Zeitschrift für Sozialismus und Frieden 3/2004

Herausgeber: Verein zur Förderung demokratischer Publizistik (e.V.)

Spendenempfehlung: 1,60 E

Ausgabe März-April 2004


Redaktionsnotiz

Imperialismus heute

Redaktion Schattenblick: Terrorabwehrarbeitsdienst ...

Manfred Sohn: Die De-Industrialisierung der alten Industrienationen

Zur Lage in der DKP

Michael Opperskalski / Frank Flegel: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben…

Frank Flegel: Zur Taktik der revisionistischen Kräfte in der Programmdebatte und bei anderen Gelegenheiten

Harpal Brar: Lieber Genosse Stehr!

Michael Forbrig: Augen zu und durch?

Heinz Hoffmann: Graffiti – einmal anders

Dr. Günther Lange: Genosse Stehr sollte mit Marxisten-Leninisten korrekt umgehen

Hans-Günther Szalkiewicz: Diskussionsbeitrag auf der 4. Tagung des PV der DKP, 30.9.03

Sage mir, wer Deine Freunde sind und ich sage Dir, wer Du bist….

Zu Fragen des revolutionären Bewusstseins

Samy Yildirim: Was lernen wir aus dem Erfolg Gorbatschows?

Werner Roß: Volksmassen und gesellschaftliche Umwälzung

Buchbesprechungen

Prof. Dr. Horst Schneider: Niemand schafft größeres Unrecht als der, der es im Namen des Rechts begeht (Platon)

Samy Yildirim: Und die Bibel hat doch ... nicht Recht!

EU-Wahl 2004 - Wählen ohne Illusionen


 

Redaktionsnotiz

In diesem Heft geht es um zwei große Schwerpunkte, der eine ist die Entwicklung und die Diskussion in der DKP, der andere ist die Frage nach dem revolutionären Bewusstsein.

Zusätzlich beschäftigt uns auch weiterhin der Imperialismus, wir haben zwei Buchbesprechungen und einen Wahlaufruf unorganisierter Genossinnen und Genossen zur Europawahl – für die DKP. Auch wenn sie in diesem Heft vorher durchaus hart kritisiert wurde: es gibt keine Alternative.

Da wir an Platzmangel leiden nun hier nicht mehr viele Worte, schließlich sprechen die Artikel ja auch für sich, also nur noch der Hinweis, dass Zeitungmachen Geld kostet und wir deshalb um Spenden bitten:

 

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Imperialismus heute

Redaktion Schattenblick: Terrorabwehrarbeitsdienst ...

AP-Nachrichten - The Associated Press News Service. Copyright 2004, 18. März 2004, 18:36 Uhr: Schily fordert soziales Jahr und Erziehung zum Abwehrbewußtsein

Nach den Worten des SPD-Politikers muss angesichts der Gefahr durch den internationalen Terrorismus ein "Abwehrbewusstsein in der deutschen Bevölkerung" geschaffen werden. Dabei könne ein soziales Pflichtjahr helfen. Schily sagte, er sehe das Thema "nicht als Tabu an, über das man nicht reden darf" und forderte eine breite parlamentarische und gesellschaftliche Debatte. "Es geht dann nicht mehr allein darum, das Vaterland mit der Waffe in der Hand zu verteidigen, sondern ihm anderweitig zu dienen." Der Minister sprach sich auch für eine dafür notwendige Grundgesetzänderung aus.

Im Jahre 2005 an irgendeinem Sondergericht für Verweigerungsdelinquenz schob der zuständige Richter die dünne Ermittlungsakte beiseite und fragte den Angeklagten: "Haben Sie noch etwas zur Sache mitzuteilen oder zu Ihrer Verteidigung zu sagen?"

"Ich möchte nicht darauf verzichten", nahm der Angeklagte das Wort und fuhr fort: "Daß ich mich gemeinschaftlichen Aufgaben oder auch sozialem Engagement entziehe, kann man mir gewiß nicht vorwerfen, wie Sie, Herr Richter, den Unterlagen sicherlich entnehmen können. Wenn ich mich nun weigere, ein Jahr lang den sogenannten Dienst terrorabwehrbewußter Pflichterfüllung anzutreten, dann mindestens mit dem gleichen Gewissensrecht, mit dem in vergangenen Zeiten der Dienst an der Waffe verweigert werden konnte.

Darüber hinaus läßt mein Verständnis der bürgerlichen Freiheit sowie demokratischer Grundsätze und fundamentaler Menschenrechte es nicht zu, mich in eine unspezifische Abwehrfront hineinzwingen zu lassen, die sich der Anerziehung der Unterscheidungsfähigkeit zwischen dem Bösen im allgemeinen und dem Terrorismus als seine besondere Spielart und der herrschenden Lesart dessen, was gut zu sein habe, verpflichtet sieht.

Ich glaube, nur die freie Gewissensentscheidung und das Vertrauen auf die demokratischen Fähigkeiten der Menschen bietet eine legitime Grundlage, Schaden von der Gesellschaft abzuwenden und Bedrohungen und Gefahren zu bekämpfen. Mit der ausschließlich durch die vorherrschende Weltanschauung und gesellschaftliche Interessen generierten Übereinkunft, ab wann oder warum das ultimativ Böse oder der Terror am Werke sei, wird der Blick für die gesellschaftliche Verantwortung und Beteiligung aller Menschen absichtlich verschleiert, um dann mit Hilfe des entstandenen Feindbildes bloßer Beliebigkeit außerhalb jeder gesellschaftlichen Kritik dem verborgenen Terror ungebremster Meinungs- und Denkkontrolle freie Hand zu geben. Mir scheint, dass dann tatsächlich die Chance, Schaden abzuwenden oder Gefahren bekämpfen zu können, vollständig aus der Welt geschafft wäre, weil der Terrorismus als Feindbild auf diese Weise zum staats-, sicherheits- und lebensbegründenden Prinzip erhoben würde.

Wenn es unbestritten viele Gefahren, Schäden und Probleme gibt, die die menschliche Gesellschaft bedrohen, so dürfen sie doch nicht, das ist mein Fazit, zum Begriffsmißbrauch des sogenannten Terrorismus aufgebaut werden, damit sich die Menschen wirklich fortwährend und erfolgreich und ohne daran zu zerbrechen gegen alle Gefahren, aber auch gegen jeden geschichtlichen Rückschritt zur Wehr setzen können.

Vielleicht können Sie, Herr Richter, doch meinen Standpunkt nachvollziehen, daß ich mich deshalb nicht mit der Beteiligung an der Verinnerlichung und Legitimation eines sogenannten Terrorabwehrbewusstseins den damit verbundenen Lügen und wirklichen Verbrechen ausliefern möchte. Ich denke, erst mit der Angst und Unaufgeklärtheit der Menschen, und nur damit, kann das Gespenst des Terrorismus heraufbeschworen werden, und dem möchte ich mich entschieden entgegenstellen. Mich würde es allerdings sehr wundern, Herr Richter, wenn gerade Sie nicht darüber Bescheid wüßten."

"Natürlich", antwortete der Richter dem aufgebrachten Angeklagten, "natürlich wissen wir das alles und sind uns vollständig im klaren darüber."

"Dann wird mich das Hohe Gericht sicherlich noch darüber aufklären", stellte der Angeklagte ernüchtert fest, "wozu beispielsweise eine solche Verhandlungsscharade einerseits und so etwas wie die Terrorkampagnen andererseits überhaupt notwendig sind? Haben Sie denn nicht alle Mittel bereits in der Hand?"

Mitleidig blickte der Richter auf den Angeklagten herab und erwiderte: "Wenn Sie es immer noch nicht begriffen haben, dann will ich es Ihnen wohl kurz erklären: Damit wir Leute wie Sie aufspüren, dingfest und unschädlich machen können, sonst hätten wir tatsächlich nicht alle Mittel in der Hand."

Redaktion Schattenblick, Stelle-Wittenwurth, E-Mail: ma-verlag.redakt.schattenblick@gmx.de


Manfred Sohn: Die De-Industrialisierung der alten Industrienationen

Kein Horizont hinter dem Schornstein

Normalerweise will jeder Mensch, der eine Demonstration organisiert, daß möglichst viele an ihr teilnehmen. Das war letztes Jahr am 29. September in Bournemouth, Südengland, anders. Die britische Metallarbeitergewerkschaft „Amicus" protestierte dort mit einem Meer von Fahnen gegen das „Ausbluten unserer britischen Industrie". Genau 2500 Mitglieder waren gebeten worden, anzureisen. Dies nämlich, so erläuterte Amicus-Chef Derek Simpson, sei die Zahl, die Woche für Woche in Großbritannien an Industriearbeitsplätzen verloren ginge, 10.000 im Monat, 120.000 im Jahr. Noch seien es nach Regierungsangaben 3.524.000 Arbeiterinnen und Arbeiter, die auf den britischen Inseln mit Maschinen Waren zum Verkauf herstellen. Schrumpft diese Zahl im jetzigen Tempo, verschwindet der letzte Industriearbeitsplatz dort im Jahre 2031.

Wahrscheinlich flacht sich die Kurve ab - aber der Prozess der Deindustrialisierung der ersten Industrienation schreitet zügig voran. Der im April veröffentlichte Report des „Internationalen Büros für Arbeit" (ILA) unterstreicht, was jeder Gewerkschafter auch hierzulande weiß: die Zahl der Industriearbeitsplätze in den alten Schornsteinnationen nimmt rapide ab.

Wir schauen uns im folgenden diesen Prozess noch ein bißchen genauer am Beispiel Großbritannien an. Das hat zwei Gründe. Zum einen will es eine Ironie der Geschichte, daß dieselbe Nation, die den Prozess der Industrialisierung zur Welt gebracht hat, auch die De-Industrialisierung anführt und uns hier in Deutschland plastisch auf Entwicklungen verweist, die uns möglicherweise erst noch bevorstehen. Zum anderen hat dies nicht nur objektive Ursachen, sondern auch subjektive, die einen Namen tragen: Thatcher. Zur Zeit wird uns die Dame ja als Vorbild hingehalten, dem Frau Merkel oder wer auch immer nur nacheifern müsse, um Deutschland ökonomisch wieder auf Trab zu bringen. Das ist insofern erstaunlich, weil am Ende ihrer von 1979 bis 1990 währenden Regierungszeit Britannien in allen wesentlichen ökonomischen Kerndaten nicht besser, sondern schlechter dastand als zu Beginn. Sowohl SPD als auch CDU wandeln aber zur Zeit, wenn auch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, auf den Spuren der konservativen Regierungspolitik in England aus den 70er und 80er Jahren und wenn sie nicht gestoppt werden, wird die De-Industrialisierung auch dieses Landes sich vermutlich beschleunigen.

Zunächst noch ein paar Zahlen von der Insel. Die Entwicklung, die zur 2500er-Demonstration in Bournemouth geführt hat, ist nicht neu. 1971 arbeiteten noch 54,7 Prozent aller Beschäftigen als „manual workers". Diese Zahl war zwei Jahrzehnte später auf 37,7 Prozent gefallen. Nun läßt sich gegen diese Zahl einwenden, sie sei genauso wenig aussagekräftig wie mit dem Verweis auf die sinkende Produktion von Wachskerzen die zunehmende Dunkelheit in den Haushalten einer Nation belegen zu wollen. Das stimmt grundsätzlich - wenn immer weniger Menschen gebraucht werden, um die gleiche oder sogar eine größere Menge gegenständlicher Waren mit gleicher oder gar besserer Qualität herzustellen, ist das gut und nicht schlecht. Das setzt aber voraus, daß diese von manueller Arbeit „befreiten" Menschen in anderen Bereichen vergleichbar oder besser bezahlte Arbeit finden - dann wäre die De-Industrialisierung ein Fortschritt. Das aber ist nicht der Fall.

Nach Gewerkschaftsuntersuchungen zeigt sich folgendes Bild: „Nur 13% der Industriearbeiter, die ihren Job verloren haben, fanden innerhalb von 12 Monaten einen anderen Industriejob. 61% waren ein Jahr später immer noch arbeitslos. Von den 37%, die innerhalb eines Jahres andere Beschäftigung fanden, landeten zwei Drittel außerhalb der Industrie. Und 64% von denen, die eine andere Tätigkeit gefunden hatten, verdienten weniger, wobei das Durchschnittsgehalt um 40% gefallen war."

Die Deinstrialisierung ist für die Betroffenen also mit deutlichem Lohnverlust verbunden. Das bestätigt auch eine bereits zitiert universitäre Studie: „Traditionell werden die „Weiße-Kragen-Jobs" als gut bezahlt und qualifiziert oder halb-qualifiziert angesehen. Wenn man sich die Zahlen zu Alter, Geschlecht, Löhnen und Ausbildungsstand betrachtet, können wir sehen, daß diese Annahme nicht mehr stimmt. ... Der Durchschnittslohn für 30% aller Beschäftigten im Dienstleistungssektor liegt zwischen 4 und 6 Pfund pro Stunde und weitere 12% verdienen nur den gesetzlichen Minimallohn." 6 Pfund sind ungefähr 9 Euro. Bei 160 Stunden macht das im Monat zwischen 960 und 1440 Euro brutto oder noch weniger im Monat - bei Vollzeit wohlgemerkt. 20 Prozent allerdings haben nur einen Teilzeitjob - oder zwei, weil vor allem in London Leben mit diesem Geld nicht möglich ist.

Die Entwicklung in Großbritannien wird uns in Deutschland vor allem mit Verweis auf die mit 5 Prozent verglichen mit den hiesigen 9 bis 10 Prozent Arbeitslosenrate oft als positives Beispiel vorgehalten. Weder die Zahlen noch der Augenschein lassen daran viel Gutes. Die Zahlen zeigen: Die in der Industrie verlorenen Arbeitsplätze sind ersetzt worden durch schlechter bezahlte, häufig nur Teilzeitperspektive bietende Dienstleistungsarbeitsplätze. Wer mit offenen Augen durch London, Cardiff oder irgendeine andere britische Großstadt geht, sieht diese Arbeitsplätze auch, die es bei uns in der Tat noch nicht gibt: Der Autor dieses Artikels ist bei einem Gang über die hauptstädtische Oxford Street an 14 jungen, kräftigen Männern vorbeigekommen, die nichts anderes taten, als ein Transparent „Buy here, best price!" oder mit ähnlichem Text zu halten, das jeweils auf einen naheliegenden Laden verwies. Wer dann in diese Läden geht, trifft dort meist doppelt so viel Bedienung wie nötig und in Deutschland gewohnt. In den Supermärkten packen häufig etwas ältere Leute die gerade gekaufte Ware in Plastikbeutel.

In den 70er und 80er Jahren war es im Rahmen der Systemauseinandersetzung im Westen modern, gegen die Vollbeschäftigung in der DDR und den anderen sozialistischen Ländern mit dem Hinweis zu kontern, da würden Leute den ganzen Tag den Fabrikhof fegen und auch sonst volkswirtschaftlich überflüssige Arbeit machen. Dieses Argument hat längst die eingeholt, die es damals heftig strapazierten. Oder welcher volkswirtschaftliche Sinn sollte in jungen Schilderhaltern und alten Plastiktütenpackerinnen bestehen?

Großbritannien ist heute schon ein weitgehend deindustrialisiertes Land. Es produziert Autos nur noch als Montierstation für ausländische Konzerne, Motorräder überhaupt nicht mehr und seine früher weltweit führende Stahlindustrie ist heute praktisch bedeutungslos. Man kann und sollte der Blair-Regierung vieles vorwerfen. Aber diese Vernichtung der Industrie im großen Maßstab ist forciert worden vor allem von den konservativen Vorgänger-Regierungen.

Nehmen wir als Beispiel den Niedergang der Autoindustrie und zitieren wir auf der Suche nach den Gründen eine Untersuchung aus dem Land, was von dem Zusammenbruch der einst stolzen englischen Marken am meisten profitiert hat, aus Japan also: „Der Kerngrund aber ist die Rolle der Regierung. Verglichen mit anderen westlichen Autoherstellern bekamen die britischen Hersteller praktisch keinen Marktschutz von ihrer Regierung. Zwischen 1945 und 1975 erlitt die Autoindustrie des United Kingdoms (UK) einen dramatischen Rückgang hinsichtlich der Produktivität, der Wettbewerbsfähigkeit und ihres Weltmarktanteils. Hauptverantwortlich dafür war das Fehlen einer Politik im UK, einen stabil wachsenden heimischen Markt zu befördern und die Unfähigkeit, gute Arbeitsbeziehungen herzustellen und so die Produktivität zu verbessern. Eine Regierungspolitik, die eine Industrie stützt, erfordert Kontinuität und relativ stabile Ziele und Programme. Solche Kontinuität war in Frankreich, Deutschland, Japan und sogar Spanien vorhanden." Die 1975 noch vorhandenen Reste früherer industrieller Stärke wurden dann unter Thatcher auf dem Ideologiealtar der bedingungslosen Marktgläubigkeit und auch mit dem Ziel der Zerschlagung der kampfstarken Industriegewerkschaften geopfert.

Ein letzte englisches Zahl müssen wir noch nennen, bevor wir den Prozeß etwas allgemeiner ansehen. Über lange Jahrzehnte war es das englische Problem, daß sowohl Produktivität als auch industrieller Produktionsausstoß zwar wuchsen, aber langsamer als die vergleichbarer Industrienationen. Inzwischen hat sich dieser Prozess so beschleunigt, daß zwischen 1995 und 2002 die Industrieproduktion des UK um 0,1% gefallen ist, während sie bei den anderen Industrienationen um 18% gewachsen ist. Folglich hat Großbritannien nun auch das nach den USA größte Handelsdefizit der Welt. England, die frühere Werkbank des Globus, verbraucht heute im Jahr für über 70 Milliarden Dollar mehr Waren als es selbst an die Welt liefert.

Die Verschiebung der Weltgewichte

Das in Genf ansässige „Internationale Büro für Arbeit" (ILA) hat kürzlich eine Studie über „Jobs und Einkommen in einer sich globalisierenden Welt veröffentlicht" Ihr Schwerpunkt liegt auf dem Handel mit vergegenständlichten Waren, die im Zentrum dessen stünden, was allgemein als „Globalisierung" verstanden wird. Die Studie enthält eine Fülle gründlich belegter Erkenntnisse. Eine ihrer Kernaussagen läßt sich ungefähr folgendermaßen zusammenfassen:

Der von Europa und Nordamerika ausgehende Kapitalismus hat bis in die 70er Jahre hinein zu allen anderen Ländern Handelsbeziehungen aufgebaut, die - nach der Zerstörung heimischer industrieller Grundlagen z.B. in Indien und anderswo in der Phase der Kolonisierung - grob dadurch gekennzeichnet waren, daß die sogenannten Entwicklungsländer Rohstoffe ausführten, die dann in den Industrieländern zu Warengütern verarbeitet wurden, um dann zum Teil in den Entwicklungsländern verkauft zu werden. Auch der im 20. Jahrhundert verstärkt auftretende Aufbau von Tochterfabriken in den Entwicklungsländern selbst änderte an diesem grundsätzlichen Warenstrom solange nichts, wie diese Fabriken weiterhin in Besitz von Bürgern der großen kapitalistischen Nationen waren und auch von dort gesteuert wurden.

Der Autor der Studie, Ajit K. Ghose, teilt die Entwicklungsländer in drei Gruppen. Neben den erdölexportierenden Ländern, die er nicht genauer untersucht und der 90 Länder umfassenden Masse der von ihm so bezeichneten „anderen Entwicklungsländer", für die die eben skizzierten Tauschbeziehungen weiterhin gelten, konzentriert er sich auf das Verhältnis zwischen den industrialisierten Ländern und den „Industriegüter exportierenden Entwicklungsländern", zu denen zum Beispiel Argentinien, Brasilien, China, Indien, Taiwan, Mexiko und die Türkei gehören - insgesamt eine Gruppe von 24 Ländern. Während die 23 alten Industrieländer - außer den G 7 auch Belgien, Österreich, Dänemark usw. - Anfang der 80er Jahre noch 83% aller Industriegüter-Exporte herstellten, waren es Ende der 90er Jahre nur noch 71%. Dieser Rückgang fand statt, obwohl der sozialistische, von Moskau dominierte Block in dieser Zeit zusammenbrach und sein Exportanteil von 5 auf 3% schrumpfte. Der Löwenanteil an Exporten, der den klassischen Industrienationen verlorenging, wurde in den 24 „neuen" Industrieländern hergestellt.

Ghoses Untersuchung zeigt noch mehr. Diese neuen Industrieländer selbst sind immer weniger auf die Alten angewiesen. Anfang der 80er Jahre bezogen sie noch 82% ihrer importierten Industriegüter aus der sogenannten ersten Welt. Rund 15 Jahre später waren es nur noch 62%. Es gelingt ihnen aber auch - was wir ja in unseren Einkaufsregalen auch plastisch sehen können - die Industrieproduktion in den Industrieländern selbst spürbar zu verdrängen. Die alten Industrienationen bezogen Anfang der 80er Jahre noch fast 90 Prozent aller importierten Industriegüter aus anderen hochentwickelten kapitalistischen Ländern. Jetzt sind es nur noch knapp 75%, während über 20% eben aus den „neuen" industrialisierten Ländern - also China, Indien, Brasilien und den anderen - kommen. Vollkommen abgekoppelt von diesem Prozess sind die arm bleibenden oben erwähnten 90 Entwicklungsländer, die selbst nahezu keine Industriegüter herstellen. Nebenbei : Angesichts deren Zahl in der Welt von „Globalisierung" zu reden, ist ziemlicher Unfug. Stattfinden passiert zur Zeit etwas anderes: Die alten kapitalistischen Wölfe haben sich nolens volens eine Brut neuer Wölfe gezüchtet, die dabei ist, ihnen ökonomisch an die Kehle zu gehen.

Ghose drückt das vornehmer aus: „Zum ersten Mal in der Geschichte gibt es einen Nord-Süd-Wettbewerb im Weltmarkt für Industrieprodukte (traditionell gab es nur einen Wettbewerb Nord-Nord und Süd-Süd)." Dies schlägt inzwischen spürbar auf die Arbeitsmärkte der alten Ausbeuternationen durch. Ein letztes Mal ein paar dürre Zahlen. Im Bereich der Industrie waren 1980 weltweit rund 179 Millionen Menschen beschäftigt. Diese Zahl ist - dank Produktivitätssteigerung - bis 1997 nur geringfügig auf 176 Millionen gesunken. Wir haben oben am Beispiel England gesehen, daß dieser Rückgang dort viel gravierender ist und eine ähnliche Untersuchung für Deutschland, Japan oder die USA würde, wenn auch nicht ganz so kraß, ein ähnliches Bild ergeben. Praktisch zusammengebrochen ist in diesem Zeitraum die Zahl der Industriearbeitsplätze in den sogenannten „Transformationsländern", also den Ländern des ehemaligen Warschauer Vertrages. 1980 waren es noch 46 Millionen, 1997 waren es nur noch 25 Millionen. Die alten Industriewölfe waren aber nicht mehr in der Lage, diese Märkte mit ihren eigenen Gütern bzw. mit Hilfe der von ihnen ausgebeuteten Arbeiter zu füllen. Im selben Zeitraum ging nämlich die Zahl der von ihnen beschäftigten Arbeiterinnen und Arbeiter in Industriebetrieben von 67 auf 55 Millionen zurück. Das Wachstum ging fast vollständig in die „Industriegüter exportierenden Entwicklungsländer": die Zahl der Industriearbeitsplätze erhöhte sich dort von 65 auf 93 Millionen. Damit befindet sich über die Hälfte der Industriearbeitsplätze der Welt nicht mehr in den fälschlicherweise immer noch „Industrienationen" genannten alten kapitalistischen Nationen, sondern in den neuen Industrieländern.

Hinter dem Niedergang Großbritanniens, der den Niedergang aller G 7- Nationen anführt wie dieses Land einst ihren Aufstieg angeführt hat, verbergen sich also zwei mächtige Antriebsmotoren: die Entwicklung der Produktivität und die Fähigkeit einiger früherer Kolonien, Industriegüter selbst wohlfeiler herzustellen als ihre ehemaligen Herren - und zwar zumindest im Fall China, aber zum Teil auch Indien in wachsendem Maße in Fabriken, deren Besitztitel sich nicht mehr in London, New York oder Amsterdam befinden.

Die Folgen, die das hat, sind oben am Beispiel englischer Städte skizziert worden. Dramatischer als anderswo ist das auf der Insel aber auch deshalb, weil England im Vergleich zum Beispiel zu Deutschland die erfolgreichere Kolonialmacht war. Georg Monbiot wies am 21. Oktober in einer klugen Analyse im britischen „Guardian" darauf hin, daß im wachsendem Maße „die Jobs, die wir vor 200 Jahren in Indien vernichtet haben, jetzt nach Indien zurückkehren". Dies, so seine mit Zahlen reichlich belegte Darlegung, umfasse inzwischen nicht nur die Industriearbeitsplätze. Weil England Indien seine Sprache aufgezwungen habe, wandern zunehmend auch mit Sprache zusammenhängende Dienstleistungen von England nach Indien. Inzwischen wickeln folgende britische Firmen ihre telefonischen Dienstleistungen von Indien aus ab: National Rail Enquiries, die den Bedarf von Eisenbahngesellschaften deckt, die marktführende HSBC Bank, British Airways, die Versicherungen Lloyds und Prudential, die Nachrichtenagentur Reuters und viele andere.

Alles hat eben in der Geschichte seinen Preis - auch die Krone als führende Kolonisierungs-nation.

Sackgasse Kapitalismus

Die Tatsache des Verschwindens der Industriearbeitsplätze ist genauso natürlich und chancenreich wie das Verschwinden der Arbeitsplätze in der Landwirtschaft vom Beginn des 18. Jahrhunderts an. Denn - s.o. - der Anstieg der Produktivität führt jetzt schon dazu, daß die stets weiter wachsenden Warenmengen weltweit mit weniger Leuten hergestellt wird. So wie der Feudalismus ab 1700 nicht mehr in der Lage war, die aus der Landwirtschaft entlassenen Menschen noch einer sinnvollen, gesellschaftlich nützlichen Tätigkeit zuzuführen, so ist der Kapitalismus spätestens seit 2000 offensichtlich nicht mehr in der Lage, die aus der Industrie entlassenen Menschen einer sinnvollen, gesellschaftlich nützlichen Tätigkeit zuzuführen. So wie der Feudalismus folglich von den Menschen nach einigen Jahrzehnten Towhawabo durch den Kapitalismus ersetzt wurde, so wird es auf Dauer auch nicht bei einem Kapitalismus bleiben, der glaubt, die verlorenen Industriearbeitsplätze durch sinnlose, schlecht bezahlte Herumsteherjobs ersetzen zu können.

