Zeitschrift für Sozialismus und Frieden 2/2004

Herausgeber: Verein zur Förderung demokratischer Publizistik (e.V.)

Spendenempfehlung: 2,50 E (wegen Überlänge)


Der Revisionismus

Redaktionsnotiz

 

M. Opperskalski: Kommunisten und Revisionismus

Es begann bereits bei Marx und Engels…

Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze

Revisionismus und Opportunismus werden INNERHALB DER SOZIALDEMOKRATIE dominant

Lenins Auseinandersetzungen mit revisionistischen und opportunistischen Auffassungen

Zur Entwicklung der internationalen kommunistischen Bewegung

Tendenzen zum Wiederaufbau der internationalen kommunistischen Bewegung

Die kommunistische Bewegung in Deutschland

Identität der Kommunisten

 

K. Gossweiler: Revisionismus – Totengräber des Sozialismus

Zur Entstehung des modernen Revisionismus und zu seiner Etablierung in der Sowjetunion unter Chruschtschow 1953-1964

1. Einige Bemerkungen zum Ursprung und zur Charakteristik des „modernen Revisionismus"

2. Wie Chruschtschow die Zerstörung der Sowjetmacht einleitete

3. .Ziele und Wirkungen des XX. Parteitages der KPdSU

4. Drei Schwerpunkte, mit denen sich die Revisionisten ihre Massenbasis verschafften und die Geschichtslüge, mit der sie die kommunistische Bewegung paralysierten

5. Einige Schlußbemerkungen

 

G. Hoffmann: Der Revisionismus als kleinbürgerliches Element im Marxismus

Vorbemerkung

Einleitung

1. Zur Ideologietheorie des Marxismus-Leninismus

1.1 Grundzüge der marxistisch-leninistischen Ideologietheorie

1.2 Marxismus und Revisionismus

1.3 Revisionismus oder Revisionisten?

1.4 Marxismus als ideologischer Klassenkampf

2. Revisionismuskritik in der DDR

2.1 Exkurs: Revisionismus in der politischen Ökonomie des Sozialismus

2.2 Ursachen des Revisionismus

3. Revisionismus heute

3.1 Kleinbürgertum und moderner Revisionismus

3.2 Lernen aus den „Fehlern" der Geschichte?

4. Ideologischer Klassenkampf in der DKP

4.1 Zur Dialektik von Klarheit und Einheit

4.2 .Theoretische Grundlage und Einheit der kommunistischen Partei

4.3 Ideologischer Klassenkampf in der DKP

4.4 ›Linke‹ und rechte Abweichung damals und heute

5. Zur DKP-Programmdiskussion

5.1 Zur Bedeutung eines kommunistischen Parteiprogramms

5.2 Die Situation in der DKP

5.3 .Probleme der programmatischen Orientierung und „Sozialismus-vorstellungen" der DKP


 

Redaktionsnotiz

Der Sozialismus in Europa war vom Kapital durch einen Sturm von außen nicht zu zerstören – das haben die Invasionskriege direkt nach der Oktoberrevolution und der Zweite Weltkrieg deutlich bewiesen. Ebenso hielt die Sowjetunion der atomaren Bedrohung durch USA und NATO stand. Erst die innere Aufweichung der führenden Partei, die Aufweichung ihrer Theorie und in deren Gefolge ihrer praktischen Politik nach innen und außen hat den Sozialismus sturmreif gemacht und schließlich zur Konterrevolution geführt, dieser „Menschheits-katastrophe", wie Kurt Gossweiler sie nennt.

Da wir der Ansicht sind, dass kommunistische Politik nicht möglich ist, ohne Konsequenzen aus dieser Erkenntnis zu ziehen – und da wir außerdem der Ansicht sind, dass die Erkenntnis über die Rolle des Revisionismus noch recht weit davon entfernt ist, „die Massen zu ergreifen", haben wir uns entschlossen, dem Revisionismus, dessen Kritik unsere politische Arbeit ja schon von Anfang an begleitet, nun ein Sonderheft zu widmen.

Wir haben drei Arbeiten zum Thema. In ihrem Zusammenklang ergibt sich ein umfassendes Bild des Revisionismus, über seine Ursachen, Grundlagen, Auswirkungen, über die theoretischen und historischen Auseinandersetzungen mit ihm und über aktuelle Entwicklungen – und damit nach unserer Meinung eine gute Handreichung für viele Genossinnen und Genossen, die sich mit diesen Problemen herumschlagen müssen.

 

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Redaktion Offensiv, Hannover


M. Opperskalski: Kommunisten und Revisionismus

„Am gefährlichsten sind in dieser Hinsicht Leute, die nicht verstehen wollen, dass der Kampf gegen den Imperialismus eine hohle, verlogene Phrase ist, wenn er nicht unlöslich verknüpft ist mit dem Kampf gegen den Opportunismus" W.I.Lenin

„Die Geschichte der Partei lehrt ferner, dass die Partei der Arbeiterklasse ohne unversöhnlichen Kampf gegen die Opportunisten in ihren eigenen Reihen, ohne Vernichtung der Kapitulanten in ihrer eigenen Mitte die Einheit und Disziplin ihrer Reihen nicht aufrechterhalten, ihre Rolle als Organisator und Führer der proletarischen Revolution, ihre Rolle als Erbauer einer neuen, der sozialistischen Gesellschaft nicht erfüllen kann."

Geschichte der KPdSU (Bolschewiki) – Kurzer Lehrgang

Der Sieg der Konterrevolution Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre, vor allem in der Sowjetunion, war die bisher schwerste und historisch bedeutendste Niederlage der kommunistischen und Arbeiterbewegung. Seither haben die Diskussionen unter Kommunisten, solchen Kräften, die sich noch als Kommunisten fühlen, den linken und demokratischen Kräften insgesamt, darüber, was denn die eigentlichen Ursachen für diese Niederlage waren, weder an Intensität, noch an Schärfte verloren. Es wird heftig um grundsätzliche Fragen gerungen, unterschiedliche theoretische Analysen prallen aufeinander, einige Parteien sind bereits im Verlaufe dieser Prozesse zerfallen (oder befinden sich im „im freien Fall"), in anderen haben bilden sich Strömungen oder Fraktionen (oder sind bereits entstanden), wieder andere verändern grundsätzlich ihren Charakter.

Die Auswirkung der auf Basis dieser Entwicklungen sich bildenden theoretische Analysen und Grundpositionen auf die Ausarbeitung aktueller, konkreter Politik lassen sich in der Regel recht schnell und direkt – bis in die so genannte „Tagespolitik" hinein - feststellen. Auch und gerade auf dieser Ebene wird dann ziemlich unmittelbar deutlich: es geht bei und in diesen Fragen um nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Existenz(berechtigung) einer Partei, ihrer Eigenständigkeit in theoretischer, programmatischer Hinsicht, die vor allem ja auch durch ihre Abgrenzung zu anderen politischen Formationen definiert wird.

Dabei ist der Marxismus-Leninismus in seiner wissenschaftlich-theoretischen Gesellschaftsanalyse, seiner Methodologie des revolutionären Handelns sowie in seiner Zielsetzung des Sozialismus/Kommunismus nicht nur eine einzigartige Wissenschaft und zugleich die Waffe des Proletariats im Kampf um die Macht als Voraussetzung einer grundlegenden, revolutionären Veränderung der Gesellschaft, seine Träger, die Kommunisten und ihre Partei, unterscheiden sich damit zudem nicht nur grundsätzlich von bürgerlichen Parteien bzw. deren bürgerlichen Gesellschaftsvorstellungen, sondern auch von den Anhängern anderer Sozialismusvorstellungen. Kurzum: es geht also gerade bei den Kommunisten derzeit – national wie international (!) – „ums Eingemachte"…

Und obwohl es also für die Kommunisten um die Perspektiven des Überlebens geht, scheint es nach wie vor die bei nahezu allen Beteiligten vorherrschende Position zu sein, den grundsätzlichen Charakter der Auseinandersetzungen, was logischer Weise die Unvereinbarkeit von unterschiedlichen Grundpositionen und Orientierungen mit einbezieht, zu leugnen, zu bemänteln, sich nicht einzugestehen oder zu verdrängen. Dies, obwohl die sich auf allen Gebieten verschärfende Barbarei der imperialistischen so genannten „Neuen Weltordnung" objektiv den Spielraum für die Leugnung oder Verschleierung aller antagonistischen Widersprüche, so auch derer, die im Zuge der Auseinandersetzung in revolutionären, kommunistischen Parteien oder Formationen inzwischen recht offen aufgebrochen sind, zunehmend und systematisch einengt.

Hierfür seien – stellvertretend – die aktuellen Auseinandersetzungen in der DKP, vor allem ihrer Programmdebatte, herausgegriffen. Es wird immer deutlicher, wie unvereinbar, ja unversöhnlich verschiedene Grundpositionen sind, die sich herausgeschält haben und immer klarer artikuliert wurden/werden.

