Zeitschrift für Sozialismus und Frieden       13/03 

Herausgeber: Verein zur Förderung demokratischer Publizistik (e.V.)

Spendenempfehlung: 2,00 € (Wegen Überlänge)                                                                                

 

Ausgabe

September-Oktober

2003

 

 

Redaktionsnotiz

Zum Tod von Peter Hacks

Frank Flegel: Ein großer Politiker ist gestorben

Die Europäische Antikapitalistische Linke (EAL)

Frank Flegel / Michael Opperskalski: Die Europäische Antikapitalistische Linke (EAL) und die DKP

Teil I: Die EAL – was ist das?

Teil II: DKP und EAL

ANHANG: Redebeitrag von Patrik Köbele auf der 4. Parteivorstandstagung der DKP

Kommunistische Partei heute

Ingo Wagner: Für die Rekonstruktion der deutschen marxistischen Linken ist Lenins Parteitheorie weitergedacht unabdingbar! Positionsbestimmungen [Thesen (Probleme, Vorschläge)] – Teil 2

Imperialismustheorie

Kurt Gossweiler: Lenin oder Kautsky?

I. Diskussionsbeitrag zu Leo Mayers Thesen zu Globalisierung und Krieg

II. Ergänzung zum Diskussionsbeitrag zu Leo Mayers Thesen

III. Anhang zum Diskussionsbeitrag zu Leo Mayers Thesen – Auszüge aus marxistischen Imperialismus-Analysen aus Kuba, Großbritannien und Österreich

Vera Butler: Verharrt der Kapitalismus heute noch immer auf der Stufe von 1916-1920?

Zur politischen Ökonomie des Sozialismus

Andrea Schön, Gerald Hoffmann: Die Crux mit dem Wertgesetz - zum Revisionismus in der politischen Ökonomie des Sozialismus

Resonanz

 


 

Redaktionsnotiz

 

Mit diesem Heft (September-Oktober 2003) wird die „Offensiv“ 10 Jahre alt! Die erste Ausgabe der „Offensiv“ in unserer Regie erschien als September-Ausgabe 1993, Umfang 12 Seiten, Herstellung auf einem Handkopierer, Auflage 180 Stück. Im nächsten Heft, also der November-Dezember-Ausgabe 2003, bringen wir einen kleinen Rückblick zur Geschichte der „Offensiv“ und zu unseren Erlebnissen mit ihr bzw. mit den uns wohlgesonnenen und den uns weniger wohlgesonnenen Genossinnen und Genossen – und natürlich auch einen Überblick über die Erkenntnisse, die der niedersächsische Verfassungsschutz über uns gewonnen hat.

Dieses Heft hat wieder einmal Überlänge. Wir erhalten eine solche Fülle von interessanten Artikelangeboten, dass wir nicht mehr in der Lage sind, alles zu bringen – trotz Überlänge. Wir haben uns in diesem Heft auf fünf Schwerpunkte beschränkt: Das sind die Einschätzung der EAL („Europäische Antikapitalistische Linke“), die Diskussion um die Imperialismustheorie, die Diskussion zur Frage der Partei heute, die Diskussion über Wertgesetz und Sozialismus und eine Erinnerung an Ernst Thälmann und in dieser Erinnerung eine Mahnung zu seiner Bedeutung heute.. 

Die „Europäische Antikapitalistische Linke“ (EAL) und ihre deutsche Abteilung, die „Freundinnen und Freunde der EAL in Deutschland“ haben wir uns für dieses Heft – wie versprochen – ziemlich genau angeschaut. Ebenso haben wir einen Blick auf das Handeln der DKP-Führung gegenüber der EAL und gegenüber ihrer eigenen Mitgliedschaft gerichtet – zum Teil gibt es interessante Blicke hinter die Kulissen. Den Artikel verfassten Michael Opperskalski und Frank Flegel. Da es sich bei diesem Artikel eher um einen Enthüllungsartikel denn um einen Diskussionsbeitrag handelt, erwarten wir hier weniger eine Diskussion in der Offensiv – hoffen aber auf eine in der DKP! In diesem Zusammenhang wünschen wir uns auch eine große Aufmerksamkeit für den im Anhang des EAL-Artikels abgedruckten Redebeitrag von Patrik Köbele bei der 4. Parteivorstandstagung der DKP.

Die Diskussion um die Imperialismustheorie lässt uns nicht los – weil sie die Kommunisten nicht loslässt bzw. weil die Frage, ob „Lenin noch stimmt“, noch längst nicht ausdiskutiert ist. Wir bringen eine Kritik von Kurt Gossweiler an den Thesen Leo Mayers vom „kollektiven Imperialismus“, zudem eine Ergänzung von Kurt Gossweiler, in der er die Auswirkungen dieser Mayerschen Theorie auf die kommunistische Partei untersucht. Weiterhin kommt in diesem Themenschwerpunkt Vera Butler aus Melbourne zu Wort, die sich kritisch auf die Artikel von Andrea Schön „Eine neue Anti-Hitler-Koalition?“ und von Michael Opperskalski „Wie weiter?“ aus der Mai-Juni-Ausgabe 2003 der „Offensiv“ bezieht und die dabei auch dezidiert – ablehnend – auf die Frage eingeht, ob in Europa ein konkurrierendes imperialistisches Zentrum unter deutscher bzw. deutsch-französischer Führung entsteht oder zumindest angestrebt wird. Diese Thematik ist inzwischen viel und umfangreich diskutiert worden, allerdings recht unvollständig: uns ist keine Kritik der Protagonisten des „kollektiven Imperialismus“ an ihren Kritikern bekannt. Das ist schade, denn nur so ließen sich die Kraft der Argumente abwägen. Ansonsten sind wir der Meinung, dass die theoretische Diskussion dringend mit empirischem Material konfrontiert bzw. unterfüttert werden müsste – etwa so, wie es Harpal Brar in seinem Imperialismus-Buch gemacht hat. Hätten wir Zahlen, Fakten, eine Analyse der Wertströme, der Militärgeschäfte, der strategischen Planungen der Bourgeoisien – vor allem der US-amerikanischen, der deutschen, der französischen und der britischen -, wäre die Diskussion wahrscheinlich leichter von der Ebene der politischen Opportunität und des „Glaubenssatzes“ weg- und zur tatsächlichen Erfassung der Realität hinzubringen. Nur: wer schreibt uns diese empirische Analyse?

Die Frage der Partei heute und hier ist ein weiterer wunder Punkt angesichts der heutigen Herausforderungen. Den ersten Teil der Arbeit von Ingo Wagners hatten wir in der letzten Ausgabe gebracht, hier drucken wir den zweiten Teil, womit die Arbeit komplett ist. Hier wünschen wir uns Diskussion, denn es gibt sehr unterschiedliche Anschauungen zu diesem Problem. Über die theoretischen Grundlagen gibt es leider nicht geringe Differenzen. Und über den organisatorischen Weg auch: Manche meinen noch immer, dass man die PDS „nicht aufgeben“ dürfte, manche halten die DKP für die kommunistische Partei in Deutschland, andere reklamieren das Gleiche für die KPD, einige bevorzugen eher das Zirkelwesen, wieder andere halten Vereinsgründungen und damit verbundene Sammlungsbewegungen für den richtigen Weg (RotFuchs), noch andere glauben, dass sich die verschiedenen Teile der marxistisch-leninistischen Kräfte zu einer neuen Partei vereinen sollten. Hier bedarf es besonnener Reflexion darüber, was denn der Erfolg versprechendste Weg sein soll und wie die theoretischen Probleme gelöst werden könnten.

Andrea Schön und Gerald Hoffmann versuchen nach Erscheinen der beiden Arbeiten von Hermann Jacobs („Die Krux mit dem Wertgesetzt“) und Ingeborg Böttcher (ebenso) eine grundsätzliche Klärung der Frage: Was ist das Wertgesetz, was hat es mit Kapitalismus und was mit Sozialismus zu tun, was muss die Strategie der Kommunisten im sozialistischen Aufbau sein, also: wie bestimmen wir unser Ziel - was die Ökonomie angeht. Auch die Klärung dieses Problem scheint uns existenziell wichtig für die kommunistische Bewegung – denn ohne Zielbestimmung wird alles Handeln zum Gewurschtel. Also auch hier: Argumente austauschen, diskutieren, Erkenntnisse gewinnen – und am besten: Standpunkte vereinheitlichen!

Am 18. August 1944 wurde Ernst Thälmann ermordet. Seinen Körper haben sie vernichtet, den von ihm repräsentierten Geist können sie nicht vernichten. Deshalb müssen sie ihn wieder und wieder totschlagen – jetzt nicht direkt, sondern symbolisch, indem alle Symbole, Denkmäler, Straßennamen getilgt werden. Die Erinnerung muss ausgelöscht werden. Und das ist doch auch vollkommen logisch: angesichts der aktuellen Kahlschlagpolitik, der Rolle rückwärts ins 19. Jahrhundert, kann die Bourgeoisie eine Partei wie die KPD nun wirklich nicht gebrauchen. Dementsprechend geht es den letzten Denkmälern an den Kragen und ist die Thälmann-Gedenkstätte in Ziegenhals gefährdet. Wir bringen die Ansprache von Eva Ruppert, gehalten in Berlin, Prenzlauer Berg, am 18. August dieses Jahres.

In der Rubrik „Resonanz“ schließlich findet Ihr Stellungnahmen zu den Stalin-Heften, zum Profil der „Offensiv“ allgemein und zur Redaktionsnotiz der letzten Ausgabe. Robert Steigerwald meldet sich nochmals zu Wort und Heinz Hoffmann berichtet von einer witzigen Begebenheit.

Finanziell sind wir – eigentlich wie immer – relativ knapp, was natürlich auch daran liegt, dass wir jeden Euro, den wir an Spenden einnehmen, gern und schnell wieder ausgeben dafür, die vielen interessanten Manuskripte, die wir bekommen, auch zu veröffentlichen. Wir bitten also um Spenden. Jede Spende zählt! Schämt Euch nicht, kleine Beträge zu überweisen (auch wenn größere uns natürlich eine größere Hilfe sind), Ihr, unsere Leserinnen und Leser, seid unsere einzige Finanzquelle!

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                                                                                                                     Redaktion Offensiv, Hannover

Zum Tod von Peter Hacks

Frank Flegel: Ein großer Politiker ist gestorben

Es gab Nachrufe in großer Zahl. Trotzdem muss auch ich dazu Stellung nehmen, u.a. deshalb, weil mir manches Mystische, was da gedruckt wurde, wenig gefiel.

Ich muss zugeben, dass ich, was Dichtung und deren Analyse angeht, eher ein ungebildeter Dilettant bin denn ein Literaturbewanderter. Ästhetik der Form oder der Sprache interessiert mich nur, wenn sie dienlich ist, den richtigen – sprich gesellschaftlich fortschrittlichen, revolutionären – Inhalt zu verdeutlichen. Ansonsten können mir Begriffe wie z.B. „Sprachgewalt“ oder „Ausdrucksdichte“ und ähnliche Floskeln eher gestohlen bleiben. Aber Peter Hacks unterschied sich ja ganz wesentlich von diesen Luftblasen.

Das erste Mal wirklich bewusst aufgefallen ist mir Peter Hacks mit der Serie von Gedichten in der Zeitschrift „Konkret“ – und vor allem ein Gedicht dort hat mich nachhaltig beeindruckt: Es war das Gedicht über die Mauer. (Peter Hacks, Das Vaterland, in: ders., Werke. Erster Band: Die Gedichte, Eulenspiegel Verlag, Berlin 2003, S. 334 ff.) Daran überzeugte mich die Vielfalt im Einfachen. Das wichtigste: die Verteidigung des Sozialismus, also die Verteidigung der DDR mit aller Konsequenz. Hier stand an erster Stelle die weltpolitisch beispiellose Funktion des Sozialismus, den Frieden bewahrt und die Allmacht des Kapitals gebrochen zu haben. Und besonders gefreut hat mich beim Lesen, dass Peter Hacks diese segensreiche Wirkung des Sozialismus an Realität und Symbolhaftigkeit der Mauer aufzeigte. Hier war eine Konsequenz und eine Klarheit, die sich so wohltuend positiv vom Duckmäusertum und vom modischen Abschwören abhob. Dazu das Ganze so klar, so einfach und präzise dargelegt – wunderbar!

Einmal abgesehen davon, dass ich sprachlich nicht im entferntesten dazu in der Lage wäre, so etwas wie dieses Gedicht zu schreiben, hätte ich mich damals inhaltlich nicht getraut, eine solche Stellungnahme abzugeben – so groß war da noch die Angst, als Sektierer, Dogmatiker, Ewig-Gestriger und so weiter beschimpft zu werden. Um so größer war deshalb meine Freude über das Gedicht und natürlich meine Hochachtung vor Peter Hacks. Klarheit und Unbestechlichkeit, Kraft und Deutlichkeit, das sind die grundlegenden Forderungen an jeden schreibenden Sozialisten. Und hier war und ist Peter Hacks Lehrer und Vorbild.

Wie Peter Hacks dann näher zu „Offensiv“ kam, vermag ich nicht mehr mit Sicherheit zu sagen. Jedenfalls wurde er über mehrere Jahre zum großzügigen Unterstützer unserer kleinen Zeitschrift, in diesem Jahr sogar Mitglied unseres Herausgebergremiums. Es entwickelte sich eine anregende, ermutigende und herausfordernde publizistische Zusammenarbeit: So schickte Peter Hacks uns einen Artikel, der sich mit dem Blick des inzwischen verstorbenen Genossen Rolf Vellay auf die Produktivkraftentwicklung des Kapitalismus auseinander setzte. (Offensiv 4/2001)  Und "Offensiv" hatte das Glück, weitere politische Texte von Peter Hacks bringen zu können, so „Die Namen der Linken“ (Offensiv 6/2000) oder „Wir müssten unbedingt von etwas reden, wovon nicht alle reden“ (Offensiv 6/2001)

Als uns die Kommunistische Plattform der PDS Hannover Ende des Jahres 2002 fristlos die Herausgeberschaft kündigte und wir kurzfristig eine neue juristische Form der Herausgabe finden mussten, riet uns Peter Hacks zu einem Trägerverein. Im Konsens mit vielen anderen Genossinnen und Genossen realisierten wir diesen Vorschlag und hatte die Ehre, Peter Hacks als Mitglied dieses Herausgebergremiums einschreiben zu dürfen – am Tag der Gründung, dem 11. Januar 2003.

Nun ist er tot. Der Verlust ist unermesslich.

Peter Hacks war Kommunist – und das mit aller Konsequenz. Gerade diese Tatsache macht seine Dichtung für die Welt so unverzichtbar.

Ein großer Politiker ist gestorben.

                                                                                                                                 Frank Flegel, Hannover

Die Europäische Antikapitalistische Linke (EAL)

Frank Flegel / Michael Opperskalski: Die Europäische Antikapitalistische Linke (EAL) und die DKP

„Auf dem Weg zu einer neuen linken Kraft?“ fragt die „Solidarität“, Zeitung der SAV (Sozialistische Alternative Voran), in ihrer Ausgabe 15/03. Bisher wurde über das „Projekt“ EAL in der BRD wenig berichtet und noch weniger reflektiert – wir haben in der „Offensiv“ zwar einmal kurz darauf hingewiesen, aber eine umfassende Darstellung ist uns nicht bekannt, obwohl in den vergangenen Monaten in den Zeitungen „Neues Deutschland“, „Analyse und Kritik“, „junge Welt“ „UZ“, „Solidarität“ und „Rote Fahne“ verschiedentlich Artikel zum Projekt einer „Europäischen Antikapitalistischen Linken“ erschienen sind. Weiterhin gibt es einige Presseerklärungen der Initiatoren.

Wir wollen hier einen möglichst genauen Überblick über die EAL versuchen, dabei auch einen Blick auf die sie tragenden Organisationen und Gruppen werfen. Im zweiten Teil wollen wir uns dann das Verhältnis der DKP zur EAL näher ansehen. Aber nun erst einmal zur EAL selbst.

TEIL I: DIE EAL – WAS IST DAS?

1. Programmatische Vorstellungen

1.2. Die grundsätzlichen Teilnahmekriterien der EAL

„Die EAL ist ein Zusammenschluss verschiedener (neuer) Linksparteien in Europa. (...) Diese führen halbjährliche Konferenzen durch.“[1] Die ersten inhaltlichen Konturen sind an den Teilnahmekriterien zu erkennen. Als Teilnahmekriterien gelten auf europäischer Ebene „Antikapitalismus, Zustimmung zu Pluralismus und zur Einheit der Linken und ein Mindestmaß an Repräsentativität der beteiligten Parteien.“[2] Einigkeit besteht in der Ansicht, dass der Rechtsruck der Sozialdemokratie den Raum für eine linke Kraft geschaffen hat, der bisher nicht gefüllt wurde.

1.2. Die Ergebnisse der Europa-Konferenz der EAL in Athen

Die Europa-Konferenz der EAL in Athen vom 9. und 10. Juni 2003 hat sich u.a. mit der neuen politischen Lage nach dem Krieg beschäftigt. Über die dort vorgenommene Lagebeschreibung berichtete die „junge Welt“ folgendes: „Der Widerstand gegen den imperialistischen Krieg, die internationale Rezession, die Rolle der Europäischen Union, die neue Welle sozialer Angriffe auf die arbeitenden Klassen, die Jugend, die Frauen, die MigrantInnen usw. drückt sich in neuen Massenmobilisierungen aus und ist günstig für politische Klärung innerhalb der Arbeiter- und sozialen Bewegungen und unter den Linksparteien. In den nächsten 12 Monaten werden die herrschenden Klassen in Europa einen aufs Ganze gehenden Versuch starten, die Europäische Union als supranationalen imperialistischen Staat zu stärken. Die sozialdemokratischen Parteien halten an der „Agenda von Lissabon“ fest und spielen wieder eine zentrale Rolle, indem sie versuchen, die arbeitenden Menschen im Namen der „Wettbewerbsfähigkeit“ davon zu „überzeugen“, Einschnitte bei Arbeitsplätzen, Löhnen, Renten, Wohnungen, Bildung, Gesundheit und Arbeitsrechten und den verstärkten Euro-Militarismus im Namen des „Kriegs gegen den Terrorismus“ und der Verteidigung des „europäischen Modells“ im Gegensatz zu den USA hinzunehmen. Sie werden auch dafür eintreten, dass man bei den demokratischen Rechten und Freiheiten sowie Asylrecht „Opfer“ bringen müsse, und sich für mehr Militärausgaben und den Aufbau einer europäischen Armee stark machen.“[3]

Die praktisch-politischen Schlussfolgerungen, die aus dieser Lagebeschreibung bei der gleichen Konferenz in Athen gezogen wurden, lauten: „Die EAL steht in kompletter Opposition zu dieser prokapitalistischen und proimperialistischen Orientierung. Sie wird bei den Mobilisierungen und den Wahlen im Juni 2004 (zum Europa-Parlament;d.Red.) in den vordersten Reihen stehen. Die Athener Konferenz hat beschlossen, dass man überall mit eigener politischer Plattform und eigenem Profil sein wird. In dem Maße, wie dies möglich ist, wird die EAL versuchen, Bündnisse oder Wahlblocks zu bilden, um der neoliberalen Politik und all den Parteien, die dafür eintreten, eine Niederlage zu bereiten.“[4]

1.3. Gründung der „Freundinnen und Freunde der EAL in Deutschland“

In Deutschland hat sich am 10. Mai 2003 ein EAL-Zusammenschluss unter dem Namen „Freundinnen und Freunde der EAL in Deutschland“ gegründet. Hier wurde festgelegt, dass „eine enge Anbindung an die Friedens- und sozialen Bewegungen“[5] Konsens sei, dass die „radikaldemokratischen Organisationsvorstellungen eine Abkehr vom sogenannten demokratischen Zentralismus (sind). Weltanschauungs- und Organisationsunabgeschlossenheit münden in dem Grundsatz, beteiligte Parteien und Organisationen weder zu bevormunden noch zu manipulieren oder zu vereinnahmen“[6] Dementsprechend gute Aufnahme fand die Aussage von Hugo Braun, DKP, „sich in Aktionen zu finden, anstatt sich in theoretischen Debatten aufzureiben. Darin traf er sich mit Erhard Crome von der PDS-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung und im übrigen dem Großteil der Teilnehmer.“[7]  So wenig die „Freundinnen und Freunde der EAL in Deutschland“ auch mit theoretischen Debatten zu tun haben wollen, so klar ist allerdings ihre theoriegeschichtliche Prämisse: „Die globalen sozialen und politischen Auseinandersetzungen verweigern sich nicht nur tradierten Erklärungs- und Organisationsmodellen.... Sie schaffen sich auch neue öffentliche Räume und Organisationsformen.“[8] Dementsprechend strebt die EAL an, eine Kraft zu werden „jenseits überkommener Organisationsgrenzen und Traditionsbarrieren“ und das„unterscheidet sich sowohl von Bemühungen, alte ideologische Bezugssysteme zu reanimieren, als auch von den unter reformistischer Dominanz stehenden Arrangements etablierter Linksparteien.“[9]

1.4. Das Folgetreffen vom 9. August 2003

Die im Mai gegründeten „Freundinnen und Freunde der EAL in Deutschland“ haben am 9. August 2003 in Frankfurt/Main einen „Grundkonsens“ angenommen, der die oben genannten Teilnahmekriterien (bis auf die Repräsentativität) wiederholt. „Die Versammelten teilten den Grundkonsens der EAL, dass die Rechtsentwicklung der neoliberal gewendeten Sozialdemokratie politischen Raum für eine neue, antikapitalistische und plurale Kraft der Linken schafft, die für die Überwindung des Kapitalismus zugunsten einer demokratisch konstituierten sozialistischen Republik eintritt und die Entwicklung der neuen sozialen Bewegungen gegen die neoliberale Globalisierung und deren Zusammenwirken mit der ArbeiterInnenbewegung fördert.“[10]

Der Versuch, bei dem Folgetreffen am 9. August in Frankfurt/Main ein Grundsatzpapier zu verabschieden und eine Wahlaussage zu treffen, führte zunächst zu einer Vertagung dieser beiden Punkte: „In Frankfurt (am 9. August in Frankfurt/Main; d.Red.) drehte sich die Diskussion hauptsächlich um die Frage einer Teilnahme der EAL an der Europawahl 2004, ein gemeinsames Eckpunktepapier sowie die weitere Vernetzung und praktische Arbeit. Eine Wahlbeteiligung wurde dabei vom deutschen Freundeskreis der EAL als Versuch gesehen, das Vakuum links der `linken` Regierungsparteien zu füllen – aber vor allem auch als ein Experiment, um Positionen in dem doch sehr heterogenen Kreis kennen zu lernen und zu klären. Eines aber ist klar: `Regierungsbeteiligungen, die Mitverantwortung für Sozialabbau und Kriegspolitik im Dienste des Kapitals bedeuten`, sind mit dem Grundkonsens der EAL wie ihrer deutschen Freunde und Freundinnen unvereinbar. Die Meinungen zur Teilnahme an Wahlen waren geteilt: Befürworter verwiesen darauf, dass ein Bedürfnis nach einer fundamentalistischen Kraft immer stärker spürbar sei, nicht zuletzt bei der Sommerakademie von ATTAC. Andere argumentierten, es sei zu früh für eine antikapitalistische Kraft und zudem bestehe die Gefahr, der PDS zu schaden.“[11] Die Vorbereitungsgruppe wird Anfang November die endgültige Fassung des „Eckpunktepapieres“ verabschieden.

1.5. Der Entwurf des „Eckpunktepapiers“

Der bisher vorliegende Entwurf dieses Papiers bezeichnet die EU als unsozial und machtorientiert, wogegen sich internationale Proteste vor allem in der Bewegung gegen die neoliberale Globalisierung und in der Sozialforumsbewegung entwickelt hätten. Ebenso beginne sich der Widerstand der abhängig Beschäftigten zu regen. Als Ziele werden genannt: eine andere EU, demokratisch „von unten“, solidarisch, für sozialen Fortschritt und Frieden eintretend. Die Produktion solle nicht nach Profitinteressen, sondern in ökologisch verantwortlicher Weise nach den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet werden. Da die Sozialdemokratie neoliberal gewendet sei, wollen die Freundinnen und Freunde der EAL in Deutschland die Spielräume für die Gegenwehr erweitern helfen und Alternativen entwickeln zur „Ellenbogen-Konkurrenz und zur Plusmacherei“. Dazu sei eine Bewegung von unten notwendig, eine „Neuorientierung der ArbeiterInnenbewegung und ihre Öffnung zu den neuen internationalen sozialen Bewegungen“. Das „Maastricht-Europa“ wird kritisiert, stattdessen „fordert die antikapitalistische Linke zusammen mit den sozialen Bewegungen solidarische Lösungen. Angleichung der sozialen Standards nach oben! Kampf gegen Erwerbslosigkeit, nicht gegen Erwerbslose! Garantiertes Mindesteinkommen für alle! Soziale Kriterien statt `Stabilitätskriterien`!“ Man beharrt auf den sozialen Menschenrechten, ist gegen die Privatisierung öffentlicher Aufgaben und stellt die Maxime auf: „Menschen statt Profite!“ Der in der „jungen Welt“ vom 26./27. Juli 2003 vorgenommene Abdruck des Papiers schließt mit folgenden Forderungen: „Die antikapitalistische Linke tritt für öffentliche Dienste mit hoher Qualität ein, die die sozialen Menschenrechte sichern. Geld dafür ist genug da. Steuern auf große Vermögen und eine progressive und sozial gerecht gestaltete Einkommensteuerkönnen dies finanzieren. Auch die Sozialversicherungen wären über Nacht saniert, wenn alle Einkommen, einschließlich der höchsten, zu ihrer Finanzierung herangezogen würden. Ein System demokratischer Selbstverwaltung und Kontrolle durch die Beschäftigten und durch die NutzerInnen in enger Zusammenarbeit mit Verbraucherschutzorganisationen ist das wichtigste Mittel gegen bürokratische Ineffizienz öffentlicher Dienste und Unternehmen.“[12]

Das nächste größere Treffen, bei dem es dann endgültig um eine Wahlteilnahme gehen wird, soll Anfang Januar 2004 in Berlin stattfinden.

2. Wie sind die programmatischen Vorstellungen einzuschätzen?

Neben einigem Richtigen in der Beschreibung der aktuellen Lage, wie sie in Athen vorgenommen wurde, stehen sehr unvermittelt und ohne weitere Erklärungen vorgenommene grundsätzliche - und sehr problematische - Richtungsentscheidungen.

2.1. „Pluralismus“ und „Einheit“ der „Linken“ solle man zustimmen, das sei der Grundkonsens. Das eröffnet einige Probleme, denn wenn man auch von solch einem Zusammenschluss nicht erwarten kann, dass er sich auf Grundlage der Leninschen Parteitheorie vollzieht, so bleibt doch zu fragen:

2.1.1.„Einheit“ mit wem und auf welcher Grundlage? In den Stellungnahmen der EAL kommen die „neuen sozialen Bewegungen“, die „Bewegungen gegen die neoliberale Globalisierung“, die „ArbeiterInnenbewegung“, die „neuen Massenbewegungen“ und die „Linksparteien“ vor. Über die Art des Zusammenwirkens wird nichts weiter gesagt, auch nicht über die dem Ganzen zugrunde liegende Theorie und erst recht nichts über den Klassencharakter der einzelnen Teile und des Zusammenschlusses.

2.1.2. Welcher „Pluralismus“ ist gemeint? Der der Linken, wird gesagt. Aber das gibt dem „Pluralismus“ auch keine weiteren Konturen. Kann sich jede/r dann das über die Realität denken, was gerade beliebt? Diskutieren wir dann auch die Totalitarismustheorie? Nehmen wir keynesianische Rezepte ins Programm auf? Wettern wir auch auf das „raffende Kapital“, so wie es bei ATTAC Mode wird? In der PDS hat der Pluralismus dazu geführt (und wurde er auch zu dem Zwecke eingeführt), die wissenschaftliche Weltanschauung des Marxismus an den Rand zu drängen und auszugrenzen.

Sowohl „Pluralismus“ als auch „Einheit“ sind konturlose Begriffe – und werden hier in keinster Weise definiert oder konkretisiert.

2.1.3. Was ist „die Linke“? Der Begriff gibt nur die Sitzordnung im bürgerlichen Parlament wieder. Aus den Verlautbarungen der EAL ist zu entnehmen, dass die Sozialdemokratie nach ihrem „Rechtsruck“ nicht mehr zur Linken zu zählen sei. Über die PDS gibt es da schon differierende Einschätzungen. Teile der deutschen „Freundinnen und Freunde“ sind der Meinung, dass es „nur um die Bildung einer Kraft links der PDS“[13] gehen könne, während andere „die PDS noch nicht verloren geben wollen,...“ und dafür sind, „den PDS-Bundesvorstand zu künftigen Treffen einzuladen“[14]. Wieder andere werten denn die Regierungsbeteiligung der PDS in Mecklenburg-Vorpommern „“auch nicht so negativ wie die Beteiligung der PDS am Berliner Senat“[15]. Die „Linke“ kommt hier so konturlos daher, wie der „Pluralismus“ prinzipienlos ist.

2.2. Die „Überwindung des Kapitalismus zugunsten einer demokratisch konstituierten sozialistischen Republik[16]sei das, wofür man eintritt. Es wird wenig dazu gesagt, wie denn der Kapitalismus „überwunden“ werden soll und noch weniger darüber, was mit dem Eigentum geschieht. Und wie eine „demokratisch konstituierte sozialistische Republik“ aussieht, bleibt auch etwas unklar. Das Wortpaar „demokratisch konstituiert“ sagt nichts über den sozialen Inhalt, ob die „Demokratie“ also eine bürgerliche oder eine proletarische ist. Da aber in keinem der uns vorliegenden programmatischen Texten auch nur der Versuch unternommen wird, den Kapitalismus als Klassengesellschaft zu kennzeichnen und das Eigentum sowie die Wirtschaftsform (Marktwirtschaft/Planwirtschaft) so gut wie gar nicht thematisiert wird, ist es auch kein Wunder, hier klassenübergreifende Ausführungen zur Demokratie zu finden.

2.3. Recht erstaunlich ist, dass es dann, wenn konkretes Handeln angesprochen wird, in den Konferenzen und Treffen der EAL immer sehr schnell um Wahlen, Wahlblocks, Wahlbeteiligungen und so weiter geht – und man sich sogar schon Gedanken macht darüber, unter welchen Umständen man eine Regierungsbeteiligung erwägt: „Regierungsbeteiligungen, die Mitverantwortung für Sozialabbau und Kriegspolitik im Dienste des Kapitals bedeuten, sind mit dem Grundkonsens der EAL wie ihrer deutschen Freunde und Freundinnen unvereinbar.“[17] Aber: „Regierungsbeteiligungen seien möglich, wenn Verbesserungen zu Gunsten der abhängig Beschäftigten, Eigentumslosen und Ausgegrenzten durchgesetzt werden könnten.“[18]

2.4. Theoriefeindlichkeit (sich in Aktionen zu finden, statt sich in theoretischen Debatten aufzureiben; siehe oben) ist eine Mogelpackung. Dahinter verbirgt sich (fast) immer für Kommunisten auf jeden Fall, auch und gerade wenn sie in Bündnissen tätig werden (das hatten wir doch schon einmal in und mit der Friedensbewegung der 80er Jahre!) -der Abschied vom Marxismus, von der Tradition der kommunistischen Bewegung. So und diesmal sehr dezidiert auch hier:eine Abkehr vom so genannten demokratischen Zentralismus“, die „globalen sozialen und politischen Auseinandersetzungen“ verweigern sich „tradierten Erklärungs- und Organisationsmodellen“[19], d.h. zumindest Lenins Imperialismustheorie kann nicht mehr gelten, ebenso nicht die Leninsche Parteitheorie, vielleicht aber auch nicht mehr die Marxsche Mehrwerttheorie.... Wer weiß, hinter dem Begriff „tradierte Erklärungsmodelle“ kann sich viel verbergen. „Immerhin werden bei der EAL keine Bekenntnisse zu den Altvorderen dieser oder jener sozialistischen Bewegung abverlangt.“[20] Antikapitalismus ohne Marx? Das führt zum nächsten kritischen Punkt.

2.5. Der Begriff „antikapitalistisch“ wird nicht definiert. „Alternativen zum Bestehenden entwickeln“, „ein Europa, in dem nicht mehr der Profit regiert, sondern in dem ökologisch verantwortlich nach den Bedürfnissen der Menschen produziert wird“, „umfassende Revision der ungerechten Weltverhältnisse“, „Alternativen zu Ellenbogen-Konkurrenz und Plusmacherei“, „neue Perspektiven entwickeln“, „solidarische Lösungen“, „Menschenrecht auf Einkommen“, „Menschenrecht auf anständiges Wohnen“, „Menschenrecht auf Absicherung bei Krankheit, Erwerbslosigkeit, Not und im Alter“, „Menschenrecht auf eine gesicherte Existenz“, „Recht auf Bildung“[21]. Wie soll das gesellschaftlich durchgesetzt werden? Durch den Aufbau des Sozialismus oder durch Sozialstaatsreformen im Kapitalismus? Diese Frage bleibt zunächst unbeantwortet. Auch der oben schon kritisch beleuchtete Begriff „demokratisch konstituierte sozialistische Republik“ hilft wenig weiter. Im letzten Absatz des in der jungen Welt abgedruckten Entwurfs des „Eckpunktepapiers“ wird die Sache aber deutlicher: „Die antikapitalistische Linke tritt für öffentliche Dienste mit hoher Qualität ein, die die sozialen Menschenrechte sichern. Geld dafür ist genug da. Steuern auf große Vermögen und eine progressive und sozial gerecht gestaltete Einkommensteuer können dies finanzieren. Auch die Sozialversicherungen wären über Nacht saniert, wenn alle Einkommen, einschließlich der höchsten, zu ihrer Finanzierung herangezogen würden.[22]“ Keine gesellschaftlich kontrollierte Produktion, sondern Finanzierung der Leistungen zur Garantie der „sozialen Menschenrechte“ über gerechte Steuern – bei Beibehaltung der Privatwirtschaft (jedenfalls wird nichts Gegenteiliges erwähnt). Das ist Sozialstaatsillusion pur! Und blanker Reformismus.