Konkurrenz, sagt eine kapitalistische Binsenweisheit, belebt das Geschäft. Wenn das jemals richtig war, hat das für die Systemkonkurrenz gestimmt. Gegen seine eigenen inneren Antriebe war der Kapitalismus von 1917 bis 1989 gezwungen, einen Teil des in der Warenproduktion erwirtschafteten Profits dem Staat auch dafür zur Verfügung zu stellen, daß er auf den Feldern glänzen konnte, in dem die Gesetze der auf Warenproduktion beruhenden Ausbeutung nicht voll greifen: Bildung, Kultur, Gesundheit. Das realisierte sich durch eine steigende Staatsquote eben nicht nur in den frühsozialistischen Ländern, sondern auch in den unter ihrer Konkurrenz stehenden alten kapitalistischen Ländern. Da der Sozialismus naturgegeben die Peitsche der inneren ökonomischen Konkurrenz und der Ausbeutung nicht hat, war er auf diesen zukunftsweisenden Feldern zwar besser, das hat ihm aber nichts genützt, weil er auf dem Feld industrieller Produktion eben so viel schlechter war, daß der Kapitalismus aus seinem Profit knurrend, aber einsichtig so viel abzweigte, daß er unter’m Strich ökonomisch dennoch stärker dastand. Also ging dem ersten großen Sozialismusversuch nach ein paar Jahrzehnten im Wettkampf der Systeme die Puste aus. Resultat ist nun, daß der Kapitalismus - ohne Angst vor sozialistischer Systemkonkurrenz - den Fall seiner Profitraten versucht zu dämpfen, indem er dem Staat das Geld für diese Luxusfelder Bildung, Kultur, Gesundheit usw. wieder entzieht. Die Perspektive des nachindustriellen, also nachkapitalistischen Zeitalters sind aber nicht Arbeitsplätze als Dienstmädchen, Reklameschildhalter oder Tütenpacker. Die Perspektive der Menschheit ist die Arbeit an der Entfaltung des eigentlichen Menschen, Arbeit an seiner Erziehung, seiner umfassenden menschlichen und akademischen Bildung, an dem Aufblühen arbeitsaufwendiger Kultur und der Förderung der Gesundheit zur Heilung, vor allem aber zur Vermeidung von Krankheiten. Das ist sinnvoll, aber nicht profitheckend. Folglich zerfallen diese Bereiche vor unseren Augen wie die Gebisse der Schlechterverdienenden. Die Zahl der Industriearbeitsplätze wird weiterschrumpfen, der Prozess der Deindustrialisierung der alten Industrienationen weitergehen. Der Weg Thatcher, den jetzt Schröder bereits eingeschlagen hat und den Merkel nur beschleunigen möchte, ist nicht der ja sinnvolle Ausweg in eine Dienstleistungsgesellschaft, sondern der Irrweg in eine Dienstmädchengesellschaft.

Einen Ausweg nach vorne werden nur die Gesellschaften finden, die alle ihre Produktion - von Landwirtschaft über Industrie bis zur Kultur - als einen einheitlichen gesellschaftlichen Prozess zu organisieren in der Lage sind. Wie das anders als durch gesellschaftlichen Besitz der wesentlichen Mittel aller dieser Produktionsbereiche gehen soll, ist eine Frage, die sich die meisten dieser Staatsschauspieler, die uns zu regieren vorgeben, noch nicht einmal stellen, geschweige denn beantworten könnten.

Aber zumindest ahnen tun sie etwas von der bereits heraufgezogenen Götterdämmerung. „Der Arbeitsmarkt - wir brauchen neue Ideen" war ein Artikel im weltweit unter wohlhabenden Herrschenden tonangebenden „Economist" überschrieben, in dem einmal mehr der „joblose Aufschwung" der USA bejammert wird, der seit den letzten Wahlen 2,5 Millionen Arbeitsplätze gekostet hat und möglicherweise Bush die Wiederwahlen kosten würde. „Das war keine normale Rezession", schreibt das Blatt. Früher, führt der Artikel gestützt auf eine jüngste Studie einer amerikanischen Bank aus, seien die in einer Rezession entlassenen Menschen im Aufschwung von ihren alten Firmen oder neuen im gleichen Industriebereich wieder eingestellt worden. Das aber sei nicht mehr der Fall - statt dessen würden ganze Arbeitsfelder im industriellen Bereich durch „technische Innovation und Abwanderung von Produktion ins Ausland" wegfallen.

Die neuen Ideen sind da und heißen gesamtgesellschaftliche Produktion und Gemeineigentum an Produktionsmitteln. Aber wir wissen ja auch: Zur Gewalt werden sie erst, wenn sie die Massen ergreifen. Früher oder eben etwas später.

Manfred Sohn, Edemissen


Zur Lage in der DKP

Michael Opperskalski / Frank Flegel: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben…

Zur jüngsten Entwicklung in der DKP und zu ihrem Verhältnis zur „Europäischen Antikapitalistischen Linken" (EAL)

Der General, der eine Schlacht gewinnt, stellt vor dem Kampf im Geiste viele Berechnungen an. Der General, der verliert, stellt vorher kaum Berechnungen an, So führen viele Berechnungen zum Sieg und wenig Berechnungen zur Niederlage – überhaupt keine erst recht!"

Sunzi <Sun Tzu>

„Mit Trotzki kann man nicht prinzipiell diskutieren, denn er hat keinerlei feste Anschauungen. Mit überzeugten Liquidatoren und Otsowisten kann und soll man diskutieren, aber mit einem Menschen, der sein Spiel damit betreibt, die Fehler sowohl der einen wie der anderen zu bemänteln, diskutiert man nicht, ihn entlarvt man als … einen Diplomaten allerniedrigster Sorte." W.I. Lenin

Trotzki ist auf seinem Weg von der politischen Opposition innerhalb der Arbeiterbewegung zur Konterrevolution gekommen. Als Konterrevolutionär muss er bekämpft und geschlagen werden (…)." Der ehemalige sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Max Seydewitz

„Die IV. Internationale hat (…) ein richtiges Verbrechen an der revolutionären Bewegung begangen, um diese Bewegung vom Volke, von den Massen zu isolieren, um sie zu diskreditieren mit Wahnwitz und dem Abscheulichsten und Widerwärtigsten, was es jetzt in der Politik gibt – dem Trotzkismus – zu infizieren (…) der Trotzkismus (…) hat sich in ein vulgäres Werkzeug des Imperialismus und der Reaktion verwandelt" Fidel Castro

 

Nach der DKP-Mitgliederversammlung am 10. Januar 2004 schien man ein regelrechtes Aufatmen bei nicht wenigen Mitgliedern der Partei vernehmen zu können. Der „Rotfuchs" kam unter der Überschrift „Richtige Signale" in seiner Februar-Ausgabe fast schon in der ihm eigenen Art ins Schwärmen: „Die auch als Wahlkongress fungierende DKP-Bundesmitgliederversammlung hat am 10. Januar 2004 wichtige Beschlüsse gefasst, die in die richtige Richtung deuten. In der Hauptfrage wurde die Eigenkandidatur der Partei (erstmals seit 1989) zum Europaparlament auf der Grundlage eines akzeptablen Wahlprogramms beschlossen. Diese Entscheidung war eine Absage an die Vorstellung jener in der DKP-Führung, die sich zuvor für ein Zusammengehen mit der Europäischen Antikapitalistischen Linken (EAL) engagiert hatten. In ihr geben nicht zuletzt diffuse trotzkistische Parteien und Gruppen den Ton an. Außerdem wurde entgegen den ursprünglichen Absichten des DKP-Sekretariats jetzt die Auffassung vertreten, den anstehenden 17. Parteitag für eine Programmdebatte und zur Beschlussfassung über das strategische Hauptdokument der DKP um einen dritten Tag zu verlängern. (…)"

Wirklich ein Durchbruch? So sehr die Hoffnungen vieler DKP-Mitglieder darauf auch zu verstehen sind, die Realität sieht etwas anders aus. Zunächst einmal einige Anmerkungen zum Ablauf der Programmdiskussion: Der tatsächliche Beschluss zum 17. Parteitag und der mit ihm verbundenen Programmdiskussion – übrigens einstimmig (!) gefasst – sieht wie folgt aus: „Entsprechend Artikel 8 des Statuts, Abs. 1, beruft der Parteivorstand auf seiner 6. Tagung den 17. Parteitag ein. Er findet in zwei Tagungen statt, und zwar…. 1. Tagung des Parteitages zur Rechenschaftslegung, politischen Diskussion, Neuwahl der zentralen Gremien und Beschlussfassung über die an den Parteitag gerichteten Anträge als zweitätige Tagung, und zwar am 19. und 20. Februar 2005 in Duisburg, Rheinhausenallee, und… als 2. Tagung des 17. Parteitages zur programmatischen Diskussion und evtl. Beschlussfassung eines Parteiprogramms der DKP Ende 2005/Anfang 2006. Der konkrete Termin für die 2. Tagung des 17. Parteitages wird Mitte 2005 durch den Parteivorstand auf der Grundlage der Diskussion über ein neues Parteiprogramm der DKP festgelegt." Damit hat sich letztlich die DKP-Führung mit ihrer Absicht durchgesetzt, die Verabschiedung eines Parteiprogramms – entgegen dem eindeutigen Beschluss des 16. Parteitages (!) - hinauszuzögern, um bis dahin weitere organisatorische wie politische Fakten schaffen zu können, die das später zu beschließende Programm und die entsprechenden Diskussionen im Vorfeld inhaltlich in die von der DKP-Führung gewünschte Richtung lenken und damit den ideologisch-politischen Rahmen des noch zu verabschiedenden Parteiprogramms vorwegzunehmen. Die Abhaltung einer 2. Tagung des Parteitages ist nur vordergründig ein Kompromiss gegenüber denjenigen Genossen, die die eindeutige Beschlusslage des 16. Parteitages verteidigen und auf einen klaren, absehbaren Zeitraum der Programmdiskussion drängen. Zunächst einmal wird der Programmdiskussion nur ein einziger (!) Tag gegeben, der sowieso schon nach hinten verschobene Zeitpunkt wird ein Stück weit in der Schwebe gehalten, da der Parteivorstand erst Mitte 2005 über ihn beraten wird und schließlich: die 2. Tagung des 17. Parteitages wird lediglich „eventuell"(!) über ein neues Parteiprogramm beschließen (… als 2. Tagung des 17. Parteitages zur programmatischen Diskussion und evtl. Beschlussfassung [Hervorhebung: d.Verf.] eines Parteiprogramms der DKP... ).

Das bedeutet letztlich alles und gar nichts…

Brücke zur EAL

Zu jenen Maßnahmen der DKP-Führung, die darauf abzielen, die inhaltliche Richtung des noch zu beschließenden Parteiprogramms sowie die Diskussionen um dieses Programm vorwegzunehmen bzw. in einem von der DKP-Führung gewollten Rahmen zu halten, gehört die Diskussion um eine „Politische Erklärung der DKP", die auf der 1. Tagung des 17. Parteitages verabschiedet werden soll. Wer den Text des Entwurfs der „Politische(n) Erklärung der DKP" näher unter die Lupe nimmt, dem wird auffallen, dass er von der „Stossrichtung" und inhaltlichen Orientierung her der „Erklärung der Freundinnen und Freunde der Europäischen Antikapitalistischen Linken (EAL) in Deutschland" ähnelt (was nicht im Widerspruch zu der Tatsache steht, dass sie in einigen Aspekten umfassender ist sowie mehr marxistische Terminologie verwendet), die bereits im Februar 2004 in der UZ erschienen war. Diese wiederum basiert auf einem so genannten „Eckpunktepapier", auf das sich die Träger der EAL in Deutschland bereits 2003 geeinigt hatten. Deshalb sei gerade an dieser Stelle daran erinnert, was wir in unserem Grundsatzartikel zur EAL in der „offen-siv" bereits zu dem so genannten Eckpunktepapier" geschrieben hatten:

„* ‚Pluralismus’ und ‚Einheit’ der ‚Linken’ solle man zustimmen, das sei der Grundkonsens. Das eröffnet einige Probleme, denn wenn man auch von solch einem Zusammenschluss nicht erwarten kann, dass er sich auf Grundlage der Leninschen Parteitheorie vollzieht, so bleibt doch zu fragen:

* ‚Einheit’ mit wem und auf welcher Grundlage? In den Stellungnahmen der EAL kommen die ‚neuen sozialen Bewegungen’, die ‚Bewegungen gegen die neoliberale Globalisierung’, die ‚ArbeiterInnenbewegung’, die ‚neuen Massenbewegungen’ und die ‚Linksparteien’ vor. Über die Art des Zusammenwirkens wird nichts weiter gesagt, auch nicht über die dem Ganzen zugrunde liegende Theorie und erst recht nichts über den Klassencharakter der einzelnen Teile und des Zusammenschlusses.

* Welcher ‚Pluralismus’ ist gemeint? Der der Linken, wird gesagt. Aber das gibt dem „Pluralismus" auch keine weiteren Konturen. Kann sich jede/r dann das über die Realität denken, was gerade beliebt? Diskutieren wir dann auch die Totalitarismustheorie? Nehmen wir keynesianische Rezepte ins Programm auf? Wettern wir auch auf das ‚raffende Kapital’, so wie es bei ATTAC Mode wird? In der PDS hat der Pluralismus dazu geführt (und wurde er auch zu dem Zwecke eingeführt), die wissenschaftliche Weltanschauung des Marxismus an den Rand zu drängen und auszugrenzen.

Sowohl ‚Pluralismus’ als auch ‚Einheit’ sind konturlose Begriffe – und werden hier in keinster Weise definiert oder konkretisiert.

* Was ist ‚die Linke’? Der Begriff gibt nur die Sitzordnung im bürgerlichen Parlament wieder. Aus den Verlautbarungen der EAL ist zu entnehmen, dass die Sozialdemokratie nach ihrem ‚Rechtsruck’ nicht mehr zur Linken zu zählen sei. Über die PDS gibt es da schon differierende Einschätzungen. Teile der deutschen „Freundinnen und Freunde" sind der Meinung, dass es ‚nur um die Bildung einer Kraft links der PDS’ gehen könne, während andere ‚die PDS noch nicht verloren geben wolle,...’ und dafür sind, ‚den PDS-Bundesvorstand zu künftigen Treffen einzuladen’. Wieder andere werten denn die Regierungsbeteiligung der PDS in Mecklenburg-Vorpommern ‚auch nicht so negativ wie die Beteiligung der PDS am Berliner Senat.’’ Die ‚Linke’ kommt hier so konturlos daher, wie der ‚Pluralismus’ prinzipienlos ist.

* Die ‚Überwindung des Kapitalismus zugunsten einer demokratisch konstituierten sozialis-tischen Republik’’ sei das, wofür man eintritt. Es wird wenig dazu gesagt, wie denn der Kapitalismus ‚überwunden’ werden soll und noch weniger darüber, was mit dem Eigentum geschieht. Und wie eine ‚demokratisch konstituierte sozialistische Republik’ aussieht, bleibt auch etwas unklar. Das Wortpaar ‚demokratisch konstituiert’ sagt nichts über den sozialen Inhalt, ob die ‚Demokratie’ also eine bürgerliche oder eine proletarische ist. Da aber in keinem der uns vorliegenden programmatischen Texten auch nur der Versuch unternommen wird, den Kapitalismus als Klassengesellschaft zu kennzeichnen und das Eigentum sowie die Wirtschaftsform (Marktwirtschaft/Planwirtschaft) so gut wie gar nicht thematisiert wird, ist es auch kein Wunder, hier klassenübergreifende Ausführungen zur Demokratie zu finden.

* Recht erstaunlich ist, dass es dann, wenn konkretes Handeln angesprochen wird, in den Konferenzen und Treffen der EAL immer sehr schnell um Wahlen, Wahlblocks, Wahlbeteiligungen und so weiter geht – und man sich sogar schon Gedanken macht darüber, unter welchen Umständen man eine Regierungsbeteiligung erwägt: ‚Regierungsbeteiligungen, die Mitverantwortung für Sozialabbau und Kriegspolitik im Dienste des Kapitals bedeuten, sind mit dem Grundkonsens der EAL wie ihrer deutschen Freunde und Freundinnen unvereinbar.’ Aber: ‚Regierungsbeteiligungen seien möglich, wenn Verbesserungen zu Gunsten der abhängig Beschäftigten, Eigentumslosen und Ausgegrenzten durchgesetzt werden könnten.’

* Theoriefeindlichkeit (sich in Aktionen zu finden, statt sich in theoretischen Debatten aufzureiben; siehe oben) ist eine Mogelpackung. Dahinter verbirgt sich (fast) immer – für Kommunisten auf jeden Fall, auch und gerade wenn sie in Bündnissen tätig werden (das hatten wir doch schon einmal in und mit der Friedensbewegung der 80er Jahre!) - der Abschied vom Marxismus, von der Tradition der kommunistischen Bewegung. So und diesmal sehr dezidiert auch hier: eine Abkehr vom so genannten demokratischen Zentralismus’, die ‚globalen sozialen und politischen Auseinandersetzungen’ verweigern sich ‚tradierten Erklärungs- und Organisationsmodellen’ , d.h. zumindest Lenins Imperialismustheorie kann nicht mehr gelten, ebenso nicht die Leninsche Parteitheorie, vielleicht aber auch nicht mehr die Marxsche Mehrwerttheorie.... Wer weiß, hinter dem Begriff „tradierte Erklärungsmodelle" kann sich viel verbergen. ‚Immerhin werden bei der EAL keine Bekenntnisse zu den Altvorderen dieser oder jener sozialistischen Bewegung abverlangt.’ Antikapitalismus ohne Marx? Das führt zum nächsten kritischen Punkt.

* Der Begriff ‚antikapitalistisch’ wird nicht definiert. ‚Alternativen zum Bestehenden entwickeln’, ‚ein Europa, in dem nicht mehr der Profit regiert, sondern in dem ökologisch verantwortlich nach den Bedürfnissen der Menschen produziert wird’, ‚umfassende Revision der ungerechten Weltverhältnisse’, ‚Alternativen zu Ellenbogen-Konkurrenz und Plusmacherei’, ‚neue Perspektiven entwickeln’, ‚solidarische Lösungen’, ‚Menschenrecht auf Einkommen’, ‚Menschenrecht auf anständiges Wohnen’, ‚Menschenrecht auf Absicherung bei Krankheit, Erwerbslosigkeit, Not und im Alter’, ‚Menschenrecht auf eine gesicherte Existenz’, ‚Recht auf Bildung.’ Wie soll das gesellschaftlich durchgesetzt werden? Durch den Aufbau des Sozialismus oder durch Sozialstaatsreformen im Kapitalismus? Diese Frage bleibt zunächst unbeantwortet. Auch der oben schon kritisch beleuchtete Begriff „demokratisch konstituierte sozialistische Republik" hilft wenig weiter. Im letzten Absatz des in der jungen Welt abgedruckten Entwurfs des „Eckpunktepapiers" wird die Sache aber deutlicher: ‚Die antikapitalistische Linke tritt für öffentliche Dienste mit hoher Qualität ein, die die sozialen Menschenrechte sichern. Geld dafür ist genug da. Steuern auf große Vermögen und eine progressive und sozial gerecht gestaltete Einkommensteuer können dies finanzieren. Auch die Sozialversicherungen wären über Nacht saniert, wenn alle Einkommen, einschließlich der höchsten, zu ihrer Finanzierung herangezogen würden’ . Keine gesellschaftlich kontrollierte Produktion, sondern Finanzierung der Leistungen zur Garantie der ‚sozialen Menschenrechte’ über gerechte Steuern – bei Beibehaltung der Privatwirtschaft (jedenfalls wird nichts Gegenteiliges erwähnt). Das ist Sozialstaatsillusion pur! Und blanker Reformismus."

Nimmt man sich nun die „Erklärung der Freundinnen und Freunde der EAL zur Europawahl" (UZ vom 13. 2. 2004) vor, findet man im Grunde nichts Neues. Die „neoliberale Wirtschafts-politik" wird angeklagt, man ist für „ein anderes Europa", dafür will man die „Bewegung gegen die neoliberale Globalisierung und die Sozialforumsbewegung" unterstützen, außerdem brauche man, um die Ziele „Ausbau der demokratischen Selbstverwaltung", „radikale Verkürzung der Arbeitszeit ohne Lohneinbußen", „Finanzierung der dringenden gesellschaftlichen Aufgaben durch Besteuerung der hohen Einkommen" usw. zu erreichen, „eine andere Politik" und „eine andere Linke". Man will „den Aufbau einer neuen pluralen und glaubwürdigen Kraft" für „Mehrheiten zu Gunsten neuer sozialer und solidarischer Verhältnisse", man ist für „eine andere, für eine demokratisch-sozialistische Gesellschaft, die auf der Selbstorganisation der Arbeitenden beruht."

Was sagt nun die politische Erklärung der DKP"? Nach einer umfangreichen Schilderung der aktuellen Lage, die sich mehr an marxistisches Vokabular hält als die Einlassungen der EAL, wird es unter Punkt 4 der Erklärung konkreter. Unter 4.1. geht es um die Arbeiterklasse, die dann allerdings nicht mehr weiter vorkommt. Unter Punkt 4.2. werden die neuen sozialen Bewegungen abgehandelt, genauer die „Bewegung gegen die neoliberale Globalisierung", die große Chancen eröffne. Hier will man „Partner sein bei Aktionen und Diskussionen" und „dazu beitragen, die Bewegungen zusammen zu führen". Aus der Forderung des „Manifestes", „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch", wird abgeleitet, dass dies heute „von kommunistischen und revolutionären Parteien auch eine neue Form der Zusammenarbeit" verlange, ohne zu nennen, was diese „neue Form", die sich ja irgendwie von einer nicht näher genanten „alten Form" unterscheiden müsste, denn sein soll. Und dann wird angemerkt, die Zusammenarbeit habe „auf der Grundlage der Gleichberechtigung, Solidarität sowie gegenseitiger Akzeptanz der Unterschiede" zu erfolgen. „Es darf keine Ausgrenzung geben." Unter Punkt 6 finden wir dann, wohin das Ganze führen soll, dass nämlich die „Debatte mit anderen Marxisten in diesem Land" (Frage: wer ist das?) „... sowohl die marxistische Theorie bereichern" kann, wie sie auch hilft, „Ausstrahlung als kreative kommunistische Partei zu gewinnen." Man orientiert „auf das partnerschaftliche Zusammenwirken und das gemeinsame Handeln aller Menschen, Organisationen und Vereinigungen in diesen Bewegungen..."

Einige kurze Anmerkungen, zunächst zu dem, was fehlt:

- Dass die noch existierenden sozialistischen Länder ein Teil des Widerstandes sind, scheint die DKP-Führung nicht zu interessieren – wahrscheinlich ist das auch besser so, wenn man mit Leuten zusammenarbeiten will, die Fidel Castro stürzen wollen.

- Zum Imperialismus gibt es eine lustige Kompromissformel: „Gemeinsamkeiten, Widersprüche und Rivalitäten zwischen den imperialistischen Metropolen charakterisieren die gegenwärtige Entwicklung des Kapitalismus". Also kollektiver Imperialismus, neoliberale Globalisierung und Lenin – alles zusammen, ganz wie’s gerade gefällt.

- Die Einheit der Kommunisten scheint der DKP kein sonderlich wichtiges Anliegen zu sein, statt dessen jagt man hinter den „Bewegungen" her.

Und nun zu dem, was drinsteht:

Die DKP-Führung sagt: Wir arbeiten mit allen und mit jedem zusammen. Es muss eine „gegenseitige Akzeptanz der Unterschiede" geben. Das ist eine „neue Form der Zusammenarbeit", die „die marxistische Theorie bereichert". Das heißt, dass wir hier eine Mischung aus Vorstellungen zur Bündnisarbeit und aus Vorstellungen zur Entwicklung der DKP als kommunistischer Partei vor uns haben. Dass man das nicht vermischen kann, ist sicherlich auch den Schreibern der „politischen Erklärung" klar. Warum tun sie es dennoch? Weil sie die DKP ändern wollen, sie wollen den Marxismus-Leninismus kompatibel machen mit Linkssozialismus und Trotzkismus. Deshalb das Gerede von gegenseitiger Akzeptanz (wir können keine Leute akzeptieren, die die DDR mit Dreck beschmeißen und Fidel Castro stürzen wollen, wenn das die DKP-Führung verlangt, kann man ihr nur viel Widerstand aus den eigenen Reihen wünschen; d. Verf.). Es soll keine Ausgrenzung geben – das sagt man in Richtung Marxismus-Leninismus, damit diejenigen, die sich unserer Theorie noch verbunden fühlen, darauf vorbereitet werden, jede Kröte zu schlucken.

Also bleibt die EAL für die DKP-Führung aktuell

Damit ist die im Entwurf vorliegende „Politische Erklärung der DKP" das, was sie ist: sie zementiert Positionen im Rahmen der Programmdebatte im Sinne der DKP-Führung fest und baut weitere Brücken zur EAL und anderen ähnlich orientierten Kräften, ohne allerdings alle Verbindungen zur PDS einreißen zu wollen (interessant wird in diesem Zusammenhang werden, wie sich die DKP-Führung – aber auch die EAL - zu den Diskussionen, die von einigen linken Sozialdemokraten und Gewerkschaftern über die Möglichkeiten der Gründung einer weiteren Linkspartei zur Zeit geführt werden, positionieren wird; die „Politische Erklärung" liest sich jedoch auch zu diesem Prozess kompatibel…).

Hinzu kommt, dass Schritte der Bewegung hin zur EAL sowie zu den in ihr zusammengeschlossenen Kräften weiter anhalten, wobei es bis heute allerdings nach wie vor vermieden wird, den DKP-Mitgliedern „reinen Wein" über den Charakter der EAL sowie der Mehrheit der sie tragenden Organisationen einzuschenken. So behauptet der DKP-Vorsitzende Heinz Stehr z.B.: „Die EAL ist Teil der Linksfraktion GUE/NGL im Europaparlament; in ihr wirken Parteien und Parteienbündnisse, die in verschiedenen Ländern Europas Fraktionen im Parlament stellen." Dies ist so gesagt einfach nicht richtig. Ein Fakt ist lediglich, dass zwei der am Formierungsprozess der EAL auf europäischer Ebene beteiligten Organisationen/Parteien eben auch im Europäischen Parlament vertreten sind, Rifondazione Communista aus Italien und „Synaspismos" aus Griechenland. Warum verzerrt der DKP-Vorsitzende die Realität? Soll damit der EAL mehr Gewicht gegeben werden, als sie hat? Soll von ihrem tatsächlichen Charakter abgelenkt werden?

