwendigen geschichtlichen Stand. Das führt dazu, dass in dieser Frage von noch keinen vollständig marxistischen Parteien gesprochen werden kann. Es gibt den Marxismus in dieser Frage nur in Momenten in kommunistischen Parteien, die dadurch nicht, gegenüber dieser Frage nicht, vollständig kommunistisch oder revolutionär entwickelte Parteien sein können bzw. sind.

Der Marxismus in dieser Frage kann also nicht an Parteien gemessen werden, es entsteht eine Verantwortlichkeit von Personen gegenüber diesen Parteien, d.h. es ist die Initiative von Wissenschaftlern notwendig. Ein Maß - auch für Parteien - kann erst entstehen. Wir brauchen einen Marxismus der werbenden Art.

Ich wollte dies also zu bedenken geben gegenüber einem Anfang, der gemacht werden mußte und gemacht wurde, ohne sich schon auf die Form seiner reifen Kritik berufen zu können. Das ist gar nicht verlangbar, ist Anfangen verlangt. Hermann Jacobs, Berlin

 

Ursula Siegmayer: Sehr gute Prognose

Ich möchte mich am Minus vom Imperialismus-Buch beteiligen, damit dem Parteienheft große Verbreitung verschafft werden kann. Eure Texte (Flegel / Opperskalski) sind aber auch zu gut, zu überlegt, zu belegt! Es ist an der Zeit, und eben nicht „makaber", wenn Kommunisten ausharren, um intern das Parteienheft zu diskutieren. „An den Inhalten entlang", wie wir es schon in besseren Zeiten forderten, aber die heutigen dunklen Zeiten haben den Keim der Hoffnung in sich. Darum waren der Zeitpunkt und der Inhalt des Heftes einmalig!

Meine Prognose für’s Parteienheft: ein sehr gute! Ursel Siegmayer, Pforzheim

 

Carsten Messerschmidt: Welcher Seite soll ich nun vertrauen?

Zum Artikel: Abschied von Rolf Vellay in Offensiv 2/02 und zum Parteienheft

Der Text von Genosse Kurt Gossweiler in offen-siv 2/2002 und damit zusammenhängend das "Parteienheft" haben mich nun doch herausgefordert: Rolf Vellay war parteilos und dafür gab es und gibt es Gründe! Eine Partei, welche in der dialektisch immer wieder neu entstehenden Einheit von Praxis und Theorie das Niveau der chinesischen KP des Mao oder der bolschewistischen Partei zu Lebzeiten von Lenin erreichen könnte, gibt es die denn in Deutschland ?

Genosse Rolf Vellay unterhielt sich mit mir bei div. Veranstaltungen ( u.a. "5 Jahre" offen-siv in Hannover, "Imperialismusveranstaltung" von offen-siv und RotFuchs in Berlin) recht ausführlich über viele politische Themen. Rolf Vellay war alles andere, aber kein Sektierer! Und ich kann mir nicht vorstellen, daß Rolf Vellay die KPD (Ost-Berlin) oder die MLPD (Gelsenkirchen) als "sektiererische Positionen vertretend" bezeichnet hätte. Darum, meine Bitte an den von mir sehr geschätzten Genossen Kurt Gossweiler, bei der MLPD mehr zu differenzieren! Die MLPD würdigt die Errungenschaften der Anfangsjahre der DDR durchaus. Sicher gibt es gegenüber der in der MLPD vertretenen Theorie berechtigte Skepsis! Andererseits bitte ich zu beachten, daß die MLPD die mit großem Abstand beste gesellschaftliche Praxis aller linken Parteien und Organisationen an den Tag legt! Am 13.10.2001 in Berlin (Demonstration zum Gendarmenmarkt) konnte sich jeder davon überzeugen. Und, um diesen Punkt abzuschließen, die "Kinder, Enkelkinder und Anverwandte sowie Freunde und Bekannte" von Rolf Vellay kündigten seine Beisetzung in Datteln mit einer bezahlten Anzeige in der MLPD-Wochenzeitung "Rote Fahne" an.

Traurig finde ich die gegenseitige Gegnerschaft von vielen DDR- Genossen zu den "Maoisten". Die Kritik Mao's am Chrustchow-Kurs, war die etwa falsch ? Ich für meinen Teil, und das würde vermutlich auch für unseren Genossen Rolf Vellay gelten, hätte es besser gefunden, wenn eine Verständigung von KPD/DKP und MLPD in Sachsen-Anhalt angestrebt worden wäre! Jetzt gibt es zur Wahl zum Landtag am 21.April 2002 zwei konkurrierende Landeslisten von Parteien die sich auf die marxistisch-leninistische Wissenschaft und Lehre berufen. Und beide bezeichnen den XX.Parteitag der KPdSU als Knackpunkt, als entscheidende Abkehr vom Aufbau des Sozialismus in der Sowjetunion!

Welcher Seite soll ich als junger Revolutionär auf den Spuren von Lenin, Che und Mao nun vertrauen?