Zusammenfassend:

-         es ist weder klar, auf welcher Grundlage der Kapitalismus analysiert wird, noch, ob er als System überhaupt zerstört werden soll – und wenn eventuell doch, wie das geschehen soll. Man spricht zwar von „überwinden“, nennt dann aber nicht den Kapitalismus als das zu Überwindende, sondern die „ungerechte Weltlage“, „die neoliberale Globalisierung“, die „Maastricht-Kriterien“ o.ä., also „Auswüchse“, „Fehler“, nicht aber das Wesen. Dementsprechend sucht man Begriffe wie Imperialismus oder Klassenkampf in den Papieren der EAL vergeblich.

-         Die Organisationsfrage soll „radikaldemokratisch“ gelöst werden. Niemand muss ein Bekenntnis zu „Altvorderen der sozialistischen Bewegung“ ablegen, niemand wird „bevormundet“, keiner kann behaupten, „das letzte Wort der Geschichte zu kennen“[23]. Also: alle können machen, was sie wollen. Das ist auch ganz logisch, denn es gibt ja keine gültige Gesellschaftstheorie. Da denkt man lieber „plural“.

2.6.4.-         Es ist aber nicht so, dass man nun ganz und gar nichts wüsste. Eins weiß man: Man will dringend an Wahlen teilnehmen und denkt schon über Bedingungen der Regierungsbeteiligung nach.

So neu ist das alles nicht. Mit einer solchen Konstruktion wird man die antikapitalistischen Kräfte nicht aus der Krise führen, sondern sie noch tiefer in selbige hineinstürzen. Dies aus zwei Gründen. Erstens: eine weitere reformistische Partei ist so überflüssig wie ein Kropf. Und zweitens: weil mit der Teilnahme an der EAL Zirkel, Gruppen und Parteien hoffähig gemacht werden, die eindeutige Gegner der Kommunisten sind. Und was am verrücktesten ist – das geschieht auch noch unter Mitarbeit von Kommunisten (oder solchen, die sich so nennen)! Diesen Punkt wollen wir im folgenden näher beleuchten.

3. Die Zusammensetzung der EAL

Die EAL ist – wie schon erwähnt - ein europäischer Zusammenschluss unterschiedlicher Parteien, Organisationen und Gruppen.

3.1. Überblick über die beteiligten Organisationen

3.1.1. Mitarbeitende Organisationen auf europäischer Ebene:

An der Europa-Konferenz in Athen am 9. und 10. Juni 2003 (es war das sechste Treffen dieser Art nach Lissabon, Paris, Brüssel, Madrid und Kopenhagen) nahmen folgende Organisationen teil: Red Green Alliance (Dänemark), Socialist Alliance, Socialist Workers Party (beide England), Scottish Socialist Party (Schottland), Ligue Communiste Révolutionnaire/LCR (Frankreich), Bloco de Esquerda (Portugal), Espacio Alternativo (Spanien), Rifondazione Communista (Italien), solidaritéS (Schweiz), ÖDP (Türkei), Socialist Party (Irland), Socialist Party (England), Synaspismos (Griechenland), Esquerra Unida i Alternativa (Spanien), Deutsche Kommunistische Partei (BRD). Zusätzlich stehen in Kontakt, fehlten aber entschuldigt: déi Lenk (Luxemburg), Mouvement pour le Socialisme (Schweiz) und Izquierda Unida (Spanien)

3.1.2. Mitarbeitende Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland:

Bei dem Treffen am 10. Mai 2003 in Frankfurt/Main, bei dem „alle beteiligten Gruppen und Einzelpersonen ... sich darauf geeinigt (haben), unter dem Namen `Freundinnen und Freunde der EAL` den Diskussionsprozess fortzusetzen“[24], bei dem also ein „Ableger der EAL“[25] gegründet wurde (jedenfalls richteten sie „eine Vorbereitungsgruppe ein, die ihre Aktivitäten zwischen zwei Zusammenkünften koordiniert...“[26]), nahmen teil: Linker Geraer Dialog (PDS), DKP, SAV, Linksruck; das Ganze fand statt auf Einladung der „Internationalen Sozialistischen Linken (ISL)“.[27] Am 9. August, ebenfalls in Frankfurt/Main, „versammelten sich 30 Teilnehmer, unter anderem vom Marxistischen Forum, der DKP, der Sozialistischen Alternative, Linksruck, der Internationalen Sozialistischen Linken, SoZ-Redaktion, solid NRW und Vertreter des globalisierungskritischen Netzwerks ATTAC sowie des Geraer Dialogs in der PDS und des Revolutionären Sozialistischen Bundes, die beiden Letztgenannten ausdrücklich nur als Beobachter.“[28]

3.2. Welche Ziele verfolgen die in der EAL mitarbeitenden Organisationen?

3.2.1. Die EAL auf europäischer Ebene

Schon eine nähere Analyse der Zusammensetzung der EAL auf europäischer Ebene ergibt ein interessantes Bild. Die zahlenmäßige Mehrheit der EAL-Mitgliedsorganisationen sowie solcher, die (noch) einen Beobachterstatus besitzen, kommen aus dem klassisch trotzkistischen Lager (wenn auch zuweilen unterschiedlicher Ausprägung). Die Mehrheit dieser Gruppierung besitzt zudem in ihren Heimatländern keinerlei oder kaum gesellschaftspolitische Relevanz.

Als Ausnahmen bzw. nicht aus dem klassisch trotzkistischen Lager kommend können – neben der DKP, die Beobachterstatus besitzt – vor allem die „Rifondazione Communista“ (Italien), die „Red Green Alliance“ (Dänemark) sowie die ÖDP (Türkei) gelten. Während letztere in ihrer politischen Programmatik und Zielsetzung in vielem der bundesdeutschen PDS ähnelt, also dem reformistischen Lager zuzurechnen ist, ist die „Rifondazione Communista“ (Italien) zweifelsfrei die wichtigste und einflussreichste politische Organisation innerhalb der EAL. Allerdings muss gerade auch in ihrem Zusammenhang erwähnt werden, dass es innerhalb der „Rifondazione“ eine hochorganisierte, parteizerstörerische Trotzkisten-Fraktion gibt, die vor allem Trägerin der EAL-Orientierung ist, während die (noch) Mehrheit der Parteiführung auf europäischer Ebene eher auf die Zusammenarbeit mit bundesdeutscher PDS, griechischer KKE, vor allem jedoch mit den im Europaparlament vertretenen Kräften links der klassischen Sozialdemokratie orientiert. Faktisch tanzt damit die italienische „Rifondazione“ also auf zwei Hochzeiten, was aus ihrer innerparteilichen Situation zu erklären ist. Für welchen Ehemann die Braut sich schließlich und wie entscheiden wird, ist daher also eher noch offen und wird sich, da die „Rifondazione“ an erster Stelle auf Wahlbündnisse orientiert, erst in den kommenden Monaten entscheiden. Die dänische „Red Green Alliance“ ist eine Bündnisorganisation aus unterschiedlichen politischen Kräften, von linken kleinbürgerlichen Grünen über solchen, die sich (noch) als Kommunisten verstehen möchten bis hin zu Trotzkisten.

Wie jedoch bereits betont, die Mehrheit derjenigen Organisationen, die die EAL auf europäischer Ebene tragen oder aber (noch) Beobachterstatus besitzen, stammen aus dem klassisch trotzkistischen Lager oder sind zumindest sehr stark von Trotzkisten beeinflusst und/oder unterwandert. Hierbei handelt es sich NICHT um linke, anti-imperialistische Organisationen, sondern um objektive Instrumente der Bourgeoisien ihrer Länder. Dies lässt sich zum Beispiel sehr leicht an zwei EAL-Mitgliedsorganisationen festmachen: da ist zum einen die griechische Organisation „Synaspismos“. Der Kern dieser Organisation entstammt einer rechts-opportunistischen, revisionistischen, „gorbatschowistischen“ kleinbürgerlichen Abspaltung von der „Kommunistischen Partei Griechenlands“ (KKE) zu Beginn der 90er Jahre. Im Verlauf der späteren Entwicklung der Organisation stießen zu diesen Kräften noch Teile der in Griechenland absolut isolierten Trotzkisten sowie einiger versprengter kleinbürgerlicher Revisionisten unterschiedlichen Kalibers. Der Schwerpunkt der politischen Tätigkeit von „Synaspismos“ ist die Bekämpfung der kämpferischen, marxistisch-leninistischen KKE. Auch damit entlarvt sich diese Organisation als das, was sie objektiv ist: eine unter „linker Flagge“ segelnde Agentin der griechischen Bourgeoisie. Ähnliches gilt in Portugal für die trotzkistische Organisation „Bloco da Esquerda“, deren Aufgabe es ebenfalls ist, vor allem die kommunistische Partei des Landes, die „Portugiesische Kommunistische Partei“ (PCP) zu bekämpfen: es ist in diesem Zusammenhang notwendig zu erwähnen, dass KKE und PCP zu den bedeutendsten kommunistischen Parteien in Europa zählen und ihnen bei der Reorganisation der kommunistischen Bewegung eine Schlüsselrolle zukommt…

Andere trotzkistische EAL-Mitgliedsorganisationen oder solche, die (noch) Beobachterstatus besitzen, waten im offenen trotzkistisch-konterrevolutionären Sumpf, zu dem zum Beispiel solche Banditenorganisationen zu zählen sind wie die „Arbeiterpartei Algeriens“, die für eine so genannte „Regierung der nationalen Einheit“ aus offen pro-imperialistischen bürgerlichen Kräften, Trotzkisten und islamistischen Faschisten eintritt, der trotzkistischen „Arbeiterkommunistischen Partei Irans“ (mit dem von ihr ins Leben gerufenen irakischen Zweig), die vom israelischen Geheimdienst MOSSAD sowie der CIA unterwandert und instrumentalisiert wird oder auch Trotzkisten in Venezuela, die mit ultralinken Parolen und Yankee-CIA-Dollars die revolutionäre, national-demokratische Regierung Chavez bekämpfen. Diese Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen.

Kurzum: bei näherer Betrachtung der EAL auf europäischer Ebene wird deutlich, dass es sich hierbei NICHT um eine linke, anti-imperialistische Kraft handelt, sondern objektiv um ein Instrument zur Unterminierung der Herausbildung einen tatsächlichen breiten, demokratischen, anti-imperialistischen Front der Völker Europas. Und, die Bemerkung ist gerade an dieser Stelle nicht deplaziert, es ist schon interessant, in welchen Zusammenhängen sich die DKP-Führung wohl zu fühlen scheint, u.a. in „strategischen Bündnissen“[29] mit ausgemachten Feinden ihrer offiziellen Bruderparteien KKE und PCP… 

3.2.2. Die „Freunde der EAL“ in Deutschland

Die Charakterisierung der EAL findet bei ihrem bundesdeutschen Ableger, den „Freundinnen und Freunden der EAL in Deutschland“ ihre Entsprechung, wenn bei ihrer Zusammensetzung die trotzkistischen Mehrheitsverhältnisse auch nicht ganz so deutlich sind. Trotzdem, nicht nur, dass sich der bundesdeutsche EAL-Ableger bewusst im Rahmen der europäischen EAL begreift, er wäre ohne das Rückgrat aus zwei mehrere hundert Mitglieder umfassende und straff organisierte Trotzkisten-Organisationen, die „Sozialistische Alternative Voran“ sowie den „Linksruck“, aber auch den versprengten Überresten der inzwischen nicht mehr existierenden „Vereinigten Sozialistischen Partei“ (VSP), zu der z.B. der ehemalige PDS-Bundetags-abgeordnete Winfried Wolf gehörte und die die (immer noch existierende) „Sozialistische Zeitung“ (SoZ) herausgeben, nicht in dieser Form überlebensfähig.

Beide genannten Organisationen gehören zum klassischen trotzkistischen Lager und haben seit Beginn der 90er Jahre eine gewissen Relevanz erlangt. Beide entstammen ursprünglich der Sozialdemokratie (Jungsozialisten in der SPD), in der sie bis vor wenigen Jahren noch versucht hatten, durch Unterwanderung und Verschleierung sowie Tarnung ihrer Positionen Schlüsselpositionen vor allem bei den Jusos (aber auch in der Gewerkschaftsjugend) und der SJD-Die Falken zu besetzen.

Die 1994 gegründete SAV ist sicherlich innerhalb der EAL die politisch flexiblere und gewichtigere trotzkistische Organisation. Alle ihre Aktivitäten bündelt sie in der BRD in den Aufbau einer „neuen Arbeiterpartei[30]: „Eine neue Partei von ArbeiterInnen und Jugendlichen, eine Massenpartei wäre ein großer Fortschritt, selbst wenn diese anfangs kein konsequentes sozialistisches Programm vertreten würde.[31] Diese Aussage, die ein überdeutliches Schlaglicht auf den den Trotzkismus charakterisierenden Opportunismus in „linkem Gewande“ wirft, gestattet durchaus die Frage, warum denn die SAV nicht auf die PDS orientiert, die ja in dieser Hinsicht genau den Zielvorstellungen jener „neuen Massenpartei“ entspricht, die die Trotzkisten aufzubauen versuchen. Begründet wird dies mit schein-linker Kritik an der fast schon nicht mehr sozialdemokratischen Politik der PDS-Führung, der eigentliche Grund jedoch liegt wohl eher in der Tatsache, dass SAV-Kader kaum einen Einfluss auf die PDS als Organisation nehmen könnten. Hier liegt des Pudels Kern. Es geht der SAV um die Schaffung einer Organisation egal welchen Charakters, in der sie, straff organisiert, wie die SAV ist, aus dem Hintergrund heraus agieren kann, eine klassische trotzkistische Tarn- und Vorfeldorganisation also, die mit ihrer Mischung aus schein-revolutionärem Wortgeklingel und opportunistischer Politik tatsächlich linken, anti-imperialististischen Organisationen und Bewegungen die Spitze nehmen soll. Damit wird auch klar, warum die SAV auf die EAL orientiert: für die Trotzkisten der SAV ist die EAL ein wichtiger Schritt hin zum Aufbau jener „neuen Arbeiterpartei“ und jene nicht-trotzkistischen Kräfte, die sich am Aufbau der EAL beteiligen, sind für die SAV keiner gleichberechtigten Bündnispartner, sondern nützliche Idioten, deren Organisationskraft man zu nutzen und auszuschlachten sucht.

In allen Grundorientierungen vertritt die SAV trotzkistische Grundpositionen, so z.B. die Unterstützung der Konterrevolution in den sozialistischen Ländern, auch der DDR: „Unserer Meinung nach ist in der DDR nicht der Sozialismus gescheitert, sondern der Stalinismus. Der DDR-Stalinismus musste scheitern.“[32] Solche Töne sind weder links, noch originell und unterscheiden sich nicht von entsprechenden Positionen in der PDS oder auch der offiziellen Sozialdemokratie. Und wer weiter liest, dem wird auch auffallen müssen, dass es der SAV – bei aller schein-revolutionärer Rhetorik – überhaupt nicht um tatsächliche sozialistischen Alternativen geht: „Der Kampf für Sozialismus kann nur international geführt werden. Der Kapitalismus hat einen Weltmarkt geschaffen und die Produktion internationalisiert. Sozialismus in einem Land ist unmöglich.[33] Damit wird der Kampf für eine sozialistische Revolution auf den St.Nimmerleins-Tag verschoben, was hinter der „radikalen“ Fassade dann nur übrig bleiben kann ist reinster Reformismus. Aber brauchen wir in der BRD tatsächlich eine neue reformistische Parteienformation, selbst wenn sie sich „linker“ gebärdet als die bereits existierenden? Die Arbeiter- und Protestbewegung in der Bundesrepublik sicherlich nicht, für die Herrschenden könnte dies jedoch ein weiteres Instrument sein, um die Herausbildung einer tatsächlichen demokratischen, anti-imperialistischen, breiten Volksfront sowie den Aufbau und die Entwicklung einer marxistisch-leninistischen Kommunistischen Partei zu erschweren. Einmal davon abgesehen sind die von den SAV-Trotzkisten vertretenen Positionen lediglich alter Wein, nein Essig in neuen Schläuchen. Mit der Parole „Sozialismus in einem Land ist unmöglich!“ bekämpften die Trotzkisten von Beginn an mit allen Mitteln, einschließlich organisierter Konterrevolution, die Sowjetunion[34] und die von ihnen vertretene Neoliberalismustheorie ist nichts anderes als frisch lackierter Revisionismus à la Kautsky, zugleich jedoch die ideologisch-politische Brücke zu Neoliberalismus-Theoretikern in der kommunistischen Bewegung (z.B. Leo Mayer).

Hinsichtlich ihrer Orientierung auf die Konterrevolution spricht die SAV Klartext: „In den stalinistischen Staaten versuchte die Arbeiterklasse von den 50er bis in die 80er Jahre hinein, durch revolutionäre Erhebungen die Herrschaft der stalinistischen Bürokratie abzuwerfen und eine echte Arbeiterdemokratie aufzubauen. Dieser Prozess der politischen Revolution begann 1953 mit dem Aufstand in der DDR. Es folgten revolutionäre Erhebungen 1956 in Ungarn und Polen, 1968 in der Tschechoslowakei, 1971 und 1980 wiederum in Polen. In Polen hatte sich die Arbeiterklasse mit Solidarnosc eine 10 Millionen Mitglieder starke Gewerkschaft aufgebaut (…).“[35] Lassen wir einfach einmal das Geschwafel über die angeblich von der SAV erträumte „Arbeiterdemokratie“ weg, was übrig bleibt, sind Positionen der schwärzesten Reaktion, jener Kräfte zum Beispiel, die 1956 in Ungarn Kommunisten an den Laternenpfählen aufknüpften und die, alles inzwischen dokumentiert und nachgewiesen, mit Hilfe des Vatikans, der CIA und anderer imperialistischen Geheimdienste, Solidarnocs von Beginn an in ein Kampfinstrument der anti-sozialistischen Konterrevolution verwandelten. Und dort orten sich die SAV-Trotzkisten ganz freiwillig und lauthals ein…

Und wer die Konterrevolution „in der Vergangenheit unterstützt“, der fordert sie ganz Konsequent auch in der Gegenwart. Hier am Beispiel Kuba dokumentiert: „Die SAV betrachtet Kuba als einen deformierten Arbeiterstaat (…). Wir treten für die Ersetzung des Castro-Regimes durch eine Arbeiterdemokratie ein…[36] Der entscheidende, konterrevolutionäre Teil der SAV-Orientierung lautet: „Wir treten für die Ersetzung des Castro-Regimes (…) ein.“ Das kann auch die CIA-gesteuerte „exil-kubanische“ Mafia in Miami ohne Probleme unterschreiben…

Kurzum: entkleidet man die politischen Grundorientierungen der SAV ihrem schein-revolutionären Wortgeklingel, dann bleibt schwärzeste Reaktion übrig. Damit bestätigt sich – wieder einmal – eine Grunderkenntnis der internationalen Arbeiterbewegung: bei den Trotzkisten, hier der SAV, handelt es sich nicht um linke, progressive, sozialistische Kräfte der Arbeiterbewegung, sondern um Agents Provocateurs und reaktionäre, unter „linker Flagge segelnde“ Feinde der revolutionären Arbeiterbewegung!

Eine Analyse der Grundsatzdokumente der trotzkistischen Organisation „Linksruck“ ergibt, obwohl in Orientierung und Wortwahl „radikaler“ als die der SAV, eine für diese Organisation gleiche Einschätzung.

Damit wird deutlich, was für die EAL auf europäischer Ebene bereits gesagt wurde: auch bei den „Freundinnen und Freunden der EAL in Deutschland“ handelt es sich NICHT um eine linke, anti-imperialistische Kraft. Auch hier ist das Gegenteil der Fall!

II. TEIL: DKP UND EAL

„Die DKP will ihren Beitrag zur Entwicklung einer marxistischen Linken in Europa leisten. Deshalb beteiligen wir uns auch aktiv an den Gesprächen und Initiativen der Freunde der EAL in Deutschland.“[37]

Diese beiden Sätze aus einem Referat von Leo Mayer, gehalten beim Sommerseminar der DKP Südbayern am 16. August, in der UZ veröffentlicht am 12. September, stellten bis zum 25. September die bisher weitgehendste Information über die Mitarbeit der DKP-Führung bei der EAL bzw. bei den „Freundinnen und Freunden der EAL in Deutschland“ dar, die den Mitgliedern der Partei über ihr Parteiorgan zugänglich war.

Aber diese Information ist nur ein „Häppchen“, ist unvollständig, spielt den Anteil der DKP an den „Freundinnen und Freunden...“ fast auf Null herunter und verschweigt die deutschen Partner an diesem Projekt. Über die europäischen Partner sagt Leo Mayer etwas – er nennt PRC, Socialist Alliance in England und Wales, Scotish Socialist Party, Rot-Grüne Allianz Dänemarks, LCR aus Frankreich, Vereinigte Linke Kataloniens, „Die Linke“ Luxemburgs. Außerdem nennt er als einen Beobachter die ÖDP aus der Türkei. Weitere Teilnehmer aber verschweigt er. Dazu unten mehr.

Die erste Information, die zum Projekt EAL und der Beteiligung der DKP daran in der UZ zu lesen war, war jedoch noch vorsichtiger. Es gab sie am 18.7.03 (die „Freundinnen und Freunde...“ wurden am 10. Mai gegründet!). In dem Artikel „DKP und Europawahl“ heißt es u.a.: „Die DKP führt Gespräche mit den befreundeten Kommunistischen und Arbeiterparteien der EU-Länder. Der Parteivorstand führt Gespräche mit der PDS und den Kräften, die sich der Europäischen Antikapitalistischen Linken (EAL) verbunden fühlen. Darüber wird auf der nächsten PV-Tagung informiert. Der Parteivorstand bereitet im Herbst formelle Schritte konkret vor.“[38]

Am 26. September erschien dann in der UZ ein etwas ausführlicherer Artikel zur EAL und zur Beteiligung der DKP. Dort ist dazu zu lesen: „ein Anfang ist gemacht. Die kleine, eng mit der sozialistischen Monatszeitung SoZ verbundene Gruppe „internationale sozialistische Linke (isl)“ hat im Frühjahr eine Initiative ergriffen, die zur Bildung eines Kreises der „Freundinnen und Freunde der EAL“ in Deutschland führte. Bislang haben zwei Treffen stattgefunden, an denen für den Parteivorstand Leo Mayer teilnahm; neben ihm waren weitere DKP-Mitglieder beteiligt wie etwa Hugo Braun, der schon bei mehreren europäischen EAL-Konferenzen als Gast anwesend war. Die Gespräche fanden statt mit Blick auf die 2004 anstehende Europawahl – hier stellt sich die Frage, ob in Deutschland ein neues linkes Wahlbündnis möglich ist.“[39] Und es wird weiter festgestellt, dass „die Bündelung der antikapitalistischen Opposition auf jeden Fall, wie Leo Mayer in der SoZ schrieb, ein über den herannahenden Wahltermin hinausweisendes `Projekt mit strategischem Charakter`“ darstelle. Ansonsten wird viel von Wandel, Identitäten in Frage stellen, zusammenfinden, aus ideologischen Gettos heraustreten, von Veränderungen der Strukturen und Herangehensweisen usw. geredet, über den Charakter der EAL aber wird recht unkonkret berichtet, zum Teil sogar falsch. Die mitwirkenden Gruppen werden einmal erwähnt: als „kleine, aber agile Organisationen“ werden sie bezeichnet, Inhaltliches über sie sucht man vergebens. (Wir kommen im Verlaufe unserer Analyse nochmals auf diesen UZ-Artikel vom 26.9.03 zu sprechen!)

Als kritischer Leser der UZ fragt man sich natürlich, warum der Informationsfluss so stockt, warum das Thema EAL so scheibchenweise behandelt wird und warum man mit Berichten über die an den „Freundinnen und Freunden der EAL in Deutschland“ außer der DKP noch Beteiligten so sparsam ist. Wenn man dann das letzte Jahr rekapituliert, stellen sich noch mehr Auffälligkeiten heraus, die erst jetzt, von hinten besehen, einen Zusammenhang bekommen.

Beginnen wir also von vorn.

Im Sommer 2002 führte die DKP eine internationale Konferenz durch, die sich mit der Rolle der Kommunisten in den neuen sozialen Bewegungen beschäftigte. Im Vorfeld druckte die UZ ein Interview mit Hugo Braun. Darin antwortet er, nachdem er die „Breite und Pluralität“ der Bewegung dargestellt und der Hoffnung Ausdruck gegeben hat, dass man sich „auf die wesentlichen sozialen und friedenspolitischen Forderungen konzentrieren und mit ihnen die Köpfe der Menschen erobern“[40]werde, auf die Frage, ob das nicht „platter Reformismus“[41]sei, mit erfreulicher Offenheit: „Es ist tatsächlich ein reformistischer Ansatz. Eine Bewegung wie ATTAC ist kein revolutionärer Kampfverband. Reformer wie Kapitalismusgegner sind sich in dieser Bewegung einig, dass der Kampf gegen die konkreten Auswirkungen der kapitalistischen Globalisierung geführt wird.“[42]Und dann liefert er die Begründung dafür: Man müsse Lernprozesse in der Praxis organisieren, denn „Kapitalismuskritik von oben ist letztlich uneffektiv geblieben. Im gemeinsamen Kampf wird sich ein Kapitalismusverständnis ergeben, das wirklich `die Massen ergreift` und die Idee zur materiellen Gewalt werden lässt.“[43] Dementsprechend zurückhaltend definiert er auch die Rolle der Kommunisten: „Kommunisten sollten Teil dieser Bewegung sein, in ihr ohne Vorbedingungen mitarbeiten, an den gemeinsamen Aktionen und Diskussionen teilnehmen. Von Avantgarde-Vorstellungen sollten sie sich spätestens jetzt verabschieden.“[44] Und gegen Ende ein Appell (der dort, weil noch unkonkret, so direkt ausgesprochen werden konnte; d.V.): „Die Notwendigkeit des gemeinsamen internationalen Handelns sollte auch von den kommunistischen Parteien nicht nur in Worten beteuert, sondern zur politischen Praxis gemacht werden.“[45]

Nach der Konferenz gab es dann einigen Wirbel um den Abdruck des Hauptreferates der Konferenz, gehalten von einem Vertreter des rechten Flügels der Rifondazione aus Italien, Gen. Malabarba. Hier ging es dann schon um das „Aufgehen in der Bewegung“ und ähnliche revisionistische Ansätze. Als das in der DKP auf Kritik stieß und auch der bekannte Genosse Gerhard Feldbauer sich kritisch äußerte, dachte man in der DKP-Führung nicht etwa an Selbstkritik, sondern man maßregelte die Kritiker. Auf einen Leserbrief von Gerhard Feldbauer reagierte der Gen. Geißler fast schon mit hysterischer Aggressivität. Im Ergebnis verlor die UZ so mit Gerhard Feldbauer ihren besten Italien-Fachmann.

Von heute aus betrachtet ergibt dieses harsche Niederbügeln der Kritik an Malabarba einen Sinn: wenn man sich überlegt, mit wem die DKP-Führung bei den „Freundinnen und Freunden...“ in Deutschland, aber auch auf der Europa-Ebene der EAL ein Bündnis eingeht, wird verständlich, dass man dem Gedanken, an einer kommunistischen Organisation mit Prinzipien und klarem theoretischen Hintergrund festhalten zu wollen, nur so wenig Platz wie möglich lassen durfte. Diese Problematik beschreibt die Zeitung „Analyse und Kritik“ im Juni dieses Jahres sehr süffisant wie folgt: In der DKP stoße „die von der Parteivorstandsmehrheit um Heinz Stehr betriebene Politik der Öffnung zu sozialen Bewegungen noch auf erheblichen Widerstand einer stärker `identitär` ausgerichteten Strömung.“[46]

Aus dem gleichen Grund wurden nun die Informationen über evtl. Öffnungen in verdaubaren Häppchen verabreicht. Hier sei an das Interview erinnert, welches Heinz Stehr bei besagter Konferenz der „Sozialistischen Zeitschrift (SoZ)[47]“ gab, wo es komplett abgedruckt wurde. In der „UZ[48]“ gab es einen verkürzten Nachdruck. Es ist interessant, sich anzusehen, was weggelassen wurde.

(Alle folgenden Aussagen stammen aus besagtem Interview, sind von Heinz Stehr und wurden für den Nachdruck des Interviews in der UZ herausgestrichen.)

„Auch bei uns gibt es heftige Debatten über die Avantgarderolle der Partei. Auch wir haben unser Verständnis in diesem Punkt weiterentwickelt.“  ---  „Auch das ganze programmatische, strategische und taktische Selbstverständnis der DKP musste sich erneuern.“  ---  In der UZ gebracht wurde: „Wir haben in den letzten Jahren versucht, diese Situation (dass der ehemals vorhandene Sozialismus nur noch eine negative Ausstrahlung hat; d.V.) konstruktiv zu wenden und manche programmatische Neuorientierung vorgenommen – sei es in der Frage der pluralen Eigentumsformen im auf längere Zeit angesetzten Übergang zum Sozialismus, sei es die Frage der Demokratie im Sozialismus.“ Nicht gebracht in der UZ wurde folgende direkt anschließende Fortsetzung: „Damit sind wir noch nicht am Ende, aber soviel ist klar, dass es einen erlebbaren Zusammenhang zwischen Demokratie und Sozialismus geben muss, der eine neue Qualität der Mitgestaltung ermöglicht. Es muss auch Oppositionsmöglichkeiten im Sozialismus geben und eine Partei kann nicht per Verfassung oder Dekret das Sagen haben. Es gibt eben unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten zum Sozialismus.“  ---  Und auch weggelassen in der UZ wurde folgende Frage und die Antwort von Heinz Stehr darauf: FRAGE SoZ: „Es gibt natürlich gerade im Osten – nicht nur, aber vor allem dort, - einen großen Anteil derer, deren Parteiverständnis noch das einer „marxistisch-leninistischen“ Weltanschauungspartei ist, die es sich leisten könnte, vorübergehend zu überwintern. Diese Leute orientieren mehr auf korrekte Positionen als auf aktives Eingreifen in politische Prozesse. Diese für eine Erneuerung kommunistischer Politik bremsende Wirkung ist doch eine Gefahr. Auch im Kontext der DKP scheint es uns nicht wenige zu geben, die mit so etwas zufrieden wären.“ ANTWORT Stehr: „Stimmt, das gibt es durchaus, ist aber so einmalig nun auch wieder nicht. Es gibt immer Genossinnen und Genossen, die können sich auf neue politische Verhältnisse einstellen, und es gibt solche, die diesen Sprung nicht mehr schaffen. Das ist das Problem der Ideologisierung bestimmter Positionen: Wenn man den neuen Herausforderungen nicht mehr nachkommen kann, und seinen Standort mindestens beibehalten will, ist das ja durchaus in Ordnung. Wenn man daraus aber ableitet, die ganze Organisation müsste so sein – im Sinne des Bewahrens der großartigen Ergebnisse des Sozialismus – wenn das der zentrale Achsenpunkt sein sollte, um den sich Parteipolitik drehe, dann wird das natürlich problematisch.“

Der Aufgabe der Avantgarderolle der Partei folgt die Aussage, dass sich die gesamte Programmatik „erneuern“ musste. Danach werden die pluralen Eigentumsformen der Übergangsgesellschaft beschworen, sekundiert von der Einführung der Opposition im Sozialismus und - konsequent - der Absage an die führende Rolle der Partei des Proletariats während des Aufbaus des Sozialismus. Und auf die provokante Frage nach den „Bremsern der Erneuerung kommunistischer Politik“, nämlich denjenigen, deren Parteiverständnis „noch“ das einer „marxistisch-leninistischen“ sei und die eine „Gefahr“ darstellten, reagiert Heinz Stehr nicht etwas mit Zurückweisen dieser Frage und Verteidigung des Marxismus-Leninismus als Grundlage, Orientierung und Praxiskompass einer kommunistischen Partei, sondern springt ohne Wenn und Aber auf den Zug, beteiligt sich an der Diffamierung der Genossinnen und Genossen, „die den Sprung nicht mehr schaffen“ und bezeichnet sie, sofern sie nicht das Maul halten, sondern in der Partei mitbestimmen wollen, als „problematisch“.

Das alles war jedoch nur in der SoZ, nicht aber in der UZ zu lesen.