Am 10. Januar 2004 fand jedenfalls ein weiteres Treffen der „Freundinnen und Freunde der EAL in Deutschland" statt. Von diesem Treffen wusste die Zeitschrift „analyse & kritik", die sich durchaus dem EAL-Prozess verbunden fühlt, wie folgt zu berichten: „Es waren VertreterInnen der ‚internationalen sozialistischen linken’ (ils), der Sozialistischen Alternative (SAV), vom Linksruck, des Revolutionär Sozialistischen Bundes (RSB), der DKP und des Geraer Dialogs/Sozialistischer Dialog in und bei der PDS, die am 10. Januar zusammenkamen. Anwesend waren auch AktivistInnen des Euromarsches und der Sozialforumsbewegung sowie Redaktionsvertreter der SoZ (Sozialistische Zeitung, trotzkistisch, d.Verf.) und ein Beobachter vom ak (Zeitschrift ‚analyse & kritik’, d. Verf.). Die mit dem Versammlungsort, dem linksalternativen Mehringhof, signalisierte Öffnung, fand somit keine Entsprechung. (…) Es sei denn, man bewertet es alleine schon als erfreuliche Tatsache, dass sich hier verschiedene VertreterInnen der parteiförmigen, überwiegend trotzkistischen Linken getroffen haben. Festzustellen bleibt, dass Basis- oder Bewegungslinke sich offensichtlich von diesem Versuch nicht angesprochen fühlen. Ob ein Brückenschlag zu ihnen gelingen kann, ist fraglich." Auch die UZ berichtete (diesmal…) über dieses Treffen, jedoch eher euphorisch: „Am 10. Januar trafen sich in Berlin etwa 30 ‚Freundinnen und Freunde der Europäischen Antikapitalistischen Linken’ (EAL), um die Möglichkeiten eines vielgestaltigen, solidarischen, aber eben einheitlichen politischen Auftretens auszuloten. Die Tagung verlief – gerade auch bei unterschiedlichen Ansichten – in sehr konstruktiver, solidarischer Atmosphäre."

Am Bündnis wird weiter geschmiedet

Die EAL kandidiert nicht zu den Europawahlen, an der Entwicklung des Bündnisses wird jedoch von allen Seiten weiter gearbeitet. Geeinigt hat man sich in diesem Zusammenhang z.B. auf ein gemeinsames Auftreten während der Europawahlen u.a. mit gemeinsam verfassten Broschüren und Flugschriften, eine „gemeinsame Konferenz zur Neuformierung" im Herbst 2004 und auf eine organisationspolitische Zusammenarbeit auf lokaler Ebene, z.B. im Rahmen gemeinsamer kommunaler Bündniskandidaturen (was u.a. in Hamburg u. Köln geschieht bzw. bereits geschehen ist). Im Rahmen dieses Prozesses ist auch eine weitere bilaterale Annäherung der DKP an die trotzkistische Mehrheit der Mitglieds- und/oder Beobachterorganisationen der EAL zu beobachten. Allerdings konnten in diesem Zusammenhang DKP-Mitglieder aus ihrer Parteipresse nicht erfahren, was im Januar 2004 in der (trotzkistischen) „Sozialistischen Zeitung" (SoZ) stand: „Am dritten Adventswochenende führte die der SoZ politisch in enger Freundschaft verbundene Internationale Sozialistische Linke (isl) ihre zweite diesjährige bundesweite Mitgliederversammlung durch. Gäste von der Düsseldorfer Antifa und dem Vorstand der DKP waren der Einladung gefolgt und beteiligten sich an den Diskussionen. (…) Die Initiative für einen Unterstützerkreis der EAL in Deutschland ist eines der politischen Projekte der isl. Die Mitgliederversammlung beschloss, diesen Diskussionsprozess zwischen verschiedenen linken Organisationen weiter zu befördern."

Mit anderen Worten: das Projekt EAL ist keineswegs mit der Eigenkandidatur der DKP zu den Europawahlen vom Tisch – auch wenn dies einige Genossen vielleicht gehofft und vorschnell vermeldet hatten. Im Gegenteil: es entwickelt sich auf unterschiedlichen Ebenen weiter. Es sei gerade in diesem Zusammenhang an die sehr eindeutige Aussage des DKP-Sekretariatsmitglieds Leo Meyer erinnert: „Unser Projekt (gemeint ist die EAL, d. Verf.) weist über die Wahlen hinaus. Es ist ein Projekt mit strategischem Charakter." Als einen Charakterzug dieses von der DKP-Führung gesehenen „strategischen Charakter(s)" ihrer Mitarbeit in der EAL und der Zusammenarbeit mit Trotzkisten darf wohl auch der Umstand angenommen werden, dass dies zu einem Instrument zur weiteren Aufweichung marxistisch-leninistischer Positionen, zur Stärkung des Revisionismus in den eigenen Reihen geworden ist. Dies wird, wenn auch etwas verklausuliert formuliert, in der bereits zitierten UZ-EAL-Berichterstattung vom Februar 2004 bestätigt: „Deutlich geworden ist jetzt die Notwenigkeit der intensiven internen Diskussion in allen beteiligten Organisationen. Wer sich auf diesen lebendigen Prozess ernsthaft einlässt, auch das muss bewusst sein, muss damit rechnen, dass er und sie sich dabei verändert."

Die EAL ist KEINE linke Organisation

Tatsache ist und bleibt: die Mehrheit der die „Freundinnen und Freunde der EAL in Deutschland" tragenden Organisationen und Gruppierungen sind Trotzkisten. In der September-Oktober (2003) Ausgabe der „offen-siv" haben wir sowohl die EAL (auf deutscher wie europäischer Ebene) als auch die sie tragenden trotzkistischen Kräfte einer genauen Analyse unterzogen und sind deshalb zu folgender Schlussfolgerung gekommen: „Damit bestätigt sich – wieder einmal – eine Grunderkenntnis der internationalen Arbeiterbewegung: bei den Trotzkisten (…) handelt es sich nicht um linke, progressive, sozialistische Kräfte der Arbeiterbewegung, sondern im Agent Provocateur und reaktionäre, unter ‚linker Flagge segelnde’ Feinde der revolutionären Arbeiterbewegung! (…)

Damit wird deutlich, was für die EAL auf europäischer Ebene bereits gesagt wurde: bei den ‚Freundinnen und Freunden der EAL in Deutschland’ handelt es sich NICHT um eine linke, anti-imperialistische Kraft. Auch hier ist das Gegenteil wieder der Fall!"

Mit dieser Einschätzung bewegen wir uns auf Positionen, die einmal auch von der DKP – ganz offiziell (!) - eingenommen wurden: „Wir stoßen also immer wieder auf grundlegende Gemeinsamkeiten der Politik der rechten sozialdemokratischen Führer, ja sogar der äußersten Reaktion und der ultra-‚linken’ Sektierer. Es ist erforderlich, diese Gemeinsamkeiten immer wieder deutlich herauszuarbeiten, die maoistischen und trotzkistischen Führungskräfte nicht als linke, sondern als links getarnte Interessenvertreter rechter, reaktionärer Kräfte in unserem Lande auf Schritt und Tritt zu entlarven und zu bekämpfen. (…) Gegen die maoistischen und trotzkistischen Konzeptionen und Gruppierungen führt die DKP den prinzipiellen ideologischen Kampf. Eine Aktionseinheit mit solchen Gruppen lehnen wir ab.

In These 41 des Düsseldorfer Parteitags heißt es zu den maoistischen und trotzkistischen Gruppierungen: ‚Diese Strömungen schaden der Arbeiterbewegung (…) Die herrschenden Kreise und ihre Ideologen benutzen die maoistischen, trotzkistischen und anarchistischen Strömungen, indem sie diese in die Strategie des Kampfes gegen die Arbeiterklasse, ihre Gewerkschaften, ihre revolutionäre Partei und den Sozialismus einordnen. (…)Eine Zusammenarbeit mit den Führungskräften solcher Gruppierungen (…) kann es nicht geben. Die DKP sieht ihre Aufgabe darin, die Mitglieder und Anhänger linkssektiererischer Gruppen für den gemeinsamen Kampf gegen den Imperialismus zu gewinnen und sie vom Einfluss der Spalter zu lösen."

Also hat die DKP-Führung zumindest eine Bringschuld gegenüber den Mitgliedern der Partei: sie sollte ihnen - gerade wenn sie ihre eigenen Appelle für eine demokratische und solidarische Diskussionskultur innerhalb der Partei ernst nehmen will (!) - offen erklären, warum nach wie vor gültige (zumindest bis zur Verabschiedung eines neuen Parteiprogramms) Beschlüsse der Partei (so die soeben zitierte „These 41" des Düsseldorfer Parteitages) ohne Diskussion und Beschlussfassung über den Haufen geworfen werden können, was die Hintergründe und Perspektiven „ihrer Wende" sind und warum die Trotzkisten - Feinde der Arbeiterbewegung (!) – bei Nacht und Nebel zu strategischen Bündnispartnern mutieren konnten. Das bedeutet aber auch: die DKP-Führung sollte ihr Informationspolitik zur und über die EAL sowie ihre Zusammenarbeit mit Trotzkisten grundsätzlich verändern, die Mitglieder der Partei offen, rechtzeitig und umfassend zumindest über diesen Aspekt ihrer Politik informieren… Zu viel verlangt?

Frank Flegel (Hannover), Michael Opperskalski (Köln)


 

Frank Flegel: Zur Taktik der revisionistischen Kräfte in der Programmdebatte und bei anderen Gelegenheiten

Zur Zeit sind fünf unterschiedliche Taktiken zu beobachten:

1. Theorie und Praxis gegeneinander ausspielen: Praktische Politik sei wichtiger als „unfruchtbarer" theoretischem Streit

Das wird gern ins Feld geführt von denen, die nicht wollen, dass man ihnen bei der programmatischen Ausrichtung der Partei auf die Finger sieht. „Was soll der unfruchtbare Streit um irgendwelche ideologische Fragen", heißt es dann. „Wir müssen die Interessen der Menschen vertreten, wir müssen gegen den Krieg auftreten, wir müssen in die sozialen Bewegungen hinein, was soll das Diskutieren, das hält uns nur von den wirklich wichtigen Aufgaben ab." Nur: Mit welchem Ziel, in welche Richtung, mit welcher Orientierung machen wir denn unsere praktische Politik? Wer bestimmt sie auf welcher Grundlage?

Leider wirken diese verlogenen Appelle immer wieder, weil wir ja klein und schwach sind und deshalb der Infotisch, die Demonstrationsbeteiligung, die Kampagnendurchführung, die örtliche Diskussionsveranstaltung natürlich viel zu selten durchgeführt wird und auch nicht immer erfolgreich ist. Genau da setzen sie an.

Es gilt trotz alledem nach wie vor: Ohne revolutionäre Theorie keine revolutionäre Partei, ohne revolutionäre Partei keine revolutionäre Praxis. Alles, wirklich alles an praktischem Handeln muss sich der Bestimmung aus der Theorie stellen, sonst wird es Gewurschtel oder gerät zum opportunistischen Rechtsausleger.

Wer die marxistisch-leninistische Theorie gegen die Anforderungen der Praxis ausspielen will, der will keine Verbesserung kommunistischer Politik, sondern ihre Verwässerung, d.h. ihre opportunistische Veränderung, der will weg von der Theorie – und damit weg vom Marxismus und vom Leninismus - na und wohin wohl? Die Ergebnisse sind an den Beispielen der PDS, der ehemaligen italienischen kommunistischen Partei, der französischen kommunistischen Partei und vielen weiteren zu besichtigen.

2. Die Widersprüche verharmlosen: Die Auseinandersetzungen innerhalb der DKP seien keine zwischen Revisionismus und Marxismus-Leninismus, sondern das seien alles „normale" Diskussionen unter Kommunisten

Selbstverständlich hat Klaus Steiniger Recht, wenn er schreibt: „Ich gehe davon aus, dass die Auseinandersetzung, die bei uns (gemeint ist die DKP; d. Verf.) stattfindet, Teil der Gesamtauseinandersetzung ist, die sich zwischen Revolutionären und Reformisten in Deutschland und der Welt abspielt." (nach: „Anstoß", Zeitung der DKP Berlin, Febr. 04, S. 3f.)

Die DKP existiert ja nicht im luftleeren Raum. Aber selbstverständlich können die Revisionisten, die sich als „Modernisierer", „Weiterentwickler des Marxismus", „Erneuerer" und so weiter tarnen, die die Partei „öffnen" wollen für die neuen „Impulse" der „Zeit", die die „neuen" sozialen Bewegungen (als hätte es solche oder ähnliche nicht schon immer gegeben) anbeten und deren Sichtweise in die Programmatik der kommunistischen Partei einbringen wollen, sich nicht als Totengräber des Sozialismus, als Feinde des Marxismus, als Zerstörer der Partei zeigen, nein: sie müssen unter falscher Fahne segeln, sich mit Marx-Zitaten schmücken und die Diskussion darum, ob man den Sozialismus unter Anwendung des Privateigentums an Produktionsmitteln aufbauen könne, die Demokratie ein Wert an sich sei oder, um konkreter zu werden, man den Irak auch hätte friedlich entwaffnen können, - als ganz normale Diskussion unter Kommunisten ausgeben.

Heinz Stehr: „Eine wesentliche Kontroverse ergibt sich aus der Fragestellung: 1. Sind wir alle der Meinung, dass alle bisher beteiligten Standpunkte von der Grundlage des Marxismus ausgehen oder nicht? Ich sehe es so, was die bisherige Diskussion in der Programmkommission anbelangt. Es ist kein Streit zwischen Marxisten und Revisionisten, wie es teilweise in Publikationen (Rotfuchs, offensiv usw.) dargestellt wird. Es ist ein Streit im ‚normalen’ Spannungsfeld der Meinungsvielfalt im Rahmen einer kommunistischen Partei (…)"

Man prüfe die strittigen Inhalte und gebe sich selbst eine Antwort auf die Frage nach der Qualität der Auseinandersetzung

3. Zur Rettung des höchsten Gutes aufrufen, wohinter alles andere zurückstehen muss: Die Einheit der Partei stehe auf dem Spiel.

An Einheitsaufrufe muss man immer die Frage stellen: Einheit mit wem? Natürlich kann es niemandem darum gehen, eine kommunistische Partei zu spalten. Und den Marxisten-Leninisten in der DKP geht es auch in keinster Weise darum. Trotzdem wird es ihnen vorgeworfen. Das heißt also, dass Kritik von links an der Rechtsabweichung der Parteiführung dem Vorwurf ausgesetzt wird, die Partei zu spalten. Einheit hingegen ist, wenn alle tun, was die revisionistische Führung will.

Hier sind einige ganz grundsätzliche Bemerkungen zu Spaltungsgefahren notwendig: Nur der Marxismus-Leninismus ist in der Lage, Spaltungstendenzen zu verhindern, weil er auf wissenschaftlicher Erkenntnis beruht – und eben nicht auf beliebigen „Überzeugungen" – d.h. die Weltlage, die ökonomische Entwicklung des Imperialismus, die weltweiten Gegenbewegungen, die Rolle der Gewerkschaften usw. werden Marxisten-Leninisten in Afrika, Asien, Europa, Amerika oder Australien gleich oder sehr ähnlich einschätzen. Das ist eben gerade nicht der Stoff, aus dem Spaltungen entstehen.

Ganz anders, wenn die Partei revisionistisch zerfressen ist. Dann werden nämlich marxistisch-leninistische Grundlagen durch subjektivistische, idealistische und opportunistische „Anschauungen", „Positionen" usw. ersetzt. Das macht der Differenz und der Gegensätzlichkeit der „Anschauungen" Tür und Tor auf – das ist also der Stoff, aus dem die Spaltung entsteht.

Weiterhin sei hier darauf hingewiesen, dass das Propagieren der Einheit zwischen revolutionären und revisionistischen Kräften – zumindest früher – das elende Geschäft der Zentristen war. Heutzutage lässt sich der Eindruck nicht vermeiden, dass Hans Heinz Holz zumindest Tendenzen hat, eine solche Rolle zu spielen. In der UZ vom 16. Januar 2004 war u.a. zu lesen: „Für Kommunisten gibt es keine Alternative zur Partei. ... Wo Differenzen auftreten, müssen diese in gegenseitiger Achtung und ohne Rechthaberei ausgetragen werden. ... Die Gestaltung der Zukunft ist nie eindeutig vorbestimmt, sondern immer auch von den Entscheidungen der Menschen abhängig. Daher gibt es alternativen in der Partei. Aber noch einmal in aller Deutlichkeit: Es gibt keine Alternative zur Partei." (Hans Heinz Holz, UZ, 16.1.04) Was er da schreibt stimmt voll und ganz für eine kommunistische Partei mit einer kommunistischen Parteiführung. Was aber ist davon zu halten, wenn es sich um eine Partei mit revisionistischer Führung, einem Teil reformistisch und revisionistisch geprägter Mitglieder, einem zweiten Teil sich auf den Marxismus-Leninismus beziehender Mitglieder und einem dritten Teil indifferenter oder schwankender Mitglieder handelt? Ist Einheit zum Preis der Tolerierung all dieser Positionen („...in gegenseitiger Achtung und ohne Rechthaberei ausgetragen...") richtig oder muss der Kampf um die revolutionäre Perspektive auf Grundlage der Einsichten von Marx, Engels und Lenin offensiv – und dann wahrscheinlich nicht in gegenseitiger Achtung - geführt werden? Anders gefragt: Sind Positionen wie vielfältige Eigentumsformen im Sozialismus, kollektiver Imperialismus, das Öffnen der Partei in die sozialen Bewegungen, christlicher und/oder feministischer Zugang zum Sozialismus, Sozialstaatsillusionen usw. Positionen von Kommunisten, die Achtung verdienen – oder Positionen von Revisionisten, die bekämpft gehören?

4. Die Marxisten-Leninisten verunglimpfen: Die „Traditionalisten" wollten nichts anderes als eine „ML-Rechthabersekte"

Das ist nichts Neues und soll hier auch nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden: „Traditionalisten" ist ja noch einer der harmloseren Begriffe, schnell ist man auch der berühmte „Dogmatiker, natürlich auch „Sektierer", der „stalinistische Sauereien" unternimmt, „ewig gestrig", „stur" und so weiter - aber die „ML-Rechthabersekte" ist als Etikett auch ganz hübsch. An diese Art des Umgangs muss man sich gewöhnen, denn natürlich hassen die Revisionisten diejenigen unter den Kommunisten am meisten, die ihnen auf die Schliche kommen und sie demaskieren. Außer solchen Beschimpfungen wird dann auch noch gern gemobbt, d.h. es wird getuschelt, gekichert, es werden Informationen zurückgehalten, die unbeliebten Kommunisten werden nicht zu Sitzungen eingeladen, erhalten keine Protokolle, keine Tagesordnungen, das Parteibüro ist abgeschlossen, die Standmaterialien sind unvollständig, es gibt kein Papier im Kopierer usw...

5. Die Medienmacht des PV und der Vorstände einsetzen: Zensur

Die Parteiführung bestimmt über die Parteimedien. Zwar werden hin und wieder Diskussionstribünen eingerichtet, aber wer bestimmt, was dort abgedruckt wird?

Ein schönes, sehr aktuelles Beispiel haben wir jetzt im März in Brandenburg erlebt: Michael Forbrig, Heinz Hoffmann und Günther Lange hatten Artikel für den Roten Brandenburger geschrieben. Die Zeitung wurde hergestellt, die Artikel waren gesetzt – da griff Brigitte Müller, Vorsitzende des DKP-Bezirks Brandenburg, ein und unterband den Abdruck dieser drei Artikel. Die Autoren versuchten sich zu wehren, indem sie einen Rundbrief verfassten – der dann aber auch nicht verschickt wurde wegen Interventionen von oben. Ich habe es schon einmal in anderem Zusammenhang so ausgedrückt: Hauptsache, die Sozialismusvorstellungen sind demokratisch, dann muss es das Parteileben ja nicht auch sein...

Wir drucken nun den offenen Brief von Harpal Brar an Heinz Stehr, danach die drei unterdrückten Artikel aus Brandenburg, darauf folgt ein Diskussionsbeitrag von Hans-Günther Szalkiewicz beim Parteivorstand der DKP und schließlich eine Gegenüberstellung der Position von Heinz Stehr und derjenigen der KP des Irak (Kader) zum irakischen Widerstand und zur KP des Irak. Frank Flegel, Hannover


Harpal Brar: Lieber Genosse Stehr!

Es stimmt mich einigermaßen traurig, dass ich von einem Mitglied Deiner Partei, Klaus von Raussendorff, erfahre, dass Du bei der Fünften Tagung Eures Parteivorstands, die am 29./30. November 2003 in Essen stattfand, erklärt hast: „Vorwiegend in Ostdeutschland trat auf DKP-Veranstaltungen Harpal Brar aus Großbritannien auf. Er ist dort Mitglied der trotzkistischen SWP. Die Genossen der KP Britanniens haben zu Recht ihr Unverständnis deutlich gemacht."

Diese Äußerung von Dir ist laut meinem Gewährsmann in den parteiinternen DKP-Informationen Nr. 6/2003 vom 5. Dezember 2003, Seite 28, wieder gegeben.

Ich verwahre mich sowohl gegen den wesentlichen Inhalt der oben erwähnte Bemerkung wie auch die hinterhältige Methode, mit der Du vorgehst. Ich war immer und bleibe weiter ein entschiedener Anhänger und Verfechter der ewigen Wahrheiten des Marxismus-Leninismus. Über lange Jahre habe ich mit aller mir zu Gebote stehenden Kraft das Erbe und die revolutionäre Lehre des Marxismus-Leninismus verteidigt und werde sie weiter verteidigen. In diesem Zusammenhang habe ich während meines ganzen über drei Jahrzehnte umspannenden politischen Lebens die konterrevolutionäre Theorie und Praxis des Trotzkismus bekämpft. Ich verweise auf meine Bücher, insbesondere auf „Trotzkism or Leninism" und „Imperialism - decadent, parasitic and moribund capitalism', damit Du Dich selbst von meiner soeben getroffenen Feststellung überzeugst. Das zweite dieser Bücher ist in Deutsch* erhältlich, ebenso wie mein Buch „Perestrojka, the complete collapse of revisionism"**, das die Ursachen behandelt, die zum Untergang der einst großen und ruhmreichen Sowjetunion führten. Ich war in Deutschland bei zwei verschiedenen Anlässen, wo ich die Gelegenheit hatte, diese Bücher deutschen Genossen in verschiedenen Städten vorzustellen, und zwar auf dem Gebiet der ehemaligen DDR sowie in Westdeutschland. Während dieser Rundreisen wurde ich von einer Menge Genossen in verschiedenen Städten, von denen einige zu Deiner Partei gehörten, mit großer Höflichkeit und Begeisterungen empfangen. Es ist, vermute ich, der Erfolg dieser Rundreisen und die Wirkung, die sie auf die deutschen Genossen hatten, die Deinen Zorn erregt haben, aufgrund dessen Du zu glatten Unwahrheiten und Verleumdung gegen mich Zuflucht genommen hast.

Lenin sagte gern, dass in der Politik Wahrhaftigkeit ein Zeichen von Stärke ist, Heuchelei das Zeichen von Schwäche. Du kannst Dir Deiner Politik schwerlich sicher sein, wenn die einzige Art ihrer Verteidigung nicht die offene Debatte mit denjenigen ist, die mit Dir nicht übereinstimmen, sondern, dieselben zu verleumden. Dein Verhalten erinnert mich an die Geschichte von Krilow „Die Schlange und der Verleumder", in der diese beiden Charaktere sich mit Schadenfreude ihrer Macht brüsten, anderen Schaden zuzufügen. Die Schlange behauptet, dass manchmal, wenn sie kalt und erfroren am Straßenrand liegt, Vorübergehende sich ihrer erbarmen, sie an ihre Brust nehmen und aufwärmen, und dann, wenn sie wieder zu Bewusstsein kommt, sie diese beißt und auf der Stelle tötet. Worauf der Verleumder sagt, er könne weit mehr Schaden aus Tausenden von Kilometern zufügen durch die einfache Methode des Rufmords. Es ist mir klar, Genosse Stehr, dass Du der nicht sehr ehrenhaften Tradition des Verleumders in Krilows Geschichte folgst. Ich muss jedoch betonen, dass die Wahrheit am Ende die Oberhand behält, und dass die Lügen meiner revisionistischen, sozialdemokratischen und trotzkistischen Gegner gründlich als das offen gelegt werden, was sie sind - glatte Verleumdungen.

Ich gehöre nicht der SWP an. Die einzige Partei, der ich je angehört habe und weiter angehöre, ist die Socialist Labour Party unter der Führung von Arthur Scargill, berühmt wegen des großen Streiks der Nationalen Bergarbeitergewerkschaft von 1984-85. Was Deine Genossen von der Kommunistischen Partei Britanniens anbelangt, so solltest Du Dir gerade um sie Sorgen machen; denn sie haben sich auf eine geschwätzige Verbindung mit den Trotzkisten der SWP eingelassen, und beide agieren innerhalb der Arbeiterklasse Britanniens gemeinsam als verlängerter Arm der imperialistischen Labour Party - und zwar in einem Ausmaß, dass niemand mehr auf sie hört.

Ich benutze diese Gelegenheit, Dich dazu aufzufordern, mit mir von Angesicht zu Angesicht zusammen zu treffen, entweder allein oder in Anwesenheit anderer, damit wir die Möglichkeit haben, unsere Differenzen auszuräumen. Insbesondere würde ich mich freuen, mit Dir über die Frage des Untergangs der Sowjetunion und der Gründe dafür sowie über die Gültigkeit von Lenins Thesen über den Imperialismus zu diskutieren. Letzteres ist besonders wichtig in einer Zeit, da Kautskys reaktionäre Theorie des Ultraimperialismus unter dem Namen kollektiver Imperialismus wieder belebt wird, um die proletarischen Massen in den imperialistischen Ländern zu verdummen und zu blenden.