Denjenigen, die behaupten, auch im Jahre 2002 würde in Volkschina nach wie vor "der Sozialismus aufgebaut"? Oder denjenigen, die behaupten, in China herrsche "bürokratischer Kapitalismus" ? Kann beides eventuell falsch oder nur teilweise wahr sein ? Wird nicht zur Zeit in China der Sozialismus abgebaut und ist die Konterrevolution nicht in gefährliche Nähe gerückt ?

Zum Schluß noch ein paar Sätze zu den Genossen, die versuchen die KPD aufzubauen. Die KPD kommt im "Parteienheft" viel zu schlecht weg! Das wesentliche sind doch die Menschen! Und in der KPD sind zutiefst der Arbeiterklasse verpflichtete Menschen zusammengekommen! Auch wenn die Theoriebildung in der KPD sehr oberflächlich verläuft, und die Widersprüche der Wirklichkeit und das Wesen eines Ereignisses desöfteren nicht analysiert werden und stattdessen "einfache" (zu einfache) Wahrheiten als der Weißheit letzter Schluß verkündet werden.

Mit KPD und MLPD, mit RotFuchs und offen-siv und KAZ hat die revolutionäre fortschrittliche Menschheit starke Kräfte in der BRD! Mögen sie getrennt marschieren und trotz alledem gemeinsam zu kämpfen anfangen für unser Ziel, die revolutionäre Diktatur des Proletariats in Deutschland, Europa, in der ganzen Welt! Mögen sie voneinander lernen zu kämpfen, lernen zu siegen und lernen zu regieren! Deshalb: Ja zum aktiven organisierten Kampf für Sozialismus und Frieden, für die wahre Demokratie die kein Volksbetrug ist!

Carsten Messerschmidt, Hannover (28.02.2002)

 

Günter Bauch: Das Gemeinsame in das Zentrum der Arbeit rücken

Lieber Frank, zunächst herzlichen Dank an Dich und Deine Freunde für die inhaltlich guten Beiträge in dem Parteienheft und im Heft 2/2002.

Es ist für viele Genossen ein schwerer Verlust, was den Tod von Rolf Vellay anbetrifft. Seine Beiträge sind ein sehr gutes Vermächtnis für die gegenwärtigen und zukünftigen Generationen unserer kommunistischen Bewegung im In- und Ausland. Sicherlich wird es noch eine lange Zeit dauern, bis sein sehnlichster Wunsch, eine einheitliche marxistisch-leninistische Partei der Kommunisten zu schaffen, in Erfüllung geht.

Viele Einschätzungen im Parteienheft über die PDS, die DKP und zum Teil die KPD treffen den Nagel auf den Kopf.

Es stimmt aber, dass die KPD die einzige marxistisch-leninistische Partei der Kommunisten in der BRD darstellt. Leider fehlen ihr in ihren Darlegungen die aktuellen Bezüge in der heutigen Gesellschaft. Sehr gut sind bei ihnen die Beiträge aus der Historie der Arbeiterbewegung in Deutschland und der internationalen Arbeit der kommunistischen Bewegung. Doch damit gewinnt man keine neuen Mitglieder. Die junge Generation und die Menschen der mittleren Jahrgänge wollen Antwort auf die drängenden Fragen, das „Wie" unserer Zeit – gegen Sozialabbau, Arbeitslosigkeit, Unternehmerwillkür, Lohndrückerei u.a.

Wo erfolgt die theoretische Arbeit für die einfachen Arbeiter? Wo werden sie informiert? In Fernsehen und Presse kaum.

Warum streiten die Kommunisten untereinander über Weg und Ziel und kommen trotzdem zu keiner Einheit. Sich nur mit sich selbst zu beschäftigen führt zu keinem Erfolg. Ich denke, es ist an der Zeit, alles Trennende zu beseitigen und das Gemeinsame in das Zentrum der Arbeit zu rücken. Günter Bauch, Fraureuth

 

Hansjörg Schupp: Unter scharfem, sachlichem Stil verstehe ich etwas anderes

Werte Genossen, mit Interesse und gewisser Zustimmung las ich die verschiedenen Artikel in Euerem Parteienheft (1/2002). Gerade als (irgendwie) Mitbetroffener befriedigten mich die Seiten 74-77 kaum. Auf etwa drei Din-A-5-Seiten lässt sich auch eine Organisation geringer Größe weder darstellen noch analysieren oder bewerten. Einzig der Einschätzung der Partei (KPD, d.Red.) in ihrer Einstellung zur KDVR und VRCh mag ich weithin beipflichten. Sonst hebt sich sich m.E. als marxistisch-leninistische Partei haushoch von den anderen betrachteten Organisationen ab.

Den Stellungnahmen in Offensiv 2/2002 von R.M. und A.H. – positiv (in meinem Sinne) für die zu kurz gekommene Partei – füge ich hier und jetzt nichts hinzu.

Frau A.S. hätte wohl 1/2002 nicht so rasch verschlingen, vielleicht zuerst verdauen sollen, bevor sie unter Blähungen zu leiden begann, wie sie in 2/2002 sich auf S. 54 äußert. Zwar geht es nur um Organisationen – sie würdigt sie „...-Bande und ...-Dilettanten" herab! – nicht um dahinter befindliche Personen, aber unter scharfem, sachlichem Stil in politischen Auseinandersetzungen – von solidarischer Kritik gar nicht zu reden – verstehe ich ein bisschen etwas anderes.