In dem Artikel, den Hugo Braun nach der Konferenz von Florenz (Vorabend des Sozialforums, eingeladen hatte Rifandazione Comunista) zur Diskussion über die Gründung einer europäischen Linkspartei im Dezember 2002 schrieb, konnten wieder deutlichere Appelle formuliert werden, da hier alles sehr unkonkret blieb. Es gäbe zwar einige Probleme, so gibt Hugo Braun Heinz Stehr wieder, und fährt in seinem Artikel dann fort: „Dennoch, so Stehr, werde ein Weg des gleichberechtigten und solidarischen Arbeitsprozesses `zu neuen Chancen und Erfolgen der Linken führen. Dieser Formierungsprozess einer Zusammenarbeit in EU-Europa gegen die menschenfeindliche Politik des Imperialismus ist voller Herausforderungen und Chancen. Die DKP will gerne an diesem Prozess mitarbeiten.`... Und Hugo Braun zum Schluss des Artikels: Doch scheint der Weg zu einer europäischen Linkspartei noch weit und mit vielen politischen Stolpersteinen gepflastert zu sein. Ein ehrlicher, von Egoismen freier, selbstkritischer und dennoch nicht prinzipienloser Diskurs der europäischen Partner scheint dafür eine unerlässliche Voraussetzung zu sein. Dabei im ständigen Dialog mit den sozialen Bewegungen auf nationaler wie auf europäischer Ebene zu bleiben, kann sicher hilfreich sein, diese objektive politische Herausforderung an die europäische Linke zu bewältigen.“[49] 

Dann begann die große Stille. Am 10. Mai 2003 wurden die „Freundinnen und Freunde ...“ aus der Taufe gehoben - wohlgemerkt mit Beteiligung der DKP. Die Pressemitteilungen der Initiatoren wurden verschickt, die „junge Welt“ berichtete im Mai kurz, das „Neue Deutschland“ etwas ausführlicher, die Zeitungen der trotzkistischen „Freunde“ brachten die Sache, aber die DKP schwieg. Weder die  „UZ“ noch die „Marxistischen Blätter“ brachten irgendetwas über das, was dort in Frankfurt/Main organisiert worden war und schon ziemlich konkret Gestalt angenommen hatte. Im Juni erschien dann ein Artikel über die „Freundinnen und Freunde...“ in „Analyse und Kritik“, dieser mit einigen Hintergrundinformationen. Und in der „Offensiv“ brachten wir auch einige kurze Hinweise.

Ebenfalls im Juni bekamen die trotzkistischen Organisationen „Linksruck“ und SAV (als Verlage) Stände beim Pressefest der UZ, die „Offensiv“ aber nicht. Ebenso wurde die „Rote Fahne“ ausgegrenzt. Angesichts der Lage nur folgerichtig, denn was die EAL angeht, sind für die DKP-Führung ja inzwischen Trotzkisten und nicht mehr Marxisten-Leninisten die „befreundeten“ Kräfte.

Inzwischen war es Hochsommer, das Folgetreffen der „Freundinnen und Freunde der EAL in Deutschland“ Anfang August stand vor der Tür, die DKP-Führung musste natürlich irgendwann und irgendwie ihre Mitgliedschaft über das Vorhaben und über die Bündnispartner informieren. Die Maxime blieb aber: kleine Häppchen. Offensichtlich war man sich über die Problematik, wie sie in „Analyse und Kritik“ angesprochen wurde, im Klaren. Dort war angemerkt worden, dass trotzkistische Organisationen wie „SAV“ und „Linksruck“ durchaus in der Lage sein könnten, ihre Mitgliedschaft komplett für die EAL zu mobilisieren. „In der DKP, deren Führung das EAL-Projekt unterstützt“, müsse aber „mit Vorbehalten seitens des orthodoxen Flügels gerechnet werden.“[50]

So kam es, wie schon oben angemerkt, unter dem Titel „DKP und Europawahl“ zur ersten, klitzekleinen Notiz in der UZ vom 18. Juli 2003: „Die DKP führt Gespräche mit den befreundeten Kommunistischen und Arbeiterparteien der EU-Länder. Der Parteivorstand führt Gespräche mit der PDS und den Kräften, die sich der Europäischen Antikapitalistischen Linken (EAL) verbunden fühlen. Darüber wird auf der nächsten PV-Tagung informiert. Der Parteivorstand bereitet im Herbst formelle Schritte konkret vor.“[51]

Informiert wird also auf der PV-Tagung und der Vorstand bereitet Schritte vor. (Warum soll auch das Parteileben demokratisch sein, Hauptsache die Sozialismusvorstellungen sind es...)

Am 9. August tagten die „Freundinnen und Freunde der EAL in Deutschland“ zum zweiten Mal. Es wurde der „Grundkonsens“ angenommen, man diskutierte das „Eckpunktepapier“ und die Form der Wahlbeteiligung – alles unter Beteiligung der DKP. Die „Vorbereitungsgruppe“ überarbeitet das „Eckpunktepapier“ – alle beteiligten Gruppen haben einen Vertreter in der „Vorbereitungsgruppe“, also auch die DKP. Über all das gab es kein Wort zu lesen in den Parteiorganen.

Am 12. September brachte die UZ dann den Redebeitrag von Leo Mayer, in dem er die Notwendigkeit einer europäischen Linkspartei versucht zu begründen und die EAL aus dem Hut zaubert. Auffällig ist: Die Parteiführung hält sich weiterhin aus allem heraus. Das ist ein Seminarbeitrag eines einzelnen Genossen, Untertitel des Vorspanns: „Wir veröffentlichen seine Thesen im Wortlaut.“[52]

Dieser Artikel von Leo Mayer strotz vor Ungereimtheiten. Ihn hier einer ausführlichen Kritik zu unterziehen sprengt den Rahmen. Deshalb in aller Kürze hier nur so viel: Nach Leo Mayer sind die neue soziale Bewegungen und die Arbeiterbewegung gleichrangig, gibt es viele Zugänge zum Sozialismus, brauchen wir eine erneuerte Arbeiterbewegung im Bündnis mit den sozialen Bewegungen, ist eine entscheidende Frage die Schaffung einer alternativen linken Kraft in Europa, muss diese Teil der sozialen Bewegungen und gleichzeitig ihr Partner sein. Und das ganze muss pluralistisch sein und Kräfte und Ströme aus verschiedenen Richtungen und Traditionen zusammenschließen.

Leo Mayer manipuliert er an zwei Stellen: erstens übertreibt er den antikapitalistischen Charakter der EAL, indem er ihr nachsagt: „Ihr Ziel ist eine Gesellschaft, die nicht nach dem Prinzip des Profits, sondern nach dem der gesellschaftlichen Bedürfnisse funktioniert, und eine sozialistische Demokratie auf Grundlage des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln. (Hervorhebung d.V.)“[53] Nach der Eigentumsfrage – und vor allem nach ihrer Beantwortung – sucht man in den Verlautbarungen der EAL vergebens. Wie Leo Mayer darauf kommt, dass das Ziel der EAL „eine sozialistische Demokratie auf Grundlage des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln“ sei, lässt sich zwar vermuten, denn es wird darum gehen, der Mitgliedschaft die EAL schmackhaft zu machen, aber wir wissen es nicht.

Und zweitens unterschlägt er Mitgliedsorganisationen der EAL. Er nennt nicht den portugiesischen Linksblock, die Socialist Workers Party und die Socialist Party aus England, die Socialist Party aus Irland, Espacio alternativo aus Spanien und Synaspismos aus Griechenland.

Nicht uninteressant ist in diesem Zusammenhang, dass der Vorsitzende von Synaspismos sich am 11. September in Berlin mit dem PDS-Vorsitzenden Lothar Bisky traf. „Der Bedarf für eine europäische Linkspartei im Rahmen des Europäischen Parlaments liegt für die beiden politischen Freunde auf der Hand“[54], berichtete das Neue Deutschland. Es gehe darum, „eine Alternative zum neoliberalen Zeitgeist in der EU wählbar zu machen“, so Bisky.

Aber zurück zum Artikel von Leo Mayer: Er verliert natürlich kein Wort über den Stand der EAL-Konstituierung in Deutschland und vor allem nicht über die hier beteiligten Organisationen. Da heißt es nur: „Die DKP will ihren Beitrag zur Entwicklung einer marxistischen Linken in Europa leisten. Deshalb beteiligen wir uns auch aktiv an den Gesprächen und Initiativen der Freunde der EAL in Deutschland.“[55]

Wie sehr die DKP-Führung bewusst hinter dem Rücken der eigenen Mitgliedschaft, ja sogar des Parteivorstandes operiert, beschreibt Genosse Patrik Köbele, Vorsitzender des Bezirks Ruhr-Westfalen sehr deutlich wie anschaulich in seinem Redebeitrag auf der 4. Parteivorstandstagung der DKP (2003): „Dabei ist zu wenig, wenn Genosse Hugo Braun vor einiger Zeit einmal das Stichwort ‚Europäische Linkspartei’ benennt. Es ist zu wenig, wenn in Leos (gemeint ist Leo Meyer, d. Autoren) Artkel endlich auch vor der Parteibasis einmal das Stichwort EAL auftaucht, an der wir uns beteiligen, weil wir ‚einen (bescheidenen Beitrag zur Formierung einer alternativen Linken in Europa leisten’. Es ist zu wenig, wenn man bedenkt, dass bis zur letzten PV-Tagung die Abkürzung EAL im PV noch nie gefallen war. Keiner wusste, dass Leo (Meyer, d. Autoren) und Hugo (Braun, d. Autoren) dort mitarbeiten. Weder der PV noch gar die Gesamtpartei hatten sich bis dato einmal damit befasst. Es ist zu wenig für die Partei, denn gleichzeitig schreibt Leo in der SoZ, dass das Projekt EAL über die Europawahlen hinaus weist. ‚Es ist ein Projekt von strategischer Bedeutung’ Und das, wo der PV bei seiner letzten Tagung darüber informiert wurde, dass es sich ja lediglich um ein Personenbündnis handele.“[56] 

Man durfte gespannt sein, in welcher Art und in welchen weiteren Etappen die DKP-Führung die Katze aus dem Sack lassen würde. Auf irgendeine Weise muss ja die bisherige kritische Stellung dem Trotzkismus gegenüber revidiert werden, denn auf ewig wird man den Charakter der Bündnispartner nicht verschweigen können. Und man darf auch gespannt sein, wie der Versuch aussehen wird, die „bösen“ Kräfte der „stärker `identitär` ausgerichteten Strömung“ bzw. des „orthodoxen Flügels“ klein zu machen oder wenigstens ruhig zu stellen.

Am 26.9.03 brachte die UZ einen weiteren Artikel zum Thema EAL – diesmal von Günter Pohl. Nach Dieser Artikels gibt Antworten auf einige der eben aufgeworfenen Fragen.

Was sagt die DKP-Führung über die EAL?

„Die Krise der `alten´ Linken, deren tatsächliche Ursachen vor allem in tiefgreifenden Veränderungen der Sozialstruktur in den entwickelten kapitalistischen Ländern liegen, bedeutet keineswegs das Verschwinden der Linken. Vielmehr ist in vielen Ländern Europas ein Prozess der Neuformierung in Gang gekommen.“ Nun werden einige Beispiele aufgezählt wie etwa Rifondazione Comunista aus Italien, die Socialist Alliances aus Großbritannien, Bloco de Esquerda aus Portugal, die Rot-Grüne Einheitsliste aus Dänemark usw. Und dann heißt es weiter: „Als europaweites Netzwerk solcher Organisationen existiert heute die Europäische Antikapitalistische Linke (EAL). Diesem Verbund liegt die Erfahrung zugrunde, dass jenseits historischer Spaltungslinien den zentralen Herausforderungen der Gegenwart mit der Herausbildung eines neuen Profils begegnet werden muss.“ Alte „Spaltungslinien“ müssen also überwunden werden. Denn „jenseits“ davon liegt das neue „Profil“. Um welche inhaltlichen Fragen es dabei gehen soll, bzw. welche inhaltlichen Differenzen nun nicht mehr als solche bezeichnet werden sollen, bleibt leider im Dunkeln. Dass aber alles „neu“ werden muss im Prozess der EAL, das scheint klar, denn an anderer Stelle des Artikels heißt es nochmals zu diesem Thema, „dass der Prozess der Umgruppierung der Linken erst am Anfang steht,“ und „dass die Gemeinsamkeiten und Differenzen in diesem Prozess in vieler Hinsicht quer zu den historischen `Identitäten´ liegen.“[57] 

Das ist starker Tobak: Die Krise, in der die Arbeiterbewegung und die kommunistische Bewegung zur Zeit stecken, ist nicht Resultat der Konterrevolution in Europa, nein, „deren tatsächliche Ursachen (liegen) vor allem in tiefgreifenden Veränderungen der Sozialstruktur in den entwickelten kapitalistischen Ländern“, die Lösung des Problems liegt in einem „neuen Profil“ - „jenseits historischer Spaltungslinien“ und „quer zu den historischen Identitäten.“ Da nicht konkreter gesagt wir, um welche Inhalte es sich handelt, darf munter darüber spekuliert werden, welche Identitäten und welche Spaltungslinien denn gemeint sein könnten. Im allgemeinen meinen Revisionisten mit solchen Floskeln die marxistisch-leninistische Identität und die Abgrenzung der kommunistischen Bewegung vom Reformismus und Revisionismus. Und natürlich sagen sie nie offen, dass sie das meinen.

Wie versucht die DKP-Führung, die eigene Parteibasis auf die EAL vorzubereiten?

Dass ziemlich sicher nichts anderes gemeint ist als eben angedeutet, zeigt die Passage des Artikels über europäische kommunistische Parteien, von denen man mit Fug und Recht behaupten kann, dass sie sich als nicht-revisionistische verstehen: „Traditionell-`orthodoxe` kommunistische Parteien haben sich als mobilisierungsfähige Gegenkräfte nur in wenigen Ländern der Peripherie Europas halten können, sprich: in Griechenland und Portugal, wo der Zerfall der alten sozialen Milieus, der etwa in Frankreich in den 80er Jahren der kommunistischen Partei mehr und mehr die Basis entzog, noch nicht so weit fortgeschritten ist.“[58] Nachdem so z.B. die PCP und die KKE abgefertigt wurden, ist nun die eigene Parteibasis dran. Schließlich ist sie ja darauf vorzubereiten, sich mit Trotzkisten und Sozialdemokraten einzulassen. Also heißt es, nachdem dargelegt wurde, dass die Differenzen früher „vor allem auf verschiedenen Einschätzungen des im Gefolge der Oktoberrevolution entstandenen Gesellschaftstyps“ beruhten: „Wer aber heute daran festhält, die eigenen `Identität` an Fragen zu bestimmen, die sich auf ein abgeschlossenes Kapitel der Geschichte beziehen, verstellt sich den Zugang zu den tiefgreifenden Veränderungen, die der Kapitalismus heute, nach dem Ende seines `fordistischen` und `sozialpartnerschaftlichen` Regulationszyklus, durchläuft.“[59] Wenige Zeilen später werden „Linksruck“ und „SAV“ als „kleine, aber agile Organisationen“ gelobt, gleichzeitig wird aber - nach bewährtem Muster - ihre inhaltliche Ausrichtung mit keinem Wort erwähnt. Und gegen Ende des Artikels wird deutlich gemacht, dass die Kräfte der Linken in Deutschland „aus ihren ideologischen Ghettos heraustreten“ müssen. „Das setzt bei allen Beteiligten die Bereitschaft zum Wandel und zum Dazulernen voraus.“ Wer also an Lenin festhält, will nichts lernen und befindet sich im ideologischen Ghetto. Man muss sich das man vorstellen: a) die Erfahrungen der Geschichte des Sozialismus brauchen wir nicht mehr, das ist ein „abgeschlossenes Kapitel (Hervorhebung: d.V.) der Geschichte“, b) Theorie, Wissen, Wahrheit wird als Ghetto, als eine Art Gefängnis dargestellt, c) das Über-Bord-Werfen des Marxismus-Leninismus heißt neuerdings „Dazulernen“ und dann gibt es auch gleich ein Beispiel, wie dieses „Dazulernen“ aussieht: d) „im Gefolge der Oktoberrevolution“ entstand ein „Gesellschaftstyp“ – dass das Sozialismus war, sagen wir lieber nicht. Sonst streiten wir uns nachher wieder.

Allerdings hält die DKP-Führung die Fähigkeit ihrer Mitgliedschaft, im besagten Sinne „dazu zu lernen“ offensichtlich für etwas begrenzt, denn es reicht ihr nicht, über die EAL nur insofern die Unwahrheit zu verbreiten, als sie die Ziele der Bündnispartner verschweigt, nein, auch im UZ-Artikel vom 26.9. wird das antikapitalistische „Profil“ der EAL falsch – nämlich übertrieben – dargestellt. Leo Mayer hatte ja schon in seinem Artikel davon fabuliert, dass das „gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln“ eine Forderung der EAL sei. Günter Pohl schreibt nun: „Die Frage der Eigentums- und Machtverhältnisse wird als Kardinalfrage angesehen.“[60]

Das stimmt einfach nicht. Wir haben nochmals alle Verlautbarungen der EAL durchgesehen[61]. Man findet dort nur folgendes über die strategische Zielsetzung der EAL: „Die neoliberale Dynamik wird sich nicht durch kleine Einzelmaßnahmen ändern lassen, denn sie ist zu einem System geworden. (Was ist hier das System? Der Kapitalismus/Imperialismus? Nein! Die „neoliberale Dynamik“!) Die Prioritäten müssen radikal umgekehrt werden. Die sozialen Bedürfnisse der Massen der Bevölkerung müssen Vorrang vor den Profiten des Großkapitals bekommen.“ (...was ja nicht heißt, dass das Großkapital keine Profite mehr machen soll – ganz zu schweigen davon, dass das Großkapital enteignet würde, es soll nur mehr Sozialleistungen zulassen...) Und im „Alternativprogramm“ heißt es: „Volle und stabile Beschäftigung, anständiger Lohn, tragbarer Lohnersatzbezug für alle Männer und Frauen, radikale Arbeitszeitverkürzung ohne Lohneinbuße mit Neueinstellungen, Recht auf Wohnung, Bildung, Ausbildung, Gesundheitsversorgung sowie Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln“[62] Ein klassisches Programm der Sozialstaatsillusionen. Die Erklärung der Konferenz von Kopenhagen sagt dazu: „Das schließt alle notwendigen Maßnahmen ein, auch Eingriffe in das Privateigentum.“[63] „Eingriffe“ in das Privateigentum sind nicht identisch mit seiner Aufhebung.

„Gesellschaftliches Eigentum an den Produktionsmitteln“ und „Eigentums- und Machtverhältnisse“ als „Kardinalfrage“ können wir bei aller Bemühung in den Papieren der EAL nicht als ein strategisches Ziel entdecken. Es geht der EAL nicht um den Sturz des Kapitalismus, sondern um den „Sturz der neoliberalen Politik“[64]

Fazit:

-         Von der Parteiführung der DKP wird die EAL schöngeredet.

-         Von der Parteiführung der DKP werden nur ausgewählte Informationen und auch diese nur häppchenweise an die Parteimitglieder weitergegeben.

-         Von der Parteiführung der DKP werden sowohl der Charakter der Bündnispartner innerhalb der EAL als auch deren politische Ziele gegenüber den Parteimitgliedern verschwiegen.

-         Von der Parteiführung der DKP wird den Parteimitgliedern als Vorbereitung auf das Schlucken der Kröte die Abkehr vom Marxismus-Leninismus verordnet; sie nennt das allerdings etwas anders: Da wird „Dazulernen“ verordnet, ebenso das Verlassen „des ideologischen Ghettos“ (man muss sich mal vorstellen, als was diese Leute ihre eigene Partei bzw. deren Geschichte bezeichnen!!!), denn „jenseits historischer Spaltungslinien“ müssten jetzt alle „Bereitschaft zum Wandel“ zeigen.

-         Und aufgemerkt: Von der Parteiführung der DKP wird etwaigen Kritikern schon jetzt vorgeworfen, sich abkapseln zu wollen. Die DKP müsse selbstverständlich in den sozialen Bewegungen mitarbeiten und in diese hineinwirken. Und mal so eben unter der Hand wird hier die EAL (also eine Parteibildung mit wahlpolitischer Zielstellung) mit sozialen Bewegungen gleichgesetzt. Tatsächlich aber sind die Mitarbeit in sozialen Bewegungen sowie Teilnahme an den daraus entstehenden Kämpfen und eine „strategische“ Orientierung (siehe nächster Absatz; d.Red.) auf die Zusammenarbeit mit Trotzkisten und Revisionisten in einer Partei zwei völlig verschiedene Paar Schuhe.

Was ist für die Zukunft geplant?

Leider ist das Ganze kein Scherz oder irgend ein Nebenschauplatz der DKP-Politik. Ganz im Gegenteil: Leo Mayer ließ in seinem Artikel in der September-Ausgabe 2003 der SoZ folgendes wissen: „Unser Projekt (er meint die EAL bzw. die „Freundinnen und Freunde der EAL in Deutschland“; d.V.) weist über die Wahlen hinaus. Es ist ein Projekt mit strategischem Charakter. (Hervorhebung: d.V.)“[65]

Dementsprechend hat der DKP-Parteivorstand auf seiner 4. Tagung am 27./28. September 2003 in Essen beschlossen, dass er „derzeit keine Möglichkeit (sieht), bis zum Jahresende und damit rechtzeitig zur Diskussion in der Partei vor dem 17. Parteitag einen Programmentwurf vorzuschlagen.“[66] Stattdessen wird das Sekretariat beauftragt, „den Entwurf einer politischen Grundsatzerklärung der DKP vorzulegen, in der die Aufgaben der Partei angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen und der sich verändernden Aktionsbedingungen bestimmt, Grundforderungen der DKP gestellt und gesellschaftliche Alternativen aufgezeigt werden.“[67]

Ein Schelm, der Böses dabei denkt: Lieber kein Programm, in dem eventuell noch Spuren der „mehr identitär“ ausgerichteten oder gar sich dem „orthodoxen Flügel“ zugehörig fühlenden Genossinnen und Genossen zu finden sein könnten, dann doch lieber eine von der Führung selbstgebastelte politische Erklärung, die die „Aufgaben der Partei angesichts ... der sich verändernden Aktionsbedingungen bestimmt“. Dreimal darf man raten, welche das wohl sein werden. Leo Mayer hat die strategische Richtung ja schon angegeben.

Die Weichenstellung, die da hinter dem Rücken der DKP-Mitglieder oder zumindest an ihnen vorbei vorbereitet wird, nämlich die organisatorische und ideologisch-politische Orientierung auf die EAL ist nicht irgendwas, sondern eine Entscheidung, die eine kommunistische Partei grundsätzlich ins Wanken bringen kann – und angesichts der Situation der DKP die Gefahr in sich birgt, die Partei restlos zu zerstören.

                                                                              Michael Opperskalski, Köln / Frank Flegel, Hannover

Anhang: Redebeitrag von Patrik Köbele auf der 4. Parteivorstands-tagung der DKP (1)

Liebe Genossinnen und Genossen, in der UZ vom 12. September veröffentlicht Leo Mayer (2) seine Thesen, die er am 16. August beim Ammersee-Seminar der DKP-Südbayern vorgestellt hatte. Ich halte diese Thesen für ein wichtiges Dokument, das helfen kann unseren Meinungsstreit zu versachlichen. Aus meiner Sicht haben sie eine große Bedeutung, weil sie die Position eines Genossen, der in unserem Meinungsstreit exponiert ist, auf den Punkt bringen. Leo charakterisiert darin die Entwicklung der neuen Bewegung gegen den Neoliberalismus, die kapitalistische Globalisierung und den imperialistischen Krieg. Er definiert seine Sicht auf das Verhältnis zwischen ihr und der Arbeiterbewegung, die, wie er sagt durch "die globale Bewegung" stimuliert werden kann. "Umgekehrt braucht diese Bewegung auch die organisierte Kraft der Arbeiterbewegung für die Schaffung einer sozialen und politischen Alternative. Mit der Sozialforumsbewegung entsteht die gemeinsame Klammer für die weltweite Opposition gegen die zerstörerischen Auswirkungen des Neoliberalismus." Die "strategische Bedeutung" sieht Leo "vor allem auch vor dem Hintergrund, dass heute die Frage der Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft nur im Weltmaßstab gestellt werden kann.“ (3)

Ich denke, hier werden die Dinge rund, zu einem in sich logischen einheitlichen Ganzen:

Da haben wir erstens die neue Imperialismusanalyse, in der von einem "gemeinsamen Klasseninteresse des transnationalen Monopolkapitals", als des "strukturbestimmenden Kapitalverhältnis des heutigen Kapitalismus gesprochen wird.“ (4) Dies führt wiederum zu einem "militärischen Gesamtdienstleister USA", auf den insbesondere das ökonomische Schwergewicht Deutschland angewiesen ist. (5) "Die kapitalistische Globalisierung schädigt so viele Menschen und Schichten auf so unterschiedliche Weise rund um den Globus, dass sich auch der Widerstand globalisiert.“ (6) Deshalb "wird auch der nächste Versuch des Bruchs mit dem Kapitalismus und der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaftsordnung ein Projekt unterschiedlicher politischer, weltanschaulicher und sozialer Kräfte sein, in der die arbeitenden Klasse und ihre Organisationen die wichtigste Kraft –aber nicht die einzige- sein werden“ (7) Das heißt, Leo´s Position ist: wir haben es mit einer neuen Situation zu tun, die nur noch einen Ausbruchsversuch im Weltmaßstab zulässt. Wir haben es damit zu tun, dass das revolutionäre Subjekt nicht mehr die Klasse ist, die im Bündnis mit anderen, diesen Ausbruchsversuch startet, sondern wir haben es mit einem Subjekt zu tun, das selbst ein Bündnis ist und in dem die Klasse noch die wichtigste Kraft ist.

Wenn dem so wäre, dann wäre es allerdings folgerichtig auch über eine veränderte Konzeption der DKP nachzudenken, denn die Formulierung "Partei der Arbeiterklasse" ergab und ergibt sich ja nicht aus Blaumannromantik, sondern aus der Einschätzung der Arbeiterklasse als revolutionärem Subjekt.

Hier sei ein kleiner Einschub erlaubt: "Partei der Arbeiterklasse", wie wir es in vielen Dokumenten benutzen, ist Anspruch an sich selbst nicht Postulat. Wenn es aber gelingen sollte diesen Anspruch zu verwirklichen und nur eine Organisation, die die wissenschaftliche Weltanschauung der Ideen von Marx, Engels und Lenin trägt, hat die Chance dazu, dann ist diese Partei tatsächlich "eine geschichtsphilosophisch prädestinierte Zentralinstanz der Linken, an der die Kräfte des Fortschritts (wenn sie konsequent sind) sich auszurichten haben", wie ein Genosse etwas despektierlich und abfällig die Position von Hans Heinz Holz charakterisiert.

Wie gesagt, ich spreche Gedanken, die auf Basis einer anderen Analyse des Imperialismus und der Gegenkräfte auch zu anderen Überlegungen hinsichtlich der Konzeption der Partei kommen, nicht eine innere Logik ab. Ich denke allerdings, dass die Partei, die Kreise Gruppen und Mitglieder das Recht haben reinen Wein eingeschenkt zu bekommen und sich selbst eine Meinung zu bilden.

Dabei ist es zu wenig, wenn Genosse Hugo Braun vor einiger Zeit in der UZ einmal das Stichwort "Europäische Linkspartei" benennt. Es ist zu wenig, wenn in Leos Artikel endlich auch vor der Parteibasis einmal das Stichwort EAL auftaucht, an der wir uns beteiligen weil wir "einen (bescheidenen) Beitrag zur Formierung einer alternativen Linken in Europa leisten.“ (8) Es ist zu wenig, wenn man bedenkt, dass bis zur letzten PV-Tagung die Abkürzung EAL im PV noch nie gefallen war. Keiner wusste, dass Leo und Hugo dort mitarbeiten. Weder der PV noch gar die Gesamtpartei hatten sich bis dato einmal damit befasst. Es ist zu wenig Transparenz für die Partei, denn gleichzeitig schreibt Leo in der SoZ, dass das Projekt EAL über die Europawahlen hinaus weist: "Es ist ein Projekt von strategischer Bedeutung.“ (9). Und das, wo der PV bei seiner letzten Tagung darüber informiert wurde, dass es sich ja lediglich um ein Personenbündnis handle.

Ich fürchte, dass es sich vielmehr so verhält, wie Genosse Henning Böke, dessen Artikel zur EAL jetzt in der UZ abgedruckt ist, es in seinem Begleitbrief zu diesem Artikel an UZ und PV formuliert: " Heute ist es aber so, dass große Teile der Linken überhaupt nicht "parteiförmig" strukturiert sind. Linke "Identitäten" bilden sich heute kaum an "parteiprogrammartigen" Doktrinen. Alle wichtigen Diskussionen in der Linken haben sich spätestens seit 1990 unabhängig von Parteipositionen entwickelt, oft liefen Fronten sogar quer durch alte Organisationszusammenhänge. Es gab also eine Phase, wo die Krise der "Programmlinken" zur Verlagerung der Aktivitäten der Linken in Teilbereiche geführt hat. (...) Weder wir als DKP noch die anderen marxistischen Organisationen werden alleine in der Lage sein, diese Aufgabe zu bewältigen, und das wird auch nicht durch eine Addition bestehender Organisationen zu leisten sein.“ (10) Das ist sowohl eine andere Parteikonzeption, als auch eine Erklärung, warum möglicherweise Teile unserer Partei an der Erarbeitung eines Programms plötzlich so wenig Interesse haben.

Meine These lautet also, unser Problem mit dem Text der Autorengruppe Dürrbeck, Seppmann, Holz zu einem Programmentwurf zu kommen, liegt nicht daran, dass dieser Entwurf nicht durch die Gesamtpartei auf die Höhe der aktuellen kommunistischen Diskussion zu bringen wäre. Dies habe ich ja auch formuliert, als ich schrieb: "Der Entwurf ist aus meiner Sicht zwar sicherlich ein Papier, das den Kompromiss sucht aber keineswegs ein Kompromisspapier oder gar ein Papier nach dem Motto "Keinem Wohl und keinem Weh". Ich halte es unter den gegebenen Voraussetzungen, einer weltweiten Diskussion derjenigen, die sich auf Marx, Engels und Lenin beziehen, für außerordentlich qualifiziert.“ (11) Ich glaube vielmehr, dass die Ursache für unsere Probleme darin liegen, dass sich in unserer Partei bewusst oder unbewusst unterschiedliche Parteikonzeptionen herauszubilden begonnen haben.

Dies kann aber nur durch eine offene transparente Diskussion der gesamten Partei diskutiert und letztendlich entschieden werden. Und dazu brauchen wir die Diskussion eines Programms. Eine Erklärung reicht da nicht. Vor allem, wenn gleichzeitig dieser Diskussionsprozess alles andere als gleichberechtigt geführt wird, wie es die UZ regelmäßig und die Homepage des PV immer belegen. Und natürlich geht es dabei auch um die Frage, mit wem wir denn die Zusammenarbeit oder mehr suchen. Bei den Treffen der Freunde der EAL handelte es sich, wenn ich es richtig sehe, mit Ausnahme von DKP und Geraer Dialog der PDS um trotzkistische Gruppen bzw. Persönlichkeiten, die aus diesem Spektrum kommen. Einige Organisationen wie der Linksruck sind dabei für mich von Inhalten, Struktur und Abhängigkeiten her suspekt. Hier lohnt es sich durchaus mit den Genossinnen und Genossen der SDAJ einmal über ihre Erfahrungen zu sprechen.

Grundsätzlich inhaltlich möchte ich anmerken, dass ich den Trotzkismus keineswegs für durch `89 nachträglich legitimiert halte. Die Haltung zumindest einiger Organisationen zu Kuba ist für mich nach wie vor skandalös. Auf jeden Fall sehe ich keine Veranlassung unsere grundsätzlichen, inhaltlichen Positionen in Richtung trotzkistischer Positionen zu öffnen. Dies schließt natürlich eine Zusammenarbeit in Bündnissen nicht, etwaige organisatorische Überlegungen aber sehr wohl aus.

Darüber kann man sicher streiten, einen für die Partei nicht transparenten Diskussionsprozess werde ich mich aber entgegenstellen. Das heißt auch, dass ich Aussagen, wie sie Genosse Böke macht, scharf verurteile, wenn er in seinem Begleitbrief zum UZ-Artikel schreibt: "Es wird unter vielen älteren GenossInnen sicher Verständnisschwierigkeiten geben, wieso man statt `Aktionseinheit mit Sozialdemokraten´ jetzt auf einmal mit Kräften zusammenarbeiten soll, die man früher als gegnerisch eingeschätzt hat, aber die meisten, die aus Gewohnheit das tun, was die Parteiführung sagt, werden letztlich mitziehen.“ (12) Ich hoffe und denke, hier werden viele nicht mitziehen – Alte und Junge – Ich auch nicht !!

                                                                                                                                                Patrik Köbele

 

1) Quelle: www.kommunisten-online.de/Kommunisten/dkp_pv.htm. Patrik Köbele ist Vorsitzender des DKP-Bezirks Ruhr-Westfalen

2) Leo Mayer ist Mitglied des DKP-Parteivorstandes und Sprecher der Münchner DKP

3) UZ vom 12.9.03, Seite 9

4) Marxistische Blätter 5-03, Seite 26 ff.

5) UZ vom 4.7.03, Seite 15

6) UZ vom 12.9.03, Seite 9

7) UZ vom 12.9.03, Seite 9

8) UZ vom 12.9.03, Seite 9

9) SoZ, September 2003, Seite 12

10) Brief an die UZ, E-Mail vom 1.9.2003

11) Patrik Köbele, Brief an den PV vom 7.9.03

12) Brief an die UZ, E-Mail vom 1.9.2003

Kommunistische Partei heute

Ingo Wagner: Für die Rekonstruktion der deutschen marxistischen Linken ist Lenins Parteitheorie weitergedacht unabdingbar! Positionsbestimmungen [Thesen (Probleme, Vorschläge)] – Teil 2

In vier Abschnitten: Methodologisches/Theoretisches, PDS-Desaster, Partei-Notwendigkeit, Lenins Parteitheorie heute

(Im Juli-August-Heft brachten wir den ersten Teil des Artikels von Ingo Wagner, die ersten beiden Abschnitte, hier nun die beiden weiteren Abschnitte als Teil 2; d.Red.)