Ich schicke eine Kopie dieses Briefs nicht nur an Klaus sondern auch an fortschrittliche Zeitungen in Deutschland und anderswo, damit jene, die durch Deine Verleumdung gegen mich beeinflusst worden sind, wieder ins rechte Bild gesetzt werden, und gleichzeitig Deine listigen, hinterhältigen Methoden der Behandlung Deiner Gegner gründlich offen gelegt werden.

Mit Genossengrüßen, Harpal Brar, London

* Harpal Brar, Imperialismus im 21. Jahrhundert - Sozialismus oder Barbarei, Bonn (Pah-Rugenstein Verlag) 2001, 208 Seiten. ** Harpal Brar, Perestroyka - Der vollständige Zusammenbruch des Revisionismus, Eigenverlag, 2002, 200 Seiten.


Michael Forbrig: Augen zu und durch?

(Dieser Artikel konnte wegen der Intervention von Brigitte Müller, Vorsitzende des DKP-Bezirks Brandenburg, in der März-Ausgabe 04 des „Roten Brandenburger" nicht erscheinen; d. Red.)

Diese Frage drängt sich dem Leser auf nach dem Studium der DKP-Information 2/2004, die die Referate und Beschlüsse der jüngsten Tagung des Parteivorstandes dokumentieren. Im wesentlichen geht es dabei um Schlussfolgerungen aus der Entwicklung der politischen Kräfteverhältnisse sowohl international als auch national, um Fragen der weiteren Programmdebatte sowie der anstehenden politischen Höhepunkte und deren Vorbereitung und Absicherung.

Besondere Bedeutung kommt dabei dem Beschluss über die Einberufung des 17. Parteitages der DKP zu. Die konkrete Entscheidung dazu hat der Parteivorstand offenkundlich recht lange hinausgezögert. Mit der Festlegung einer ersten Tagung auf den 19./20. Februar 2005 und einer terminlich nicht genau bestimmten zweiten Tagung Ende 2005/Anfang 2006 wurde sowohl das bundesdeutsche Parteiengesetz als auch die Erwartung der Mitglieder bis aufs Letzte ausgereizt. Hintergrund dessen ist bekanntermaßen nicht zuletzt die innerparteiliche Auseinandersetzung über ein neues Parteiprogramm, die – wie wir wissen und teilweise verfolgen konnten – nicht so recht dem Regieplan des Sekretariats des Parteivorstandes entsprach.

Gut zwei Jahre ist es jetzt her, dass dem Parteivorstand der inzwischen schon fast berühmt-berüchtigte Entwurf der „Ersten Grundlagen..." vorlag. Obwohl lebhaft und kontrovers diskutiert – von Mitgliedern des Parteivorstandes ebenso wie von den zur PV-Tagung im Februar 2002 geladenen Mitgliedern der Programmkommission und den Vorsitzenden der Bezirks- und Landesverbände – suggerierten insbesondere die Mitglieder des Sekretariats, dass Eile geboten sei. Das führte letztlich dazu, dass besagtes Papier unmittelbar danach ohne jegliche Überarbeitung und Nachbesserung als Diskussionsgrundlage veröffentlicht wurde. (Der Autor weiß, wovon er schreibt, war er doch selbst als Gast ohne Stimmrecht bei dieser PV-Tagung anwesend.)

Die fatalen Folgen dieser Entscheidung sind bekannt und führten schließlich konsequenterweise zum Auftrag des 16. Parteitages der DKP, die Programmdiskussion mit dem Ziel fortzusetzen, dem kommenden 17. Parteitag einen ausgereiften Entwurf zur Entscheidung vorzulegen. Vergessen ist auch nicht, dass dieser Auftrag seinerzeit flankiert wurde von der Ablehnung der vom Parteivorstand vorgelegten unausgereiften Handlungsorientierung durch das höchste Gremium der Partei.

Bekanntermaßen entwickelten sich die Dinge danach recht widersprüchlich. Ohne noch einmal alle Akteure, Etappen und Einzelheiten dabei zu beleuchten, ist festzustellen, dass die einstmalige Eile seitens des PV-Sekretariats eher einem Gedulds- und Verwirrspiel gewichen ist. Das äußerte sich u. a. in einer Weiterführung der Programmdiskussion in Kommissionen, Arbeits- und Interessengruppen, die für die Parteiöffentlichkeit wenig transparent war und zudem noch massiv durch Mitglieder des PV-Sekretariats beeinflusst wurde. Nach wie vor gibt es beispielsweise eine ganze Reihe substanziell unterschiedlicher Positionen zur Entwicklung des Imperialismus, zur Geschichte und Zukunft des Sozialismus und zur Parteitheorie. Für ein künftiges marxistisch-leninistisches Parteiprogramm besteht aber gerade in diesen Fragen unbedingter Klärungsbedarf. Um es auf den Punkt zu bringen: Wer an dieser Klärung nicht ernsthaft interessiert ist, will auch ein solches Programm nicht ernsthaft!

Zahlreiche Brandenburger GenossInnen – vom einfachen Mitglied bis hinein in den Landesvorstand – haben sich in den letzten Monaten mehr oder weniger ungefragt kritisch und konstruktiv in diese Debatte eingemischt. Lorbeerkränze wurden ihnen dafür aus Essen in der Regel nicht geflochten – im Gegenteil. Dennoch ist es als ein erster Erfolg zu werten, dass unsere Standhaftigkeit und unser Engagement mit dazu beigetragen haben, dass sich der Parteivorstand genötigt sah, die Programmatik entgegen der versuchten Absicht des Sekretariats auf der Tagesordnung des 17. Parteitages zu belassen und die Programmdebatte öffentlich fortzusetzen. Unbefriedigend weil unbestimmt ist der weite Zeithorizont für die Annahme eines neuen Parteiprogramms. Der Parteivorstand belässt es zunächst bei einer „eventuellen" Beschlussfassung darüber und will sich auch erst Mitte 2005 auf einen konkreten Termin festlegen.

In diesem Zusammenhang erscheinen die Vorhaben des Parteivorstandes für das Jahr 2005 als ziemlich gewagt, in einem Jahr sowohl einen ordentlichen Parteitag mit möglicherweise zwei Tagungen sowie einer vorgeschalteten internationalen Konferenz und außerdem noch das 14. UZ-Pressefest durchzuführen. Das Wagnis ist in erster Linie wirtschaftlicher Natur, hat aber konsequenterweise politische Auswirkungen! Erinnert sei hier an die Einschätzung der problematischen wirtschaftlichen Situation der Partei durch Gen. Koberg im vergangenen Jahr. Eine gravierende Veränderung dieser Lage zum Positiven ist derzeit nicht zu erkennen. Unter diesem Gesichtspunkt bekommen die genannten Vorhaben einen etwas abenteuerlichen Anstrich, zumal entsprechende Finanzierungskonzepte noch nicht einmal ansatzweise vorliegen. Zu befürchten ist daher, dass letztlich „Sachzwänge" unsere politischen Vorhaben beschneiden werden – prominentestes Opfer könnte dann wieder einmal die Programmatik werden. Wie gehabt – siehe oben!

Michael Forbrig, verantwortlicher Redakteur des „Roten Brandenburger"


Heinz Hoffmann: Graffiti – einmal anders

(Dieser Artikel konnte wegen der Intervention von Brigitte Müller, Vorsitzende des DKP-Bezirks Brandenburg, in der März-Ausgabe 04 des „Roten Brandenburger" nicht erscheinen, d. Red.)

Gewünscht hätte ich mir, dass es ein Diskussionsbeitrag geworden wäre, was mir eine Teilnehmerin unserer öffentlichen thematischen Mitgliederversammlung auf der Heimfahrt erzählte: Sie war schon mehrmals in Griechenland – und überall an den Hauswänden, bis ins kleinste Dorf, Graffiti. Nur mit einem wesentlichen Unterschied zu Deutschland: Keine Schmiererei, sondern Losungen der Kommunisten Griechenlands. Die Griechischen Genossen belassen es aber nicht nur bei Losungen, sie handeln. Z.B. während des NATO-Krieges (mit deutscher Beteiligung) gegen Jugoslawien, als sie einen Tag lang einen Militärtransport aufhielten.

Ein solcher Diskussionsbeitrag hätte gut zu den Ausführungen unseres Gastreferenten, Genossen Michael Opperskalski gepasst, der die griechische kommunistische Partei wie auch die Portugals als beachtenswerte, einflussreiche Parteien Europas charakterisierte. Ganz im Gegensatz zu den mehrheitlich kleinen, unbedeutenden Parteien, Gruppen und Zirkeln, die in der so genannten „Europäischen Alternativen Linken" (EAL) den Menschen vorspiegeln, sie seien „links" orientiert.

Das Gegenteil ist der Fall: Trotzkisten haben sich hier eine reaktionäre Basis geschaffen, von hier aus sollen Gegner des Kommunismus hoffähig gemacht werden. Unbegreiflich ist, dass das Mitglied des Sekretariats des Parteivorstandes der DKP, Leonhard Mayer, von diesen Gruppierungen sagt, dieses Bündnis habe strategische Bedeutung. Es erklärt aber andererseits, dass im Auftrag der DKP-Spitze zwei Genossen bei den Beratungen der EAL zugegen sind – zunächst ohne Wissen des Parteivorstandes, wie Genosse Patrik Köbele auf dessen 4. Tagung öffentlich machte.

Für die meisten Mitglieder unserer Grundorganisation wie auch der zahlreich erschienen Gäste waren die sachlichen, konzentriert vorgetragenen Ausführungen Neuland, wussten sie doch wenig oder nichts über die EAL und schon gar nichts über die Trotzkisten, die im Leben der DDR-Bürger keine Rolle spielten – und das ist auch bis heute so und so soll es auch bleiben – denn wir werden nie diesen Reaktionären zustimmen, wenn sie schreiben: „Unserer Meinung nach ist in der DDR nicht der Sozialismus gescheitert, sondern der Stalinismus. Der DDR-Stalinismus musste scheitern." Und an anderer Stelle: „In den stalinistischen Staaten versuchte die Arbeiterklasse von den 50er bis in die 80er Jahre hinein, durch revolutionäre Erhebungen die Herrschaft der stalinistischen Bürokratie abzuwerfen und eine echte Arbeiterdemokratie aufzubauen. Dieser Prozess der politischen Revolution begann 1953 mit dem Aufstand in der DDR. Es folgten revolutionäre Erhebungen 1956 in Ungarn und Polen, 1968 in der Tschechoslowakei, 1971 und 1980 wiederum in Polen. In Polen hatte sich die Arbeiterklasse mit Solidarnosc eine 10 Millionen starke Gewerkschaft aufgebaut." Ganz in diesem Sinne wird – auf die Gegenwart bezogen – fortgefahren: „Die SAV (Sozialistische Alternative Voran) betrachtet Cuba als einen deformierten Arbeiterstaat. ... Wir treten für die Ersetzung des Castro-Regimes ... ein." Wie die Konterrevolution in Ungarn wütete, mit Mord und Terror vorging, Kommunisten an den Laternenpfählen aufhängte, ist den Älteren unter uns noch bekannt. Und mit Leuten, die dem Wüten der schwärzesten Reaktion Beifall zollen, soll eine „Alternative Linke" aufgebaut werden?

Es gab an diesem Abend niemanden, der bereit gewesen wäre, solcherart Bündnis mit den Trotzkisten zu unterstützen.

Um so verwunderlicher ist, dass unser Parteivorsitzende, Genosse Stehr, sich veranlasst fühlte, dem Sprachrohr der Trotzkisten, der „Sozialistischen Zeitung", nach der internationalen Konferenz der DKP im Sommer 2002 ein Interview zu geben. Dort führte er u.a. aus: „Auch das ganze programmatische, strategische und taktische Selbstverständnis der DKP musste sich erneuern. ... Damit sind wir noch nicht am Ende, aber so viel ist klar, dass es einen erlebbaren Zusammenhang zwischen Demokratie und Sozialismus geben muss, der eine neue Qualität der Mitgestaltung ermöglicht. Es muss auch Oppositionsmöglichkeiten im Sozialismus geben. ..." Und zu Kommunisten, die konsequent am Marxismus-Leninismus festhalten, gab Genosse Stehr den Trotzkisten folgende Antwort: „Es gibt immer Genossinnen und Genossen, die können sich auf neue politische Verhältnisse einstellen, und es gibt solche, die diesen Sprung nicht mehr schaffen. Das ist das Problem der Ideologisierung bestimmter Positionen: Wenn man den neuen Herausforderungen nicht mehr nachkommen kann, und seinen Standort mindestens beibehalten will, ist das ja durchaus in Ordnung. Wenn man daraus aber ableitet, die ganze Organisation müsse so sein – im Sinne des Bewahrens der großartigen Ergebnisse des Sozialismus – wenn das der zentrale Achsenpunkt sein sollte, um den sich die Parteipolitik drehe, dann wird das natürlich problematisch."

Wie sagte doch ein Genosse, der als Landarbeiter von Kommunisten an die Partei herangeführt, ihr Mitglied geworden, sich den wissenschaftlichen Sozialismus angeeignet und an hervorragender Stelle tätig war – sein Leben lang für den Sozialismus gekämpft hat und bis heute dem Marxismus-Leninismus treu ist: „Es geht nicht darum, aufzurechnen, was es alles im sozialistischen Staat DDR für Errungenschaften gab und was wir falsch gemacht haben, sondern um die festzuschreibende Erkenntnis, dass in diesem Deutschland erstmalig die Arbeiterklasse an der Macht war."

Auch deshalb haben wir nichts Gemeinsames mit Trotzkisten und erwarten von den Spitzenfunktionären der DKP und ihren Beauftragten, sich des Inhaltes des Begriffs „Kommunist" zu erinnern.

Genosse Opperskalski hatte uns ja vorgewarnt, dass er viel mit Zitaten arbeiten wird, darunter die vorstehenden (im Original nachlesbar im Offensiv-Heft September-Oktober 2003) und deren Aussagekraft sicher ein Grund dafür war, dass die Mitglieder unserer Grundorganisationen und die zahlreich erschienenen Gäste die Versammlung nach Schluss sehr betroffen und nachdenklich verließen. Heinz Hoffmann, Strausberg


Dr. Günther Lange: Genosse Stehr sollte mit Marxisten-Leninisten korrekt umgehen

(Dieser Artikel konnte wegen der Intervention von Brigitte Müller, Vorsitzende des DKP-Bezirks Brandenburg, in der März-Ausgabe 04 des „Roten Brandenburger" nicht erscheinen; d. Red.)

In einem einleitenden Beitrag auf der 5. Tagung des DKP-Parteivorstandes zur Auseinandersetzung in der Programmkommission, der ganz vordergründig zu einer Auseinandersetzung mit den Genossen Holz, Köbele und Harms geriet, sagte der Parteivorsitzende u.a.: „Ich möchte die unbedingte Einhaltung des Statuts an zwei Beispielen erläutern: Vorwiegend in Ostdeutschland trat auf DKP-Veranstaltungen Harpal Brar aus Großbritannien auf. Er ist dort Mitglied der trotzkistischen SWP. Die Genossen der KP Britanniens haben zu Recht ihr Unverständnis deutlich gemacht." (DKP-Informationen Nr. 6/2003, S. 28)

Im Namen aller meiner Genossen zumindest der Strausberger DKP-Grundorganisation verwahre ich mich gegenüber Genossen Stehr entschieden dagegen, als Statutenbrecher diffamiert zu werden, weil wir einen angeblichen „Trotzkisten" zu einer von vielen Gästen besuchten öffentlichen thematischen Mitgliederversammlung als Referenten eingeladen hatten. So zu verfahren ist einfach kein korrekter Umgang miteinander!

Aber zurück zum obigen Zitat: Genosse Harpal Brar ist bei weitem nicht nur den Genossen unseres DKP-Landesverbandes durch seine gut besuchten Auftritte in Schwedt/O, Bernau, Strausberg und Potsdam im Rahmen seiner Lesereisen zur Vorstellung seiner bemerkenswerten Bücher gut bekannt. Wir verstehen sehr gut, dass Genosse Brar die im obigen Zitat enthaltene Unwahrheit nicht unwidersprochen lassen konnte. Wir kommen daher gern seinem Wunsch nach, aus seinem darauf bezogenen Brief zu publizieren:

Hier folgt im Original des Artikels von Dr. Günther Lange der oben abgedruckte offene Brief von Harpal Brar an Heinz Stehr. Bitte lest ihn dort, wir können ihn aus Platzgründen hier nicht nochmals bringen; d. Red.)

Bleibt nur noch nachzutragen: in einer Antwort auf einen offenen Brief des genossen Herbert Mies teilt Klaus Steiniger (RotFuchs) mit: „Ich gehe davon aus, dass die Auseinandersetzung, die bei uns stattfindet, Teil der Gesamtauseinandersetzung ist, die sich zwischen Revolutionären und Reformisten in Deutschland und der Welt abspielt. Natürlich muss man die Partei verteidigen und erhalten, aber ob man den tiefen ideologischen Graben dadurch überwindet, dass man mehr dafür tut, dass `die verschiedenen Tendenzen aufeinander zugehen`, ... erscheint mir fraglich." (Zitiert nach „Anstoß", Zeitung der DKP Berlin, Februar 2004, S. 3f.)

Genau das ist es! Den Unsinn von „Traditionalisten" und „Modernisierern" sollten wir schnell in den Schredder stecken. Vor diesem Hintergrund bleibt die eigentliche Kernfrage aller derzeitigen Fragen in der DKP: Auf welcher Seite stehst Du, einzelnes Mitglied der Partei der Arbeiterklasse, der DKP, Du einzelnes Mitglied des Parteivorstands??

Dr. Günther Lange, Strausberg


Hans-Günther Szalkiewicz: Diskussionsbeitrag auf der 4. Tagung des PV der DKP, 30.9.03

(Wir drucken diesen Diskussionsbeitrag erst jetzt, weil der Genosse Szalkiewicz die sechste PV-Tagung der DKP abwarten wollte, bevor der Beitrag veröffentlicht würde; d.Red.)

Liebe Genossinnen und Genossen, wer die Materialien der Programmkommission aus ihrer Tätigkeitsperiode seit dem 16. Parteitag zur Kenntnis genommen hat, wird bestätigen, dass Mitglieder der Kommission große Anstrengungen unternommen haben, um zu einem Ergebnis entsprechend dem Parteitagsbeschluss zu kommen. Wenn das trotz der geleisteten Arbeit nicht gelang, wäre von der heutigen Tagung des Parteivorstandes eine Erklärung zu den Ursachen zu erwarten und die Beantwortung der Frage danach, wie es weitergehen soll.

Zu dieser Frage kam in der letzten Beratung der Programmkommission jemand auf die Idee, die Situation dadurch zu retten, dass anstelle eines Programmentwurfs dem nächsten Parteitag angeboten werden sollte, eine programmatische Erklärung zu verabschieden.

Ich unterstütze diese Idee u.a. deshalb nicht, weil wir auf diese Weise die in der Partei bestehenden Probleme nur vor uns herschieben würden.

Ist es denn richtig, wie Jürgen Köster sagt: „Wir haben zur Zeit genug Übereinstimmung, um gemeinsam politisch einzugreifen, aber nicht genug Übereinstimmung, um jetzt schnell zu einem Programm zu kommen,..."? Zunächst: Es geht nicht um schnell, sondern darum, einen Beschluss des letzten Parteitags zu realisieren oder zu erklären, warum er nicht realisiert wurde. Es geht darum, dass eine Aufgabe zu lösen ist, die schon weit vor dem 16. Parteitag beschlossen worden ist. Und es geht schließlich darum zu erkennen, dass eine kommunistische Partei, die gesellschaftlich wirksam sein will, mit den von Köster festgestellten verschiedenen Richtungen auf Dauer nicht leben kann. Wenn es richtig ist, dass in der DKP verschiedene Richtungen bestehen, dann haben wir diesen Zustand schon seit Jahren.

Wegen der Redezeitbegrenzung mache ich eine kurze Bemerkung zu den Ursachen unserer Programmkrise und möchte dann einige Gedanken zu der Frage darlegen, ob wir noch einige Zeit ohne ein aktuelles Programm oder wenigstens ohne eine zielstrebige Erarbeitung eines solchen Programms leben können.

Es ist eindeutig, dass die Genossen des Sekretariats und Teile der Partei in eine politische Richtung wollen, mit der sie sich von „alten" und „überholten" theoretischen Grundlagen oder – wie Köster es formuliert – von einer „rückwärtsgewandten, weit von den heutigen realen Bewegungen ... entfernten ML-Rechthabersekte" verabschieden. Wer Schwierigkeiten hat, dieser Einschätzung zu folgen, den bitte ich, das Referat des Genossen Mayer „Soziale Bewegungen und die Linke" (UZ, 12. 9. 03) zu lesen. Diesen Weg mitzugehen sind andere Teile der Partei nicht bereit. Das wurde deutlich in der relativ breiten Ablehnung des von Sekretariatsmitgliedern ausgearbeiteten Diskussionsmaterials „Erste Grundlagen zur Diskussion und Erarbeitung eines Programmentwurfs".

Eine mögliche Konsequenz aus dieser Situation hat der letzte Parteitag mit dem Beschluss bezogen, die Arbeit am Programmentwurf unter Berücksichtigung aller relevanten Beschlüsse und Standpunkte weiterzuführen und die Ergebnisse dieser Arbeit für die „Mitglieder nachvollziehbar" öffentlich zu machen. Das war die Grundlage, auf der die Programmkommission zu wirken hatte, und der von den Genossen Seppmann, Holz und Dürrbeck vorgelegte „Entwurf für die Diskussion des Parteiprogramms der DKP in der Programmkommission" war ein ernst zu nehmender Versuch, die Aufgabenstellung des Parteitags zu realisieren. Er ist daran gescheitert, dass der Wille, zu einem Kompromiss zu kommen, bei den Vertretern des Sekretariats und einigen Mitgliedern der Programmkommission nicht vorhanden war.

Einen solchen Versuch zu wiederholen ist sinnlose Arbeit und vergeudete Zeit. Gleichgültig, was zur Diskussion vorgelegt wird, die verschiedenen Kräfte machen nichts weiter, als „die Messer zu wetzen" und den notwendigen Klärungsprozess zu blockieren. Diejenigen, die sich für den Kompromiss einsetzten, haben das möglicherweise auch getan eingedenk der Feststellung von Willi Gerns vor dem letzten Parteitag: Wenn wir einen Standpunkt festschreiben, haben wir kein Programm oder die Spaltung der Partei.

Ich möchte an dieser Stelle eindringlich davor warnen, die Auffassung: „Wir haben zur Zeit genügend Übereinstimmung, um gemeinsam politisch einzugreifen" zur Grundlage der heute zu treffenden Entscheidung zu nehmen. Wir haben diese Übereinstimmung nicht. Die Differenzen, die in programmatischen Fragen der DKP bestehen, schweben nicht in der Luft, sie sind nicht darauf zu beschränken, dass ein paar Theoretiker nicht miteinander zurecht kommen und sie sind nicht von unserer praktischen politischen Arbeit zu trennen. Den Mitgliedern der Partei einzureden, sie mögen nur handeln, unser Programm machen wir später, verurteilt sie zu einem Aktionismus, der jetzt schon ein wesentlicher Grund für die gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit der Partei ist.

Den Konzeptionen und Ansätzen für die praktische politische Arbeit – also den vorliegenden Beschlüssen und Erklärungen – fehlt doch heute schon die programmatische Linie in einem Maße, dass man schon von der Gefahr der Beliebigkeit, des konzeptionellen Wirrwarrs sprechen kann.

Zur Verdeutlichung wähle ich einige Probleme nur aus diesem Jahr (gemeint ist 2003; d.Red.) aus. Nehmt die Vorbereitung der Partei auf die Wahlen zum Europäischen Parlament! Die letzte Tagung des Parteivorstandes fasst dazu einen Beschluss ohne jegliche politische Orientierung und erwähnt dabei schon die möglichen Bündnispartner. Das Material, was dazu übergeben wird, ist eine ältere Plattform der „Europäischen Antikapitalistischen Linken". Vor dem Berliner Bezirksvorstand erklärt Genosse Stehr, dass die DKP an deren Beratungen nur mit Beobachtern teilnimmt und mit einem Zustandekommen dieses Bündnisses nicht zu rechnen sei. Mit der UZ vom 12. September 2003 erfahren wir durch das Sekretariatsmitglied, Genossen Leo Mayer, etwas ganz anderes. Vor allem wird uns damit erklärt, mit welcher Konzeption die Bündnisarbeit der DKP betrieben wird. Das hat schon einen direkten Zusammenhang zur Programmatik unserer Partei. Das, was Genosse Leo Mayer zum Verhältnis von Bewegung, Gewerkschaft und Partei dort entwickelt, stößt bei uns auf entschiedenen Widerstand. Unser Schreiben dazu wird möglicherweise Genossen Stehr schon erreicht haben.

Wir debattieren, um ein nächstes Beispiel zu nennen, um den Charakter des Imperialismus, darum, wie „kollektiv" oder widersprüchlich er ist. Genosse Stehr leitet aus seiner Version, der „Globalisierung", ab: „Heute wird die Auseinandersetzung um den Zugang zu Rohstoffen und um Einflusssphären noch in erster Linie mit ökonomischen und politischen Waffen oder aber durch Stellvertreterkriege ausgetragen. Ein Weltkrieg zwischen den imperialistischen Metropolen ist wenig wahrscheinlich." (Letzte Zuarbeit zum Vorschlag der Genossen Seppmann, Holz und Dürrbeck). Und zu den Aktivitäten der SDAJ erklärt er: „Jetzt eine Kampagne gegen die Formierung einer EU-Eingreiftruppe als aktuell wichtigste Aufgabe voranzustellen, ist angesichts der Vorbereitung der Kriege gegen Irak und andere so genannte Schurkenstaaten nicht nachvollziehbar." (Referat auf der 1. PV-Tagung, Dezember 2002)

Ist hier noch eine zusätzliche Erklärung zum Zusammenhang zwischen praktischer Politik und Programmatik und den Problemen, die wir dabei haben, erforderlich?