Kommunistische Grüße, Hansjörg Schupp, Appetshofen

 

Dr. med. Günther Lange: Wohin der Dampfer gesteuert wird

Ich halte das „Parteienheft" für notwendig, richtig und zeitgemäß, auch wenn Klaus Steiniger (RotFuchs Nr.5, S.5), den ich außerordentlich schätze, das möglicherweise etwas anders sieht.

Aus der Gesamtschau m.E. wichtiger Veröffentlichungen -- Steigerwald in Weißenseer Blätter Nr.4/2001, S. 19; -- UZ vom 15.2.2002 zu Lenins „Was tun"; -- Sonderbeilage der UZ Frühjahr 2002 (Stehr und Diskussion zum Programmentwurf der DKP) kommt zumindest im Hinblick auf die Geschichte der Kommunisten heraus:

Ich bin ja dafür, sehr dafür, in der Polemik zwischen Freund und Feind zu unterscheiden, aber es muss deutlich erkennbar sein, wohin „der Dampfer gesteuert" wird! Günther Lange, Neuenhagen

 

Hans Schröter: Zur Kritik der Roten Fahne (KPD) am Parteienheft

Daß das Parteienheft Kritik auslösen wird, war zu erwarten.

Allerdings, was von einigen KPD-Mitgliedern in der letzten „Roten Fahne" (Ausgabe März 2002) geschrieben und kommentarlos abgedruckt wird bzw. wurde, ist schrecklich. So wird aus bestem Leder kein Schuh.

Für mich ist zunächst tröstlich, daß es sich nicht um redaktionelle, parteioffizielle Positionen handelt, sondern um persönliche Standpunkte. Aber allein auch das ist schlimm genug, niemand hat das Recht, einem Kampfgenossen vor die Füße zu kotzen. Das Parteienheft hat Mängel, und nicht wenige. Nur: wer es besser weiß, soll Besseres aufschreiben und nicht rummotzen, schließlich wurde es ja geschrieben, um eine der wesentlichen Grundfragen unserer Zeit, nämlich die Frage nach der notwendigen Partei, in einem größeren Umfange zu diskutieren.

Man kann sich wenden wie man will: keine der K-Gruppen kann für sich in Anspruch nehmen, Masseneinfluß zu besitzen. Am ehesten ist es die KPD, die Voraussetzungen dafür besitzt. Hier sollten wir uns einspannen und helfen, daß sie sich dahin entwickelt.

Nur, so wie in der letzten Roten Fahne gedruckt, wird nichts draus. Hans Schröter, Kelbra

 

Heinz W. Hammer: Leserbrief an „Die Rote Fahne" mit Bitte um Veröffentlichung.

Betreff: Diverse Artikel zum "Offensiv"-Parteienheft in „DRF", Ausgabe 03/2002;

(Die KPD hat den Leserbrief von Heinz W. Hammer in der Ausgabe 4/2002 der „Roten Fahne" nicht gebracht. Da der Genosse Hammer uns eine Kopie zusandte, bringen wir nun seinen Leserbrief hier in der Offensiv, damit er nicht völlig unveröffentlicht bleibt. Red. Offensiv)

Liebe Genossinnen und Genossen,

mit ausgesprochen großer Verwunderung habe ich Eure ausführlichen Artikel zu dem Beitrag der Genossen Frank Flegel und Michael Opperskalski im "Offensiv"-Parteienheft gelesen.

Was ist passiert?

Die beiden o.g. Genossen haben in ihrem Beitrag zur KPD u.a. die Einschätzung Eurer Partei zur Lage und Entwicklung in der VR China und der KDVR kritisiert. Es sind denn auch vor allem diese zwei Aspekte, auf die Ihr in der jüngsten "DRF" in ungewohnt ausführlicher Art und Weise reagiert. Ein ganz normaler Diskussionsprozeß unter Kommunistinnen und Kommunisten, so sollte man meinen.

Doch, ach, in welcher Form und Sprache?!?

So werden die kritisierten Genossen exakt nur einmal (S. 8, 1 Spalte) als "Genossen" bezeichnet. Ansonsten ist die Rede von "Kritikastern", an deren "Sachkenntnis Zweifel angebracht" seien; "Herren" mit "Geschreibsel" und "politisch schädlichen Wertungen", die "Unverständnis (wenn nicht Ablehnung) der marxistisch-leninistischen wissenschaftlich begründeten Auffassung ..." erkennen lassen, die "erwarten, dass die DRF a la Bourgeois-Medien" berichten und einen "unfreundlichen Akt" (!) begangen haben; sie seien "sich als Kommunisten gerierende Publizisten", die "nicht genug Kompetenz aufbringen", um ein solches "Pamphlet" herauszubringen; "Allwissende, Neunmalkluge, Naseweise und Gernegroße", diese "Herren F. und O.", die "sich anmaßen", in "selbstüberhobener und arroganter Art, Gottes Richter in Parteisachen zu sein". Als I-Tüpfelchen kommt dann noch der Leserbrief von "Atze", der die beiden Autoren als "Büttel des Weltimperialismus" ausmacht. Na, Bravo!