Und trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb?) betonte der DKP-Vorsitzende Heinz Stehr in seinem Einleitungsreferat auf der Sitzung der Programmkommission der DKP am 25. Januar 2003: „Eine wesentliche Kontroverse ergibt sich aus der Fragestellung: 1. Sind wir alle der Meinung, dass alle bisher beteiligten Standpunkte von der Grundlage des Marxismus ausgehen oder nicht? Ich sehe es so, was die bisherige Diskussion in der Programmkommission anbelangt. Es ist kein Streit zwischen Marxisten und Revisionisten, wie es teilweise in Publikationen (Rotfuchs, offensiv usw.) dargestellt wird. Es ist ein Streit im ‚normalen’ Spannungsfeld der Meinungsvielfalt im Rahmen einer kommunistischen Partei (auch international so.(…)" Auf dieser Ebene trifft sich dann die DKP-Führung mit vielen jener Genossen (z.B. Hans Heinz Holz oder Patrik Köbele), die aktuell in der Programmdebatte in einigen wesentlichen Fragen andere politisch-ideologische Positionen einnehmen, die in vielen Zügen (vor allem hinsichtlich der Imperialismusanalyse, der Rolle des Staates, der Parteitheorie etc.) objektiv als unvereinbar mit den Positionen der DKP-Führung erscheinen. Hans Heinz Holz formuliert diese Übereinstimmung so: „In vielen Einzelfragen mag es und wird es unterschiedliche Vorstellungen bei Genossinnen und Genossen geben. Sie verdienen Beachtung und Respekt. (…) Der Ausdruck unserer politischen und weltanschaulichen Einheit ist das Programm, das sich die Partei gibt. Darum ist es richtig, dass um die Inhalte des Programms mit höchstem Ernst gerungen wird. (…) Wo Differenzen auftauchen, müssen diese in gegenseitiger Achtung und ohne Rechthaberei ausgetragen werden. (…) Es gibt keine Alternative zur Partei." An anderer Stelle wurde Genosse Holz in dieser Hinsicht jedoch noch deutlicher: „Unleugbar ist, dass unter Kommunisten heute konzeptionelle Differenzen bestehen, die auch in kontroversen Publikationen zutage treten. Nicht ideologische Abstempelungen und Verdammungsurteile schaffen diese Situation aus der Welt., sondern nur eine konsequente und solide theoretische Arbeit, die sich mit der Praxis des Klassenkampfes vermittelt. Damit muss die Einheit aller kommunistisch Denkenden das Ziel sein; Zersplitterung der Kommunisten nutzt nur der herrschenden Klasse. Eine polemische Kritik von ‚links’ schwächt den ohnehin schwierigen Konsolidierungsprozess der kommunistischen Partei, der DKP, die die Kerntruppe der ‚Linken’ in Deutschland bildet. Wie wir aus der Geschichte der Arbeiterbewegung wissen, haben antikommunistische Geheimdienste sich dies immer wieder zunutze gemacht."

Auf diese Weise wird jedoch die (notwendige) Auseinandersetzung um Grundpositionen der Kommunisten, um die Pfeiler des Marxismus-Leninismus, beliebig. Jeder solle als Marxist und Kommunist akzeptiert werden, solange er sich als solcher bezeichnet, fast völlig losgelöst von Positionen, die er oder sie vertritt, auch und gerade in Grundfragen. Wenn aber die Inhalte von Auseinandersetzungen beliebig werden, dann werden es in der Logik der Entwicklung auch ideologische Positionen und Ausrichtungen. So wird verständlich, warum sich Stehr und Holz letztlich in (nicht nur) einer entscheidenden Frage, die jedoch derzeit zu einer Kardinalfrage wird, einig sind: es geht angeblich bei den aktuellen Debatten und Auseinandersetzungen im wesentlichen nicht um eine Auseinandersetzung mit dem Revisionismus und seinen Vertretern innerhalb der kommunistischen Bewegung. Das ist in Konsequenz mehr als eine Unterschätzung des Revisionismus – trotz seiner Rolle als notwendige Voraussetzung für den Sieg der Konterrevolution in Ost-Europa (!) - , es bedeutet die Anerkenntnis der Berechtigung revisionistischer Positionen innerhalb der kommunistischen Bewegung…

Die (notwendige) Auseinandersetzung mit revisionistischen und opportunistischen Positionen in jeglicher Form ist jedoch so alt wie die revolutionäre Arbeiterbewegung. Und es ging letztlich – wenn natürlich auch unter ganz konkreten Bedingungen in spezifischen historischen Situationen - immer wieder um dieselben Grundfragen; damit sind die aktuellen Diskussionen (wie die wichtigsten ihrer Inhalte) weder neu, noch originell, lediglich in Form und Formulierung neu verpackt….

Es begann bereits bei Marx und Engels…

Bereits Karl Marx und Friedrich Engels grenzten den von ihnen entwickelten wissenschaftlichen Sozialismus von damals existierenden anderen Sozialismusvorstellungen - gewissermaßen Urväter des „demokratischen Sozialismus", revisionistischer und opportunistischer Vorstellungen - ab, indem sie im „Manifest der Kommunistischen Partei" als Grundvoraussetzungen für den Sozialismus u.a. beschrieben und festhielten, „dass der erste Schritt in der Arbeiterrevolution die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse, die Erkämpfung der Demokratie ist. Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staates, d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren." Zu den wichtigsten Aufgaben des proletarischen Staates zählen Marx und Engels im „Manifest": „Vermehrung der Nationalfabriken, Produktionsinstrumente, Urbarmachung und Verbesserung der Ländereien nach einem gemeinschaftlichen Plan."

Im Gegensatz zu ihren bürgerlichen und kleinbürgerlich-sozialistischen Kritikern, verstanden Marx und Engels den Staat nicht als ein quasi über den gesellschaftlichen Entwicklungen und Klassenkämpfen stehendes „Neutrum": „In Wirklichkeit ist der Staat nichts anderes als eine Maschine zur Unterdrückung einer Klasse durch eine andere, und zwar in der demokratischen Republik nicht minder als in der Monarchie." Dementsprechend deutlich beschreiben Marx und Engels die im „Manifest der Kommunistischen Partei" als Grundvoraussetzung für den Sozialismus formulierte politische Herrschaft des Proletariats: „Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andere. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats." Lenin definiert diese „Diktatur des Proletariats" folgendermaßen klar und nicht auslegbar: „Aber die Sache ist die, dass es eine Diktatur der Minderheit über die Mehrheit, einer Handvoll Polizisten über das Volk gibt und dass es eine Diktatur der gigantischen Mehrheit des Volkes über eine Handvoll von Gewalttätern, Räubern und Usurpatoren der Volksmacht gibt." „Es ist natürlich und unvermeidlich, dass uns in der ersten Zeit nach der proletarischen Revolution vor allem die Haupt- und Grundaufgabe beschäftigt - die Überwindung des Widerstandes der Bourgeoisie, der Sieg über die Ausbeuter, die Unterdrückung ihrer Verschwörung (...). Aber neben diese Aufgabe tritt ebenso unvermeidlich - je weiter, desto mehr - die wesentlichere Aufgabe des positiven kommunistischen Aufbaus, der Schaffung neuer ökonomischer Beziehungen, der Errichtung einer neuen Gesellschaft." Das bedeutet jedoch zugleich, dass das siegreiche Proletariat nicht einfach die alten, bürgerlichen Staatsinstitutionen übernehmen kann; es reicht in diesem Sinne nicht aus, diesen Institutionen lediglich neue Inhalte und Orientierungen „einzupflanzen"; so schreiben Marx und Engels im Vorwort zur deutschen Ausgabe des „Kommunistischen Manifest" in Bezugnahme auf die Erfahrungen der Pariser Kommune: „ Namentlich hat die Kommune den Beweis geliefert, dass die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und sie für ihre eigenen Zwecke in Bewegung setzen kann" Folgerichtig ist es die Aufgabe der proletarischen Revolution, „ (...) nicht mehr wie bisher die bürokratisch-militärische Maschinerie aus einer Hand in die andere zu übertragen, sondern sie zu zerbrechen, und dies ist die Vorbedingung jeder wirklichen Volksrevolution auf dem Kontinent", schreibt Karl Marx in einem seiner Briefe an Kugelmann aus dem Jahre 1871. „Die proletarische Revolution ist unmöglich ohne gewaltsame Zerstörung der bürgerlichen Staatsmaschine und ohne ihre Ersetzung durch eine neue."

Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze

Aus der marxistischen Kapitalismusanalyse ergibt sich als Konsequenz die Erkenntnis in die Unversöhnlichkeit des Klassengegensatzes zwischen Arbeit und Kapital, den antagonistischen Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Arbeiterklasse.

Die aus dieser Erkenntnis resultierende Feststellung lautet, dass dieser Gegensatz unüberbrückbar ist und nur durch die „Expropriation der Expropriateure" aufgehoben werden kann. Diese Aufgabe kann jedoch nur erfolgreich von der Arbeiterklasse - gewissermaßen als Totengräber der Bourgeoisie - vollstreckt werden, aber nur dann, so betonten Marx und Engels wiederholt, wenn diese sich die Erkenntnis der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze bewahrt und sich ihrer antagonistischen Stellung in Bezug auf die Bourgeoisie voll bewusst ist.

Gerade deswegen widmeten Marx und Engels viele ihrer Werke der Auseinandersetzung mit kleinbürgerlichen und bürgerlichen Verfälschungen und Verwässerungen des wissenschaftlichen Sozialismus, um so das Eindringen bürgerlicher oder kleinbürgerlicher Ideologie in die Arbeiterbewegung zu verhindern. Ein hervorragendes Beispiel für diese von Marx und Engels geführte ideologische Auseinandersetzung findet sich im „Zirkularbrief" an Bebel, Liebknecht und andere damalige Führer der deutschen Sozialdemokratie aus dem Jahre 1879: „Wenn solche Leute aus anderen Klassen sich der proletarischen Bewegung anschließen, so ist die erste Forderung, dass sie keine Reste von bürgerlichen, kleinbürgerlichen etc. Vorurteilen mitbringen, sondern sich die proletarische Anschauungsweise unumwunden aneignen. Jene Herren aber, wie nachgewiesen, stecken über und über voll bürgerlicher und kleinbürgerlicher Vorstellungen (...) Gerät aber solchen Leuten gar die Parteileitung mehr oder weniger in die Hand, so wird die Partei einfach entmannt, und mit dem proletarischen Schneid ist’s am End (...) Was uns betrifft können (wir) also unmöglich mit Leuten zusammengehen, die diesen Klassenkampf aus der Bewegung streichen wollen."

Gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts waren es vor allem Eduard Bernstein, Karl Höchberg und Karl August Schramm, die in der Sozialdemokratischen Partei jenen Flügel repräsentierten, der immer offener zur Revision grundlegender Auffassungen des wissenschaftlichen Sozialismus überging, immer einflussreicher und organisierter wurde. Im Zentrum des Angriffs dieser rechten sozialdemokratischer Führer standen Begriff wie Inhalt der marxistischen Auffassung vom Klassenkampf mit dem strategischen Ziel, Klassenkampf - der höchstens noch verbal und als „revolutionäres Lippenbekenntnis" anerkannt wurde - durch Klassenfrieden zu ersetzen. Mit den grundlegenden theoretischen Arbeiten von Eduard Bernstein „Der Kampf der Sozialdemokratie und die Revolution der Gesellschaft" (erschienen 1898) sowie „Die Vorraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie" (erschienen 1899) bekamen jene rechten sozialdemokratischen Führer faktisch ein theoretisches Gerüst, das auf Positionen ruhte, die grundlegende Auffassungen des von Marx und Engels begründeten wissenschaftlichen Sozialismus revidierten. In ihrem Kern richteten sich diese Arbeiten gegen die marxistische Revolutionstheorie mit ihren Auffassungen von der Rolle des Staates, dem Klassenantagonismus zwischen Proletariat und Bourgeoisie sowie der daraus resultierenden Notwendigkeit einer grundsätzlichen, revolutionären Veränderung der Gesellschaft. Als „Alternativen" entwickelt Bernstein hingegen die Theorie von der friedlichen Sozialreform, vom „Hineinwachsen in den Sozialismus", was immer dies im Bernsteinschen Sinne auch heißen mag, wenn er schreibt: „Die stetige Erweiterung des Umkreises der gesellschaftlichen Pflichten, d.h. der Pflichten der korrespondierenden Rechte des einzelnen gegen die Gesellschaft, und der Verpflichtungen der Gesellschaft gegen die einzelnen, der Ausdehnung des Aufsichtsrechts der in der Nation oder im Staat organisierten Gesellschaft über das Wirtschaftsleben, die Ausbildung der demokratischen Selbstverwaltung in Gemeinde, Kreis und Provinz und die Erweiterung der Aufgaben dieser Verbände - alles das heißt für mich Entwicklung zum Sozialismus oder, wenn man es will, stückweise Verwirklichung des Sozialismus. (...) Ich gestehe offen, ich habe für das, was man gemeinhin unter ‘Endziel des Sozialismus’ versteht, außerordentlich wenig Sinn und Interesse. Das Ziel, was immer es sei, ist mir gar nichts, die Bewegung alles." Noch deutlicher wird Bernstein in seiner Schrift „Voraussetzungen des Sozialismus" nur ein knappes Jahr später, in der sich seine Friedensliebe mit der Bourgeoisie sogar zur „Vaterlandsverteidigung" des Kolonialismus des deutschen Kaiserreiches steigert: „(...) die Sozialdemokratie bedroht nicht alle gleichmäßig und niemand als Person, und sie selbst schwärmt in keiner Weise für eine gewalttätige Revolution gegen die gesamte nichtproletarische Welt. (...) Die liberalen Einrichtungen der modernen Gesellschaft unterscheiden sich gerade darin von jenen (gemeint sind die Institutionen in der Periode des Feudalismus, d.Verf.), dass sie biegsam, wandlungs- und entwicklungsfähig sind. Sie brauchen nicht gesprengt, sie brauchen nur fortentwickelt werden.... (...) Sonst liegt wohl Grund vor, bei Erwerbung von Kolonien stets deren Wert und Aussichten streng zu prüfen und die Abfindung und Behandlung der Eingeborenen sowie die sonstige Verwaltung scharf zu kontrollieren, aber kein Grund, solchen Erwerb als etwas von vorneherein Verwerfliches zu betrachten. Ihre, durch das gegenwärtige Regierungssystem gebotene Stellung verbietet der Sozialdemokratie, in diesen Dingen eine andere als kritisierende Haltung einzunehmen (...). Es ist weder nötig, dass Besetzung tropischer Länder den Eingeborenen Schaden an ihrem Lebensgenus bringt, noch ist es selbst bisher durchgängig der Fall gewesen. Zudem kann nur ein bedingtes Recht der Wilden auf den von ihnen besetzten Boden anerkannt werden. Die höhere Kultur hat hier im äußersten Fall auch das höhere Recht..." Die Sozialdemokratie als willige Erfüllungsgehilfin der Bourgeoisie, die, um in die Position der Teilhabe an der „Macht" hineinzuwachen sogar deren imperialistische Kolonialpolitik unterstützt, das ist der Traum von Bernstein und seinen Anhängern...

Gegen diese Auffassungen polemisierten Marx und Engels in aller Schärfe: „Es sind die Repräsentanten des Kleinbürgertums, die sich anmelden, voll Angst, das Proletariat (...) möge ‘zu weit gehen’. Statt entschiedener politischer Opposition - allgemeine Vermittlung; statt des Kampfes gegen Regierung und Bourgeoisie - der Versuch, sie zu gewinnen und zu überreden; statt trotzigen Widerstands gegen Misshandlungen von oben - demütige Unterwerfung und das Zugeständnis, man habe die Strafe verdient. Alle historisch notwendigen Konflikte werden umgedeutet in Missverständnisse, und alle Diskussionen beendigt mit der Beteuerung, in der Hauptsache sind wir ja alle einig (...).

Ebenso geht’s mit dem Klassenkampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie. Auf dem Papier erkennt man ihn an, weil man ihn doch nicht wegleugnen kann, in der Praxis aber wird er vertuscht, verwaschen, abgeschwächt. Die sozialdemokratische Partei soll keine Arbeiterpartei sein, sie soll nicht den Hass der Bourgeoisie oder überhaupt irgend jemandes auf sich laden; sie soll vor allem unter der Bourgeoisie energische Propaganda machen; statt auf weitgehende, die Bourgeoisie abschreckende und doch in unserer Generation unerreichbare Ziele Gewicht zu legen, soll sie lieber ihre Kraft und Energie auf diejenigen kleinbürgerlichen Flickenreformen verwenden, die der alten Gesellschaftsordnung neue Stützen und dadurch die endliche Katastrophe vielleicht in einen allmählichen stückweisen und möglichst friedlichen Auflösungsprozess verwandeln können."

Höchst aktuell liest sich zudem und gerade in diesem Zusammenhang Rosa Luxemburgs Polemik gegen Bernsteins revisionistische Positionen, die vor allem auch Ausdruck der scharfen theoretischen Auseinandersetzungen ist, die innerhalb der deutschen Sozialdemokratie - verstärkt seit 1890 - um die Grundfragen sozialdemokratischer Strategie und Taktik, d.h. um Wesen und Inhalt des wissenschaftlichen Sozialismus, geführt wurden:

Sozialreform oder Revolution? Kann denn die Sozialdemokratie gegen die Sozialreform sein? Oder kann sie die soziale Revolution, die Umwälzung der bestehenden Ordnung, die ihr Endziel bildet, der Sozialreform entgegenstellen? Allerdings nicht. Für die Sozialdemokratie bildet der alltägliche praktische Kampf um soziale Reformen, um die Besserung der Lage des arbeitenden Volkes noch auf den Boden des Bestehenden, um die demokratischen Einrichtungen vielmehr den einzigen Weg, den proletarischen Klassenkampf zu leiten und auf das Endziel, auf die Ergreifung der politischen Macht und die Aufhebung des Lohnsystems hinzuarbeiten. Für die Sozialdemokratie besteht zwischen der Sozialreform und der sozialen Revolution ein unzertrennlicher Zusammenhang, indem ihr der Kampf um die Sozialreform das Mittel, die soziale Umwälzung aber der Zweck ist.

Eine Entgegenstellung dieser beiden Momente der Arbeiterbewegung finden wir erst in der Theorie von Ed. Bernstein (...). Diese ganze Theorie läuft praktisch auf nichts anderes als auf den Rat hinaus, die soziale Umwälzung, das Endziel der Sozialdemokratie, aufzugeben und die Sozialreform umgekehrt aus einem Mittel des Klassenkampfes zu seinem Zweck zu machen. Bernstein selbst hat am treffendsten und schärfsten seine Ansichten formuliert, indem er schrieb: ‘ Das Endziel, was immer es sei, ist nichts, die Bewegung alles.’

Da aber das sozialistische Endziel das einzige entscheidende Moment ist, das die sozialdemokratische Bewegung von der bürgerlichen Demokratie und dem bürgerlichen Radikalismus unterscheidet, das die ganze Arbeiterbewegung aus einer müßigen Flickarbeit zur Rettung der kapitalistischen Ordnung in einen Klassenkampf gegen diese Ordnung, um die Aufhebung dieser Ordnung, verwandelt, so ist die Frage ‘Sozialreform oder Revolution?’ im Bernsteinschen Sinne für die Sozialdemokratie zugleich die Frage: Sein oder Nichtsein? In der Auseinandersetzung mit Bernstein und seinen Anhängern handelt es sich in letzter Linie nicht um diese oder jene Kampfweise, nicht um diese oder jene Taktik, sondern um die ganze Existenz der sozialdemokratischen Bewegung.

Doppelt wichtig ist diese Erkenntnis für die Arbeiter, weil es sich gerade um sie und ihren Einfluss in der Bewegung handelt, weil es ihre eigene Haut ist, die hier zu Markte getragen wird. Die durch Bernstein theoretisch formulierte opportunistische Strömung in der Partei ist nichts anderes, als eine unbewusste Bestrebung, den zur Partei herübergekommenen kleinbürgerlichen Elementen die Oberhand zu sichern, in ihrem Geiste die Praxis und die Ziele der Partei umzumodeln. Die Frage von der Sozialreform und der Revolution, vom Endziel und der Bewegung, ist von anderer Seite die Frage vom kleinbürgerlichen oder proletarischen Charakter der Arbeiterbewegung."