Im Vorfeld der US-amerikanischen Aggression gegen die Republik Irak gab es zum Teil heftige Debatten um die Haltung der DKP dazu. Ich erinnere Euch an die Einwände, die wir aus Berlin und die andere Gliederungen der Partei gegen die UZ-Beilage „Krieg um Öl und Weltherrschaft" vom Februar 2003 vorgetragen haben. Das waren die Positionen der DKP, die bei den Massendemonstrationen verbreitet werden sollten. Die Aussagen waren katastrophal. Die europäischen NATO-Partner müssten erkennen, „dass es letztlich die USA sind, die Privateigentum, Marktwirtschaft ... in den unsicheren Teilen der Welt garantieren und absichern können." Alle seien für eine gerechte Welt, gegen „Bomben und Blut für Öl", die „Kirchen ..., die Gewerkschaften, auch politische Parteien wie SPD und Grüne,..."

Wir haben, ohne eine ernsthafte Diskussion zu erreichen, gegen diesen Unsinn protestiert – und gewarnt: „Aus dem imperialistischen Raubkrieg wird ein Kampf des Irren Bush gegen den brutalen Diktator Saddam Hussein gemacht. Den Menschen wird suggeriert, dass die eigentliche Gefahr diese Diktatur sei und nicht einmal `aufgeklärte` Kräfte stellen die Frage nach dem Regime, das nach der militärischen Eroberung installiert werden wird. ... Weiteres Anwachsen und Stabilisierung des Widerstands wird es nur geben, wenn die Einsichten in die Ursachen und Zusammenhänge imperialistischer Kriege verbreitet und vertieft werden."

Wir haben protestiert gegen eine Aussage der Irak-Resolution des Parteivorstandes: „Im Gegenteil zeigt es sich, dass die Entwaffnung des Irak mit den Mitteln der Inspektion auf friedlichem Wege möglich ist." Und wir haben – an die Mitglieder des Parteivorstande gerichtet – erklärt, dass sie sich damit zu Handlangern der deutschen Regierung machen lassen.

Das ist alles dokumentiert. Es besteht aber der Eindruck, dass Einwände dieser Art die Mitglieder des Parteivorstandes gar nicht erreichen.

Stattdessen können wir uns mit diskreditierenden Wertungen der Berliner Bezirksorganisation und einzelner Gruppen auseinandersetzen.

In einer Erklärung des Sekretariats zur Agenda 2010 wird als Aufgabe gestellt, den Sozialstaat zu verteidigen, eine Institution, die es nie gegeben hat und nicht gibt. Oder will hier jemand im Raum behaupten, dass das Konstrukt von Ludwig Erhard, das zur Konsolidierung des kapitalistischen Systems in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und zur Abwehr der Wirkungen des sich entwickelnden Sozialismus in Europa installiert worden ist, etwas anderes war als ein kapitalistischer Staat, der sich in der Systemauseinandersetzung zu äußersten Kompromissen veranlasst sah? Die Bedingungen für diese Kompromisse sind verschwunden und die Bourgeoisie kehrt zu den Normalverhältnissen zurück. Was gestern über den Staat als Kompromiss realisiert wurde, wird heute durch den gleichen Staat abgeschafft. Die Akzeptanz des Sozialstaatsbegriffs durch die Kommunisten bedeutet, die Verbreitung des Opportunismus in der Arbeiterbewegung zu unterstützen.

Es geht hier nicht darum, gegen Erscheinungen in der Partei und in der Arbeit der Parteiführung Stimmung zu machen, sondern darum, für den Gedanken zu werben, dass wir einen sehr gefährlichen Weg gehen, wenn wir zulassen, dass die theoretische Arbeit, das Ringen um einen Programmentwurf getrennt werden von der praktischen politischen Arbeit. Die Folge ist immer – und nicht nur in der DKP – das Abgleiten in einen Aktionismus, ein Rückgang des gesellschaftlichen Einflusses und eine Tendenz der Anpassung. Das Maß unserer politischen Arbeit und Wirksamkeit ist dann die Zahl der DKP-Fahnen, mit der wir möglichst bei jeder Demonstration in Erscheinung treten.

Beim Metaller-Streik in Ostdeutschland ist das spezielle politische Profil der DKP nicht sichtbar geworden. Wo war die Orientierung auf Solidaritätsstreiks in Westdeutschland? Wo waren die Erklärungen unserer Genossen in den Betriebsräten? Wo drückte die DKP ihre Entschlossenheit aus, gegen den Opportunismus in der Führung des DGB und der Branchengewerkschaften zu kämpfen?

Wir kommen nur voran, wenn die vom kapitalistischen System Betroffenen zunehmend erkennen, dass die Kommunisten mit ihren Frage- und Aufgabenstellungen letztlich Recht behalten und wenn sie dabei als konsequente Interessenvertreter dieser Betroffenen erkannt und akzeptiert werden. Die grundlegende Linie für die zu leistende Arbeit schaffen wir uns mit unserer Programmatik.

Deshalb haben wir zur weiteren Arbeit an einem Programmentwurf der Partei keine Alternative und es darf nicht zugelassen werden, dass der Beginn einer gründlichen Diskussion in der Partei weiter verzögert wird. Wenn das geschieht, muss man diese Diskussion auf anderen Wegen erzwingen.

Es sollten aber auch keine Illusionen darüber bestehen, dass die Kräfte, die nach Robert Steigerwald zu den „Traditionalisten" zu zählen sind, von Jürgen Köster als „ML-Rechthabersekte" bezeichnet und von „Bewegungsaktivisten" als „Quälgeister" mit „Traditions-KP-Identitäts-Brille" eingestuft werden, den Kampf aufnehmen. Wie das geschieht, hängt auch von den Beschlüssen ab, die der Parteivorstand heute fassen wird.

Hans-Günter Szalkiewicz, Berlin


Sage mir, wer Deine Freunde sind und ich sage Dir, wer Du bist….

Heinz Stehr, Vorsitzender der DKP:

Umstritten ist in einem Teil der Linken, so auch unter Mitgliedern der DKP, ob es legitim ist, dass die KP Irak an dem vorläufigen Regierungsrat beteiligt ist oder nicht. Umstritten ist, wie die im Irak wirkenden Kräfte tatsächlich einzuschätzen sind. (…) Überall, wo es Fragen und Probleme gibt, sollten die DKP-Gliederungen sich bemühen, Referentinnen und Referenten der KP des Irak einzuladen, um über entstandene Fragen zu diskutieren. (…) Unsere internationalistische Solidarität gehört der KP des Irak. Ob und wie lange es richtig ist, in dem von den USA geschaffenen Regierungsrat mitzuwirken, diese Entscheidung ist aus meiner Sicht in der Verantwortung der gewählten Leitung dieser Partei. Als DKP lehnen wir die Kampagne zur Sammlung von Geld für bewaffnete Aktionen im Irak ab."

Irakische Kommunistische Partei (Kader):

Die USA haben unser Land erobert und den Jahrestag des Falls von Bagdad zu Feiertag erklärt. Zur gleichen Zeit haben sie die Feiern zum Jahrestag der glorreichen Juli-Revolution abgeschafft. Paul Bremers ‚Rat’ (gemeint ist der von der USA eingesetzte und kontrollierte „Provisorische Verwaltungsrat", d.Red.) hat das abgesegnet, ein ‚Rat’, dem auch, nach einem unerhörten Bruch mit der Vergangenheit, das Sekretariat der Kommunistischen Partei des Irak angehört. (…)

Nun ist der verräterische Kurs des Sekretariats der Kommunistischen Partei des Irak und seiner Anhänger und Mitläufer nicht über Nacht entstanden. Am 2. April 2003 meldete das Parteiorgan ‚Tariq ash-Sha’b’, dass eine Gruppe von Kämpfern der Kommunistischen Partei des Irak gemeinsam mit den Amerikanern gegen die irakische Armee kämpft. Diese Kämpfer feierten den Jahrestag der Gründung der Kommunistischen Partei des Irak dort an der Front unter den Amerikanern. (…)

Die Annäherung der Partei an die US-Amerikaner geschah sowohl heimlich als auch offen und wurde gekrönt von offiziellen Besuchen, allerdings außerhalb des Rahmens der von den USA unterstützen Opposition, die sich bei der Londoner Konferenz traf. Im Verlaufe dieser Treffen und im Umfeld der Irakischen ‚Rats’-Versammlung setzte die Partei genau die Politik um, die die CIA für sie geplant und ausgearbeitet hat während der letzten 13 Jahre. (…)

Dieser Kniefall wurde enthüllt durch ein Dokument des Pentagon und ein anderes Papier von Qasim Sirhan, beide wurden im Internet publiziert. Sie zeigen, dass die Hauptfiguren der Renegatengruppe um Hamid Majid (gemeint ist die Führung der KP des Irak, dessen Generalsekretär eben jener Hamid Majid ist, d. Red.) nichts anderes sind als bezahlte Agenten im Dienst der CIA. (…)

Wir irakische Kommunisten haben nie und nimmer an der Seite der Eroberer gestanden und auch nicht an der Seite irgendeiner Gruppe, die sie unterstützte. Die Besatzung ist unser erster Feind und wir arbeiten mit all unserer Kraft darauf hin, sie los zu werden. Wir sind Teil des nationalen Widerstandes mit all seinen unterschiedlichen ideologischen Facetten. Wir stehen an der Seite unseres ehrenhaften irakischen Volkes, wenn es heldenhaft gegen die Besatzung aufsteht. Der ‚Regierungsrat’ oder ähnliche verräterische und falsche Körperschaften der Besatzungsmacht sind in unseren Augen nichts anderes als undemokratische, nicht anzuerkennende Gremien, die mit Paul Bremer (US-Prokonsul im Irak, d. Red.) kooperieren. (…)"


Zu Fragen des revolutionären Bewusstseins

Samy Yildirim: Was lernen wir aus dem Erfolg Gorbatschows?

In diesem Monat November 2002 zählte ich bislang zwei Leserbriefe in "junge Welt" über den in jeder Hinsicht letzten Generalsekretär der KPdSU, die bekannte Personalunion von Judas Ischariot und Uncle Tom der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung. Immerhin ist diesem Herrn die Vollendung jenes Werkes gelungen, an dem seinerzeit Chrustschow gescheitert war, und für welches Winston Churchill, Sidney Reilly und Leo Trotzki (nebst anderen) die Grundlagen gelegt hatten: die Rücknahme des Roten Oktober.

Es ist allerdings so, dass Gorbatschow ein Verräter ist und dass er mit diesem Ziel seinerzeit in die KPdSU eingetreten war - genauso wie etwa Jelzin, mit dem Gorbatschow die antikommunistische Weltsicht und die kulakische Herkunft (welche in beiden Fällen 1991 enthüllt wurde) teilt.

"Es ist leicht zu sagen, dass Bürger X oder Genosse Y das Volk verraten habe. Dies ließe sich nachprüfen, und womöglich auch bestätigen. Dann weiß man, dass es so war. Aber man weiß dann noch nicht, warum das Volk sich hat verraten lassen - und diese Frage ist sehr viel schwieriger zu beantworten, aber auch sehr viel lohnender zu untersuchen, denn von ihrer Beantwortung lernt man viel über die Vergangenheit und erhält Hinweise, wie man es in Zukunft besser machen kann." Diese klugen Worte stammen von Friedrich Engels, der das Scheitern der 1848er Revolutionen in Europa analysierte. Wenn wir wissen wollen, "warum das Volk sich hat verraten lassen" von Leuten wie Gorbatschow, dann werden wir dazu gebracht, Aspekte zu bedenken, die Linke üblicherweise nicht bedenken. Ich werde im Folgenden über die "Moralische oder Ethische Frage" genauso zu sprechen kommen wie über die "Psychologische oder Mentale Frage".

Da ich die Diskutiergepflogenheiten der Linken kenne, weise ich von mir aus darauf hin, dass erst die Synopsis aller Aspekte zu einem korrekten Abbild der Wirklichkeit verhilft, "quod veritas veritatis non est adversa" (= "weil die Wahrheit der Wahrheit nicht entgegensteht"), mitnichten also die eine Erkenntnis gegen die andere ausgespielt werden darf (Beispiel aus dem Alltag: nur wenn man die Beiträge beider Augen berücksichtigt, kommt man zu einem 3-dimensionalen Abbild der 3-dimensionalen Umwelt), was zu begehen aber eines der liebsten "Spiele" unter Linken ist.

Meine Überlegung geht davon aus, dass Menschen sich Zwecke setzen können, für deren Realisierung sie dann etwas tun (oder auch nicht). Man versteht darunter die Fähigkeit des Menschen, planvoll zu handeln. Nun werden Zwecke realisiert nicht einfach so, sondern unter Zuhilfenahme gewisser Mittel, mittels derer die Zwecke Realität werden können. Was für ein Materialist, der dies nicht berücksichtigte.

Diese Mittel nun kommen nicht von irgendwoher, sondern von da, wo wir leben - von der Außenseite der Erdkugel. Da die Erde rund ist, was

Thales von Milet schon vor ca. 2600 Jahren wusste, ist sie endlich; damit aber stellt die Erde uns endlich viele Mittel zur Verfügung, mittels derer sich natürlich keine unendlichen Zwecke realisieren lassen. Daraus folgert sofort die Richtigkeit des Diktums von Mahatmah Gandhi: "Die Erde hat genug für jedermannns Bedürfnis, aber nicht genug für jedermanns Habgier."

Moralisches Handeln impliziert dann, dass man gegebenenfalls bereit sein muss, auf die Realisierung eigener Zwecke zu verzichten, weil sonst Mittel gebunden würden, so dass es anderen unmöglich gemacht würde, ihre Zwecke zu realisieren. Brutal ausgedrückt: was ist den Menschen im Global West lieber - Völkerfreundschaft oder billige Orangen auf dem Wochenmarkt? Solidarität mit den Ogonis in Nigeria (von dort kriegt Shell sein Rohöl besonders billig) oder billiges Benzin an der Shell-Tankstelle?

"Das Kriterium der Wahrheit ist die Praxis, und bei schönem Wetter kann jeder Realist sein". Das erste ist eine Erkenntnis aus dem 13. Jahrhundert, dargetan von Thomas von Aquin in seiner "Summa Theologica"; das zweite ist eine Erkenntnis aus dem 20. Jahrhundert, als Bonmot in Umlauf gebracht von Erik J. Hobsbawm.

Was der Proletarische Internationalismus wirklich taugt, das zeigt sich, wenn man Fragen stellt; etwa: was soll es denn sein, und was darf es denn kosten? (1) bis es soweit ist: Gestehungskosten: (2) wenn es denn dann soweit ist: Unterhalt(ung)skosten. Man stelle solche Fragen in einer Diskussionsrunde von Linken, und man weiß, woran man ist.

Ein Zweck, den man sich setzen kann: Aufrechterhaltung des Sozialstaates im Global West. Ein anderer Zweck: nachholende Industrialisierung im Rest der Welt.

Frage: gehen diese beiden Zwecke zusammen? Wenn sie im derzeitigen politökonomischen Weltsystem zusammengehen: warum dieses bekämpfen? Wenn sie zusammengehen, aber nicht im derzeitigen politökonomischen Weltsystem, dann müssen sich die Linken und die Werktätigen im Global West entscheiden:

(1) entweder sie gönnen "denen da unten" ein besseres Leben; dann müssen sie mit "denen da unten" zusammengehen - als Losung könnte dann dienen: "Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker: Vereinigt Euch!" - gegen die hiesigen und dortigen Ausbeuter; das wird kein Spaziergang werden. Außerdem könnte sich dann herausstellen, dass das Ergebnis ein Lebensstandard nach DDR-Maßstäben für alle ist; also nicht mehr "viele viele bunte Smarties". Wer will dafür kämpfen? Wer ernsthaft an Veränderung interessiert ist, kommt nicht umhin, diese Fragen zu stellen; erst sich, dann anderen; und dann auf Beantwortung zu bestehen.

(2) oder sie scheuen diese Scherereien; dann müssen sie sich von "denen da unten" abwenden. Dies impliziert weiter, wegzusehen, wenn wieder einmal ein aufmüpfiges Drittweltland "in die Steinzeit zurückgebombt" wird. Frage: was für Konsequenzen hat solches "Wegschauen" für alle Beteiligten, nicht zuletzt für das eigene Bewusstsein, kurz-, mittel und langfristig?

In der Theorie der Chemischen Reaktion gibt es unter anderem das von einem Le Chatelier (1867) aufgestellte "Prinzip des Kleinsten Zwanges", welches besagt, dass ein physikalisch-chemisches System vor dem Zwang davonläuft, etwa auf Druckerhöhung mit Volumenverkleinerung und auf Temperaturerhöhung mit Schmelzen / Verdampfen reagiert, etc., und dass es auch gar nicht anders reagieren kann. Ein Finanzminister, dem das Budgetdefizit davonzulaufen droht, stellt sich die Frage, wer ihm eher Ärger machen kann: eine desorientierte, desorganisierte und demoralisierte Arbeiterschaft oder die "creme de la societe", die bestens orientiert, bestens organisiert und mit bester Kampfmoral ausgestattet ist. Wie die Frage zu beantworten ist, sieht man derzeit besonders deutlich in Groß-Berlin, der bankrotten Groß-Hauptstadt der Groß-Republik Groß-Deutschland, dessen Groß-Machtpositon der Groß-Kanzler sich selbst als Groß-Verdienst zurechnet.

Unbelebte physikalisch-chemische Systeme können nicht anders.

Wie ist das bei Menschen? Müssen wir so handeln, wie wir handeln, oder können wir auch anders handeln? Und wenn jemand wiederholt wegsieht: wie wirkt sich das letztlich auf seine Psyche aus? Kann man sich dumm stellen, ohne a la longue so dumm zu werden, wie man sich stellt?

Der buchstabengetreu-dogmatischen Marx-Interpretation zufolge bricht der Sozialismus an, wenn "die Springquellen des gesellschaftlichen Reichtums voll und immer voller fließen". Warum sollte das denn n o e t i g sein? Weil die Menschen nur an sich selbst denken können? Das gäbe Raum für die denkbar negativste Marx-Auslegung: dass die Marxisten so arme Tröpfe sind, dass sie nur hoffen können, dass eines schönen Tages, wenn auch schönes Wetter ist, das Wunder geschieht, dass, ohne jedwedes eigenes Zutun, die Produktionskraft der Arbeit so hoch steigt, dass Fragen der individuellen Kompetenz nicht mehr relevant sein werden, und dann auch die eigene Inkompetenz nicht mehr ins Gewicht fallen wird. Und wie soll das funktionieren? Und wie kann man glauben, dass Leute, die insgeheim solches für bare Münze halten, sich von einem Gorbatschow etwa kein "X" für ein "U" vormachen lassen? Mundus decipitur quod mundus vult decipi. (= Die Welt wird betrogen, weil die Welt betrogen sein will.) Das wussten kluge Köpfe schon vor über 2000 Jahren.

Was von den Situation bei den Linken zu halten ist, ergibt sich, wenn man ihnen zuhört. So wird etwa über Stalin berichtet, er hätte eigenmächtig die Politik der 5-Jahr-Pläne angeordnet (obwohl seit 1920 darüber diskutiert wurde), und das, obwohl "die Bedingungen dafür noch nicht gegeben" gewesen seien. Anschließend werden daraus weitreichende Schlüsse gezogen - anstatt zunächst einmal einige Fragen zu beantworten. Etwa diese:

1) Welche Bedingungen waren das denn? Wir müssen schließlich wissen, wovon wir sprechen, wollen wir über triviale Resultate hinauskommen.

2) Welche Bedeutung haben diese Bedingungen für das Gelingen des Sozialismus: notwendig, hinreichend, wünschenswert, belanglos? Es geht hier darum, die Anatomie der Argumentation herauszubekommen. Andernfalls ist ein Erkenntnisfortschritt nicht zu realisieren.

3) Woran kann man erkennen, ob oder ob nicht - in gradualistischer Terminologie: in welchem Maße - eine jede Bedingung an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit erfüllt ist oder nicht. Nur wenn wir ein solches objektives Maß haben, lassen sich objektivierbare Urteile fällen und also "intersubjektive Konkordanz" (= Übereinstimung zwischen den Diskutanten in Bezug auf die Beurteilung der vorliegenden Situation) auf die einzige Art und Weise erzielen, welche Vertretern der Spezies homo sapiens sapiens geziemt. Ohne solches Maß wäre es eine Sache nicht des Wissens, sondern des Glaubens, Ahnens, Meinens, Wunsch-"denkens", des Dafür- und Dagegenhaltens, also der reinen Willkür, wie wir Stellung beziehen.

4) Was ist zu tun, um diese Bedingungen zu realisieren? So weit war Lenin schon 1902 gekommen mit seiner Broschüre selben Titels.

5) Wie ist dies zu tun? Wer diese Frage zu beantworten weiß, der hat "Kenntnis des Ablaufes", was auf Altgriechisch "techne" heißt.

Es ist bemerkenswert, dass unter Linken so oft über die Produktionsmittel gesprochen wird, aber kaum einer fragt, wie diese denn in die Welt kommen und immer besser werden.

6) Wer soll es tun, wenn nicht wir? Etwa der Weihnachtsmann und die Hainzelmännchen? Oder gar die "invisible Hand" des Adam Smith? Wer fest entschlossen ist, selber niemals einen einzigen eigenen konstruktiven Beitrag zu leisten, der wird diese Frage "stalinistisch" finden. Man versteht, warum etwa die Grünen zu solchen Verfechtern einer "Marktwirtschaft ohne Attribute" wurden. Man versteht auch, warum etwa Trotzki und Bucharin zum Feinde überliefen: beide trauen es den Werktateigen nicht zu, unter Führung der Kommunistischen Partei die anstehenden Aufgaben selbst zu lösen. Beide versprachen, andere dazu zu bringen, unsere Ziele für uns zu erreichen. Wie soll das funktionieren?

Hier eine kleine Typologie von Menschen:

--> die Versager verfluchen die Dunkelheit: "Buh-huh! Warum ist es dunkel auf der Welt! Das sage ich meiner Mama!"

--> die Tüchtigen erfinden die Glühbirne, machen das Licht an, ist es auf der Welt nicht mehr ganz so dunkel.

--> die Pseudo-Intellektuellen machen die Glühbirne herunter: "Die Glühbirne erleuchtet ja nicht die ganze Welt, sondern nur einen Teil derselben. Also verfolgen die Erfinder der Glühbirne damit eine Politik des Lichtanmachens in nur einem Zimmer, und üben damit Verrat am Gedanken des Lichtanmachens auf der ganzen Welt."

--> die wirklichen Intellektuellen sagen uns etwas über die wirkliche Glühbirne, ihre wirklichen Vorteile und Stärken, ihre wirklichen Nachteile und Schwächen. Sie haben im Sinn, die wirkliche Glühbirne besser zu machen, auf dass es auf der ganzen Welt hell werde. Die Erfinder der Glühbirne brauchen keine Beckmesser und Kritikaster, sondern Kritiker und Nachfolger.

Berücksichtigt man die Verhältnisse in Gruppen, die auf dem linken Ticket reisen, so wird im Lichte des soeben Mitgeteilten klar, warum man dort so viele Menschen infantilen, juvenilen, senilen und debilen Charakters findet, aber so selten Menschen adulten Charakters. Es wird eine regelrechte Negativauslese in Gang gesetzt, bei der der gewinnt, der die wenigsten Hemmungen hat, andere herunterzumachen und dumm-dreist herumzureden. Mir fällt dazu ein brasilianisches Sprichwort ein: "In einem Fluss voller Piranhas schwimmt das Krokodil auf dem Rücken."

7) Was könnte dem entgegenstehen? Was könnte Menschen davon abhalten, diese Bedingungen zu schaffen? Immer zu nennen ist hier das Trio infernale: Dummheit, Feigheit, Trägheit. Man spreche dies aus und beobachte die Reaktionen der Anwesenden: getroffener Hund bellt. Wer sich diese Frage stellt, der wird den Ausführungen weiter unten zustimmen können.

Dass eine Bewegung von Ausgebeuteten, die ausschließlich Ökonomisches im Sinn hat, von Vorneherein dazu verurteilt ist, von den Herrschenden umgedreht zu werden, wusste bereits Pawel Iwanowitsch Pestel (1792-1826), "Montagnard in Obristenuniform", der brillanteste Kopf der dekabristischen Südgesellschaft. Die dekabristische Nordgesellschaft wurde dagegen beherrscht von Leuten wie den Brüdern Muravev und ihrem Schwager Muravev-Apostol, die lediglich auf eine erfolgreichere Neuauflage der Palastrevolution von 1730 hinarbeiteten - und konsequenterweise auch die Aktion vom Dezember 1825 in den Sand setzten und sofort bei der Polizei anfingen, Namen zu nennen.

Wie recht Pestel hatte, sei an einigen Beispielen erläutert.

1) New York, Anfang 1808: Auf der Verfassungsgebenden Versammlung (Mai bis September 1787) wurde ein Kompromiss beschlossen: jeder Staat darf selbst entscheiden, ob er die Sklaverei aufheben will oder nicht, aber Sklaven dürfen nur noch bis Ende 1807 importiert werden; danach müssen die Sklavenhalter mit den bereits in den USA befindlichen Sklaven auskommen. Das Ende der Sklavenimporte bedeutete einen erheblichen Umschlagrückgang in den großen Häfen der USA insbesondere in New York, und viele Hafenarbeiter wurden arbeitslos. Sie forderten daraufhin ... die Wiederaufnahme der Sklavenimporte.

Diese Demonstration war die erste Manifestation der US-amerikanischen Arbeiterklasse. Auch hierauf bezogen gilt die polemische Bemerkung von Paul Lafargue (1840-1911), Marxens franko-kubanischem Schwiegersohn, dass hinter dem (unreflektiert eingeforderten) "Recht auf Arbeit" das Recht auf Elend und Sklaverei stehe. Was schert es uns, was wir arbeiten, und wofür dies Arbeitsprodukte verwandt werden und vom wem; Hauptsache, wie haben Arbeit, Arbeit, Arbeit?

