Zeitschrift für Sozialismus und Frieden 6/2002

Herausgeber: Kommunistische Plattform der PDS Hannover

Spendenempfehlung: 1,60 EURO

 

Ausgabe Mai-Juni 2002


Redaktionsnotiz

Die PDS

Netzwerk Linke Opposition in und bei der PDS: Aufforderung zum Rücktritt

Südafrika

Andrea Schön: Südafrika - Willkommen in der Neuen Weltordnung!

Andrea Schön: Interview mit dem Journalisten Zenzile Khoisan, Kapstadt (April 2002)

Ukraine

Prof. Wladimir M. Gerasimtchuk: Die Lage in der Ukraine nach den Wahlen

Imperialismus-Diskussion

Vera Butler: Hegemonialmacht Amerika. Antwort auf Kurt Gossweilers Anmerkungen zu meinem Essay „Hegemonismus"

Robert Medernach: Die Widersprüche zwischen dem US- und dem EU-Imperialismus verschärfen sich

Ingo Wagner: „Kollektiver Imperialismus als Globalisierung" versus Lenins Imperialismustheorie

Zur Geschichte des Sozialismus

Kurt Gossweiler: Vor 60 Jahren IV: Warum konnte der Revisionismus siegen?

Dr. Gerhard Niebling: Vergebliche Bemühungen

Buchbesprechungen

Manfred Sohn: Frauen und Klasse

Andrea Schön: Harpal Brar: Perestrojka - der vollständige Zusammenbruch des Revisionismus

Resonanz

Herbert Münchow: Zu Rolf Vellay – die Konsequenz heißt: Internationalismus, Solidarität und revolutionäre Massenpartei

Heiner Karuscheit: Losurdo, Gossweiler und das System der Arbeit in der Sowjetunion

Kurt Gossweiler: Werter Genosse Karuscheit

Zum „Parteienheft"

Heinz-Joachim Reiß: Postskript

Michael Opperskalski: Wer sind die Gegner?

Michael Tiedemann: Analyse der Diskussion über neues DKP-Programm nachholen!


Redaktionsnotiz

Wir müssen dies Heft mit der schon fast „alten Leier" vom Platzmangel beginnen. Wir mussten entscheiden, was jetzt publiziert werden soll und was warten muss. So waren beispielsweise gute Genossen im Irak, ihren Bericht und die dazugehörige Dokumente können wir aber erst in der nächsten Heft bringen. Ebenso haben wir eine Stellungnahme zu Kurt Gossweilers Losurdo-Heft von Vera Butler aus Australien zurückgestellt, ein interessantes Dokument von Erwin Erfurth, eine Stellungnahme der Kommunistischen Partei Israels zum Palästinakonflikt, konkretere Berichterstattung über die neuesten Kniefälle der PDS-Führung (sich bei Bush entschuldigen! Manchmal ist es kaum zu glauben, obwohl wir diesen korrupten Revisionisten ja sowieso schon alles zutrauten, aber das....), eine Arbeit zur Programmdiskussion in der DKP und so weiter. Das alles also später. Ebenso ist kein Platz für die Spendenliste. Wir bringen also im nächsten Heft einen Überblick über die Spendentätigkeit von Anfang April bis Ende Juli.

Wir haben uns in diesem Heft für die weitere Imperialismusdiskussion entschieden, bringen den nächsten Abschnitt von Kurt Gossweiler: „Vor 60 Jahren – Warum konnte der Revisionismus siegen?", einen Blick auf die Schlussphase des MfS, kritische Berichte über und aus Südafrika; wir haben einiges an Resonanz und zwei Buchhinweise.

Zeitungmachen kosten Geld. Unsere Kampagne 1.500,- Euro zusätzlich für die Offensiv läuft weiter. Wir bitten besonders diejenigen, die sich bisher nicht an der Kampagne beteiligt haben, um Spenden. Und auch wenn uns hohe Beträge selbstverständlich sehr willkommen sind, geniert Euch nicht, auch nur z.B. 5,- Euro zu schicken, wenn Ihr mehr nicht könnt. Jeder Betrag hilft. Ihr wisst: im Jahr 2001 hatten wir rund 17.700,- DM, das sind 9050,- Euro an Ausgaben. Wir werden in diesem Jahr nicht weniger benötigen.

Spendenkonto: Konto Frank Flegel, Nr. 21827 249 bei der Stadtsparkasse Hannover, BLZ 250 501 80, Kennwort „Offensiv" (Kennwort nicht vergessen!

Und wir wollen nochmals daran erinnern: wir sind jetzt auch im Internet mit einer eigenen Homepage. Adresse: offen-siv.kommunistische-geschichte.de, die Homepage ist zwar noch nicht ganz fertig, es fehlen noch Links, die Auswahl älterer Artikel, die wir in’s Netz stellen wollen, ist noch nicht vollständig, aber sie ist schon nutzbar.

Für die Redaktion: F. Flegel


Die PDS

Netzwerk Linke Opposition in und bei der PDS: Aufforderung zum Rücktritt

Die Entschuldigung von Roland Claus beim obersten Kriegsbrandstifter der Welt, George W. Bush, widerspricht in gröbster Weise der im geltenden Parteiprogramm festgelegten Friedenspolitik der PDS. Damit hat der Vorsitzende der PDS-Fraktion im Bundestag nicht nur alle friedliebenden Menschen verhöhnt, insbesondere die unschuldigen Opfer in den Kriegsgebieten wie z.B. Jugoslawien, Afghanistan und bald auch andern Staaten, sondern auch allen dem Frieden verbundenen PDS-Mitgliedern und –Sympathisanten einen Schlag ins Gesicht erteilt.

Das Vorgehen der drei PDS-Abgeordneten, die im Bundestag während der Rede des US-Präsidenten Bush das Transparent mit dem Text: „Mr. Schröder, Mr. Bush, Stop your wars" entfaltet hatten, sollte im Kampf um die Erhaltung des Friedens von den PDS-Spitzenfunktionären als Vorbild gelobt statt gerügt werden. Auch andere Spitzenfunktionäre der PDS haben inzwischen die drei u.a. mit dem Hinweis kritisiert, es gebe „fundamentale Differenzen mit diesen Abgeordneten".

Mit Blick auf die bevorstehenden Bundestagswahlen stellt sich daher die dringende Frage, ob Roland Claus als Spitzenkandidat für die PDS überhaupt noch glaubwürdig ist. Offensichtlich haben sich er und andere führende PDS-Funktionäre bereits so weit von der Parteibasis und dem geltenden Parteiprogramm entfernt, dass sie unsere Partei nur noch dem Namen nach, aber nicht mehr nach dem Inhalt vertreten, für den die PDS steht und für den sie bisher gewählt wurde. Die 60.000 Stimmen, welche die PDS bei den letzten Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt trotz erdrutschartiger Verluste der SPD verloren hat, sollten als Warnung ernst genommen werden.

Da sich auch andere Anzeichen mehren, dass die opportunistische Haltung des Spitzenkandidaten der PDS, Roland Claus, zu einschneidenden Stimmenverlusten bei der Bundestagswahl führen wird, ist eine Fehlerkorrektur dringend erforderlich. Damit die PDS unter allen derzeit im Bundestag vertretenen Parteien gegenüber ihren Mitgliedern und Sympathisanten weiterhin als einzige Friedenspartei glaubhaft bleiben kann, fordern wir Roland Claus auf, unverzüglich von seinem Posten als Vorsitzender der Bundestagsfraktion der PDS zurückzutreten und auch nicht länger als Spitzenkandidat der PDS zu kandidieren.

Gez: Konstantin Brandt, Rainer Rupp, Ekkehard Lieberam


 

Südafrika

Andrea Schön: Südafrika - Willkommen in der Neuen Weltordnung!

Wer heute die südafrikanische Regierungspolitik mit ihrem neoliberalen Deregulierungs-programm betrachtet, das alle klassischen Elemente des Abbaus sozialer Rechte und Sicherheiten enthält, mag sich zu Recht fragen, was aus der einst so militanten und ruhmreichen Antiapartheid-Bewegung geworden ist.

Die Realität nach acht Jahren ANC-Regierung

Südafrika ist zu einer sub-imperialistischen regionalen Ordnungsmacht geworden, wie sie in Zeiten der Apartheid kaum hätte effektiver sein können: Sie übererfüllt WTO-Standards u.a. mit Niedrigstzöllen, bemüht sich um ein für Direktinvestitionen (Kapitalexport) ideales Investitionsklima mit entsprechenden Steuergeschenken, ist Vorreiter beim sogenannten Nepad (New Partnership for Africa's Development), um Investitionen nach Afrika zu ziehen, den Weltmarkt für afrikanische Produkte zu öffnen und sich im Gegenzug mit "Rechtsstaatlichkeit und Demokratie" (sprich: legale Absicherung aller gewünschten Ausbeutungsformen) zu revanchieren. Das Land vertritt die Interessen der derzeitigen imperialistischen Hauptmacht (USA) im Lusaka-Friedensprozeß zwischen der DR Kongo und den ugandischen und ruandischen Rebellenarmeen (wie etwa kürzlich beim sogenannten "innerkongolesischen Dialog" im südafrikanischen Sun City, als Thabo Mbeki für eine Übergangsregierung unter Beteiligung mobutistischer Rebellen plädierte).

Was ist geschehen? Schaut man sich die Geschichte der Antiapartheidbewegung genauer an und stellt sie in den Kontext von Mauerfall und Konterrevolution im Weltmaßstab, bleiben wenige Fragen übrig.

Die Schwächen der Bewegung

Die 1953-55 herausgebildete Allianz von ANC, Gewerkschaftsdachverband SACTU (seit 1985 COSATU) und SACP (Südafrikanische KP) hatte eine inhärente Strukturschwäche durch die enge Verzahnung und führungspolitische Personalunion der drei Organisationen. Damit verloren diese ihre jeweilige – relative – Eigenständigkeit. Kommunistische Avantgarde- und Bündnispolitik kamen sich gegenseitig ins Gehege, mangelnde Transparenz der jeweiligen Organisationszugehörigkeiten (oft genug eine Dreifachmitgliedschaft) stieß insbesondere an der Basis in Verbindung mit Strategiedebatten, die auf eine dünne Führungsschicht begrenzt waren, auf zunehmenden Vertrauensverlust. Hinzu kam eine weitgehende Beschränkung der politischen und Guerillaaktivitäten im – vor allem angolanischen – Exil. Die Verbindung mit bzw. Verankerung in einer Massenbasis in Südafrika gelang nur in Ansätzen, u.a. auch wegen einer hocheffektiven Geheimdienststruktur des Apartheidregimes.

Nicht zuletzt hatte die 1955 von der Tripel-Allianz beschlossene "Freedom Charter" ihre ideologischen Schwächen als Ausdruck des letztlich doch recht heterogenen Bündnisses aus religions-, traditions-/stammes- und klassenbewußten Vertretern von Schwarzen, Mischlingen, Indern und Weißen: Es enthielt keine ökonomische Gesamtstrategie, sondern eher Wunschformulierungen wie z.B. "Das Land soll unter jenen geteilt werden, die es bearbeiten" oder "Es soll Behausung, Sicherheit und angenehme Verhältnisse geben".

Militärisch konnte der bewaffnete Arm des ANC, der Umkhonto we Sizwe (Speer des Volkes), im Exil der angolanischen MPLA in ihrem Kampf gegen die konterrevolutionäre UNITA hilfreich zur Seite stehen; es gelang ihm allerdings über einzelne spektakuläre Sabotageakte hinaus keine kohärente Guerillastrategie gegen den eigentlichen Feind in Südafrika.

Der internationale Kontext

Als entscheidend für die Entwicklung in Südafrika erwies sich jedoch die in der Sowjetunion eingeleitete Konterrevolution: 1986 begann Gorbatschow mit dem Gipfeltreffen in Reykjavik, zusammen mit dem neu entdeckten "Kollegen" Ronald Reagan Konfliktlösungsstrategien für die sogenannten "regionalen Konflikte" zu erörtern, was schließlich in multilaterale Friedensabkommen zwischen den Regierungen Südafrikas, Angolas, Cubas – und dem ANC mündete. Das führte u.a. zur Legalisierung der Antiapartheid-Organisationen, der Amnestierung politischer Gefangener, "freier Wahlen" etc. Eine "Wahrheitskommission" sollte zum krönenden Abschluß der Übergangsperiode Transparenz für begangenes Unrecht auf beiden Seiten herstellen und Opfer wie Täter miteinander versöhnen (siehe auch Interview mit Zenzile Khoisan).

Die ganze Farce derartiger "Konfliktlösung", wie sie bereits in Chile, Haiti, El Salvador etc. exerziert wurde, war wie gesagt in erster Linie der periphere Ausläufer der Konterrevolution in der Sowjetunion, die Versöhnung nichts weiter als die Einladung der bisherigen Bourgeoisie an den einstigen Gegner, an ihrer Macht ein bißchen zu partizipieren. Und im Falle Südafrikas der endliche Eintritt in die "Normalität" der multikulturellen Ausbeutungsgesellschaft, in der die schwarze Mehrheit nicht de jure, sondern de facto vom gesellschaftlichen Reichtum ausgeschlossen ist – die "Normalität" der sozialen Apartheid, die dem Kapital den durch unökonomische Farbenlehre reglementierten Zugang zu billigen Arbeitskräften und Konsumenten endlich freigibt.

Hier nur einige Schlüsseldaten zur sozialen Lage:

Die Arbeitslosigkeit liegt bei offiziell 29%, wird aber auf tatsächlich 46% geschätzt. (So wurden z.B. 1997 76% der ländlichen weiblichen Bevölkerung als ökonomisch "nicht aktiv" eingestuft und gelten demnach nicht als arbeitslos.) Der Anteil der Teilzeit- und Gelegenheitsarbeiter stieg in manchen Regionen bis zu 45%. Es handelt sich dabei um zumeist prekäre, ungeschützte Arbeitsverhältnisse in Schwitzbuden, privaten Haushalten (Dienstpersonal) bzw. Heimarbeit – in der Regel ohne gewerkschaftliche Interessenvertretung und zu Minimallöhnen, die kaum zum Leben reichen, geschweige denn die vielen arbeitslosen Familien- und Verwandtschaftsmitglieder miternähren können. Hunger und Verelendung sind die Folge.

Weniger als die Hälfte aller Haushalte (44%) hat einen eigenen Wasseranschluß, 57,2% haben keinen Stromzugang. Telefonanschluß hat in der Stadt lediglich ein Drittel der afrikanischen Haushalte, auf dem Land sind es gar nur 10%, während in Stadt und Land immerhin 80% der weißen Haushalte Telefon haben. Die "weißen" Löhne sind im Durchschnitt 7,5% höher als die der Schwarzen.

Eine Landreform ist bisher ausgeblieben. Die schwarze Bevölkerungsmehrheit sitzt immer noch auf zumeist unfruchtbaren Böden, ohne Wasser, und wartet auf die regelmäßige Heimkehr jener Männer, die sich für den Lebensunterhalt ihrer Familien für ein paar Rand mit Gelegenheitsjobs in den Städten verdingen.

Sieben kommunistische Minister im Kabinett und Dutzende im Parlament haben es nicht vermocht, der Deregulierungs- und Privatisierungspolitik eine Wende zu geben – im Gegenteil: Funktionäre, die an ehemalige sozialistische Ideale gemäß dem SACP-Parteiprogramm erinnern, werden aus der Partei ausgeschlossen – wie im vergangenen Jahr der Vorsitzende des Bezirks Johannesburg.

"Neoliberales Wohlverhalten" nicht honoriert

Die südafrikanische Regierung kürzte bereits im Jahre 1994 die Zölle um 50% über den GATT-Richtlinien und reduzierte sie zwischen 1995 und 1999 nochmals von 41,2% auf 28,9%. Das Ergebnis: Dutzende von Pleiten im Textil- und Lebensmittelbereich. Allein im Schuhgeschäft gingen zwischen 1990 und 1999 über 40% der Jobs verloren, Tendenz weiterhin steigend.

Der monopolistische Kapitalverkehr, der sich lediglich an unverbindliche Richtlinien im Devisenhandel zu halten hat, sorgte Ende des vergangenen Jahres, als der Rand im letzten Quartal weitere 25% seines Werts verlor (2001 insgesamt 37%), für einen bis heute nicht ganz ausgestandenen bzw. aufgeklärten Skandal:

Im Herbst 2001 kaufte die südafrikanische Mineralölgesellschaft Sasol die deutsche Chemiefirma Condea. Es handelte sich um eine sogenannte Offshore-Transaktion, bei der das benötigte Kapital durch die Ausgabe neuer Sasol-Aktien seitens der Deutschen Bank und deren Weiterverkauf an die britische Filiale (Deutsche Bank UK) mobilisiert wurde: Die beim Auslandsverkauf eingestrichenen Provisionen konnte Sasol nämlich in die Übernahme von Condea stecken.

Die Deutsche Bank UK hingegen verkaufte die Aktien zurück an den südafrikanischen Markt und sorgte dabei für einen entsprechenden Kapitalabfluß, der wiederum zu einer Abwertung des Rand führte. "Ganz zufällig" engagierte sich die Deutsche Bank UK parallel in einem Hedge-Geschäft gegen den Rand, d.h. sie verkaufte Kaufoptionen short und machte damit bei der erwarteten Randabwertung ein dickes Geschäft (d.h. die Kaufoptionen wurden aufgrund des Randverfalls nicht ausgeübt, die Bank erhielt die jeweils vereinbarte Optionsgebühr).

Dies ist nur das jüngste Beispiel der realen Machtlosigkeit der ANC-Regierung im Kräfteparallelogramm der Konzerne und imperialistischen Zentren.

Was gänzlich auf der Strecke blieb, ist eine revolutionäre Partei der Arbeiterklasse, die neben den zunehmenden Klagen über die "Globalisierungsopfer" auch über eine antikapitalistische Strategie verfügt. Sieht man sich allerdings das Bildungsmaterial von COSATU und SACP an, muß man feststellen, daß bei allen Forderungen nach langfristig verbesserten Arbeitsbedingungen und einer gerechteren Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums eines fehlt: die alles entscheidende Eigentumsfrage.

Bei den sich drastisch verschlechternden Arbeitsbedingungen, einer AIDS-Infiziertenrate von über 11% und zunehmender Gewalt wird diese Frage aber bald wieder an Aktualität gewinnen – und sei es in Form der argentinischen Variante ...

Andrea Schön, Dortmund

Literatur:

Ellis, Stephen and Sechaba, Tsepo: "Comrades against Apartheid", James Currey London & Indiana University Press Bloomington & Indianapolis, 1992

MacQuene, Althea und Jansen, Helga: "Globalisation: Abuse of women takes on a new name" in: "Is there an alternative?: South African workers confronting globalisation", Cape Town, 2001

Mosoetsa, Sarah: Integrating to exclude: The economic integration of South Africa's footwear industry and the consequent marginalisation of its workforce" in: ibid.

Nyman, Roseline: Globalisation and the South African economy – does it benefit the working class?" in: ibid.

Pape, John: "The myth of 'sound fundamentals' – South Africa and the global economic crises" in: ibid.

 

Andrea Schön: Interview mit dem Journalisten Zenzile Khoisan, Kapstadt (April 2002)

Anmerkung der Redaktion: Zenzile Khoisan ist Autor von "Jakaranda Time", einem facettenreichen Bericht über seine Ermittlungstätigkeit in der TRC von 1996 bis 1998. Es ist bestellbar bei: Andrea Schön, Tel./Fax 0231-8644976 bzw. E-mail: andreads@t-online.de Andrea Schön ist Gründerin der Panafrikanischen Initiative Patrice Lumumba zur Unterstützung marxistischer Schulung in der DR Kongo und Südafrika (siehe auch: www.antiimperialista.net) und war kürzlich in Südafrika.

Andrea Schön: Zenzile, Du warst als Ermittler in der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC – Truth and Reconciliation Commission) tätig. Üblicherweise werden solche Kommissionen von sogenannten Bürgerkriegsparteien dann gebildet, wenn beide Seiten eine Pattsituation feststellen und zu dem Schluß kommen, daß keine Seite den Kampf für sich entscheiden kann. War das auch in Südafrika der Fall? Oder war es doch eher ein Geschenk Gorbatschows, als er in Verhandlungen mit den USA eintrat, um den Krieg in Angola zu beenden, damit also ein Ergebnis der neuen Weltordnung?

Zenzile Khoisan: Der historische Kompromiß brachte die revolutionäre Welle in Südafrika tatsächlich zum Stehen, und die ausgehandelte Lösung führte zum Übergang für eine Elite, bei der die revolutionären Massen buchstäblich aus dem Deal herausgeschrieben wurden. Einige meinen, es gab keine Alternative, andere stimmen dem nicht zu. Die Sicht der letzteren ist, daß lediglich die an der Spitze der Gesellschaft Stehenden einen Weg gefunden haben, sich gegenseitig gefällig zu sein und dabei die Mehrheit der Bevölkerung auszuschließen.

 

 

Andrea Schön: Du hast ein Buch über Deine Arbeit in der TRC mit dem Titel "Jakaranda Time" geschrieben, in der Du unter anderem all die Hindernisse und Beschränkungen bei Deinen Ermittlungen aufgezeigt hast. War die ganze Angelegenheit nach Deiner Ansicht eine Farce? Welches sind die entscheidenden Lehren für die Zukunft?

Zenzile Khoisan: Nach meiner Ansicht war die TRC von Anfang an eine schiefe Angelegenheit und ziemlich gefährlich deshalb, weil sie die Taten eines faschistischen Regimes mit den defensiven und revolutionären Aktionen jener Kräfte gleichsetzte, die um Selbstbestimmung kämpften. Die meisten dicken Fische schlüpften durchs Netz und konnten sich erlauben, sich als respektable Persönlichkeiten umzudichten. Aber der Ermittlungseinheit ist es gelungen, die Leibwache aus Lügen zu durchdringen, die das Apartheid-Regime, sein Militär und Geheimdienst sowie deren mächtige westliche Hintermänner aufgestellt hatten. Ich habe mich in meinem ersten Buch mit diesem Prozeß und seinen Fallstricken befaßt und ebenso einige Fälle genauer betrachtet, anhand derer deutlich wird, mit welchen zynischen Methoden Pretoria versucht hat, die revolutionäre Bewegung zu zerstören.

Andrea Schön: Du arbeitest derzeit an einem Nachfolgebuch zu dieser Frage. Was genau strebst Du damit an?

Zenzile Khoisan: Ich möchte auf der Grundlage von Jakaranda Time aufbauen, mehr Namen nennen und die Auswirkungen betrachten, die diese Farce auf das Leben im "neuen Südafrika" hat. Das Buch heißt "Fivas Memo" und rückt die Schlüsselfiguren des Übergangs in den Mittelpunkt sowie die Art und Weise, wie jene ihre Macht absicherten bzw. ihre Spuren verwischten.

Andrea Schön: Nach dem Abschied der Apartheid gibt es ja jetzt in Südafrika eine neue Bourgeoisie, d.h. die alte vorherige PLUS ein paar schwarze Gesichter. Man könnte sagen, Südafrika ist in die Normalität einer Klassengesellschaft eingetreten, in der die gesellschaftliche Hierarchie durch "Rassen"zugehörigkeit zwar wesentlich geprägt, aber nicht mehr determiniert ist. Welche mittelfristige Perspektive siehst Du für die weitere Gesellschaftsentwicklung?

Zenzile Khoisan: Es wird zunehmend Angriffe auf die Armen in der Gesellschaft geben, und es wird ebenso einen Angriff der neuen Regierung auf die Reste einer revolutionären Perspektive geben. Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, als die gesamte Bewegung neu zu entwickeln.

Andrea Schön: Schwere Zeiten – wie wohl im Grunde überall in dieser Welt ... Zenzile, herzlichen Dank für dieses Gespräch und viel Erfolg für Dein neues Buch!