Revisionismus und Opportunismus werden INNERHALB DER SOZIALDEMOKRATIE dominant

Nach Marx’ und Engels’ Tod wurden in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (wie in allen Parteien der II. <Sozialistischen/Sozialdemokratischen> Internationale) der Revisionismus - d.h. die Revidierung grundlegender Positionen des wissenschaftlichen Sozialismus - in der Theorie und der reformistische Opportunismus - d.h. eine praktische Politik der Reformen basierend auf einer Aussöhnung mit der Bourgeoisie - in der Praxis vorherrschend. Nur so ist auch zu verstehen, dass die Parteien der II.Internationale versagten, als es um die Rolle der Sozialdemokratie im ersten Weltkrieg 1914 ging. Anstatt diesen imperialistischen Krieg mit allen Mitteln des Klassenkampfes zu bekämpfen, unterstützten die Führer der Parteien der II.Internationale ihre jeweilige nationale Bourgeoisie in ihren Kriegsvorbereitungen und Kriegsanstrengungen; sie wurden damit objektiv zu Stützen des imperialistischen Krieges statt entschiedene Kämpfer gegen diesen zu sein. Somit ist es nicht falsch, eine „rote Linie" vom Aufkommen des Revisionismus unter Bernstein und seiner „Vaterlandsverteidigung" des Kolonialismus hin zur „Vaterlandsverteidigung" des imperialistischen I. Weltkrieges der rechten Führer der deutschen - wie internationalen - Sozialdemokratie zu ziehen. So heißt es, nur konsequent, in der Erklärung Hugo Haases zur Bewilligung der Kriegskredite durch die sozialdemokratischen Reichstagsfraktion am 4. August 1914: "Jetzt stehen wir vor der ehernen Tatsache des Krieges. Uns drohen die Schrecknisse feindlicher Invasionen. Nicht für oder gegen den Krieg haben wir heute zu entscheiden, sondern über die Frage der für die Verteidigung des Landes erforderlichen Mittel. (...) Unsere heißen Wünsche begleiten unsere zu den Fahnen gerufenen Brüder ohne Unterschied der Partei. (...) Da machen wir wahr, was wir immer betont haben: Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich." Wie eindeutig die rechte Führung der Sozialdemokratie zu einer Agentur der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiterbewegung - nicht nur in der Frage des imperialistischen Krieges, aber besonders in ihr! - verkommen war, zeigt auch die Tatsache, dass eben jene rechten Sozialdemokraten kriegsmüde Arbeiter mit sozialchauvinistischen Parolen in öffentlichen Veranstaltungen zur Unterstützung des imperialistischen Mordens aufriefen. Nichts kann deutlicher die Verbindungslinie aufzeigen, die vom Verrat an den Grundprinzipien des wissenschaftlichen Sozialismus, also vom Revisionismus und Opportunismus, hin zur offenen Kollaboration mit der Bourgeoisie führt, zur „Teilhabe an der Macht" bei der Unterdrückung der Arbeiterklasse, kolonialer Ausbeutung und der Führung imperialistischer Kriege, als folgende Ausschnitte aus einer Rede des SPD-Reichstagsfraktionsmitgliedes Wolfgang Heines: „Für den Frieden vertrauen wir zunächst auf die deutschen Waffen! Vertrauen wir auf die deutschen Feldherrn, auf das deutsche Volk, das da draußen Heldenhaftes leistet, das seinen Mut nicht wanken lässt, trotz der furchtbaren Mühen und Entbehrungen, das treu und fest unsere Grenzen schirmt und den Feind zurückwirft. Heute ist das Heer das Volk und das Volk das Heer! Vertrauen wir auch auf die Friedensliebe und den Friedenswillen des Kaisers. (...) Kein Sozialdemokrat denkt daran, sich anzubiedern bei hohen Herren. Stolz und frei stehen wir auch den deutschen Fürsten gegenüber wie Mann dem Manne, aber auch nicht mit dem kleinlichen Groll und der heimlichen Angst, die eine Knechtseele dem Herrn gegenüber empfindet. Auch die Fürsten tun mit Aufopferung und Hingabe ihre Schuldigkeit in der Verteidigung des Vaterlandes, auch ihre Kinder und Brüder fallen vor dem Feind, auch sie sind Glieder dieses deutschen Volkes, dessen Kraft und Treue sich jetzt so herrlich bewähren...."

Eine Minderheit innerhalb der Führung der deutschen Sozialdemokratie (Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Clara Zetkin) versuchte - zunächst nach wie vor innerhalb der Partei - , an den revolutionären Traditionen der deutschen Sozialdemokratie anknüpfend, die deutsche und internationale Arbeiterklasse im Klassenkampf gegen den imperialistischen Weltkrieg zu mobilisieren. Stellvertretend hierfür sei aus einem Flugblatt Karl Liebknechts („Der Hauptfeind steht im eigenen Land!") vom Mai 1915 zitiert: „Internationaler proletarischer Klassenkampf gegen internationale imperialistische Völkerzerfleischung heißt das sozialistische Gebot der Stunde.

Der Hauptfeind jedes Volkes steht im eigenen Land!

Der Hauptfeind des deutschen Volkes steht in Deutschland: der deutsche Imperialismus, die deutsche Kriegspartei, die deutsche Geheimdiplomatie. Diesen Feind im eigenen Land gilt’s für das deutsche Volk zu bekämpfen, zu bekämpfen im politischen Kampf, zusammenwirkend mit dem Proletariat der anderen Länder, dessen Kampf gegen seine heimischen Imperialisten geht.

Wir wissen und eins mit dem deutschen Volk - nichts gemein haben wir mit den deutschen Tirpitzen und Falkenhayns, mit der deutschen Regierung der politischen Unterdrückung, der sozialen Knechtung. Nichts für diese, alles für das deutsche Volks. Alles für das internationale Proletariat, um des deutschen Proletariats, um der getretenen Menschheit willen! (...)

Proletarier aller Länder, folgt dem heroischen Beispiel eurer italienischen Brüder! Vereinigt euch zum internationalen Klassenkampf gegen die Verschwörungen der Geheimdiplomatie, gegen den Imperialismus, gegen den Krieg, für einen Frieden im sozialistischen Geist.

Der Hauptfeind steht im eigenen Land!"

Zum offenen Bruch zwischen diesen Vertretern des marxistischen, linken Flügels der deutschen Sozialdemokratie und ihrer rechten, opportunistischen Führung musste es also zwangsläufig 1917/18/19 kommen, als es u.a. um die Einschätzung der Oktoberrevolution in Russland und die Rolle in der Novemberrevolution in Deutschland ging. Diese beiden historischen Wendepunkte für die Arbeiterbewegung mussten die bereits schon seit Jahren mit zunehmender Intensität geführten politischen und ideologischen Auseinandersetzungen zum offenen Ausbruch, zum objektiv notwendig gewordenen Schisma zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten, führen.

Während der revolutionären Nachkriegskrise (1919-1923) setzte der Imperialismus alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel ein, um die junge Sowjetmacht zu vernichten, die revolutionären Erhebungen der Arbeiterklasse in den imperialistischen Ländern und die antikolonialen Aufstände in Asien und Afrika zu ersticken. Dem ersten sozialistischen Staat gegenüber versuchte er seine Ziele zunächst vornehmlich mittels der militärischen Intervention, der Anheizung des Bürgerkrieges und der Diversion zu erreichen. In dem Maße jedoch, wie sich der erste Arbeiter-und-Bauern-Staat behauptete und zu einem wesentlichen Faktor in der Weltpolitik wurde, ging das internationale Monopolkapital mehr und mehr zu den Methoden der außenpolitischen Isolierung und des wirtschaftlichen Boykotts über. Mit militärischer Gewalt und brutalen Terrorakten, aber auch mit Hilfe sozialer und politischer Demagogie gelang es ihm, den revolutionären Aufschwung außerhalb Sowjetrusslands abzufangen, die revolutionäre Bewegung zeitweilig zurückzudrängen.

In dieser konterrevolutionären Strategie, mit der der Imperialismus auf die historische Niederlage antwortete, die er durch die Oktoberrevolution erlitten hatte, spielte die rechte Führung der internationalen Sozialdemokratie eine wichtige Rolle. Überall in der Welt ergriffen die Arbeiter leidenschaftlich für die russische Revolution Partei. Es schien so, als würden sie, angefeuert durch das Beispiel der Oktoberrevolution, die von rechtsopportunistischen und zentristischen Führern zwischen ihnen errichteten Schranken hinwegfegen und in einheitlicher, breiter Front den Sturm auf die imperialistischen Machtzentren beginnen.

Während sich die rechten Führer der Sozialdemokratie 1914 in den Dienst der Interessen ‘ihrer’ nationalen Bourgeoisie gestellt hatten, bemühten sie sich nun, in dieser für den Weltimperialismus äußerst kritischen Situation, den von der sozialistischen Revolution bedrohten Imperialismus im internationalen Maßstab zu retten. Sie ergriffen offen Partei für die Feinde Sowjetrusslands, beteiligten sich an der Niederwerfung der revolutionären Bewegungen in den imperialistischen Ländern und verteidigten, zumeist unter der demagogischen Losung, die ‘Demokratie’ vor der ‘kommunistischen Diktatur’ zu retten, die Machtgrundlagen des Kapitalismus. (...) Der ‘dritte Weg’ bestand in der Praxis darin, dass der Sozialreformismus den realen Sozialismus und die internationale Arbeiterbewegung ablehnte und wütend bekämpfte, das kapitalistische Gesellschaftssystem aber prinzipiell verteidigte und lediglich Kritik an einzelnen seiner Erscheinungsformen übte bzw. bestimmte Verbesserungen innerhalb dieses Systems mit dem Anspruch anstrebte, auf diesem Wege die klassenlose Gesellschaft zu schaffen. Das Konzept des ‘dritten Weges’ war somit eine dem Wesen nach bürgerliche Gesellschaftskonzeption, die fortan vom Sozialreformismus in der Arbeiterklasse propagiert wurde."