2) New York, Mai/Juni 1863: Zu dieser Zeit marschierten verschiedene Armeen der Konföderierten, also derjenigen 11 (von insgesamt 16, denn 5 waren nicht ausgetreten) Sklavenhalter-Staaten, die im Winter 1860/61 aus Protest gegen Lincolns Sieg aus der Union ausgetreten waren, schier unaufhaltsam nach Norden. (Erst die Nordstaaten-Siege bei Gettysburg und Vicksburg Anfang Juli 1863 sollten die Wende im Civil War (1861-1865) markieren.) Die USA waren damals von der Auflösung bedroht; in New York City wurde offen diskutiert, aus dem Staate New York und aus der Union auszutreten und sich zur Freien Staat zu erklären. Diese Idee fand die Unterstützung der großen Mehrheit der weißen Arbeiter in New York, da diese befürchteten: einen Sieg der Nordstaaten, die Beendigung der Sklaverei und eine Welle von Schwarzen, die versuchen, im Norden ein besseres Leben zu führen und dadurch den weißen Arbeitern die Arbeit wegnehmen würden, da die Schwarzen "uns die Löhne kaputtmachen, weil sie weniger verlangen", wie die demonstrierenden weißen Arbeiter gegenüber europäischen (zumeist englischen und französischen) Journalisten mitteilten. Die weißen Arbeiter trauten also den Schwarzen zu, dieselbe Arbeit wie sie genauso gut erledigen zu können.

Anstatt für "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" zu kämpfen, fanden die weißen Arbeiter es in Ordnung, dass sie besser bezahlt wurden als die schwarzen Kollegen. Erinnert das nicht an die heutige Diskussion über Globalisierung und ihre Konsequenzen für "unseren" Wohlstand? Das sollte es; umsomehr, als Anfang September 1873 im britischen Unterhaus der Abgeordnete Stapleton erklärte: "If China, one day or another, ought to decide to become a great manufacturing country, I do not see how the european workers could save their industries from moving to China because of the great discrepancy in wages between Europe and China." Diese Bemerkung fand Eingang in die "Times" vom 09.09.1873, Seite 8, und in die 1. englische Ausgabe (von 1886) des Ersten Bandes des Kapital, dortselbst auf Seite 297 (= Band Nr. 50 "Marx" der 1990er Ausgabe der Britannica-Kollektion "Great Books of the Western World"). Was hat es zu besagen, dass so wenige Linke diese Stelle kennen?

3) Denver/Colorado, ab Oktober 1880: England versuchte, nachdem es im 17. und 18. Jahrhundert Indien in seine Gewalt bekommen hatte, dasselbe mit China zu machen. Schlüssel war das Opium: Indien sollte es produzieren und China sollte es konsumieren. Beide Länder wurden von England dazu gezwungen. In Indien gab es Ernteausfälle (weil Opium statt Reis angebaut wurde) und Millionen verhungerten (also noch mehr als in Irland, wo England in der "Graet Famine" (= "Großer Hunger") von 1845 bis 1850 ein Drittel der Einwohner verhungern ließ); die britischen Krisenreaktionskräfte sorgten wieder für freien (Opium-)Handel. Als China 1839 den über 100-jaehrigen Krieg gegen das Opium gewonnen zu haben glaubte (als einige hundert Tonnen Rohopium im Hafen von Kanton verbrannt wurden), erklärte England China den (Ersten Opium-)Krieg, dem weitere folgten. Andere europäische Mächte folgten diesem Beispiel.

Dies löste eine Auswanderungswelle von Chinesen aus, vorzugsweise in die USA. Die Weißen fühlten sich bedroht, schlossen sich zu bewaffneten Banden zusammen und führten Pogrome unter den eingewanderten Chinesen durch, beginnend in Denver/Colorado im Oktober 1880. Als Ergebnis wurden im April 1882 mehrere Gesetze verabschiedet, die die Einwanderung von Chinesen in die USA erschwerten. Wer dächte jetzt nicht an die Ereignisse in Deutschland vor 10 Jahren, die zur Verschärfung der Asylbewerbungsgesetzt führten - anstatt zur Erschwerung der Tätigkeit gewisser Parteien und Zeitungen?

4) Deutschland, 1886: Einige Unternehmer hatten sich finanziell verhoben bei dem Versuch, auf eigene Faust den etablierten Kolonialmächten Konkurrenz zu machen bei der Ausbeutung der diversen "Plätze an der Sonne" und baten Reichkanzler Bismarck um Staatsknete. Dieser hielt im Reichstag eine Rede, in welcher er erklärte, dass es doch schade sei, wenn die "braven deutschen Kaufleute" bankrott gingen; außerdem würden dann viele Arbeitsplätze (!) vernichtet und viele "brave deutsche Arbeitsleute" arbeitslos. Die Sozialdemokraten bissen an und stimmten seinem Antrag auf Subventionen für diese Kaufleute zu - die Generalprobe für die Kriegskredite von 1914. Damit hatte zum ersten Mal ein Vertreter der herrschenden Klasse es vermocht, die Forderung "Recht auf Arbeit" gegen die Arbeiterbewegung einzusetzen. Dieses Beispiel machte Schule - bis hin zur fast völligen Zerstörung des Klassenbewusstseins der Werktätigen heute.

Die Herrschenden hatten immer mehrere Eisen im Feuer.

Eines davon war die Unterwanderung der Arbeiterparteien und -vereine mit Agenten der Polizei und/oder privater Ermittlungsdienste. Der Schotte Allan Pinkerton wanderte 1842 in die USA aus und gründete 1850 in Chicago/Illinois die "Pinkerton National Detective Agency", welche bis heute besteht. Ihr Wappen zeigt den Spruch "We Do Never Sleep!" und ein geoeffnetes - waches - Auges (das Auge Gottes?); von daher rührt die Bezeichnung "Private Eye" für einen privaten Ermittlungsdienst.

Ein besonders gutes Beispiel für die Wirksamkeit dieser Methode - in "Zusammenarbeit" mit falschem Bewusstsein seitens der Ausgebeuteten -stellt die Zerschlagung der "Molly Maguires" dar, welche versuchten, die katholischen irischen Bergarbeiter in Pennsylvania zu organisieren. Es dauerte einige Zeit, bis die "Molly Maguires" begriffen, dass sie die doppelte Borniertheit - konfessionell: nur Katholiken; national: nur Iren - überwinden mussten. Zu diesem Zeitpunkt aber waren die Herrschenden schon auf die Gruppe aufmerksam geworden und hatten Pinkerton um Hilfe gebeten, dessen eingeschleuste Spitzel die Anführer identifizierten und "zum Schweigen brachten". Nach diesem Vorbild arbeiten etwa die Todesschwadrone in Lateinamerika auch heute noch. Pinkerton selbst publizierte 1877 in New York sein Buch "Strikers, Communists, Tramps and Detectives", in dem er über seine Ideen, Ansätze und Methoden Auskunft gab. Ich kann die Lektüre dieses Buches nur wärmstens empfehlen: eine bessere Gegnerschulung gibt es nicht.

Wir können daraus (und etwa aus dem Beispiel der "Maschinenstürmer" im England um 1800) als Theorem formulieren: "Das proletarische Klassenbewusstsein in stato nascendi ist notwendigerweise luddistisch-maschinoklastisch und rassistisch-xenophobisch." Als Korollar ergibt sich dann: "Linke haben Aufklarungsarbeit zu leisten, um das proletarische Klassenbewusstsein auf das zum Sturz der Ausbeuterklasse notwendige Niveau zu heben. Wer sich dieser Arbeit verweigert, ist ein Pseudo-Linker. Wer falsches Bewusstsein verbreitet, ist ein objektiver Agent der anderen Seite."

Ein anderes Eisen im Feuer war die Verhinderung eines geistigen Reifeprozesses der Ausgebeuteten (bzw. die Zerstörung eines bereits auf einem höheren Niveau angekommenen Klassenbewusstseins). Dazu empfehle ich zwei Artikel und zwei Bücher.

Im "American Philosophical Journal" erschienen Anfang 1878 zwei Artilel von Chancey Wright: "The fixation of belief" (= "Die Fixierung des Glaubens", Januar-Ausgabe) und "How to make our ideas clear" (= "Wie wir unsere Ideen klarmachen koennen", Februar-Ausgabe). Wessen Glauben fixiert werden sollte, ist klar: die unter den Werktätigen zirkulierenden falschen Auffassungen sollten dort bis in alle Ewigkeit zirkulieren. Wenn das gelingt, dann können die Werktätigen niemals agieren, sondern immer nur reagieren, und schon gar nicht revolutionieren. Ich denke, er hat seine Ideen klargemacht.

1895 erschien "La psychologie des masses" von Gustave Le Bon, Professor für Psychologie an der Sorbone, dem Alt- und Großmeister der Massenverdummung. Die ganze Psychologische Kriegführung als wissenschaftliche Waffe der Herrschenden geht letztlich auf dieses Buch zurück. Seine Idee kommt aus dem Kampfsport: "Gib nach, um zu siegen." Durch flexibles Nachgeben - oder Nichtnachgeben - sollen die Energien der Gegenseite behutsam kanalisiert und schließlich gegen sie selbst gerichtet werden.

1937 erschien "How to win friends and to influence people" (der Titel spricht Bände) von Dale Carnegie, dem Begründer des sog. "Positiven Denkens", von dem alle modernen Management- und Verkaufs-Gurus (Norman Vicent Peale, Frank Bettger, Robin Anderson, Emile "Tschakka!" Ratelband, ...) abgeschrieben haben. Seine Idee: kein Mensch will kritisiert werden; wer Menschen kritisiert, der macht sie sich zu Feinden; wer sie dagegen in ihren Irrtümern durch berechnetes Lob bestätigt (--> Fixation of Believe!), der macht sie zu Freunden und kann sie nach Belieben benutzen. Die Gegenwaffe: wir müssen uns eingestehen, dass wir Fehler machen können und diese auch ändern und bekennen. Aber wer ist dazu ernsthaft und ohne Hintergedanken bereit?

Mir fällt dazu ein Gebot der jüdischen Religion ein: "Zurechtweisen sollst Du Deinen Nächsten." (Leviticus 19,17) Begründung: kein Mensch ist allwissend und kann daher nur dann Fortschritte machen, wenn er zurechtgewiesen wird. In heutiger lernpsychologischer Terminologie: "Der Mensch lernt ausschließlich durch Rückmeldung." Damit die Zurechtweisung / Rückmeldung / Kritik (man suche sich das Wort aus, welches am meisten behagt) zu einem konstruktiven Ergebnis, dem Fortschritt, führt, muss sie selber konstruktiv sein: bezüglich Inhalt (die Kritik ist in der Sache berechtigt), Tendenz (es muss zumindest angedeutet werden, was und wie richtigerweise zu tun ist) und Form (die Würde des Zurechtgewiesenen achtend). Der Zurechtgewiesene muss dazu allerdings auch bereit sein. Die Tora ist also für Fortschritt und daher für konstruktive Kritik. Was hat es also zu bedeuten, wenn die sog. "Antideutschen" die von Juergen Elsaesser vor einiger Zeit in "konkret" erhobene Forderung nach konstruktiver Kritik als "antisemitisch" bezeichnen? Wer ist der Feind?

Des Weiteren fallen mir hier die Schriften von C. Northcote Parkinson ein, der jahrzehntelang Dozent an verschiedenen Army und Navy Universities des British Empire war, insbesondere sein Karriere-Ratgeber "Inlaws and Outlaws" von 1962 (deutscher Titel: "Favoriten und Außenseiter"). Ein Kapitel trägt die Überschrift: "Eigene Ideen unerwünscht"; darin zeigt er, wie man es anstellen muss, damit der jeweils wichtige "Entscheidungsträger" glauben gemacht wird, die Idee, die der Karrierist ihm vorgetragen hat, sei seine eigene, so dass er dann diese Idee propagiert und den Karrieristen protegiert. Zu fragen ist: wie gut passt diese Beschreibung auf Verhaltensweisen in auf dem linken Ticket reisenden Gruppen, und wer kann sich solche Ignoranz und Impertinenz eher leisten (wenn überhaupt)? Hat es Gorbatschow nicht meisterhaft verstanden, die Linken glauben zu machen, er verträte ihre Sache?

Aber auch das 1971 erschienene Buch "Epoche der Angst - Die Stagflation der Siebziger Jahre" von Walter Wannenmacher gehört hierhin. Wannenmacher beginnt mit einer meisterhaften "Vivisekton der Manager" (aus seinen Ausführungen geht hervor, warum nur Personen mit ernsthaften psychischen Defekten in "dieser unseren" Gesellschaft an die Spitze gelangen können: der richtige Mann am richtigen Ort) und endet - durchaus konsequent - mit einem Loblied auf die ordnungspolitischen Vorstellungen eines Ota Sik, welcher damals noch von vielen Linken allen Ernstes als Reformkommunist angesehen wurde. "Wen die Götter verderben wollen, den schlagen sie mit Blindheit." So kommentiert Homer in seiner "Illion - Die Geschichte des Trojanischen Krieges" die Fehlentscheidung der Trojaner, das große hölzerne Pferd in die Stadt hineinzuholen. Besonders lesenswert ist Wannenmachers Erklärung, warum Moral und Marktwirtschaft einander ausschließen.

Im Juli diesen Jahres konnte man in "junge Welt" einen Beitrag von Heiner Karuscheit und ein paar Wochen später eine Replik von Kurt Gossweiler lesen. In gewisser Weise stellen diese beiden Beiträge den Kern der Problematik dar. Gossweiler sagte zu recht, was zu tun sei, nämlich die Entwicklung der Produktivkräfte zu Förden, was bedeutet, das Bildungs- und Forschungswesen aufzubauen und die Abteilung I (Produktion von Produktionsmitteln) schneller expandieren zu machen als die Abteilung II (Produktion von Konsumtionsmitteln).

In der bürgerlichen BWL/VWL nennt man dies das "Robinson-Prinzip: "Erst Verzicht, dann Genuss." Oder: "Die für das weitere Wachstum der Wirtschaft notwendigen investiven Mittel können system-selbstkonsistent nur auf eine Wese erbracht werden, nämlich durch Konsumverzicht. Dieser muss nicht absolut sein, also als "Gürter-enger-schnallen", sondern kann auch relativ sein, also als "aufgeschobene Gratifikation" daherkommen." So klar sprach ein Professor für Experimentalphysik namens H. J. Danielmeyer, der seit 1990 die Industriephysiker in der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) vertritt und dort 1994-1996 turnusgemäß Präsident war. Diese Worte sprach er in seiner Abschiedsrede im März 1996 in Jena; die Rede ist abgedruckt im Mitteilungsorgan der DPG, den "Physikalische Blätter", Ausgabe Juli/August 1996, Seiten 683-685. Er stellt dort ein neues VWL-Modell vor, dass auf der Grundannahme basiert, dass die absoluten Grenzen des Wachstums der Wirtschaft im Endlichen liegen. Erstellt wurde es bei "seiner" Firma, der Siemens AG in München, als Auftragsarbeit der Regierung Kohl. Was hat es zu bedeuten, dass die Linken diese Fakten bis heute nicht zur Kenntnis genommen hat?

Karuscheit hingegen verwies auf die "spontanen Wünsche der Werktätigen" und hat insofern recht, als die Werktätigen sich mit dieser Erkenntnis schwer tun, die dem kommunistischen Professor Gossweiler genauso geläufig ist wie dem anti-kommunistischen Professor Danielmeyer. Das Versagen der osteuropäischen KP'en nach Stalins Tod liegt auch darin, den Werktateigen dies nicht beigebracht zu haben. Ergebnis: es wurden unrealistische Erwartungshaltungen betreffend baldigen Anwachsens des Ausstoßes der Abteilung II geweckt, und als die Nichterfüllung dieser Erwartungen absehbar wurde, wandten sich die Werktätigen vom Realsozialismus ab, woraufhin dieser zu Polizeimethoden griff, um sich gegen die Wünsche der Bevölkerungsmehrheit an der Macht zu halten.

Wannenmacher braucht auf der zweitletzten Seite seines Buches nur einen Absatz, um dies darzutun. Er beendet diese Ausführungen mit der Prophezeiung, dass in naher Zukunft neue Kräfte im Realsozialismus ans Ruder kommen würden, die dieses Spiel beenden und "zur Normalität zurückkehren" würden - also zum Kapitalismus. Das Buch erschien 1971.

Daraus kann man en passant ablesen, wer so alles als Antikommunist anzusehen ist: in den 1920ern Trotzki, Bucharin, Sinowjew, Kamenjew, Rykow, Tomski, Rjutin etc., in den 1950ern Chrustschow, Mikojan, Breshnew etc., in den 1980ern Gorbatschow, Yeltsin etc.

Apropos: wer erinnert sich noch an die Burda-Modenschau in Moskau im März 1987? Gorbatschow wollte damit den Sowjetbürgern mitteilen, dass das Sowjetsystem noch nicht einmal solche Konsumwünsche selber erfüllen kann - denn wenn es dies könnte, würde es dann einen Kapitalisten zu Hilfe rufen? Bei dieser Gelegenheit profilierte sich Yeltsin das erste Mal: er gab mehreren West-Journalisten ein Interview im Stehen, mitten im Foyer, während Gorbatschow zu einer Pressesitzung (zusammen mit den Eheleuten Burda) geladen hatte. Wer in der privaten Wirtschaft einen solchen Affront gegen den amtierenden Nummer Eins unternimmt, der wirft damit seinen Hut in den Ring und dem Nummer Eins den Fehdehandschuh vor die Füße. Dass Gorbatschow sich dies gefallen ließ, spricht Bände. Das nennt man dann einen Zangenangriff.

Aber schon vorher war Gorbatschow als Antikommunist in Erscheinung getreten. Das erste Gorbatschow-Gesetz war am 1. Juni 1985 getreten und drosselte - angeblich - die Produktion und den Ausschank von Alkohol, war also ein Prohibitionsgesetz nach dem Vorbild des Volstead Act in den USA nach dem Ersten Weltkrieg. Bekanntlich sorgte der Volstead Act seinerzeit dafür, dass kriminelle Elemente die Chance ihres Lebens erhielten, auf die Schnelle an das große Geld heranzukommen. So war es auch in der UdSSR ab 1985. Im Sommer 1987 wurde dann das eigentliche Perestroika-Reformgesetzwerk verabschiedet, welches zum 1. Januar 1988 in Kraft trat und die Abkehr von der Planwirtschaft bedeutete. Die zwei-einhalb Jahre hatten ausgereicht, um in den Händen einiger Banden genügend Geld zu akkumulieren, um damit ab Anfang 1988 auf Shopping Tour zu gehen und schnell kapitalistische Monopole aufzubauen. Wer sich auskennt in der Geschichte der USA, und wer sich keinem Wunschdenken hingab ("so etwas kann im Sozialismus nicht mehr passieren"), der konnte Gorbatschow schon 1985 durchschauen.

Genauso wie man seinerzeit Trotzki hatte durchschauen können. Trotzki zu Folge war er der legitime Nachfolger Lenins, da von diesem im "Testament" dazu gemacht. Interessant: in einer kommunistischen Partei werden Personal- und Sachfragen also nicht coram publicam beantwortet (durch Wahlen, Diskussionen, Vorträge etc.), sondern behind locked doors (dadurch, dass jemand sich im stillen Kämmerlein einschließt und einem, den er gut leiden kann, seinen Posten vererbt).

Wer solches über die Arbeitsweise einer KP sagt, der kann nur ein Antikommunist sein.

Denkmöglich ist, dass Stalin der Bösewicht war, als der er gemeinhin vorgestellt wird. Denkmöglich ist aber auch, dass die Angeklagten der Moskauer Prozesse schuldig waren. Wenn aber zwei Alternativen zur Wahl stehen, und beide gleichermaßen denkmöglich sind, dann kann keine von ihnen a priori verworfen werden. Man muss beide sorgfältig prüfen. Das eben tun die Linken nicht, denn sie "wissen schon" (was auch immer). Da "im Sozialismus" "so etwas" "nicht mehr passieren" kann, sind sie auch nicht darauf gefasst , wenn "es" dann doch passiert. Und also stehen sie heute so deppert herum.

Dr. Sun Yat Sen, Mitbegründer der Guo Min Dang, erster Premierminister Chinas nach der bürgerlichen Revolution von 1911, erklärte im April 1992 über die Erwartungen der farbigen Völker des Trikont an das Land des Roten Oktober, dass Russland 1917 sich von der Sache der anderen weißen Völker abgewandt habe und die farbigen Völker nicht mehr länger als Untermenschen, sondern als Menschen betrachte. Konsequenterweise wird die Stalinzeit als "asiatische Despotie des Bolschewismus" (Ernst Nolte,1986) bezeichnet. In Asien ist der Kaiser ein Asiate, und die, die ihn umgeben, sind Asiaten, und die Sprache, die sie sprechen, ist asiatisch.

Nach 1953 war es damit vorbei. Die Tendenz der Politik nach Stalins Tod wurde 1960 von Charles de Gaulle in einem Interview mit Peter Scholl-Latour so formuliert: "Man spricht so viel vom Neuen Kurs. Über kurz oder lang werden die Russen erkennen, dass auch sie - immer noch - Weiße und Christen sind, und dann wird es zu einem Neuen Denken in Moskau kommen, und die zeitweilige Verirrung des Oktober 1917 wird ein Ende finden."

Was die Neukürsler wollten, steht im ABM-Vertrag mit den USA (1972): "Die beiden hohen vertragsunterzeichnenden Seiten wollen ihre Beziehungen in Zukunft auf der Basis der Gleichrangigkeit regeln." Im selben Jahr 1972 wagten es einige Drittweltländer, auf die historische Schuld der Länder des Global West hinzuweisen, und daraus das Recht auf Reparationen abzuleiten. USA und UdSSR wiesen dieses Ansinnen in einer gemeinsamen Erklärung zurück; Peking erklärte daraufhin, dass es nunmehr amtlich sei, dass es kein sozialistisches Lager mehr gebe. Chrustschow und Breschnew hatten ihre Beiträge zur Rücknahme des Roten Oktober geleistet.

Etwa zu dieser Zeit setzten die in der Schiffsindustrie Beschäftigten durch, dass es zu akzeptablen Standard bei Bau, Betrieb und Abwracken von Schiffen kam. Reaktion der kapitalistischen Industrie: Verlagerung von Reedereien und Abwrackereinen (diese zumeist nach Pakistan und Indien) und Ausflaggung. 1977 feierte die englische Königin Elisabeth II ihr Silver Jubilee. Die BBC gratulierte mit einer 13-teiligen TV-Dokumentation über verschienene Länder des British Empire gestern (= zu Zeiten der britischen Weltherrschaft) und heute (= 1977). Es hieß dann: "The Queen was not amused." Ein Grund: es wurde von der BBC gezeigt, dass auch die britische Kriegsmarine ihre alten Pötte in Indien und Pakistan "entsorgen" lässt, und dass sie sich dabei in Gesellschaft der Königin befindet. Aber auch die UdSSR beteiligte sich daran; den KPen Indien und Pakistans wurde bedeutet, hiervor die Augen zu verschließen. Wer BBC schaute, konnte also schon vor 25 Jahren erkennen, wohin die Nach-Stalin-UdSSR wollte.

So weit zu den Eisen im Feuer der Herrschenden und den Versäumnissen der Linken. Es war aber nicht meine Absicht, meine Leser verdrießlich zu stimmen. Daher noch ein paar Betrachtungen anderer Art.

Wer Gegenmittel sucht, der sei verwiesen auf die Bücher "How to read a book" (UK, 1992) von Mortimer J. Adler und Charles van Doren sowie "Brainbuilding: How to boost up your IQ" (USA, 1993; deutsche Übersetzung 1995) von Marylin Vos Savant und Leonore Fleischer. Bitte nicht schummeln beim Lesen!

Vor allem für "George, der Lockermacher" muss man sich Zeit nehmen. Erklärung: in Flugzeugen gibt es eine Kurssicherungsautomatik, welche "Autopilot" oder "George" genannt wird. Ziel der vorbereitenden Übung des Brainbuilding-Buches ist es, herauszufinden, in welchem Masse der Leser denken lässt statt selbst zu denken. Wer die Mühe scheut, die empfohlenen Übungen durchzuführen, der frage sich: "Das hier tun kann ich nicht. Aber die Revolution machen, zusammen mit anderen, die so sind wie ich: das kann ich. Und wie soll das funktionieren?" Der eine ist ehrlich zu sich selbst, der andere nicht. Wer lässt sich von einem Gorbatschow ein "X" für ein "U" vormachen? Gnothi son authoi!

Wer mehr zum Schmunzeln neigt, sei auf den Roman "Sexta B dreht eine Film" aus der Sexta B - Reihe (Romane für Kinder und Jugendliche) verwiesen, den ich las, als ich 10 Jahre alt war. In diesem Roman geht es um einen professionellen Abzocker, der vorgibt, einen "tourismusrelevanten Dokumentarfilm" über die betreffende Kleinstadt zu drehen, und der den Honoratioren genau das sagt, was sie hören wollen, und so an die gewünschten Barmittel herankommt. Dass er dennoch scheitert, liegt an der - revolutionären? - Wachsamkeit der Schüler der Sexta B, die mit der Papier-Bleistift-Gehirn-Methode (herrlich!) vorgehen und sich erst einmal in Ruhe und genau anschauen, was eigentlich geschehen soll - und w i e es geschehen soll. Vor allem die letzte Frage wird von den Leuten sehr selten gestellt.

Ebenfalls zu empfehlen: der Ende 1979 in England erschienene Roman "Sweet Left Live", der an einer englischen Hochschule am Anfang des Wintersemesters 1972/1973 spielt. Zentrale Figur ist ein verbalradikaler Professor für Soziologie, der die dortige linke Szene dominiert. Einer der Angehörigen dieser linken Szene kommt ihm auf die Schliche: er erleidet einen Unfall und muss ins Krankenhaus. Dort besucht ihn keiner, und er bekommt die Gelegenheit, sich gewisse Dinge aus einer anderen Perspektiven anzuschauen, und dann sieht er es. (Den Linken sehr zu empfehlen! Die meisten Linken winken hier ab: "Das brauchen wir nicht. Wie wissen schon. Wir haben ja Marx." Wenn sie denn wenigstens den gelesen hätten. Aber bekanntlich kann man nur noch das lernen, was man nicht "schon weiß". Da die Linken aber meinen, sie wüssten schon alles, können sie nichts mehr lernen. Genau das tun sie dann auch.) Der Roman wurde 1980 von der BBC verfilmt und lief als "Das süße linke Leben" im Sonntagnachmittagsprogramm der ARD, an vier Sonntagen im August 1982 - einmal und nie wieder. Schlusspointe: es wird im letzten Satz en passant mitgeteilt, dass besagter Professor bei den Unterhauswahlen im Mai 1979 erfolgreich war - als Kandidat der Konservativen.