Andrea Schön, Dortmund; Zenzile Khoisan, Kapstadt

 


Ukraine

Prof. Wladimir M. Gerasimtchuk: Die Lage in der Ukraine nach den Wahlen

Wie schnell verfliegt die Zeit! Die ukrainischen Parlamentwahlen vom 31.03.2002 sind schon Geschichte.

Welche Schlüsse kann man aus diesen Wahlen ziehen? Vor allem bleibt alles wie früher. Die großartige theatralische Wahlshow ist beendet. Alles ist so, wie das die Regierungsstrukturen und der „Geldsack" geplant haben. Alles geschah unter strenger Kontrolle der fremdländischen Herren.

Die erste Schlussfolgerung

Die Linkskräfte erlitten eine empfindliche Niederlage. Ihre Stellung im Obersten Rada der Ukraine ist jetzt sehr geschwächt. Die Kommunistische Partei der Ukraine, die den leitenden Kern der Linkskräfte des ukrainischen Parlamentes darstellte, war bisher im Parlament die größte Fraktion. Sie hatte im vorigen Parlament 123 Sitze. Jetzt bekam sie nur noch 66 Mandate, damit ist sie nur noch die drittgrößte Fraktion des Parlaments.

Zur Linken gehört auch die Progressive Sozialistische Partei der Ukraine. Ihre Führerin ist Natalia Witrenko. Ese Partei ist Natalia Witrenko. Die Partei ist nicht groß, aber recht kämpferisch. Aber sie hat die obligatorische 5-Prozent-Hürde nicht überwunden. So hat die Partei keine Sitze, auch Natalia Witrenko wurde nicht als Deputierte gewählt.

Die Sozialistische Partei hält den vierten Platz. Sie bekam 27 Mandate. Aber ihr Führer, Alexander Mozoz, ist schon ein tatsächlicher Antikommunist. Er bildet einen Block mit der äußersten Rechten und den Nationalisten.

Antikommunistische Positionen nimmt auch die sog. „aufgefrischte" Kommunistische Partei der Ukraine - KPU(a) – ein.

Die zweite Schlussfolgerung

Die bürgerlichen Parteien nehmen die dominierende Stellung im ukrainischen Parlament ein. Der prokutschmanische Block „Für eine einheitliche Ukraine" hat 120 Sitze erhalten, viele Direktmandate, denn landesweit bekam die Liste nur 12,12 %. Im Vergleich: die KPU hat landesweit 23,44 %, aber nur 66 Sitze! Die vereinigte Sozialdemokratie bekam 25 Mandate. Also: die Rechte dominiert. Aber die Einheit im Rechtslager fehlt. Zwischen den Rechten gibt es unüberbrückbare Gegensätze.

Die dritte Schlussfolgerung (über die Ursache der Wahlniederlage der Linken)

Der Ausgang der Wahl zeigt, dass in der Ukraine eine kriminelle Bourgeoisie herrscht. Der „Westen" und die USA mischten sich brutal in die Vorbereitung und die Durchführung der Wahlen ein. Alle Mittel der Massenmanipulation wurden eingesetzt und staatliche Reglementierungen und ausländische Einmischung dienten der Unterstützung der Rechten. Die propagandistische Tätigkeit der Linksparteien wurde blockiert, außerdem wurden unliebsame Wahlergebnisse umgefälscht.

Und noch einige Bemerkungen

Es ist sehr schade, aber in der Linksbewegung fehlt die Einheit. Die KPU und einige andere Linksparteien kann man immer wieder bei opportunistischen Manövern ertappen. Die ukrainischen Wahlen zeigen aber nochmals, dass die ausschließliche Orientierung auf den parlamentarischen Weg zu Sozialismus und Kommunismus eine Chimäre ist, ja eigentlich: der Opportunismus! Man muss verschiedene Formen des Klassenkampfes entwickeln.

Der Weg zur Freiheit der werktätigen Massen geht nur über die Sozialistische Revolution.

Die Rettung für die Ukraine kann nur die Wiedergeburt der UdSSR bringen.

Wladimir M. Gerasimtchuk, Lutsk, Ukraine


 

Imperialismus-Diskussion

Vera Butler: Hegemonialmacht Amerika. Antwort auf Kurt Gossweilers Anmerkungen zu meinem Essay „Hegemonismus"

Offensiv Januar-Feburar 2002, S. 36-38

Lieber Kurt, ich bin „offen-siv" dankbar, dass dort die Dikussion über die Imperialismustheorie geführt wird und besonders dafür, dass Deine Anmerkungen zu meinem Essay über den „Hegemonismus" gebracht wurden. Ich richte mich in meiner Antwort nach Deinen Punkten und Fragen, wie sie in „offen-siv" erschienen sind. Ich hatte meine deutsche Übersetzung des englischen Originals etwas gekürzt, und eine Reihe der von Dir angeschnittenen Fragen hatte ich dort behandelt.

1. Der Hegemonismus als weiteres Entwicklungsstadium des Imperialismus

Die Anfälligkeit des hegemonistischen Machtanspruchs für Herausforderungen ist selbst-verständlich. Die Dauerhaftigkeit aller Machpositionen und –ansprüche ist mit einer dialektischen Konzeption der Geschichte unvereinbar. Es handelt sich um Entwicklungsstadien des kapitalistischen Systems.

Das Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung ist eine unumstößliche Tatsache, die ja gerade von der Hegemonialmacht zu ihren Gunsten ausgenutzt wird (siehe Osteuropa, Argentinien, Venezuela, Kongo usw.) Ein eurozentristisches Weltbild (manchmal durch Hinweise auf Japan erweitert) steht – wie mir scheint – einer realistischen Einschätzung der Rolle der Hegemonialmacht und ihrer Methoden im Wege.

Die europäischen Mächte WAREN EINMAL die Träger des weltweiten Kolonialismus und Imperialismus ebenso wie das Osmanische Reich, das bis Ende des Ersten Weltkrieges Ländereien von Ägypten bis zum Persischen Golf (inkl. Irak) mit einschloss. Nach dem Zweiten Weltkrieg zerriss der koloniale Nexus: „Britisch"-Indien, „Französisch"-Indochina, „Holländisch"-Indonesien, der „belgische" Kongo konnten dem Druck der nationalen Befreiungsbewegungen nicht mehr standhalten. Zwei Weltkriege hatten die imperialistischen Länder ruiniert, so dass sie ihre Machtansprüche in der „Dritten Welt" nicht mehr aufrecht erhalten konnten. Dasselbe galt für Japan (Mandschurei, Südsachalin, Korea).

Die Methode des Hegemonismus ist heute ganz anders. Das Ziel ist nicht mehr Hoheitsanspruch oder/ Territorialbesitz wie zur Zeit des Imperialismus, sondern die wirtschaftliche, politische und militärische Eingliederung der verschiedenen „selbständigen" Nationalstaaten in das globale kapitalistische System. Dadurch steht der Zugang zu Investitionsobjekten wie z.B. Energiequellen oder Rohmaterialien nicht nur für die Unternehmer des imperialistischen „Mutterlandes" offen, sondern ebenfalls für die transnational operierenden Korporationen, die mit amerikanischem Kapital arbeiten. Eine globale Kette von Militärbasen der Hegemonialmacht sichert diesen Zugang gegen die früheren imperialistischen Oberherren sowie gegen alle Versuche der nationalen Kräfte, ihre souveräne Kontrolle geltend zu machen. (Die Geschichte Venezuelas, seit 1922 ein führender Ölproduzent, und die Rolle des Rockefeller-Konzerns Standard Oil ist ein Beispiel dieser Hegemonialpolitik.)

Um die Interessen der globalen Oligopolie transnationaler Korporationen zu sichern, wird dafür gesorgt, dass in den heute nominell selbständigen Nationalstaaten „demokratische", system-freundliche Regierungen an der Macht sind. (Der venezolanische Präsident Gomes , der 1908 mit Hilfe der US Navy die Macht ergriff, hatte bei seinem Tode 1935 einen Privatbesitz von 200 Millionen US$.) Wie mit unfügsamen Objekten umgegangen wird, ist zur Genüge bekannt.

Heute verstehen sich die europäischen Länder, zusammengekoppelt innerhalb der EU, als ein gemeinsames (europäisches) Machtzentrum. Trotzdem spielt die EU eine untergeordnete Rolle im Verhältnis zur Hegemonialmacht Amerika – eine Rolle, die bis heute in der NATO verankert ist. Dass sie dabei ab und zu aufmucken, ist wohl eine Konzession an die öffentliche Meinung, aber kein wirklicher Versuch, ihre eigenen Wege zu gehen. Dazu sind sie viel zu eng mit dem globalen kapitalistischen System verflochten, das von der Hegemonialmacht bestimmt wird – nicht zu reden vom „Kulturhegemonismus", dessen „Werte" (incl. der Marktgläubigkeit) über die weltweit koordinierten Medien verbreitet werden.

Das europäische Wirtschaftswachstum ist schwach, Arbeitslosigkeit und soziale Konflikte sind im Anstieg, Frankreichs Jean-Marie Le Pen nimmt GEGEN die EU und GEGEN der Euro Stellung – in wessen Interesse? Der Euro, die einzige wirkliche Herausforderung an den US-Dollar – ist Washington schon lange ein Dorn im Auge.

Japan wird sich hüten, als Großmacht aufzutreten (trotz der kleinen militärischen Kontingente im Auslandseinsatz, wie die 700 Mann in Ost-Timor). Japan ist gespickt voll amerikanischer Basen . von Okinawa im Süden, Yokosuka, bis Misawa auf Hokkaido. (Japan ist Amerikas „unversenklicher Flugzeugträger" an der Küste Ostasiens, wie Premierminister Nakasone es formulierte.) Japan ist vor allem an Handel, an Absatzmärkten interessiert – in China und Südostasien und Australien, jetzt, wo der amerikanische Markt schrumpft. Sollte es jedoch der Hegemonialmacht Amerika gelingen, China – die letzte nominell kommunistische Großmacht – zu zerschlagen, würden die Japaner als Alliierte natürlich gern ihren Anteil einheimsen – da winkt die Mandschurei, aber auch ein Teil Nordkoreas, die Kurilen-Inseln, halb (oder ganz) Sachalin, vielleicht Wladiwostok gleich mit, denn Russland kann seine fernöstlichen Territorien nicht mehr verteidigen.

2. Imperialismus heute

Überbleibsel des Imperialismus und Kolonialismus existieren heute noch, aber als Teile des Globalisierungsprozesses, und agieren nicht im nationalen Alleingang. Heute erfüllen die diversen nationalen Bourgeoisien die Rolle einer Comprador-Klasse, die nur von Gnaden des Hegemon Amerika an der Macht bleibt.

Israel ist ein Beispiel des derzeitigen Imperialismus, d.h. eine militärisch überlegene regionale Macht usurpiert neuen Landbesitz, um ihr Hoheitsgebiet zu erweitern (die Westbank wird als „Judäa und Samaria" zu Groß-Israel gerechnet). Trotzdem konnte Israel ohne massive Geld- und Rüstungsunterstützung seitens des Hegemon Amerika überhaupt keine Annexionskriege führen.

Die NATO-Aktion in Jugoslawien oder die Kriege im Irak und in Afghanistan dagegen zielen nicht auf territoriale Expansion sondern auf die Sicherung geostrategischer Positionen und Zugang zu Öl- und Naturgas-Reserven, besonders in Zentralasien, wo der Zusammenbruch der Sowjetunion ein Machtvakuum hinterlassen hat. Amerikanische Einheiten und einige britische, französische und deutsche NATO-Hilfstruppen befinden sich heute in Afghanistan, Kasachstan und Kirgisien.

3. Englands Hegemonialstellung

Lenin unterstreicht, wie Deutschland und Amerika die englische Machtposition auf den Weltmärkten schon VOR dem Ersten Weltkrieg überholten. In meinem englischen Original-Essay führe ich zusätzlich vergleichende Statistika aus den dreißiger und sechziger Jahren an (Ref. Harry Magdoff), die diesen Prozess bestätigen:

Lenins critique was to prove far-sighted. Between 1913 and 1967 the United States had overtaken his main competitors.

SHARE OF EXPORTS IN MANUFACTURED GOODS (in %)

Country 1913 1929 1937 1950 1967

United States 13,0 20,4 19,2 26,6 20,6

United Kingdom 30,2 22,4 20,9 24,6 11,9

Germany 26,6 20,5 21,8 7,0 (BRD) 19,7 (BRD)

France 12,1 10,9 5,8 9,6 8,5

4. Am Exempel Englands wird es deutlich, dass Imperialismus – wie auch Hegemonismus – nicht von Dauer sind, dass es sich im Stadien in der Entwicklung internationaler Beziehungen handelt, die von den dialektischen Wechselwirklungen verschiedener Machtfaktoren beeinflusst werden. Zu diesem Zeitpunkt hält die Hegemonialmacht Amerika die militärische, politischen und wirtschaftlichen Haupttrümpfe in der Hand. Allerdings deuten die Anzeichen des inneren Zerfalls unter dem Druck wachsender sozialer Widersprüche auf den unvermeidlichen Zusammenbruch des parasitären Systems.

5. Krisenloser Kapitalismus

Diese Theorie beruht auf einer Missinterpretation des Wesens des Kapitalismus. Der zentrale Begriff der „Krisenlosigkeit" ist Equilibrum, d.h. ein Gleichgewicht zwischen Einkommen (Löhnen) und Preisen. Wenn Preise durch Manipulationen hochgetrieben werden und Löhne statisch bleiben oder künstlich gesenkt werden, entsteht eine Diskrepanz zwischen Produktionsfähigkeit und Zahlungsfähigkeit oder Nachfrage bei einem gewissen Preisniveau (effective demand). Überproduktion hängt nicht unbedingt nur von schrumpfender absoluter Nachfrage ab, sondern ebenfalls von Zahlungsunfähigkeit bei niedrigen Löhnen im Vergleich zu einem gewissen Preisniveau. Die Autoindustrie ist ein gutes Beispiel. Z. Zt. Sieht man alle Anzeichen der Überproduktion in dieser Industriebranche. Sollten aber die Preise für einen 4-Zylinder-Wagen um die Hälfte gesenkt werden, gäbe es weltweit eine enorme Nachfrage: - erstens hätten viele Familien gern einen Zweitwagen, wenn sie es sich erlauben könnten (jedenfalls in Australien), zweitens gäbe es Millionen Menschen in den fortgeschritteneren Entwicklungsländern, die sich bei niedrigen Preisen gern einen Wagen anschaffen würden. Das Problem ist eine weltweite Preisabsprache innerhalb der Autoindustrie, die lieber die Kaufkraft künstlich durch Kredite ankurbelt (wobei die Kreditanstalten auch wieder verdienen), als die Preise senkt. Die Vorstellung vom „freien Markt" wurde bereits 1776 von Adam Smith als unrealistisch verworfen. (Sie ist heute in Russland wieder auferstanden.)

6. Neue Wege des Imperialismus?

Ich stimme mit allen der angeführten Punkte überein, ebenso, wie Lenins Kritik des Imperialismus als Stadium der kapitalistischen Fäulnis von mir nicht in Frage gestellt wird. NATÜRLICH waren die Anzeichen der kapitalistischen Krise schon zu Lenins Zeit klar erkennbar – ja, sie gaben bereits Mitte des 19. Jahrhunderts (1848) Anlass zur Abfassung des „Manifests" und wurden später von Marx im „Kapital" analysiert. Heute sehen wir die weitere Fortentwicklung.

Ich argumentiere, dass seit Ende des Zweiten Weltkrieges, der die Verarmung der imperialistischen Länder mit sich brachte, der Imperialismus als Ausdruck eines feudalistischen Hoheitsstrebens durch den globalen, bourgeois-demokratischen Herrschaftsanspruch des Finanzkapitals mit Zuhilfenahme des amerikanischen Wirtschafts- und Militärpotentials verdrängt wurde. Daher halte ich den Hegemonismus für ein gefährlicheres Entwicklungsstadium des Imperialismus. Und gerade weil das kapitalistische System sich überhoben hat, zu unmäßig in seinen Machtansprüchen ist, erzeugen hegemonistische Bestrebungen Konflikte in allen Teilen der Welt, die nur zeitweilig und durch brutale Gewaltanwendung unter Kontrolle gehalten werden können. So schafft der Hegemonismus die Vorbedingungen für den Zusammenbruch des spekulativen, verlogenen und ausbeuterischen Systems – wie Lenin es voraussah.

Ich hoffe, dass diese Diskussion dazu beitragen wird, den Blick auf die heutige Hauptgefahr für den Weltfrieden und für die Entwicklung der schöpferischen Kräfte der Menschheit zu lenken – die Politik der Hegemonialmacht Amerika. Vera Butler, Melbourne

Robert Medernach: Die Widersprüche zwischen dem US- und dem EU-Imperialismus verschärfen sich

Diesen Artikel haben wir dankend aus der „Zeitung vum Letzebuerger Vollek", 14. März 2002, übernommen; Red. Offensiv

Man hatte es schwer, seinen eigenen Augen zu trauen: „Daß er sich zum obersten Klinkenputzer der US-Stahllobby aufgeschwungen hat, ...dass er ein Mann ohne langfristige Zukunftsperspektiven ist, der nur kurzsichtig auf seinen eigenen Vorteil und den seiner Freunde bedacht schielt, ... ohne sich an die wirtschaftsliberalen Handlungsregeln zu halten, die er seinen Partnern predigt" stand doch tatsächlich im „Luxemburger Wort" über Herrn Bush, den Herren der Welt und die USA, zu lesen. Vor kurzer Zeit noch wären derartige Äußerungen im „Luxemburger Wort" als „linksradikale Ausrutscher eines fanatischen und blindwütigen Antiamerikanismus" diffamiert worden.

Derartige Angriffe auf die USA, Herrn Bush und die Monopolfraktionen des US-Kapitalverhältnisses finden sich jedoch nicht nur in der hiesigen Bischofsgazette, sondern sind zunehmend in allen rechten Blättern und Zentralorganen der europäischen Monopolbourgeoisien zu lesen. In der Tat: der Inhalt wie der Duktus der Leitartikel gegenüber den USA hat sich europaweit verändert, vom „Wir-sind-alle-Amerikaner"-Unsinn nach den CIA-Provokationen vom 11. September ist die veröffentlichte Meinung, zumindest der intelligentere und genuin bürgerliche Part, derzeit meilenweit entfernt.

Die Ursache für diesen Duktus- und Inhaltswechsel ist dabei leicht auszumachen: die derzeitigen Interessen des US-Imperialismus und der nordamerikanischen Monopolbourgeoisie geraten zunehmend in antagonistischen Widerspruch zu den Interessen der europäischen Klassenbrüder und –schwestern: dies ist so in Bezug auf Irak, den Iran, den Nahen Osten, die Stahlindustrie, die VR China, den Kaukasus undsoweiter undsofort. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Widersprüche hin zu einem unwiderruflich antagonistischen Charakter entwickeln, erklärt denn auch die Schärfe des Tones.

Die europäische Monopolbourgeoisie hat sich dabei selbst und dabei grundlos in Zugzwang gebracht: mit den lächerlichen Loyalitätserklärungen gegenüber dem gleichzeitig imperialistischen Alliierten und Konkurrenten haben die gleichgeschalteten Medien des Monopolkapitals einen dümmlichen und massenhaften pro-amerikanischen Begeisterungssturm in der eigenen Herde entfacht, der es ihnen nun schwer macht, Stimmung gegen die USA zu machen und die Bevölkerung in Europa auf künftige Auseinandersetzungen mit dem Herrn der Welt ideologisch einzustimmen. Daher muss nun ein forciert kritischer, ja teilweise polemischer Ton herhalten, um das Steuer der Yankee-Begeisterung herumzuwerfen: kein leichtes Unterfangen, doch sie strengen sich mächtig an.

Dieses Ansteigen der innerimperialistischen Widersprüche ist für Klassenlinke und unsere Ziele gut und nicht schlecht. Wir müssen dabei jedoch an unserer Klassenselbständigkeit festhalten und uns nicht zu Instrumenten der eigenen Monopolbourgeoisie degradieren und umfunktionieren lassen.

Robert Medernach, Luxemburg

Ingo Wagner: „Kollektiver Imperialismus als Globalisierung" versus Lenins Imperialismustheorie

In der Zeitschrift für Sozialismus und Frieden „Offensiv" wurden jüngst Überlegungen zur Thematik „Imperialismus heute" vorgestellt. Frank Flegel fragt: „Brauchen wir eine neue Theorie des Imperialismus? Inzwischen werde ich zutiefst misstrauisch, wenn Abschied gefeiert werden soll von bewährten Bausteinen unserer Theorie ... Zu viel ist Schindluder getrieben worden mit der Umdeutung des Imperialismus ... Wir wollen in die Diskussion der Imperialismustheorie einsteigen! ... Wir bitten Euch: steigt in die Theorien ein, prüft diese Argumente, vergleicht die Ausrichtung, diskutiert die Konsequenzen ..."

Dieser Appell kam zur rechten Zeit. Denn im Vorfeld des DKP-Parteitages gibt es eine rege programmatische Diskussion - auch zum heutigen Imperialismus mit gegensätzlichen theoretischen und politisch-strategischen Intentionen. Was meine Positionierung betrifft: Der Zusammenhang wesentlicher Komponenten der Leninschen Imperialismustheorie mit anderen marxistischen, leninistischen Theoriefeldern wurde bereits in einigen Arbeiten publik gemacht. Und direkt zur Sache - „Kollektiver Imperialismus" - Lenins Imperialismustheorie - „Globalisierung" - habe ich mich gleichfalls - wenngleich kurz, jedoch prinzipiell - geäußert. Diese Debatte insgesamt hat mich angeregt, weiteres aus diesem weiten Feld zu formulieren. Hierbei bemühe ich mich, einiges (Ausgewählte) auf das Grundsätzliche zu konzentrieren; denn in der Diskussion geht es gelegentlich wie Kraut und Rüben durcheinander. Die Feststellung der Entwicklungsmerkmale des gegenwärtigen Imperialismus und ihre Bewertung ist nicht nur Sache tagespolitischer Beobachtung. Eine begründete Einschätzung auf der Grundlage der grundsätzlichen ökonomischen Analysen von Marx, Engels und Lenin „muß darüber hinaus die allgemeinen Tendenzen der historischen Entwicklungsphase, in der wir uns befinden, und deren Bewegungsgesetze herausarbeiten."

I.

Für die Redaktion „Offensiv" schreibt Flegel: „Wir sind der Meinung, daß es hohe Zeit ist, die Frage, ob wir eine neue Imperialismustheorie brauchen oder ob wir mit der Leninschen gut bedient sind, gründlich zu diskutieren und möglichst verbindlich zu klären." In meiner Sicht lautet die Antwort als Ergebnis eines längeren theoretischen Nachdenkens: Wir sind mit der Leninschen Positionierung und ihrer Anwendung auf das vor uns liegende 21. Jahrhundert bestens bedient. Diese Antwort impliziert natürlich auch die Tatsache, dass sich die geschichtsmächtige Leninsche Imperialismustheorie mit der Gestaltveränderung des Imperialismus im Verlaufe des 21. Jahrhunderts modifizieren und so ihr substantielles Grundwesen ausprägen und weiterhin historisch unter Beweis stellen wird. Dass sich innerhalb des Imperialismus in historischer Dimension eine widerspruchsvolle Entwicklung vollzieht, die auch auf den Begriff zu bringen ist, gehört zum ABC der Dialektik.