Diese Rolle der rechten Führung der Sozialdemokratie prägte die Gründungsgeschichte der jungen kommunistischen Bewegung: „Die kommunistische Bewegung entstand bekanntlich als Antwort auf die revisionistische Verfaulung der II. Internationale.

Wie jede junge revolutionäre Bewegung neigte sie eher zur Kinderkrankheit des Radikalismus als zur entgegengesetzten Krankheit des feigen Opportunismus.

An der Gründung der kommunistischen Bewegung waren Revolutionäre verschiedener Generationen beteiligt, mit unterschiedlichen Erfahrungen im Klassenkampf.

Die Generation der Älteren - Lenin, Clara Zetkin, Wilhelm Pieck u.a. - verfügte über den reicheren Erfahrungsschatz; sie hatte nicht nur die revisionistische Entartung der Sozialdemokratie, sondern auch deren heroische, revolutionäre Zeit erlebt; sie wusste aus eigener Kampferfahrung um die Stärken und Schwächen der verschiedenen Kampfformen und kannte die Gefahren einer einseitigen Festlegung auf eine einzige von ihnen.

Die Generation der Jüngeren - Stalin, Ernst Thälmann, Walter Ulbricht, Maurice Thorez, Palmiro Togliatti, Georgi Dimitroff, um nur die hervorragendsten von ihnen zu nennen -, war geprägt von zwei Grunderlebnissen: dem Verrat der Sozialdemokratie und deren Übergang auf die Seite des Imperialismus zum einen, vom Sieg der Oktoberrevolution zum anderen.

Die Grundlehren, die sich diesen kommunistischen Führern wie auch den einfachen Mitgliedern der jungen kommunistischen Parteien eingebrannt hatten, waren

erstens: Der Sieg der Oktoberrevolution hat bewiesen, dass auf der Tagesordnung der Menschheitsgeschichte der Sturz des Kapitalismus, die proletarische Revolution steht;

zweitens: die Rolle der Sozialdemokratischen Parteien und ihrer Führer hat 1914, 1917/18 bewiesen, dass die Sozialdemokratie zu einer konterrevolutionären Kraft, zu einer Agentur der Bourgeoisie in der Arbeiterbewegung geworden ist; und die Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung im Herbst 1923 infolge des Paktierens der Brandler-Thalheimer-Führung der KPD mit den linken Sozialdemokraten hat bewiesen, dass ein Paktieren mit der Sozialdemokratie, selbst mit ihrem linken Flügel, zur Niederlage führen muss;

drittens: Der Sieg über den Imperialismus kann nur errungen werden, wenn der Einfluss der Sozialdemokratie auf die Mehrheit der Arbeiterklasse gebrochen ist."

Um möglichen - gewollten oder ungewollten - Missverständnissen vorzubeugen, sei an dieser Stelle etwas näher darauf eingegangen, was Genosse Gossweiler unter „Paktieren mit der Sozialdemokratie" in seinem historischen Kontext versteht; dies bedeutet vor allem die strategische Unterscheidung zwischen prinzipienlosem Paktieren mit der Sozialdemokratie und revolutionärer Orientierung auf eine - entsprechend den historischen Bedingungen und Notwendigkeiten entwickelte - „Einheitsfrontpolitik".

In den Jahren 1922 und 1923 verschärfte sich die politische und ökonomische Krise des deutschen Kapitalismus bei dramatischer Zuspitzung der inneren Widersprüche in derartiger Schnelligkeit und Intensität, dass zum einen die Tendenzen der herrschenden Klasse, eine offen terroristische Diktatur einzurichten, wuchsen, zum anderen die revolutionäre Bewegung der deutschen Arbeiterklasse an Entschlossenheit zunahm. „Aus Furcht vor der herannahenden revolutionären Krise hatte die Stresemann-Regierung vor Frankreich kapituliert und ihre gesamte Aufmerksamkeit auf die Unterdrückung der revolutionären Bewegung gerichtet.

Für die Arbeiterklasse gab es nur zwei Wege: entweder Duldung der Stresemann-Politik, das heißt Widererstarken des deutschen Imperialismus - Not, Versklavung und Krieg, oder Kampf für die soziale und nationale Befreiung und Errichtung einer Arbeiter - und Bauernregierung, das heißt wirkliche Demokratie und Frieden.

In den Massen wuchs der Wille zum entscheidenden Kampf. Sie wollten nicht mehr in der bisherigen Weise leben. (...)

In dieser Situation forderten die klassenbewussten Arbeiter die Bewaffnung. Am 27. September erklärte Ebert (SPD-Reichskanzler, d.Verf.) den militärischen Ausnahmezustand, und die vollziehende Gewalt ging faktisch an Seeckt und seine Generäle über." Erneut hatte also die SPD-Führung - wie bereits 1918/19 - bewiesen, dass sie sich im Fall einer die Grundlagen des Systems erschütternden Krise auf Seiten der herrschenden Kreise der Bourgeoisie, selbst der reaktionärsten von ihnen, zu schlagen bereit ist, um gemeinsam mit ihnen eine revolutionäre Erhebung der Arbeiterklasse zu verhindert und, falls notwendig, blutig niederzuschlagen. Während sich auf der einen Seite die Kräfte der Reaktion - unter tatkräftiger Hilfe der SPD-Führung - formierten, um der Krise Herr zu werden, ergaben sich, insbesondere in Sachsen und Thüringen, für die Arbeiterklasse die Möglichkeiten, revolutionäre Gegenpositionen aufzubauen. „In Sachsen und Thüringen waren die objektiven Voraussetzungen vorhanden, um einen Brückenkopf für den siegreichen Kampf der Arbeiterklasse zu schaffen. In Sachsen waren mehr als ein Drittel aller proletarischen Hundertschaften (bewaffnete, revolutionäre Formationen der Arbeiterklasse, d.Verf.) konzentriert. Die sächsischen Arbeiter hatten durch ihr geschlossenes Auftreten der Bourgeoisie schon einige Zugeständnisse abgerungen. Die Regierung bestand aus Sozialdemokraten.

Die Sozialdemokraten übten im sächsischen Landtag ihren Verrat mit einer ganz besonderen Raffiniertheit aus. Die sächsische Regierung mit Zeigner an der Spitze erließ einige Gesetze zur Durchführung von Reformen, um die revolutionären Massen zu beruhigen und sie vom Kampf um die Macht abzulenken.

Die Arbeiter erzwangen jedoch durch ihren einheitlichen Kampf in Sachsen und Thüringen eine ‘Arbeiterregierung’, das heißt eine Koalition der ‘linken’ Sozialdemokratie und Kommunisten. Daraufhin wurde eine ähnliche Koalitionsregierung in Thüringen gebildet. Die revolutionären Massen erwarteten von den kommunistischen Ministern entschlossene Aktionen. Aber statt die richtige Politik der Kommunistischen Internationale in der Frage der Einheitsfrontpolitik durchzuführen, statt die Massen zum Kampf zu mobilisieren, Massendemonstrationen und Streiks zu organisieren, das Proletariat zu bewaffnen und die Bourgeoisie zu entwaffnen sowie die Kontrolle der Produktion zu übernehmen, praktizierten Brandler und seine Clique eine verräterische Politik. (....)

Die Mitglieder der Zentrale der KPD, die in die sächsische Regierung eintraten, verwandelten sich in bürgerliche Minister, die erklärten, ‘dass sie die Verantwortung ausschließlich vor dem Landtag und der Verfassung trage.’ "

Eine nüchterne, wissenschaftliche Analyse der Rolle und des Charakters der Sozialdemokratie berührt damit für die Kommunisten als Träger und Verteidiger des wissenschaftlichen Sozialismus strategische Grundfragen wie die Einschätzung der möglichen Bedingungen und Voraussetzungen für die Schaffung der „Einheitsfront der Arbeiterklasse", für „Einheitsfront-" und „Arbeiterregierungen", der Verbindung zwischen demokratischem und sozialistischem Kampf sowie der Frage von möglichen „Übergangsformen" zum Sozialismus. In Anknüpfung und sich stützend auf Lenin sowie die bisherigen Erfahrungen der revolutionären Arbeiterbewegung - insbesondere auch angesichts des sich ausbreitenden Faschismus - auswertend, formulierte der Bericht des Genossen Georgi Dimitroff auf dem VII. Weltkongress der „Kommunistischen Internationale" strategische Analysen dieser Grundfragen kommunistischer Politik; dabei spielten auch die Auswertung der bereits erwähnten „Arbeiterregierungen" in Thüringen und Sachsen eine wichtige Rolle:

„Wenn man uns fragt, ob wir Kommunisten nur im Kampf für die Teilforderungen auf dem Boden der Einheitsfront stehen oder ob wir auch bereit sind, die Verantwortung selbst dann zu teilen, wenn es sich um die Bildung einer Regierung auf dem Boden der Einheitsfront handelt, so werden wir in vollem Verantwortungsbewusstsein sagen: Jawohl, wir ziehen in Betracht, dass eine solche Lage eintreten kann, wo die Bildung einer Regierung der proletarischen Einheitsfront oder der antifaschistischen Volksfront nicht nur möglich, sondern im Interesse des Proletariats auch notwendig sein wird. In diesem Fall werden wir, ohne zu zögern, für die Bildung einer solchen Regierung eintreten. (...)

Das ist vor allem eine Regierung des Kampfes gegen Faschismus und Reaktion. Das muss eine Regierung sein, die infolge der Einheitsfrontbewegung entstanden ist und in keiner Weise die Tätigkeit der Kommunistischen Partei und der Massenorganisationen der Arbeiterklasse einschränkt, sondern im Gegenteil entschiedene Maßnahmen gegen die konterrevolutionären Finanzmagnaten und ihre faschistischen Agenten trifft.