Der Ruf nach einer revolutionären massenwirksamen marxistischen Partei!

3. Angesichts einer solchen Lage in der PDS ist es keinesfalls verwunderlich, daß sich mit der Entfesselung des modernen Kapitalismus jüngst verstärkt Stimmen zu Wort melden, die fordern, eine massenwirksame marxistische Partei zu schaffen. Aus der Fülle solcher Forderungen sei eine Meinung angeführt, die als Denk-Zettel im ND (21.09.2001) stand: „Deutschland braucht eine revolutionäre demokratische marxist(ische)-leninist(ische) Volkspartei, links von der PDS! Sozialisten einigt euch! Effi.“ Einverstanden! All solche Auffassungen kann man so auf den Punkt bringen: Eine marxistische Partei in Deutschland ist historisch notwendig. Klaus Steiniger meint zum Beispiel: „Im imperialistischen Deutschland ist die Schaffung einer stärkeren, größeren und einheitlichen Partei aus Kommunisten und Sozialisten, die auf dem Boden des Marxismus-Leninismus steht, eine strategische Aufgabe, ein historischer Imperativ.“[68] Im RotFuchs wird seit Jahr und Tag für eine solche Partei plädiert, die - wie Dieter Itzerott prononciert anmahnt - „die besten Erfahrungen aus Ost und West in sich aufnimmt.“[69] Und Michael Opperskalski plädiert für die kommunistische Bewegung in der Bundesrepublik dafür, „eine ‚neue Legierung’ aus dem Erfahrungsschatz von Genossinnen und Genossen zu schmieden, die, sofern sie aus der DDR kommen, die Erfahrung der Machtausübung mitbringen oder, sofern sie aus der (alten) BRD stammen, Erfahrungen im Klassenkampf gegen eine der erfahrendsten imperialistischen Bourgeoisien gesammelt haben.“[70]

3.1. Die Lage in der kommunistischen Bewegung in Deutschland ist gleichfalls mehr als besorgniserregend. Mit dem Sieg der Konterrevolution hat sich eine fast tödliche Krise für den Kommunismus eingestellt. Dies verdeutlichte auch „Das Parteinheft“ in Offensiv sowie die zu diesem Heft geführte Diskussion.[71] Richtig ist, „daß es derzeit in Deutschland KEINE einheitliche, marxistisch-leninistische kommunistische Partei gibt. Es gibt in der BRD eine Reihe von Parteien und Organisationen mit kommunistischem Anspruch. Sie alle haben ihre eigene Tradition, ihren eigenen Erfahrungshorizont und somit auch derzeit ihre eigene ‚Existenzberechtigung’.“[72] Ohne hier auf weitere Analyse und Bewertung einzugehen, sei parenthetisch nur angemerkt: Die DKP, die gegenwärtig um ihre programmatische Positionierung ringt, ist völlig überaltert; sie ist nicht in der Lage flächendeckend zu arbeiten, wird in der Öffentlichkeit nicht wirklich wahrgenommen und ist bündnispolitisch weitgehend isoliert. Und die ideologische Situation ist unbefriedigend, was sich auch darin zeigt, daß es ihr auch mit ihrer programmatischen Debatte noch nicht ausreichend gelungen ist, aus den Erfahrungen zweier gesellschaftlicher Systeme auf deutschem Boden zu lernen und einen theoretisch-strategischen Plan zu entwickeln, wie denn aus der gegenwärtigen Lage zum Sozialismus vorzustoßen sei.[73] Die KPD verbindet ihre programmatische Positionierung mit der Hauptaufgabe zur Überwindung des Revisionismus; das soll „die Entlarvung der imperialistischen-revisionistischen Lügen über das politische Wirken J. W. Stalins“ sein.[74] Und die MLPD erhebt mit ihrem im Dezember 1999 angenommenen Programm „den allgemeinen Anspruch, die marxistisch-leninistische Partei neuen Typs programmatisch auszurichten und insbesondere der Arbeiterklasse und den breiten Massen aufzuzeigen, welche Schlußfolgerungen die MLPD aus der Geschichte der internationalen marxistisch-leninistischen und Arbeiterbewegung zieht.“[75] Es gibt also Zersplitterung der kommunistischen Kräfte, Konfusion und in erheblichen Positionen Meinungsverschiedenheiten - alles Fragen, die in concreto besonderer Überlegungen bedürfen.

3.2. Für eine wirklich marxistische Massenpartei gibt es allerdings noch keine realen Bedingungen. Gegenwärtig fehlen offenkundig die Voraussetzungen für die Schaffung einer solchen Massenpartei. Man kann eine solche Partei deshalb auch nicht willkürlich „gründen“. Wolfgang Abendroth meinte zu Beginn der Achtzigerjahre, daß eine solche Partei „nur in bestimmten Situationen entstehen (kann), wenn breite Schichten dank ihrer Erfahrungen in gesellschaftlichen Kämpfen sie wollen. Wann eine solche geschichtliche Situation ist, in der man sie massenwirksam konstituieren kann, kann niemand prognostizieren, weil sich das aus den konkreten Klassen-Auseinandersetzungen ergibt. Aber eben deshalb, weil sie nur aus realen Kämpfen bestehender Gruppen der deutschen Arbeiterklasse und Intelligenz-Schichten heraus entstehen könnte, kann man sie nicht gleichsam aus freiem Ermessen in freier Phantasie konstituieren.“[76] 

3.3. Richtig ist, daß die Schaffung einer großen revolutionären marxistischen Partei, die den Monopolen Paroli bieten könnte, kein Akt der Spontaneität und kurzer Zeiträume ist. Aber richtig ist auch, mit der historisch notwendigen langfristigen Gestaltungsformung einer solchen Partei bereits jetzt ideologisch, politisch-aktiv und theoretisch-programmatisch zu beginnen. Denn spontan wird sich eine wirklich marxistische Massenpartei niemals entwickeln. Obwohl man sie natürlich nicht am Reißbrett konstruieren kann: für einen geschichtlich überschaubaren Zeitraum scheint mir immerhin auch in einer nichtrevolutionären Zeit eine solche wenn auch kleine marxistische Partei möglich zu sein, die sich zunächst um Masseneinfluß bemüht.

3.4. Niemand weiß, wie sich die Rekonstruktion der marxistischen Linken in der BRD in praxi vollziehen wird. Generell gilt wohl, daß der Marxismus des 21. Jahrhunderts nur als Marxismus des subjektiven Geschichtsfaktors Erfolg haben kann. Und dies involviert: Ohne die Existenz und das theoretisch-ideologische und politische Wirken marxistischer Parteien ist dies - und damit zugleich die Chance für wirklich sozialistische Bestrebungen - nicht zu haben. Deshalb ist es auch in Deutschland notwendig, langfristig die historisch notwendige Gestaltungsformung eine massenwirksamen marxistischen Partei ins Visier zu nehmen.

3.5. Eine Grundvoraussetzung hierfür ist, daß die Marxisten aller Richtungen in der BRD über die Notwendigkeit eines solchen Ziels debattieren und die dafür erforderlichen Voraussetzungen diskutieren; und dies erfordert auch, „die Geduld miteinander“ nicht zu verlieren, bereit zu sein, „gegenseitige frühere Verengungsfehler zu respektieren und nicht zum Gegenstand permanenten Kampfes aller gegen alle zu machen“ (Abendroth). Im RotFuchs entwickelt seit einiger Zeit hierzu eine interessante und konstruktive Debatte, die in dieser Hinsicht wertvolle Anregungen und Vorschläge vermittelt, denen in anderen Zusammenhängen nachzugehen wäre.

3.6. Der Kulminationspunkt für eine längere Zeit hierbei ist, durch die Aktionseinheit aller antiimperialistischen Kräfte, von Kommunisten und Sozialisten, die diesbezüglichen Kräfte zu sammeln, zu schulen und politisch-aktiv zu formieren. Angesichts der vom heutigen Imperialismus ausgehenden Gefahren gehören hierzu auch die linken Sozialdemokraten sowie das Bündnis mit allen Antifaschisten, darunter jenen, die aus religiöser Ethik handeln. Es gibt viele hoffnungsvolle Signale: Treffen von linken Parteien und Organisationen, Verbänden und Mitgliedern von Vereinen zwecks Beförderung der Zusammenarbeit; rote Tische aus Vertretern verschiedener kommunistischer Organisationen und Einzelpersonen; Diskussionen zur Einheit der Kommunisten usw. In Leipzig hat sich z. B. eine kreative theoretisch-politische Zusammenarbeit zwischen Mitgliedern des marxistischen Forums, der DKP und des RotFuchs-Vereins entwickelt. Der „Marxistische Arbeitskreis zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung bei der Historischen Kommission beim Parteivorstand der PDS“ leistet seit Jahr und Tag als partei- und organisationsübergreifendes Gremium wertvolle wissenschaftlich-historische Arbeit im Sinne von Aktionseinheit. Der RotFuchs konnte sich zu einer Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland entwickeln, die allen, die mit seinem Förderverein übereinstimmen – er ist weder eine Partei noch eine Ersatzpartei – eine politische Heimat bieten. „Offensiv“ verteidigt demonstrativ den Marxismus-Leninismus und tritt unentwegt für die Zusammenarbeit linker Kräfte und die Bündelung des antiimperialistischen Kampfes ein. Hierzu gehört sicherlich auch der Vorschlag von Opperskalski und Frank Flegel, „daß alle Genossinnen und Genossen, die sich als Kommunisten fühlen, Kontakte, Vernetzungen, Zusammenarbeit, Austausch mit anderen Kommunisten über die jeweiligen Organisationsgrenzen hinweg vertiefen und ausbauen sollten und vor allem durch Bildung übergreifender Strukturen, Publikationsorgane, regelmäßige Koordinationstreffen usw. verfestigen sollten - und das auf allen Ebenen.“[77] Die Redaktion www.Kommunisten-online.de leistet in dieser Richtung als „NachrichtenKatalysator“ m. E. Beachtliches.

Für Lenins Parteitheorie heute

4. Die historisch notwendige Gestaltungsformung einer massenwirksamen marxistischen Partei in Deutschland involviert, sich auf Lenins Parteitheorie weitergedacht zu besinnen. Ich stimme vollkommen einer Grundaussage von Itzerott zu, wonach „Lenins Konzeption von der Partei neuen Typus ... epochalen Charakter (hat), sie aufzugeben, ist ein Verzicht auf die Realität unseres Zieles – die Errichtung des Sozialismus.“[78] Lenins diesbezügliche Aussagen sind unter den heutigen Bedingungen einer konterrevolutionären Restaurationsperiode keinesfalls überholt.

4.1. Die Leninsche Partei neuen Typus ist inhaltlich die Fortführung und Präzisierung der Parteitheorie von Marx und Engels in Abgrenzung gegenüber den alten, vom Revisionismus zersetzten Parteien, die mit Ausbruch des ersten Weltkrieges offen in das Lager der Bourgeoisie überliefen. Sie zeigt sich in folgenden Phänomen: a) Sie wurzelt im wissenschaftlichen Sozialismus: in der Lehre vom Klassenkampf sowie der „weltgeschichtlichen Rolle des Proletariats als des Schöpfers der sozialistischen Gesellschaft.“ (Lenin) b) Der theoretisch-strategische Rahmen dieses Paradigmas wird stets von den allgemeinen und spezifischen historischen Bedingungen des Klassenkampfes geprägt: c) Und hieraus ergeben sich allgemein Gültiges sowie Besonderes (der Organisation) des Parteilebens in verschiedenen konkreten historischen Bewegungen.

4.2. Die Aktivierung der Leninschen Parteitheorie weitergedacht für die historisch notwendige Gestaltungsformung einer massenwirksamen marxistischen Partei involviert auch, sich von deren Verformungen durch die regierenden kommunistischen Parteien im realen Sozialismus zu trennen. Die Preisgabe Leninscher Normen des Parteilebens als eine letztlich (subjektive) innere Hauptursache der Niederlage des europäischen Sozialismus insgesamt setzte in meinem Verständnis bereits in gewisser Weise lange vor Stalins Tod (1953) ein. Sie führte über die weitgehende Liquidation der innerparteilichen Demokratie zur Herrschaft des Apparates, schließlich zu der einer Person in Gestalt des Generalsekretärs über die Partei und zur Verflachung der marxistischen Theorie. Wer hier den Schnitt in die Zeit nach Stalins Tod verlagert und meint, daß die von Marx, Engels und Lenin ausgearbeitete Axiome einer revolutionären Partei „von Stalin voll entfaltet’ wurden“ (Ulrich Huar)[79], greift zu kurz. Diese Frage bedarf einer besonderen Darstellung, die hier nicht erfolgen kann. Der unmittelbare Anknüpfungspunkt ist also die originäre Leninsche Parteitheorie, was keinesfalls die schöpferische Nutzung und Verwertung progressiver Erfahrungen der Parteigeschichte im realen Sozialismus ausschließt.[80] Sie muß allerdings von den Deformationen der Vergangenheit befreit und gemäß den heutigen Bedingungen angewandt und weiterentwickelt werden.

4.3. In dieser Sicht diesbezügliche Grundsatzfragen zu diskutieren, ist vielleicht das Beste, was wir in der gegenwärtigen Situation über eine längere Zeit tun könnten. Hierbei wird allerdings eine Erfordernis relevant, das Steiniger so formulierte: „Angesichts wachsender faschistischer Gefahr stehen wir fester denn je zur Aktionseinheit von Kommunisten, Sozialisten und linken Sozialdemokraten, zum Bündnis mit allen Antifaschisten, darüber jenen, die aus religiöser Ethik handeln. Man sollte nicht jede politische Verschwommenheit durch das Vergrößerungsglas betrachten. Bei der Bestimmung von Weg und Ziel des Kampfes marxistischer Kräfte, in programmatischen Fragen, aber bedarf es mikroskopischer Schärfe.“[81]

4.4. Ausgehend von der Verwurzelung der Leninschen Parteitheorie im wissenschaftlichen Sozialismus ist dies für die Rekonstruktion der marxistischen Linken natürlich theoretisch-taktisch gemäß den gegenwärtigen Bedingung in concreto zu formieren. Denn es gilt – nach Lenin -, daß mit neuen geschichtlichen Wendungen „... im Marxismus als einer lebendigen Lehre jeweils verschiedene seiner Seiten in den Vordergrund treten.“[82] Die durch die Niederlage des Sozialismus in Europa und die internationale konterrevolutionäre Restauration des Imperialismus eingetretene historisch-konkrete Lage erfordert also, mittels dialektisch-materialistischer Analyse solche grundlegende taktisch-politische und auch theoretische „Axiome“ zu formieren, die als Maßstab die Gestaltungsformung einer künftigen massenwirksamen marxistischen Partei langfristig befördern könnten; die folgenden - einige, es gibt weitere – werden als Kulminationspunkte zur Diskussion gestellt:

4.5. In der BRD gibt es – ebenso wie in anderen hochentwickelten kapitalistischen Ländern – keine revolutionäre Situation. Notwendig ist – wie bereits postuliert - , eine „Sammlungsbewegung“ aller antiimperialistischen Kräfte als Aktionseinheit zu entwickeln, um eine breite Widerstandsbewegung gegen den Imperialismus entfalten zu können. Nur in diesem Konnex ist es möglich, eine neue Partei von Leninschem Typs herauszubilden; und zwar als Konkretisierung eines neuen kommunistischen Projekts. Eine solche Partei bleibt revolutionäre Vorhutpartei, wie sie bereits von Marx und Engels im Kommunistischen Manifest skizziert und von Lenin theoretisch und praktisch-politisch weitergeführt wurde. Ihre Gestaltungsformung verlangt allerdings, daß Sozialisten und Kommunisten in verschiedenen Organisationsformen und als Individuen ihre aus der Historie stammenden Differenzen in der praktisch-politischen Bewegung sozialistisch und kommunistisch überwinden. Aber dies involviert zugleich zwingend, sich konsequent vor allem mit dem theoretischen und praktischen Opportunismus (Revisionismus/Reformismus) -  aber auch mit dem Dogmatismus auseinanderzusetzen – verbunden mit der Fähigkeit, mit anderen Parteien und Formationen der Arbeiterbewegung in einen Dialog einzutreten und dabei ein Minimum an Toleranz zu praktizieren.[83] 

4.6. Jede programmatische Formung der Leninschen Parteitheorie heute hat von folgendem historisch-theoretischen Sachverhalt auszugehen: Trotz des „Epochebruchs“ 1989/90 - die Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus, die seit und mit dem Entstehen der modernen Arbeiterklasse einsetzte, und die mit der Oktoberrevolution auf den historisch-konkreten Begriff gebracht wurde – der Sozialismus begann zunächst als Staatsordnung historisch real zu existieren – geht weiter.[84] Beim Niedergang des Sozialismus in Europa handelt es sich um eine historisch zeiteilige Niederlage, die keinesfalls der Übergangsepoche ein jähes Ende setzte; eine Reihe von Ländern (China, Kuba, KDVR) halten trotz aller Schwierigkeiten an ihren sozialistischen Weg fest. Entscheidend aber ist, daß der Sozialismus in Form der materiellen Existenzbedingungen im Schoß der kapitalistischen Gesellschaft selbst ausgebrütet wird. Dieser Prozeß begann mit dem Kapitalismus der freien Konkurrenz; er war mit der Geburt des Imperialismus bereits direkt mit der historischen Genesis der Lehre von Marx und der Arbeiterbewegung sowie dem Schicksal der proletarischen Revolution verknüpft. Im Ergebnis des wissenschaftlich-technischen Fortschritts hat die damit verbundene gewaltige Vergesellschaftung der Produktion im Imperialismus heute nunmehr eine solche Qualität erreicht, die bereits eine kommunistische Produktionsweise als reale Möglichkeit involviert, deren Umsetzung allerdings an die Aufhebung der ökonomischen, politischen und ideologischen macht des Monopolkapitals als größten Barriere für den weltweiten gesellschaftlichen Fortschritt gebunden ist. Es gibt also einen Bestand solcher objektiver Bedingungen, die auch in der gegenwärtigen – wahrscheinlich längeren Schwäche der subjektiven Seite des Epochemaßes – dafür sprechen, daß der epochale Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus als objektiver Prozeß besonderer historischer Art weitergeht – obwohl heute zugleich der Imperialismus als Epoche fortgeführt wird, und zwar als ein historisch konterrevolutionärer Restaurationszeitraum in Korrelation mit der sogenannten Globalisierung vermittels neoliberaler Politik. Diese Epoche des modernen Imperialismus und der epochale Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus sind miteinander verklammert. Sie sind durch das Scharnier verbunden, das hinsichtlich des absterbenden Systems Imperialismus und hinsichtlich des neuen Systems Sozialismus als der ersten Stufe der Epoche des Kommunismus heißt.

4.7. Notwendig ist, „die offensive Verteidigung des marxistischen, revolutionären, eines wirklich auf die Umwälzung der kapitalistischen Wirtschaft zielenden Sozialismusbegriffs als aktuelle, praktisch und historisch bedeutsame Aufgabe an(zu)-sehen. Die sozialistische Idee und ihr theoretisches Konzept müssen in der Gesellschaft lebendig bleiben, damit das Volk, von der Geschichte in Bewegung gesetzt, wissen kann, was im entscheidenden Moment zu tun ist.“[85] Auch wenn in großen imperialistischen Zentren – ebenfalls in Deutschland – politisch sozialistische Umwälzungen nicht in Sicht sind, ist es nichtsdestotrotz unabdingbar, über den künftigen Sozialismus zu reden, sich von ihm bereits jetzt in theoretisches „Bild“ zu machen – ohne in Spekulation zu verfallen.[86] Nach dem Sieg der Konterrevolution ist es keine Paradoxie, den welthistorischen Übergang zum Kommunismus zu denken, da das Reifen der kommunistischen Zukunft der Menschheit im Schoße des modernen Kapitalismus als ein Prozeß sozialer Revolution rasch voranschreitet. Hans Heinz Holz meint folgerichtig: „Ohne ein Bild, das wir von den Schritten zum Sozialismus und vom Beginn seines Aufbaus entwerfen, werden wir keine Massen mobilisieren.“[87]

4.8. Eine marxistische Partei vom Leninschen Parteitypus heute muß selbstverständlich Willens sein, „am Ziel der revolutionären Veränderung der Gesellschaft festzuhalten und sich nicht vom bestehenden System in bloßen Reformen aufsaugen zu lassen; (und dies) erfordert eine Organisation, die die Dialektik von Reform und Revolution theoretisch begreift und praktisch bewältigt.“[88] Aber wie, wenn sozialistische Umwälzungen nicht in Sicht sind? In dieser Situation ist deshalb das unmittelbare Problem nicht die „Revolution“, sondern die Frage nach solchen radikaldemokratischen Reformen innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft, die historisch langfristig an den Übergang zum Sozialismus heranführen und ihn einleiten könnten – auch wenn gegenwärtig-aktuell es nicht die Zeit solcher Reformen ist. Meines Erachtens sind Eckpunkte hierfür die grundlegende Demokratisierung der Gesellschaft; ein Optima an ökologischer Nachhaltigkeit; eine bestmögliche Menschenrechtsverwirklichung; Gleichheit und Gerechtigkeit, in einer Intention, die auf den Ausbruch aus der kapitalistischen Gerechtigkeitsfalle orientiert; Eingriffe in das monopolistische Eigentum und auf dieser Grundlage Umformung der kapitalistischen Produktionsweise.[89] Der Machtergreifung durch die Arbeiterklasse wird also wahrscheinlich eine lange Periode solcher radikaldemokratischer Reformen vorausgehen, durch die dem kapitalistischen System durch evolutionäre Entwicklungen und revolutionäre Brüche in der Eigentumsstruktur und in den Machtverhältnissen grundlegende soziale und demokratische (Rechte) Fortschritte abgerungen werden. Dabei werden auch Momente eines künftigen Sozialismus offengelegt sowie soziale Gerechtigkeit und Gleichheit gefördert, die als sozialistische Werte auf eine nichtkapitalistische Zukunft verweisen. Dieser Sozialismus wird also nicht ohne eine mehr oder weniger lange, komplizierte Vorbereitungsperiode mit evolutionären und revolutionären „Zwischenstationen“ zu haben sein. Allerdings liegt davor zunächst eine Zeit erbitterter Abwehrschlachten, um den neoliberalen Sozialabbau aufzuhalten. Deshalb “ist als Lebenselixier linker Reformpolitik unabdingbar, das im Grundgesetz proklamierte Sozialstaatsprinzip, die der herrschenden Klasse abgerungenen sozialen Rechte zu verteidigen und um soziale Gerechtigkeit zu kämpfen. Nur so können breite Volksschichten für konsequente demokratische Reformen im Kapitalismus und für den Weg zum Sozialismus gewonnen werden.“[90] Dies geht über Rosa Luxemburgs Positionierung zu Reform und Revolution als zwei Momente in der Entwicklung der kapitalistischen Klassengesellschaft hinaus; denn im Imperialismus heute mit seiner enormen Vergesellschaftung der Produktion und einer ihm immanenten sozialen Revolution zeigt sich ein neues Maß des Kampfes für den weiteren gesellschaftlichen Fortschritt.

4.9. Die künftige sozialistische Gesellschaft wird ein offenes und variantenreiches Projekt sein, welches universell ein menschengemäßes Leben aller Menschen sowie die Versöhnung der Menschheit mit der Natur und mit sich selber ermöglicht. Der Realsozialismus vermochte der Epoche zeitweilig einen fortschrittlichen Stempel aufzudrücken (Sieg über den Faschismus, Zerfall des Kolonialsystems, internationale Friedenssicherung u. a. m.); er war allerdings kein „reifer“, „entwickelter“ Sozialismus, wie behauptet, sondern eine Frühform einer Gesellschaft, in der zwar wesentliche Grundlagen des Sozialismus – jedoch durch schwerwiegende Deformationen beeinträchtigt – errichtet wurden. Sie kann deshalb nicht als Matrize eines künftigen Sozialismus gelten. Die praktische und theoretische Aufarbeitung des Realsozialismus ist dringlich. Obwohl der reale Sozialismus als ein positives wie negatives „Erfahrungsobjekt“ für eine sozialistische Neuorganisierung der Gesellschaft fungieren wird, ist ein künftiger Sozialismus weder logisch noch historisch seine Fortsetzung.[91] Er wurzelt vielmehr in den Widersprüchen und ihrer Lösung, die dem heutigen Imperialismus eigen sind, denn: Die „sozialistische Welt“ existiert bereits in gewissem Maße in „alter kapitalistischer Form“ als eine gewaltige, nur bisher ungenutzte evolutionäre Potenz. Da aber bereits der reale Sozialismus bewiesen hat, daß eine Alternative zum Kapitalismus möglich ist, muß seine Verteidigung natürlich fester Bestandteil der Politik der marxistischen Kräfte bei der Sammlung der Kräfte sein. Und dies involviert zugleich, den Satz von der „DDR als die höchste Errungenschaft der deutschen Arbeiterklasse“ zu unterschreiben, der keinesfalls mit deren Untergang das Ende der Geschichte des Sozialismus auf deutschem Boden bedeutet, sondern welthistorisch eine tatsächliche Alternative zum Kapitalismus unter besonderen historisch-konkreten Bedingungen als reale Möglichkeit involvierte.

4.10. In unserer Zeit hat mit der Niederlage des realen Sozialismus in Europa und im Gefolge der konterrevolutionären Restaurationsperiode des Imperialismus der Zerfall des Marxismus gewaltige Ausmaße angenommen. Auch innerhalb der noch marxistischen Kräfte zeigt sich Konfusion. Es gilt wohl sinngemäß, was Lenin im Dezember 1910 hinsichtlich des Zerfalls innerhalb des Marxismus als Aufgabe stellte: „Die Ursachen für die Unvermeidlichkeit dieses Zerfalls in der gegenwärtigen Zeit zu begreifen und sich zu seiner konsequenten Bekämpfung zusammenschließen ist deshalb für die Marxisten im unmittelbarsten und genauesten Sinne des Wortes die Aufgabe der Epoche.“[92] Hieraus leite ich ab, daß gegenwärtig und wahrscheinlich für eine längere Zeit „der entschlossene und hartnäckige Kampf für die Grundlagen des Marxismus ... wieder auf die Tagesordnung tritt“.[93] Solange es objektiv keine revolutionäre Lage oder Entwicklungsetappe gibt, bleibt den revolutionären Kräften – wie Marx nach der Niederlage in Paris 1871 schrieb – nur übrig, zu studieren, zu schulen und sich zu vereinigen[94], und zwar heute nicht im Schatten oder Schlepptau des Modernen Sozialismus in der PDS, sondern mit Blick auf die Gestaltungsformung einer Partei neuen Typs auf der Grundlage der Marxschen und Leninschen Parteitheorie. Hierzu sind nötig, die Klarheit der marxistischen Begriffe und Termini wiederherzustellen sowie die komplizierter werdenden gesellschaftlichen Sachverhalte, deren Inneres und Wesen nicht offen auf der Hand liegen, den Betroffenen einleuchtend zur Kenntnis und zum Bewußtsein zu bringen.

4.11. Die hier vorgestellten strategisch-theoretischen „Kulminationspunkte“ sollten die Leninsche Parteitheorie heute prägen – für die Ausbildung einer Partei neuen Typs. Eine solche Positionierung ermöglicht es aber nicht nur, sich im Verhältnis zu den reformistischen und sozialdemokratischen Linken zu definieren, „abzugrenzen“; sie erlaubt es auch, erfolgreich in den sozialen Bewegungen unserer Zeit zu wirken: Eine marxistische Partei Leninschen Typs kann auf der politischen Ebene in diesen Bewegungen „pluralistisch“ sein, aber niemals in theoretisch-ideologischer Hinsicht, da sie theoretisch-strategisches Bewußtsein vermitteln muß - insofern Klassenbewußtsein für die Formierung eines geschichtsmächtigen Subjekts, und zwar auf der Basis dessen, daß die Arbeiterklasse historisch selbst lernen muß – nach Engels -, „daß ihr durch andere keinerlei dauernder Vorteil verschafft werden kann, sondern daß sie ihn sich selbst verschaffen muß, indem sie zuallererst die politische Macht erobert“.[95] Eine Partei Leninschen Typs kann sich also nicht „an sich“ zum Bestandteil einer pluralistischen sozialen Bewegung bzw. einer sich entfaltenden Arbeiterbewegung machen; denn dies würde zur Aufgabe der marxistisch-sozialistischen Positionierung in der Gesamtentwicklung von sozialen Bewegungen und somit so zur politischen Niederlage führen. Sie muß vielmehr im dargestellten Sinne als revolutionäre Vorhutpartei agieren, und ihr marxistisches Sozialismusbild in diese Bewegungen einbringen. Nur so wird der Marxismus in diesen Bewegungen, „selbst wenn er nicht von allen Mitstreitern akzeptiert werden wird, für alle das Symbol des Kampfes um eine neue soziale Ordnung sein.“[96]

Abschließend: Die Vereinigung von Marxismus und Arbeiterbewegung stand am Anfang der marxistischen Parteikonzeption; sie ist in ihren Intentionen bis heute nicht überholt, im Gegenteil: sie verlangt eine zeitgemäße marxistische Partei Leninschen Typs. Dies wirft natürlich viele Fragen auf: so zum Beispiel Probleme der innerparteilichen Demokratie sowie die Gestaltung des demokratischen Zentralismus als bestimmendes Prinzip der Tätigkeit und des Organisationsaufbaus einer solchen Partei gemäß den heutigen Erfordernissen. Diese und andere Fragen mußten hier außer Betracht bleiben. Für die historisch notwendige langfristige Gestaltungsformung einer massenwirksamen Partei im Sinne einer Leninschen Parteitheorie heute ist wohl zwingend, den Hinweis Lenins aus dem Jahre 1902 zu beherzigen: „Unseres Erachtens verpflichtet die Krise des Sozialismus alle halbwegs ernsten Sozialisten gerade dazu, der Theorie gesteigerte Aufmerksamkeit zuzuwenden, entschlossener eine streng bestimmte Haltung einzunehmen und sich schärfer von den schwankenden und unzuverlässigen Elementen abzugrenzen ...“[97] Hinzu kommt – wie einleitend bereits ausgewiesen - daß der Marxismus einer ständigen historischen Entwicklung unterworfen ist, seine Weiterentwicklung überhaupt ist ein Axiom: Alle, die in ihrer Weltanschauung überzeugte Sozialisten/Kommunisten geblieben oder auch erst geworden sind, sollten sich – so oder so, auf diese oder jene Weise – an diesem historischen Werk beteiligen. Nur so reifen die Voraussetzungen, daß eine künftige Partei Leninschen Typs zunehmend die Rolle eines kollektiven Intellektuellen für die Formierung eines geschichtsmächtigen Subjekts in längeren historischen Fristen übernehmen kann, woraus die sich die Chance für einen neuen sozialistischen Anlauf ergibt.

                                                                                                                                    Ingo Wagner, Leipzig

Imperialismustheorie

Kurt Gossweiler: Lenin oder Kautsky?

I. Diskussionsbeitrag zu Leo Mayers Thesen zu Globalisierung und Krieg

Am 5.und 6. Juli fand eine von der Marx-Engels-Stiftung in Wuppertal veranstaltete Konferenz statt zum Thema: Imperialistische Kriegspolitik  und Staats- und Demokratiefrage heute. (S. „Junge Welt“ v. 8.Juli d.J.)

Der Nachmittag des ersten Tages war Referaten gewidmet, die sich mit der Analyse des gegenwärtigen Kapitalismus beschäftigten: Prof. Dr. Gretchen Binus sprach zum Thema: „Monopolstrategien heute“, Leo Mayer vom isw München zum Thema „Globalisierung und Krieg“, Patrick Köbele, Essen zu „Rolle und Entwicklung der EU im internationalen Imperialismus, und Dr. Hans-Peter Brenner, Bonn, zum Thema: „Hegemonialmacht USA – aus der Sicht der Leninschen Analyse der unterschiedlichen Imperialismusvarianten.“

Die Diskussion zu diesen Referaten begann noch am Samstagnachmittag und wurde am Sonntagvormittag fortgesetzt.

In einem Diskussionsbeitrag beschäftigte ich mich mit dem Referat von Leo  Mayer. Das Folgende ist eine nach meinen Stichpunkten rekonstruierte Fassung dieses Beitrages, erweitert durch die Zitate von Lenin und Stalin.

Gestern hat Leo seine bekannte und sehr umstrittene Theorie des globalen Kapitalismus, in acht Thesen gefasst, vorgetragen. Ich will in meinem Diskussionsbeitrag nur zu einem Punkt Stellung nehmen, bei dem der Widerspruch seiner Theorie zur imperialistischen Realität  besonders offenkundig ist, nämlich zur Frage des Wesens der Differenzen zwischen der EU und den USA.

Dazu wurden gestern zwei gegensätzliche Auffassungen vorgetragen.

 Genossin Binus sprach in ihrem Referat davon, es handele sich bei diesen Differenzen um die Konkurrenz und die Rivalität zwischen dem USA-Imperialismus auf der einen, dem Imperialismus von „Kern-Europa“ mit Deutschland und Frankreich an der Spitze, auf der anderen Seite. So sahen auch Patrick Köbele und Hans-Peter Brenner die Differenzen zwischen den USA und der EU.