Für eine „neue" Imperialismustheorie plädieren vor allem Leo Mayer und Fred Schmidt. Hierzu hat sich ebenfalls Klaus von Raussendorff geäußert. Mit ihm gehe ich konform, dass praktische Solidarität mit den unterdrückten Ländern ein Prüfstein für kommunistische Politik ist, einen maximal möglichen Beitrag zum internationalen Bündnis gegen den Weltimperialismus zu leisten. In diesem Kontext meint er allerdings, dass sich die ganze Aufregung um den „kollektiven" Imperialismus auf eine semantische Frage reduziert, „wenn inhaltlich klar ist, daß die klassenmäßige Interessenübereinstimmung der Imperialisten ... nicht aus dem Grad der internationalen Kapitalkonzentration und den zunehmend transnationalen Formen der Kapitalverwertung ... hervorgeht, sondern dass sich das Bündnis der Imperialisten aller Länder aus der internationalen Klassenkampfsituation ergibt, was Lenin theoretisch postuliert hat ..." Ergo: „Gänzlich überflüssig sind Scheingefechte, z. B. um das Adjektiv ‚kollektiv’ vor ‚Imperialismus’... Wer also meint, bei dem Begriff ‚kollektiver Imperialismus’ ein dickes Fass nach dem Links-Rechts-Schema aufmachen zu müssen, der liegt meiner Ansicht nach falsch."

Ohne hier ein solches Fass aufzumachen, meine ich allerdings, dass das Imperialismus-Thema einer grundlegenden zeitgemäßen theoretischen Positionierung bedarf - als Grundlage programmatisch-strategischer Folgerungen für wirklich linke Parteipraxis. Da der Irrtum eine Form des Wissens vom Unbekannten ist, und neben der Wahrheit als integrierendes Moment des sozialen Erkenntnisprozesses erscheint, wird es um solche Irrtümer bei der Entwicklung der marxistisch-leninistischen Theorie auch nicht abgehen. Aber bei dem von Mayer und Schmidt eingebrachten Terminus „kollektiver Imperialismus" handelt es sich in Wirklichkeit um eine solche Positionierung, die das Grundwesen der Leninschen Imperialismustheorie revidiert. Es verwundert deshalb auch nicht, dass eine solche Auffassung auf erhebliche Ablehnung und starken Widerspruch stieß; viele zutreffende Gegenargumente wurden vorgetragen. Auch aus meiner Sicht gilt generell: „Kollektiver Imperialismus" bedeutet tatsächlich ein Abrücken von der Leninschen Positionierung. Und das ist die Frucht dessen, dass dazu übergegangen wird, „Globalisierung" als eigentlich neue Wesensbestimmung für den Imperialismus des 21. Jahrhunderts auszugeben. Mayer schrieb bereits vor Jahr und Tag: „Der Imperialismus von heute ist der Kapitalismus im Prozess der Globalisierung." Ähnliches kann man auch in der programmatischen Diskussion der DKP lesen. So hält z. B. Peter Ludwig „den Begriff Globalisierung für treffend zur Charakterisierung der gegenwärtigen Haupttendenz des Imperialismus und (stimmt) insoweit mit Mayer/Schmidt überein." Zwischen „Globalisierung" und „kollektivem Imperialismus" besteht somit Konnexität. Da das Globalisierungsphänomen jedoch das eigentliche tiefere Ursachengefüge der faktischen Aufgabe der Leninschen Imperialismustheorie berührt, beginnen wir hiermit.

II.

Global bedeutet semantisch eigentlich nur: „auf die gesamte Erdoberfläche bezüglich", weltumfassend. In dieser attributiven Bedeutung als nähere Bestimmung zu einem Namen gehört dieses Wort natürlich zur Umgangssprache.

Der Begriff „Globalisierung" hingegen wurde in Anknüpfung an diese semantische Bedeutung als Kampfbegriff neoliberaler Politik und Ideologie erfunden und ausgestaltet. Dies spiegelt die Interpretationen dieses Begriffs in der linken Publizistik (so oder so) anschaulich wider. Einige Kostproben: Dieter Itzerott verweist darauf, dass der von der Bourgeoisie gestiftete Begriff „Globalisierung" eine Art Zauberformel sei, „die die weltweite Unabänderlichkeit und ewige Stabilität des kapitalistischen Systems vortäuschen soll." Nach Werner Seppmann ist „’Globalisierung" ... das Produkt einer politischen Strategie insbesondere des Finanzkapitals, dem seine traditionellen Betätigungsfelder zu eng geworden waren." Und Mumia Abu-Jamal: „Globalisierung bedeutet weltweite Anwendung von Gewalt, um lokale, regionale oder nationale Bewegungen zu unterdrücken, die nach Befreiung oder Autonomie streben. Globalisierung bedeut die weltweite Ausbreitung der Medienmaschinerie der reichen Eliten, um einen ungerechten Status quo zu rechtfertigen. Globalisierung bedeutet Terror im Weltmaßstab, um das herrschende System zu schützen." Oder. „Die Gegenwart der Globalisierung ist geprägt von vielfältigen Konflikten, durch sozialen Aufruhr angesichts von Massenarbeitslosigkeit und -verarmung in den Industriezentren, durch Spannungen in den postsowjetischen Staaten, durch das Scheitern einer nachhaltigen Entwicklung in den sogenannten Aufbruchsmärkten und schließlich durch den Widerständigkeit nationaler Eliten in Russland, China und Indien, sich dem amerikanisch geformten Globalisierungsdiktat zu unterwerfen ... Vordergründig modern, birgt Globalisierung, oft als postindustrielle Zukunft apostrophiert, einen reaktionären Kern, nämlich den fortschreitenden und aggressiv betriebenen Abbau der demokratischen Errungenschaften und der Rückkehr zum Urkapitalismus des 19. Jahrhunderts."

Tatsache ist allerdings, dass der Begriff „Globalisierung" heute unangefochten triumphal die politische Debatte beherrscht. Dieser arg schillernde Begriff ist aussichtsreicher Kandidat für das meistgebrauchte Wort der letzten Jahre. Wesentlich für die Konnexität dieses Beitrages ist folgender Sachverhalt: Er soll den Gesamt-Zustand der Welt (Wirtschaft, Politik, Kultur) erschließen, verschleiert ihn aber, um den Weg zur Maximierung des Profits zu ebnen. Tatsächlich setzt sich dieser Begriff selbst als Medium an das wirkliche Weltgeschehen, welches so nur passiv und neutral beschrieben werden kann. Gianfranco Pala meint deshalb zutreffend, dass man mit einer solchen empirischen Kategorie „ein historisch gewachsenes Konzept in eine geographisch-naturalistische und ahistorische Dimension (übersetzt). Diesem Konzept, das sich historisch in Termini der sozialen Beziehungen, der Dynamik zwischen Produktionsweisen und Besitzverhältnissen gebildet hat, wird so die widerspruchsvolle Bestimmung eines von der Antithetik des Klassenkonflikts geprägten Prozesses genommen." Deshalb ist er für eine marxistisch-leninistische Erforschung des Imperialismus in unserer Zeit völlig ungeeignet.

Dieser arg schillernde, widernatürliche Begriff „Globalisierung" hat sich inzwischen so in den Sprachgebrauch eingeschlichen, dass er selbst von Linken verwandt wird - mit bedenklichen Folgen für solche, die sich als Sozialisten oder Kommunisten begreifen. Denn es ist doch „äußerst negativ, wenn auch jene, die sich auf den Marxismus und die Geschichte des Kampfes der subalternen Klassen beziehen, ständig diesen Begriff benutzen, ohne sich zu überlegen, was dies schon auf der terminologischen Ebene bedeutet und welche Konsequenzen dies für das Verständnis historischer Phänomene hat." Dieser Aussage von Stefano G. Azzarà stimme ich vollkommen zu - auch der folgenden: Der „unkritische Gebrauch des Begriffs ‚Globalisierung’ ... zeugt von einem schwerwiegendem Maß an Unterordnung und Unbewusstheit, die schändlichste Folge des mangelhaften Nachdenkens der kommunistischen Bewegung über die politische und Systemniederlage in der Auseinandersetzung mit dem Gegner im ausgehenden 20. Jahrhundert."

Azzardà demonstriert in seiner Arbeit, wie der Gebrauch des Begriffs „Globalisierung" dazu beiträgt, die politische Dynamik bestimmter Erscheinungen der imperialistischen Entwicklung im ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert völlig auszublenden. Wir wollen hier den Blick in eine andere Richtung lenken: wie der Gebrauch dieses Begriffs de facto dazu führt, Lenins Imperialismustheorie zu demontieren. Exempli gratia:

Der „kollektive Imperialismus" als Prototyp eines „neuen Kapitalismus" wird vor allem von Mayer vertreten. Für ihn ist der heutige Imperialismus als „Kapitalismus im Prozess der Globalisierung" mit dramatischen Veränderungen seines Charakters verbunden; „Es reicht nicht mehr aus, den heutigen Kapitalismus als Monopolkapitalismus zu definieren. Der Kapitalismus von heute ist nicht der Kapitalismus der Zeiten von Karl Marx und Friedrich Engels. Der Kapitalismus von heute ist auch nicht der Imperialismus der Zeit Lenins. Der Imperialismus von heute ist der Kapitalismus im Prozeß der Globalisierung."

Einspruch! Dass sich der Kapitalismus entwickelt ist eine Binsenwahrheit. Marx, Engels und Lenin selbst haben die objektive „Veränderungs"-Dialektik substantiell auf den Begriff gebracht. Mein Haupteinwand ist deshalb auch nicht, daß neue Erscheinungen des heutigen Imperialismus - sei es als Phase oder Etappe - begrifflich-theoretisch zu bestimmen sind, sondern dass Mayer die Leninsche Bestimmung des Imperialismus als das „monopolistische Stadium des Kapitalismus" nur noch marginal - entgegen allen ökonomischen Tatsachen - betrachtet; Imperialismus von heute soll der Kapitalismus im Prozess der Globalisierung sein. Obwohl Mayer in seinen Arbeiten gelegentlich auch von „kapitalistischer Globalisierung" spricht bzw. diesen Begriff in An- und Ausführungsstriche setzt, fällt doch auf, dass er sich methodologisch-theoretisch der kapitalistisch-neoliberalen Intention de facto unterwirft und zugleich Komponenten einer antiglobalen Kritik darlegt. Scheiden wir diese Symbiose, so zeigt sich folgendes: die durchaus zutreffende Kritik der „kapitalistischen Globalisierung" - mit interessanten und oft auch konstruktiven Analysen - bewegt sich im Rahmen der diesbezüglichen Literatur. Beispielsweise sei hier nur auf Werner Biermann und Arno Klönne: Globale Spiele; Imperialismus heute - das letzte Stadium des Kapitalismus? (Köln 2001) und Vivianne Forrester: Die Diktatur des Profits (München/Wien 2001) verwiesen. Allerdings verbleiben solche antiglobalen Kritiken letztlich im Rahmen des bürgerlich-kapitalistischen Systems; die profunde Auseinandersetzung mit der kapitalistischen Globalisierung hat sich bis zum Griff an die Tür des Ausbruchs aus diesem System herangearbeitet, diese Tür selbst aber noch nicht (zunächst) theoretisch geöffnet. Insofern verbleibt diese Globalisierungskritik (mit ihren unverbindlichen Korrekturforderungen der Auswüchse der kapitalistischen Globalisierung) insgesamt den Interessen der imperialistischen „Quelle" dieser Globalisierung ideologisch untergeordnet. Und das ist deshalb abzuheben, weil sich Mayer als Repräsentant der DKP auf ähnlichem Teerain bewegt. Der Begriff der „kapitalistischen" Globalisierung wird zwar kritisch hinterfragt und mit diesbezüglichen Momenten „aufgefüllt"; aber seine eigene „originäre Globalisierungstheorie" involviert die Absage an Lenins Imperialismustheorie. Wer hier A sagt, der muss auch B sagen; d. h.: wer Lenins Bestimmung des Imperialismus als Monopolkapitalismus de facto negiert, der muss auch den historischen Platz des Imperialismus als „das Sterben des Kapitalismus, der Beginn seines Übergangs in den Sozialismus" - weitergedacht gemäß der gewaltigen Vergesellschaftung der Arbeit durch den Imperialismus heute - negieren, und damit auch die Möglichkeit und Notwendigkeit der historischen Aufhebung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und der sozialistischen Neuorganisation der Gesellschaft.

Mayer erwähnt auch, dass ohne „strukturelle Eingriffe in die Verfügungsgewalt des Großkapitals ... keine wirklichen Fortschritte mehr zu erreichen (sind)." Aber wenn man einmal unterlegt, dass er von einer permanenten Globalisierung des Kapitalismus als Imperialismus ausgeht, so kann man mit gutem Grund unterstellen, dass damit keinesfalls die Lösung der Eigentumsfrage im Sinne von Marx, Engels und Lenin gemeint ist; er meint: „Das Aufwerfen der Eigentumsfrage und der bewussten Steuerung ökonomischer und sozialer Prozesse durch Staat und Gesellschaft, d. h. die Notwendigkeit einer demokratischen Rahmenplanung, gewinnen wieder an Bedeutung." Ergo: Seine Vorstellungen zu Reformpolitik und Reformalternative verbleiben im Rahmen und auf dem Boden des Kapitalismus - ohne wissenschaftlich sozialistische Konzeption.

Michael Opperskalski hat mit vollem Recht darauf hingewiesen, dass Mayer mit seiner Imperialismusbestimmung als Kapitalismus im Prozess seiner Globalisierung „letztlich und schlicht und einfach beim sozialdemokratisch-revionistischen Theoretiker Karl Kautsky (landet), der im scharfen Gegensatz zu Lenin ... zu erkennen glaubte und vermutete, ‚ob es nicht möglich sei, daß die jetzige imperialistische Politik durch eine neue, ultraimperialistische verdrängt werde, die an Stelle des Kampfes der nationalen Finanzkapitale untereinander die gemeinsame Ausbeutung der Welt durch das international verbündete Finanzkapital setzt ...’" Die Globalisierungspositionierung von Mayer involviert zweifelsohne eine solche Intention; ich erlaube mir hier den Zusatz, dass sie zugleich eine Variante des Demokratischen Sozialismus offenbart, die auch auf eine gewisse Parallelität mit (Komponenten) der programmatischen Diskussion in der PDS verweist.

Dass die Verwendung des Begriffs „Globalisierung" in theoretisch-abstrakter Form gleichermaßen dazu führt, Marx zu entwerten und Lenin als nichtexistent zu negieren, zeigt das Plädoyer von Christian Fuchs und Wolfgang Hofkirchner für eine „allgemeine Theorie der Globalisierung". Es wird über ein sowohl neues als auch altbekanntes Phänomen des Kapitalismus der Menschheitsgeschichte geschrieben. Bürgerliche Versionen und Visionen werden vorgeführt - aus der Vergangenheit bis hin zu Ulrich Beck und Anthony Giddens; auch Marx und Engels werden „gleichberechtigt" als Vertreter „ökonomischer Globalisierung" vorgestellt. Eine einheitliche Theorie der Globalisierung soll dazu beitragen, die bisherigen Diskursergebnisse „aus einer neokonservativen in eine humanistische Richtung umzuleiten." So zu lesen in der „Zeitschrift Marxistische Erneuerung"; kein Kommentar!

Nichtsdestotrotz stimme ich der Überlegung von Azzarà zu: „Die Kategorie der Globalisierung braucht deshalb nicht aus dem Wörterbuch der marxistischen Theorie getilgt zu werden, wir sollten sie jedoch ausschließlich in kritischem Sinn benutzen. Wo es um die Beschreibung der Realität geht, sollte sie dagegen systematisch ersetzt werden durch jenen heute vernachlässigten Begriff, der während des ganzen letzten Jahrhunderts die mächtigste theoretische und politische Waffe der subalternen Klassen in aller Welt war; das heißt, wir sollten bewusst und mit gutem Grund zum Leninschen Imperialismusbegriff zurückkehren." Die Verantwortlichen der programmatischen Debatte in der DKP wären gut beraten, diesem klugen Rat zu folgen. Und dies schließt keinesfalls aus, die von der „Globalisierungsforschung" aufgezeigten Tatsachen zu nutzen und sie in die Erkenntnis der gesellschaftlichen Prozesse mittels der Marxschen Methodologie einzubeziehen; es geht also darum, „sich diese Errungenschaften anzueignen und zu verarbeiten ... und zu verstehen, die reaktionäre Tendenz derselben zu verwerfen, der eigenen Linie zu folgen ..." Damit gilt grundsätzlich, dass die Kreation einer marxistischen Globalisierungstheorie generell abzulehnen ist. Die Rückkehr zur Leninschen Imperialismustheorie, ihr Verteidigung und Fortentwicklung gemäß den Gegebenheiten und Erfordernissen unserer Zeit ist das Gebot der Stunde.

In dieser Sicht halte ich es auch nicht für sinnvoll, den Globalisierungsbegriff integrativ in die marxistische und leninistische Positionierung einzubeziehen. Auch Sohn meint, dass die „Phase der Kontinentalisierung innerhalb der kapitalistischen Entwicklung ... insgesamt nicht anders als Globalisierung ist..." Und Herbert Münchow schreibt, dass sich eingebürgert hat, „die Begriffe ‚Globalisierung’ und ‚transnationaler Monopolkapitalismus’ mehr oder weniger synonym zu gebrauchen. Dies mag angesichts der imperialistischen Strategie der Globalisierung und der Tatsache, dass die Tendenz zum Weltmonopol unter den heutigen Bedingungen die treibende Kraft der kapitalistischen Ausdehnung ist eine gewisse Berechtigung haben. Doch die Globalisierung im streng ökonomischen Sinn ist eine Grundeigenschaft des Kapitalismus auf jeder Stufe seiner Entwicklung." Es ist jedoch abwegig, die Marxsche Terminologie durch „Globalisierung im streng ökonomischen Sinne" zu ersetzen. Denn eine solche dem Zeitgeist geschuldete semantische Manipulation verdunkelt die wirklichen ökonomischen Zusammenhänge und erschwert den Kampf für die Leninsche Imperialismuspositionierung. Hans Heinz Holz hat mit seiner Feststellung vollkommen Recht: „Was heute als Globalisierung bezeichnet wird, enthält keine wesentlichen Merkmale, die nicht im Begriff des Imperialismus eingeschlossen sind; wohl aber gibt es neue Erscheinungsformen derselben Grundstruktur". Globalisierung in den Rang einer marxistischen Formel zu erheben, zeigt sich deshalb als solcher Irrweg, der de facto das Abrücken von Lenins Imperialismustheorie befördert. Und wenn aus pragmatischen Gründen auf den Gebrauch des Termini „Globalisierung" nicht verzichtet werden kann, ist er stets kritisch zu hinterfragen und durch diesbezügliche marxistisch-leninistischen Begriffe zu konterkarieren.

III.

Alle ökonomisch-politischen Daten belegen, dass Lenins Imperialismustheorie in ihren Grundaussagen nach wie vor gültig ist. Dies hat Herpal Brar mit fast schon epischer Breite an Hand von Tatsachenmaterial nachgewiesen: auch der Imperialismus heute ist faulender, sterbender, parasitärer, monopolistischer Kapitalismus". Diese - und viele weitere ökonomische Analysen - auf die hier nicht eingegangen werden kann - bekräftigen die These von Holz, dass die „allgemeinen Merkmale, die Lenin am imperialistischen Stadium des Kapitalismus herausgearbeitet hat, ... auch heute noch zutreffend (sind) ... Die Gesamtheit dieser Erscheinungsformen kapitalistischer Weltwirtschaft deckt sich mit den Inhalten des Begriffs Imperialismus; dieser ist nach wie vor die angemessene formationstheoretische Kategorie zur Erfassung der grundsätzlichen Eigenheiten der gesellschaftlichen Verfassung der politischen Handlungsweisen der kapitalistischen Mächte."

Natürlich gibt es in der Entwicklung des Kapitalismus nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Veränderungen innerhalb des Maßes der kapitalistischen Grundqualität. In meiner Sicht ist der Kapitalismus in eine solche qualitativ neue Entwicklungsphase eingetreten, die aber weder dessen Grundwesen noch den Charakter des Imperialismus verändert. Dies zeigt sich meines Erachtens in drei generellen Qualitätstrends, deren Korrelation und Konkretation allerdings besonderer Darlegungen bedarf. Im Rahmen dieses Beitrages wäre hier das folgende zu verdeutlichen.

Ein erster und zwar übergreifender neuer Qualitätstrend ist, dass sich ständig die (materiellen) gesellschaftlichen Produktivkräfte beschleunigt entwickeln. Durch diesen tiefgreifenden Wandel werden unermessliche Möglichkeiten für den Menschheitsfortschritt eröffnet, die jedoch heute den Verwertungsinteressen des Kapitals unterworfen sind. Insofern gilt Marx: „Ohne Gegensatz kein Fortschritt; das ist das Gesetz, dem die Zivilisation bis heute gefolgt ist."

Aber in unserer Zeit involviert dieser „Gegensatz" infolge der Entwicklung der technischen Seite der Produktivkräfte die Möglichkeit der Selbstvernichtung der Menschheit. Und die Deformation und Vernichtung der wichtigsten Produktivkraft - des Menschen selbst - ist in steigendem Maße im Gange. Massenarbeitslosigkeit, die extreme Polarisierung von Reichtum und Armut zwischen kapitalistischen Monopolen und der übrigen Welt, die verbrecherischen imperialistischen Kriege, sowie weitere unmenschliche Folgen der weltweiten ökonomischen, sozialen, ökologischen sowie politischen und kulturellen Systemkrise des Kapitalismus zeugen weithin dafür, dass sich die dekadenten und parasitären Züge des kapitalistischen Imperialismus verstärken. Die dem Imperialismus eigene Tendenz zur Barbarei verstärkt sich seit der Niederlage des Sozialismus in Europa zunehmend.

Der zweite neue Qualitätstrend besteht darin, dass in historischer Tendenz an die Stelle eines primär im nationalstaatlichen Rahmen organisierten Kapitals ein transnationaler Kapitalismus tritt. Hierin kulminiert eine neue Stufe der Zentralisation des Kapitals sowie die Tatsache, dass das Finanzkapital und die Finanzmärkte zum beherrschenden Faktor des Wirtschaftsgeschehens in den einzelnen Ländern und in der Weltwirtschaft geworden sind. Ohne hier in concreto in den diesbezüglichen Diskurs eingreifen zu können, sei jedoch abgehoben, dass dieser Trend nicht zur „Abschaffung" des Staates führt, dessen neoliberale Politik die Internationalisierung beschleunigt.

Diese beiden neuen qualitativen Trend kapitalistisch-imperialistischer Entwicklung stehen in korrelativem Zusammenhang mit dem von Lenin skizzierten historischen Platz des Imperialismus als das höchste und letzte Stadium des Kapitalismus, das durch die Errichtung der sozialistischen Gesellschaft mittels der sozialistischen Revolution abgelöst wird. Auch hier zeigt sich heute qualitativ Neues als dritter Trend. Meine These ist, dass die Niederlage des Sozialismus und der herkömmlichen kommunistischen Weltbewegung nicht aus der Welt schaffen, dass der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus als objektiver Prozeß besonderer historischer Art weitergeht. Die Leninsche Positionierung zeigt sich so spezifisch historisch-konkret ausgeprägt. Die neue Stufe der Weltkonzentration des Kapitals und der Produktion mit der Herausbildung des Imperialismus veranlasste Lenin zu folgern: „Wir wollen sehen, wie dieses Übermonopol heranwächst." Bereits der staatsmonopolistische Kapitalismus überschritt die nationalen Grenzen. Heute tendiert das Kapital zu einem transnationalen Kapitalismus. Dabei bleiben die Nationalstaaten unentbehrliche Machtfaktoren, die die Konzerne beim Kampf um die Profitmaximierung erpressen können. Dabei währt der Kampf zwischen den Kapitaleigentümern als Kampf zwischen „verfeindeten Brüdern", wie Marx ihn bezeichnet, „fort, intensiviert sich sogar, vergrößert sich proportional zur wachsenden transnationalen Dimension der operierenden Unternehmen und läuft in Richtung eines ökonomischen Weltkrieges." Aber nicht nur das. Dies bestätigt auch, dass die Leninsche Bestimmung des historischen Platzes des Imperialismus als „Übergang von der kapitalistischen zu einer höheren ökonomischen Gesellschaftsformation" welthistorisch weitergedacht keinesfalls passé ist: „das aus dem Kapitalismus hervorwachsende Monopol ist bereits das Sterben des Kapitalismus". Zu Lenins Zeiten waren die Kartelle und Trusts allerdings wie kleine Kinder zu den heutigen Multis und Transnationals. „Wir können (zwar) nicht wissen, mit welcher Schnelligkeit und welchem Erfolg sich einzelne geschichtliche Bewegungen der jeweiligen Epoche entwickeln werden." Doch diese weitere gewaltige Vergesellschaftung schafft wesentliche objektiv-materielle Bedingungen für eine künftige universelle kommunistische Zivilisation - auch wenn dies (noch) nicht unmittelbar mit revolutionären Ausbrüchen großen Stils und dem historisch-konkreten Fortgang der sozialistischen Revolution auf unseren Planeten gekoppelt ist. In dieser Sicht ist KOMMUNISMUS modern; ergo: Es gilt also auch im gegenwärtigen konterrevolutionären Restaurationszeitraum den welthistorischen Übergang zum Kommunismus zu denken.