Im geeigneten Moment wird die Kommunistische Partei des gegebenen Landes, gestützt auf die anschwellende Einheitsfrontbewegung, für die Bildung einer solchen Regierung auf der Basis einer bestimmten antifaschistischen Plattform eintreten.

Unter welchen objektiven Voraussetzungen wird die Bildung einer solchen Regierung möglich sein? Auf diese Frage kann man ganz allgemein antworten: unter den Voraussetzungen einer politischen Krise, wenn die herrschenden Klassen nicht mehr imstande sind, mit dem mächtigen Aufschwung der antifaschistischen Massenbewegung fertig zu werden. Doch ist das nur die allgemeine Perspektive, ohne die in der Praxis die Bildung einer Regierung der Einheitsfront kaum möglich sein wird. Nur das Vorhandensein bestimmter besonderer Voraussetzungen kann die Frage der Bildung einer solchen Regierung als politische Aufgabe auf die Tagesordnung setzen. Mir scheint, dass hierbei folgende Voraussetzungen die größte Aufmerksamkeit verdienen:

erstens, wenn der Staatsapparat der Bourgeoisie bereits genügend desorganisiert und lahm gelegt ist, so dass die Bourgeoisie nicht imstande ist, die Bildung einer Regierung des Kampfes gegen Reaktion und Faschismus zu verhindern;

zweitens, wenn die breitesten Massen der Werktätigen, besonders die Massengewerkschaften, stürmisch gegen Faschismus und Reaktion auftreten, aber noch nicht bereit sind, sich zum Aufstand zu erheben, um unter der Führung der Kommunistischen Partei für die Errichtung der Sowjetmacht zu kämpfen;

drittens, wenn die Differenzierung und Radikalisierung in den Reihen der Sozialdemokratie und der anderen Parteien, die an der Einheitsfront teilnehmen, bereits dazu geführt haben, dass ein bedeutender Teil derselben rücksichtslose Maßnahmen gegen die Faschisten und andere Reaktionäre fordert, mit den Kommunisten gegen den Faschismus kämpft und offen gegen den reaktionären, dem Kommunismus feindlichen Teil seiner eigenen Partei auftritt. (...)

Ihr erinnert Euch, Genossen, dass auf unserem IV. Kongress 1922 die Frage der Losung der Arbeiterregierung oder der Arbeiter-und-Bauern-Regierung erörtert wurde. Hierbei handelt es sich um eine Frage, die der von uns heute gestellten analog ist. Die Debatten, die damals in der Kommunistischen Internationale über diese Frage geführt, und insbesondere die politischen Fehler, die dabei begangen wurden, haben auch heute noch Bedeutung für die Verschärfung unserer Wachsamkeit gegenüber der Gefahr, in dieser Frage nach rechts oder ‘links’ von der bolschewistischen Linie abzuweichen. Aus diesem Grunde will ich kurz auf einige dieser Fehler hinweisen, um aus ihnen die für die heutige Politik unserer Parteien unerlässlichen Lehren zu ziehen.

Die erste Gruppe von Fehlern war gerade dadurch bedingt, dass die Frage der Arbeiterregierung nicht klar und fest damit verbunden wurde, ob eine politische Krise besteht oder nicht. Dadurch konnten die Rechtsopportunisten die Sache in dem Sinne auslegen, dass die Bildung einer von der Kommunistischen Partei unterstützten Arbeiterregierung in jeder beliebigen, sozusagen ‘normalen’ Situation anzustreben sei. Die Ultralinken dagegen anerkannten lediglich eine Arbeiterregierung, die ausschließlich durch den bewaffneten Aufstand, nach dem Sturz der Bourgeoisie geschaffen werden kann. Das eine wie das andere war falsch. Um die Wiederholung ähnlicher Fehler zu vermeiden, verleihen wir der genauen Beurteilung der besonderen konkreten Situation der politischen Krise und des Aufschwungs der Massenbewegung, unter denen die Bildung einer Regierung der Einheitsfront sich als möglich und politisch notwendig erweisen kann, eine so große Bedeutung.

Die zweite Gruppe von Fehlern war dadurch bedingt, dass die Frage der Arbeiterregierung nicht mit der Entwicklung der Massenbewegung der Einheitsfront des Proletariats verbunden wurde. Deshalb hatten die Rechtsopportunisten die Möglichkeit, die Frage zu entstellen, indem sie sie auf die prinzipienlose Taktik der Blockbildung mit den sozialdemokratischen Parteien auf der Basis rein parlamentarischer Kombinationen reduzierten. Die Ultralinken dagegen schrieen: ‘Keinerlei Koalitionen mit der gegenrevolutionären Sozialdemokratie!’ und betrachteten im Grunde alle Sozialdemokraten als Gegenrevolutionäre.

Das eine wie das andere war falsch, und wir unterstreichen jetzt einerseits, dass wir keineswegs eine ‘Arbeiterregierung’ wollen, die einfach eine erweiterte sozialdemokratische Regierung wäre. Wir ziehen es sogar vor, auf die Bezeichnung ‘Arbeiterregierung’ zu verzichten und von einer Regierung der Einheitsfront zu sprechen, die ihrem politischen Charakter ganz anderes, grundsätzlich anderes ist als alle sozialdemokratischen Regierungen, die sich gewöhnlich ‘Arbeiterregierungen’ zu nennen pflegen. Während die sozialdemokratische Regierung ein Werkzeug der klassenmäßigen Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie im Interesse der Erhaltung des kapitalistischen Systems darstellt, ist die Regierung der Einheitsfront ein Organ der Zusammenarbeit der revolutionären Vorhut des Proletariats mit anderen antifaschistischen Parteien im Interesse des gesamten werktätigen Volkes, eine Regierung des Kampfes gegen Faschismus und Reaktion. Es ist klar, dass dies zwei grundverschiedene Dinge sind.

Andererseits betonen wir, dass es notwendig ist, zwischen den zwei verschiedenen Lagern der Sozialdemokratie zu unterscheiden. Wie ich bereits sagte, existiert ein reaktionäres Lager der Sozialdemokratie, es existiert und wächst aber zugleich das Lager der linken Sozialdemokraten (ohne Anführungsstriche), der sich revolutionierenden Arbeiter. Der entscheidende Unterschied zwischen ihnen besteht praktisch in ihrer Einstellung zur Einheitsfront der Arbeiterklasse. Die reaktionären Sozialdemokraten sind gegen die Einheitsfront; sie verleumden die Einheitsfrontbewegung, sabotieren und zersetzen sie, denn sie durchkreuzt ihre Politik des Kompromisses mit der Bourgeoisie. Die linken Sozialdemokraten sind für die Einheitsfront, sie verteidigen, entwickeln und stärken die Einheitsfrontbewegung. Da diese Einheitsfrontbewegung eine Kampfbewegung gegen den Faschismus und die Reaktion ist, wird sie die ständige Triebkraft der Regierung der Einheitsfront gegen die reaktionäre Bourgeoisie sein. Je besser diese Massenbewegung von unten organisiert ist, je umfassender das Netz der außerparteilichen Klassenorgane der Einheitsfront in den Betrieben, unter den Erwerbslosen, in den Arbeitervierteln, unter den kleinen Leuten in Stadt und Land ist, um so größer werden die Garantien für eine eventuelle Entartung der Politik der Einheitsfrontregierung sein.

Die dritte Gruppe von falschen Ansichten, die in den früheren Debatten zum Ausdruck kamen, betraf die praktische Politik der ‘Arbeiterregierung’. Die Rechtsopportunisten waren der Ansicht, dass die ‘Arbeiterregierung’ sich an den ‘Rahmen der bürgerlichen Demokratie’ halten müsse und folglich keine Schritte unternehmen dürfe, die über diesen Rahmen hinausgehen. Die Ultralinken verzichteten dagegen faktisch auf jeden Versuch, eine Regierung der Einheitsfront zu schaffen.

Im Jahre 1923 konnte man in Sachsen und Thüringen ein anschauliches Bild von der rechtsopportunistischen ‘Arbeiterregierung’ erhalten. Der Eintritt der Kommunisten in die sächsische Regierung mit den linken Sozialdemokraten (Zeigner-Gruppe) war an und für sich kein Fehler. Im Gegenteil, dieser Schritt wurde durch die revolutionäre Situation in Deutschland vollauf gerechtfertigt. Aber die Kommunisten, die sich an der Regierung beteiligten, hätten ihre Position vor allem zur Bewaffnung des Proletariats ausnützen müssen. Sie haben nicht einmal eine einzige Wohnung der Reichen beschlagnahmt, obwohl die Wohnungsnot der Arbeiter so groß war, dass viele mit Frau und Kind kein Obdach hatten. Sie unternahmen auch nichts, um die revolutionäre Massenbewegung der Arbeiter zu organisieren. Überhaupt verhielten sie sich wie gewöhnliche parlamentarische Minister ‘im Rahmen der bürgerlichen Demokratie’. Das war bekanntlich das Ergebnis der opportunistischen Politik Brandlers und seiner Gesinnungsgenossen.

Das Endergebnis war ein solcher Bankrott, dass wir auch heute noch gezwungen sind, die sächsische Regierung als klassisches Beispiel dafür anzuführen, wie sich Revolutionäre in der Regierung nicht verhalten dürfen.

Genossen! Wir verlangen von jeder Einheitsfrontregierung eine ganz andere Politik. Wir verlangen von ihr, dass bestimmte, der Situation entsprechende revolutionäre Grundforderungen verwirklicht werden, so zum Beispiel Produktionskontrolle, Kontrolle über die Banken, Auflösung der Polizei, ihren Ersatz durch eine bewaffnete Arbeitermiliz usw. (...)