Nu, Genossen - Wenn Ihr selbst schon "Gottes Richter" einbringt: Welcher Satan hat Euch geritten, in einer derartig unflätigen Form auf eine Kritik von Genossen zu reagieren?!

Ich hatte einige Male das Vergnügen, mit Eurem Parteivorsitzenden, dem von mir in der Tat sehr geschätzten Genossen Schleese zusammenzutreffen - zusammen mit dem von Euch nunmehr mit "Bannstrahl" versehenen Genossen Opperskalski. In diesen Gesprächen ging es auch um Differenzen, aber prioritär war immer die gemeinsame Einschätzung der Notwendigkeit von Zusammenführung aller kommunistischen Kräfte in der "neuen" BRD.

Ihr schreibt (S. 7, 3. Spalte): "Wir haben selbst manche Mühe aufgewendet - und das wird auch weiterhin unsere Klassenpflicht sein - um der Sache willen Auseinandersetzungen offen auszutragen." Diese offene - und unter Kommunistinnen und Kommunisten gehört es sich, dass eine solche solidarisch verläuft - Auseinandersetzung scheint mir in der „DRF" 03/2002 gründlich daneben gegangen zu sein.

Mit kommunistischem Gruß, Heinz W. Hammer, Essen

 

Redaktion Offensiv: Zur Einschätzung der bisherigen Diskussion

Wir haben eine sonst nie von einem Heft erreichte Anzahl von Leserbriefen bekommen. Die Reaktionen schwanken – offensichtlich je nach politischen Spektrum der Verfasser/innen dieser Leserbriefe – von schroffer Ablehnung über verhaltener Kritik an Formulierungen oder am Zeitpunkt oder an der Haltung des Heftes bis hin zu einfacher und manchmal auch überschwänglicher Zustimmung.

Natürlich war so etwas zu erwarten. Wir wollen hier nur die Momente herausgreifen, die uns besonders aufgefallen sind.

Da ist zunächst die Kritik aus dem Umfeld der KPD. Die Parteiführung selbst hielt sich eher bedeckt, sie druckte zwar auf mehreren Seiten ihres Zentralorgans „Die Rote Fahne" Stellungnahmen gegen das Parteienheft ab, enthielt sich aber einer offiziellen Äußerung. Das war auch ganz gut so, denn was in der „Roten Fahne" gedruckt wurde, war wirklich unglaublich: „Naseweise", „Gernegroße", „Neunmalkluge", „Gottes Richter" usw. waren wir plötzlich, selbstverständlich „arrogant", und zur Krönung des Ganzen nannten sie uns dann noch „Büttel des Weltimperialismus". Neben diesen persönlichen Beschimpfungen gingen sie aber auch auf Inhalte ein, vor allem auf Nordkorea. Hier allerdings gossen die Genossen auch wieder das Kind mit dem Bade aus: wir hatten nämlich ihre ART der Berichterstattung kritisiert, sie unterstellten uns aber, dass wir GRUNDSÄTZLICH die Solidarität mit Nordkorea ablehnten. Also auch hier keine wirklich inhaltliche Diskussion, sondern blindes Um-Sich-Schlagen, arbeiten mit Unterstellungen und Verunglimpfungen. Eine INHALTLICHE Diskussion stellen wir uns jedenfalls anders vor. Aber es hat nicht viel Sinn, die Dinge hier jetzt noch weiter auszuwalzen. Leider hat die KPD in der Diskussion genau die „Tugenden" gezeigt, die den Umgang mit ihr so schwer machen und die wir versucht hatten zu problematisieren.

Als weiteres gab es Kritik zur Einschätzung der DKP, natürlich nicht von Parteiführung oder Parteivorstand der DKP aus Essen, sondern aus Unterbezirken der DKP und von einzelnen (auch parteilosen) Genossinnen und Genossen. Diese Kritiken wurden fast ausschließlich mündlich oder rein privat überbracht und stehen deshalb nicht zur Veröffentlichung zur Verfügung. Inhaltlich ging es hier leider nicht um die Sozialismusvorstellungen, die Stellung zur DDR, die Demokratiefrage oder ähnlich Brisantes aus den Dokumenten der DKP, sondern um den Stil, den Ton, die Haltung des DKP-Artikels (er sei zu negativ, er führe die Kräfte nicht zusammen), bei anderen Genossen – vor allem aus Berlin - ging es mehr um den Zeitpunkt und die Taktik (das sei zu grob, das würde im Moment gut geknüpfte Beziehungen belasten - welche „Beziehungen" gemeint waren, wurde nicht deutlich), schließlich müsse man nicht in den Wunden bohren, sondern man müsse die Wunden heilen. Also auch hier eine eigenartige Form der Kritik, sicherlich gelassener, ruhiger, konstruktiver als die Kritik aus den Reihen der KPD - aber fast genauso alle inhaltlichen Fragen vermeidend.