Dem widersprach Leo Mayer in seinen Thesen ganz entschieden.

In seiner These 3 führte er aus: Das Ende der Systemkonkurrenz ist auch das Ende der nationalen Imperialismen.

Aber hat sich vor unseren Augen nicht das genaue Gegenteil abgespielt? Haben wir etwa nicht erlebt, dass mit dem Verschwinden des gemeinsamen Feindes Sowjetunion und Warschauer Vertrag die bis dahin weitgehend gedeckelten innerimperialistischen Gegensätze nun viel offener in Erscheinung traten und  – nach einer kurzen Phase „uneingeschränkter Solidarität“  mit den USA nach dem Schock des 11. September – im Vorfeld und während der USA-Intervention gegen den Irak in einer bis dahin nie für möglich gehaltenen Schärfe ausgetragen wurden?

Auf welche Tatsachen stützt Leo Mayer seine Behauptung vom Ende der nationalen Imperialismen?

Er führt dafür überhaupt keine Tatsachen, sondern nur weitere Behauptungen ins Feld, wie etwa die folgende, ebenfalls aus These 3: nachdem er die schon seit  Marx` Zeiten gültige und seitdem zur Binsenweisheit gewordenen Feststellung  trifft: „Die Entwicklung der Produktivkräfte sprengt nationale Grenzen,“  folgt die als Schlußfolgerung daraus dargebotene Behauptung: Wir haben es nicht mehr mit Konkurrenz-Verhältnissen, sondern mit internationaler Arbeitsteilung zu tun  Und:. „Die EU und die USA sind ein einziges Produktionssystem“. (These 4)

Aber: haben die zugespitzten Auseinandersetzungen Bush`s mit den “Alten Europäern“ vor, während und nach dem Irak-Krieg nicht mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit offenbart, dass es dabei auch um einen scharfen Konkurrenzkampf der imperialistischen Führungsmächte um die Beherrschung des irakischen Öls geht?

Nein, sagt Leo Mayer in seinen Thesen. Es handele sich dabei nicht um Rivalitäten von selbständigen Imperialismen, sondern lediglich um taktische Differenzen. Im „Krieg gegen den Terror“ seien die USA eine Art „Weltdienstleister“ für die transatlantischen Konzerne. Nur die USA seien in der Lage, die kapitalistische Ordnung zu garantieren. „Im Irak-Konflikt sicherten die USA den Ölfluß für alle Metropolen-Mächte.“  (These 7).     

Wie denn das, Leo? Es kann Dir doch nicht entgangen sein, was durch alle Medien ging, dass  nämlich „Frankreich, Russland und China lukrative Verträge“ mit Saddam Hussein abgeschlossen haben, in denen für sie das Recht zur Ausbeutung irakischer Ölquellen verbrieft wurde, sobald die UNO-Sanktionen aufgehoben sein würden, (ND v. 20. 9.02), dass aber die Bush-Administration erklärt hat, nach dem Sturz Husseins seien diese Verträge hinfällig. Diese offensichtliche Verdrängung der Franzosen und Russen vom irakischen Ölfluss werden diese wohl kaum bereit sein, als „Sicherung des Ölflusses durch die Amerikaner für alle Metropolen-Mächte“ anzuerkennen. Und welche Tatsachen führt Leo Mayer an, die uns veranlassen könnten, dieser seiner These zuzustimmen? Keine. Es sei denn, man sei bereit, seine Feststellung in These 8 als unumstößliche Tatsache anzusehen.

In dieser These 8 weist er die Ansicht als falsch zurück, die Europäische Union wolle sich von den USA unabhängig machen. Eine solche Ansicht sei einfach deshalb falsch, weil das gar nicht ginge, schon allein wegen der militärischen Überlegenheit der USA. Diese Überlegenheit aufzuholen, sei unfinanzierbar, die EU habe dafür keine Mittel. Die USA seien so stark, dass jeder Versuch aussichtslos sei, sich von ihnen unabhängig zu machen.

Einer solchen Feststellung könnte man zustimmen, wenn wir nicht aus These 3 wüssten, dass Leo Mayer hier nicht einfach die selbstverständliche ökonomische und politische Interdependenz aller Staaten als nicht aufhebbar erklären will, sondern mit dieser Aussage zum Ausdruck bringt, dass nach seiner Ansicht ein Versuch irgendeiner anderen Mächtegruppierung, wie etwa der EU, eine mit den USA gleichberechtigte Position einzunehmen, im Ernst gar nicht mehr unternommen werden könne – eben weil es keine nationalen Imperialismen mehr gäbe und das frühere Konkurrenzverhältnis zwischen EU und USA sich infolge der erdrückenden Überlegenheit der USA in ein Verhältnis der Arbeitsteilung gewandelt habe.

Diese Sicht Leo Mayers überrascht mich nicht nur wegen der Kühnheit, mit der sie Behauptungen ohne und sogar gegen offenkundige Tatsachen aufstellt, sondern ebenso sehr durch ihren sehr einseitig auf die Ökonomie und das Militärische und auf das Verhältnis EU-USA gerichteten Blick, wo man doch eine globale Sichtweise erwarten müsste.

Bei seinem Streben nach Unterwerfung des Rests der Welt unter sein Kommando hat es der USA-Imperialismus ja nicht nur mit der Europa-Union zu tun. Und die EU steht mit ihrem Widerstand gegen die Unterwerfung unter das Diktat der USA keinesfalls allein da. Wer nach Weltherrschaft strebt, wird sich die ganze Welt und am Ende auch noch das eigene Volk zum Feinde machen.

Das Bild vom allmächtigen USA-Imperialismus, dem keiner zu widerstehen vermag, ist nicht einmal eine Momentaufnahme des gegenwärtigen Kräfteverhältnisses, sondern eine Aufnahme aus einer falschen Perspektive und ohne jede Einsicht, dass wir es mit einem Prozess zu tun haben, in dem immer noch das Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung und der daraus folgenden unvermeidlichen Veränderung des bestehenden Kräfteverhältnisses  wirksam ist. 

Als ich gestern das Referat von Leo Mayer hörte, drängte sich mir unwillkürlich die Frage auf: was würde wohl mein Freund Rolf Vellay, der so viele Konferenzen hier mit seinen ebenso streitbaren wie klugen Diskussionsbeiträgen bereichert hat, zu unserem Thema beisteuern? Ich bin mir ziemlich sicher, er hätte in Erwartung dessen, was uns Leo vortragen wird, vorsorglich Stalins Arbeit „Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR“ mitgebracht und daraus folgende Passage vorgelesen:

„Manche Genossen behaupten, dass infolge der Entwicklung der neuen internationalen Bedingungen nach dem zweiten Weltkrieg Kriege zwischen den kapitalistischen Ländern nicht mehr unvermeidlich seien. Sie meinen, dass die Gegensätze zwischen dem Lager des Sozialismus und dem Lager des Kapitalismus stärker seien als die Gegensätze zwischen den kapitalistischen Ländern, dass die Vereinigten Staaten von Amerika sich die anderen kapitalistischen Länder so weit untergeordnet hätten, um ihnen nicht zu gestatten, untereinander Krieg zu führen und sich gegenseitig zu schwächen, dass die tonangebenden Leute des Kapitalismus aus der Erfahrung zweier Weltkriege, die der ganzen kapitalistischen Welt schweren Schaden zugefügt haben, genügend gelernt hätten, um sich nicht noch einmal zu erlauben, die kapitalistischen Länder in einen Krieg gegeneinander hineinzuziehen – dass infolge all dessen die Kriege zwischen den kapitalistischen Ländern nicht mehr unvermeidlich seien.

Diese Genossen irren sich. Sie sehen die an der Oberfläche schimmernden äußeren Erscheinungen, aber sie sehen nicht die in der Tiefe wirkenden Kräfte, die, obwohl sie vorläufig unmerkbar wirken, dennoch den Lauf der Ereignisse bestimmen werden.

Nach außen hin scheint alles `wohlgeordnet` zu sein. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben Westeuropa, Japan und andere kapitalistische Länder auf Ration gesetzt; (West)Deutschland, England, Frankreich, Italien, Japan, die in die Klauen der USA geraten sind, führen gehorsam die Befehle der USA aus. Es wäre aber falsch, anzunehmen, dieser `wohlgeordnete Zustand könne ` ìn alle Ewigkeit` erhalten bleiben, diese Länder würden die Herrschaft und das Joch der Vereinigten Staaten von Amerika endlos dulden, sie würden nicht versuchen, aus der amerikanischen Knechtschaft auszubrechen und den Weg einer selbständigen Entwicklung zu beschreiten. ... Daraus folgt aber, dass die Unvermeidlichkeit von Kriegen zwischen den kapitalistischen Ländern bestehen bleibt.“[98]

Rolf ist nicht mehr unter uns, aber die Erinnerung an ihn und seinen unermüdlichen Kampf für die Weitergabe des unverfälschten Erbes der Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus sollte in den Veranstaltungen der Marx-Engels-Stiftung einen festen Platz haben. Sein Kommentar zu dem vorgelesenen Zitat wäre sicher die Frage gewesen, ob diese Erklärung Stalins nicht eine viel schlüssigere Erklärung für die gegenwärtigen Differenzen zwischen den USA und dem „alten Europa“ gibt, als Leos Theorie des „Endes der nationalen Imperialismen“ und der Wandlung des früheren Konkurrenz-Verhältnisses in eine bloße Arbeitsteilung.

Diese Theorie ist übrigens – wie sicher nicht ganz unbekannt -, keineswegs neu.

Es ist gerade 10 Jahre her, dass ich auf dem Hamburger Kongress „Was tun?“ der Gremliza-Zeitschrift „Konkret“ das Vergnügen hatte, zusammen mit Georg Fülberth gegen Robert Kurz‘ Verkündung des Endes des Kampfes nationaler Imperialismen gegeneinander zu argumentieren. Nach Robert Kurz hatte sich schon damals, 1993, der Kapitalismus zu einem globalen Gesamtsystem entwickelt, wodurch das Kapital zu einem „unmittelbaren Weltkapital“ geworden sei. Wir haben damals daran erinnert, dass auch Kurz nicht den Anspruch erheben kann, der Erfinder dieser Theorie zu sein, sondern dass er - wie in unseren Tagen auch Leo Mayer - nur  als Wirklichkeit in der Gegenwart ausgibt, was schon im ersten Weltkrieg Karl Kautsky als Möglichkeit der weiteren Entwicklung des Kapitalismus prognostiziert hatte – die Phase des „Ultraimperialismus.“

Es lohnt sich, noch einmal zu hören und nachzulesen, wie Lenin diese Theorie des „Ultra-Imperialismus“ im Kapitel VII seines Standard-Werkes über den Imperialismus beurteilte und widerlegte: „Vom rein ökonomischen Standpunkt, schreibt Kautsky ,sei es nicht ausgeschlossen, dass der Kapitalismus noch eine neue Phase durchmachen werde: die Übertragung der Politik der Kartelle auf die Außenpolitik, die Phase des Ultraimperialimus., d.h. des Über-Imperialismus, der Vereinigung der Imperialisten der ganzen Welt, nicht aber ihres Kampfes, die Phase der Aufhebung der Kriege unter dem Kapitalismus, die Phase der „gemeinsamen Ausbeutung der Welt  durch das international verbündete Finanzkapital“. ...

Ist ein „Ultraimperialismus“ vom „rein ökonomischen Standpunkt“ möglich, oder ist das ein Ultra-Unsinn?

Versteht man unter dem rein ökonomischen Standpunkt eine „reine“ Abstraktion, so läuft alles, was sich da sagen lässt, auf die These hinaus: die Entwicklung bewegt sich in der Richtung der Monopole, also eines Weltmonopols, eines Welttrusts. Das ist unzweifelhaft, aber ebenso nichtssagend wie der Hinweis, dass „die Entwicklung“ sich in der Richtung der Herstellung der Nahrungsmittel im Laboratorium „bewegt“. In diesem Sinne ist die „Theorie“ des Ultraimperialismus ebensolcher Unsinn,  wie es eine Theorie der Ultra-Landwirtschaft wäre.

Spricht man aber von den „rein ökonomischen“ Bedingungen der Epoche des Finanzkapitals als von einer historisch-konkreten Epoche, die in den Anfang des 20. Jahrhunderts fällt ,so erhalten wir die beste Antwort auf die toten Abstraktionen des „Ultraimperialismus“ ... , wenn wir ihnen die konkrete ökonomische Wirklichkeit der modernen Weltwirtschaft gegenüberstellen.

Kautskys leeres Gerede von einem Ultraimperialismus nährt u.a. den grundfalschen Gedanken, der Wasser auf die Mühle der Apologeten des Imperialismus leitet, dass die Herrschaft des Finanzkapitals die Ungleichmäßigkeiten und die Widersprüche innerhalb der Weltwirtschaft abschwäche, während sie in Wirklichkeit diese verstärkt.“

An dieser Stelle fügte Lenin eine Tabelle ein, um die tatsächlich vorhandenen Ungleichmäßigkeiten und Widersprüche zu dokumentieren, und schloß daran folgende Bemerkungen an, die auch in der gegenwärtigen Situation – mutatis mutandis – noch volle Gültigkeit besitzen:

„Man stelle dieser Wirklichkeit – mit der ungeheuren Mannigfaltigkeit ökonomischer und politischer Bedingungen, mit der äußersten Ungleichmäßigkeit im Tempo des Wachstums der verschiedenen Länder usw., mit dem wahnwitzigen Kampf zwischen den imperialistischen Staaten – Kautskys dummes Märchen von einem „friedlichen“ Ultraimperialismus gegenüber. Ist das nicht der reaktionäre Versuch eines erschrockenen Kleinbürgers, sich über die grausame Wirklichkeit hinwegzusetzen?“

Ich denke nicht, dass diese Einschätzung Kautskys durch Lenin  auch auf jene unserer Modernisierer zutrifft, die heutzutage meinen, was Kautsky damals in die ferne Zukunft verlegte, sei heute bereits Wrklichkeit. Ihr Sehfehler ist offenbar nicht durch ein Erschrecken über die „grausame Wirklichkeit“ blutiger imperialistischer Kriege verursacht. Eher vom Gegenteil: gerade davon, dass gegenwärtig die Kämpfe der imperialistischen Konkurrenten um die Neuaufteilung der Welt nach dem Verschwinden des Sozialismus auf dem europäischen Kontinent und dem sowjetischen Teil Asiens noch so „friedlich“ verlaufen, dass sich bestätigt fühlt, wer da meint, für die Welt von heute mit ihren gewaltigen Veränderungen gegenüber der Zeit, da Lenin seinen „Imperialismus“ schrieb, könne unmöglich eine Theorie der Unvermeidlichkeit kriegerischer Auseinanderetzungen zwischen den imperialistischen Großmächten noch Gültigkeit besitzen, die vor fast hundert Jahren, am Beginn des imperialistischen Zeitalters, entwickelt wurde. Diese unsere „Modernisierer“ finden, die heutige Welt sei mit unserer von Marx bis Lenin geschaffenen Begrifflichkeit nicht mehr „adäquat“ zu erfassen. Neue Begriffe, wie etwa „Globalisierung“ und „Arbeitsteilung anstelle von Konkurrenz“ „Metropolen-Mächte“ statt „Imperialistische Mächte“ müssten her, um das Wesen der neuen Erscheinungen richtig wiederzugeben.

Unsere „Modernisierer“ haben allerdings insofern Pech, als gerade in letzter Zeit in Sprachrohren der „transnationalen Monopole“, wie der FAZ, zu lesen ist, wie modern das „Kommunistische Manifest“ doch sei – sei darin doch schon alles das beschrieben und vorausgesagt, was heute als „eine völlig neue Erscheinung“ empfunden und mit dem neuen Begriff „Globalisierung“ bezeichnet würde.

Trifft das nicht genau so auf die Argumentation Lenins gegen Kausky zu?

„Die internationalen Kartelle, die Kautsky als Keime des Ultraimperialismus erscheinen - ... bieten sie uns nicht ein Beispiel der Aufteilung und Neuaufteilung der Welt, des Übergangs von friedlicher Aufteilung zu unfriedlicher und umgekehrt? Das Finanzkapital Amerikas und anderer Länder, das bisher unter Deutschlands Mitbeteiligung ... die ganze Welt friedlich aufteilte- nimmt es jetzt nicht auf Grund neuer Kräfteverhältnisse, die auf ganz unfriedlichem Wege verändert werden, eine Neuaufteilung der Welt vor?“

In der Tat, treffen diese Ausführungen Lenins zu Kautskys Theorie vom „Ultraimperialismus“ nicht ziemlich genau das Wesen dessen, was sich seit dem Untergang der Sowjetunion und der sozialistischen Staaten Europas vor unseren Augen in der Welt und zwischen den imperialistischen Hauptländern abspielt?

Die Genossin Binus und die Genossen Köbele und Brenner haben recht: Der Schlüssel zum Verständnis der Wirklichkeit des Anfangs des 21. Jahrhunderts ist noch immer die zu Anfang des 20. Jahrhunderts von Lenin ausgearbeitete Analyse der Entwicklung des Kapitalismus in sein höchstes und letztes Stadium, den Imperialismus. Dagegen ist die Neuauflage der Kautsky-Theorie vom Ultraimperialismus, in welcher Gestalt und mit welchem Namen verbunden auch immer, auch heute noch kaum weniger wirklichkeitsfremd, als es ihr Original war.

 

Soweit also meine Ausführungen zu Leo Mayer auf der Grundlage meines Diskussionsbeitrages auf der Konferenz.

Ich ergänze ihn erstens mit einer kritischen Betrachtung eines Artikel von Leo Mayer und zwei weiteren Genossen in der UZ vom 4. Juli 2003, und zweitens mit einem Anhang, in dem ich marxistische Theoretiker aus drei Ländern – Kuba, England und Österreich – mit Auszügen aus ihren Analysen des Imperialismus von heute zu Wort kommen lasse. Das Studium der vollständigen Arbeiten bzw. des Programms, aus denen diese Auszüge entnommen sind, ist besonders jenen Genossen in der DKP und ihrem Parteivorstand dringend empfohlen, die Leo Mayers Thesen zum Kapitalismus der Gegenwart als dessen adäquate Beschreibung gerne im Programm der DKP wiederfinden möchten

Es handelt sich bei den genannten Arbeiten einmal um das Buch: „Imperialismus heute“, verfasst von fünf kubanischen Autoren, zweitens um das Buch des in England lebenden und lehrenden indischen Ökonomen Harpal Brar: „Imperialismus im 21. Jahrhundert“, und drittens um das Landesprogramm der KPÖ-Steiermark.

II. Ergänzung zum Diskussionsbeitrag zu Leo Mayers Thesen

Nun könnte man ja die Frage stellen: welche Bedeutung für die praktische Politik einer kommunistischen Partei hat es denn eigentlich, ob ich nach wie vor in den Differenzen der EU und der USA den Konkurrenz- und Machtkampf verschiedener imperialistischer Mächte sehe, oder mit Leo Mayer der Meinung bin, es gäbe überhaupt keine nationalen Imperialismen mehr und daher auch keinen Konkurrenz- und Machtkampf mehr zwischen ihnen.

Die Antwort dürfte eigentlich nicht schwer fallen: Aus den beiden gegensätzlichen Auffassungen über die Interpretation der kapitalistischen Welt von heute ergeben sich folgerichtig auch ganz gegensätzliche Konsequenzen für die praktische Politik einer kommunistischen Partei:

Wenn es außer dem USA-Imperialismus keine anderen nationalen Imperialismen mehr gibt, dann gibt es auch keinen deutschen Imperialismus mit eigenen imperialistischen Interessen und Zielen mehr, und dann ist selbstverständlich auch die alte Losung Karl Liebknechts: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“ hinfällig geworden.

Dann gibt es nur noch einen Hauptfeind für alle: den USA-Imperialismus.

Dann haben wir auch nicht mehr für den Sturz der Herrschenden im eigenen Land zu kämpfen, sondern nur noch dafür, dass diese dem Hauptfeind USA-Imperialismus keine Unterstützung leisten bzw. ihm diese Unterstützung entziehen.

Dies sind nicht etwa ausgedachte Konsequenzen, sondern dies alles findet sich in einem Artikel in der UZ vom 4. Juli diesen Jahres auf der Seite „Marxistische Theorie und Geschichte“, verfasst von Leo Mayer, Conrad Schuhler und Fred Schmid mit dem Titel: „Wie der Kriegsblock zu stoppen ist. Thesen zur politischen Ökonomie des ‚Kriegs gegen den Terror‘. Aufgaben und Perspektiven der Friedensbewegung.“

Dort ist zu lesen: „Der entscheidende politisch-militärische Machtfaktor für die Durchsetzung der Interessen des transnationalen Kapitals ist der US-Imperialismus, der Kern des Kriegsblocks. Von ihm geht die Hauptgefahr für den Frieden aus. ... Dieser Kriegsblock muß weltweit isoliert, jegliche Unterstützung für Krieg und Besatzungsregimes muß verweigert werden. Ihm muß überall auf der Welt der Boden für seine Angriffskriege entzogen werden.“

Von einem deutschen Imperialismus mit eigenen Interessen und  Kriegszielen ist im ganzen Artikel kein Wort zu finden. Statt dessen ist zu lesen:

„Politiker, Medien, selbst Teile der jüngsten Antikriegsbewegung wecken und hegen Hoffnung auf die „Zivilmacht Europa“: Sie müsse gegenüber dem US-Kriegsblock auch militärisch zur Gegenmacht aufgebaut werden. Diese Hoffnung ist trügerisch. ...Von der EU und deren Mitgliedstaaten ist kein prinzipieller Widerstand gegen die US-Kriegspläne zu erwarten. Auch das transnationale Kapital Westeuropas, engstens verflochten mit der US-Wirtschaft, braucht für seine Profit- und Verwertungsinteressen die Fortführung und Absicherung der neoliberalen Globalisierung, notfalls auch mit militärischen Mitteln. Allen voran das ökonomische Schwergewicht Deutschland, das als Exportweltmeister und mit dem hohen Internationalisierungsgrad der hier ansässigen transnationalen  Konzerne im besonderen Maße auf den „militärischen Gesamtdienstleister“ USA angewiesen ist. ... Dieser Interessenidentität entspringt auch die Idee der NATO-Eingreiftruppe, die vorrangig aus EU-Staaten rekrutiert werden soll. Auch der Aufbau einer EU-Interventionsarmee und die Umstrukturierung der Bundeswehr... zur Eingreiftruppe mit einer Reichweite bis zum „Hindukusch“ liegt in der Logik der neuen US-Militärdoktrin der globalen und präventiven Militärschläge. Mit dieser „Militärmacht Europa“ soll nicht etwa die US-Kriegsfurie gestoppt werden, sondern im Bündnis mit ihr die Welt ausgeraubt und nach den Vorstellungen des transnationalen Kapitals „geordnet“ werden. Allerdings erhofft sich die westeuropäische politische Klasse mit einem größeren Militärpotenzial mehr Teilhabe an Planung und Durchführung künftiger Raubzüge und „Weltordnungskriege“. Das schließt arbeitsteiliges Vorgehen und selbst begrenzte Alleingänge in abgesteckten „Hinterhöfen“ und Einflusszonen ... nicht aus.“

Also kein deutsches imperialistisches Eigeninteresse, so weit man blickt – alles nur „Interessenidentität mit den USA“, schlimmstenfalls „Arbeitsteilung“ und geduldete „Allein-gänge“ auf den „Hinterhöfen“!

Folglich besteht kein Grund, Expansionsgelüste eines deutschen Imperialismus zu entlarven und diesen deutschen Imperialismus zu bekämpfen es gibt ihn ja nicht. Es gibt nur „Deutschland“, und alles, was uns zu tun bleibt, ist, von diesem Deutschland zu fordern, dass es seine „Interessenidentität“ mit dem „militärischen Gesamtdienstleister USA“ beendet:

„Deutschland darf nicht länger Drehscheibe und Aufmarschbasis für künftige Kriege der USA und ihrer Hilfswilligen sein. ...Deuschland selbst muss sofort alle Soldaten aus der Golfregion und aus den NATO-Protektoraten in Afghanistan und auf dem Balkan abziehen. Der Umbau der Bundeswehr zur Präventivschlag- und globalen Eingreiftruppe muss gestoppt werden. Er steht im Widerspruch zum Grundgesetz.“

Wie das allerdings möglich sein soll angesichts der von den Verfassern im nächsten Satz behaupteten Allmacht des von den USA geführten Kriegsblocks, bleibt ihr Geheimnis :

„Der Kriegsblock unter Führung der US-Administration ist gegenwärtig in der Lage, jedem Land seinen militärischen Willen aufzuzwingen.“

Der ganzseitige Artikel macht also eindeutig klar: Die praktische Konsequenz aus der Sicht Leo Mayers und seiner Mitautoren für die Politik der DKP ist der Verzicht auf den Kampf gegen den deutschen Imperialismus.

Aber die Endkonsequenz aus dieser Sicht ist sogar eine Beschränkung des Kampfes gegen den USA-Imperialismus auf Appelle an das Völkerrecht und die UNO.

Ein Mittel des Kampfes gegen den Imperialismus, das zu den klassischen Mitteln zählt – nämlich die Ausnutzung der Gegensätze zwischen den imperialistischen Mächten – kommt bei Leo Mayer und seinen Mitautoren nicht mehr vor, da es ja nach ihrer Theorie solche Gegensätze nicht mehr gibt. Und sie halten diese vermeintliche Tatsache für eine die Kriegsgefahr vermindernde, argumentieren sie doch gegen jene, die hoffen, mit einer militärisch aufgerüsteten EU könne eine Gegenmacht gegen den US-Kriegsblock aufgebaut werden: „Diese Hoffnung ist trügerisch. Eine hochgerüstete EU würde die Kriegsgefahr vergrößern.“ 

Ein solches Argument wird nicht selten auch von anderen marxistischen Linken ins Feld geführt, allerdings mit einer entgegengesetzten Begründung, nämlich der, die beiden Weltkriege seien Ergebnis der bewaffneten Auseinandersetzung der imperialistischen Rivalen gewesen, eine Aufrüstung Europas gegen die USA beschwöre einen dritten Weltkrieg aus dem gleichen Motiv heraus herauf.

Dies ist nicht die Begründung derMayer-Richtung. Sie lehnt die Aufrüstung der EU deshalb ab, weil sie darin eine Verstärkung der Aufrüstung des US-geführten Kriegsblocks sieht: „Von der EU und deren Mitgliedstaaten ist kein prinzipieller Widerstand gegen die US-Kriegspläne zu erwarten.“

Daran ist jedoch nur soviel richtig, dass auch die in der EU führenden imperialistischen Mächte Deutschland und Frankreich prinzipiell nichts gegen Kriege zur Unterwerfung fremder Völker und die gewaltsame Eroberung fremden Gebietes haben, - entspricht dies doch der Natur jedes Imperialismus. Aber sie streben - was Leo Mayer ja bestreitet - eine Neuaufteilung zu ihren Gunsten und damit unvermeidlich zu Lasten des US-Imperialismus an.

Entscheidend wichtig festzustellen ist indessen: imperialistische Kriege haben ihre Ursache nicht darin, dass es imperialistische Gegensätze gibt, sondern diese Gegensätze entspringen der Natur des Imperialismus, zu dessen unabschaffbaren Lebensäußerungen Rüstung und Krieg ebenso gehören, wie die Jagd nach Maximalprofit – sie sind unverzichtbare Elemente dieser Jagd.

Es kann nicht Aufgabe der Gegner des Imperialismus sein, sich solche utopische Ziele zu setzen, wie etwa die Abschaffung imperialistischer Gegensätze oder gar, für eine der rivalisierenden imperialistischen Seiten Partei zu ergreifen. Es kann nur darum gehen, diese Gegensätze auszunutzen für die Schwächung des Imperialismus insgesamt.

Davon ist, wie gesagt, bei Mayer-Schuhler-Schmid nichts zu finden. Wie aber ist – nach ihrem Ratschlag – der Kriegsblock zu stoppen?

„Die Hoffnung, Krieg und Barbarei zu stoppen, ruht auf der internationalen Friedensbewegung. ...Die Rede war von  der „Zweiten Weltmacht.“ Sie hat gegen die Barbarei des Krieges die Kultur des Friedens gestellt.“  Hat sie das wirklich?

Was ist das eigentlich, diese „internationale Friedensbewegung“?

Die Monate seit der großen weltweiten Antikriegsdemo des 15. Februar müssten doch ausgereicht haben, unsere drei Autoren von einer solchen illusionären Vorstellung zu heilen, als ob es bereits eine machtvolle organisierte Friedensbewegung gäbe, die imstande wäre, „Krieg und Barbarei zu stoppen.“  Eine solche Friedensbewegung müsste erst geschaffen werden.

So sehr wir uns alle über die großartigen Antikriegsdemonstrationen in nahezu aller Welt gefreut haben, sollten wir uns doch vor Wunschdenken  hüten. Was Deutschland betrifft, so dürfte eigentlich allen klar sein, dass die große Mehrheit derjenigen, die am  15. Februar 2003  mit auf die Straße gegangen sind, dies getan hat, weil dazu auch die Regierung Schröder und ihre Parteien aufgerufen hatten. Von der heutigen Friedensbewegung als von einer „Zweiten Weltmacht“ zu reden, ist entweder Wunschdenken oder maßlose Übertreibung. Von  einer „Weltmacht“ konnte nicht einmal bei der ungleich stärkeren und wirksameren, weil von den sozialistischen Staaten und starken kommunistischen Parteien in aller Welt mit getragenen Weltfriedensbewegung der Jahre der Anti-Atomkriegskampagnen und der Friedensbewegung gegen den Vietnamkrieg die Rede sein!

Und durch welche Aktionen und Maßnahmen soll diese heutige Friedensbewegung „Krieg und Barbarei stoppen“?

„Aufgabe der Friedensbewegung ist es, dem menschenverachtenden Zynismus der Propagierung „gerechter Kriege“, „humanitärer Invasionen“ und der nachträglichen Rechtfertigung von Angriffskriegen entgegenzutreten.“

Natürlich muss sie, müssen dies alle wirklich „Linken“ tun - aber lassen sich dadurch Barbarei und Krieg stoppen?

„Das Völkerrecht darf nicht pervertiert und im Interesse der Aggressoren fortgeschrieben werden.“

Wie kann „die Friedensbewegung“ die Herrschenden zur Einhaltung einer solcher Forderung zwingen?

„In Tribunalen und geduldiger Aufklärung muß der Krieg gegen den Irak als völkerrechtswidrige Aggression gebrandmarkt und die Kriegsverbrecher und ihre Helfershelfer an den Pranger der Weltöffentlichkeit vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag gestellt werden. Ein solches Tribunal kann auch die UNO-Vollversammlung darstellen, indem sie auf Antrag von Mitgliedstaaten die Aggression als völkerrechtswidrigen Akt verurteilt.“

Natürlich muß in dieser Richtung gearbeitet werden und wird auch gearbeitet – aber nicht von „der Friedensbewegung“, sondern von Gremien, die von Kommunisten, Sozialisten und anderen Antiimperialisten geschaffen wurden. Diese sind allerdings gewöhnlich frei von der Illusion, ein von den imperialistischen Staaten beherrschter Internationaler Gerichtshof könne von der „Friedensbewegung“ zu einem Tribunal gegen Bush und seinesgleichen gemacht werden.

„Die USA versuchen jetzt, der UNO das Schicksal des Völkerbundes zuzufügen. Umgekehrt sollte die Friedensbewegung die Idee und die Charta der Vereinten Nationen als reale Utopie des friedlichen Zusammenlebens der Völker zu beleben versuchen.“

Warum soll „die Friedensbewegung“ die Charta der Vereinten Nationen als „reale Utopie“ betrachten, statt als das, was sie ist: ein Dokument, in dem 1945 dank der Stärke der Sowjetunion und der Beharrlichkeit ihrer Führung die Imperialisten - so wie auch im Potsdamer Abkommen - gezwungen wurden, den Forderungen der Völker, in diesem Falle der Forderung nach Gleichberechtigung aller Nationen  im Rahmen der UNO, nachzugeben?

Statt der Friedensbewegung den Versuch zu empfehlen, eine „reale Utopie“ zu beleben, wäre ihr die Aufgabe zu stellen, alle Völker und Staaten zu unterstützen, die von allen, vor allem von den imperialistischen Großmächten, die strikte Einhaltung der Charta der UNO fordern.

„Für die Friedensbewegung (steht) in der Zwischenkriegsphase die Aufklärungsarbeit im Vordergrund, Aufklärung über Ursachen und Hintergründe heutiger Kriege. Aufklärung über den Zusammenhang von Globalisierung, Krieg und Abbau sozialer und demokratischer Rechte.“

Wie soll das gehen ohne dabei über den deutschen Imperialismus zu sprechen?

Und wer soll diese Aufklärung leisten, wenn nicht die Kommunisten? Aber von ihnen und ihren Aufgaben und ihrer Rolle in der Friedensbewegung ist im ganzen Artikel mit keinem einzigen Wort die Rede.

„Diese Aufklärung legt die Grundlagen für eine schnelle und noch effektivere Mobilisierung gegen künftige Kriege. Sie ist aber vor allem die Voraussetzung dafür, dass die Antikriegsstimmung zum politischen Faktor wird, in aktive und eingreifende Friedenspolitik übergeht.“

Man wird in diesem Forderungs- und Aktionsprogramm nichts finden, was die Hoffnung rechtfertigen würde, mit seiner Verwirklichung könne selbst eine gut organisierte internationale Friedensbewegung „den Kriegsblock stoppen“.