Vor fünfzehn Jahren hat uns Lenin aufgefordert, unsere ganze Aufmerksamkeit darauf zu konzentrieren, ‘Formen des Übergangs oder Herantretens an die proletarische Revolution ausfindig zu machen’. Möglicherweise wird die Einheitsfrontregierung in einer Reihe von Ländern sich als einer der wichtigsten Übergangsformen erweisen. Die ‘linken’ Doktrinäre haben stets diesen Hinweis Lenins umgangen. Als beschränkte Propagandisten haben sie immer nur vom ‘Ziel’ gesprochen, ohne sich um die ‘Übergangsformen’ zu kümmern. Die Rechtsopportunisten dagegen versuchen, ein besonderes ‘demokratischen Zwischenstadium’ zwischen der Diktatur des Proletariats zu konstruieren, um in der Arbeiterbewegung die Illusion eines friedlichen parlamentarischen Spaziergangs aus der einen Diktatur in die andere zu erwecken. Dieses fiktive ‘Zwischenstadium’ nannten sie gleichfalls ‘Übergangsform’ und beriefen sich sogar auf Lenin! Aber es war nicht schwer, diesen Schwindel aufzudecken: sprach doch Lenin von einer Form des Übergangs und des Herantretens an die ‘proletarische Revolution’, das heißt an den Sturz der Diktatur der Bourgeoisie, und nicht von irgendeiner Übergangsform zwischen der bürgerlichen und der proletarischen Diktatur. (...)

Darum fassen wir die Möglichkeit ins Auge, dass unter den Voraussetzungen der politischen Krise eine Regierung der antifaschistischen Einheitsfront gebildet wird. Sofern eine solche Regierung wirklich den Kampf gegen die Volksfeinde führt, der Arbeiterklasse und der Kommunistischen Partei Aktionsfreiheit einräumt, werden wir als Kommunisten sie in jeder Weise unterstützen und als Soldaten der Revolution in der vordersten Feuerlinie kämpfen. Wir sagen den Massen aber offen: Die endgültige Rettung kann diese Regierung nicht bringen. Sie ist nicht imstande, die Klassenherrschaft der Ausbeuter zu stürzen, und kann daher die Gefahr einer faschistischen Gegenrevolution nicht endgültig beseitigen. Folglich muss man sich auf die sozialistische Revolution vorbereiten! Die Rettung wird einzig und allein die Sowjetmacht bringen!"

Lenins Auseinandersetzungen mit revisionistischen und opportunistischen Auffassungen

In Anknüpfung an die von Marx und Engels geführte Auseinandersetzung mit revisionistischen und opportunistischen Auffassungen in der Arbeiterbewegung war es Lenin, der den Kampf gegen das Eindringen bürgerlicher und kleinbürgerlicher Positionen in die Arbeiterbewegung in Theorie und Praxis fortsetzte. Er charakterisierte die Vertreter der opportunistischen Richtung der Sozialdemokratie in aller Schärfe: „Der Opportunismus in den Spitzen der Arbeiterbewegung ist kein proletarischer, sondern ein bürgerlicher Sozialismus. Die Praxis hat bewiesen, dass die Politiker innerhalb der Arbeiterbewegung, die der opportunistischen Richtung angehören, bessere Verteidiger der Bourgeoisie sind als die Bourgeois selber. Hätten sie nicht die Führung der Arbeiter in der Hand, so könnte sich die Bourgeoisie nicht behaupten." Inhaltlich stehen diese Vertreter des Opportunismus für: „Zusammenarbeit der Klassen, Verzicht auf die Diktatur des Proletariats, Verzicht auf die revolutionäre Aktion, rücksichtslose Anerkennung der bürgerlichen Legalität, Misstrauen dem Proletariat, Vertrauen der Bourgeoisie gegenüber."

Der konsequente Kampf Lenins gegen jede Spielart bürgerlicher Ideologie in der von ihm geleiteten russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei macht es erklärlich, dass diese Partei in ihrer Mehrheit die einzige war, die während des ersten Weltkrieges kein Bündnis mit „ihrer" nationalen Bourgeoisie einging und die es daher verstand, in der durch den imperialistischen Krieg verursachten Situation 1917 die proletarische Revolution zum Sieg zu führen und sie später gegen Konterrevolution und imperialistische Intervention erfolgreich zu verteidigen. Damit wurden die Bolschewiki Lenins zu den konsequentesten Vertretern und Verteidigern des wissenschaftlichen Sozialismus. Die junge Sowjetmacht symbolisierte anschaulich den zur Praxis und zum Staat gewordenen wissenschaftlichen Sozialismus, den die rechten, aber auch zentristischen Führer der Sozialdemokratie in Konsequenz bekämpften: „(...) Hier erhebt sich nun die Frage: Ist das überhaupt Sozialismus und ist ein despotischer Sozialismus möglich, wenigstens in Russland? Diese Frage muss ich verneinen (....). Selbst das zugegeben, so folgt daraus, dass dem Bolschewismus der demokratische Sozialismus als Kampfparole entgegengestellt werden muss. (...) Wir haben die russische Entwicklung nicht nur dauernd aufmerksam zu verfolgen, sondern, soweit es unsere Kräfte gestatten, sie im Sinne des demokratischen Sozialismus zu beeinflussen." „Nicht theoretische Meinungsverschiedenheiten und Haarspaltereien, sondern die Realitäten der Diktatur mit ihren unentrinnbaren Konsequenzen bilden das große Hindernis, das jedes Zusammengehen zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten unmöglich macht.

Noch ist nicht abzusehen, wann und wie einmal dieses Hindernis fallen wird. Fällt es einmal, verzichten die Kommunisten auf die Diktatur, ob freiwillig oder gezwungen, dann hört die Scheidung zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten auf, eine Notwendigkeit zu sein. Dann ist die Wiedervereinigung von Sozialdemokraten und Kommunisten nur noch eine Frage der Zeit."

Den theoretischen Unterbau für die soeben zitierte Polemik hatte der Theoretiker der Sozialdemokratie, Karl Kautsky, bereits in seiner in Wien 1918 erschienenen Broschüre „Die Diktatur des Proletariats" geliefert. Die Polemiken, die in der Folgezeit zwischen Lenin und Kautsky über Grundfragen des wissenschaftlichen Sozialismus „ausgetauscht" wurden, machen zugleich ein Charakteristikum deutlich, das für die Sozialdemokratie vor allem in jener Periode noch galt, als sie sich noch selbst als „Arbeiterpartei" definierte und eine entsprechende soziale Zusammensetzung und Unterstützung sowie mehr oder weniger starke politische Programmatik aufzuweisen hatte: das Vorhandensein von drei Grundströmungen innerhalb der Sozialdemokratie: eines offen rechten Flügels, der, an Bernsteins politischen Positionen anknüpfend, offen alle Grundprinzipien des Marxismus verwirft, einen linken Flügel, der an den marxistischen Traditionen der Sozialdemokratie - mehr oder weniger konsequent - festhalten möchte und eine zentristische Strömung, deren Vertreter und Theoretiker zwischen den rechten und linken Polen der Sozialdemokratie hin- und herlavieren, Kompromisse schließen, heute einige marxistische Positionen verteidigen, diese morgen jedoch wieder relativieren oder ganz verwerfen, vor allem für den Zusammenhalt der Sozialdemokratie „um jeden Preis" kämpfen und sich, in ihrer Mehrheit jedenfalls, immer wieder an historischen Entscheidungspunkten für die Arbeiterbewegung in aller Konsequenz auf Seiten der offen rechten Führer der Sozialdemokratie und damit auf Seiten der Bourgeoisie (!) geschlagen haben. Welche objektive Rolle jene zentristische Strömung innerhalb der Sozialdemokratie hat, beschreibt ein sozialdemokratischer Autor unter dem Pseudonym „Molitor" bereits im April 1915 - also noch vor dem historischen Schisma der Arbeiterbewegung in Sozialdemokraten und Kommunisten! - in seltener und dankenswerter Offenheit in einem Strategieorgan der Bourgeoisie: „Ihr (der Sozialdemokratie) Charakter als Arbeiterpartei mit sozialistischen Idealen muss von ihr behütet werden, denn an dem Tage, an dem sie diesen Aufgeben würde, entstände eine neue Partei, die das verleugnete Programm in radikalerer Fassung zu dem ihrigen machen würde." „Molitor" warnt also - von der Kanzel eines Strategieorgans der Bourgeoisie (!) aus - die Führer der Sozialdemokratie davor, zu sehr „nach rechts abzudriften", zu offen die Positionen der Bourgeoisie zu vertreten, denn so verlören sie ihre soziale Basis und könnten ihrer objektiven Rolle als Bewahrers des Burgfriedens zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie nicht mehr gerecht werden. „(...) der Kampf gegen diese Strömungen ist Pflicht der Partei des Proletariats, die der Bourgeoisie die von ihr betörten Kleinproduzenten und die Millionen der in mehr oder weniger kleinbürgerliche Lebensverhältnisse versetzten Werktätigen entreißen muss."

„Umgekehrt" formuliert Karl Kautsky, einer der wichtigsten theoretischen Köpfe dieser zentristischen Strömung der Sozialdemokratie, in seiner bereits erwähnten Broschüre „Die Diktatur des Proletariats" den „Gegensatz der beiden sozialistischen Richtungen (gemeint ist zur damaligen Zeit der Gegensatz zwischen den rechten und zentristischen Führern der Sozialdemokratie einerseits und den den wissenschaftlichen Sozialismus verteidigenden Bolschewiki andererseits, d.Verf.)" und dies sei „der Gegensatz zweier grundverschiedener Methoden: der demokratischen und der diktatorischen." Er wirft den Bolschewiki die „Verachtung der Demokratie" vor, die - als bürgerliche - wichtige Errungenschaften, z.B. den Minderheitenschutz etc., aufzuweisen hätte.