Zwei Folgerungen sind aus den bisherigen Überlegungen abzuleiten. Eine erste: Die Orientierung „Imperialismus als Globalisierung" verbaut den Weg zu dieser Bestimmung des historischen Platzes des Imperialismus und damit zugleich den politisch-strategischen Weg des Ausbruchs aus dem kapitalistischen System. Und eine zweite. Obgleich sich die kapitalistische Gesellschaft in einer neuen Entwicklungsphase des Imperialismus befindet, ist nicht davon zu abstrahieren, dass sich diese quantitative und qualitative Bewegung des Kapitalismus innerhalb einer solchen kapitalistischen Grundstruktur vollzieht, die Marx im Ersten Band des Kapitals (MEW, Bd. 23) abstrakt allgemein dargestellt hat. Sie bedarf selbstverständlich einer permanenten historisch-konkreten Konkretion sowie einer theoretischen Fortschreibung durch eine marxistische politische Ökonomie, die leider noch im argen liegt.

IV

Von Überlegungen zum weiteren epochalen Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus, der damit verbundenen Frage nach antiimperialistischen radikaldemokratischen Reformen innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft, die historisch langfristig an den Übergang zum Sozialismus heranführen und ihn einleiten (sowie andere Fragen des subjektiven Faktors) müssen wir hier absehen; sie sind in anderen Zusammenhängen des Weiterdenkens der Leninschen Imperialismustheorie auszuloten. In der Intention dieser Abhandlung ist vielmehr ein Exkurs zur imperialistischen Kollektivität und zu der damit im Zusammenhang stehenden Frage Krieg-Frieden in unserer Zeit notwendig. Denn: „Der Begriff ‚Imperialismus’ schließt wesentlich den Krieg ein. ... Imperialismus bedeutet den Weltkriegszustand in Permanenz..."

In medias res. Sohn befürchtet, dass sich die bewaffneten Konflikte zur Jahrtausendwende „im Gefolge der imperialistischen Konteroffensive, die wir seit 1989 erleben, in die imperialistischen Zentren zurückverlagern wird. Und: Es „wächst unter der Decke aktueller Politik die Gefahr eines Krieges zwischen den Triademächten von Jahr zu Jahr. Auch Holz meinte noch jüngst: Der vorläufige Sieg des Imperialismus hat die Gefahr ... hat „auch die Gefahr eines Krieges zwischen den Metropolen wachsen lassen."

Raussendorff wendet sich m. E. zutreffend dagegen, einer theoretisch nicht auszuschließende - aber derzeit sehr unwahrscheinliche - Eskalation der Widersprüche zwischen den imperialistischen Zentren zu einer militärischen Konfrontation bereits als einen unvermeidlichen Dritten Weltkrieg zu apostrophieren. Denn ein solcher Krieg wird sogar in den Rang eines „Natur-Gesetzes" erhoben. So kann man lesen, dass früher oder später, wenn nicht durch proletarische Revolutionen verhindert, „die imperialistischen Blöcke, oder eine Kombination von ihnen, unweigerlich aneinander geraten. Ein dritter Weltkrieg erscheint unausweislich." Oder: „Den Trend zum Welttrust, der auf einer bestimmten Stufe stets in einen Weltkrieg mündet, kann nur durch die sozialistische Revolution beendet werden." Es wäre natürlich falsch, in welthistorischer Sicht eine solche - für eine absehbare Zukunft - abstrakte Möglichkeit auszublenden, aber: „Es ist jedoch kein ‚Gesetzt’ des Imperialismus, daß die imperialistischen Hauptmächte ihren unaufhebbaren Kampf um die Neuaufteilung der Welt letztlich nur durch einen Waffengang gegeneinander entscheiden können." Dieser Aussage von Raussendorff stimme ich zu. Als Krieg zwischen den imperialistischen Zentren ist die These von der Unvermeidlichkeit eines „Dritten Weltkrieges" falsch; sie verkennt, dass nicht nur letztlich ökonomische Momente als solche, sondern wesentlich die lebendigen Akteure des internationalen Klassenkampfes - vor allem auf nationalem Boden - aufgrund des bestehenden Kräfteverhältnisses über Krieg und Frieden entscheiden. Über Formen künftiger Kriege und über zu erwartende imperialistische Kriegskonstellationen muss selbstverständlich auf der Basis nachgedacht und diskutiert werden, dass der Imperialismus, der seinen ökonomischen Wesen nach Monopolkapitalismus war, ist und bleibt, jetzt in steigendem Maße dekadenter, parasitärer und sterbender Kapitalismus ist. Und: Wie wird die Frage Krieg-Frieden durch die Kollektivität des Imperialismus tangiert, die Mayer und andere zum Wesensmerkmal des heutigen Imperialismus stilisieren?

Lenin war das Phänomen der Kollektivität des Imperialismus keinesfalls unbekannt. Bei seiner ökonomischen Analyse des Imperialismus hob er auch ab, „wie sich mit der Konzentration des Kapitals und dem Wachstum des Umsatzes die Bedeutung der Banken von Grund aus ändert. Aus den zersplitterten Kapitalisten entsteht ein einziger kollektiver Kapitalist." Aber diese ökonomisch determinierte imperialistische Kollektivität ändert am Wesen des Imperialismus nichts; seine Ungleichmäßigkeiten und Widersprüche werden dadurch nicht abgeschwächt, sondern verstärkt. Als Wesensbestimmung des Imperialismus schied eine solche Kollektivität für Lenin natürlich aus. Und das gilt selbstverständlich auch für „das allgemeine Bündnis der Imperialisten aller Länder, das dem ökonomischen kapitalistischen Bündnis zugrunde liegt ..." Nach Lenin ist dieses allgemeine Bündnis nicht die treibende Kraft der Politik. Selbstverständlich bleibt dieses (ökonomische) Bündnis „nach wie vor die grundlegende ökonomische Tendenz des kapitalistischen Systems, die sich zuletzt mit unwiderstehlicher Kraft geltend machen wird." Dass der imperialistische Krieg die imperialistischen Mächte unter den Bedingungen einer aufgeteilten Welt „in Gruppen, in einander feindliche Gruppen, in feindliche Koalitionen gespalten hat", ist nach Lenin eine „Ausnahme von dieser Grundtendenz des Kapitalismus ... Diese Feindschaft, dieser Kampf, dieses Ringen auf Leben und Tod bedeutet unter bestimmten Bedingungen, dass das Bündnis der Imperialisten aller Länder hier unmöglich ist."

Raussendorff hat Recht, „dass die vorherrschende, die ‚Grundtendenz’ des Kapitalismus, das ‚allgemeine Bündnis der Imperialisten aller Länder’ ist" und dass „dieses imperialistische Bündnis ... nach dem Verschwinden der sozialistischen Staaten in Europa als die ganze ‚Internationale Gemeinschaft’ oder schlicht die ‚zivilisierte Welt’ firmiert." Auch damit wird belegt: Das Maß der imperialistischen Kollektivität ist historisch veränderlich; es wird wesentlich stets vom Inhalt und der Gestaltveränderung der Ungleichmäßigkeit der ökonomischen Entwicklung des Imperialismus in wechselseitiger Verknüpfung mit seiner gesellschaftlichen Struktur und dem politischen Kräfteverhältnis insgesamt geprägt. Auch die gegenwärtigen Entwicklungstendenzen des Imperialismus bieten keinen Anlass, ihm das Merkmal „kollektiver" zu verleihen.

Das von Lenin offen gelegte Wesen des Imperialismus involviert, dass dieser „erwuchs als Weiterentwicklung und direkte Fortsetzung der Grundeigenschaften des Kapitalismus überhaupt." Das Maß der imperialistischen Kollektivität ist hieran gebunden. Das Gerede von einem „kollektiven Imperialismus" hingegen nährt u. a. den grundfalschen Gedanken, dass der Imperialismus künftig seine Ungleichmäßigkeiten und Widersprüche abschwäche. In Wirklichkeit verstärkt er diese. Die Vertiefung seiner ihm innewohnenden antagonistischen Widersprüche bestätigen Lenins Erkenntnis: „Das Finanzkapital und die Trusts schwächen die Unterschiede im Tempo des Wachstums der verschiedenen Teile der Weltwirtschaft nicht ab, sondern verstärken sie. Sobald sich aber die Kräfteverhältnisse geändert haben, wie können dann unter dem Kapitalismus die Gegensätze anders angetragen werden als durch Gewalt?" Dieses Wesensphänomen des Imperialismus zeigt sich in unserer Zeit in neuen Erscheinungsformen. Und dies berührt auch den dialektischen Zusammenhang zwischen der Periode des imperialistischen Friedens und den Perioden imperialistischer Kriege und der damit verbundenen Frage von Bündnissen in der kapitalistischen Wirklichkeit als „notwendigerweise nur ‚Atempausen’ zwischen Kriegen - gleichviel, in welcher Form diese Bündnisse geschlossen werden, ob in der Form einer imperialistischen Koalition gegen eine andere imperialistische Koalition oder in der Form eines allgemeinen Bündnisses aller imperialistischen Mächte. Friedliche Bündnisse bereiten Kriege vor und wachsen ihrerseits aus Kriegen hervor, bedingen sich gegenseitig, erzeugen einen Wechsel der Formen friedlichen und nichtfriedlichen Kampfes auf ein und demselben Boden imperialistischer Zusammenhänge und Wechselbeziehungen der Weltwirtschaft und der Weltpolitik."

In welthistorischer Dimension bleibt diese Leninsche Positionierung voll gültig - in concreto natürlich in anderen Formen gemäß veränderter geschichtlicher Umstände. Einiges sei angedeutet. Es ist zwar möglich - meint Holz -, „daß die Eigendynamik gegenseitigen Rüstens und die Ausweglosigkeit der allgemeinen Krise des Kapitalismus zu einer explosiven Katastrophe führen." In welthistorischer Sicht ist dies nicht auszuschließen. Auf der historisch-konkreten Ebene scheint mir allerdings für die nächste Zukunft real zu sein, dass ein kriegerisch-militärischer Zusammenstoß zwischen den imperialistischen Hauptmächten und ihrer Gruppierung eher unwahrscheinlich ist. Hiefür sprechen einige Gründe: Zunächst, dass es gegenwärtig „eine Vielzahl von Fakten der Produktivkraftentwicklung im Imperialismus (gibt), die zwar zu tiefergreifenden Meinungsverschiedenheit zwischen imperialistischen Staaten als logische Konsequenz führen aber nicht notwendigerweise zu einem Weltkrieg." Wesentlich hierfür erscheint mir weiter der Hegemonismus der Vereinigten Staaten vor allem in ökonomischer, technischer und militärischer Hinsicht Die militärisch-strategische Situation auf unseren Planeten involviert, dass die USA, die nach Weltherrschaft streben, in jedem militärischen Krieg außer gegen China - obsiegen können. Und die Veränderung des imperialistisch-militärischen Kräfteverhältnisses ist nicht von heute auf morgen zu haben; sie benötigt ebenfalls einen bestimmten historischen Zeitrahmen. Aber dies bedeutet nun keineswegs, dass eine solche historisch-konkrete Situation in der imperialistischen Entwicklung den „Drang nach Gewalt und Reaktion" lähmt. Im Gegenteil! Neue Formen des Krieges zeichnen sich ab. Sie sind allerdings nicht (nur) im Sinne des Ersten und Zweiten Weltkrieges, des völkerrechtlichen Kriegsbegriffs und der Anwendung kriegsvölkerrechtlicher Normen zu verstehen; sie involvieren vielmehr einen politischen und sozialen Kernbefund an Gewalt in den internationalen und nationalen Beziehungen - einschließlich bewaffneter Gewaltanwendung. Die scharfe Spaltung der Welt in eine Handvoll Unterdrückerstaaten und die große Mehrheit der unterdrückten Völker ist sicherlich ein Diskussionsfeld über zu erwartende imperialistische Kriegskonstellationen. Und dies wird bereits wesentlich durch den „langfristigen" Krieg der USA offengelegt, der alle Merkmale eines imperialistischen Krieges um die Neuaufteilung der Welt und ihrer Energiereserven - vor allem im Mittleren Osten und in Zentralasien - aufweist.

In dieser Konnexität zeigt sich in meiner Sicht die Globalisierung als eine neue Art und Form des Krieges als Weltkrieg; sie „stellt nach ihrem sozialen Wesen einen Krieg neuen Typs dar, einen Krieg, der bereits den ganzen Planeten erfasst hat. Sein aktives Subjekt ist der globale westliche Überbau, dessen Metropole sich in den USA konzentriert hat und der die ganze Macht der westlichen Welt in seinem Interesse mobilisiert ... In diesem Krieg gibt es keine Grenzen zwischen ‚friedlichen’ und speziell militärischen Mitteln, es gibt keine Grenzen zwischen Front und dem Hinterland, es gibt keine Grenzen zwischen Zivilisten und professionellen Militärpersonen. Dieser Krieg ist einzigartig, einheitlich und umfassend. Er differenziert sich in einer großen Zahl von Operationen auf dem gesamten Planeten, einschließlich militärischer im gewöhnlichen Sinne des Wortes ... Wenn dieser fundamentale Faktor des gegenwärtigen Lebens der Menschheit ignoriert wird, kann man objektiv nicht ein einziges mehr oder weniger bedeutsame Ereignis auf dem Planeten begreifen." Über Globalisierung als neuer Weltkrieg sollte man sicherlich in anderen Zusammenhängen weiter nachdenken.

Abschließend: Der Begriff „kollektiver Imperialismus" - verstanden in der Konnexität mit „Globalisierung" als Wesensbestimmung - gedacht als eine Epoche (oder Phase) in der Entwicklung des modernen Imperialismus - ist eine Fehlgeburt mit fatalen theoretischen und strategisch-politischen Folgen. Für die programmatische Debatte in der DKP scheint mir deshalb gleichfalls die Verteidigung und Präzisierung der Leninschen Imperialismustheorie das Gebot der Stunde zu sein. Denn dies bleibt der Schlüssel zur Veränderung der heutigen Welt.

Ingo Wagner, Leipzig


Zur Geschichte des Sozialismus

Kurt Gossweiler: Vor 60 Jahren IV: Warum konnte der Revisionismus siegen?

2. Warum konnte der Revisionismus in der KPdSU über den Marxismus-Leninismus siegen?

a) Zum Problem von objektiven und subjektiven Ursachen

Die Tatsache, dass es auch in der kommunistischen Bewegung opportunistisch und revisionistische Tendenzen, ja sogar Strömungen gibt, macht keine Erklärungsschwierigkeiten. Ein echtes Problem stellt aber die Tatsache dar, dass der Revisionismus in der Mutterpartei des Marxismus-Leninismus, in der KPdSU, die Oberhand gewinnen konnte über den Marxismus-Leninismus.

Nun ist dieses Ereignis ja nicht ohne Beispiel in der Geschichte der Arbeiterbewegung. Etwas durchaus Gleichartiges geschah ja auch schon der Mutterpartei des Marxismus, der noch von Marx und Engels von ihrer Gründung an mit Rat und Tat begleiteten Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.

Es könnte scheinen, das würde die Antwort auf die Frage, warum es dazu kommen konnte, erleichtern: gleichartige Ereignisse haben in der Regel ja auch gleichgeartete Ursachen. Und die Antwort auf die Frage nach den Entstehungsursachen und auch nach den Ursachen für den Sieg des Revisionismus in den Parteien der II. Internationale haben ja im Ansatz schon Marx und Engels und hat nach ihnen grundlegend und allgemeingültig Lenin gegeben.

Friedrich Engels wies schon 1858 in einem Brief an Marx auf den Zusammenhang hin zwischen der Ausbeutung der Welt durch die englische Bourgeoisie und der Verbürgerlichung der englischen Arbeiterklasse, indem er schrieb, „ dass das englische Proletariat faktisch mehr und mehr verbürgert, so dass diese bürgerlichste aller Nationen es schließlich dahin bringen zu wollen scheint, eine bürgerliche Aristokratie und ein bürgerliches Proletariat neben der Bourgeoisie zu besitzen. Bei einer Nation, die die ganze Welt exploitiert, ist das allerdings gewissermaßen gerechtfertigt."21

Lenin hat vor allem in seinem Werk „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus" und in zahlreichen anderen Arbeiten – zu nennen sind hier vor allem die Schriften „Der Opportunismus und der Zusammenbruch der II. Internationale" , geschrieben im Januar 1916, und „Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus", geschrieben im Dezember 1916, den Zusammenhang von Imperialismus und Opportunismus herausgearbeitet. In seinem Hauptwerk über den Imperialismus schrieb er: „Der Imperialismus, der die Aufteilung der Welt und die Ausbeutung nicht allein Chinas bedeutet, der monopolistisch hohe Profite für eine Handvoll der reichsten Länder bedeutet, schafft die ökonomische Möglichkeit zur Bestechung der Oberschichten des Proletariats und nährt, formt und festigt dadurch den Opportunismus. ... Der Imperialismus hat die Tendenz, auch unter den Arbeitern privilegierte Kategorien auszusondern und sie von der Masse des Proletariats abzuspalten."22

Das Entstehen und das Wuchern des Revisionismus in den Parteien der II. Internationale hängen also ursächlich mit Veränderungen in der Ökonomie, mit dem Übergang vom Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Monopolkapitalismus, zum Imperialismus, zusammen. Was liegt da näher, als die Ursachen für das Entstehung und für den Sieg des Revisionismus in kommunistischen Parteien ebenfalls in Veränderungen in der Ökonomie zu suchen, und Erklärungen, welche die Ursachen nicht nur dort, sondern auch in der Politik suchen, als unmarxistisch, idealistisch und personalistisch zu empfinden..

Sogar Rolf Vellay, der schon 1989 gesehen und geschrieben hatte: "Michail Gorbatschow als Generalsekretär, das ist die Konterrevolution an der Spitze der KPdSU! Michail Gorbatschow als Staatspräsident der UdSSR, das ist das Ende des Sozialismus in der Sowjetunion!", wandte in einem Brief an mich vom 18.Mai 1998 gegen meine Ursachenerklärung für den Sieg des Revisionismus in der Sowjetunion ein:

„So interessant es ist, wenn Du die Linien der ideologischen Auseinandersetzungen in der KPdSU und in der kommunistischen Weltbewegung nachzeichnest,... beantwortet es für mich doch nicht zu voller Zufriedenheit die Frage, wie es ‚dazu hat kommen können’. Ich denke, in letzter Instanz haben politische Veränderungen grundsätzlicher Art ihre Ursachen in der Ökonomie. In der einst revolutionären deutschen Sozialdemokratie konnten deshalb die Reformisten am Ende das Übergewicht gewinnen, weil der sich entwickelnde Imperialismus mit Hilfe der Bismarck’schen Sozialgesetzgebung einerseits und dem’ sozialen’ Wirken z.B. solcher Unternehmer wie Krupp, Bosch, Abbé materielle Voraussetzungen schufen für die sich ausbreitende Illusion vom ‚friedlichen Weg’, vom ‚Hineinwachsen in den Sozialismus’, Ohne diese für einen Teil der Arbeiter und die sich herausbildende Schicht von Funktionsträgern der Arbeiterbewegung bereits im Kapitalismus spürbare Besserung der sozialen Situation, verbunden mit der Hoffnung, dass es mit der Zeit für noch größere Teile des Proletariats noch besser würde – das war die Voraussetzung, dass Bernstein und Konsorten mit ihrem Reformismus Anhang finden konnten. Umgekehrt denke ich mir, dass die Revisionisten in der KPdSU und am Ende in den Parteien der anderen europäischen sozialistischen Länder nicht deshalb die Oberhand gewannen, weil die prinzipientreuen, revolutionären Genossen politische Fehler gemacht hätten – z. B., wie Du am Schluss Deines Beitrages 23 ausführst ,die Gegensätze nicht offen vor den Volksmassen auszutragen -, sondern dass die unbefriedigenden Ergebnisse sozialistischer Ökonomie den Revisionisten die Plattform lieferten, um in den entscheidenden Parteigremien schließlich das Übergewicht zu erlangen." (Unterstreichung von mir, K.G.)

Rolf hatte natürlich recht mit der Feststellung, alle politischen Veränderungen grundsätzlicher Art hätten ihre Ursache in letzter Instanz in der Ökonomie. Aber eben – in letzter Instanz! Und mitunter durch eine lange Kette von Vermittlungsgliedern im nicht-ökonomischen Bereich! Ohne Erforschung und Kenntnis dieser Vermittlungsglieder direkt auf die Ökonomie als Verursacherin zu schließen muss zu Fehleinschätzungen führen, wie das auch Rolf in diesem Falle passiert ist.

Analogieschlüsse vom „alten" Revisionismus in den Parteien der II. Internationale auf den „modernen" Revisionismus in den Parteien der III., der Kommunistischen Internationale, führen gar zu leicht zu Fehlschlüssen, wenn sie die gravierenden Unterschiede außer acht lassen, die trotz grundlegender Gemeinsamkeiten zwischen beiden bestehen.

b) Gemeinsamkeiten und Unterschiede von „altem" und „modernem" Revisionismus

Gemeinsam ist dem alten wie dem neuen, dem „modernen" Revisionismus, dass beide innerhalb der revolutionären marxistischen bzw. marxistisch-leninistischen Arbeiterbewegung den revolutionären Antikapitalismus und Anti-Imperialismus zu verdrängen und zu ersetzen suchten durch eine Ideologie und Praxis des Reformismus, der Klassenzusammenarbeit, und dass beide sehr bald zu Agenturen der Bourgeoisie, zu Instrumenten der bourgeoisen Konterrevolution wurden.

Ein Grund dafür ist, dass die Bourgeoisie ein wachsames Auge auf alle politischen Organisationen wirft, ein ganz besonders wachsames auf die kommunistischen Parteien, und dass sie die ihr gefährlich erscheinenden Organisationen nicht nur durch Repression, sondern auch durch Diversion bekämpft. Mit größter Aufmerksamkeit verfolgen ihre dafür zuständigen Organe innerparteiliche Auseinandersetzungen in den kommunistischen Parteien, und jede innerparteiliche Opposition besitzt eine magische Anziehungskraft auf Mitarbeiter dieser Organe. Auf allen möglichen und unmöglichen Wegen suchen sie Kontakt zu solchen Oppositionellen, aber nicht nur Kontakt, sondern die Möglichkeit, auf solche Oppositionsgruppen – sei es von außen, noch besser aber von innen – Einfluss zu nehmen und schließlich sie in eine gewünschte Richtung zu steuern.