Dazu gleicht es zum einen zu sehr einem pazifistischen Wunschprogramm. Zum anderen wird „die Friedensbewegung“ zum Mythos einer „Zweiten Weltmacht“ hochstilisiert ohne jeden Versuch einer klassenmäßigen Analyse der sie tragenden sozialen Kräfte und ohne den leisesten Hinweis darauf, welche Aufgaben die Kommunisten in dieser Friedensbewegung haben. Dabei sind diese Aufgaben angesichts des ideologischen Kunterbunts in „der Friedensbewegung“ riesengroß.

Unsere drei Autoren sind jedoch über die Zukunft der Bewegung voller Optimismus: „In der Auseinandersetzung um den Krieg gegen den Irak hat sich die Friedensbewegung zunehmend internationalisiert  und mit anderen Bewegungen vernetzt. Es entstand ein globales Netzwerk aus Friedensbewegung, globalisierungskritischer Bewegung, alter und neue Sozialbewegung. Dieses Netz muss noch enger und fester geknüpft werden.“

Offenbar werden Kommunisten in diesem „Netzwerk“ nicht gebraucht. Oder sind sie etwa versteckt unter dem Begriff der „alten Sozialbewegung“?.

„Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Aufklärung über die Rolle der Multis und ihres politisch-militärischen Hauptagenten, des US-Imperialismus.“

Wiederum die Frage: wo bleibt die Aufgabe der Aufklärung über die Rolle des Hauptkriegs-treibers in Europa, des deutschen Imperialismus?

„Eine neue Ordnung wird bereits sichtbar, sie gewinnt an Gestaltungskraft. Sie drückt sich aus in den Millionen Menschen, die gegen den Krieg aufstehen. Die nicht mehr hinnehmen, dass der ganze Globus zu einer einzigen Ware wird. Die gegen globale Apartheid und für soziale Gerechtigkeit kämpfen. Diese Millionen eint die Losung: „Eine andere Welt ist möglich“ – eine Welt des Friedens und der menschlichen Solidarität.“

Damit beschließen Leo Mayer und seine Mitautoren ihre Thesen darüber, „wie der Kriegsblock zu stoppen ist.“

Sie machen damit deutlich, dass ihre Sicht auf die Aufgaben und Perspektiven der Friedens-bewegung die Sicht von ATTAC ist, nicht die Sicht von Kommunisten.

Wäre sie das, dann hätten sie zum Ausdruck gebracht, dass es Aufgabe der Kommunisten ist, in der Friedensbewegung darüber aufzuklären, dass kein Imperialismus friedensfähig ist und dass der Kampf der Friedenskräfte in Deutschland sich nicht auf den Kampf gegen den US-Imperialismus beschränken darf, sondern dass er zugleich und sogar in erster Linie dem deutschen Imperialismus gelten muss.

Und dann hätten sie als Aufgabe der Kommunisten genannt, in der Friedensbewegung dafür zu arbeiten, dass die gutgemeinte, aber vieldeutige ATTAC-Losung „Eine andere Welt ist möglich“ als unzureichend erkannt wird und dass die Millionen die eindeutige und allein den Weg zum  Ziel einer Welt des Friedens und der menschlichen Solidarität weisende Losung „Eine sozialistische Welt ist möglich und nötig!“ zu ihrer Losung machen.

Ich hoffe, durch die genauere Betrachtung des UZ-Artikels der drei Autoren ist deutlich  geworden, zu welchen Konsequenzen in der praktischen Politik die Ersetzung der Leninschen Imperialismustheorie durch die Theorie Leo Mayers über das transnationale Kapital geführt hat, und dass diese Konsequenzen für eine kommunistische Partei nicht hinnehmbar sind.

III. Anhang zum Diskussionsbeitrag zu Leo Mayers Thesen – Auszüge aus marxistischen Imperialismus-Analysen aus Kuba, Großbritannien und Österreich

I. Aus: „Imperialismus heute. Über den gegenwärtigen transnationalen Monopolkapitalismus“. Von R. Cevantes Martinez, F. Gil Chamizo, R. Regalado Alvarez, R. Zardoya Laureda. Editino Marxistiche Blätter, Neue Impulse-Verlag Essen 2000. Kapitel: Transnationalisierung, Staat und politische Macht

Die Sicherung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse in Europa und Nordamerika führte zur Vereinigung der ehemals unabhängigen Provinzen „in eine Nation, eine Regierung, ein Gesetz, ein nationales Klasseninteresse, eine Douanenlinie“. In dem Maße, wie der Konzentrationsprozess des Eigentums und der Kapitalkreislauf die Grenzen der Rechtsprechung des Nationalstaates überschreiten, muss die transnationale Finanzoligarchie die Welt unter „eine Regierung“, „ein Gesetz“, „ein Interesse“ – in diesem Fall ein imperialistisches, transnationales – und „eine Grenze“ stellen: die Linie, die den übrigen Wirtschaftstypen der Welt den Zugang zu den Pfründen des transnationalen Kapitalkreislaufes versperrt. Diese Zweckbestimmung bildet eins der Grundgesetze ihrer historischen Entwicklung; auf dieses höchste Ziel sind heute alle ihre Anstrengungen als neu in die Geschichte eintretender Sektor der Bourgeoisie gerichtet.

Aber dieses Vorhaben des heutigen Imperialismus stößt bei seiner Verwirklichung auf unüberwindliche Hindernisse: die Widersprüche zwischen dem Imperialismus – in erster Linie dem USA-Imperialismus – und den Ländern der sogenannten Dritten Welt, die zwischenimperialistischen Widersprüche, die Widersprüche zwischen der transnationalen Finanzoligarchie und den nationalen Bourgeoisien, zwischen den Sektoren dieser Bourgeoisien, die mit dem transnationalen Kapital assoziiert sind, und denen, die sich durch dieses bedroht sehen, und zwischen diesen bürgerlichen Sektoren und der Gesamtheit der Lohnabhängigen, organisiert oder nicht, und den Ausgegrenzten, deren zunehmende Pauperisierung die Unregierbarkeit und die sozialen Ausbrüche nährt, die die Möglichkeit in sich bergen, echte revolutionäre Situationen auszulösen. Nicht weniger als 37.000 transnationale Unternehmen und eine erhebliche Zahl von Finanzgruppen machen sich täglich jeden Millimeter ökonomisches und politisches Terrain streitig, eingeschlossen Arbeitskräfte, Märkte und die nationalen Staatsmaschinerien. Diese Widersprüche zeugen davon, dass die transnationale Finanzbourgeoisie, obgleich sie sich vorgenommen hat, die absolute Mehrheit der Weltbevölkerung – die kleine und mittlere Bourgeoisie, das Proletariat, die Bauernschaft, die Ausgegrenzten – von jeder Beteiligung an der Entscheidungsgewalt auszuschalten, nicht in der Lage ist, die politische Konfrontation auf nationaler und internationaler Ebene zu beseitigen, ebenso wie es ihr unmöglich ist, ein einziges Monopol zu schaffen. Innerhalb dieser Oligarchie bestehen vielfältige Widersprüche. Ihre wichtigsten Ausdrucksformen sind die Bildung von rivalisierenden regionalen Blöcken und der Antagonismus, der zwischen ihrem mächtigsten, auf eine totale Globalisierung gerichteten Sektor, vor allem in den USA, und jenen Sektoren entstanden ist, die sich in regionale Räume flüchten müssen, um ihre transnationalen ökonomischen und politischen Besitzstände zu sichern. Diese Antagonismen erklären zum großen Teil die wichtige Rolle, die die nationalen imperialistischen Staaten noch im Transnationalisierungsprozess des Monopolkapitalismus spielen. Das betrifft vor allem den USA-Staat und in geringerem Maße die Staaten Japans, Deutschlands und anderer Europäischer Länder, die politischen (lies: militärischen, juristischen und polizeilichen) Stützen der transnationalen Monopole.

Das widersprüchliche Verhältnis von Konkurrenz und Kooperation, das zwischen den drei Hauptgruppierungen der transnationalen Finanzoligarchie und ihren jeweiligen imperialistischen Staaten besteht, ist einerseits bestimmt durch die objektive Notwendigkeit, Mechanismen der politischen Herrschaft und ökonomischen Regulierung herzustellen, die der transnationalen Ebene des Kapitalkreislaufes angemessen sind, und andererseits durch die spezifischen Interessen jedes der drei imperialistischen Zentren, nämlich: das veränderliche Kräfteverhältnis zwischen den Interessen der „Globalisten“, „Regionalisten“ und „protektionistischen Nationalstaaten“ der USA-Bourgeoisie, das nach der Unterzeichnung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens die Verwirklichung des Projektes einer kontinentalen Amerikanischen Freihandelszone behindert; die westeuropäische imperialistische Integration mit der Bundesrepublik Deutschland als Zentrum, die dazu bestimmt ist, sich der politischen, ökonomischen und militärischen Hegemonie des USA-Imperialismus zu erwehren; und die „Exportaggressivität“ des japanischen Imperialismus, der eine relativ kleine territoriale Ausdehnung und Bevölkerung hat und daher viel stärker als seine wichtigsten Partner und Konkurrenten von den Außenmärkten und davon abhängig ist, seine Unternehmen außerhalb seiner nationalen Grenzen anzusiedeln: vor allem in den Gebieten des pazifischen Beckens.

II. Aus:„Imperialismus im 21. Jahrhundert. Sozialismus oder Barbarei“. Von Harpal Brar. Pahl-Rugenstein-Verlag Nachfolger, Bonn 2001. Kapitel IV: Aufteilung der Welt unter die imperialistischen Länder.

Da die USA sich fortgesetzt weigern, den Dollar mit Zinserhöhungen zu stützen, sind die Japaner ihrerseits nicht länger gewillt, US-Schulden zu übernehmen und damit gigantische Wechselkursverluste zu erleiden.

Dies verschärft wiederum die Konflikte und, nach dem Ende des Kalten Krieges, die Spannungen zwischen den beiden Ländern. Das alte internationale Währungssystem, in dem der Dollar als internationale Währungsreserve diente, bricht zusammen ohne einen Ersatz in Aussicht. Und dieser Zusammenbruch ist der Vorbote des kommenden Handelskrieges, der in seinem Ausmaß weit furchtbarer und verheerender ausfallen wird als das, was die Welt bisher gesehen hat. Es gibt gute Gründe zu glauben, dass dieser Konflikt sich nicht in den Grenzen eines Handelskrieges halten lässt; dass er in einen bewaffneten Konflikt von beispiellosen Dimensionen übergeht – denn „das Finanzkapital und die Trusts schwächen die Unterschiede im Tempo des Wachstums der verschiedenen Teile der Weltwirtschaft nicht ab, sondern verstärken sie. Sobald sich aber die Kräfteverhältnisse geändert haben, wie können dann unter dem Kapitalismus die Gegensätze anders ausgetragen werden als durch Gewalt?“ (Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, Gesammelte Werke, Band 22, S. 278)

Kein Wunder, dass in den vergangenen sechs Jahren ein halbes Dutzend Bestseller von angesehenen bürgerlichen Autoren erschienen sind, die – ohne die geringste Sympathie für den Leninismus zu haben – den nächsten Krieg zwischen den USA und Japan vorhersagen. Die beste und triftigste Argumentation hierfür findet sich in „Der kommende Krieg mit Japan“ von G. Friedman und M. Lebard. Die Autoren machen geltend, dass die USA keine Vorteile in den bestehenden Beziehungen zu Japan mehr sehen, dass sie versuchen werden, ihre wirtschaftlichen Probleme auf Kosten Japans zu lösen und dass daraus zwischen beiden Ländern Krieg entsteht.

„Aus amerikanischer Sicht überwiegen mit Ende des Kalten Krieges die Nachteile der Beziehungen mit Japan bei weitem die politischen Vorteile. Bei der umfassenden Umbildung ihres Imperiums erwarten die USA von Japan die Akzeptanz amerikanischer Vorherrschaft. ... Die USA versuchen, ihre wirtschaftlichen Probleme auf Kosten Japans zu lösen, indem sie mit ihrer politisch-militärischen Macht Japan zwingen, die Neuordnung zu akzeptieren. Es ist leichter, Japan zur Exportbeschränkung von Autos in die USA zu zwingen und ihren Einkauf amerikanischer Autos zu erhöhen als die Effizienz von Detroit“ (S. 401)

Und: „Massive ökonomische Konkurrenz, verbunden mit geopolitischer Unsicherheit, verursachte den Ersten Weltkrieg. Die Vorstellung, dass dieselben Kräfte im 21. Jahrhundert mit Goodwill und vorsichtigen Verhandlungen im Zaum gehalten werden können, ist nicht sehr glaubwürdig.“ (S. 201) (...)

Eines ist gewiss sicher, nämlich, dass die Ereignisse sich zunehmend in eine Richtung bewegen, die einen innerimperialistischen Handelskrieg als Vorläufer eines wirklichen Krieges wahrscheinlich machen mit dem Ziel der Neuaufteilung bestehender Einflusssphären, Rohstoffquellen und Märkte für Waren und Kapitalexport, es sei denn, diese Entwicklung wird durch Revolution gestoppt. In diesem Kontext müssen wir all die imperialistisch geführten und inspirierten Kriege und bewaffneten Konflikte rund um den Erdball betrachten – vom mörderischen Golfkrieg über den Genozid im ehemaligen Jugoslawien bis hin zum brudermörderischen Feldzug der mittelalterlichen Taliban-Barbaren in Afghanistan zugunsten des US-Imperialismus. All diese Konflikte zielen auf die Monopolisierung der Ölvorkommen im Nahen Osten und in den östlichen Republiken der ehemaligen Sowjetunion ab. In all diesen Kriegen bekämpfen die imperialistischen Mächte nicht nur die Völker der Region, sondern jede imperialistische Macht ist ebenso darauf bedacht, für sich selbst die vorteilhafteste Position herauszuschlagen.

III. Aus: „Landesprogramm der KPÖ Steiermark“, Neue Volksstimme, Wien, Heft 2/2003. Kapitel: Wesenszüge des Kapitalismus im 21. Jahrhundert – Imperialismus heute.

Im 1. Kapitel „Wesenszüge des Kapitalismus im 21. Jahrhundert – Imperialismus heute“ stellen wir im Abschnitt „Gewalt und Weltherrschaft“ (unter anderem) folgendes fest. Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Imperialismus nur „friedensfähig“, so lange ihm das sozialistische Lager gegenüberstand. Wie es jetzt um seine Friedensfähigkeit bestellt ist, da es den Sozialismus auf europäischem Boden nicht mehr gibt, sieht man daran, dass der Imperialismus Staaten, die sich dem ungehinderten Zugriff auf ihre Ressourcen und Bodenschätze widersetzen, mit Kriegen überzieht. Diese imperialistische Praxis bestätigt die marxistische These, wonach die Aggressivität des Imperialismus sich aus der Art seiner Widersprüche entwickelt und er auf Grundlage seiner inneren Gesetzmäßigkeit „gezwungen“ ist, sie auszutragen. Letzten Endes geht es im imperialistischen Krieg immer um Aneignungsquellen – letztlich um die Eigentumsfrage.

Je mehr weltweit dereguliert, privatisiert und liberalisiert wird, je mehr Investitionen im Ausland liegen, je größer die Bedeutung ausländischer Märkte für die Reproduktion des Kapitals wird, je schärfer der Widerspruch zwischen Nord und Süd, Reich und Arm wird, desto wichtiger ist für die transnationalen Konzerne die Sicherung ihrer Interessen und Einflusssphären durch „ihren“ Nationalstaat und einen Gewaltapparat, der global die Interessen der imperialistischen Hauptmächte absichert und die weitere Globalisierung zu ihren Bedingungen garantiert. Der amerikanische Imperialismus ist das Machtzentrum der imperialistischen Zentren. Die USA sind die stärkste Militärmacht der Welt und beanspruchen – gestützt auf die NATO – unumwunden das Recht der militärischen Intervention in allen Staaten, die sich ihrem Weltherrschaftsanspruch und ihren Profitinteressen widersetzen mit oder ohne NATO.

Anstelle des Systemwettbewerbs tritt der Kampf um die innerimperialistische Vormachtstellung. Der Kampf der Kapitale um die Anteile am Weltmarkt transformiert sich im Kampf der Großmächte um den Weltmarkt. Der Euro ist Konkurrenzwährung zum Dollar und Instrument europäischer Wirtschafts- und Machtpolitik. Eine starke integrierte EU des transnationalen Monopolkapitals steht zwangsweise in Konkurrenz zum US-Imperialismus. Der Kampf um Einflusszonen, um die Vorherrschaft über die strategisch wichtigen Regionen der Welt ist bereits voll im Gange. (...)

In dem Maße, wie die Widersprüche zwischen den Wirtschaftsblöcken wachsen und die gemeinsame Sicherheitspolitik der EU (GASP) Gestalt annimmt, werden die Differenzen der EU zu den USA in strategischen und taktischen Fragen auch politikrelevant. Auch die EU will, zusätzlich zur NATO, mit einer hochtechnologischen Interventionsmacht international und gegebenenfalls unter Bruch des Völkerrechts militärisch operieren können. Entscheidend bleibt, dass auch heute ein Dritter Weltkrieg – für wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich er momentan auch gehalten wird – nur zu vermeiden ist, wenn der Kampf um die sozialistische Revolution in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern geführt wird. Denn der zündende Funke eines solchen Krieges – welche Blöcke auch immer an ihm teilnahmen – bleibt der auf einem anderen Weg nicht zu beseitigende Widerspruch zwischen dem imperialistischen Ausdehnungsbedürfnis der kapitalistischen Zentren und seiner möglichen Befriedigung. Von diesem Ziel sind wir hinsichtlich der subjektiven Bedingungen weiter entfernt als je zuvor.

                                                                                                                               Kurt Gossweiler, Berlin

Vera Butler: Verharrt der Kapitalismus heute noch immer auf der Stufe von 1916-1920?

Mit Interesse las ich die Beiträge von Andrea Schön und Michael Opperskalski zum Thema „Krieg – Friedensbewegung – Kommunisten“. Jetzt, unmittelbar nach der Aggression der Hegemonialmacht Amerika gegen den Irak, ist diese Diskussion besonders aktuell.

Daher war ich von dem militanten Donner Andrea Schöns gegen den Vergleich „W“ Bush mit Hitler überrascht, besonders, da sie damit den ärgerlichen Protest Washingtons zu befürworten scheint. Sie versucht, ihre Ansichten ideologisch zu untermauern und argumentiert, dass alle kapitalistischen Mächte Imperialismus praktizieren, inkl. Deutschlands. Die Hervorhebung Amerikas beruhe daher auf einem falschen Verständnis der Imperialismustheorie Lenins. Das mag wohl ihre subjektive Meinung sein, zu der sie berechtigt ist, hat aber kaum objektive Gültigkeit oder auch nur Überzeugungskraft.[99]

Wie Lenin selbst unterstrich, war sein Imperialismus-Begriff an eine bestimmte Entwicklungsstufe des Kapitalismus gebunden, die er diverse Male definierte.[100] Ist die Geschichte seither stehen geblieben, und verharrt der Kapitalismus heute noch immer auf der Stufe von 1916-1920? Haben sich die von Lenin angedeuteten politischen Entwicklungen, nämlich die Verdrängung Großbritanniens und Deutschlands durch das aufsteigende Amerika nicht verwirklicht? Das Wiederkäuen der Imperialismus-Mantra, ohne der Weiterentwicklung zu einer immer größeren Konzentration von Wirtschafts- und Militärmacht in den USA seit 1945 – und noch mehr nach 1991 – Rechnung zu tragen, ist ein Rückfall in sterile Dogmatik, die nicht der Wirklichkeit entspricht.

Vielleicht ist Andrea Schön auch nicht mit militärischen Machtverhältnissen vertraut. Mit der technologischen Überlegenheit und Waffenkapazität der Hegemonialmacht USA kann weder das deutsche, noch das EU-Rüstungsprogramm auch nur annähernd konkurrieren. Von militärischen Konfrontationen mit den USA, wie Stalin es in dem angeführten Zitat prognostizierte, kann heute überhaupt keine Rede sein. Das gilt selbst für Russland, das schließlich noch immer als die zweitgrößte Nuklearmacht der Welt gilt. Wer jedoch mit dem Lament der russischen Kommunisten über den Verfall der Landesverteidigung vertraut ist, zweifelt nicht daran, dass selbst Moskau heute nicht im Stande ist, dem Hegemon Amerika (und wahrscheinlich selbst der NATO) Widerstand zu leisten.

Weltmachtansprüche eines angeblich neuen deutschen Imperialismus? Ich glaube kaum, dass man derartige Ideen ernst nehmen kann. Die BRD ist heute Mitglied nicht nur der EU, sondern auch der NATO, der UNO und anderer supranationaler Organisationen, die der Festigung des Kapitalismus dienen und die die Souveränität individueller Mitgliedsstaaten begrenzen. Die deutsche Bourgeoisie, die deutschen Politiker sind heute nur zweitrangige Mitspieler in einem System, das von allen Kommunisten – und nicht nur von den deutschen – verworfen wird. Der Unilateralismus der Hegemonialmacht USA erweckt zunehmende weltweite Besorgnis und Ablehnung, besonders nach dem Zirkus im Sicherheitsrat um den Irak, der Suche nach imaginären Waffen der Massenvernichtung und schließlich der Aggression gegen einen souveränen Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen. Und das oh! so servile Deutschland, das sogar einen Minister opfert, um Washington nicht zu verschnupfen, hat erst dank Frankreichs und Russlands Opposition gegen die amerikanische Willkür etwas Courage gezeigt.

Ich sehe aus dem Beitrag Michael Opperskalskis, dass auch er den „BRD-Imperialismus“ und „die eigene imperialistische Bourgeoisie und deren politische Helfershelfer“ als den „Hauptfeind deutscher Kommunisten“ bezeichnet, „gegen den sich alle Kämpfe richten müssen.“ Kommunisten überall stehen gegen den Zwang und die Ausbeutung der nationalen Bourgeoisien – nicht nur in Deutschland. Steht der Hegemon Amerika über aller Kritik in Deutschland? Soll das heißen: -Steckt Eure Nase in Euren eigenen Kohl und überlasst die Probleme des Weltfriedens anderen?- Das Ablenkungsmanöver überzeugt nicht. Die Arbeiterklasse hat seit jeher mehr gesunden Menschenverstand und Realismus bewiesen als so manche Intellektuelle, die sie leiten und lehren wollten.

Der Vergleich der Hegemonialmacht USA mit dem Nazismus ist zutreffend, denn beiden gemeinsam ist die Missachtung des Souveränitätsprinzips, Aggression und Ausbeutung, und die Massenvernichtung von Menschenleben – heutzutage im amerikanischen Militär-Jargon als „collateral damage“ abgetan.

Die weltweiten Demonstrationen gegen die Aggression im Irak, die Losung „Kein Blut für Öl“ bezeugen, dass die Symbiose zwischen Weltwirtschaftsinteressen und brutaler Waffengewalt, auf die Lenin 1916 hinwies, heute von Millionen Menschen verstanden wird. Der Unterschied zum Imperialismus alten Stils ist die Machtkonzentration unter der Kontrolle eines Einzelstaates. Das Übermaß an Raffgier, die wahnwitzige Verschwendung für Rüstungszwecke, mit dem der Hegemon Amerika noch versucht, seine Wirtschaft anzukurbeln, beschleunigt die Krise des Kapitalismus, wie Lenin voraussah.

Soll dieses Thema für deutsche Kommunisten Tabu sein? Absolution für die USA? Ich glaube nicht, dass „Offensiv“ diese Ansicht teilt. (Siehe meinen Beitrag zum Thema Hegemonismus (Offensiv November-Dezember 2001)

P.S.:

Heute kam über das BBC die Nachricht über den Einsatz deutscher und holländischer NATO-Truppen (lies Fremdenlegion) in Afghanistan, angeführt von einem perfekt englisch sprechenden deutschen General. Ist das ein Beweis für deutschen Imperialismus? Weltherrschaftsdrang?

Keinesfalls! Was es beweist, ist deutsche Hörigkeit, die Unterwerfung unter das Diktat der Hegemonialmacht USA, die schon lange auf „alliierte“ Unterstützung in ihrem so genannten Krieg gegen den Terrorismus pocht, denn ihr selbst geht bald die finanzielle Puste aus, und „W“ Bush kann es sich nicht leisten, allzu viele seiner Soldaten in „body bags“ nach Hause geschickt zu bekommen. Selbst unser kleines Australien muss sein Scherflein beitragen und die Rolle des Polizisten im pazifischen Raum übernehmen (Siehe Ost-Timor, Bougainville, jetzt in den Salomonen). In Kabul sind vor einigen Wochen schon vier deutsche „Friedensmacher“ in die Luft gejagt worden. Jetzt werden mehr folgen – aber nicht, um deutsche Interessen zu wahren, sondern um den Zugang Amerikas zu Zentralasiens zu decken, zu den früheren sowjetischen Republiken Usbekistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Kirgistan, Kasachstan und zu den dortigen, riesigen Ölvorkommen. Außerdem hat Amerika damit Basen im Rücken Chinas – nur so, für den Fall eines plötzlichen Konfliktes mit Taiwan!  So wird auf lange Sicht Weltpolitik geplant, und Deutschland ist in diesem Spiel nur ein unbedeutender Bauer, dem immer wieder vorgehalten wird, was die Amis alles für ihn getan haben – nicht zu reden vom kirchentreuen deutschen Beamtentum, viele davon in Amerika ausgebildet und ideologisch anti-sozialistisch eingestellt.

Als politische Wissenschaftlerin verfolge ich die geostrategischen Zielsetzungen der Hegemonialmacht USA. Leider verweilen viele der besten, ehrlichsten Denker der Linken zu sehr in der Vergangenheit – einer Vergangenheit, die niemals mehr wiederzubringen ist, denn die Umstände, die Kräfteverhältnisse, ja die Mentalität der Menschen unter dem Einfluss der westlichen Propagandaflut ändern sich laufend. Die großen Revolutionäre des 20. Jahrhunderts - Lenin, Stalin, Mao – sind nicht mehr. Ihre Schriften und Taten sind bleibende Quellen der Inspiration, aber jede neue Generation muss ihre Probleme selbständig lösen.

Ich zitiere aus meinem Beitrag zum 84. Jahrestag der Oktoberrevolution, den meine Vereinigung, die „Australian International Studies Association“, als Sonderheft „Hegemonism – The arrogance of power“ herausbrachte: „Die Dynamik der dialektischen Weltauffassung. Eine dialektische Weltauffassung hält die Dynamik antithetischer Gegensätze und Konflikte und ihre Lösungen für die Antriebskräfte der Geschichte, die einen maßgeblichen Einfluss auf menschliche Entwicklung und sozialen Fortschritt ausüben. Das dialektische Modell ist daher laufend dem Einfluss neuer Faktoren ausgesetzt, den Wechselwirkungen zwischen Alt und Neu. Ohne Beachtung der dialektischen Spannungen, die geschichtliche Vorgänge und Entwicklungen vorwärtstreiben, bleibt Geschichte eine statische Datensammlung, die nicht zu einem besseren Verständnis der Vergangenheit und der Dynamik der Zukunft beisteuert.“

                                                                                                                                Vera Butler, Melbourne

Zur politischen Ökonomie des Sozialismus

Andrea Schön, Gerald Hoffmann: Die Crux mit dem Wertgesetz - zum Revisionismus in der politischen Ökonomie des Sozialismus

In der Diskussion um das Wertgesetz im Sozialismus, wie sie von Hermann Jacobs und Ingeborg Böttcher in der offensiv unter o.g. Titel geführt wird, tauchen einige Kardinalfehler[101] bei der Bestimmung von Grundkategorien der politischen Ökonomie auf, die der grundsätzlichen Klärung bedürfen, zumal sie weniger den Autoren als vielmehr dem revisionistischen „Paradigmenwechsel“ in der UdSSR und den daraus entwickelten Wirtschaftsreformen des Jahres 1965[102] anzulasten sind. Damit wurde viel Verwirrung in die politische Ökonomie des Sozialismus hineingetragen, was sich wiederum verheerend in der ökonomischen Praxis auswirkte. Harpal Brar hat diese Entwicklung in seinem Buch „Perestrojka – Der vollständige Zusammenbruch des Revisionismus“ minutiös verfolgt und analysiert. Deshalb konzentrieren wir uns im folgenden auf die wichtigsten theoretischen Verzerrungen, die leider auch maßgeblich in der DDR-Forschung Einzug gehalten haben (ohne auf diese im einzelnen einzugehen).

Zunächst: Nicht die Arbeitsteilung ist das wesentliche oder gar einzig konstituierende Element der Warenproduktion, sondern das Privateigentum an Produktionsmitteln. Die Warenproduktion verleiht der gesellschaftlichen Arbeitsteilung lediglich ihren spezifischen, auf Tausch von Produkten privater Produzenten basierenden, Charakter.

Dazu Marx: „Gebrauchsgegenstände werden überhaupt nur Waren, weil sie Produkte voneinander unabhängig betriebner Privatarbeiten sind.“ (MEW 23, S. 57). Oder: ...„Nur Produkte selbständiger und voneinander unabhängiger Privatarbeiten treten einander als Waren gegenüber. ... In einer Gesellschaft, deren Produkte allgemein die Form der Ware annehmen, d.h. in einer Gesellschaft von Warenproduzenten, entwickelt sich dieser qualitative Unterschied der nützlichen Arbeiten, welche unabhängig voneinander als Privatgeschäfte selbständiger Produzenten betrieben werden, zu einem vielgliedrigen System, zu einer gesellschaftlichen Teilung der Arbeit.“ (ebd., S. 87) „In der Gesamtheit der verschiedenartigen Gebrauchswerte oder Warenkörper erscheint eine Gesamtheit ebenso mannigfaltiger, ... verschiedner nützlicher Arbeiten – eine gesellschaftliche Teilung der Arbeit. Sie ist Existenzbedingung der Warenproduktion, obgleich Warenproduktion nicht umgekehrt die Existenzbedingung gesell-schaftlicher Arbeitsteilung.“ (ebd., S. 86). „Hätten wir weiter geforscht: Unter welchen Umständen nehmen alle oder nimmt auch nur die Mehrzahl der Produkte die Form der Ware an, so hätte sich gefunden, dass dies nur auf Grundlage einer ganz spezifischen, der kapitalistischen Produktionsweise, geschieht.“ (ebd., S. 185-86)

Engels: Waren sind Gegenstände, „die innerhalb einer aus Privatproduzenten bestehenden Gesellschaft von diesen Privatproduzenten für Privatrechnung produziert und gegeneinander ausgetauscht werden.“ (Anti-Dühring, BML, S. 183)

Lehrbuch „Politische Ökonomie“ (Dietz Berlin 1955), S. 81/83: „Die einfache Warenproduktion unterstellt erstens gesellschaftliche Arbeitsteilung... und zweitens Privateigentum an den Produktionsmitteln und Arbeitsprodukten. [...] Hinter dem Warentausch verbirgt sich die gesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen den Menschen, die Eigentümer dieser Waren sind.“

Schließlich das Lehrbuch „Politische Ökonomie des Sozialismus“ (Moskau, 1967): „Privateigentum ist die Ursache der Warenproduktion. Gesellschaftliche Teilung der Arbeit ist nur eine unabdingbare Voraussetzung. In Abwesenheit von Privateigentum bringt die gesellschaftliche Arbeitsteilung keine Warenproduktion hervor. (Herv. A.S./G.H.)

Wir sehen also: Ohne Privateigentum (an Produktionsmitteln) keine Warenproduktion. Die Arbeitsteilung geht der Warenproduktion lediglich historisch voraus und erhält im Kommunismus ihre höchste, weil gesamtgesellschaftlich bewussteste Ausprägungsform.

Da in einer sozialistischen Gesellschaft das Privateigentum an Produktionsmitteln zu einer untergeordneten bis verschwindenden Größe wird bzw. zu werden hat, erlischt auch die Warenproduktion. Was nach einer Übergangszeit der Diktatur des Proletariats bleibt, sind Produkte, deren Herstellung und Verteilung planmäßig bestimmt werden. Wir haben es dann weder mit Ware-Geld- noch mit Plan-Markt-Beziehungen zu tun, weil sich Plan und Markt nicht etwa gegenseitig bedingen, sondern vielmehr ausschließen. (Die private Warenproduktion ist anarchisch und bewegt sich in der Konkurrenz zwischen den Waren- wie staatlichen Produzenten, der Plan auf Grundlage des Staatseigentums ist als an gesamtgesellschaftlichen Zielen orientierte ökonomische Maßnahme gerade die Negation von Konkurrenz und Anarchie.) Anders verhält es natürlich, wenn die Warenproduktion bewusst aufrecht erhalten bzw. ausgebaut wird, indem – zunehmend! – „Verantwortlichkeiten“ (für Rechnungsführung) und damit faktisch Eigentumsrechte an Betriebe und Genossenschaften vergeben werden, so dass diese sich wie Warenbesitzer auf einem - mehr oder minder reglementierten - Markt gebärden können. (Wir kommen darauf zurück.)

Ein weiterer Kardinalfehler ist die Behauptung, der „Wert der Arbeit“ (gemeint ist wohl die in Waren wertvergegenständlichte Arbeitszeit) müsse immer gemessen werden, sowohl im Kapitalismus als auch im Sozialismus. Der Wert der Arbeit im Sinne der wertschaffenden Substanz ist eben nur als Wert der Ware relevant, die vom Warenproduzenten hergestellt bzw. in die sie vom Volkseigentum beim Tausch mit Warenbesitzern umgewandelt wird; als gesellschaftliche Arbeit schafft sie Gebrauchsgüter, die nach Bedarf produziert und verteilt werden. In Waren vergegenständlichte Arbeitszeit ist mithin „unverkäuflich“ (oder ihr Verkauf bildet den Schwarzmarkt neben dem sozialistischen Produktionssektor und ihn untergrabend).