Aus Kreisen der Kommunistischen Plattform drang wenig zu uns vor. Informiert wurden wir allerdings darüber, dass das Parteienheft in verschiedenen Gruppen und auch regionalen Sprecherräten diskutiert wurde, offensichtlich aber nirgends mit dem Resultat, Stellung zu beziehen. So können wir nur eine einzige mündliche Äußerung berichten: „Gut, wir sind ein Feigenblatt. Aber was wäre, wenn es uns nicht mehr gäbe? Es wäre doch alles noch viel schlimmer."

 

Das Parteienheft ist als Diskussionsheft angelegt. Wir meinten mit dem Begriff „Diskussion" allerdings INHALTLICHE Auseinandersetzung. Diese ist unserer Meinung nach bisher zu kurz gekommen. Dass die DKP-Führung und der Sprecherrat der Kommunistischen Plattform der PDS in irgendeiner Weise offiziell reagieren würde, hatten wir im Vorfeld schon für äußerst unwahrscheinlich gehalten. Dass von hier also keine Reaktionen kamen, hat uns nicht verwundert, natürlich aber ist das sehr schade, denn ohne dass die genannten Führungsorgane ihre Politik und ihre Einschätzungen und Veröffentlichungen gegen unsere Kritik verteidigen, entsteht selbstredend mit ihnen auch keine Diskussion. Aber die soll ja wohl auch nicht entstehen. Wer solche Sozialismusvorstellungen durchsetzen will, wie sie die Führung der DKP schon einmal bei einem Parteitag versucht hat durchzudrücken (sie sind damals abgelehnt und als Diskussionsmaterial zurück in die Kommission und die Partei gegeben worden, heißen aber immer noch „Sozialismusvorstellungen der DKP"), der muss die offene Diskussion ja auch eher scheuen. Und wer, wie die Führung der KPF, auf Biegen und Brechen den Platz in der PDS verteidigen und Alternativen zu dieser Organisationsform ernstlich nicht wahrnehmen will, der muss ebenso die Diskussion fürchten.

Das sollte aber alle anderen Interessierten nicht davon abhalten, munter in die inhaltlichen Fragen und Probleme einzudringen und Argumente sprechen zu lassen. Wir halten weiterhin in der Offensiv einige Seiten für die öffentliche Diskussion bereit!

Redaktion Offensiv, Hannover

 

 

Weitere Resonanz

Gernot Bandur: Kritik zur Kritik meines Leserbriefes in der Ausgabe Nov.-Dez. 2001

Zunächst einmal möchte ich Franz Siklosi für seine Zuschrift danken. Aber als gelernter DDR-Bürger muss ich ihm gleich anfangs auch sagen, dass ich nicht jeden Beschluss der DKP kenne (zumal ich auch bis heute nicht Mitglied der Partei bin und mich „nur" als ihr Sympathisant verstehe). Aber die wichtigsten publizistischen Dokumente aus Vergangenheit und Gegenwart (zumal als Historiker der Arbeiterbewegung) kenne ich schon. Habe natürlich auch die wichtigsten Schriften der Klassiker des Marxismus-Leninismus gelesen (an der deutschen Herausgabe der Schriften Lenins wirkte ich als Korrektor unmittelbar fast zehn Jahre mit). Nun aber zum eigentlichen Inhalt des Briefes.

Franz Siklosi bezieht sich auf Marx’ „Kritik des Gothaer Programms". Deshalb darf ich zunächst die Stelle ausführen, auf die sich seine Polemik offensichtlich bezieht: „Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andere. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts anderes sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats." (Marx/Engels, Ausgewählte Schriften in 6 Bänden, Bd. IV, Berlin 1971, S. 397) Wie man dahin im einzelnen gelangt, darüber findet sich nirgendwo auch nur ein Sterbenswörtchen. Und da nun muss überlegt werden. Die Entwicklung in Ostdeutschland nach 1945 kann uns da wohl behilflich sein. Nachdem durch die Rote Armee der faschistische und kapitalistische Staat zerschlagen war, konnte eine antifaschistische und dann sozialistische Entwicklung beginnen (ganz im Sinne von Marx).

Nur um diese Etappe heute erneut (diesmal in Gesamtdeutschland) zu gehen, muss man natürlich als marxistisch-leninistische Partei erst einmal die Arbeiterklasse überzeugen und auch Bündnispartner gewinnen (vor allem die Klasse der Bauern). Dass von alledem im vorliegenden Programmentwurf der DKP keine Rede ist, halte ich für einen gravierenden Mangel. Ansonsten glaube ich auch, dass man genaue Einzelschritte heute nicht übersehen kann, wie es heißt. Die Losung von der „antimonopolistischen Demokratie" halte ich dafür schon geeignet, dass deren Verwirklichung sicher erst nach dem Beginn der sozialistischen Revolution in Angriff zu nehmen sein wird, ist sicher so. Auch hier kann die DDR-Geschichte konkret helfen.