Man muss der herrschenden Klasse lassen, dass sie die ganzen vierundsiebzig Jahre von 1917 bis 1991 das Ziel niemals aus den Augen verlor. Wie sehr der herrschenden Klasse die Kolonialisierung der Köpfe der Linken und der Werktätigen gelang - Nachhaltige Verdummung -, der schaue sich an, was so alles n i c h t gesagt wird. Es gibt Leute, die meinen ernsthaft, dass sie seriös über den Roten Oktober sprechen können, o h n e auf Sidney Reilly, die sog. "Erste Tschechische Legion", die Schwarzen Hundertschaften, die Weißen Garden, die ausländischen Interventionsarmeen - aus gleich 14 Staaten - und die "Spanische Gruppe" zu sprechen zu kommen. Konsequenterweise werden dann alle Menschen, die damals ums Leben kamen, Lenin zur Last gelegt. Der erste, der dies tat, war Adolf Hitler (1889-1945) in seinem Schwarzbuch des Kommunismus, das "Mein Kampf" hieß und 1925 erschien.

Wer ernsthaft von dialektischem und h i s t o r i s c h e m Materialismus spricht, der wird dem arabischen Sprichwort Recht geben: "Der Regen kommt niemals ohne Wolken." Wer nur davon spricht, ohne ehrenwerte Absichten zu haben, der wird "denken": "Damals in Wimbledon wurde Boris Becker zum Tennisstar über Nacht. Wie hat es das gemacht?" An ihren Worten sollt Ihr sie erkennen. Abschließend eine Erkenntnis des großen serbischen Philosophen Dragoslav Stepanovic, der unter dem Decknamen "Steppi" einige Zeit undercover bei FSV Eintracht Frankfurt als Fußballtrainer wirkte: "Laebbe gaeht waider." Veux donc, malheureux, et tu sera sauve! Samy Yildirim, Zaandam, Niederlande


Werner Roß: Volksmassen und gesellschaftliche Umwälzung

Bereits die römischen Cäsaren haben die Rolle der Volksmassen bei der Eroberung und Festigung ihrer persönlichen Macht erkannt. Die Korrumpierung der Plebejer durch Bestechungspräsente in Form von Brot und Spielen sowie die Übereignung kleiner Parzellen für ausgewählte Legionäre, die sich an der Okkupation fremder Territorien beteiligt haben, legen Zeugnis davon ab. Aber auch die brutale Unterdrückung des eigenen Volkes fand bei widerständlichem Verhalten Anwendung. Die Politik von Zuckerbrot und Peitsche war schon im Altertum eine probate Methode der Herrschenden.

Verglichen mit anderen Ausbeutungsverhältnissen erreicht die Domestizierung der Volksmassen im Kapitalismus eine ungeahnte Perfektion. Ein nicht geringer Teil der Arbeiterklasse wurde durch das Kapital „verhausschweinert" (R. Kurz, Schwarzbuch des Kapitalismus) und denkt – bedingt durch ökonomische Zwänge – vor allem in Erwerbskategorien. Die Konsumseligkeit wird Lebensinhalt. Durch korrumpierende Mechanismen des Kapitals und geistige Betäubung mittels politischer sowie medialer Gehirnwäsche ist die soziale Zähmung breiter Volksmassen weitgehend gelungen. Das Ziel, moderne Systemsklaven zu schaffen, die den Konkurrenzimperativ verinnerlicht haben, wird objektiv durch die Ego-Gesellschaft des Kapitalismus befördert, die die Individualitätsmoral der Lohn- und Gehaltsabhängigen stimuliert.

Es wäre jedoch vereinfacht, das Verhalten großer Teile der Volksmassen allein durch die Dingwelt des Kapitalismus und die totale Oberhoheit des Marktes beurteilen zu wollen. Einen nicht geringen Einfluss hat die Ideenwelt in dieser geldzentrierten Lebensweise. Marx und Engels haben in der „Deutschen Ideologie" betont, dass „die Gedanken der herrschenden Klasse in jeder Epoche die herrschenden Gedanken (sind) – Ausdruck ihrer herrschenden geistigen Macht als ideeller Ausdruck der herrschenden materiellen Verhältnisse."

Durch die Ideen der herrschenden Klasse, wiedergespiegelt u.a. in deren Wertorientierung, philosophischen Lehrmeinungen, in der Politik der Systemparteien und der Meinungsdiktatur der bürgerlichen Medien, soll die Werteorientierung des Kapitalismus durch die Volksmassen widerspruchslos akzeptiert werden. Nicht zu unterschätzen sind hierbei die Primitivmedien und die vorgegaukelte „Spaßgesellschaft", mittels dieser die Menschen ihrer Emanzipation entfremdet werden sollen. Auch sozialromantische Vorstellungen werden zielgerichtet für eine zu erreichende Knechtseligkeit eingesetzt. Bei einem nüchternen Befund kann trotz der sich organisierenden Gegenkräfte festgestellt werden, dass es dem Kapital weitgehend gelungen ist, die Volksmassen in die Zuschauerrolle ihres politischen Theaters zu drängen und sie aus der Entscheidungsgewalt auszugrenzen. Nicht wenige lassen sich, irritiert durch die demokratische Fassade, als passives Stimmvieh missbrauchen. Es darf darüber nicht hinwegtäuschen, dass die Volksseele besonders bei Nebensächlichkeiten überschäumt. Demonstrationen gegen eine Kampfhundverordnung erhalten zuweilen einen höheren Stellenwert als Protestveranstaltungen gegen den rechten „Mob" und gegen Ausländerfeindlichkeit.

Bei der Manipulierung und Deformierung des Bewusstseins der Massen wirkt die SPD als sog. Volkspartei kräftig mit. Ihre programmatische revisionistische Zielsetzung, eine Balance zwischen Kapital und Arbeit zu erreichen, hat sie praktisch längst aufgegeben. Die Agenda 2010 lässt ihren Status als Erfüllungsgehilfe des Kapitals überdeutlich werden. Hier ordnen sich auch die Reformkräfte der PDS mit ihrer „Opposition aus der Kuschelecke" ein. Die Rechten dieser Partei intensivieren nach dem Programmparteitag die Sozialdemokratisierung dieser Partei, von der die Bezeichnung „sozialistisch" nur noch als Etikett übrig geblieben ist. Auch ihre Begehrlichkeit, an der Macht teilzunehmen, führt zwangsläufig zu ihrer Auszehrung und zu ihrem Siechtum als politische Kraft im Parteienspektrum der Bundesrepublik. Wie der SPD geht es dem kleinbürgerlichen Teil der PDS in Programmatik und praktischer Politik nicht um die Beseitigung der kapitalistischen Ordnung durch die Organisierung des Klassenkampfes, sondern um die Sicherung eines lukrativen Platzes in der Ausbeutergesellschaft. Die Losung, dem „Wohlergehen des Volkes zu dienen", ist für alle Systemparteien nichts anderes als eine billige Ausrede und ein Kaschieren ihrer Rolle als politische Vollstrecker kapitalistischer Zielstellungen.

Die Offensive der Ideologen des Kapitals erhielt besonders nach dem Sieg der Konterrevolution in den sozialistischen Ländern Europas neuen Auftrieb. Neben der Diffamierung des Sozialismus als brutale, diktatorische und inhumane Gesellschaftsordnung hatten auch solche „Theorien" Hochkonjunktur, die unmittelbar die Psyche des Menschen betrafen. So wurde propagiert, dass der Mensch stets nur mit dem Bauch denke, er ewig ein Egoist sei, seine Habgier Ausdruck eines uralten Triebverhaltens darstelle, so wie der Gedanke an das Haben, an das Geld und den Reichtum ständig sein Gehirn durchpulse. Da es nicht einmal die Religion geschafft habe, die Menschen vom Egoismus zu bekehren, sei es eine unerfüllbare Hoffnung, den Menschen zu einem solidarischen Verhalten zu bewegen. Schon allein deshalb stoße die Idee des Sozialismus ins Leere.

Bei nicht wenigen ehemaligen Linken mit löchrigem politischen Bewusstsein, die vor allem aus Karrieregründen Mitglieder von sich an der Macht befindenden kommunistischen Parteien wurden, fiel eine derartige antisozialistische, mentale Beeinflussung der Volksmassen auf fruchtbaren Boden. Das führte zum Zweifel an der Möglichkeit einer über den Kapitalismus hinausgehenden humanistischen Gesellschaftsordnung mit sozialistischem Antlitz und bewirkte die innere Emigration oder das Abgleiten in den Revisionismus bzw. die Profilierung als Antikommunist.

Die Zeit nach der Konterrevolution, das Erleben des Kapitalismus im Alltag, führte jedoch zu einem kritischen Nachdenken bei nicht wenigen der Menschen, die den „bürgerlichen Wohlfahrtsstaat" herbeigesehnt hatten. Mangelnde soziale Sicherung, Arbeitslosigkeit, Demontage des Sozialstaates, fehlende Lebensperspektive, schnöde Raffkultur, Entwürdigung des Menschen bis zum Verlust seiner Selbstachtung, hohe Kriminalitätsrate, um nur einige Eckpunkte zu nennen, lassen Vergleiche zur verloren gegangenen DDR aufkommen. Sie bewirken eine allmähliche Bewusstseinsänderung und ein Nachdenken über mögliche gesellschaftliche Alternativen. Trotz medialer Beeinflussung durch die bürgerliche Presse und trotz ihrer Hasstiraden gegen den Sozialismus – assistiert auch durch die Parteirechten der PDS – lässt sich dieser Prozess nicht blockieren. Diesen weiter zu befördern, muss Aufgabe der Marxisten sein, die begreifen, dass jede Niederlage den Keim eines Neuanfangs in sich birgt. Deshalb treten sie auch dafür ein, dass der von K. Marx begründete soziale kategorische Imperativ zu den Massen durchdringt: „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist."

Es ist offenkundig, dass grundlegende gesellschaftliche Veränderungen nur durch die Volksmassen zu erreichen sind, nur sie können das Rad der Zukunft in Bewegung setzen. An dieses Axiom knüpfen sich eine Reihe von Fragen. Eine ist die Frage nach dem Charakter und der Struktur der Volksmassen. Die bürgerliche Theorie, hier die Philosophie und die Soziologie, hat durch ihre Begriffsbildung von der „Massengesellschaft" und der „Massendemokratie" bewusst den Klassencharakter des Kapitalismus verschleiert. Sicher dürfte sein, dass das Volk keine amorphe Masse darstellt, sondern in sich strukturiert ist. Kern und progressiver Teil sind zweifellos die arbeitenden Klassen und Schichten sowie alle aufgrund ihrer objektiven Stellung im Sinne des gesellschaftlichen Fortschritts handelnden Menschen. Trotz des sich durch die Entwicklung der Produktivkräfte, vornehmlich durch Wissenschaft und Technik sowie durch die Vertiefung der Arbeitsteilung verändernden Profils der Arbeit ist die Arbeiterklasse nach wie vor die entscheidende Potenz der Lohn- und Sozialabhängigen und damit das bestimmende historische Subjekt. Damit nun die Volksmassen, vor allem die Arbeiterklasse, als Hauptkraft und Schöpfer der künftigen geschichtlichen Entwicklung, Gesellschaftsveränderungen durch-setzen kann, bedarf es bestimmter Voraussetzungen. Dabei sollten stärker die Motive des menschlichen Handelns in das Betrachtungsfeld einbezogen werden. Eine bestimmte Rolle nimmt in diesem Rahmen das gesellschaftliche Sein, das den Menschen prägende soziale Milieu, ein. Deshalb „kann die Theorie in einem Volke immer nur so weit verwirklicht" werden – wie K. Marx in „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie" anmerkt – „als sie die Verwirklichung seiner Bedürfnisse (ist)". Daraus ergibt sich sein gedanklicher Grundansatz und die Zielorientierung, „dass eine radikale Revolution nur die Revolution radikaler Bedürfnisse sein (kann)."

Unter den heutigen Bedingungen wird das menschliche Leben durch Kriege, Umweltzerstörung, durch Krankheit und Hunger bedroht. Massenarbeitslosigkeit, fehlende materielle Sicherheit müssen also in einem größeren Zusammenhang gewertet werden, wenngleich diese oft nicht unmittelbar von jedem Einzelnen als Gefahrpotential seiner Bedürfnisse empfunden wird. Diesen Prozess richtig zu rationalisieren, die Hintergründe der Glitzer- und Glamourwelt des Kapitalismus zu erkennen (ein Defizit, das auch – jedoch nicht nur – zum Sieg der Konterrevolution in der DDR beitrug) und sich seiner verschwommenen Glücksideologie zu wehren, setzt natürlich auch politische Bildung voraus. Diese ist fraglos ein Emanzipationsmedium und befördert die Selbstkultivierung des Menschen. Emanuel Kant hat bereits vom Individuum gefordert, „sich seines eigenen Verstandes zu bedienen..., den gegenwärtigen Zustand der Unmündigkeit zu verlassen." Und „den öffentlichen Gebrauch der Vernunft" inmitten des gesellschaftlichen Lebens zu betonen. Erst die politische Bildung ermöglicht es, sich in der Ideenwelt zurecht zu finden, die in der Tradition stehenden und die neuen Gedanken zu analysieren, Theorien, Programme sowie Strategien ihrem Gehalt entsprechend zu werten.

So wichtig das Beziehungsgefüge zwischen einer für die Volksmassen unerträglichen Situation und ihren politischen Aktionen ist, so muss allerdings in Frage gestellt werden, inwieweit hier ein Automatismus wirkt. Bedarf es immer eines Leidensdrucks, bis eine im Kopf vollzogene Einsicht zur Handlung führt? Wie es mir scheint, gehört zur Motivbildung menschlichen Handelns noch mehr. Wesentlich sind sicherlich die verarbeiteten Erfahrungen, so konkrete soziale Auseinandersetzungen mit der Vergangenheit und der Gegenwart. Sie bereichern den Prozess der Verinnerlichung des erworbenen Bildungsgutes und helfen mit, das Wechselverhältnis von Verstand und Emotion auf eine qualitativ höhere Stufe zu heben. W.I. Lenin hat in seiner Schrift „Der linke Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus" auf die Bedeutung der politischen Erfahrung aufmerksam gemacht, indem er darauf verwies, dass es stets der eigenen politischen Erfahrung der Massen bedarf. „Das ist das grundlegende Gesetz aller Revolutionen."

Um die Volksmassen in die Lage zu versetzen, die politische Wegsuche entsprechend den gesellschaftlichen Notwendigkeiten vorzunehmen und das „Rad der Zukunft" schwungvoll zu bewegen, bedarf es eines motorischen Antriebes. Diese Aufgabe kann nur durch eine Partei erfolgen, die sich in ihrer Weltanschauung, ihrer Politik, Strategie und Taktik vom Marxismus-Leninismus leiten lässt. In seinem Werk über die ideologischen Grundlagen der Partei hat Lenin das Wechselverhältnis von Partei und Volksmassen prägnant umrissen, indem er schrieb, dass „das politische Klassenbewusstsein den Arbeitern nur von außen hineingetragen werden (kann), außerhalb des ökonomischen Kampfes, außerhalb der Sphäre der Beziehungen zwischen Arbeitern und Unternehmern." Eine Partei, die solches bewirken kann, muss eine Partei vom neuen Typus sein, wie sie Lenin gefordert hat. (Zu Lenins Parteitheorie unter den heutigen Bedingungen vergleiche: I. Wagner, „Offensiv", Ausgabe September-Oktober 2003, S. 30ff; D. Itzerott, „RotFuchs", August 2003, S. 9)

Diese Partei muss im Hinblick auf den Klassenkampf mit den Massen verbunden sein, ohne zugleich stets eine Massenpartei (mit prinzipienlosen Mitläufern) zu sein. Sie muss der Bündnispolitik verpflichtet sein, ohne die sie den Kampf gegen die imperialistisch geprägte Globalisierung und schließlich die gesellschaftliche Umwälzung zur Überwindung des Kapitalismus nicht erfolgreich durchführen kann. Wichtig dabei ist allerdings, dass sie ihre eigene Identität in der Bündnispolitik wahrt. Das ist eine prinzipielle Fragestellung bei der Mitwirkung an Friedens- und sozialen Bewegungen. Ein Konsens mit anderen Organisationen darf nicht zur Aufgabe des marxistisch-leninistischen Parteiverständnisses führen (vergleiche: F. Flegel / M. Opperskalski zur Bündnispolitik im Rahmen der Europäischen Antikapitalistischen Linken, „Offensiv", Ausgabe September-Oktober 2003, S. 6ff). Kompromisse finden ihre Grenzen dort, wo die Zielrichtung verwässert wird, den Kapitalismus als inhumane Gesellschaftsordnung beseitigen zu wollen. Auch hier geht es darum, pragmatische politische Schritte mit programmatischen Zielsetzungen zu verbinden.

Wenn darauf verwiesen wurde, dass die Volksmassen, hier vor allem die Arbeiterklasse, Hauptkraft der gesellschaftlichen Veränderungen sind und deren Rolle durch objektive ökonomische und soziale Prozesse determiniert ist, so ergibt sich zwangsläufig die Frage nach der Relevanz der Persönlichkeit bei gesellschaftlichen Umwälzungen.

Bekanntlich tendieren bürgerliche Theorien dazu, hehre Persönlichkeiten mit ihrer Geistesgröße, ihren Eigenschaften als tatkräftige Machertypen, als alleinige Schöpfer der historischen Entwicklung darzustellen. Die Glorifizierung von Kaisern, Königen, des gesamten Feudaladels und ihrer geistigen Repräsentanten feiert in letzter Zeit erst wieder fröhliche Urstände. Unstreitig ist, dass es starke Persönlichkeiten gibt, die gesellschaftliche Entwicklungen hemmen, ja sogar zurückwerfen können. Ihre Bedeutung im Rahmen konterrevolutionärer Handlungen ist nicht von der Hand zu weisen. Im Kontext hierzu muss angemerkt werden, dass die progressiven Bewegungen als Widerpart in ihrer Hemmphase z.T. sich auch im politischen Winterschlaf befanden und es ihnen an schlüssigen Konzepten sowie markanten Führungskräften mangelte. Zudem war das Bedingungsgefüge für den gesellschaftlichen Fortschritt nur schwach entwickelt.

Im Gegensatz zur bürgerlichen Beurteilung der Persönlichkeit in der Geschichte ist der Stellenwert großer sozialistischer Persönlichkeiten stets im Zusammenhang mit den Volksmassen und ihrer Avantgarde, der marxistisch-leninistischen Partei zu sehen. Das Verdienst solcher Persönlichkeiten besteht gerade darin, dass sie in einem frühren Stadium und wesentlich profunder als andere ergründen, was im Interesse gesellschaftlicher Veränderungen notwendig ist. Sie geben Impulse für die Ziel-Mittel-Dialektik, setzen sich energievoll für das anzustrebende Ziel ein, damit es Aufgabenstellung der Partei wird. Sie sind imstande, Massen zu begeistern, diese zu organisieren und zu führen. Marx, Engels, Lenin, aber auch andere sozialistische Persönlichkeiten sind ein leuchtendes Beispiel für solche Persönlichkeiten, die im proletarischen Interesse handeln.

Es gehört zu den humanistischen Aufgaben des Sozialismus, der Entwicklung der Persönlichkeit freien Raum zu eröffnen. Erst die Beseitigung des Kapitalismus bietet die gesellschaftliche Möglichkeit für die Entfaltung des Menschen und für seine allseitige Persönlichkeitsbildung.

Werner Roß, Zwickau


Buchbesprechungen

Prof. Dr. Horst Schneider: Niemand schafft größeres Unrecht als der, der es im Namen des Rechts begeht (Platon)

Günter Hoffmann: Sturm auf die Stasi in Sachsen. Tatsachenbericht.

Wer diesen Tatsachenbericht in die Hand nimmt, kann spannende Lektüre erwarten. Die Spannung lässt sich steigern, wenn der Leser mit den abgedruckten Faksimiles von reißerischen Berichten in Zeitungen im Anhang beginnt. BILD titelte am 9. Mai 1996 einen Bericht von Dieter Schlüter: „Vier Stasi-Schieber machten fette Beute". Einer der vier war Oberst Dr. Horst Hillenhagen, dessen Erlebnisse im „Wendeherbst" und im späteren Prozess in Dresden im Mittelpunkt des Buches stehen.

Für Hillenhangen begann diese Geschichte am 6. Dezember 1989, als er von der Regierung Modrow den Auftrag erhielt, unter Leitung von Dieter Stein und als Partner von Oberst Dieter Schlegel die alarmierenden Vorgänge im Sitz der Dresdener Staatssicherheit in der Bautzener Straße in Dresden unter Kontrolle zu bringen. Was war da geschehen?

Aus der Sicht von Dr. Herbert Wagner, ab Mai 1990 Oberbürgermeister Dresdens, war folgendes geschehen: „Der 5. Dezember 1989 war aus meiner Sicht (?) eigentlich der Tag, an dem die Wende auch real vollzogen war. Vertreter des `Neuen Forum` und des `Demokratischen Aufbruch` erstatteten bei der hiesigen Polizei Anzeige gegen die Staatssicherheit wegen des dringenden Verdachts der Sabotage. Es war bekannt geworden (?), dass die Stasi begonnen hatte, Akten zu vernichten. Hatten wir (?) zuvor bei allen Demonstrationen bewusst versucht, das Stasigelände zu meiden, riefen jetzt Arnold Vaatz und ich über Sender Dresden zu einer Demonstration zur Bautzener Straße auf. Für mich war die Demonstration zum Stasigelände der Beweis, dass die Wende unumkehrbar war. Die Staatssicherheit – Schild und Schwert der SED – lag am Boden." (Dresden von der Wende bis heute, Frankfurt/M, o.J., S. 175)

Der Mann mit der Vita Wagners überschrieb seinen Bericht „Die Novemberrevolution 1989 in Dresden" und ernannte sich nachträglich zum Revolutionsführer. Auch ein Witz? Oder wäre das nicht für jeden Staat – auch für die Bundesrepublik – Hochverrat? Wo würde ein „Sturm" auf Einrichtungen der Staatsorgane geduldet? In Pullach? Die Historiker im Dresdener Stadtmuseum, Christel Hermann und Dr. Karlheinz Kregelin vermerkten in ihrer „Chronik" gar, das Gebäude an der Bautzener Straße sei unter „direkte Volkskontrolle" gestellt worden. Niemand erklärte, welche Verfassung oder welches Gesetz zu dererlei Tun ermächtigte – oder welche Informanten oder Auftraggeber mitwirkten. Als Dr. Hillenhagen mit seinen zwei Gefährten am nächsten Tag an der Bautzener Straße eintrafen, bestimmte ein „Bürgerkomitee" das Geschehen, wobei Superintendent Ziemer von der Kreuzkirche und der Moritzburger Pfarrer Adolph eine führende Rolle spielten, was erstaunlich ist, aber in bestimmtem Maße der Deeskalation förderlich war.

Dass stets „Sensationsjournalisten" und Reporter westdeutscher Fernsehstationen im Gelände umherstreiften und wahrheitswidrige Berichte erfanden, erhöhte die Brisanz der Lage für Hillen-hagen und seine Mitstreiter. Besonders schwierig war es, den Besitz vor Plünderungen zu schüt-zen, weil sich manche Besetzer „wie hungrige Hyänen auf die MfS-Objekte stürzten" (S. 42). Hier können nicht alle Erlebnisse Hillenhagens referiert werden, obwohl Politiker wie Berghofer, Vaatz, Heimann und andere in das Geschehen einbezogen waren, besonders negativ Frau Rottig. (Sie machte folgerichtig Karriere in der Gauck-Behörde.) Von den Gräuelgeschichten, die auch von Mitgliedern des „Bürgerkomitees" in den Medien verbreitet worden waren, erwies sich nichts als wahr.

Günter Hoffmann resümiert: Die Mitglieder des Bürgerkomitees konnten „sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass es keine Instrumente für medizinische Versuche am Menschen oder Folterwerkzeuge gab. Sie fanden keine kellertiefen Anlagen, Tunnel oder versteckte Räume. Es existierte weder ein unterirdischer Gang zur Elbe, noch zum sowjetischen Geheimdienst, dem KGB, was lange Zeit geglaubt wurde. Die Vertreter des Bürgerkomitees wollten partout nicht wahrhaben, dass sie leichtfertig und blauäugig böswilligen Gerüchten aufgesessen waren Ihr Misstrauen war so stark, dass einige von ihnen noch viele Monate später in ehemaligen MfS-Objekten nach Geheimgängen, versteckten Räumen oder anderen belastenden Indizien suchten." (S. 24/25) Diese Feststellung wäre überflüssig, wenn nicht im Rahmen des makabren Streits um sächsische Gedenkstätten das Gebäude an der Bautzener Straße als „Erinnerungsort" instrumentalisiert würde. Das Spiel mit Gefühlen von Bürgern ist also noch nicht zu Ende.

Mehr als die Hälfte des Tatsachenberichts macht die Darstellung der Anklage, des Prozesses und des Urteils gegen Dr. Horst Hillenhagen aus. Schon im Frühjahr 1990 äußerte Frau Rottig den Verdacht, Hillenhagen habe Stasi-, also Volksvermögen veruntreut. Medien nahmen den Ball auf, ohne recherchiert zu haben. Am 19. September 1990 wurde der Beschuldigte von Kriminal-Hauptkommisar Straka verhört. Hillenhagen wurde verdächtigt, Ferienheime das MfS veräußert, das „Geschenkelager" veruntreut und in einer Grundstücksangelegenheit unkorrekt gehandelt zu haben. Am 30. April 1992 wurde ein Haftbefehl ausgestellt und vollstreckt. Zu diesem Zeitpunkt konnte und musste die Staatsanwaltschaft wissen, dass Hillenhagen kein Unrecht begangen hatte: Der Übergang der Ferienheime des MfS an die Gewerkschaften war ein Rechtsträgerwechsel, der in der DDR üblich und in diesem Fall von der Regierung angeordnet worden war. Von dem Vorgang um das Gebäude Rissweg, das sich schon vor 1989 im Besitz von IM befand, hatte Hillenhagen keine Kenntnis (und musste sie auch nicht haben). Die Geschenke waren vorsorglich dem KGB übergeben worden, um ihre Plünderung zu verhindern. Die Gegenstände waren von der sowjetischen Seite bezahlt, das Verfahren in Abkommen der DDR mit der UdSSR gesetzlich geregelt.