Aber die Aufgabe, die sich der alte Revisionismus der sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien stellte, und jene, vor die sich der modernen Revisionismus in den regierenden kommunistischen und Arbeiterparteien gestellt sah, waren trotz Einigkeit im Ziel geradezu gegensätzlich:

Der alte Revisionismus hatte zum Ziel, den revolutionären Sturz der bestehenden Ordnung, des Kapitalismus, zu verhindern, also die bestehende Ordnung, ein bisschen reformiert, zu erhalten.

Der moderne Revisionismus hatte zum Ziel, die bestehende Ordnung, den Sozialismus, zu beseitigen, durch „Liberalisierung" und schrittweise Rückkehr zu kapitalistischen Verhältnissen.

Der „alte" und der „moderne" Revisionismus sind auch auf unterschiedliche Weise entstanden.

Zwar sind beide aus dem Boden des Imperialismus erwachsen, aber in doch recht unterschiedlicher Weise und unter ganz unterschiedlichen Bedingungen.

Der alte Revisionismus entstand, wie schon oben abgehandelt, als ideologische und politische Strömung der vom Imperialismus privilegierten Oberschichten der Arbeiterklasse, die ihren Frieden mit der gegebenen kapitalistischen Ordnung gemacht hatten. Diese Strömung und ihre Ideologen und Wortführer in der Spitze der Sozialdemokratie fanden die kräftige Unterstützung der klügsten Vertreter der imperialistischen Bourgeoisie. Wo die revisionistischen Führer die Partei in die Hand bekamen, wandelten sie diese um in Parteien, für die Kurt Tucholsky das treffende Bild vom Radieschen fand: außen rot und innen weiß. Im ersten Weltkrieg erwies sich, dass diese Parteien bereits zu Stützen der imperialistischen Ordnung, zu Agenturen des Imperialismus in der Arbeiterklasse, geworden waren.

Anders entstand der moderne Revisionismus. Ich rechne die linken und rechten Strömungen, die es in der Geschichte der kommunistischen Bewegung und vor allem in der KPdSU in den Jahren vor dem zweiten Weltkrieg gab, nicht dem modernen Revisionismus zu, sondern zu seinen Vorläufern. Dies deshalb, weil sie nie zur Formulierung eines solch umfassenden Gegenprogramms gelangten, wie es das in ersten Grundzügen von Browder verfasste, dann aber von den jugoslawischen Revisionisten unter Führung Titos weiterentwickelte Programm des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens war, dessen Kerngehalt in der Erklärung der internationalen Moskauer Beratung vom November 1957 beschrieben, und das - systematisiert und kodifiziert -1958 auf dem Ljubljanaer Parteitag der Tito-Partei als Gegenprogramm gegen das noch auf dem Marxismus-Leninismus beruhenden Programm der KPdSU angenommen wurde.

Die Besonderheit der Entstehung des modernen Revisionismus besteht nun darin, dass bereits seine ersten Schritte sich des erwartungsfrohen Segens des USA-Imperialismus erfreuten: Wir erinnern an die Begründung des Weißen Hauses, mit der Browder aus dem Gefängnis entlassen wurde – die Entlassung liege „im Interesse der Einheit der nationalen Front" - und daran, dass es der Vertrauensmann von Allan Dulles, Noel Field war, der für die Verbreitung der Browder-Thesen unter den Mitgliedern der europäischen kommunistischen Parteien, insbesondere unter den deutschen, tschechischen, polnischen und ungarischen kommunistischen Emigranten, sorgte.

Bei der Geburt der Urform des modernen Revisionismus, der „Browderismus", waren also US-Staatsorgane wenn nichtGeburtshelfer, so doch Pate und Entwicklungshelfer. Und dabei blieb es nicht nur, sondern diese Sorge der imperialistischen Geheimdienste um das Wohl und Wehe und Gedeihen des modernen Revisionismus wurde vor allem nach der Bildung antifaschistisch-demokratischer und sozialistischer Staaten im Osten Europas immer intensiver.

Browders „nationale Einheitsfront"-Thesen waren zum einen das Produkt des enormen Drucks des amerikanischen Kapitalismus und seines Staates auf die kommunistische Bewegung (Verbotsdrohung!) und auf ihn selbst, (Verurteilung zu vier Jahren Gefängnis), zum anderen des ganz ungewöhnlichen und vorher für unmöglich gehaltenen Bündnisses der imperialistischen Führungsmacht USA mit der so lange verfemten und zum Reich des Bösen erklärten sozialistischen Sowjetunion in der Anti-Hitler-Koalition, und schließlich der Bemühungen des US-Geheimdienstes, die Bindung der Kommunistischen Partei der USA an die Sowjetunion und die Komintern zu lösen und sie zu einer das System mittragenden reformistischen Organisation umzuwandeln..

Browders Wirken als Generalsekretär der KP USA nach seiner Haft-Entlassung lag ganz auf der Linie der Erfüllung der Wünsche der Herrschenden: Auflösung der KP und ihre Verwandlung in einen Verein, Loslösung nicht nur organisatorisch, sondern auch politisch-ideologisch von der Komintern und der KPdSU, Verkündung der Zurückstellung der sozialistischen Zielsetzung zugunsten der Bildung einer dauerhaften klassenübergreifenden nationalen Einheitsfront, dies mit der Begründung, das sei der Beitrag der Kommunisten der USA zur Fortführung der Zusammenarbeit USA – UdSSR auch nach dem Kriege und damit zur Sicherung des Friedens.

Als es Browder zunächst gelang, die Mehrheit der Parteimitglieder für seinen „nationalen Weg" und für die Umwandlung der Partei in einen „politischen Verein" zu gewinnen, erkannten die us-amerikanischen Spezialisten für die Bekämpfung des Kommunismus sehr schnell, dass der „Browderismus", wenn es gelang, ihn zu internationalisieren und in alle kommunistischen Parteien zu implantieren, insbesondere in jene, die im Osten Europas voraussichtlich bald Regierungsparteien sein würden, geeignet war, neben dem Trotzkismus eine neue wirkungsvolle Waffe zur Schwächung und Zersetzung der kommunistischen Bewegung von innen zu werden.

Welche praktischen Schlussfolgerungen daraus gezogen wurden, haben wir am Beispiel des Wirkens von Noel und Hermann Field gesehen. Mit den Ergebnissen der Bemühungen von nur zwei Jahren, also bis zum Jahr 1946, um das Einpflanzen von Keimen des modernen Revisionismus in weitere kommunistische Parteien konnten Field und Dulles hochzufrieden sein:

Die inzwischen zur regierenden Partei gewordene Kommunistische Partei Jugoslawiens wurde ausschließlich von Verfechtern des modernen Revisionismus beherrscht.24 Jugoslawien wurde von den Führern der KPJ mit dem Spitzentrio Tito, Kardelj und Rankovic in Koordinierung mit dem britischen und us-amerikanischen Geheimdienst zu einem Gegenzentrum gegen die Sowjetunion ausgebaut, während die KPJ selbst die Rolle eines Trojanischen Pferdes des Imperialismus in der Festung der Kommunistischen Parteien und zugleich die Rolle eines Leitzentrums des modernen Revisionismus für die Stützpunkte in anderen kommunistischen Parteien übernahm.

Noch während die kommunistischen Parteien im Osten Europas im Kampfe gegen die faschistischen Okkupanten standen, war es in einigen von ihnen Funktionären, die auf nationalistischen, antisowjetischen, prowestlichen, also auf Browder- und Tito-Positionen standen, gelungen, Schlüsselpositionen zu besetzen:

In der Polnischen Arbeiter-Partei war seit 1943 Erster Sekretär Wladylaw Gomulka, auf den Tito große Hoffnungen setzte, dass es ihm gelingen werde, die PAP zu einer Partei nach dem Vorbild der KPJ umzugestalten.25

In der Kommunistischen Partei Ungarns war es Laszlo Rajk26, - Mitglied der Kommunistischen Partei seit Anfang der 30er Jahre, 1931 Verhaftung durch die Horthy-Polizei, freigekommen, nachdem er eine Bereitschaftserklärung zur Zusammenarbeit mit der Polizei unterzeichnet hatte, 1937 mit Auftrag der Polizeibehörde nach Spanien zum Rákosi-Bataillon, dort im Juni 1938 aus der Partei ausgeschlossen, 1939 in Frankreich im Lager Vernet interniert, dort Anschluß an eine Gruppe jugoslawischer Trotzkisten und Besuch auch von Noel Field, 1941 zur Arbeit nach Deutschland verbracht, von dort im August 1941 nach Budapest zurückgekehrt, - dem es gelang, - da den Genossen nichts von allem ihn Belastenden bekannt war -, zunächst Sekretär der Budapester Parteiorganisation zu werden, und nach dem Sturz des faschistischen Szalasi-Regimes und der Bildung der ersten kommunistisch geführten Regierung der Ungarischen Republik im Februar 1946 sogar zum Innenminister in der Regierung aufzusteigen, die von Imre Nagy als Ministerpräsident geleitet wurde -, auch dieser ein – wie sich zehn Jahre später zeigen sollte – Parteigänger Titos.27

In der Kommunistischen Partei Bulgariens wurde Traitscho Kostow im März 1945 1. Sekretär des ZK und damit der Stellvertreter Georgi Dimitroffs in Bulgarien bis zu dessen Rückkehr aus Moskau Ende 1945. Kostoff arbeitete mit dem englischen und dem jugoslawischen Geheimdienst zusammen.28

In der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei bekleidete den Posten des Generalsekretärs Rudolf Slansky, seit 1921 Mitglied und schon seit den späten zwanziger Jahren leitender Funktionär der Partei. Er benutzte seine Machtvollkommenheit, um Leute in Schlüsselpositionen im Staats- und Wirtschaftsapparat einzubauen, von denen ihm bekannt war, dass sie eine feindliche, antikommunistische und antisowjetische, prowestliche und pro-titoistische Einstellung hegten, und auch solche, deren Verbindung zu imperialistischen Geheimdiensten und feindlichen, darunter auch zionistischen Organisationen ihm bekannt waren. Auf diese Weise wurde er, wie es die Anklage formulierte, zum Leiter eines staatsfeindlichen Verschwörerzentrums.29

An dieser Stelle sei an den Bericht Leo Bauers über sein Begegnung mit Slansky, Clementis und André Simone im Sommer 1948 erinnert, in dem er deren große Unzufriedenheit über „den Druck aus Moskau" zur Zurückziehung der Zustimmung zum Marshall-Plan und über „den Bruch des Kominform mit Tito" beschrieb.

In der Deutschen Demokratischen Republik hatten viele von Fields Freunden und der von ihm in der Emigration Betreuten wichtige Funktionen in der Partei, im Staatsapparat, in den Massenorganisationen und im Kultur- und Medien-Bereich inne. Der, mit dem Field die engsten Beziehungen unterhalten hatte, Paul Merker, war erwartungsgemäß Mitglied im Politbüro der SED geworden, ebenfalls Franz Dahlem, den Field auch aus dessen Internierung in Frankreich kannte. Field selbst kehrte nach dem Ende des Krieges nur für kurze Zeit in die Staaten zurück, suchte jedoch, wie wir schon gesehen haben, in der DDR oder in der Tschechoslowakei eine Anstellung zu finden. Wie schon aus dem Matern-Bericht zitiert, wurde Field, „um ihn in die Deutsche Demokratische Republik einzubauen,...wegen Unterstützung der Kommunisten von seiner amerikanischen Dienststelle entlassen. Um ihm eine Grundlage in der CSR zu schaffen, wird er vom unamerikanischen Komitee öffentlich als kommunistischer Agent angeklagt."

Der wirkliche Grund für sein Bleiben in Europa war, dass die eigentliche Arbeit für ihn ja jetzt erst begann: nun, da seine „Schützlinge" hohe und höchste Funktionen in den kommunistisch regierten Ländern innehatten, wurde die Verbindung zu ihnen erst richtig wertvoll und von größter Wichtigkeit. Das Netz in der Emigration zu knüpfen – das war nur Vorbereitungsarbeit gewesen. Jetzt stand der wichtigere Teil bevor: dieses Netz zum Einsatz zu bringen, mit ihm zu arbeiten und es nach Möglichkeit durch Gewinnung neuer Adressen noch dichter zu machen! Diese Arbeit konnte keinem anderen übertragen werden – ihr Erfolg beruhte ganz auf dem Vertrauensverhältnis, das Field zu seinen „Schützlingen" aufgebaut hatte.

Von Fields Bemühungen, neue zusätzliche Adressen zu gewinnen, hatten wir schon im Matern-Bericht Kenntnis erlangt. Diese Bemühungen hat auch Kießling erwähnt. Field hatte durch Vermittlung von Walter Bartel Franz Dahlem in Bartels Wohnung getroffen. „Ein Ergebnis der Begegnung Dahlems mit Field war zweifellos, dass zwischen Field und der VVN, (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, K.G.) vertreten durch Helmut Bock, Spenden des USC vereinbart wurden." (Kießling, S.132).

Kießling ist zu dieser Auffassung offenbar durch die Darstellung im Beschluss des ZK der SED vom 20.Dezember 1952 gekommen, in dem ausgeführt wurde: „Er (Field) versuchte mehrmals Listen von Opfern des Faschismus zu erhalten und wandte sich deshalb an das Zentralsekretariat der SED. Da er hier jedoch abgewiesen wurde, knüpfte er durch fingierte Telefonanrufe eine Verbindung zum Berliner Hauptausschuss der Opfer des Faschismus an, wo es ihm tatsächlich gelang, nach mehreren Besprechungen eine Liste mit 25 Namen zu erhalten."

Beide Darstellungen stimmen so nicht.

Als mir Helmut Bock, mit dem ich befreundet war, einmal von dieser Begegnung mit Field erzählte, bat ich ihn, das doch aufzuschreiben. Das tat er. Hier sein Bericht vom 17.7.1992:

„Nach meiner nicht mehr genauen Erinnerung, es kann in der wärmeren Jahreszeit im Jahr 1948 gewesen sein, auf jeden Fall war es noch vor der Spaltung, da erhielt ich in meiner Dienststelle (ich war damals Leiter des Hauptamtes Opfer des Faschismus im Berliner Magistrat) einen Anruf von der Amerikanischen Militärregierung. Der Mann am Apparat stellte sich als Noel Field vor, und er bestellte mich zu einer Unterredung in die Wohnung von Walter Bartel, der damals in Schöneberg wohnte, Straße weiß ich nicht mehr. Als ich zum verabredeten Zeitpunkt im Treppenhaus emporstieg, kam mir von oben ein großer, sehr schlanker Mann entgegen, der zu mir sagte, er wäre Field, bei Bartels wäre niemand zu Hause, er bat mich, in seinem Straßenkreuzer Platz zu nehmen, und auf der Fahrt fand dann ein Gespräch statt: Er sei Mitarbeiter einer Hilfsorganisation der amerikanischen Militärregierung, und sie wollen Opfer des Faschismus materiell unterstützen. Es wurde ein Termin vereinbart, an dem ich mich, wenn ich wollte, mit einem meiner Mitarbeiter, in einem Büro der amerikanischen Besatzungsmacht einfinden sollte. Das geschah dann auch, mit meiner Kameradin Ilse Haak (lebt nicht mehr) ging ich dorthin ( an den Ort des Büros kann ich mich nicht mehr erinnern). Field empfing uns und verwies uns an eine Frau in mittleren Jahren, und kümmerte sich dann nicht mehr um uns, saß irgendwo hinten im Raum an einem Schreibtisch. Die Frau sagte uns, dass sie die Opfer des Faschismus mit wertvollen Lebensmitteln unterstützen möchten (Carepakete), nicht nur die Berliner, sondern auch die OdF im Bereich der sowjetischen Besatzungszone. Wenn es uns möglich wäre, sollten wir ihr doch eine entsprechende Adressenliste zur Verfügung stellen. Zunächst waren wir angenehm berührt von dieser, wie wir meinten humanen Geste. Im Gespräch mit Genossen des ZK wurden wir aber gewarnt, die Amerikaner könnten hinterhältige Zwecke damit verbinden, und der Bitte der amerikanischen Frau wurde nicht stattgegeben. Adressenlisten sind nicht übergeben worden."

Jedenfalls nicht von Helmut Bock. Field hat offenbar nach dem Fehlschlag bei Helmut Bock mit Hilfe seiner einflußreichen Freunde andere Wege gefunden, an neue Adressen heranzukommen.

Es verdient übrigens Beachtung, dass der angeblich in den USA als Kommunistenfreund angeklagte Field in Berlin als Angehöriger der US-Militärregierung mit der Sammlung von Adressen von Opfern des Faschismus, die ja größtenteils Kommunisten waren, beauftragt war!

c)Der Imperialismus geschwächt, aber mit neuen Waffen ausgerüstet

Die Niederlage des faschistischen deutschen Imperialismus war zugleich auch eine Niederlage des Weltimperialismus, war ihm doch damit eine Waffe zerschlagen worden, die von ihm in langen Jahren aufgezogen und aufgerüstet worden war als Stoßkeil, der die Sowjetunion ins Herz treffen sollte.

Der Sieg der Sowjetarmee über den Faschismus war zugleich ein Sieg der um ihre Befreiung von nationaler und kolonialer Unterdrückung und Ausplünderung durch den Imperialismus kämpfenden Völker.

In kurzer Zeit machte der weltrevolutionäre Prozess solche Fortschritte, dass die Grenze zwischen Imperialismus und Sozialismus in Europa bis zur Elbe nach Westen verlegt wurde und in Asien bis ans Chinesische Meer. Die strangulierende kapitalistische Umkreisung der Sowjetunion war gesprengt, die Periode des „Sozialismus in einem Lande" war zu Ende, begonnen hatte die Periode des sozialistischen Lagers, das bereits ein Drittel des Erdballs umfasste , darunter auch hochentwickelte Industrieländer wie die DDR und die Tschechoslowakei.

Damit war die Perspektive einer für den Imperialismus im höchsten Maße alarmierenden Entwicklung eröffnet: Wenn dieses sozialistische Lager zu einer Wirtschaftsgemeinschaft zusammenwachsen und nach einem einheitliche Plan von einem gemeinsamen Leitungszentrum geleitet würde, zu dem offenbar der 1949 gegründete Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe entwickelt werden sollte, dann bestand für den Imperialismus die reale Gefahr, für die Menschheit aber die reale Chance, dass dieses sozialistische Lager im gleichen Sturmschritt, wie die Sowjetunion in den Jahren von 1917 bis 1941, seinen Rückstand gegenüber der kapitalistischen Welt verringern würde und am Ende des Jahrhunderts die Welt sich so verändert haben könnte, dass man nun das Wort von der kapitalistischen Umkreisung des einzigen sozialistischen Landes umkehren und von der sozialistischen Umkreisung des Restkapitalismus sprechen müsste.

Eine solche Perspektive war keineswegs irreal, waren doch die Völker Asiens – Koreas, Vietnams, Laos’, Indiens, Indonesiens, der Philippinen -, Mittel- und Südamerikas und Afrikas , angespornt vom Sieg der Sowjetunion über den deutschen und japanischen Aggressor, und vom begeisternden Sieg der chinesischen Volksrevolution, in Bewegung geraten und hatten begonnen, um ihre Befreiung vom kolonialen und halbkolonialen Joch zu kämpfen.

Soviel war jedenfalls klar: So, wie der Hauptinhalt der Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Kampf der alten kapitalistische Gesellschaftsordnung gegen die neue, aufkommende und um ihre Behauptung kämpfende sozialistische Gesellschaftsordnung war, so würde der Hauptinhalt auch der zweiten Hälfte und damit des ganzen Zwanzigsten Jahrhundert die Systemauseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus sein.

In diesem Kampfe hatte bisher die alte kapitalistische Gesellschaftsordnung der neuen, sozialistischen eine gewaltige Überlegenheit der Produktivkraftentwicklung in allen Bereichen entgegenzusetzen. Sie war damit auf allen Gebieten - wirtschaftlich, politisch, militärisch – um ein Vielfaches stärker als die in einem ruinierten Land mit einer schwach entwickelten, durch den Krieg weitgehend zerstörten Industrie an die Macht gekommenen Sowjetordnung.

Und sie hatte dennoch den Aufstieg der sozialistischen Macht zur Weltmacht Nummer Zwei nicht verhindern können! Ihre Chancen, die nächste Runde der Auseinandersetzung in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts besser zu bestehen, wären sehr gering gewesen, hätte sie dem Sozialismus wie bisher nur ihre ökonomische Überlegenheit entgegenzusetzen gehabt.

Aber im Kriege hatte der Imperialismus für seinen Kampf gegen den Sozialismus zwei neue Waffen entwickelt, von denen er sich erhoffte, sie würden ihm einen raschen und endgültigen Erfolg sichern. Das war erstens die Atombombe, und das war zweitens das Trojanische Pferd des Browderismus, des neuen Revisionismus.

Die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945, mit denen die USA-Piloten das Leben hunderttausender Japaner auslöschten, waren, wie jedermann weiß oder wenigstens wissen sollte, für den Kriegsausgang ohne Bedeutung. Japans Niederlage und baldige Kapitulation war schon gewiss. Am gleichen Tage, an dem der US-Pilot seine Bombe auf Nagasaki abwarf, am 9. August, trat die Sowjetunion in den Krieg gegen Japan ein. Was das für die Kriegsentscheidung bedeutete, darüber heißt es in einer fünfbändigen „Geschichte des Krieges im Stillen Ozean", verfasst von japanischen Autoren, dass „diese Nachricht ein betäubender Schlag für die Führer der japanischen Regierung war... Nicht einmal der Einsatz der Atombombe führte zu Veränderungen in der Staatspolitik, die der Höchste Rat für Kriegführung festlegte... Der Eintritt der Sowjetunion in den Krieg aber zerstörte alle Hoffnungen, ihn fortsetzen zu können."30

Die Sowjetarmee zerschlug in nur zehn Tagen die größte japanische Armee, die Kwantung-Armee auf dem chinesischen Festland. Am 2. September 1945 erfolgte die bedingungslose Kapitulation Japans.

Natürlich wusste Präsident Truman, dass Japans Kapitulation auch ohne den Atombombenabwurf kurz bevorstand. Aber diese Demonstration des Alleinbesitzes einer Waffe von unvergleichlicher Zerstörungskraft zielte ja in Wahrheit auch auf einen ganz anderen Adressaten – auf die Sowjetunion. Ihren Führern sollte klar gemacht werden, dass ihrem Land die atomare Vernichtung drohe, wenn sie noch länger der Neuordnung der Welt nach den Wünschen und Forderungen der USA im Wege stehen und Widerstand leisten sollten.

War der Monopolbesitz der Atomwaffen die Wunderwaffe der USA für den äußeren Angriff auf die Sowjetunion, so sollte es der zum modernen Revisionismus entwickelte Browderismus für die Eroberung der sozialistischen Festung von innen werden.

Sehr rasch brachten aber die sowjetischen Führer mit Unterstützung der Führer der kommunistischen und Arbeiterparteien die imperialistischen Hoffnungen auf die Wirkung dieser Wunderwaffen zum Platzen. Präsident Truman hatte schon auf der Potsdamer Konferenz (17. 7. - 2. 8. 1945 ) versucht, Stalin mit der Ankündigung, die USA hätten eine neue Waffe von noch nie dagewesener Zerstörungskraft entwickelt, zum Nachgeben zu bewegen. Zur großen Enttäuschung aber war Stalin davon in keiner Weise beeindruckt. Truman schrieb später verwundert, „der russische Premier" habe „kein sonderliches Interesse" gezeigt.31 Noch viel schlimmer: Am 25.September 1949 wird das Atomwaffenmonopol der USA durch die erfolgreiche Erprobung einer sowjetischen Atombombe gebrochen!