Wie aber jemand heute noch die These vom „Sozialfaschismus" verteidigen kann, macht mich schon erschrocken. Denn darin drückt sich zunächst einmal aus, dass Wesen und Funktion des Faschismus verkannt werden. (Vielleicht kann ja Kurt Gossweiler als bekannter Faschismusforscher einmal auch hier in „Offensiv" dazu schreiben.) Das hat aber ganz konkrete Auswirkungen auf die heutige Politik, die zu gehenden Schritte.

Im einzelnen zum Problem möchte ich verweisen auf die „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung", Bd. 4, Berlin 1966. Voll unterstütze ich, was Günter Judick in seiner Rezension zum Buch der Gruppe MAGMA „Die KPD zwischen Revolution und Faschismus" in Nr. 2/02 der „Marxistischen Blättter" schreibt und möchte es daher zitieren: „Von Anfang an sahen Kommunisten im Faschismus ein Terrorinstrument des Kapitals zur Niederwerfung der Arbeiterbewegung. Sie erkannten den Unterschied zwischen seiner vorwiegend kleinbürgerlichen und bäuerlichen Massenbasis und deren Nutzung im Interesse des Kapitals. Angesichts der zunehmenden Anwendung terroristischer Mittel zur Unterdrückung revolutionärer Bewegungen am Ende der Nachkriegskrise und in den Endjahren der Weimarer Republik entstand in der Kommunistischen Internationale, aber auch gestützt auf Erfahrungen revolutionärer Arbeiter, nicht zuletzt in Deutschland, die Auffassung, dass es keinen qualitativen Unterschied zwischen der bürgerlich-parlamentarischen und der faschistischen Herrschaft gäbe. So kam es zur Theorie des Sozialfaschismus, die die Sozialdemokratie als linken Flügel des Faschismus bezeichnete." (S. 110)

Gernot Bandur, Berlin

 

 

Buchbesprechung

Frank Flegel: Kurt Gossweilers „Taubenfuß-Chronik" ist erschienen!

Da habe ich knapp eine Woche vor Drucklegung dieses Heftes ein Buch in die Hände bekommen, das ich – auch wenn die Besprechung aus Zeitgründen noch unvollständig sein muss – hier unbedingt und sofort vorstellen muss.

Es handelt sich um das Buch von Kurt Gossweiler: „Die Taubenfuß-Chronik oder die Chruschtschowiade, 1953 bis 1964", Band I, 1953 – 1957, ISBN: 3-00-008773-7, Verlag zur Förderung der wissenschaftlichen Weltanschauung – Stephan Eggerdinger Verlag, Tulbeckstr. 4, 80339 München, Tel: 089- 540 703 46. Das Buch besteht aus dem politischen Tagebuch Kurt Gossweilers. Ziel des Autors und des Verlages ist es, den zweiten Band noch in diesem Jahr herauzubringen.

Und nun inhaltlich zum Band I: Schon die Einleitung ist m. E. ein Glanzstück der historischen Forschung. Aber das Buch selbst übertrifft meine Erwartungen meilenweit (und dabei kenne ich Kurt Gossweiler ja schon einige Zeit...), denn hier handelt es sich um ein Stück konkreter Geschichte, Geschichte des Sozialismus, des Kampfes zwischen Imperialismus und Sozialismus und des Kampfes gegen und des Zurückweichens vor dem Revisionismus.

Kurt Gossweiler nennt Fakten, zitiert Reden, wertet Zeitungen aus und stellt so zunächst historisch fortlaufend Fakten dar, die er zwischendurch immer wieder analysiert, kommentiert und auf ihre Bedeutung hin untersucht. Und gerade dieses Vorgehen macht das Buch so wertvoll, denn irgendwelche Theorien über die Probleme des Sozialismus und die Ursachen für seine Niederlage in Europa in die Welt setzen – das kann jeder, und das haben auch schon hinlänglich viele (zunächst vor allem die reformistischen Heilsverkünder) in sehr oberflächlicher und gleichzeitig sehr interessierter Weise getan, wobei das Interesse meist das war, die Partei nach rechts zu drücken und den Sozialismus zu delegitimieren, ja sogar als unmöglich hinzustellen.

Ganz anders natürlich Kurt Gossweiler: sein grundsätzliches Einstehen für den Marxismus-Leninismus und für den Sozialismus steht immer außer Frage, insofern ist seine Chronik natürlich parteilich. Diese Parteilichkeit bringt Kurt Gossweiler aber nicht auf den Pfad der Lobhudelei, des Schönredens und anderer Torheiten, ganz im Gegenteil: die jeweiligen Fakten werden genauestens untersucht, ihrer inneren Logik wird nachgespürt, die äußeren und inneren Bedingungen werden analysiert und alles immer auf seine Folgen hin befragt.

Dazu möchte ich hier gern ein Beispiel zitieren. Auf Seite 109 berichtet Kurt Gossweiler von einer Rede Bulganins zum Jahrestag der Befreiung Polens, gehalten in Warschau, Bericht darüber im ND am 24. Juli 1956, also recht kurz vor dem konterrevolutionären Putschversuch in Ungarn. In der Rede verurteilt Bulganin den „Missbrauch des Kampfes gegen den Personenkult" und er kritisiert die „feindlichen Vorstöße in der polnischen Presse". Und nun zitiert er aus der Rede direkt:

„Es ist bekannt geworden, dass Elemente, die unserer Sache feindlich gegenüber stehen, sich der Presseorgane der sozialistischen Länder bedient haben, um ihre giftige Saat zu sähen. Gewisse Leiter dieser Organe gerieten unter feindlichen Einfluß. .... Eine der wichtigsten Aufgaben: ... Überwindung der opportunistischen Schwankungen".