Schon zum Zeitpunkt der Verhaftung war klar, dass der Beschuldigte nicht bestraft werden konnte. Es konnte also nur einen politischen Grund für das Vorgehen geben: Ein Offizier der Staatssicherheit sollte öffentlich seiner Würde beraubt und der „Fall" in den gesteuerten und willfähigen Medien zu einer neuen Hetzkampagne gegen „Stasi-Schieber" (Dier Schlüter in BILD vom 9. Mai 1996) missbraucht werden. Vertreter der „unabhängigen" Justiz folgten der Order Kinkels, die DDR delegitimieren zu helfen. Das geschah, als in Sachsen zwei Pfarrer als Minister fungierten, Steffen Heitmann als Justizminister und Heinz Eggert als Innenminister.

Auch für den Laien ist es spannend und lehrreich zu erfahren, wie bei klarer Sach- und Rechtslage importierte Juristen mit Hilfe von Tricks eine lange Untersuchungshaft und – endlich – einen Prozess zu begründen imstande sind.

Am 14. Mai 1996 (!) begann in Dresden der Prozess, zu dessen Auftakt die Morgenpost vom Vortag, 13. Mai, dem unschuldigen Hillenhagen fünf Jahre Haft prophezeite. Hillenhagen nutze den Angriff als Waffe bei seiner Verteidigung: „Mit Ihren falschen Anklagen haben Sie mir mein Leben vermasselt." Über den Staatsanwalt urteilte er: „Ich hätte meine Genossen gefeuert, wenn sie so miserabel gearbeitet hätten."

Der verantwortliche Staatsanwalt, dessen Arbeit auch der Richter öffentlich tadelte, war Oberstaatsanwalt Martin Übele. Nomen est Omen? (Vielleicht könnte es reizvoll und lehrreich sein, dessen segensreiches Wirken in Sachsen nach 1990 komplex zu analysieren.) Der Prozess drohte vollends zur Farce zu verkommen, als sich herausstellte, dass Mitglieder des „Bürgerkomitees" die Handlungen Hillenhagens gekannt und gebilligt hatten. Das sollten auch Justizminister Heitmann und Umweltminister Vaatz als Zeugen vor Gericht bestätigen.

Damit war der Prozess, der sich bis zum Urteil am 17. Februar 1997 (!) hinzog, geplatzt. Zur Erheiterung der Richter und des Publikums hatte Vaatz (jetzt Bundestagsabgeordneter der CDU) wissen lassen, dass er zu keiner Aussage vor Gericht erscheinen würde, weil er zu wissen glaube, dass er „als Minister nur in seinen Diensträumen vernommen werden dürfe." (S. 129) Eine Meisterleistung für einen gesetzestreuen Minister! Das Urteil legte am 17. Februar 1997 die Einstellung des Verfahrens fest. Die Kosten von etwa 100.000,- DM und die Haftentschädigung von etwa 4.00,- DM hatte der Steuerzahler zu tragen. Der ideelle Schaden ist kaum messbar, aber beträchtlich.

Es war trickreichen Staatsanwälten der BRD nicht gelungen, einen Offizier des MfS in einen korrupten Kriminellen zu verwandeln.

Niemand konnte übersehen, dass dieser und ähnliche Prozesse nicht für eine unabhängige Justiz sprechen, sondern für den Verfolgungswahn und die inquisitorische Rolle der Siegerjustiz. Jeder Leser überdenke: Politiker, die tatsächlich und nachweislich korrupt sind (jeder kennt Namen), werden von der Justiz nicht behelligt. Die Ausplünderung des DDR-Vermögens, das Dutzende Milliarden ausmachte, durch „Wessis" bleibt straffrei. Und da „sorgten" sich importierte Juristen um den Verbleib des Vermögens des MfS! Geht es grotesker?

Allerdings: Nicht nur die Justiz war die gehorsame Magd der gnadenlosen Politik der Sieger. Im „Zeitalter der Medien" gibt es eine unübersehbare (gesteuerte?) Kooperation der Politik und Justiz mit Journalisten. Die Faksimiles am Ende des Buches verschaffen dem Leser einen kleinen Eindruck davon.

Übrigens: So groß die Schlagzeilen bei den „Enthüllungen" waren, so vornehm zurückhaltend waren dieselben Sensationsjournalisten, als das Urteil gesprochen war. Was schert sie der Artikel 1 des Grundgesetzes, wonach die Würde des Menschen unantastbar sein soll. Der Marktwert einer Story ist für ihren Job wichtiger. Auch das haben viele inzwischen aus solchen Prozessen gelernt.

Wem nutzt das? Prof. Dr. Horst Schneider, Dresden


Samy Yildirim: Und die Bibel hat doch ... nicht Recht!

Besprechung des Buches "Keine Posaunen vor Jericho - Die archaeologische Wahrheit über die Bibel" von Israel Finkelstein und Neil Asher Silberman, aus dem Englischen übersetzt von Miriam Magall, erschienen 2002 bei C. H. Beck, ISBN 3-406-49321-1, 384 Seiten, mit 27 Karten und Abbildungen.

Genau dieses Fazit laesst sich aus der Lektuere des hier zu besprechenden Buches ziehen: "Und die Bibel hat doch ... NICHT recht!" Zu diesem Schluss ist die Bibelwissenschaft schon vor Jahrzehnten gekommen; nun ist auch die biblische Archaeologie soweit. Die beiden Autoren des Buches wissen genau, wovon sie sprechen: Finkelstein (Jahrgang 1949) ist Direktor des Archaeologischen Instituts der Universitaet Tel Aviv, und Silberman (Jahrgang 1950) ist in Belgien Mitarbeiter am "Ename Center for Public Archaeology and Heritage Presentation" und in den USA Mitherausgeber des renommierten Archaeology Magazine. Das Buch entstand, weil in den letzten Jahrzehnten bei Ausgrabungen in Palaestina, aber auch in anderen Gebieten, welche im Alten Orient von Bedeutung waren, insbesondere in Aegypten und in Mesopotamien, so viele Fakten ans Licht kamen, die der biblischen Darstellung widersprechen, dass es zu einer Revolution in de Anschauungen der Fachleute kam, waehrend das Laienpublikum nach wie vor mit laengst von der Forschung widerlegten Ansichten abgespeist wurde und wird, so dass eine auch fuer Laien verstaendliche Darlegung des heute gesicherten Standes des Wissens ueberfaellig war.

Finkelstein und Silberman ist zu danken, dass sie die damit verbundene Muehe auf sich nahmen. Entsprechend gehen sie in ihrem Buch vor: waehrend andere Autoren die Funde ohne jedwede Diskussion als Illustration der biblischen Darstellung missbrauchen, lassen Finkelstein und Silberman die Funde und die Ergebnisse der wissenschaftlichen Erforschung derselben selber sprechen, um an Hand dessen anschliessend die Darstellung der Bibel auf ihren historischen Gehalt hin zu ueberpruefen. Auf die kurze Nacherzaehlung der biblischen Geschichte folgt jeweils zuerst die archaeologische Spurensuche, dann die Rekonstruktion des tatsaechlichen Geschehens, und zuletzt die Frage, wann und warum die Geschichte so und nicht den Tatsachen gemaess aufgeschrieben wurde. Dieses Verfahren halten sie die ganzen 12 Kapitel des in 3 Teile gegliederten Buches hinweg durch.

In der "Vorbemerkung" (Seiten 9 bis 11) informieren uns Finkelstein und Silberman, dass sie bei einem gemeinsamen Urlaub mit Ihren Familien an der Kueste von Maine im Jahre 1993 bei Fachdiskussionen die Notwendigkeit einer zusammenfassenden Darstellung der inzwischen erfolgten Revolution in den Auffassungen der biblischen Archaeologie erkannten.

Im "Prolog: In den Tagen des Koenigs Josia" (Seiten 12 bis 14) warten die beiden Autoren mit der fuer die meisten Leser ueberraschenden Tatsache auf, dass die wesentlichen Ideen der biblischen Geschichte in der spaeten Koenigszeit, naemlich zur Zeit des Koenigs Josia (639 bis 609 v. Chr.) ausgearbeitet wurden. Es kommt zur Sprache, dass Jerusalem erst nach dem gewaltsamen Ende des alten Israel in den Mittelpunkt der israelitischen Geschichte rueckte und dass eben ohne Beruecksichtigung dieses gewaltsamen Endes des alten Israel die ganze Stossrichtung der biblischen Geschichte und die Entstehung des JHWH-Monotheismus nicht zu verstehen waeren.

In der "Einleitung: Archaeologie und die Bibel" (Seiten 15 bis 38) geht es um die Abgrenzung des zu behandelnden Themas. Zuerst nennen sie die 39 Buecher der Hebraeischen Bibel (bei den Christen genannt: das Alte Testament) sowie die Koenige von Israel und Juda, und grenzen Ort und Zeit des betrachteten biblischen Geschehens ab.

Sie betrachten zuerst die Ergebnisse der Bibelwissenschaft, derzufolge die Hebraeische Bibel (und um diese geht es) in ihren Grundzuegen erst im 7. Jahrhundert v. Chr. in Jerusalem geschaffen wurde von einer Gruppe, die als "Deuteronomisten" oder "JHWH-Allein-Partei am Jerusalemer Hof" (von Baruch Halpern vorgeschlagene Bezeichnung), die damit die Umschreibung der Geschichte der Israeliten unter dem Eindruck des gewaltsamen Endes des lange ueberlegenen Nordreiches Israel (durch die Assyrer gegen Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr.) ebenso erreichen wollten wie eine Aenderung der religioesen Verhaeltnisse im uebrig gebliebenen Juda.

Finkelstein und Silberman verweisen bereits hier darauf, dass die Ergebnisse der Ausgrabungen der letzten gut 3 Jahrzehnte, vor allem aber seit ca. 1990, zu dem Ergebnis gefuehrt haben, dass die von der Bibelwissenschaft mit literaturwissenschaftlichen Methoden erbrachten Auffassungen dem tatsaechlichen Verlauf der seinerzeitigen Ereignisse naeher stehen als die biblische Darstellung, welche von ihnen woertlich als "grossartiges Produkt der menschlichen Einbildungskraft" bezeichnet wird, und ausdruecklich "nicht als den Tatsachen entsprechender historischer Bericht". Es wird hier auch zum ersten Male deutlich, dass sie auch eine Art Schadensbegrenzung versuchen - aehnlich wie Neutestamentler, die versuchen, aus dem, was die Kritik am neuen Testament von der dortigen Geschichte uebrig gelassen hat, ein neues, bescheideneres Haus zu errichten.

In Teil I "Die Bibel als historischer Bericht?" (Seiten 39 bis 166, Kapitel 1 bis 5) wird der Frage nachgegangen, inwieweit die Bibel als eine verlaessliche Quelle der Information ueber die damaligen Geschehnisse zu betrachten ist. Schwerpunkte der Diskussion sind die Erzvaetergeschichte (dargelegt im Buch Genesis = 1. Buch Mose), der Auszug aus Aegypten (vgl. Exodus = 2. Buch Mose), die Eroberung Kanaans und der sich anschliesseende Genozid an den Einwohnern (vgl. Buch Josua, das 6. Buch der Bibel und erstes Buch der von den Deuteronomisten seinerzeit vorgenommenen Geschichtsklitterung), sowie die biblische Darstellung des Lebens der Israeliten nach der Landnahme (vgl. Buch der Richter) und der beiden Koenigreiche Israel und Juda (vgl. die beiden Buecher Samuel und die beiden Buecher der Koenige).

Ergebnis der archaeologischen Forschung: die Erzvaeter und ihre Wanderungen hat es genau so wenig gegeben wie die Sklaeverei in Aegypten, den Exodus unter Moses und Aaron, die Militaerkampagne unter Josua; insbesondere gab es "keine Posaunen vor Jericho", was schon der Titel der deutschen Uebersetzung verraet. Auch die Koenig David zugeschriebenen Eroberungen gab es nicht, und die umfangreiche Bautaetigkeit des Koenigs Salomon ist freie Erfindung der Deuteronomisten, die hier das genauso rand- wie rueckstaendige Koenigreich Juda mit fremden Federn schmueckten, um so die Einzigkeit und Ueberlegenheit der Israeliten "(Auserwaehltes Volk") und die gottgewollte Sonderstellung Jerusalems zu "beweisen".

Stattdessen gab es in der Bronzezeit drei Einwanderungswellen aus dem Osten, und jedes Mal kam es zur Bildung zweier Staaten im westjordanischen Bergland, wobei der noerdliche stets der wichtigere war. Die Zeit des gemeinsamen Koenigreiches unter Fuehrung Jerusalems (Koenige Schaul, David und Salomon) ist daher ebenfalls reine Einbildung der Deuteronomisten zum bereits genannten ideologisch-propagandischen Zweck.

Allgemein ist hier festzuhalten, dass das alte Nordreich Israel weltoffen und vergleichsweise wohlhabend, das suedliche Juda dagegen geradezu hinterwaeldlerisch und armselig war. Waehrend der israelitische Koenig Jerobeam I. die Gunst der Stunde nutzte, und die von Pharao Scheschonk I. (22. Dynastie; die Bibel nennt ihn: Schischak, 1. Koenige 14,25) im Rahmen einer Strafexpedition heimgesuchten und damit geschwaechten Staedte an der palaestinensischen Kueste annektierte (diesen Feldzug schreibt die Bibel David zu), und fortan ein wichtiger Mitspieler in der Hohen Politik des Alten Orients war, dabei natuerlich religioese Toleranz ueben musste, konnte Juda nur auf eine Weise hoffen, einen gewissen Aufschwung zu erreichen: durch Zentralisierung der politischen und religioesen Macht auf die Hauptstadt Jerusalem (bis ins 8. Jahrhundert hinein nur ein groessees Dorf), was den Kampf der judaeischen Koenige gegen die lokalen religioesne und politischen Fuehrer erforderte, und letztlich in der Idee des Einen und Einzigen Gottes seinen logischen Schluss fand.

Im Rahmen einer "rueckwaerts fortgeschriebenen Theologie" stellten die Deuteronomisten dei Sache dann so dar, dass das von ihnen angestrebte Ziel, was historisch ein Novum darstellte, eigentlich schon immer gewollt gewesen sei, mithin die tatsaechliche Geschichte eine Abweichung davon darstelle, womit das Ende des Nordreiches "erklaert" wurde.

In Teil II "Aufstieg und Niedergang des alten Israel" (Seiten 167 bis 248, Kapitel 6 bis 8) betrachten Finkelstein und Silberman die Geschichte der Besiedelung des westjordanischen Berglandes seit dem 13. Jahrhundert v. Chr., insbesondere im damals wichtigereren Norden. Es kommt dabei heraus, dass die von der Bibel in Grund und Boden verdammte omridische Dynastie, welche das Nordreich Israel von 884 bis 842 v. Chr. regierte (Koenige: Omri, Ahab, Ahasja und Joram), in Wirklichkeit jenes "Goldene Zeitalter" regierte, das von der Bibel fuer die judaeischen Koenige David und Salomon reklamiert wird.

Es stellt sich heraus, dass die fuer Koenig Salomon reklamierte Bautaetigkeit im Wesentlichen von Omri und Ahab erbracht wurde (dies gilt insbesondere fuer die Kavallerieanlagen in Geser, Hazor und Meggido: die angeblichen "Staelle Salomons" wurden allesamt zur Zeit des Ahab angelegt), mit dem Zweck, Israel zu einer etablierten Macht zu erheben und Assur die Stirn bieten zu koennen, was in der Schlacht von Karkar (853 v. Chr.; assyrischer Koenig: Salmanassar III.) Koenig Ahab auch gelang. Erst als Israel durch Thronwirren nach dem Tode Jerobeams II. (regierte 788 bis 747 v. Chr.), konnte Assur - nach ueber 100 Jahren! - gleichsam Rache nehmen fuer die Demuetigung von Karkar und Israel zerstoeren, was auch als Abschreckung gegen andere kleinere Koenigreiche der Region gedacht war. Finkelstein und Silberman behaupten, dass Israel letztlich doch vernichtet werden musste, weil es beiden damaligen Supermaechten Aegypten und Assur im Wege stand.

In Teil III "Juda und die Entstehung der biblischen Geschichte" (Seiten 249 bis 335, Kapitel 9 bis 12) widmen sich Finkelstein und Silberman dem Suedreich Juda, das ueber Jahrhunderte im Schatten des noerdlichen Nachbarn Israel stand, in der Zeit der beiden Reiche, sowie in den gut 200 Jahren nach dem durch die Assyrer herbeigefuehrten gewaltsamen Ende des alten Israel.

Die bereits im Teil I vorgestellten Ueberlegungen ueber die innere Entwicklung Judas werden nun genauer entwickelt. Es kommt dabei heraus, dass erst die Zerstoerung Israels durch die Assyrer in mehreren Feldzuegen gegen Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr. (Koenige: Tiglatpileser III., Salmanassar V., und Sargon II.) Juda aus seinem Dornroeschenschlaf aufzuwecken vermochte.

Im Widerspruch zum Bericht der Bibel, demzufolge die Assyrer alle Einwohner des Nordreiches Israel getoetet oder nach Assur deportiert haetten, weisen Finkelstein und Silberman darauf hin, dass nur die Elite Israels ermordet bzw. deportiert wurde (insbesondere die nach wie vor respektable israelitische Kavallerie - zwecks Eingliederung ins assyrische Heer). Statt dessen ergoss sich eine Fluechtlingswelle in das Suedreich Juda, sodass dort tatsaechlich ein Wirtschaftsaufschwung stattfinden konnte - der allerdings insofern vorbereitet worden war, als dass bereits der judaeische Koenig Ahas (regierte Juda 743 bis 727 v. Chr.; nicht zu verwechseln mit Koenig Ahab aus dem Norden, der Israel von 873 bis 852 v. Chr. regiert hatte) sich entschlossen hatte, assyrischer Vasall zu werden, um so Handelsbeziehungen aufbauen zu koennen. Bis dahin war Juda von niemandem der Eroberung fuer wert befunden worden, so armselig und abgelegen war es. Insbesondere Jerusalem bluehte auf: innerhalb von gut 20 Jahren stieg die Einwohnerzahl von unter 1000 auf ueber 15000 an.

Dies befoerderte die Phantasie einer Fraktion der judaeischen Elite, und diese bildeten sich ein, nun die Nachfolge Assurs als Rivale Aegyptens antreten zu koennen. Dies erklaert, warum die omridische Dynastie so sehr verdammt werden musste: diese hatte ja erfolgreich gegen die assyrische Vorherrschaft gekaempft. Da die deutenonomistischen Plaene einen radikalen Bruch mit der eigenen Vergangenheit Judas bedeuteten, entschlossen sich die Deuteronomisten zur sytematischen Geschichtsfaelschung, indem sie behaupteten, dass Juda schon immer auserwaehlt gewesen sei, und die juengsten Entwicklungen vorherbestimmt gewesen seien. Die Bibel ist also die Ideologie dieser Fraktion der judaeischen Eliten.

Allerdings entwickelten sich die Dinge anders als gedacht (bzw. laut Bibel "vorherbestimmt"): Pharao Necho II. liess seinen Vasallen Josua (dieser hatte den Tod des assyrischen Koenigs Assurbanipal 627 v. Chr. zum Seitenwechel genutzt) im jahre 609 . Chr. gefangensetzen und enthaupten. Diese unruehmliche Ende des "Moechtegern-Messias" (Finkelstein/Silberman) veranlasste die Deuteronomisten zur Einfuegung von relativierenden Passagen in ihr Konstrukt. Die Zerstoerung Assurs (605 v. Chr.) und gar die Eroberung Judas durch das wieder erstandene babylonische Reich 586 v. Chr. waren im deuteronomistischen Drehbuch ueberhaupt nicht vorgesehen. Jedoch wurde Babylon rund 50 Jahre spaeter von den Persern erobert; diese waren im 7. Jahrhundert Monotheisten geworden (Zarathrusta hatte den heute noch bestehenden Zoroastrismus begruendet). Den finalen Sieg erzielten die Deuteronomisten dank der Waffenhilfe der "10000 Unsterblichen", der Elitetruppen des achaemenidischen Grosskoenings der Perser: dem Schlachtfest in Persepolis fielen rund 75000 Babylonier und dem alten Synkretismus treu gebliebene Judaer zum Opfer. Dies ist das Purimereignis, an das die Juden beim alljaehrlichen Purimfest (dem sog. "juedischen Karneval") denken sollen. Es waere wuenschenswert gewesen, wenn Finkelstein und Silberman auf diesen Punkt genauer eingegangen waeren. Gegen Ende ihres Buches laesst die Stringenz ihrer Argumentation nach, was ich darauf zurueckfuehre, dass sie eine Art Rettungsversuch unternehmen wollen - trotz der von ihnen selber aufgezeigten Fakten.

Erst seitdem waren die judaeischen Eliten allesamt JHWH-monotheistisch; sie kehrten mit Erlaubnis des Grosskoenings der Perser nach Juda zurueck, bauten den Tempel neu auf (den nicht Salomon, sondern erst Hiskia um 700 erbaut hatte), und erst ab jetzt verlief die Geschichte Judas in den von den Deuteronomisten gewuenschten Bahnen - mit der Ausnahme, dass Jerusalem nicht mehr Hauptstadt eines unabhaengigen Koenigreiches war, sondern Hauptstadt der persischen Provinz Jehud, deren Einwohner dann die Jehudim waren - die Juden. Die weiter gehenden Ambitionen der Deuteronomisten (wie sie ihren Niederschlag fanden in dem phantasierten Grossreich des David, das vom Nil bis zum Euphrat gereicht haben soll) wurden ad acta gelegt.

Im "Epilog: Die Zukunft des biblischen Israel" (Seiten 336 bis 339)geht es um die Geschichte der nunmerigen persischen Provinz Jehud, ihrer Einwohner, der Jehudim (= Juden), sowie um die weitere Ausgestaltung der von den Deuteronomisten einstmals angefangenen Geschichtsfaelschung, bis zur Zeit der Eroberung durch den Makedonenkoenig Alexander VII. "den Grossen" (332 v. Chr.). Im "ANHANG" (ab Seite 340) finden sich schliesslich 29 Seiten Literaturhinweise und 9 Seiten Orts-, Personen- und Voelker-Register. Die auf den Seiten 382 und 383 aufgefuehrten Buecher ueber "Archaeologie und Alte Geschichte" (Seite 382) sowie ueber die "Geschichte Israels und Palaestinas" (Seiet 383) sind fuer den eine Fundgrube wichtiger Informationen, der sich in diese wichtige Thematik weiter vertiefen moechte, was ich nur empfehlen kann.

Samy Yildirim, Zaandam, Niederlande


EU-Wahl 2004 - Wählen ohne Illusionen

Niederlagen können Lehrmeister sein. Auch die Niederlage der Mehrheit des Volkes nach Wahlen. Wir wurden in den letzten Jahren als Wähler oft bemüht. Je mehr dies geschah, desto offensichtlicher wurde: Wichtiger als wählen ist gemeinsame Gegenwehr. Wahlen im Kapitalismus ändern nichts an den wahren Machtverhältnissen – sonst wären sie längst verboten. Wie aber bei Wahlen von links protestieren? Wie kann der Stimmzettel in der Hand zum Denkzettel gegen kriegslüsterne Politik, gegen soziale Grausamkeit, gegen Vereinigungsunrecht, gegen Preisgabe von Arbeiterinteressen und demokratischen Verfassungspositionen werden? Stimmenthaltung gleicht dem Überreichen einer Rechnung, auf der kein Betrag steht. Das ist kein Protest.

In dieser Wahl kommt es darauf an, die kommunistische Bewegung auf deutschem Boden nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Für die DKP ist der Wahlkampf ein wichtiges Mittel zur Entwicklung gesellschaftlicher Gegenkräfte gegen Monopolherrschaft und Globalisierungswahn. Sie nutzt ihn, um immer wieder an das Erfordernis des breiten Bündnisses des Volkes gegen Sozialraub, gegen das großmachtpolitische Verdikt einer reaktionären EU-Verfassung und gegen die Explosion des alten Europa in einem imperialistischen Krieg zu erinnern. Darin sieht sie den Sinn ihrer Kandidatur im Unterschied zu allen anderen an der EU-Wahl sich beteiligenden Parteien. Deren Politik dient der Stabilisierung des herrschenden Systems, der Unterstützung restaurativer und konservativer Machtpositionen des wieder erstarkten deutschen Imperialismus in Europa und in der „Dritten Welt". Im Gegensatz dazu versteht sich die DKP als Partei der Arbeiterklasse. Deren Interessen sind die ihren. Sie fordert im Wahlkampf u.a.:

- Von europäischem Boden darf nie mehr Krieg ausgehen. … Verwirklichung eines umfassenden Abrüstungsprogramms aller EU-Staaten.

- Radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich in allen EU-Staaten als Hauptweg zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, Einführung der 35-Stunden-Woche per EU-Gesetz. Verkürzung statt Verlängerung der Lebensarbeitszeit, Rente ab 60 bzw. 55 Jahren.

- Streichung der Verpflichtung der EU-Staaten auf eine kapitalistische Wirtschaftsordnung unter der Bezeichnung „offene Marktwirtschaft" aus der EU-Verfassung.

- Verzicht der EU auf alle imperialistischen Groß- und Weltmachtambitionen als "global player". Statt dessen soll die EU für eine „neue Weltordnung der gleichberechtigten Partnerschaft und Solidarität mit allen Staaten und Völkern der Erde ohne jede Führungsrolle und jeden Führungsanspruch einzelner Staaten eintreten.

Wir, die Unterzeichner dieses Aufrufes, beteiligen uns an der Wahl im Juni zum EU-Parlament und an einem Wahlkampf zur Stärkung der antiimperialistischen Kräfte, die eine Veränderung der EU herbeiführen können. Ein „vereinigtes Europa" kann niemals demokratischer sein als die Staaten, aus denen es sich zusammensetzt. Unter kapitalistischen Bedingungen ist es eine verlogene Losung.

In diesem Sinne setzen wir auch unsere Kraft im Wahlkampf ein. Wir stimmen bei den Wahlen für die Liste der DKP, trotz der Meinungsverschiedenheiten, die wir in einigen Fragen mit ihr haben mögen. Denn in dieser Wahl zum EU-Parlament ist sie von allen kandidierenden Parteien doch die einzige rationale Kraft; die einzige Partei, für die eine linke Proteststimme abgegeben werden kann, ohne das Risiko einer „verschenkten" Stimme einzugehen. Darum:

Wählt DKP!

 

Unterstützerunterschriften

mit Name, Vorname, Wohnost, Straße, Hausnummer und evtl. politischer Funktion und Unterschrift

an: W. Triller, Neuländer Str. 4, 01445 Radebeul!