Im Sozialismus als erster Phase des Kommunismus haben wir es noch mit einem Neben- und Ineinander von Warenproduktion und -austausch auf der einen Seite und Produktion von Gebrauchsgütern auf Basis des Staatseigentums und deren Verteilung auf der anderen Seite zu tun. Sehen wir von den kleinen Warenproduzenten (Kleinbauern und Handwerkern) ab und betrachten die Warenproduktion von Gruppeneigentümern in Form von Produktions-genossenschaften. Gehen wir zunächst davon aus, dass sie ihre Produktionsmittel (Traktoren, Maschinen etc.) vom Staat unentgeltlich in Form des Nutzungsrechts von gesellschaftlichem Eigentum erhalten, ebenso den Grund und Boden. Das Saatgut kaufen sie. Das Produkt, und das ist das Entscheidende, gehört ihnen, weil ein Teil der Produktionsmittel wie Saatgut, Lager, Gebäude, Verarbeitungsgeräte usw. ihnen gehört. Sie produzieren damit wie die von Marx definierten privaten Produzenten: Sie bearbeiten den Boden, als wäre er ihr eigener, sie setzen Produktionsmittel ein, als wären es ihre eigenen, und schließlich ihre eigene Arbeitskraft, die der Genossenschaft gehört oder als Teil der Genossenschaft fungiert und nicht der Gesellschaft gehört oder unmittelbar als Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeitskraft fungiert. Sie schaffen damit Werte in Form von Waren – d.h. Wertvergegenständlichung von gesellschaftlich durchschnittlicher Arbeitszeit –, die sie durch Verkauf realisieren müssen. Und das können sie nur, sofern der Käufer ihre Produkte als Werte anerkennt und ihnen einen entsprechenden Gegenwert verschafft. Diese „Anerkennung“ erhalten sie vom Staat, von anderen Produktionsgenossenschaften und schließlich von privaten Konsumenten. Das heißt, der „Rest“ der Gesellschaft muss sich auf ihre Ebene begeben und den Tausch, nämlich den Besitzwechsel von Werten akzeptieren – völlig ungeachtet der einzelnen Vertrags- oder gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die etwa vom Staat für diese „Transaktion“ festgelegt sind. Der Staat als Verwalter des Volkseigentums agiert hier tatsächlich als Eigentümer, er bringt „fremdes“ Eigentum, für dessen Herstellung er zuvor aus gesellschaftlichen Fonds die Mittel bereitgestellt hat, in seinen Besitz, um es (als Gebrauchsgut, d.h. in Produktform zurückverwandelte Ware) anschließend in Form bedarfsgerechter gesellschaftlicher Verteilung (zum Beispiel durch die Bereitstellung für Bildungsstätten, Gesundheits- und Kultureinrichtungen, staatliche Handelsgenossenschaften) wieder zu negieren.

Verlangt hingegen der Staat von der Genossenschaft Geld für seine Produktionsmittel, so begibt er sich bereits an dieser Stelle ALS VERKÄUFER auf die Ebene des Warentauschs: Er macht nun VOR dem Produktionsprozess seine Rolle als gesellschaftlicher Eigentümer geltend und verlangt für das gesellschaftliche Produkt, das nunmehr zur Ware wird, einen entsprechenden Gegenwert. Er zwingt damit die Genossenschaft, die Produktionsmittel als zu ersetzende Wertbestandteile zu betrachten, die wiederum in Wertform (Ware, Geld) erworben werden müssen und daher in die Preisbildung eingehen: das anschließende Produkt, die Ware, wird für den Käufer teurer. Der bezahlt sozusagen neben allen anderen Auslagen einschließlich der wertbildenden Arbeit jene Zeche an den Genossenschaftseigentümer zurück, die der Staat zuvor als Gesamteigentümer beim Verkauf der Produktionsmittel eingenommen hat und die dieser auf verschiedene Weise auch wieder in Waren-/Geldform zurückverteilen muss: z.B. in Form einer Lohnerhöhung. Dies wirkt unmittelbar einschränkend auf die Akkumulationsbasis der sozialistischen Großindustrie und dem Absterben der Warenproduktion entgegen.

Zusammengefasst: Solange Warenproduktion besteht, gibt es Markt und Geldwirtschaft, d.h. ein Austausch von Werten statt Verteilung von Gebrauchsgütern. Das ist die ökonomische Seite.

Die politische Seite: Werden die wesentlichen Produktionsmittel (Grund und Boden, Maschinen und Traktoren) vom Staat gestellt (wie in der SU bis 1956), so ist der Genossenschaft wie dem volkseigenen Betrieb klar, daß man mit dieser kostenlosen Leihgabe der Gesellschaft nicht schalten und walten kann, wie man will. Zumindest muss es klargemacht werden, damit das Eigentümerbewusstsein der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft möglichst abgeschwächt wird bzw. im volkseigenen Betrieb erst gar nicht entsteht und vielmehr das Bewusstsein über die gesellschaftliche Verantwortung für das gesellschaftliche Eigentum entsprechend erhöht wird. Setzt man statt dessen den „ökonomischen Hebel“ (Eigenverantwortlichkeit, individuelle Rechnungsführung) an, um Schlamperei und Verschwen-dung zu vermeiden, gibt man damit ein Stück Staatsmacht aus der Hand und verstößt objektiv gegen die langfristigen Interessen der Arbeiterklasse an der vollständigen Aufhebung des Privateigentums zugunsten des gesellschaftlichen Eigentums. Man züchtet privates Eigentümer-bewusstsein statt Verantwortung für gesamtgesellschaftliches Eigentum. Man stärkt den „alten“ Menschen, statt die Heranbildung des „neuen“ zu fördern.

Wie weit man die Warenproduktion aus der sozialistischen Wirtschaft eliminieren kann, wird von den konkret-historischen Klassenverhältnissen und dem realen Entwicklungsstand, dem Vergesellschaftungsgrad der Produktivkräfte bestimmt: In der Sowjetunion war die Bauernschaft die (quantitativ) stärkste Klasse. Um das Bündnis mit der Arbeiterklasse zu sichern, musste man dieser Klasse entgegenkommen, d.h. man durfte sie nicht vollends enteignen und hat mit dem System von Genossenschaften eine Übergangsform vom privaten zum gesellschaftlichen Eigentum zunächst in Form von Gruppeneigentum geschaffen. Dieses Gruppeneigentum verlangt allerdings zur Eliminierung der Warenproduktion langfristig die schrittweise Überführung sämtlicher Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigentum, damit die schließliche Aufhebung der noch bestehenden Klassenunterschiede zwischen Arbeitern und Bauern. Ähnlich verhält es sich mit den in Industriegenossenschaften zusammengefassten Kleinproduzenten, Handwerkern usw., den in Handelsgenossenschaften zusammengefassten Kleinhändlern sowie den in Konsumgenossenschaften zusammengefassten Endver-brauchern/Einzelkonsumenten: Auch dies sind Übergangsformen von der kollektiven Warenproduktion und -zirkulation hin zu einer staatlichen Verteilungsinstitution.

Es sind eben diese Übergangsformen, die die erste Phase des Kommunismus bestimmen. Sobald alle Formen des Privat- und Gruppeneigentums vom gesamtgesellschaftlichen Eigentum abgelöst werden, ist der Weg frei für den Übergang in die nächste Phase des Kommunismus, d.h. das Verschwinden der Klassen überhaupt.

Die Stellung der unmittelbaren Produzenten zu den gesellschaftlichen Produktionsmitteln wird in dem Maße allgemein/einheitlich, wie nur noch gesellschaftliches und kein Privateigentum mehr existiert. Dies ist überhaupt die Grundlage dafür, dass die gesellschaftliche Zirkulation ohne Vermittlung des Geldes auskommt, also das Prinzip des Kommunismus sich zu entfalten beginnt: jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen. Dies ist als langer Prozess abhängig vom realen Stand der Produktivkraft-Entwicklung und nicht ohne weiteres „dekretierbar“. Aber das Bewusstsein über die Notwendigkeit dieses Prozesses muss langfristig vorbereitet werden eben durch o.g. Zurückdrängung der Eigentümermentalität zugunsten des Bewusstseins der kollektiven Verantwortung für das zunehmend gesamtgesellschaftliche Produktionseigentum (wozu auch o.g. genossenschaftliche Distributionseinrichtungen zählen.) Mit der dafür notwendigen „Arbeitsmoral“ hat sich bereits Lenin als „eine(r) überaus wichtige(n) Frage des sozialistischen Aufbaus“ befasst: „Kommunistische Arbeit im engeren und genauen Sinne des Wortes ist unbezahlte Arbeit zum Nutzen der Gesellschaft, die man leistet, nicht um eine bestimmte Dienstpflicht zu erfüllen, nicht um Anspruch auf bestimmte Produkte zu erhalten, Arbeit, die nicht nach vorher festgelegten, gesetzlichen Normen geleistet wird, ohne auf Entlohung zu rechnen, ohne die Bedingung der Entlohnung, aus der Gewohnheit, für das Gemeinwohl zu arbeiten, und aus der (zur Gewohnheit gewordenen) Erkenntnis von der Notwendigkeit der Arbeit für das Gemeinwohl, Arbeit als Bedürfnis eines gesunden Organismus.“ („Von der Zerstörung einer jahrhundertealten Ordnung zur Schaffung einer neuen“, LW, Bd. 30, S. 510)

 

Nur so können wir den sogar von Bürgerlichen und Revisionisten in der Stalinzeit konzedierten „Enthusiasmus“ begreifen. Dieser war nichts anderes als die eben beschriebene kommunistische Arbeitsmoral und nicht irgendeine blinde oder gar zwangsinitiierte Masseneuphorie!

Wie sieht es mit weiteren Kategorien der Politischen Ökonomie aus, etwa „Arbeitslohn“, „Mehrwert“, „Profit“ und „Wertgesetz“? Auch dazu zunächst Marx: „Nur weil die Arbeit in der Form der Lohnarbeit und Produktionsmittel in der Form von Kapital vorausgesetzt sind – also nur infolge dieser spezifischen gesellschaftlichen Gestalt dieser zwei wesentlichen Produktionsagentien –, stellt  sich ein Teil des Werts (Produkts) als Mehrwert und dieser Mehrwert als Profit (Rente) dar ... Die bestimmte Form, worin sich die gesellschaftliche Arbeitszeit im Wert der Waren als bestimmend durchsetzt, hängt allerdings mit der Form der Arbeit als Lohnarbeit und der entsprechenden Form der Produktionsmittel als Kapital insofern zusammen, als nur auf dieser Basis die Warenproduktion zur allgemeinen Form der Produktion wird.“ (MEW 25, S. 888-89) „Nur als inneres Gesetz, den einzelnen Agenten gegenüber als blindes Naturgesetz, wirkt hier das Gesetz des Werts und setzt das gesellschaftliche Gleichgewicht der Produktion inmitten ihrer zufälligen Fluktuationen durch.“ (ebd., S. 887)

Wir sehen, all diese Kategorien sind an die kapitalistische Produktionsweise gebunden, mit Ausnahme des an die Warenproduktion gebundenen Wertgesetzes, das aber lediglich im Kapitalismus als – und zwar „blinder“ – Regulator der Produktion wirkt. Im Sozialismus hingegen ist es dem gesellschaftlichen Eigentum untergeordnet, Regulator der Produktion ist die Diktatur der Arbeiterklasse. Diese hat das Wertgesetz dort zu beachten und es auszunutzen, wo Warenproduktion herrscht, d.h. für den Austausch von Äquivalenten zu sorgen bzw. Abweichungen davon (etwa durch staatliche Preisregulierung) bewusst vorzunehmen, auszugleichen etc. Damit wendet sie das Wertgesetz an und schränkt seinen Wirkungsbereich ein, anstatt es als „blindes“ Gesetz wirken zu lassen.

Was geschieht mit dem gesellschaftlichen Gesamtprodukt, das keinen Warencharakter hat, sobald es unter Bedingungen der proletarischen Diktatur und ihrem staatlichen Eigentum produziert wird? Auch hierzu gibt Marx einige Schlüsselgedanken: „Gesellschaftliche Pro-duktion irgendeiner Art... vorausgesetzt, kann stets unterschieden werden zwischen dem Teil der Arbeit, dessen Produkt unmittelbar von den Produzenten und ihren Angehörigen individuell konsumiert wird, und – abgesehn von dem Teil, der der produktiven Konsumtion anheimfällt – einem andern Teil der Arbeit, der immer Mehrarbeit ist, dessen Produkt stets zur Befriedigung allgemeiner gesellschaftlicher Bedürfnisse dient, wie immer dies Mehrprodukt verteilt werde und wer immer als Repräsentant dieser gesellschaftlichen Bedürfnisse fungiere.“ (ebd., S. 884)

Das heißt hinsichtlich der sozialistischen Produktionsweise: Repräsentant der gesellschaftlichen Bedürfnisse ist durch die Diktatur des Proletariats zunächst die arbeitende Bevölkerung: Sie bestimmt mittels sozialistischer Planwirtschaft, wer was wozu produziert und an wen zu welchen Bedingungen liefert. Sie vertritt den ideellen Gesamteigentümer (in der Negation, der Aufhebung des Privateigentums) ebenso wie den ideellen Gesamtarbeiter. Sie vertritt damit das gesellschaftlich Allgemeine, dem das Besondere (in Form von Gruppen-/Genossenschaftseigentum oder kleinen Warenproduzenten) untergeordnet ist. Sie verhindert damit auch ausdrücklich die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Produzenten (z.B. durch Beschneidung des „freien“ Handels mit Überschüssen) – die wirtschaftlichen Beziehungen, die sie untereinander eingehen, sind im Plan erfasst und werden überwacht (Rechnungsführung und Kontrolle.) Es gibt also keine „marktwirtschaftlichen“ Freiheitsgrade, Produktionsmittel bei einem konkurrierenden Produzenten „billiger“ einzukaufen, Arbeitskräfte „billiger“ einzukaufen, damit „billiger“ zu produzieren und das Produkt „billiger“ auf den „Markt“ zu bringen.

Dort, wo noch Warenproduktion herrscht, geht ein Teil des gesellschaftlichen Produkts in Gruppeneigentum über, wird also der Allgemeinheit entzogen, die dieses Entzogene in Warenform zurückerwerben muss, während das volkseigene Produkt planmäßiger gesellschaftlicher Verteilung unterliegt: In Form von „Lohn“ (genauer: der Arbeitszeit entsprechendem Entgelt; vgl. Engels weiter unten) wird es individueller Konsumtion zugeführt, in Form von Akkumulationsfonds und sozialer Infrastruktur (Kultur, Bildung, Gesundheit etc.) gesellschaftlicher Konsumtion.

Stalin gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken: „... ich denke, es ist notwendig, auch einige andere Begriffe über Bord zu werfen, die dem „Kapital“ von Marx entnommen sind, wo Marx sich mit der Analyse des Kapitalismus beschäftigt hat, und die unseren sozialistischen Verhältnissen künstlich angeheftet werden. Ich denke hier unter anderem an Begriffe wie „notwendige“ Arbeit und „Mehr“arbeit, „notwendiges“ Produkt und „Mehr“produkt, „notwendige“ Arbeitszeit und „Surplus“arbeitszeit. Marx hat den Kapitalismus analysiert, um die Quelle der Ausbeutung der Arbeiterklasse, den Mehrwert aufzudecken und der der Produktionsmittel beraubten Arbeiterklasse die geistige Waffe für den Sturz des Kapitalismus zu geben. ... Jetzt, bei unserer Ordnung, klingen die Worte von der Arbeitskraft als Ware, vom „Dingen“ der Arbeiter recht absurd: als ob die Arbeiterklasse, die die Produktionsmittel besitzt, sich selbst dingt und an sich selbst ihre Arbeitskraft verkauft. Ebenso sonderbar ist es, jetzt von „notwendiger“ Arbeit und „Mehr“arbeit zu sprechen: als ob unter unseren Bedingungen die Arbeit der Arbeiter, die für die Gesellschaft geleistet wird und die der Erweiterung der Produktion, der Entwicklung des Bildungswesens, des Gesundheitsschutzes, der Organisierung der Verteidigung usw. gilt, für die Arbeiterklasse, die heute an der Macht steht, nicht ebenso notwendig wäre wie die Arbeit, die für die Deckung des persönlichen Bedarfs des Arbeiters und seiner Familie verausgabt wird.“ („Ökonomische Probleme des Sozialismus“, Bd. 15, S. 270)

Mit Ausnahme des „Mehrprodukts“ sind tatsächlich die genannten Kategorien mit der kapitalistischen Produktionsweise verknüpft. Das Mehrprodukt entsteht allerdings praktisch schon in der Urgesellschaft mit der Produktivkraftentwicklung und ermöglicht die erweiterte Reproduktion der Gesellschaft überhaupt (bzw. die Trennung in Kopf- und Handarbeit und im Zuge dessen die Spaltung der Gesellschaft in Klassen). Anders gesagt: Die menschliche als gesellschaftliche (kooperative) Arbeitskraft stellt immer mehr Produkt her, als zu ihrer Reproduktion nötig ist. Dieses Mehrprodukt wird in der sozialistischen Gesellschaft nicht mehr privat angeeignet, die Produktion auf erweiterter Stufenleiter (durch Produktivkraftentwicklung und sozialistische Akkumulation) kommt jetzt der gesamten Gesellschaft zugute. Die „notwendige“ Arbeit ist hier sehr viel größer als im Kapitalismus (wo sie auf die einfache Reproduktion der Arbeiterklasse zusammenschrumpft), denn sie umfasst jetzt die gesamten Konsum- und sozialen Absicherungsbedürfnisse der Gesellschaft[103].

Und ausschließlich bei der planmäßigen Herstellung und Verteilung des Mehrprodukts ist die Problematik von „Rentabilität“, „Gerechtigkeit“ etc. anzusiedeln: Wie viel muss gearbeitet werden, um eine erweiterte Reproduktion zu garantieren? Wie viel kann, soll, muss „erweitert“ werden? Wie wird die Arbeit für diesen Zweck gesamtgesellschaftlich verteilt (Abteilung I und II)?[104] Wohin fließt das Mehrprodukt (individuelle vs. gesellschaftliche Konsumtion, Akkumu-lationsfonds zentral, regional, kommunal etc.)?

Auch hierzu macht Stalin eine wichtige Bemerkung: „Manche Genossen ziehen daraus [aus der Einschränkung des Wirkungsbereichs des Wertgesetzes durch die planmäßige Entwicklung der Volkswirtschaft – A.S./G.H.] den Schluss, dass das Gesetz der planmäßigen Entwicklung der Volkswirtschaft und die Planung der Volkswirtschaft das Prinzip der Rentabilität der Produktion aufheben. Das ist völlig falsch. Die Sache verhält sich gerade umgekehrt. Wenn man die Rentabilität nicht vom Standpunkt einzelner Betriebe [!!] oder Produktionszweige betrachtet und nicht den Maßstab eines Jahres anlegt, sondern sie vom Standpunkt der gesamten Volkswirtschaft betrachtet und einen Maßstab von etwa 10-15 Jahren anlegt, was die einzig richtige Fragestellung wäre, dann steht die zeitweilige und labile Rentabilität einzelner Betriebe oder Produktionszweige in gar keinem Vergleich zu der höheren Form der sicheren und ständigen Rentabilität, die uns die Wirkung des Gesetzes der planmäßigen Entwicklung der Volkswirtschaft und die Planung der Volkswirtschaft gewährleisten, indem sie uns vor den periodischen Wirtschaftskrisen, die die Volkswirtschaft zerrütten und der Gesellschaft gewaltigen materiellen Schaden zufügen, bewahren und uns das ununterbrochene außerordentlich schnelle Wachstum der Volkswirtschaft sichern.“ (SW, Bd. 15, S. 315, Herv. A.S./G.H.)

Wir sehen, dass sich damit die Wertbestimmung der Arbeit auflöst in eine bedarfsorientierte Planung und Entwicklung, die nach gesamtgesellschaftlichen und langfristigen Rentabilitätskriterien erfolgt. Das Geld als Wertmaßstab verschwindet damit ebenfalls bzw. wird nur noch dort verwendet, wo Warenaustausch stattfindet bzw. Produkte in Form von Waren konsumiert werden (durch den Endverbraucher, der die Produkte direkt oder indirekt aus der Hand von Warenbesitzern (s.o.) kauft).

Dazu Engels: „Sobald die Gesellschaft sich in den Besitz der Produktionsmittel setzt und sie in unmittelbarer Vergesellschaftung zur Produktion verwendet, wird die Arbeit eines jeden, wie verschieden auch ihr spezifisch nützlicher Charakter sei, von vornherein und direkt gesellschaftliche Arbeit. Die in einem Produkt steckende Menge gesellschaftlicher Arbeit braucht dann nicht erst auf einem Umweg festgestellt zu werden; die tägliche Erfahrung zeigt direkt an, wie viel davon im Durchschnitt nötig ist. Die Gesellschaft kann einfach berechnen, wie viel Arbeitsstunden in einer Dampfmaschine, einem Hektoliter Weizen der letzten Ernte, in hundert Quadratmeter Tuch von bestimmter Qualität stecken. Es kann ihr also nicht einfallen, die in den Produkten niedergelegten Arbeitsquanta, die sie alsdann direkt und absolut kennt, noch fernerhin in einem nur relativen, schwankenden, unzulänglichen, früher als Notbehelf unvermeidlichen Maß, in einem dritten Produkt auszudrücken und nicht in ihrem natürlichen, adäquaten, absoluten Maß, der Zeit.“ (Anti-Dühring, BML, S. 288, Herv. wie im Original)

Stellen wir uns vor, dass auf jedem Produkt im Sozialismus ein Schild klebt, das die Zeit für seine Herstellung und Verteilung angibt. Dann könnte man sozusagen direkt gesellschaftliche Arbeitszeiten tauschen. Da das nicht sehr praktikabel ist, rechnet man die Zeit um in Form von Geld bzw. Preis. Damit ist zugleich die Möglichkeit gegeben, von Äquivalenten bewusst abzuweichen, d.h. die Produkte durch staatliche Preisbindung höher oder niedriger zu bewerten. Diese Umwertung ist eine politische, d.h. sie erfolgt im Sinne einer bewussten ökonomischen Politik: Wo sollen Werte abgezogen werden (z.B. bei Gebrauchsgütern des täglichen Bedarfs) und wo müssen sie als sinnvoller Ausgleich draufgeschlagen werden („Luxus“güter etc.)? Sie lenkt also maßgeblich den Konsum von Gütern und muss daher ebenso maßgeblich von den Produzenten bewusst entschieden werden. Wir gelangen auch hier wieder zum wesentlichen Regulator der Produktion und Verteilung – der proletarischen Diktatur, welche der vollen Entfaltung des ökonomischen Grundgesetzes des Sozialismus dient: rationellste Befriedigung der ständig wachsenden materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Werktätigen. Die Umverteilung von Werten ist und bleibt im Sozialismus demnach eine Klassenfrage und muss als solche auch entschieden werden!

Um diesen – politisch heiklen – Umverteilungen langfristig den Garaus zu machen, muss also mit der Warenproduktion das Geld als „drittes Produkt“ (äußerliches Wertäquivalent) nach und nach verschwinden. Das geschieht auf zweierlei Weise:

1. Die Produktivkraftentwicklung entwertet zunehmend die Produkte (auch die in Warenform), da die durchschnittliche Arbeitszeit pro Produkt (Ware) sinkt, damit auch die - zunehmend sozialistische - Reproduktionszeit der Arbeitskraft.[105] Das bedeutet, dass insgesamt die Produkte (Waren) billiger (wert-loser) werden und ebenfalls die Arbeitsentgelte (Löhne) sinken können bei gleichbleibender oder selbst steigender individueller Konsumtion. Wird zugleich die gesellschaftliche Bedürfnisbefriedigung weiterhin zu Ungunsten der individuellen erhöht, sinkt das individuelle Arbeitsentgelt; der Arbeiter braucht also immer weniger Geld, um gleichzeitig immer besser zu leben (eine Erfahrung, deren umgekehrte Variante vielen DDR-Bürgern nun in der kapitalistischen BRD entgegen tritt, wo sie mit viel mehr Geld zugleich bedeutend weniger bekommen, weil sie von Teilnehmern der gesellschaftlichen Produktion und Konsumtion auf den Wert ihrer Arbeitskraft – oder als Arbeitslose noch darunter – reduziert worden sind.

2. Produkte werden zunehmend zwischen den Wirtschaftseinheiten direkt und nach Bedarf und Plan verteilt. Damit können Entwicklungsunterschiede zwischen den Betrieben ausgeglichen und zugleich verhindert werden, dass „rentablere“ Genossenschaftsbetriebe sich automatisch ein höheres Mehrprodukt aneignen dadurch, dass sie unterhalb der durchschnittlichen gesellschaft-lichen Arbeitszeit produzieren. Je größer allerdings Betriebsfonds in Form von Geld vorliegen und Produkte an „unrentablere“ Betriebe „billiger“ in Geldform abgegeben werden müssen, desto eher erscheint dies dem „rentableren“ Gruppeneigentümer als ungerecht. Der „rentablere“ Betrieb muss hingegen begreifen lernen, dass seine Waren durch die Aufwendung von geringerer gesellschaftlicher Arbeitszeit auch von minderem Wert sind. Zwischen dem Staatsbetrieb und dem Genossenschaftsbetrieb bzw. zwischen den Genossenschaftsbetrieben herrscht das Prinzip des äquivalenten Tauschs (Arbeitszeit gegen Arbeitszeit), das möglicherweise dadurch am besten transparent zu machen ist, tatsächlich Arbeitszeitschilder (Stundenzettel statt Preise!) auf die Waren im Tausch zwischen diesen Betrieben zu kleben.

Zusammenfassung:

Im Sozialismus ist nicht das Wertgesetz Regulator der Produktion, sondern die Diktatur des Proletariats. Alle wesentlichen Kategorien der politischen Ökonomie des Kapitalismus (Mehrwert, Profit, notwendige Arbeit, Mehrarbeit etc.) sind aufgehoben im gesellschaftlichen Produkt und dem darin enthaltenen Mehrprodukt. Der „Arbeitslohn“ ist nichts weiter als ein Berechtigungsschein für individuelle Konsumtion[106] in durch die reale Arbeitszeit und die Qualifikation der Arbeit festgelegtem Umfang (ein Anreiz, die eigene Qualifikation und sozialistisches Verantwortungsbewusstsein zu erhöhen!) und liegt nur so lange in Geldform vor, solange es noch Konsumgüter in Warenform gibt.

Um in Art und Menge angemessen zu produzieren und zu verteilen sowie Reste der Warenproduktion zu überwachen bzw. sukzessive abzuschaffen, bedarf es der Diktatur des Proletariats, die diese Frage als Klassenfrage bzw. als gesamtgesellschaftliches Entwicklungs-problem versteht und behandelt:

- Wo und wie (welche Arbeit, wie viel davon, in welcher Abteilung) müssen Produkte geschaffen werden?

- Wie macht man den Tausch-/Verteilungsprozess von Warenwerten und Produkten möglichst effektiv und transparent?

- Wie gleicht man Disproportionen aus: Widersprüche Stadt – Land, Kommune – Region – Zentrale, Entwicklungsunterschiede zwischen Betrieben und Produktionszweigen, individuelle versus gesellschaftliche Konsumtion etc.

- Wie schafft man Bewusstsein und Verantwortung für diese Prozesse? (Zurückdrängung der kleinbürgerlich-konkurrenzförmig-individualistischen Ideologie des Privateigentums durch die sozialistische Medien- und Kulturpolitik!)

Wir sehen also, dass im Sozialismus die ökonomischen Probleme ausschließlich politisch geworden sind. D.h. von der blind durch Gesetze des Profits beherrschte Politik im Kapitalismus – wo unausgesprochen das Privateigentum und die anarchische Konkurrenz als „natürliche“ Tatsache vorausgesetzt sind – wird unter der Diktatur des Proletariats zu einer bewussten ökonomischen Politik geschritten.

Zum ersten mal in der Geschichte nutzen die Menschen die „Naturgesetze“ der gesellschaftlichen Produktion aus und wenden sie bewusst an. Dies ist nur möglich, weil und sofern keine wie immer gearteten Wertgesetze hinter dem Rücken der Gesellschaft wirken, da letztere also die Kontrolle über die noch bestehende Warenproduktion behält und sie in ihrer (immer desorganisierenden) Auswirkung für die gesellschaftliche Produktion schrittweise einschränkt.

Andererseits erweisen sich Korruption und Verschwendung, individuelle Raffgier etc. als die klassischen Vernichter gesellschaftlichen Eigentums, ihnen ist ebenfalls politisch zu begegnen. Eine Form der Wertevernichtung bzw. unsolidarischer -umleitung kann auf staatlicher Ebene durch den Außenhandel geschehen, der – sofern mit dem kapitalistischen Ausland betrieben – in Warenform erfolgt. Dies gilt auch für den innersozialistischen Handel, sofern nicht nach langfristigem Bedarf und gemeinsamem Plan, sondern kurzfristig-kompensatorisch nach Werten getauscht wird: Man erhält Produkte von anderen sozialistischen Ländern zum eigenen Bedarf, wandelt sie aber in Waren um und verscherbelt auf dem Weltmarkt, um an Devisen zu kommen. Oder die Produkte des eigenen Landes werden zum gleichen Zweck in Warenform billig ins kapitalistische Ausland verscheuert bzw. es werden Auslandskredite aufgenommen, um die eigene Bevölkerung mit Konsumgütern zu füttern, anstatt das sozialistische Bewusstsein über die aktuellen Entwicklungsprobleme der Gesellschaft zu heben.

 

Die Probleme oder „Fehler“ des realen Sozialismus sind maßgeblich in solchen „Abweichungen“ zu sehen. Es sind aber keine Abweichungen vom „Wertgesetz“, sondern Abweichungen von den Interessen der Arbeiterklasse. Hinter Begriffen wie „Wertgesetz“, „Markt“, „Ware-Geld-Beziehungen“ verschanzt sich der Revisionismus in der politischen Ökonomie und verlegt damit die politische Verantwortung auf scheinbar gesellschafts-unabhängige ökonomische Kategorien. Er schuf damit eine scheinbar auch im Sozialismus existierende „Sachzwanglogik“ (machte die realen, noch bestehenden Warenverhältnisse zu unhintergehbaren „Eigenschaften“ der Produkte), was die Diktatur des Proletariats systematisch untergrub. Mit dieser Selbstentmachtung wurde sie schließlich für den Imperialismus leichte Beute.[107]

Gerald Hoffmann, Berlin; Andrea Schön, Essen

Resonanz[108]

Gernot Bandur: Ausgewogenheit sollte schon sein

Lieber Frank, heute, an einem denkwürdigen Tag (13.August) möchte ich Euch wieder einmal schreiben. Und gleich komme ich zur Sache, die mich schon im vorigen Jahr bewegte, nach Eurem „Hinauswurf“.

Vorgeschlagen hatte ich seinerzeit, die „Offensiv“ zum Diskussionsblatt umzugestalten. Von anderen Lesern kenne ich die Meinung nicht. Ihr als Herausgeber und Redaktionsgremium habt Euch nun offensichtlich ganz anders entschieden. Es kommen fast nur noch große Ausarbeitungen, ja, die Ausführungen von Kurt Gossweiler liest man noch einmal. Das braucht man nun wirklich gar nicht. Kurt hätte besser daran getan, das evtl. Neue kurz und knapp darzustellen.

Auch scheint es mir schon seit rund eineinhalb Jahren so zu sein, dass Ihr über die Gebühr die Papiere von ganz Linken bringt. Ausgewogenheit sollte schon sein. Stellt meine Meinung bitte wirklich zur Diskussion, also nicht nur als Leserbrief schlechthin[109].

                                                       Beste Grüße, auch an Deine Frau, Gernot Bandur, Berlin, 13. 8. 03

P.S.: Gestern erhielt ich wieder ein neues Heft der „Offensiv“. Ich dachte natürlich, dort den Abdruck oder Resonanz auf meine vorhergehende Zuschrift zu finden. Stattdessen gab es eine Fortsetzung der Stalinserie von Ulrich Huar.

Konnte man bisher noch streiten ob der dargelegten Ausführungen, und ich hätte mir manches Mal gewünscht, unser Autor hätte vor dem Schreiben nochmals Plechanows Schrift „Über die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte“ gelesen, was ihn sicher vor Überhöhung seines Helden bewahrt hätte, so muss ich jetzt schon zum Ausdruck bringen, dass die Ausführungen nichts für den jetzigen Kampf von Sozialisten/Kommunisten bringen. Ja, es wird das genaue Gegenteil erricht.

Wie kann jemand, der sich Marxist/Kommunist nennt, die Prozesse der 30er Jahre in der UdSSR glorifizieren. Und was konkret die Ausführungen zu den Militärs angeht, halte ich mich an Bebel, der einmal sagte, „wenn die Feinde uns loben, dann haben wir etwas falsch gemacht“. Und genau dies trifft hier zu: man gucke in den „Völkischen Beobachter“ und andere faschistische Zeitungen. Sie waren voll des Lobes über die Exekutionen im Generalstab der Roten Armee etc. Ich habe dies schon vor 50 Jahren getan und bin deshalb nie zu solchen Einschätzungen wie Ulrich Huar gekommen.