Dann Kurt Gossweiler dazu (S. 110): „Man sieht: Lange vor den Oktoberereignissen in Polen und Ungarn sind die Symptome der Krankheit klar erkannt, wurde vor der Krankheit gewarnt. Warum blieb diese Warnung so völlig ohne Wirkung? Weil die Bazillenträger nicht beim Namen genannt wurden. „Gewisse Elemente", „feindliche Elemente", das trifft niemanden, hat diese Elemente nicht im geríngsten in ihrer Tätigkeit gestört. Früher war das so, dass bei den Auseinandersetzungen in der Partei nicht nur die feindlichen Auffassungen, sondern auch deren Träger beim Namen genannt und bekämpft wurden. Warum war das jetzt auf einmal anders? Um der heiligen Einheit willen. Man hätte sonst gerade die „Elemente" beim Namen nennen müssen, die soeben erst – nicht ohne Zutun einzelner Führer der KPdSU – rehabilitiert worden waren! Heute (Januar 1957) ist die Frage angebracht: Ist durch all das die Einheit im sozialistischen Lager gefestigt worden? Es ist offensichtlich, dass diese Einheit – sowohl innerhalb der einzelnen Parteien wie im sozialistischen Lager als Ganzem – empfindlich geschwächt wurde."

Ich hoffe, dass dieses Zitat aus dem Buch einen nachvollziehbaren Eindruck über die Art vermittelt, wie hier die Geschichte analysiert wird.

Und nun sage niemand, dass das alles Schnee von gestern sei. Die Frage nach den Ursachen der Niederlage ist von entscheidender Bedeutung für die heutige Haltung derer, die eine andere als die kapitalistische Welt anstreben.

Ich wünsche Kurt Gossweiler, dem Verlag und unserer Bewegung, dass das Buch „Die Taubenfuß-Chronik" eine weite Verbreitung erfährt und so einen Weg findet in die Köpfe und Herzen unserer Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunde, Mitstreiter und Sympathisanten!

Frank Flegel, Hannover

 

Spendeneingang 12/01 bis Anfang 4/02

 

Spendeneingang von 12/01 bis Anfang 4/02: 4.222,96 EUR

 

Ausgaben:

 

Druck und Porto Nov.Dez 01: 624,17 EUR

Druck Hefte 1, 2 und 3 / 02 1.889,34 EUR

Porto dieser drei Hefte 470,85 EUR

Grundgebühr Pressepost für 2002 766,94 EUR

Büro, E-Mail usw. 48,76 EUR

 

 

Summe Ausgaben: 3.800,06 EUR

 

 

Spenden zusätzlich für die Offensiv: 422,90 EUR

 

 

 

Das reicht nicht, um über den Sommer zu kommen. Unser Ziel muss sein:

1.500,- EUR zusätzlich für die Offensiv.

 

Deshalb bitten wir weiterhin um freundliche Spenden: Konto Frank Flegel:

Nr. 21827 249 bei der Stadtsparkasse Hannover, BLZ 250 501 80,

Kennwort „Offensiv", (Kennwort nicht vergessen!)

 

Der Genosse Dr. Helmut Gregor ist tot!

 

 

Helmut Gregor ist am 2. März 2002 in Berlin-Weißensee seinem schweren Krebsleiden erlegen.

 

Wir verlieren mit ihm einen aufrechten, aktiven und erfahrenen Genossen. Er hat bei uns zwei Sonderhefte veröffentlicht: „Globalismus" und „Lenin aktuell". Gerade das zweite erfreute sich sowohl in Deutschland als auch im deutschsprachigen Ausland einer ungewöhnlichen Nachfrage – und das besonders unter jungen Menschen.

Helmut Gregor wurde am 6. April 1924 als zweites von acht Kindern geboren. Der Vater war Glasbläser, lange arbeitslos, schließlich Bauarbeiter, nach dem II. Weltkrieg im VEB Holzbauwerke Bernsdorf im Betriebsschutz tätig. Die Mutter war Hausfrau.

Nach der siebenjährigen Volksschule ging Helmut Gregor in die Lehre als Maschinenschlosser im Bernsdorfer Eisenwerk. Im Oktober 1942 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen, im Frühjahr 1945 schwer verwundet, wurde er im Juli 1945 aus einem sowjetischen Krieggefangenenlazarett entlassen – dies Lazarett hat ihm mit großer Wahrscheinlichkeit das Leben gerettet. Ende 1946 machte er in der damaligen SBZ einen einjährigen Fachlehrgang für Schulamtsbewerber und wurde Neulehrer in Brandenburg/Havel. Danach machte er das Abitur nach, arbeitete weiter als Lehrer. 1954-1958 Philosophiestudium an der Humboldt-Universität in Berlin, danach bis 1962 Assistent an der Hochschule der Deutschen Gewerkschaften in Bernau. Ab 1962 wieder an der Humboldt-Universität, Sektion Marxismus-Leninismus, hier war er in der Leitung der marxistisch-leninistischen Weiterbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses der Universität tätig, später arbeitete er bis zu seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben Ende der 80er Jahre in der Weiterbildung der Kader aus der Praxis.