Die sowjetische Führung hat unter Führung Stalins dafür gesorgt, dass der Traum des amerikanischen Imperialismus von der Verwirklichung der Weltbeherrschung durch das Atomwaffenmonopol ausgeträumt war. Nicht besser erging es der Spekulation auf die zweite Wunderwaffe des Imperialismus, auf sein Trojanisches Pferd, den Staat gewordenen modernen Revisionismus, den Tito-Revisionismus. Die Tito-Führung der KPJ verfolgte zielstrebig das Ziel, eine Vereinigung Bulgariens und Albaniens mit Jugoslawien zu erreichen, unter dem verlogenen Vorwand, damit das schon seit den zwanziger Jahren von der Kommunistischen Internrationale propagierte Ziel einer Balkanföderation unter sozialistischem Vorzeichen zu verwirklichen, in Wahrheit jedoch mit dem Ziel, auf dem Balkan einen Block zu schaffen, der dem Einfluss der Sowjetunion entzogen war und ihm in den anderen sozialistischen Staaten entgegenwirken sollte.

Diese Zielsetzung war aber nur dem engsten Kreise der Führung der KPJ bekannt. Nach außen hin führte sie eine Politik durch, die den Außenstehenden den Eindruck vermittelte, als sei Jugoslawien das sozialistische Land, das am meisten dem Vorbild der Sowjetunion nacheiferte und von allen am meisten „sowjetisiert" sei. Das schien auch uns Genossen in der DDR so. Ich werde nie folgende Episode vergessen: In der Berliner Landesparteischule der SED stand eines Tages – es muss im Mai oder Juni 1948 gewesen sein -, die Entwicklung der Länder der Volksdemokratie auf dem Lehrplan. Als Referent kam zu uns der Genosse Kurt Schneidewind vom ZK der SED. Von allen volksdemokratischen Staaten erhielt von ihm Jugoslawien die höchsten Noten, weil, wie er sagte, Jugoslawiens Entwicklungsstand als sozialistischer Staat sich von allen am meisten dem der Sowjetunion angenähert hätte. Das hat bei uns überhaupt keine Überraschung ausgelöst, weil wir alle das auch so sahen, denn gerade ein solches Bild hatte unsere Berichterstattung bisher von Jugoslawien gegeben. Und auch in der Sowjetunion wurde das lange Zeit genau so gesehen. Das bestätigte auch der sowjetische Außenminister A.Y.Wyschinski, der im Sommer 1948 über die Beziehungen Jugoslawiens zur Sowjetunion äußerte: „Nach dem Sieg über Hitlerdeutschland wurden zwischen der Sowjetunion und Jugoslawien die brüderlichsten Beziehungen hergestellt, es wurden wichtige Beschlüsse gefasst, Jugoslawien wirtschaftlich, militärisch und politisch in der internationalen Arena zu helfen, das wir als einen unserer treuesten und ideologischen Verbündeten betrachteten."32

Das erklärt, weshalb bei der Gründung des „Informationsbüro der Kommunistischen und Arbeiterparteien" im September 1947 als dessen Sitz Belgrad festgelegt wurde.33 Das erklärt auch, weshalb Anfang 1948 der Herstellung der Balkanföderation nichts mehr im Wege zu stehen schien, da ihr auch Georgi Dimitroff als Ministerpräsident Bulgariens zugestimmt hatte. Aber im Frühjahr 1948 hatte die jugoslawische Führung damit begonnen, der Sowjetunion gegenüber eine immer feindseligere Haltung zum Ausdruck zu bringen, was schließlich dazu führte, dass die Sowjetführung, nachdem ihre Briefe und Proteste wirkungslos geblieben waren, im April 1948 ihre Berater und Militärspezialisten aus Jugoslawien abzog. Genau das hatte aber die jugoslawische Führung beabsichtigt. Sie begann damit das zu realisieren, was als Absicht der Tito-Führung schon im November 1944 der engste Tito-Mitarbeiter Kardelj bei seinem Aufenthalt in Sofia Traitscho Kostoff gegenüber eröffnet hatte:

„Die Amerikaner und Engländer seien, so sagte Kardelj, fest entschlossen, auf keinen Fall zuzulassen, dass sich Länder, die von der Sowjetarmee befreit werden mochten, vom Block der westlichen Kräfte losrissen. Auf dieser Grundlage sei zwischen Tito einerseits und den Amerikanern und Engländern andererseits schon während des Krieges eine bestimmte Vereinbarung erzielt worden. ... Kardelj erklärte, die jugoslawische Regierung beabsichtige, die UdSSR zu bitten, dass die Sowjettruppen Jugoslawien verlassen sollten, sobald die Kampfhandlungen auf seinem Gebiet abgeschlossen sein würden. ’Dies aber ist nicht ausreichend’, so sagte mir Kardelj, ‚die Sowjettruppen müssen auch Bulgarien verlassen, denn die Amerikaner und die Engländer sind außerordentlich daran interessiert,, dass sich der sowjetische Einfluss südlich der Donau nicht durchsetzt.’. Kardelj bemerkte, dass Tito und überhaupt die ganze jugoslawische Leitung einen sofortigen Anschluss Bulgariens an Jugoslawien als bestes Mittel zur Erreichung dieses Ziels ansähen, wobei die unter den Völkern Jugoslawiens und Bulgariens äußerst populäre Idee der Föderation der Südslawen im Interesse der jugoslawischen Leitung ausgenützt werden könnte. ‚Dann’, so erläuterte mir Kardelj, ‚ wird Bulgarien nicht länger als feindlicher Staat angesehen werden, es wird zum Bestandteil einer alliierten Macht werden, und die Anwesenheit sowjetischer Truppen auf seinem Territorium wird sich als überflüssig, als durch nichts gerechtfertigt, erweisen.’

Aus dem „sofortigen Anschluss" wurde damals nichts, weil, wie Kostoff aussagte, von Georgi Dimitroff aus Moskau eine kategorische Warnung einging, „man solle sich mit einem Anschluss Bulgariens an Jugoslawien nicht beeilen." Die Föderierung könne „ohne vorherige außenpolitische Vorbereitung unerwünschte Folgen haben." Im März 1945 erhielt Kostoff den Besuch eines anderen Mitglieds der jugoslawischen Führung, Milovan Djilas. Der war unzufrieden damit, dass es Kostoff nicht gelungen war, den sofortigen Anschluss durchzusetzen, und erklärte, "trotz des Misserfolges werde unser gemeinsames Ziel nicht von der Tagesordnung abgesetzt."34

Über die Frage, wie man den Anschluss Bulgariens an Jugoslawien endlich verwirklichen könne, hatte Kostoff noch verschiedene Gespräche, darunter auch mit Tito selbst, das letzte mit diesem im November 1947, danach mehrere Unterredungen mit dem jugoslawischen Vertreter in Bulgarien, Cicmil. Bei seinem letzten Gespräch mit Cicmil, im April 1948, informierte der ihn darüber, dass Tito ihn beauftragt hatte, Kostoff „den bevorstehenden endgültigen Abbruch der Beziehungen zwischen Jugoslawien einerseits sowie der UdSSR und den Ländern der Volksdemokratie andererseits anzukündigen."35

Der angekündigte Bruch wurde von Tito dann dadurch durchgeführt, dass der Vorschlag der Sowjetunion und der anderen Parteien des Informationsbüros, „die Lage in der jugoslawischen kommunistischen Partei auf der Sitzung des Informbüros auf den gleichen, normalen parteigenössischen Grundlagen zu prüfen, auf denen bei der ersten Beratung des Informbüros die Tätigkeit anderer kommunistischer Parteien erörtert wurden,"36 , mit der Begründung abgelehnt wurde, die KP Jugoslawiens wäre bei einer solchen Beratung in eine „nicht gleichberechtigte Lage" versetzt. In der Resolution der daraufhin ohne Teilnahme der Vertreter der KP Jugoslawiens in der zweiten Junihälfte 1948 in Rumänien durchgeführten Beratung der übrigen Parteien des Informationsbüros – also der Bulgarischen Arbeiterpartei, der Rumänischen Arbeiterpartei, der Ungarischen Partei der Werktätigen, der polnischen Arbeiterpartei, der KP der Sowjetunion (Bolschewiki), der KP Frankreichs, der KP der Tschechoslowakei und der KP Italiens, – wurde dazu gesagt:

„In dem Bestreben, der gerechten Kritik der brüderlichen Parteien im Informbüro auszuweichen, erfanden die jugoslawischen Führer die Version von ihrer angeblich ‚nicht gleichberechtigten Lage’. Man muss sagen, dass in dieser Version kein einziges Wort wahr ist. Es ist allgemein bekannt, dass die kommunistischen Parteien bei der Gründung des Informbüros von der unbestreitbaren Tatsache ausgingen, dass jede Partei vor dem Informbüro rechenschaftspflichtig ist, genau so wie jede Partei das Recht der Kritik an den anderen Parteien besitzt. Bei der ersten Beratung der neun kommunistischen Parteien nahm die jugoslawische Kommunistische Partei dieses Recht weitgehend in Anspruch. Die Weigerung der Jugoslawen, über ihre Handlungen vor dem Informbüro Rechenschaft abzulegen und die kritischen Bemerkungen anderer kommunistischer Parteien anzuhören, bedeutet eine tatsächliche Verletzung der Gleichberechtigung kommunistischer Parteien und ist gleichbedeutend mit der Forderung, für die KPJ eine privilegierte Stellung im Informbüro zu schaffen."

Die Parteien des Informbüros kommen in ihrer Resolution zu dem unausweichlichen Schluss, „dass das ZK der KPJ sich und die jugoslawische Kommunistische Partei dadurch außerhalb der Familie der brüderlichen kommunistischen Parteien, außerhalb der kommunistischen Einheitsfront und folglich auch außerhalb der Reihen des Informbüros stellt."37

So endete der erste Versuch des Imperialismus, seine zweite Wunderwaffe, die staatliche Inkarnation des modernen Revisionismus, Tito-Jugoslawien, ins Spiel zu bringen, um mit ihr die kommunistische Einheitsfront zu sprengen, mit einem völligen Fiasko und mit der Schutzimpfung der kommunistischen Weltbewegung gegen die Krankheits- und Zersetzungskeime, die diese Waffe in alle kommunistischen Parteien pflanzen sollte. Die KPdSU und die kommunistische Weltbewegung blieben auf Leninschem Kurs und damit weiterhin auf dem Weg künftiger Siege.

(Fortsetzung folgt! Kurt Gossweiler, Berlin


Dr. Gerhard Niebling: Vergebliche Bemühungen

Was ich hier darstellen möchte, sind persönliche Erlebnisse, sogar sehr bittere im Zusammenhang mit der Niederlage der DDR, die sich 1989 – 1990 zugetragen haben.

Von 1952 bis 1990 war ich Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Die längste Zeit arbeitete ich in der Hauptabteilung IX, dem offiziellen staatlichen Untersuchungsorgan gemäss § 81 der stopp. 1985 wurde ich Leiter einer zentralen Diensteinheit im MfS, die zuständig war für die Bekämpfung des staatsfeindlichern Menschenhandels und der Zurückdrängung der Erscheinungen des Verlassens der DDR durch ihre Bürger.

Nach dem Rücktritt unseres langjährigen Ministers Genossen Erich Mielke im November 1989 wurde bekanntlich Genosse Wolfgang Schwanitz Minister und Leiter des aus dem MfS hervorgegangenen Amtes für Narionale Sicherheit (AfNS). Ich wurde einer seiner Stellvertreter, zuständig für Koordinierung.

Die in schneller Folge von der Regierung Hans Modrow getroffenen Entscheidungen zur Auflösung des MfS, des AfNS und zur Bildung eines Verfassungsschutzes (und eines Nachrichtendienstes als Auslandsaufklärung), die Stornierung dieser Beschlüsse und schliesslich die Auflösung aller Sicherheitsorgane und ihrer Strukturen durch Regierungsentscheidung, stellten entscheidende Zäsuren dar, die darauf gerichtet waren, den sozialistischen Staat zu beseitigen.

Im Prozess der Auflösung wurde ich, wiederum gemeinsam mit anderen Generälen vom Staatlichen Komitee zur Auflösung des MfS/AfNS dessen Vorsitzender, ein Generaloberst der NVA war in eine Beratergruppe berufen und erhielt entsprechende Vollmachten. Niemand hat mich oder die anderen Genossen gezwungen, eine solche Berateraufgabe zu übernehmen. Wir taten das, weil wir alle wollten, dass das Unvermeidliche mit Anstand und Würde erfolgt und hatten die Illusion, noch mehr Unheil, das dann seinen Lauf nahm, zu verhindern.

Es war und ist wohl nur sehr schwer nachvollziehbar, dass wir uns zu einer solchen Tätigkeit bereiterklärten, die „den Ast absägen" sollte, auf dem wir selbst sassen. Deshalb gab es auch in Kreisen der Mitarbeiter damals schlimme Beschimpfungen gegen uns. Verräter war eines der schlimmsten und am häufigsten gebrauchte Wort. Es kam sehr oft vor, dass wir zu morgendlichen Besprechungen im Kreise der Beratergruppe unter Leitung von General Heinz Engelhardt allergrösste Mühe hatten, uns für die deprimierenden Aufgaben zu motivieren. Beinahe regelmässig äusserte einer der Generäle, dass er nicht mehr weiterarbeiten wolle.

In solchen Situationen haben wir dann immer – so sehe ich das mit dem heutigen Abstand – das Wort der Musketiere auf uns angewandt: Einer für Alle, Alle für Einen ! Und wir blieben, bis uns die Regierung auf Drängen einer Bürgerrechtsgruppe davonjagte.

Wir wollen auch heute nicht hochstapeln. Aber vielleicht haben wir auch dazu beigetragen, manche hektische und emotional getroffene Entscheidung in ruhige Bahnen zu lenken, und einiges für die Mitarbeiter,und mit uns verbundene Menschen Negative abzuwenden. Immerhin geisterten schon damals die euphorischen Vorstellungen herum, das MfS zur Verbrecherorganisation zu erklären, den MfS-Dienst nicht als Wehrdienst zu akzeptieren, MfS-Mitarbeiter vom Fahneneid zu entbinden, die Renten gänzlich zu streichen oder noch rigoroser zu kürzen als es dann geschah. Serienweise wurden Strafverfahren gegen Mitarbeiter, besonders gegen Leiter verschiedener Ebenen eröffnet und bei jeder Gelegenheit den Diensteinheiten und einzelnen Mitarbeiter-Gruppen schlimmste Verbrechen unterstellt. Vielleicht haben auch wir einen bescheidenen Beitrag dazu geleistet, „ungarische Verhältnisse von 1956" nicht zuzulassen um die Laternenpfähle für ihren ursprünglichen Zweck zu erhalten.

Wir waren und sind also keine Verräter und unser Engagement für Mitarbeiter wurde zum Anlass genommen, uns endgültig auf die Strasse zu setzen. Auch dazu wurde der Generaloberst und die Regierung der DDR von „Bürgerrechtlern" gezwungen. Damals plagte uns ständig die Sorge um das grosse Archiv des MfS, in dem Dokumente aus 40jähriger Geschichte der DDR und der Tätigkeit ihres Sicherheitsorgans verwahrt waren. Das war natürlich nicht die Furcht, dass irgendwelche „Verbrechen" des MfS entdeckt und enthüllt werden könnten, sondern, dass die Personen, die das MfS als IM oder als Kontaktpartner geholfen hatten zu Schaden kommen könnten, wenn die bis dahin währende Geheimhaltung gebrochen würde. Leider konnten wir diese Geheimnisse nicht bewahren und es ist in der über zehnjährigen Verfolgungspraxis durch die Behörden der BRD ja bittere Wahrheit geworden, dass gerade die IM und jene Menschen, die das MfS unterstützten, schweren Repressalien ausgesetzt waren und noch immer sind.

Wenn wir uns für etwas zu entschuldigen haben – so meine ich und meine Freunde – ist es die Entschuldigung der Mitarbeiter des MfS bei diesen ehemaligen Mitarbeitern, die nicht „gespitzelt" haben, die als Bürger der DDR gewissenhaft Verfassungspflichten erfüllt haben. Es sind angesehene, ehrenhafte Bürger, die hohe Anerkennung, auch nach mehr als 10 Jahren verdient haben. Das ist ein positives Erbe der DDR, nicht jener Sumpf, den die Sieger heute daraus machen Die Hauptursache dafür ist, dass wir als Sicherheitsorgan keine Rückzugskonzeption hatten, und die Masse der Materialien in der uns im Rahmen der Auflösung verbliebenen Zeit nicht beseitigt werden konnte. Letzteres vor allem auch deshalb, weil sowohl regierungsseitig als auch durch die Staatsanwaltschaft und die Bürgerrechtsgruppen ein solches Regime entwickelt worden war, das eine Vernichtung der Materialien unmöglich wurde.

Dennoch möchte ich den Versuch machen zu erklären, welche Anstrengungen die Beratergruppe unternahm, doch noch entsprechend wirksam zu werden.

Von Anbeginn gab es eine strenge Abschirmung und Absicherung des gesamten Archivs, auch noch nach der Besetzung des MfS nach dem 15. Januar 1990. Diese Sicherung war schon mit Beginn der Ereignisse 1989 noch verstärkt worden. Besondere Sicherheitskontrollen, Betretungsverbote, strengste Ordnung bei der Behandlung von Archivmaterialien, Absperrungen usw. wurden durchgeführt. Einer besonderen Geheimhaltung unterlag das ausgeklügelte Such- und Findesystem nach Personen und Sachverhalten. Das wurde sehr lange strengstens gehütet, bis durch unverantwortlichen Leichtsinn und verräterischer Verhaltensweise einer Person, dieses Geheimnis gebrochen wurde, und Aussenstehende durch eine plumpe Überrumpelung von Menschen von der Funktionsweise des Systems Kenntnis erhielten.

Das war der Beginn eines fast ungehinderten Zugriffs auf bestimmte Daten, es wurde jedoch zum damaligen Zeitpunkt noch nicht ausgewertet, weil noch immer Sicherungsmassnahmen griffen. Individuelle Vernichtungsaktionen wurden, wenn sie entdeckt worden waren, durch Militärstaatsanwälte gestoppt und verhindert, mit der Folge der Einleitung von Strafverfahren.

Es gab, aus dem Kreis der Beratergruppe, vor allen Dingen aber bereits vorher durch AfNS-Mitarbeiter mehrere Versuche, Archivmaterial in größeren Mengen zu verbrennen. Zu diesem Zweck gab es mit einigen volkseigenen Betrieben Gespräche, bei denen geprüft wurde, ob Hochöfen dafür geeignet waren. Aus unterschiedlichen Gründen scheiterten alle diese Pläne bereits in den Gesprächen. Auch die Einlagerung in Bergwerkstollen mit anschliessender Sprengung der Zugänge wurde geprüft. – Vergeblich-.

In den letzten Jahren hielten sich Gerüchte, wonach ich persönlich das Angebot der damaligen sowjetischen Freunde – manchmal hiess es auch der Volkspolizei – mit einer grossen Anzahl von Lastkraftwagen das Archivgut zur Vernichtung abzutransportieren, abgelehnt haben soll. Selbstverständlich hätte ich oder meine Mitstreiter jedes solcher Angebote mit grosser Genugtuung angenommen, auch wenn es nur ein Lkw gewesen wäre. Die Gerüchteküche „wusste" sogar, dass sowjetische Soldaten mit Flammenwerfern bereitgestanden hätten, das Papier, die Akten zu verbrennen. Nur wir erfuhren damals davon nichts. Im Gegenteil. Gewissermassen ein beinahe letzter Strohhalm schienen unsere besten Verbündeten des KGB zu sein, die beim MfS akkredidierte Vertretung, die bekanntlich in Berlin-Karlshorst ihre Residenz hatten.

Hans Modrow hatte als Regierungschef befohlen, dass die Generäle ihre Kontaktpartner im KGB in Berlin Karlshorst aufzusuchen hätten, und Massnahmen des Schutzes und der Sicherung der Archivbestände zu beraten. Alle Angehörigen der Beratergruppe taten das fast zur gleichen Zeit. Wir nutzten eine abgestimmte einheitliche Argumentation. Sie beinhaltete im Wesentlichen, dass die sowjetischen Organe entsprechend des vierseitigen Abkommens über Berlin berechtigt seien, das Archiv des MfS zu schützen und sogar sich dessen zu bemächtigen. Das deshalb, weil das Archiv nach unserer Kenntnis auch Daten enthielt, die ausschliesslich sowjetische Interessen betrafen. Das waren Personalien und Sachverhalte auch von Personen, die mit dem KGB zusammenarbeiteten oder zusammengearbeitet hatten. Deshalb baten wir dringend um Hilfe, die zunächst als ersten Schritt einfach nur darin hätte bestehen können, das Gebäude des Archivs demonstrativ zu schützen. Später hätte über die Art des Abtransport und der Vernichtung befunden werden müssen.

Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich einem sowjetischen Gesprächspartner deutlich machte, dass im Falle der Gefahr für das in Westberlin gelegene „Doc-Center" sicher die US-Armee mit ein paar Militärpolizisten (MP) das Gebäude demonstrativ geschützt, und so jeden Zugang verhindert hätte. Mein Gesprächspartner hörte sich alles an und verkündete mir, man werde die Bitte nach Moskau melden und Genossen Gorbatschow um eine Entscheidung bitten. Das war eine Antwort, die übrigens alle meine Generalskollegen erhielten. Tage vergingen, ohne eine Reaktion. Deshalb beschlossen wir, unsere Kontaktpartner zu befragen, um ein Ergebnis, eine Antwort aus Moskau zu erhalten. Die Antwort, die ich erhielt -.ebenso wie meine Kollegen – war, „Genosse Gorbatschow hat mit Genossen Modrow darüber gesprochen".

Die Frage war also an ihren Ursprungsort zurückgekehrt, ohne dass sich irgend etwas in der von uns gewünschten Richtung bewegte. Auch das Archiv bewegte sich nicht. Erst nachdem schon – wie man sagt – alle Messen gelesen worden waren, erfuhr ich ganz beiläufig folgendes: Wochen vor unserem Ersuchen an das KGB hatten bereits Mitarbeiter des KGB – Dienststelle Karlshorst, mit Hilfe freundschaftlich verbundener – besser gesagt aus falsch verstandener Freundschaft und Leichtsinn - des Bereiches zu dem das Archiv gehörte, die Dateien gesichtet und jene Daten herausgenommen, die wir, völlig zu Recht, bei unseren Gesprächen zur Argumentation als „sowjetische Interessen" bezeichnet hatten.

Ein eventuelles sowjetisches „Argument", man habe keine Konfrontation und keine Komplikationen mit den westlichen Alliierten gewollt, wenn man das Archiv des MfS gesichert hätte, muss ganz eindeutig zurückgewiesen werden. Erstens wäre die „Operation" viel zu unauffällig gewesen, etwa so wie die Bewachung eines Gebäudes in Berlin-Karlshorst. Zweitens – so jedenfalls haben es zwischenzeitlich ehemals hohe Militärs der Bundeswehr bekundet – hätte so etwas nicht zu militärischen Spannungen geführt, weil man selbst eine militärische Intervention der Sowjets gegen die spontane Grenzöffnung am 9. November 1989 angeblich hingenommen hätte, natürlich mit Zähneknirschen und geharnischten Protesten. Auch diese Chance konnte nicht genutzt werden, mit Hilfe der Verbündeten das Nötige zu tun, was unter Waffenbrüdern üblich sein sollte.

Unter dem Druck der lauthals angekündigten Demonstration vor dem Gebäudekomplex des MfS in Berlin-Lichtenberg und vor allem in der Erkenntnis, dass die Aufforderung, Steine mitzubringen der Vorbereitung einer Erstürmung und Besetzung des Objektes diente, ersuchten wir bei der Modrow-Regierung um entsprechenden Schutz. Wissen muss man, dass wir einige wenige Tage vorher auf Beschluss der Regierung unsere Waffen an das MdI – wie vorher schon die Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen des MfS – übergeben hatten. Das geschah nach der Ankündigung der „Demonstration". Wir standen vor der Alternative, einen Teil unserer in dezentralisierten, offiziell nicht bekannten Depots aufbewahrten Waffen zu behalten und selbst den Schutz des Objektes – natürlich bewaffnet – zu übernehmen. Oder – das war die andere Alternative, die Waffen abzugeben, den Beteuerungen hoher Funktionäre der Regierung zu glauben, und den Schutz des Objektes, damit natürlich auch des Gebäudes des Archivs, in die Hände der Volkspolizei zu legen.