Und ob er sich als Wissenschaftler gerade einen großen Gefallen tut, sich gerade auf ein Buch zu stützen, das schon vom Titel her aussagt, welchen Standpunkt die Herren Verfasser Hans Wauer und Hans-Jürgen Falkenhagen vertreten (Nikolai Bucharin: Revisionist, Renegat, Verräter), wage ich zu bezweifeln. Es sei denn, er will nun auch in’s Horn der Sozialismusabwickler (mit „linken“ Auffassungen) blasen. Von rechts geschieht das ja schon verstärkt seit 1990 (vgl. PDS) und von „links“ durch KPD(DDR) genau so lange. Deshalb verließ ich z.B. die PDS, leider zu spät, 1998, und vom KPD-Gründungsparteitag verschwand ich schon nach wenigen Stunden, weil schon damals keine an Marx, Engels, Lenin getroffene objektive Bewertung auch nur versucht wurde. Leider hat sich dies bis heute kaum geändert, wie ich aus vielen Publikationen (vgl. auch genannte) weiß. Auch deshalb stellte ich schon vor Jahren den Kauf der „Roten Fahne“ ein.

                                                                                              Beste Grüße, Gernot Bandur, Berlin, 2.9.03

Anne und Hans Beck: Wir möchten keine Stalin-Hefte mehr bekommen

Lieber Frank Flegel, Dir und Deiner Gefährtin herzliche Grüße. Euer Fleiß ist bewunderungswürdig.

Nur mit der Richtung, die Ihr eingeschlagen habt, sind wir nicht einverstanden. Natürlich gehört die Person Stalin bei der sehr notwendigen Betrachtung und Analyse der Geschichte des Sozialismus dazu. Nur, „Offensiv“ ist dabei, die Person Stalins auf einen Sockel zu heben. Ich habe sehr viel gelesen und kann diese Position mit meinem jetzigen Wissensstand nicht vereinbaren. Die KPD im Osten könnte auch nicht meine Partei sein, da sie in der Nachfolge Stalins sich bewegt.

Es ist sehr schwer in der jetzigen Zeit, immer zu wissen, was richtig ist und was nicht.

Lieber Frank, bitte, wir möchten keine Stalin-Hefte mehr bekommen.

Wir wünschen Euch Gesundheit und hoffen, auf ein anderes Profil der Zeitschrift.

                                                                                       Es grüßen Euch Anne und Hans Beck, Salzwedel

Dieter Hainke: Schwätzer gibt es massenweise

Lieber Frank, es ist mir einfach ein Bedürfnis, Dir zu sagen, dass die ohnehin guten Ausgaben des „Offensiv“ weiter an Qualität gewonnen haben. In einer Zeit, da jeder umherschwatzt, scheint es mir notwendiger denn je, sich zurückzubesinnen auf die Klassiker und auf jene, die den von den Klassikern vorgezeichneten Weg gegangen sind.

Schwätzer, denen die Bewegung alles ist und das Ziel nichts, die ewig den Zwangdrängen hinterherlaufen und nur an ihr persönliches Fortkommen denken, gibt es massenweise. Sie werden nicht gebraucht. Es ist die Frage zu stellen, wo gab es bisher eine lebensfähige Alternative zum Kapitalismus: nur in der Sowjetunion und in den nach dem zweiten Weltkrieg entstandenen Volksdemokratien in Osteuropa, in China, in Vietnam, in Nordkorea, in Cuba. Aus ihren Erfahrungen zu lernen, das ist heute die wichtigste Aufgabe.

Von den Spinnereien eines Chrustschow bis zum Verrat eines Gorbatschow war es nur ein kurzer, wenn auch unbegreiflicher Weg. Er wurde gegangen. Damit müssen wir zunächst einmal leben. Vieles schon Erreichte ist zunächst in eine Ferne gerückt. Ist es deshalb aus dem Blickpunkt der Werktätigen verschwunden, auch wenn es im Angesicht der anscheinend übermächtigen Macht des Kapitals so scheint? Ist es nicht so, dass nach wie vor alle Schichten der Gesellschaft von der Arbeit der lohnabhängig Beschäftigen leben? Ihnen ihre Position und ihre Verantwortung bewußt zu machen, das sollte unsere nächste wichtigste Aufgabe sein.

Beginnend beim Kommunistischen Manifest, fortsetzend beim Lebenswerk von Karl Marx, dem Kapital, beim Antidüring, bei den Schriften von Plechanow, Lenin und Stalin und weiteren hervorragenden Sozialisten sollten wir uns darauf konzentrieren, wo Erfolge waren und wo nur Geschwätz war.

Lieber Frank, mach bitte weiter so, mache den unendlichen Fundus an sozialistischem Wissen so vielen wie möglich zugänglich, laß uns zu einer neuen Iskra werden, einer Broschüre, aus der aus dem Funken die Flamme schlägt.                                                                                               Dieter Hainke, Magdeburg

Andrea und André Vogt: Ihr macht eurem Namen wieder einmal alle Ehre

Liebe „offen-siv“-Freunde, ihr macht eurem Namen wieder einmal alle Ehre. Zunächst die beiden überaus wichtigen und nützlichen Sonderhefte von Harpal Brar und Kurt Gossweiler über das Hauptproblem der kommunistischen Bewegung in unseren Tagen, den Revisionismus. Anschaulich und detailliert, historisch konkret tragen beide Autoren immens zur Aufklärung über die vergangene Geschichte einer ersten selbstbestimmten sozialistischen Gesellschaft, unserer Union der sozialistischen Sowjetrepubliken, der die DDR und die anderen sozialistischen Staaten in Europa leider nicht mehr angehören konnten, bei.

Dann noch die Juli/August –Ausgabe, aus welcher wir hier die Erwiderung Robert Steigerwalds zu Gerald Hoffmann hervorheben möchten. Wir haben die Debatte von Anfang an verfolgt und kennen Geralds Arbeit „Voraussetzungen und Ergebnisse der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution“. Natürlich kann dieser mit seinen 26 Lebensjahren nicht über 50 Jahre eigenen Klassenkampf berichten, wie R.S. sein Wirken herausstellt (Warum macht er das ?). Aber unserem jungen Autoren ist es nicht ums Lorbeeren sammeln zu tun, sondern um die notwendige und überfällige Aufarbeitung eines Teils unserer Geschichte. Und das macht er sehr, sehr gut und richtig. Daß Genosse Steigerwald da nicht mehr mitkommt und sich, bereits mit der Methode Gerald Hoffmanns überfordert, auf das Feld eines unverstandenen und besserwissenden Gekränkten zurückzieht, ist offensichtlich und ein wenig schade. Anstatt die rettende Medizin in Gestalt der Schrift des Gerald Hoffmann zur eigenen Genesung zu schlucken, spuckt er sie aus. R.S sollte der neuen, hoffnungsvollen Generation nützlich zur Seite, nicht aber altklug im Wege stehen. Liebe Freunde,

                    macht weiter so und seid ganz herzlich gegrüßt von Andrea und André Vogt aus Dresden

Gerald Hoffmann: Ausführungen, wie sie im Vorwort stehen, helfen nicht

Lieber Frank, schönen Dank für das neue Heft, das ich sofort mit großem Interesse zu lesen begann.

Allerdings bezweifle ich, dass Ausführungen, wie sie im Vorwort stehen, dazu helfen, der Stalin-Diskussion eine wirklich offensive Wendung zu geben. Ich kann mir vorstellen, dass es unglaublich schwer ist, den Hass zu ertragen, den man - in vorderster Front des ideologischen Klassenkampfes stehend - auf sich zieht. Trotzdem klingen Aussagen wie "das hätten wir nicht erwartet", "Euch nicht zugetraut" usw. demoralisierend.

Der Hass des Bürgertums auf Stalin ist eine objektive, in ihren Klasseninteressen wurzelnde Notwendigkeit, denn er ist der Repräsentant des siegenden Sozialismus - während alle nach ihm an der Spitze des Staates Stehenden bereits Repräsentanten des krisenhaft erschütterten und schließlich "friedlich" niedergehenden Sozialismus sind. (Wir kennen die materiellen Prozesse mittlerweile recht gut, welche dazu geführt haben.) Von daher - da der Klassenhass des Bürgertums notwendig auf die exponiertesten Vertreter des Proletariats fällt - sollte auch nicht an diejenigen Subjekte appelliert werden, welche ihn aus welchen Gründen auch immer übernehmen und euch diffamieren. Man muss ihnen klarmachen, dass sie unbewusst auf dem Standpunkt der erzreaktionären Totalitarismustheorie stehen, wenn sie sagen, durch die Beleuchtung der materiellen Prozesse in den realsozialistischen Staaten verharmlose man den "Stalinismus". Diese "Verharmlosung" ist gerade die dringend benötigte materialistische Analyse der objektiven Entwicklungsgesetzmäßigkeiten der Gesellschaft und entspricht - wie auch hinsichtlich der Aufdeckung des Klassencharakters des Faschismus - den Interessen des Proletariats.                                                            Kämpferische Grüße, Gerald Hoffmann, Berlin

Hans Schröter: Die Haltung zu Stalin war und ist wie Scheidewasser

Lieber Frank, zunächst und vor allem meine ich, daß die Darstellung Stalins ein außerordentliches Verdienst ist, von dem man sicherlich auch künftig noch lange zehren wird. Ja, die Haltung zu Stalin war und ist wie Scheidewasser: Sie offenbart "Kommunistisches" und Kommunistisches. Die Trennung von Spreu und Weizen gelingt eben nicht mit Allem und Jedem.

Ferner: ich meine daß mitnichten der Blick in die Geschichte des Sozialismus eine heikle Sache ist, wie Du schreibt. Heikel wird es dann, wenn wir immer hübsch von der "Einheit und Reinheit ... ausgehen" - wie gehabt und nicht uns gewiss sind, zwar von den Alten, dem Lenin und Stalin eine Menge Grundlegendes bekommen haben aber sie uns nicht das selbständige Denken abgenommen haben. Und bei diesem Denken sind manchmal auch gar mächtige und gewaltige Bocksprünge normal. Der Irrtum gehört zum Leben wie der Tod. Gesellschaftliche Prozesse sind nun mal stochastischer Natur, daher eine Einheit von Zufälligem und Notwendigem - und deshalb werden wir wohl immer hinter den endgültigen Wahrheiten herlaufen. Eine der großen Irrtümer der SED war offensichtlich, daß unsere Schaffung des Sozialismus nichts mit Experiment zu tun habe, weil man das nicht mit dem Menschen machen könne. Gut gemeint, aber ein typischer Fall von „denkste“. In unserer Geschichte gibt es sicherlich auch Heikles. Aber sie ist nicht heikel.

Einwand möchte ich auch erheben gegen Deine Meinung, eine richtige historische Einordnung Stalins nicht getroffen zu haben. Was denn, wenn nicht das? Sie mag vielleicht - und sicherlich - noch zu vervollkommnen sein, das ist möglich, aber richtiger als richtig kann sie nicht werden. Das muß man dem Genossen Huar und Euch schon zugestehen.

                                                                                              Also in alter Frische, Hans Schröter, Kelbra

Robert Steigerwald: Schöne Witzbolde seid Ihr!

Werte Genossen, endlich konnte ich - in der Marx-Engels-Stiftung – das Heft einsehen, in dem Ihr meine Antwort an den Gen. Gerald Hoffmann abgedruckt habt, wobei Ihr Euch im Vorspann einiges aus den Fingern sogtet.

Hat Gerald, als er Euch einiges erzählte, auch berichtet, dass er wegen ideologischer Gegensätze die „Marxistischen Blätter“ abbestellt hat?

Also trotz mangelnder Klarheit (Geralds Motto: „Klarheit vor Einheit!“) dennoch „Einheit“, indem er in den Herausgeberkreis dieser abgelehnten Zeitschrift eintreten sollte? Schöne Witzbolde seid Ihr!    Mit kommunistischem Gruß, Robert Steigerwald

Heinz Hoffmann: Ein bisschen schwanger

Ein bisschen schwanger zu sein, das klappt wohl nicht. Ein bisschen anonym geht schon eher. Ein Brief mit dem Absender „Mitglieder der DKP Land Brandenburg“ tendiert in diese Richtung. Dabei ist der Inhalt keineswegs so beschaffen, dass ich mir Sorgen machen müsste. Irgendwer hat fein säuberlich, mit allen Tippfehlern des Originals und der Rückverwandlung von „ss“ in „ß“ aus dem „Offen-siv“-Heft Nr. 8/03 den Abschnitt >3. Deutsche Kommunisten und Sozialisten nach der Niederlage von 1989/90< abgeschrieben, auf A-5-Format gebracht und geheftet. Die Mühe ist lohnenswert, nur mir diesen Auszug zu schicken, verfehlt den Adressaten. Ich bin schon seit Jahren begeisterter Leser von „Offen-siv“ und auch die Sonderhefte liegen mir vor.

Es tut gut, die Darlegungen von Gerhard Feldbauer zu lesen und seiner Einschätzung zur PDS und DKP kann ich nur zustimmen. Es hätte auch nicht geschadet, den Abschnitt >2.4 Verhängnisvoller Einfluss des XX. KPdSU-Parteitages< aus Heft 7/03 voranzustellen.

Also, liebe Anonyme, klappt das Visier auf! Ich bin auf eurer Seite! Und schickt den Auszug an Leute, die es nötig haben, sich über PDS und DKP Klarheit zu verschaffen (mit einem korrekten Absender). Gleich noch einen Tipp für Nachahmer: Leichter geht es über das Internet: offen-siv.kommunistische-geschichte.de anklicken und den Text aus besagtem Heft herunterladen.

                                                                                                                        Heinz Hoffmann, Strausberg


[1] Solidarität, Zeitung der SAV, Nr. 15, Juni 2003

[2] ebenda

[3] junge Welt, 13.6.03

[4] junge Welt, 13.6.03

[5] Neues Deutschland, 15.5.03

[6] ebenda

[7] ebenda

[8] ebenda

[9] Analyse und Kritik, Nr. 474, 20. Juni 2003

[10] Pressemitteilung der „Freundinnen und Freunde der EAL in Deutschland, Manuel Kellner (für die `Vorbereitungsgruppe`), Mai 2003

[11] junge Welt, 11.8.03

[12] Alle Informationen über den Entwurf des Eckpunktepapiers sowie alle Zitate daraus aus: junge Welt, 26./27.Juli 2003. Es ist zu berücksichtigen, dass dieses Papier noch nicht endgültig verabschiedet wurde, sondern von der „Vorbereitungsgruppe“ überarbeitet und Ende November dann endgültig herausgegeben wird.

[13] Solidarität, Zeitung der SAV, Nr.15, Juni 2003

[14] ebenda

[15] ebenda

[16] Pressemitteilung der „Freundinnen und Freunde der EAL in Deutschland, Manuel Kellner (für die `Vorbereitungsgruppe`), Mai 2003

[17] junge Welt, 11.8.03

[18] Neues Deutschland, 15.5.03

[19] ebenda

[20] ebenda

[21] alles aus dem Entwurf des Eckpunktepapiers, junge Welt, 26./27. Juli 03

[22] ebenda

[23] Zitate aus: Neues Deutschland, 15.5.03

[24] Solidarität, Zeitung der SAV, Nr. 15, Juni 2003

[25] junge Welt, 11.6.03

[26] Pressemitteilung der „Freundinnen und Freunde der EAL in Deutschland, Manuel Kellner (für die `Vorbereitungsgruppe`), Mai 2003; die Zeitung „Solidarität“ beschreibt die Vorbereitungsgruppe selbst sowie eine weitere Aufgabe genauer: „Es wurde eine Vorbereitungsgruppe aus Vertretern der verschiedenen Organisationen gebildet, die einen Entwurf für eine Wahlplattform erstellen soll.“ (Solidarität, Zeitung der SAV, Nr. 15, Juni 2003)

[27] ebenda

[28] junge Welt, 11.8.03

[29] „Unser Projekt (er meint die EAL bzw. die „Freundinnen und Freunde der EAL in Deutschland“; d.V.) weist über die Wahlen hinaus. Es ist ein Projekt mit strategischem Charakter. (Hervorhebung: d.V.)“; Leo Mayer in SoZ, Ausgabe September 2003

[30] vgl. „Programm der SAV zur Bundestagswahl 2002“, Seite III

[31] ebenda

[32] ebenda, Seite VIII“

[33] ebenda

[34] „Bisher ist kein Land der Welt sozialistisch gewesen (…) Unsere Ablehnung des Stalinismus stützt sich auf Analyse und Programm von Trotzki und der Linken Opposition in den 20er und 30er Jahren.“ Aus: „Grundsatzprogramm der SAV, beschlossen von der Bundeskonferenz der SAV in Köln vom 2.-4. April 1999.

[35] ebenda

[36] Sascha Stanicic: „Welcher Weg zum Sozialismus?“, SAV-Broschüre, Seite 50

[37] Leo Mayer, Mitglied des Sekretariats des Parteivorstandes der DKP, in: „Soziale Bewegungen und die Linke“, Vortrag beim Sommerseminar der DKP Südbayern am 16. August 2003 am Ammersee, veröffentlicht in der UZ vom 12. September 2003.

[38] UZ, 18.7.03

[39] UZ, 26.9.03

[40] UZ, 21.6.02

[41] ebenda

[42] ebenda

[43] ebenda

[44] ebenda

[45] ebenda

[46] Analyse und Kritik, Nr. 474, 20.6.03

[47] SoZ, Sozialistische Zeitung, August 2002, S. 5ff.

[48] UZ, 23.8.02

[49] Hugo Braun: Eine europäische Linkspartei?, in: UZ, 6.12.2002

[50] Analyse und Kritik, Nr. 474, 20.6.03

[51] UZ, 18.7.03

[52] UZ vom 12.9.03

[53] ebenda

[54] Neues Deutschland, 13.9.03

[55] Leo Mayer, Mitglied des Sekretariats des Parteivorstandes der DKP, in: „Soziale Bewegungen und die Linke“, Vortrag beim Sommerseminar der DKP Südbayern am 16. August 2003 am Ammersee, veröffentlicht in der UZ vom 12. September 2003.

[56] Nachzulesen u.a. in: http://www.kommunisten-online.de/Kommunisten/dkp_pv.htm

[57] Alle Zitate aus: Europas Linke im Wandel, Krise, Neuformierung und Perspektiven in Deutschland, von Günter Pohl, UZ, 26.9.2003

[58] ebenda

[59] ebenda

60 ebenda

61 Uns liegen vor: die Erklärung der Konferenz von Madrid, die Erklärung der Konferenz von Kopenhagen, die Pressemitteilung der Konferenz von Athen, die Pressemitteilung des Treffens in Frankfurt/Main vom 10. Mai und die Presseerklärung des Folgetreffens am 9. August, ebenso die Einladungen zu beiden Treffen. Zusätzlich alle Artikel, die in SoZ, ND, junge Welt, UZ, Rote Fahne und Solidarität zum Thema erschienen sind.

62 Erklärung der Konferenz der EAL von Madrid

63 Erklärung der Konferenz der EAL von Kopenhagen

64 Erklärung der EAL von Kopenhagen

65 SoZ, Ausgabe September 2003

66 UZ vom 3.10.03

67 ebenda

[68] RotFuchs/März 2002, S. 5.

[69] Ebenda, Juli 2002, S. 7.

[70] M. Opperkalski, in: Offensiv, 6/03.S. 18.

[71] Siehe Offensiv, 4/02, S. 41 ff.

[72] M. Opperkalski, a. a. O.; siehe den Beitrag dieses Autors in Offensiv unter dem Titel „Wie weiter? Einige Thesen zur Situation der kommunistischen Bewegung“ insgesamt, S. 13 ff. Auf einige problematische Fragen kann hier, da sie den Rahmen sprengen würden, nicht eingegangen werden – so auf die Forderung nach „Bolschewisierung ...“.

[73] Siehe Charly Kneffel, in: Der Querschläger, No. 5, Supplément der Kalaschnikow, Berlin, Juni 2001, 1. Auflage, S. 11.

[74] Programm der KPD, S. 4.

[75] S. Engel, Vorwort, in: Programm der Marxistischen-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD), Essen 2000, S. 4.

[76] Zitiert nach: unsere Zeit, 5. Juli 2002, S. 15.

[77] Offensiv, Das Parteienheft ... a. a. O., S. 78.

[78] RotFuchs/Juli 2002, S. 7.

[79] In: Imperialismus und anti-imperialistische Kämpfe im 21. Jahrhundert, Offensiv, Hannover 2001, S. 226.

[80] Insofern kann man solchen Auffassungen durchaus zustimmen, daß die SED trotz offenkundiger Defizite und ihrer Funktionsunfähigkeit in der Endphase die insgesamt erfolgreichste Partei der deutschen Arbeiterbewegung gewesen ist. Und ich stimme auch Steiniger zu, daß auch heute der Grundgedanke des Projekts SED nach 1945 trotz völlig anderer Lage – die Zusammenführung von Kommunisten und Sozialisten auf marxistischer Basis zu einer den Massen zugewandten großen revolutionären Kampfpartei inspirierende Vision bleibt. Ohne jede Einschränkung gehe ich auch mit seiner Meinung konform, daß es für die einer künftigen Partei große Partei des Sozialismus darauf ankommen, „alles Positive aus unserem revolutionären Erbe zu bewahren und für die Zukunft aufzuheben.“ (RotFuchs/Dezember 2002, S. 11).

[81] RotFuchs/ Januar 2003, S. 1.

[82] Werke, Bd. 17, S. 24.

[83] Zum Wie der Entwicklung dieser Sammlungsbewegung sowie zur Art und Weise der Diskussion in ihr gibt es vor allem im RotFuchs eine interessante nachdenkenswerte Debatte, die ich hier in concreto weder einführen noch bewerten kann. Mir ging es um das Grundlegende.

[84] Siehe I. Wagner: In welcher Epoche leben wir eigentlich? Versuch einer marxistischen Annäherung, Marxistisches Forum, Heft 42, Berlin, September 2002.

[85] H. Niemann, in: Geschichtskorrespondenz, Nr. 1/9. Jhg., Januar 2003, S. 23.

[86] Siehe I. Wagner: Für einen neuen Sozialismus als historisch-gesellschaftliche Alternative zum Kapitalismus, Marxistisches Forum, Heft 23, Berlin, September 1999.

[87] RotFuchs/Januar 2003, Leserbrief.

[88] H.H. Holz, a. a. O.

[89] Siehe I. Wagner: Für eine zeitgemäße radikale Kapitalismusreform in marxistischer Intention, in: Programmdebatte der PDS, Positionen - Probleme - Polemik, in: Marxistisches Forum, Heft32/33, Berlin, September 2000, S. 31 ff.

[90] H. Kallabis, H.-J. Krusch, I. Wagner: Ein Beitrag zur linken Programmdebatte in der BRD, in: Geschichte und Gesellschaft 4, Globale Dimensionen sozialistischer Programmatik, Schkeuditz 2001, S. 116.

[91] Siehe H. Kallabis, H.-J. Krusch, Ingo Wagner:, Ein Beitrag ... a. a. O., S. 113, vgl. S. 112 ff.

[92] Werke, Bd. 17, S. 28.

[93] Ebenda, S. 27.

[94] Siehe MEW, Bd. 33, S. 333.

[95] MEW, Bd. 7, S. 230.

[96] A. Schaff: Was gibt uns heute der Marxismus?, in: Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung, Nr. 25, März 1996, S. 109.

[97] Marx/Engels, Werke, Bd. 6, S. 180.

[98]  J. Stalin, Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR, Berlin 1952, S. 33f., 37.

[99] Lenin, W.I., Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. Verlag Neuer Weg, Berlin 1945, S.3-6. In den Vorworten zum „Imperialismus“ (1917 & 1920) betont Lenin wiederholt, dass es ihm angesichts der Zarenzensur (und später aus Zeitmangel) vor allem darum ging, das „ökonomische Wesen des Imperialismus“ zu erklären, das dem I. Weltkrieg zugrunde lag. Politische und militärische Asperkte des Imperialismus konnten daher von Lenin nur begrenzt behandelt werden.

[100] Ibid., S. 78 & S. 94

[101] Diese beschränken sich allerdings nicht auf die politische Ökonomie, sondern betreffen u.a. den Epochenbe­griff, der nicht nur in dieser Diskussion die hanebüchensten idealistischen Verformungen erhalten hat. So behauptet etwa Ingeborg Böttcher (offensiv 5/03, S. 21), „die Menschheit [ist] gegenwärtig weiter denn je vom Ziel des Kommunismus entfernt.“ Was immer damit gemeint ist: „die“ Menschheit hat nicht das Ziel des Kommunismus, da sie in antagonistische Klassen gespalten ist. Deren eine – die Bourgeoisie – ist durch das Privateigentum vom Kommunismus so weit „entfernt“, dass sie dessen Verwirklichung durch die andere Klasse – das Proletariat und seine Verbündeten – mit allen Mitteln entgegenarbeitet. „Weiter denn je“ impliziert im übrigen als einzig sinnvolle Bedeutung (ansonsten ist dieses „weiter“ lediglich ein Entfernungsbegriff in unbestimmter Zeitdimension), dass wir uns epochenmäßig etwa zwischen Urgesellschaft und Sklavenhaltergesellschaft befinden. Statt irgendwelchen Stoßseufzern über die – wie Stalin ankündigte – „schwärzeste Reaktion“ anzuhängen, in der wir uns heute befinden, wäre es weit wichtiger zu überlegen, worin die nächsten konkreten Schritte aus ihr dahin bestehen müssen, denn vom Ziel des Kommunismus ist die Arbeiterklasse keinen Fußbreit abgerückt (so sehr sich einige ihrer Vertreter darüber täuschen mögen: sie kann von diesem Ziel gar nicht abrücken), er ist vielmehr ihre ureigenste Angelegenheit in jedem konkreten Stadium des proletarischen Klassenkampfes. Unsere Epoche ist – trotz aller Reaktion! – die des Übergangs vom Kapitalismus/Imperialismus zum Sozialismus. Marx: „Es handelt sich nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat als Ziel sich einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was es ist und was es diesem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen sein wird.“ (MEW, Bd. 2, S. 38, Herv. wie Original)

[102] Diese wurde im September 1969 vom ZK der KPdSU offiziell beschlossen und sah im wesentlichen die Erweiterung der wirtschaftlichen Eigenständigkeit und Initiative der Betriebe vor und die Reduzierung der Planvorgaben auf „Richtlinien“. Im Zuge dessen planten und bestimmten die Betriebe ihre Produktion nach Art und Qualität selbst, traten dabei mit anderen in Konkurrenz, so dass ein Markt von Gruppeneigentümern entstand, der auf „eigene“ Rechnung und damit nach Angebot und Nachfrage produzierte. Da auf diesem Wege wieder Profitorientierung zum maßgeblichen Movens der Produktion wurde, versuchten die Betriebe, ihren „Kostpreis“ möglichst gering zu halten, d.h. sie arbeiteten vor allem mit veralteten Maschinen (solange die Arbeitskraft noch nicht wieder als Ware frei verkäuflich war), die ihnen der Staat mit günstigen Krediten verkaufte. Durch die konkurrierende Produktion von Waren entstand ein Durchschnittsprofit und entsprechend für die Betriebe als Gruppenkapitalisten Produktionspreise mit der Folge, dass sich viele Betriebe auf die Produktion teurer Produkte konzentrierten statt auf jene für den täglichen Bedarf mit entsprechender Preisbindung. Gorbatschow vollendete diese Entwicklung durch die weitgehende Freigabe der Arbeitskraft als Ware und Aufhebung der Preisbindung bzw. staatlicher Subventionierung vieler Güter und „unrentabler“ Betriebe. Die Transformation zum Kapitalismus hatte ihren vorläufigen Abschluss gefunden (vgl. Harpal Brar, Perestrojka, S. 230 ff, 2002).

[103] „Die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsform erlaubt, den Arbeitstag auf die notwendige Arbeit zu beschränken. Jedoch würde die letztre, unter sonst gleichbleibenden Umständen, ihren Raum ausdehnen. Einerseits weil die Lebensbedingungen des Arbeiters reicher und seine Lebensansprüche größer. Andrerseits würde ein Teil der jetzigen Mehrarbeit zur notwendigen Arbeit zählen, nämlich die zur Erzielung eines gesellschaftlichen Reserve- und Akkumulationsfonds nötige Arbeit. [...] Intensität und Produktivkraft der Arbeit gegeben, ist der zur materiellen Produktion notwendige Teil des gesellschaftlichen Arbeitstags um so kürzer, der für freie, geistige und gesellschaftliche Betätigung der Individuen eroberte Zeitteil also um so größer, je gleichmäßiger die Arbeit unter alle werkfähigen Glieder der Gesellschaft verteilt ist, je weniger eine Gesellschaftsschichte die Naturnotwendigkeit der Arbeit von sich selbst ab- und einer andren Schichte zuwälzen kann. Die absolute Grenze für die Verkürzung des Arbeitstags ist nach dieser Seite hin die Allgemeinheit der Arbeit. In der kapitalistischen Gesellschaft wird freie Zeit für eine Klasse produziert durch Verwandlung aller Lebenszeit der Massen in Arbeitszeit.“ (MEW 23, S. 552)

[104] Marx bezeichnet das Mehrprodukt der Produktionsmittel-Industrie als „reale Basis der Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter“ (MEW 24, S. 494) und schreibt: „Damit also der Übergang von der einfachen zur erweiterten Reproduktion vor sich gehe, muss die Produktion in Abteilung I [der Produktionsmittel-Erzeugung] im Stand sein, weniger Elemente des konstanten Kapitals für II [Konsumgüterindustrie], aber um ebensoviel mehr für I herzustellen.“ (MEW 24, S. 492) Lenin folgert daraus, „dass die Entwicklung der Produktion...auf der Linie der Produktionsmittel erfolgt.“ (vgl. LW 3, S. 42-44, hier: 44)

[105] „Je mehr die Produktivkraft der Arbeit wächst, um so mehr kann der Arbeitstag verkürzt werden, und je mehr der Arbeitstag verkürzt wird, desto mehr kann die Intensität der Arbeit wachsen. Gesellschaftlich betrachtet, wächst die Produktivität der Arbeit auch mit ihrer Ökonomie. Diese schließt nicht nur die Ökonomisierung der Produktionsmittel ein, sondern die Vermeidung aller nutzlosen Arbeit. Während die kapitalistische Produktionsweise in jedem individuellen Geschäft Ökonomie erzwingt, erzeugt ihr anarchisches System der Konkurrenz die maßloseste Verschwendung der gesellschaftlichen Produktionsmittel und Arbeitskräfte, neben einer Unzahl jetzt unentbehrlicher, aber an und für sich überflüssiger Funktionen.“ (MEW 23, S. 552)

[106] Marx: „Demgemäß erhält der einzelne Produzent – nach den Abzügen – exakt zurück, was er ihr [der Gesellschaft] gibt. ... Die individuelle Arbeitszeit des einzelnen Produzenten ist der von ihm gelieferte Teil des gesellschaftlichen Arbeitstags, sein Anteil daran. Er erhält von der Gesellschaft einen Schein, dass er soundso viel Arbeit geliefert (nach Abzug seiner Arbeit für die gemeinschaftlichen Fonds), und zieht mit diesem Schein aus dem gesellschaftlichen Vorrat von Konsumtionsmitteln soviel heraus als gleich viel Arbeit kostet. Dasselbe Quantum Arbeit, das er der Gesellschaft in einer Form gegeben hat, erhält er in der andern zurück. Es herrscht hier offenbar dasselbe Prinzip, das den Warenaustausch regelt, soweit es Austausch Gleichwertiger ist. Inhalt und Form sind verändert, weil unter den veränderten Umständen niemand mehr etwas geben kann außer seiner Arbeit und weil andererseits nichts in das Eigentum der einzelnen übergehn kann außer individuellen Konsumtionsmitteln. Was aber die Verteilung der letzteren unter die einzelnen Produzenten betrifft, herrscht dasselbe Prinzip wie beim Austausch von Warenäquivalenten, es wird gleichviel Arbeit in einer Form gegen gleich viel Arbeit in einer andern ausgetauscht.“ („Kritik des Gothaer Programms“, MEW 19, S. 19-20; Herv. G.H./A.S.)

[107] Der Druck des Imperialismus war natürlich auch objektiv ökonomisch gegeben in Form des - ungerechten - Außenhandels bzw. der Hochrüstung, die einen nicht unerheblichen Anteil des sozialistischen Mehrprodukts auffraß. Objektiv politisch war er gegeben durch den auf allen Ebenen geltend gemachten Herrschaftsanspruch, das sozialistische Territorium wieder ins kapitalistische einzugemeinden und ideologisch durch die ins sozialistische Lager hineinwirkende Bewusstseinsindustrie und „Diplomatie“. Diese internationale Klassenkampfsituation mit entsprechendem Kräfteverhältnis bleibt natürlich nicht vergessen, wobei auch hier der politische Revisionismus mit „friedlicher Koexistenz“ bis hin zur „Friedensfähigkeit des Imperialismus“ das sozialistische Lager ideologisch und politisch zunehmend zahnlos gemacht hat.

[108] Die Überschriften über den Briefen unserer Leserinnen und Leser sind von den Redaktion formuliert.

[109] Wir versuchen, dem Wunsch des Genossen Bandur nachzukommen, indem wir seine beiden Leserbriefe an den Anfang unserer Rubrik „Resonanz“ stellen. Wir denken, dass wir damit eine breite Kenntnisnahme dieses Leserbriefes sicherstellen – d. Red.