Helmut Gregor hat als junger Mensch an der Ostfront und in der Pilotenausbildung der faschistischen Wehrmacht gelernt, was Faschismus bedeutet. Deshalb schloss er sich 1945 aktiv der antifaschistischen Jugendbewegung an und wurde im November 1945 Mitglied der KPD/SED. Von da an bis zu seinem Tode setzte er sich mit aller Kraft für den Aufbau einer gerechteren Gesellschaft ein.

 

Unser Mitgefühl gilt vor allem seiner Frau Gisela, aber natürlich auch seinen Kindern und den ihn vermissenden Genossinnen und Genossen.

 

Redaktion und Geschäftsführung Offensiv

 

Eulenspiegel-Verlagsgruppe

edition ost

Rosa-Luxemburg-Str. 39, 10178 Berlin, Tel: 030-23 80 91 16

 

R. Grimmer, W. Irmler, W. Opitz, W. Schwanitz (Hrsg.)

 

DIE SICHERHEIT

Zur Abwehrarbeit des MfS

 

Auf zwei Säulen stand das Ministerium der Staatssicherheit: der „Hauptverwaltung Aufklärung" (entsprach dem westdeutschen BND) und der „Abwehr" (Verfassungsschutz).

Zwanzig Generäle und Oberste der Abwehr, praktisch deren gesamte Führung, berichten auf über tausend Seiten über die Arbeit dieser Institution. Die in der Welt wohl einmalige Tatsache, dass die Leitung des liquidierten Geheimdienstes eines untergegangenen Staates sich öffentlich erklärt, erregte bereits bei ihrer Ankündigung einiges Aufsehen. Mancher empfand die geplante Veröffentlichung als Zumutung. Die ehemaligen Geheimdienstler stellen ihre Wahrheit zur Diskussion. Man muß sie nicht teilen. Aber die öffentliche Auseinandersetzung um ein brisantes Thema gebietet es, auch gegensätzliche Positionen anzuhören. Demokratie lebt vom Widerspruch, nicht durch die Bestätigung vorherrschender Meinung.

Die zwanzig Autoren schreiben jeweils über das Gebiet, für das sie die Verantwortung trugen. Sie informieren sachlich über die Entwicklungsgeschichte, politische Zusammenhänge, rechtliche Grundlagen und handwerkliche Praxis. So entstand ein Standardwerk, an dem niemand, der sich künftig mit dem MfS beschäftigt, vorbeikommen wird.

Peter Michael Diestel, der als letzter Innenminister der DDR das MfS/AfNS auflöste, schrieb in seinem Vorwort: „An keiner Stelle des Buches ist zu erkennen, dass sich die Autoren für ihr Tun, Handeln und Unterlassen, für das jahrzehntelange Wirken des ostdeutschen Geheimdienstes rechtfertigen wollen, auch wenn ihnen das unterstellt werden wird. Sie informieren, erläutern, erklären. In gebotener Nüchternheit stellen sie die gesamte Breite des ihnen von der SED übertragenen Auftrages dar."

 

1284 Seiten, gebunden, 2 Bände im Schuber, 68,00 E

(Subskriptionspreis bis 30. 06. 2002: 54,00 E)

ISBN:3-360-01030-2

 

 

Kurt Gossweiler:

Die Taubenfuß-Chronik

oder Die Chrustschowiade

1953 – 1964

Band I 1953 – 1957

Die hier in ihrem ersten Band vorliegende Arbeit Kurt Gossweilers ist ein politisches Tagebuch der Jahre 1953 – 1964.

„Das politische Tagebuch besteht aus zwei Hauptteilen. In Teil I – niedergeschrieben in den Monaten Dezember 1956 bis Januar 1957 – ließ ich an Hand von Zeitungsnotizen noch einmal die Ereignisse vom März 1953 – vom Tode Stalins also – bis Ende 1956 Revue passieren, um einen durch die Ereignisse in Ungarn verstärkten bestimmten Verdacht, die Rolle Chruschtschows betreffend, zu widerlegen oder zu verifizieren. Diese Überprüfung führte – leider – zu dem Ergebnis, dass der Verdacht begründet war – der Verdacht nämlich, dass mit diesem „Reformer" in Wahrheit ein Antikommunist an die Spitze der Partei Lenins gelangt war – so unwahrscheinlich mir auch das erschien und allzu vielen auch heute noch erscheint, trotz vorliegender Beweise"

412 Seiten, 20,00 Euro

ISBN: 3-00-008773-7. Verlag zur Förderung der wissenschaftlichen Weltanschauung, Tulbeckstr. 4, 80339 München, Tel.: 089-5040 703 46; Fax: 089-540 703 48