Wir entschlossen uns, um nicht einen bewaffneten Konflikt zu riskieren, sämtliche Waffen an das MdI zu übergeben. Gleichzeitig ersuchten wir den Regierungschef, angesichts der Bedrohungen, den Schutz des Objektes zu garantieren. Gleiche Ersuchen gingen an den zuständigen Minister für Innere Angelegenheiten der DDR.

Aus heutiger Sicht gab es eine mehr als lächerliche Reaktion, die von uns schon damals so gewertet wurde, dass man ein sozialistisches Sicherheitsorgan in der DDR nicht mehr haben wollte: Die Regierung und die bewaffneten Organe schauten zu, wie das Sicherheitsorgan geschlachtet wurde. Zwei Funkstreifenwagen wurden vor dem Haupttor plaziert, alle anderen Eingänge wurden – unbewacht – verschlossen. Es gab kein Personal für den Schutz des Sicherheitsorgans. Erst als sich die Massen bereits wieder aus dem Objekt heraus bewegten, erschien dann eine Einheit der VP-Bereitschaft Basdorf, die natürlich auf ihren Mannschaftstransportwagen sitzen blieben.

In dieser spannungsgeladenen Zeit wurde das Archiv von unseren Genossen besonders gesichert, sodass dort kein Eindringen möglich war.Es gelang dann natürlich auch, dank einiger couragierter Politiker, den öffentlichen Zugriff auf die Dokumente weitgehend zu verhindern.

Als wir dann unsere Entlassung als Beratergruppe erhielten, und später das Archiv als Bestandteil des abzuwickelnden Ministerium des Innern in die Bundesrepublik überführt wurde, war der Missbrauch nicht mehr aufzuhalten. Dennoch versuchten wir, die Mitglieder der ehemaligen Beratergruppe, weitere Schritte auszulösen, die Öffnung des Archivs und den ungehinderten Missbrauch der Datei, sowie die damit verbundene generelle Ausgrenzung der offiziellen und inoffitiellen Mitarbeiter des MfS zu verhindern.

Insgesamt ging es allen Verantwortlichen in Abwehr und Aufklärung darum, besonders die IM nicht „abschlachten"zu lassen und sie vor strafrechtlichen Konsequenzen und Repressalien zu bewahren. So entstand zunächst 1990, während der Auflösungsmassnahmen, eine Art Strategiepapier mit dem Arbeitstitel: „Zu den deutsch-deutschen Geheimdienstproblemen", das von mir verfasst worden war. Dieses Papier enthielt zu Beginn die Darstellung von rechtlichen Grundpositionen einer inoffiziellen Arbeit für das MfS. Es wurden Lösungswege aufgezeigt, für die Entkrampfung der Situation, die durch den ungeheuren Druck der BRD entstanden war, die Aktivitäten des MfS in ihrem Bereich, also auf dem Territorium der BRD zu beenden. Diese Wege beinhalteten folgende Eckpunkte: Die BRD erklärt eine Art „General-Pardon" für alle offiziellen und inoffiziellen Mitarbeiter des MfS. Sie werden aufgefordeert, sich selbst zu stellen. Mit ihnen werden Gespräche durch gemeinsame Arbeitsgruppen der Dienste der BRD und des MfS/AfNS geführt. Es werden keine Strafverfahren eingeleitet. Die Arbeit dieser Menschen für das MfS ist damit beendet. Alles sollte ruhig, ohne spektakuläre Öffentlichkeit ablaufen. Dieses, mehrere Seiten umfassende Papier fand die Billigung der damals zur Beratergruppe und zu den „Auflösern" gehörenden Verantwortlichen aus Abwehr und Aufklärung. Es gab die Absicht, bei passender Gelegenheit, darüber ein Gespräch mit Verantwortlichen der BRD zu führen.

Die Grundgedanken dieses „deutsch-deutschen" Papiers spielten in allen weiteren Schritten der ehemaligen Beratergruppe eine Rolle. So in zwei Briefen mit den Unterschriften G. Möller und G. Niebling, im Namen auch von H. Engelhardt und E. Braun, an ehemalige Leiter oder Stellvertreter der Bezirksverwaltungen des MfS.

Ausdrücklich wurde den Genossen geraten, keine Konfrontationen mit den Beauftragten des Verfassungsschutzes, die in den Städten der DDR herumreisten, zu provozieren.. Sie führten Gespräche und Befragungen mit ehemaligen Mitarbeitern. Mit dem Hinweis auf rechtliche Möglichkeiten wurde geraten, nur dann eine Offenbarung über die IM zu machen, wenn die Straffreiheit verbindlich zugesichert worden sei. Da zwischenzeitlich die Gauck-Behörde installiert worden war und die ersten „Akteneinsichten" publiziert wurden, schrieben die ehemaligen Mitarbeiter der Beratergruppe einen Brief an die Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer und dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, in dem ein unspektakulärer Umgang mit den MfS-Akten gefordert, und Gefahren ihres Missbrauchs aufgezeigt wurden.

Anfang 1991 erhielt ich, nachdem vier ehemalige Generäle auch einen Brief an Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, mit der Bitte um ein Gespräch mit Verantwortlichen seines Ressorts gesandt hatten, die Anfrage – ich glaube das lief über Günter Möller – ob ich noch zu einem Gespräch bereit sei. Dieses Gespräch fand dann am 15. Februar 1991 im Objekt des MdI in der Glinka-Strasse in Berlin-Mitte statt. Auf Seiten der Ehemaligen nahmen daran teil: Werner Grossmann, Günter Kratsch, Günter Möller, Heinz Engelhardt und ich. Auf der Seite unserer ehemaligen Gegner sassen zu dem Gespräch: Gerhard Böden, Präsident des BfV, Dr. Eckhardt Werthebach, designierter Nachfolger G. Bödens und ein weiterer leitender Mitarbeiter des BfV namens Meißner.

Hauptsprecher unserer Seite war Werner Großmann, der in seinen Ausführungen die Möglichkeit der Lösung der IM-Probleme darlegte und nachträglich – entsprechend unserer Überlegungen im „deutsch-deutschen" Papier für einen Verzicht auf strafrechtliche Verfolgung von IM in der BRD (alt) plädierte. Ähnliche Vorstellungen sollten auch für exponierte IM der Abwehrbereiche im Gebiet der DDR Gültigkeit haben, obwohl für diese Personen eine evtl. strafrechtliche Verfolgung gar nicht zur Debatte stand. Es wurde eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus Vertretern beider Seiten vorgeschlagen, in der Einzelfälle beraten werden sollten. Eine ähnliche deutsch-deutsche Gruppe sollte es auch für die IM-Problematik innerhalb der DDR geben.

Die bundesdeutschen Gesprächspartner billigten prinzipiell die vorgeschlagenen Möglichkeiten einer Lösung der gesamten IM-Problematik ohne Repressionen. Man brauche jedoch die Zustimmung der Politik, die für wahrscheinlich gehalten wurde, weshalb eine weitere Zusammenkunft nach etwa 10 – 14 Tagen vorgeschlagen wurde. Trotz dieser nicht pessimistisch stimmenden Bemerkungen passierte nichts auf dieser Ebene.

Eine individuelle, aber sehr deutliche Antwort gab dann der damalige BRD-Justizminister Dr. Klaus Kinkel, der öffentlich verkündete, nun spreche das Strafrecht. Alle weiteren Bemühungen um eine Versachlichung der „Aufarbeitung des MfS" scheiterten. Was blieb, waren und sind Strafverfahren, gesellschaftliche Ausgrenzung, Strafrenten nach Art der Renten der Nazis für jüdische Bürger und die immer wiederkehrenden Schlammschlachten gegen Mitarbeiter und Inoffizielle Mitarbeiter des MfS der DDR. Das trifft bekanntlich hunderttausende Menschen , jung und alt !

Das Resümee dessen ist: Es waren vergebliche Mühen, zu denen uns unsere Einstellung verpflichtete. Nicht Angst, nicht vorauseilender Gehorsam waren die Triebfedern, alles zu versuchen, Menschen zu schützen. Es waren für alle die Verantwortung, die sie als Angehörige des MfS / AfNS zu tragen hatten. Jenen Nachkommen, die einen neuen Versuch einer sozialistischen Alternative starten, sei geraten, neben vielen Schlußfolgerungen aus der Niederlage der DDR auch jene zu ziehen, immer für besonders kritische Situationen eine Rückzugsvariante zu konzipieren. Das ist kein Zurückweichen im Kampf sondern ein Gebot des Schutzes von Menschen, den wir leider nicht gerecht werden konnten.

Man sollte aus diesen bitteren Erfahrungen Lehren ziehen.

Gerhard Niebling, Potsdam


Buchbesprechungen

Manfred Sohn: Frauen und Klasse

(Fast) pünktlich zum Internationalen Frauentag ist in Österreich die Übersetzung einer Broschüre erschienen, die für alle Genossinnen und Genossen hilfreich sein wird, die nach aktuellen marxistischen Antworten auf die Frauenfrage suchen.

Die Londoner Hochschullehrerin Mary Davis hatte 1999 die Untersuchung „Frauen und Klasse" veröffentlicht. In Zusammenarbeit österreichischer und deutscher Genossinnen und Genossen ist jetzt die deutsche Übersetzung dieser Arbeit erschienen. Die 65 Seiten starke Broschüre handelt die Ursprünge der Frauenunterdrückung aus marxistischer Sicht ab, beschäftigt sich ausführlich mit rivalisierenden Theorien (Biologischer Determinismus, Feminismus) und gibt einen Abriß „Frauen und Kapitalismus im 19. und 20. Jahrhundert".

Kontakt: Verlag nVs, 1101 Wien, Postfach 14, Österreich.

Manfred Sohn, Edemissen

Andrea Schön: Harpal Brar: Perestrojka - der vollständige Zusammenbruch des Revisionismus

 

Harpal Brar analysiert in diesem Buch die Gründe für die Konterrevolution in der Sowjetunion.

Ausgehend von der Ära Gorbatschow, betrachtet Brar vor allem die wirtschaftliche Entwicklung in der Zeit nach Lenins Tod bis zum Ende der Sowjetunion und gelangt dabei zu der Schlußfolgerung, daß es im wesentlichen falsche ökonomische Weichenstellungen waren, die im Gefolge des 20. Parteitags zum schließlichen politischen wie wirtschaftlichen Bankrott der Sowjetunion geführt haben.

Brar arbeitet den Zusammenhang des politischen und ökonomischen Revisionismus akribisch anhand zahlreicher Originaltexte heraus und erreicht damit eine bestechend klare Analyse, die ohne verschwörungstheoretische Prämissen auskommt.

Kontakt: Che & Chandler Versandbuchhandlung, Breite Straße 47, 53111 Bonn, Tel. 0228-632366, Fax 0228-634968, Email: info@che-chandler.com

Andrea Schön, Dortmund


Resonanz

Herbert Münchow: Zu Rolf Vellay – die Konsequenz heißt: Internationalismus, Solidarität und revolutionäre Massenpartei

Zu Offensiv 3/2002; „Rolf Vellay Sonderheft"

Der Redaktion von "Offensiv" ist für die Herausgabe eines Sonderheftes mit Arbeiten von Rolf Vellay außerordentlich zu danken. Der Realitätssinn seiner Analysen (die tiefe Krise des subjektiven Faktors war ihm kein Geheimnis) und ihre Streitbarkeit sind bestechend. Selbst an den Stellen, an denen er mit Kritik an Gleichgesinnten nicht spart, gibt es für die betreffenden Genossen keinen Grund, beleidigt zu sein. Die tiefe Kameradschaftlichkeit, die in dieser Kritik zum Ausdruck kommt, ist untrennbar verbunden mit der Bereitschaft zur Selbstkritik. Dies gilt von jeher als beste proletarische Tradition. Rolf Vellay wußte, was der Begriff "Arbeiterklasse" auch im Hinblick auf das Bewußtsein bedeutet. Er hatte den Satz von Engels genau verstanden, wonach der Eigentumslosigkeit dieser Klasse nur die Illusionslosigkeit ihrer Köpfe entsprechen kann.

Rolf Vellay ließ sich in seinen Analysen vom objektiv existierenden Klassengegensatz, von der grundlegenden Tatsache eines allgemeinen Bündnisses aller Imperialisten (dem Bund der Kapitalisten aller Länder gegen die Werktätigen), das in aller Regel die treibende Kraft der Politik ist, leiten. Aber es wäre ihm niemals in den Sinn gekommen, den Hinweis Lenins zu ignorieren: "es gibt zwei Tendenzen: die eine, die ein Bündnis aller Imperialisten unvermeidlich macht, die andere, die die einen Imperialisten den andern entgegenstellt - zwei Tendenzen, von denen keine auf einer festen Grundlage beruht." (LW, Bd. 27, S. 363) Seine Aufsätze "Der wiedererstandene deutsche Imperialismus gefährdet Stabilität und Frieden in Europa" und "Wider die Illusionsmacherei" sind mahnende Beispiele dafür, daß sich in beiden Tendenzen einunddasselbe Klasseninteresse durchsetzt - das Interesse an der Aufteilung des Erdballs. Die Konsequenz lautet: Internationalismus, Solidarität und revolutionäre Massenpartei.

Herbert Münchow, Leipzig

Heiner Karuscheit: Losurdo, Gossweiler und das System der Arbeit in der Sowjetunion

Zu Offensiv 10/2001; „Genosse Domenico Losurdos Flucht aus der Geschichte" von Kurt Gossweiler

Die junge welt hat vom 15.-23.03.2000 eine Studie des italienischen Kommunisten Domenico Losurdo über den Untergang des Sozialismus abgedruckt ("Flucht aus der Geschichte? Die kommunistische Bewegung zwischen Selbstkritik und Selbsthass"), die auch als Flugschrift 01 der Marxistischen Blätter erhältlich ist (Neue Impulse Verlag, Hoffnungstr.18, 45127 Essen). Hierzu hat der Historiker Kurt Gossweiler "Kritische Anmerkungen" geschrieben, die sich in Ausgabe 24 der Zeitschrift Streitbarer Materialismus finden (Verlag zur Förderung der wissenschaftlichen Weltanschauung, Tulbeckstr.4, 80339 München; Nachdruck in offensiv 10/2001: Frank Flegel, Berckhusenstr.13, 30625 Hannover).

An zentraler Stelle steht bei Losurdo die Kritik, daß im Sozialismus ein idealistisches Verhältnis zur Arbeit vorherrschte, welches "das Ende nicht nur des Staates, sondern auch der Arbeitsteilung, in Wirklichkeit der Arbeit selbst voraus(setzte), und letzten Endes das Verschwinden jeglicher Form von Macht und Pflicht." Dieses utopische Verständnis ist seines Erachtens auf Marx und Engels zurückzuführen und hatte letztlich das Scheitern des ersten Anlaufs zum Sozialismus zur Konsequenz.

Gossweiler weist den Vorwurf an Marx und Engels zurück, geht jedoch ebenso wenig wie Losurdo auf die konkreten Arbeitsverhältnisse im Sozialismus, speziell in der Sowjetunion, ein, sondern lastet den Niedergang Chrustschow an, der seiner Auffassung nach ein "prinzipienloser Machtmensch" war, ein "bedenkenloses Demagogentum" praktizierte und für die Durchsetzung eines "revisionistischen Kurses" sorgte. Als Beleg nennt er u.a. dessen Positionswechsel in der Agrarfrage. Hatte Chruschtschow 1951 für die Zusammenlegung der sowjetischen Kolchosdörfer zu Agrostädten und die schnellstmögliche Umformung der Kolchosbauern zu staatlichen Landarbeitern plädiert, so ließ er 1958 die staatlichen Maschinen-Traktor-Stationen (MTS) auflösen und ihre Maschinerie an die Kolchosen übereignen.

Dieser Positionswechsel scheint den Vorwurf der Prinzipienlosigkeit zu bestätigen. Wenn man sich jedoch näher damit beschäftigt, wird eine andere Bewertung nahegelegt. Dann zeigt sich auch, dass Chrustschows Politik und die von Losurdo monierte Haltung zur Arbeit mehr miteinander zu tun haben als gedacht.

Die schwierige Agrarfrage

In der sowjetischen Debatte Anfang der 50er Jahre ging es um den weiteren Weg zum Kommunismus und dabei insbesondere um die Weiterentwicklung der Agrarverhältnisse. Zwar hatte die in den 30er Jahren vollzogene Kollektivierung der Landwirtschaft dem Staat die Verfügungsgewalt über das agrarische Mehrprodukt verschafft und die Industrialisierung ermöglicht. Aber der Kolchos war keine staatliche Produktionseinheit, sondern eine selbständige Genossenschaft, deren Produkt vom Staat im nachhinein angeeignet, d.h. angekauft werden mußte, und deren Produktivität stagnierte. Auch wenn dasselbe Mengenprodukt an Getreide mittlerweile von weniger Bauern erzeugt wurde, waren die Pro-Hektar-Erträge im Vergleich zur Zarenzeit so gut wie nicht gestiegen. Angesichts dieser Situation gab es eine Reihe von Vorschlägen, wie der Kolchos auf dem Weg zum Kommunismus umzugestalten sei, darunter auch von Chruschtschow, dessen Programm von Regierung und Parteiführung jedoch zurückgewiesen wurde.

Kaum an der Spitze der Regierung, machte derselbe Chrustschow mit der MTS-Auflösung offenbar das Gegenteil von dem, was er wenige Jahre zuvor propagiert hatte, so dass der Vorwurf des Opportunismus nahe liegt. Dabei wird jedoch in der Regel übersehen, daß die Kolchosen die Ausrüstung der Maschinen-Traktor-Stationen nicht kostenlos erhielten, sondern sie zu Preisen kaufen mußten, die weit über den alten Verrechnungspreisen lagen. Sie waren so hoch angesetzt, daß nur ein Teil von ihnen dazu in der Lage war. Die anderen lösten sich auf, das heisst, Land und Maschinerie wurden von Sowchosen (Staatsfarmen) übernommen, und die Genossenschaftsmitglieder wurden staatlich bezahlte Landarbeiter - so wie von Chrustschow 1951 propagiert. Binnen kurzem war mehr als ein Viertel der Kolchosen verschwunden, und es schien nur eine Frage der Zeit, bis der Rest ebenfalls seine Selbständigkeit aufgeben würde.

Parallel dazu ließ Chrustschow ein gewaltiges Neulandprogramm starten. Von der Partei mobilisiert, siedelten Hunderttausende junger Leute nach Kasachstan, Sibirien und in andere Gebiete der UdSSR um, wo sie als "Erbauer des Kommunismus" riesenhafte staatliche Getreidefarmen errichteten. Ihre Anstrengungen waren zunächst auch von Erfolg gekrönt, denn der jungfräuliche Boden warf in den ersten Jahren gute Ernten ab, so daß bspw. Kasachstan die Ukraine als Kornkammer ablöste. Es sah so aus, als ob die bisherige Abhängigkeit vom Kolchos und dessen Getreidelieferungen überwunden sei und man dabei war, das von Chrustschow Anfang der 50er Jahre anvisierte Ziel zu erreichen, wenn auch auf anderem Wege - sozusagen "hinten herum". Fragwürdig war nur die in der Öffentlichkeit vertretene Begründung für die MTS-Auflösung, nämlich die Behauptung, dass die Kolchosen heute so weit seien, dass sie die Agrarmaschinerie selbständig einsetzen könnten. Allerdings wurde gleichzeitig betont, daß der Sowchos die "höhere" Produktionsform verkörperte und das übergeordnete Ziel daher die Verstaatlichung bleibe.

Währenddessen wurden auch die Arbeitsverhältnisse in den Fabriken und Bergwerken umgestaltet. Die Arbeitszeit wurde verkürzt und das Arbeitsregime (Strafen bei Zuspätkommen, Alkohol am Arbeitsplatz, Bummelei etc) gelockert bzw. abgeschafft. Die in der Arbeiterschaft unbeliebten Stachanow-Wettbewerbe zur Steigerung der Leistungsbereitschaft wurden eingestellt und die Arbeitslager aufgelöst. Gleichzeitig wurden in großem Umfang gesellschaftliche Mittel vom Produktionsmittelsektor bzw. Infrastrukturausbau (Bau von Kanälen und Eisenbahnverbindungen) in die Konsumgüterproduktion umgeleitet.

Der Schein des Kommunismus

Die negativen Folgen dieser Veränderungen machten sich nicht sogleich bemerkbar, da die Gesellschaft noch über ausreichende Reserven verfügte. So erschien die Lage in der Sowjetunion am Übergang in die 60er Jahre glänzend. Die Arbeit war leichter geworden und der private Konsum erheblich gestiegen ("Gulaschkommunismus"). Der Sputnik-Start 1957 und Gagarins Erdumkreisung 1961 schienen die Überlegenheit des Sozialismus über den Kapitalismus bei der Meisterung der wissenschaftlich-technischen Revolution unter Beweis zu stellen. Womit Chrustschow 10 Jahre zuvor in der Agrarfrage eine Niederlage erlitten hatte, beschloss der 22.Parteitag der KPdSU 1961 auf seinen Vorschlag als neues Parteiprogramm, nämlich den Übergang zum Kommunismus. Dieser sollte binnen 20 Jahren erreicht sein und endgültig die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums "nach den Bedürfnissen" statt "nach der Leistung" mit sich bringen.

Bereits kurz nach dem Parteitag wurde aber offenbar, daß die Abkehr vom Leistungsprinzip die Grundlagen der gesellschaftlichen Reproduktion untergrub. Mit der Zunahme der Arbeitsbummelei ging die Produktivität in den Fabriken zurück, und in der Schwerindustrie gab es eine Produktionskrise, weil die verbliebenen Kolchosen nicht genügend neue Agrarmaschinen kauften. Als es 1963, mitbedingt durch die Bodenerosion in den Neulandgebieten, zu einer Mißernte kam und die UdSSR zum erstenmal in ihrer Geschichte Getreide importieren mußte, war der Vorstoß zum Kommunismus gescheitert. Chrustschow versuchte noch, durch eine Fülle hektischer Experimente und Veränderungen den einsetzenden Niedergang aufzuhalten, bis er 1964 unter dem Vorwurf des "Abenteurertums" zum Rücktritt gezwungen wurde.

Angesichts dieser Zusammenhänge greift die Kritik Gossweilers an Chrustschow zu kurz. Zu Beginn der 50er Jahre hatte Stalin in den "Ökonomischen Problemen des Sozialismus" vor jeder Übereilung auf dem Weg zum Kommunismus gewarnt und die Auffassung vertreten, daß es noch viele Generationen dauern würde, bis die Arbeit aus einer "Notwendigkeit" zum "ersten Lebensbedürfnis" geworden sei. Seiner Meinung nach mußte weiterhin vorrangig die Schwerindustrie ausgebaut werden (einschließlich der Infrastruktur), bei einer nur langsamen Zunahme der Konsumgüterproduktion. Demgegenüber realisierte der mit Chrustschow an die Macht gelangte Parteiflügel unter der Parole der "Errichtung des Kommunismus" eine Politik des Verteilungskommunismus, die den spontanen Interessen der Mehrheit der Werktätigen entgegenkam. Sie wollten nach den entbehrungsreichen Jahren der Industrialisierung, des Weltkriegs und des Wiederaufbaus endlich ein besseres Leben führen, und zwar sofort. Nur die Jugend war für neue Produktionsschlachten zum Aufbau des Kommunismus zu gewinnen.

Auf dem eingeschlagenen Weg gab es später keine Umkehr mehr, denn mit den einmal etablierten Arbeitsverhältnissen verbanden sich soziale "Besitzstände", die ohne Umsturz nicht aufzubrechen waren. Die überproportionale Beanspruchung der gesellschaftlichen Reproduktionsfonds für den individuellen Konsum ging weiter (hinzu kamen die ebenfalls unproduktiven Militärausgaben), bis nicht einmal mehr die einfache Reproduktion zu gewährleisten war.

So gesehen haben beide, Losurdo und Gossweiler, recht und unrecht zugleich. Losurdo hat mit seinem Hinweis auf das Verständnis der Arbeit im Sozialismus einen wunden Punkt benannt. Umgekehrt ist Gossweiler zuzustimmen, daß der erhobene Vorwurf nicht der kommunistischen Bewegung als solcher und insbesondere nicht Marx und Engels gemacht werden kann. Beide Kritiken lösen sich auf, wenn man die Veränderungen der sowjetischen Produktionsverhältnisse in den 50er Jahren untersucht. Dann begreift man, daß es in der Tat Chrustschow war, der den Grund für den späteren Untergang legte, wenngleich seine Politik mit dem Begriff des "Revisionismus" nicht vernünftig zu fassen ist. Heiner Karuscheit, Gelsenkirchen

Kurt Gossweiler: Werter Genosse Karuscheit

Zur vorstehenden Zuschrift von Heiner Karuscheit

Deine Stellungnahme zu meiner Losurdo-Kritik habe ich erhalten und mit Interesse zur Kenntnis genommen. Gefreut hat mich daran der sachliche Ton, der für mich – nach Ausführungen von Dir vor einigen Jahren in den Weißenseer Blättern – nicht selbstverständlich war.

Immer wieder staunenswert finde ich die Hartnäckigkeit, mit der Du selbst bei sehr breit gefächerten Themen Deinen eingeengten und einengenden Blickwinkel beibehältst, der geradezu zwanghaft die Agrarfrage als Ausgangspunkt und Zentrum aller gesellschaftlichen Probleme und Lösungen erscheinen lässt.

Dabei verkenne ich nicht, dass einige Deiner Bemerkungen über die Entwicklung der Landwirtschaft in der Sowjetunion wichtige Fragen ansprechen. Ich hätte mir aber gewünscht, dass einige Deiner Feststellungen genauer belegt würden. So z.B. die Behauptung über die Stagnation der Produktivität in den Kolchosen, oder die Feststellung über den Rückgang der Zahl der Kolchosen bis zur drohenden völligen Selbstaufgabe. Ist dabei berücksichtigt, dass die Zahl der Kolchosen auch durch Zusammenlegungen sich verringerte? Hast Du Zahlen über die Veränderungen der bewirtschafteten Flächen durch Kolchosen und Sowchosen? Und wie erklärst Du die Hartnäckigkeit, mit der die Genossenschaften selbst nach 1990 in Russland (und auch bei uns, im Gebiet der DDR) von den Genossenschaftlern verteidigt werden? Alles die Folge eines „idealistischen Verhältnisses zur Arbeit"? Damit komme ich zu meinem Haupteinwand gegen Deine Zuschrift. Du behauptest: „An zentraler Stelle steht bei Losurdo die Kritik, dass im Sozialismus ein idealistisches Verhältnis zur Arbeit vorherrschte, welches <das Ende nicht nur des Staates, sondern auch der Arbeitsteilung, in Wirklichkeit der Arbeit selbst voraus(setzte)...>"

Du gibst damit Losurdo nicht richtig wieder. „An zentraler Stelle" steht bei Losurdo nicht, „dass im Sozialismus ein idealistisches Verhältnis zur Arbeit" vorgeherrscht habe, sondern die – von mir als völlig grundlos nachgewiesene – Kritik daran, die sowjetischen Führer hätten immer wieder versichert, „Man schreite rasch voran auf dem Weg zur Verwirklichung des Kommunismus – eines Kommunismus, der auf die phantastische Art verstanden wurde, die oft die uns von Marx und Engels überlieferte Definition charakterisiert". Du reduzierst den Kommunismus und Losurdos Kritik an Marxens Kommunismus-Thorie ganz zu Unrecht auf „das Verhältnis zur Arbeit"; aber sowohl Marxens Kommunismus-Theorie als auch Losurdos Kritik an ihr umfasst bei weitem mehr – nämlich die gesamte Struktur der Gesellschaft.

Zweitens ist aus Deiner Formulierung zu schließen, dass Du zwar nicht Losurdos Kritik an Marx teilst, dass Du aber die von Dir Losurdo zugeschriebene Kritik daran, dass im Sozialismus ein idealistisches Verhältnis zur Arbeit vorgeherrscht habe, als zutreffend ansiehst. Da möchte ich doch gerne näher erläutert haben, was Du darunter – unter einem „idealistischen Verhältnis der Arbeit im Sozialismus" verstehst.

Nach meinem Dafürhalten enthält Deine Zuschrift noch einige weitere fragwürdige Feststellungen: „Die Arbeitslager wurden (von Chruschtschow) abgeschafft." Tatsächlich? Alle? Quelle?

„Womit Chruschtschow 10 Jahre zuvor in der Agrarfrage eine Niederlage erlitten hatte, beschloss der 22. Parteitag der KPdSU 1961 auf seinen Vorschlag als neues Parteiprogramm, nämlich den Übergang zum Kommunismus." Wie kommst Du nur darauf? Der Übergang zum Kommunismus war bereits auf dem 18. Parteitag die klare Perspektive der Partei. Welche Niederlage in dieser Frage soll Chruschtschow „10 Jahre zuvor", also 1951, erlitten haben? Ist die Ablehnung seiner Agro-Stadt-Diversions-Idee auf dem 19. Parteitag 1952 gemeint? Was aber hat die mit dem Übergang zum Kommunismus zu tun? Gar nichts, wie auf dem 19. Parteitag zu Recht festgestellt wurde.

Schließlich stellst Du völlig zu Unrecht die Sache so dar, als sei Chruschtschows revisionistische Bevorzugung der Konsumgüterindustrie vor der Produktionsgüterindustrie die Erfüllung einer Forderung von unten gewesen. In Wahrheit war sie – wie im Polen Gomulkas – ein vorsätzliches Abgehen von einem jedem Parteischul-Kursanten bekannten Grundsatz sozialistischen Wirtschaftens, nämlich dem schnelleren Wachstum der Abteilung I (Produktionsgüterindustrie) gegenüber der Abteilung II (Konsumgüterindustrie), wobei er sich aus demagogischen Gründen auf die dadurch angeblich erfolgte Erfüllung der Wünsche der Bevölkerung berief.

Warum ein solches revisionistisches Handeln Chruschtschows – das ich in meiner Losurdo-Kritik an vielen weiteren Beispielen nachweise – „mit dem Begriff ‚Revisionismus’ nicht vernünftig zu fassen ist", wie Du abschließend schreibst, dürfte den wenigsten Lesern einsichtig sein.

Mit freundlichem Gruß, Kurt Gossweiler, Berlin


Zum „Parteienheft"

Heinz-Joachim Reiß: Postskript

Die Autoren Opperskalski und Flegel haben viele richtige Gedanken ausgesprochen. In ihrem Mut, eine Analyse des linken Parteienspektrums vorzunehmen, lehnten sich die Verursacher von so mancherlei Gefühlsregungen zwar weit aus dem Fenster; sie hätten bei diesem Vorhaben aber mindestens vor die Tür gehen müssen. Ich will mich nicht, wie einige Genossinnen und Genossen verständlich emotional reagierten, in gewisser Weise überempfindlich äußern. Nach meiner Auffassung setzen sich historische Wahrheiten durch und sind auch gegenüber Kritikastertum erhaben. Opperskalski und Flegel haben sich zum Teil vernichtend kritisch geäußert, um schließlich zu belegen, dass sie selbst nicht in der Lage sind, den ideologischen Morast zu verlassen.

In ihrer Inkonsequenz fordern die Autoren dazu auf, dort zu verharren, wo man sich eingerichtet hat. Darin liegt m.E. der zentrale Spaltungsgedanke. Mit „Proletarier...vereinigt Euch!" hat das nichts zu tun. Klassenbewusstsein tritt diesbezüglich nicht in Erscheinung. Interessant. Marx und Engels forderten die Konstituierung des Proletariats als Klasse. Aus diesem Grund müsste heute die programmatische Losung auch lauten: „Proletarier aller linken Parteien, vereinigt Euch!" Aber nicht(!): bleibt, wo Ihr seid. Hier jedoch war dem revolutionären Kleingeist die Luft ausgegangen – weswegen er sich als solcher nach dem Motto: „my home is my castle", klassifiziert. Der Marxismus-Leninismus spielt demnach eine untergeordnete Rolle.

Ganz anderer Meinung jedoch sind die Kommunisten, der noch in der DDR wiedergegründeten KPD. Mag sein, dass diese kleine Partei Unzulänglichkeiten aufweist – die wesentlichste besteht wohl in ihrer Quantität. Die Partei ringt aber wie keine andere im imperialistischen Deutschland beständig um ideologische Klarheit; diese Partei bringt ihre Haltung programmatisch zum Ausdruck; diese Partei bemüht sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten konsequent um Aktionseinheit der Linken – jedoch ohne Preisgabe des Marxismus-Leninismus; schließlich beweist die Kommunistische Partei Deutschlands gemäß ihrem Programm und getreu der objektiven Forderung „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!" praktischen Internationalismus. Sonderbar, dass gerade jener von den beiden genannten Autoren des Parteienheftes nicht nur kritisiert, sondern entstellt wird. Nur von einer kleinbürgerlichen, die geschichtlichen Tatsachen negierenden Position erscheint die mit antistalinschem – sprich: antikommunistischem – Hintergrund getroffene Wertung verständlich. Soweit meine Einlassung zur Kritik der KPD.

Letztendlich werfen die Genossen Flegel und Opperskalski der Partei Steine auf den programmatischen Weg zur Aktionseinheit – womöglich unüberlegt, aber Stein bleibt Stein. Nämlich der wesentliche Gedanke wird negiert, dass nur eine sich aus den gesetzmäßig ökonomischen Entwicklungen heraus, objektiv diesen entsprechend, politisch organisierte Kraft der Arbeiterklasse zur Erfüllung ihrer welthistorischen Mission das wissenschaftliche Bewusstsein eingibt (Schreibweise dieses Satzes wie im Original; d.Red.). Praktisch muss dieses Bewusstsein, wie die lebensnotwendigen Nährstoffe der Muttermilch, in den arbeitenden Klassen auf Grund der Stellung zu den Produktionsmitteln deren Handlungsfähigkeit erzeugen. In einer Zeit, da die Imperialisten auf Grund der ökonomischen Entwicklung international agieren, dokumentieren zersplitterte Parteien und auseinanderlaufende Proletarier, die sich die Finger einzeln brechen lassen, statt die Fäuste im Bewusstsein ihrer Mission zu ballen, nur die Angepasstheit und Unfähigkeit des Systems in unserer irdischen Welt. „...es kömmt aber darauf an, sie zu verändern."

Heinz-Joachim Reiß, Berlin

Michael Opperskalski: Wer sind die Gegner?

Vorbemerkung der Redaktion: Der Leserbrief von Michael Opperskalski ist an die „Rote Fahne" der KPD gerichtet, wurde dort aber leider nicht veröffentlicht. Damit er nicht gänzlich unveröffentlicht bleibt, bringen wir ihn hier – genauso wie den Leserbrief von Heinz-W. Hammer in unserer letzten Ausgabe.

Leserbrief zu Euren Artikeln zum „Parteienheft" der „offen-siv" in „Rote Fahre" (März 2002)

Ihr habt die März-Ausgabe Eures Zentralorgans „Rote Fahne" in weiten Teilen, also sehr umfangreich, direkt oder indirekt dem „Parteienheft" der Zeitschrift „offen-siv" gewidmet, deren regelmäßiger Autor ich bin. Das ist nicht nur Euer gutes Recht, zumal der Genosse Flegel und ich in besagtem Heft ja auch auf die KPD eingegangen sind, Euer so umfangreiches „Eingehen" auf das Parteienheft hätte eigentlich auch die Chance eröffnen können, um über die Strategie und Taktik der Kommunisten in Deutschland zu diskutieren. Bei dieser Diskussion sollte das Ziel nie aus den Augen verloren werden, eine einheitliche kommunistische Partei zu schaffen, die auf den Prinzipien des Marxismus-Leninismus fußt. Eine solche offene Diskussion wollten wir u.a. auch mit unserem „Parteienheft" initiieren. Das haben Genosse Flegel und ich auch an mehreren Stellen des Heftes hervorgehoben. Dabei waren von uns kritische Stellungnahmen nicht nur erwartet, sondern auch gewünscht worden...

Die Chance, in diese notwendige Diskussion konstruktiv und prinzipiell einzugreifen, habt Ihr aus meiner Sicht mit der März-Ausgabe der „Roten Fahne" – leider – gründlich vertan. Im Gegenteil, Ihr habt Gräben aufgerissen, wo keine notwendig sind und Brücken eingerissen, wo schon welche gebaut worden waren. Warum?

Da ist zunächst einmal die ganz offensichtliche Charakterisierung, die Ihr in den Artikeln zum Ausdruck bringt und uns zuordnet. „Da haben zwei seit längerem in politisch ‚linken’ Kreisen bekannte Leute (...) eine schon kurz nach ihrer Veröffentlichung im Leserkreis umstrittene Arbeit präsentiert." Also Genossen sind wir für die „Rote Fahne" nicht, sondern werden bereits zu Beginn des Artikels zu „Leuten" degradiert und wir sind, Eurer Einschätzung zufolge, höchstens in eher dubiosen Kreisen bekannt. Wie ist es denn anders zu werten, wenn Ihr jene Kreise, wo wir angeblich oder tatsächlich bekannt sind, ganz einfach so durch ein paar Anführungszeichen, die das Wort links relativieren und in Frage stellen, in eine zumindest äußerst dubiose Ecke rückt? Wenn Ihr damit uns schon mit dem üblen Geruch von „Provokateuren", „Agenten" (?), „unter falscher Flagge segelnden Opportunisten" etc. umgeben wollt, meint Ihr denn, Ihr macht Euch z.B. bei den vielen Lesern der „offen-siv" Freunde, wenn ihr diese – das sind doch u.a. die in Anführungszeichen gesetzten „’linken’ Kreise", in denen sich Genosse Flegel und ich bewegen!– in dieselbe anrüchige Ecke stellt? Das kann man doch nicht anders als schwere Hypothek für die von Euch immer wieder einforderte Aktionseinheit betrachten...

Frank Flegel und ich sind also keine Genossen (mehr), sondern lediglich Leute, denen dann auch eine Reihe von eindeutig negativen Adjektiven zugeordnet werden: „selbstüberhoben", „arrogant", „nicht genügend Kompetenz" besitzend etc. Mit dem „Parteienheft" hätten wir ein „Armutszeugnis", ein „Geschreibsel" vorgelegt: „(...) welch ein Armutszeugnis für die doch Allwissenden, die sich umso mehr als Neunmalkluge gebärden, sich in Wirklichkeit aber doch nur als kleine Naseweise und Gernegroße erweisen (...)." Und das von den „Naseweisen" und „Gernegroßen" Geschriebene leide „am mangelnden Einschätzungsvermögen der Lage und Entwicklung der Autoren zu ihrem ‚Stoff’, an der (rundheraus) gesagt selbstüberhobenen und arroganten Art, Gottes Richter in Parteisachen zu sein und der daraus resultierenden Oberflächlichkeit in der am grünen Tisch ‚erledigten’ Arbeit."

Es kommt jedoch noch dicker: Genosse Flegel und ich sind lediglich sich „als Kommunisten gerierende Publizisten". Was heißt das? Schon der Blick in jedes beliebige Lexikon genügt, um zu verstehen, was sich „gerieren" in der Realität bedeutet: wer sich „geriert", der täuscht etwas vor, was er nicht ist. Auf gut Deutsch gesagt, behauptet die „Rote Fahne" in ihrer März-Ausgabe, dass Genosse Flegel und ich überhaupt keine Kommunisten seien, sondern lediglich Täuscher...

Und was sind wir, die „Herren F. und O.", dann in den Augen der „Roten Fahne"-Redakteure und der KPD wohl wirklich? Das lässt die „Rote Fahne"-Redaktion dann einen Leserbriefschreibe recht deutlich ausdrücken: „Büttel des Weltimperialismus!"

Inhaltlich ist auf die „Parteienheft"-Kritik der „Roten Fahne" nur sehr schwierig einzugehen, weil sie sich im wesentlichen auf Spekulationen und Beschimpfungen der „Herren F. und O." beschränkt. Ich möchte dennoch drei Punkte inhaltlich anreißen:

wir haben die KPD NICHT dafür kritisiert, dass sie solidarisch mit dem sozialistischen Korea (KDVR) oder der Volksrepublik China ist, sondern lediglich das WIE, d.h. die Art und Weise ihrer Berichterstattung „unter die Lupe" genommen. Die Fähigkeit, angesichts der imperialistischen Bedrohung eine notwendige Solidarität mit der KDVR zu entwickeln, hängt auch davon ab, ob es gelingt, die sozialistische Entwicklung dieses Landes den Menschen – und besonders auch progressiven Kräften – in Deutschland näher zu bringen. Das geschieht in der Regel durch fundierte Informationen, verständliche Analysen und anschauliche Berichte. Ihr macht es Euch – diplomatisch formuliert – viel zu einfach, wenn Ihr ja selbst schreibt: „Die Gegner reden alles schlecht, wir reden um so mehr alles gut." Deshalb erscheint Eure Berichterstattung sehr oft als „platt" und „Lobhudelei". Nicht mehr und nicht weniger haben wir gesagt! Schaut Euch doch einfach einmal die Wochenzeitung der belgischen Genossen der PTB, „Solidaire", an. „Solidaire" beweist regelmäßig, dass es auch anderes geht, liebe Genossen von der KPD und auch, ohne Prinzipien aufzugeben!

Hinsicht bestimmter Entwicklungen in der VR China sind wir allerdings der Meinung, dass sie einer gründlichen Analyse und auch Diskussion bedürfen. Zu „einfache Erklärungen" können da durchaus in die Irre führen. Dafür fehlt hier aber der Platz. Sie könnte jedoch, bei Interesse, sicherlich in der „offen-siv" geführt werden;

es ist schon interessant, dass Ihr uns vorwerft, wir hätten „nicht noch andere sich kommunistisch nennende Parteien, Organisationen, Vereine und Gruppierungen" in dem „Parteienheft" behandelt hätten. Dabei empfehlt Ihr uns z.B. ausdrücklich die MLPD... Auf die tatsächliche Bedeutung dieser Organisationen für die kommunistische Bewegung möchte ich an dieser Stelle nicht näher eingehen. Eine Frage möchte ich Euch in diesem Zusammenhang nicht ersparen: Ist es tatsächlich Eure Position, dass objektiv konterrevolutionäre Maoisten à la MLPD, die auch heute noch die Konterrevolution in der DDR und den anderen sozialistischen Ländern bejubeln, integraler Bestandteil der kommunistischen Bewegung in Deutschland sind? Sollte dies tatsächlich der Fall sein, dann würde dies durchaus ein Fragezeichen hinter das setzen, was Euch so positiv von anderen Parteien und Organisationen der kommunistischen Bewegung in Deutschland abhebt, nämlich Eure eindeutig formulierte Positionierung zur DDR als größter Errungenschaft der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung. Dieses Fragezeichen bekäme dann vielleicht noch eine zusätzliche Bedeutung dadurch, dass Ihr auch schon mal – erinnert sei in diesem Zusammenhang an Eure, von uns auch im „Parteienheft" erwähnte, Rolle bei der Gründung der so genannten „Neuen Kommunistischen Internationale" - den Eindruck erweckt, auf internationaler Ebene direkt oder indirekt eine Rolle extrem sektiererischer oder aber sogar objektiv konterrevolutionärer Organisationen zu akzeptieren, wenn Ihr wohl glaubt, das diene der Entwicklung Eurer internationalen Beziehungen;

etwas pikant erscheint mir aber besonders, dass gerade KPD und „Rote Fahne", die sich dem Kampf gegen den Revisionismus und für die „Einheit und Reinheit des Marxismus-Leninismus" verschrieben haben, nun vor „negativen Pauschalverurteilungen" revisionistischer Tendenzen warnen, die wir im „Parteienheft" nicht erfunden, sondern zum Teil sehr detailliert belegt haben. Noch interessanter wird es dann, wenn die KPD zur Verteidigerin der Führung der „Kommunistischen Plattform (KPF) der PDS" wird, wenn sie Genossen – in den Worten der „Roten Fahne" natürlich „Herrn" – Flegel auffordert, sich öffentlich für seine im „Parteienheft" entwickelte und nachgewiesene Rolle der KPF-Führung zu entschuldigen (!): „Das wäre also eine Klarstellung – heute PDS-modischer – eine Entschuldigung wert." Relativiert Ihr mit solchen Aussagen und Positionierungen nicht selbst den von Euch so oft proklamierten „Anti-Revisionismus"?

Vieles wäre noch zu Eurer „Kritik" des „Parteienheftes" zu sagen, vor allem – was sehr leicht nachzuweisen ist (!) -, was Ihr alles über den tatsächlichen Inhalt dieses Heftes unter einem Schwall wilder Beschimpfungen vergrabt und vor Euren eigenen Mitgliedern sowie den Lesern der „Roten Fahne" somit zu verstecken sucht. Wer das Original lesen will, dem ist zu empfehlen, dieses ganz einfach zu bestellen.

Die Frage, die sich zum Schluss daher stellt, ist die: Warum nur, Genossen, habt Ihr Euch für diese „Schlammschlacht" entschieden?

Mir fallen da eigentlich (bisher) nur zwei Antworten ein. Entweder, ihr seid maßlos enttäuscht darüber, dass wir Euch nicht so dargestellt haben, wie Ihr es wohl gerne gehabt hättet (und wie Ihr Euch manchmal auch gerne gebärdet), was aber von der Realität nun doch ein ganzes Stück entfernt ist: das Ihr DIE Kommunistische Partei in Deutschland seid. Weil wir diesen, Euren Wunschvorstellungen nicht nachkommen konnten und wollten, könnten dann bei Euch ganz „einfach die Sicherungen" durchgebrannt sein (mit dem Ergebnis der März-Ausgabe der „Roten Fahne")...

Oder aber Ihr seid inzwischen tatsächlich der Meinung, dass Genosse Flegel und ich zum gegnerischen/feindlichen Lager gezählt werden müssen, mit denen man – wie in Eurer „Roten Fahne" - dementsprechend auch sprachlich umgehen sollte, die man also schlicht und einfach als „Büttel des Weltimperialismus" behandeln muss. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, liebe Genossen, ist Euch, so fürchte ich, kaum mehr zu helfen...

Wie immer man die ganze Sache jedoch dreht und wendet, die von Euch offenbar gewünschte „Schlammschlacht" hat Schaden angerichtet, den Ihr zu verantworten habt. Vor allem aber, so sehe ich es, habt Ihr Euch selbst diskreditiert. Und dies nutzt tatsächlich nur einem: unserem gemeinsamen Gegner...

Mit kommunistischem Gruß, Michael Opperskalski, Köln

Michael Tiedemann: Analyse der Diskussion über neues DKP-Programm nachholen!

Eure Sendung mit den Parteienheften und Lenin aktuell habe ich dankend erhalten. Das Parteienheft hat mir sehr gut gefallen – insbesondere das DKP-Kapitel. Leider findet die momentan laufende Diskussion über den Entwurf eines neuen Programms noch keinen Niederschlag – ich denke jedoch, dass Ihr das nachholen werdet, dazu werde ich auch noch mal einen Leserbreif starten.

Bis dahin viele Grüße, Michael Tiedemann, Wedel