Lenin entlarvt den antisozialistischen Charakter der Argumentation Kautskys in der ihm eigenen, zuspitzenden Polemik: „Man kann ohne Übertreibung sagen, dass das die wichtigste Frage des ganzen proletarischen Klassenkampf ist. (...) Die Frage der Diktatur des Proletariats ist die Frage nach dem Verhältnis des proletarischen Staates zum bürgerlichen Staat, der proletarischen Demokratie zur bürgerlichen Demokratie. (...)" „Um aus der liberalen und verlogenen Behauptung, die Kautsky aufgestellt hat, eine marxistische und wahre Behauptung zu machen, muss man sagen: Diktatur bedeutet nicht unbedingt die Aufhebung der Demokratie für die Klasse, die diese Diktatur über die anderen Klassen ausübt; sie bedeutet aber unbedingt die Aufhebung der Demokratie (oder ihre äußerst wesentliche Einschränkung, was auch eine Form der Aufhebung ist) für die Klasse, über welche oder gegen welche die Diktatur ausgeübt wird."„Die Diktatur ist eine sich unmittelbar auf Gewalt stützende Macht, die an keine Gesetze gebunden ist. Die revolutionäre Diktatur des Proletariats ist eine Macht, die erobert wurde und aufrechterhalten wird durch die Gewalt des Proletariats gegenüber der Bourgeoisie, eine Macht, die an keine Gesetze gebunden ist." „Die proletarische Revolution ist unmöglich ohne gewaltsame Zerstörung der bürgerlichen Staatsmaschinerie und ohne ihre Ersetzung durch eine neue, die nach den Worten von Engels ‘schon kein Staat im eigentlichen Sinne mehr ist’". „Darum wird auch der demokratische Staat, solange es Ausbeuter gibt, die über die ausgebeutete Mehrheit herrschen, unvermeidlich eine Demokratie für die Ausbeuter sein. Der Staat der Ausgebeuteten muss sich von einem solchen Staat von Grund auf unterscheiden, er muss eine Demokratie für die Ausgebeuteten und Unterdrückung für die Ausbeuter sein, die Unterdrückung einer Klasse bedeutet aber, dass diese Klasse nicht gleichberechtigt ist, dass sie aus der ‘Demokratie’ ausgeschaltet wird."

Eine weitere scharfe Trennungslinie zwischen den rechten Führern der Sozialdemokratie und den Anhängern des wissenschaftlichen Sozialismus bestand in der Einschätzung der Entwicklung des Kapitalismus seit Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Auf der Kapitalismusanalyse von Marx und Engels aufbauend, war es Lenin, der diese Entwicklung des Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Imperialismus herausarbeitete.: „Würde eine möglichst kurze Definition des Imperialismus verlangt, so müsste man sagen, dass der Imperialismus das monopolistische Stadium des Kapitalismus ist. (...) Doch sind allzu kurze Definitionen zwar bequem, denn sie fassen das wichtigste zusammen, aber dennoch unzulänglich, sobald sie aus ihnen speziell die wesentlichen Züge der zu definierenden Erscheinung abgeleitet werden sollen. Deshalb muss man (...) eine solche Definition des Imperialismus geben, die folgende fünf seiner grundlegenden Merkmale enthalten würde: 1. Konzentration der Produktion und des Kapitals, die eine so hohe Entwicklungsstufe erreicht hat, dass sie Monopole schafft, die im Wirtschaftsleben die entscheidende Rolle spielen; 2. Verschmelzung des Bankkapitals mit dem Industriekapital und Entstehung einer Finanzoligarchie auf der Basis dieses ‘Finanzkapitals; 3. Kapitalexport, zum Unterschied vom Warenexport, gewinnt besonders wichtige Bedeutung; 4. es bilden sich internationale monopolistische Kapitalistenverbände, die die Welt unter sich teilen, und 5. die territoriale Aufteilung der Erde unter die kapitalistischen Großmächte ist beendet. Der Imperialismus ist der Kapitalismus auf jener Entwicklungsstufe, wo die Herrschaft der Monopole und des Finanzkapitals sich herausgebildet, der Kapitalexport hervorragende Bedeutung gewonnen, die Aufteilung der Welt durch die internationalen Trusts begonnen hat und die Aufteilung des gesamten Territoriums der Erde durch die größten kapitalistischen Länder abgeschlossen ist." Damit ist Lenins Imperialismustheorie eine direkte Fortsetzung und Weiterentwicklung der von Karl Marx in seinem historischen, dreibändigen Werk „Das Kapital" entwickelten Kapitalismusanalyse unter den sich seit Ende des vergangenen Jahrhunderts vollzogenen ökonomischen Veränderungen des Kapitalismus. Die Konsequenzen des imperialistischen Stadiums des Kapitalismus liegen daher für Lenin auf der Hand. Eine Grundeigenschaft des Imperialismus ist seine Aggressivität, sind Annexion und Krieg, die ihre unmittelbare und allgemeine ökonomische Ursache im Streben der Monopole nach Absatzmärkten, Einflusssphären, Kapitalanlagemöglichkeiten, Rohstoffquellen etc. haben. Das bedeutet: der Imperialismus ist politisch Reaktion auf der ganzen Linie, das Streben nach Beseitigung bürgerlich-demokratischer Rechte und Freiheiten, insbesondere auch nach Unterdrückung der Arbeiterbewegung und ihrer Organisationen mit der Option, offen reaktionäre bis terroristische Herrschaftsformen zu errichten.

Ein weiterer grundlegender Aspekt des imperialistischen Stadiums des Kapitalismus ist die Tatsache der immer stärkeren Konzentration der Produktion und des Kapitals im Form der Entwicklung zum monopolistischen (und später staatsmonopolistischen) Kapitalismus. Gleichzeitig verschärft der Imperialismus jedoch alle Widersprüche im Kapitalismus: „Wie sehr der monopolistische Kapitalismus alle Widersprüche des Kapitalismus verschärft hat, ist allgemein bekannt. Es genügt, auf die Teuerung und auf den Druck der Kartelle hinzuweisen. Diese Verschärfung der Gegensätze ist die mächtigste Triebkraft der geschichtlichen Übergangsperiode, die mit dem endgültigen Sieg des internationalen Finanzkapitals ihren Anfang genommen hat.

Monopole, Oligarchie, das Streben nach Herrschaft statt nach Freiheit, die Ausbeutung einer immer größeren Zahl kleiner oder schwacher Nationen - all das erzeugte jene Merkmale des Imperialismus, die uns veranlassen, ihn als parasitären oder in Fäulnis begriffenen Kapitalismus kennzeichnen zu lassen." Dies alles schafft die objektiven Vorraussetzungen für den Übergang zum Sozialismus, mehr noch, sie machen ihn objektiv notwendig.

Zugleich schafft das imperialistische Stadium des Kapitalismus ökonomisch die Bedingungen für die Existenz und die Entwicklung der verschiedenen Spielarten des Opportunismus und Revisionismus (so auch des „demokratischen Sozialismus"!) innerhalb der Arbeiterbewegung: „Dadurch, dass die Kapitalisten eines Industriezweiges unter vielen anderen oder eines Landes unter vielen anderen usw. hohe Monopolprofite herausschlagen, bekommen sie die Möglichkeit, einzelne Schichten der Arbeiter, vorübergehend sogar eine ziemlich bedeutende Minderheit der Arbeiter zu bestechen und sie auf die Seite der Bourgeoisie des betreffenden Industriezweiges oder der betreffenden Nation gegen alle übrigen hinüberzuziehen. Diese Tendenz wird durch den verschärften Antagonismus zwischen den imperialistischen Nationen wegen der Aufteilung der Welt noch verschärft. So entsteht der Zusammenhang von Imperialismus und Opportunismus (...). Manche Schriftsteller (...) möchten sich über die Tatsache, dass Imperialismus und Opportunismus in der Arbeiterbewegung zusammenhängen - eine Tatsache, die jetzt ganz besonders in die Augen springt - gern hinwegsetzen, und zwar mit dem ‘amtlichen Optimismus’ (im Geiste Kautskys und Hhysmans’) von Betrachtungen folgender Art: Die Sache der Gegner des Kapitalismus wäre hoffnungslos, wenn gerade der fortgeschrittene Kapitalismus zur Verstärkung des Opportunismus führte oder wenn gerade die bestbezahlten Arbeiter zum Opportunismus neigten u. dgl. m. Man darf sich über die Bedeutung eines solchen ‘Optimismus’ nicht täuschen: es ist ein Optimismus hinsichtlich des Opportunismus, es ist ein Optimismus, der der Verhüllung des Opportunismus dient. In Wirklichkeit ist die besonders schnelle und besonders widerwärtige Entwicklung des Opportunismus keineswegs eine Garantie für seinen dauerhaften Sieg, wie auch die schnelle Entwicklung eines bösartigen Geschwürs, die Befreiung des Organismus von diesem beschleunigen kann. Am gefährlichsten sind in dieser Hinsicht Leute, die nicht verstehen wollen, dass der Kampf gegen den Imperialismus eine hohle, verlogene Phrase ist, wenn er nicht unlöslich verknüpft ist mit dem Kampf gegen den Opportunismus."

Aus seiner Analyse des Imperialismus heraus begründete Lenin die Notwendigkeit der „Partei neuen Typs", die einzig in der Lage ist, die Arbeiterklasse zum Sieg in der proletarischen Revolution zu führen. Die nach Lenin entscheidenden Charakteristika dieser „Partei neuen Typs" lassen sich wie folgt zusammenfassen:

    1. die kommunistische Partei ist als marxistisch-leninistische Avantgarde der Arbeiterklasse die führende Kraft im Kampf für die proletarische Revolution und bei der Leitung der „Diktatur des Proletariats", dem Aufbau des Sozialismus und Kommunismus. Dies kann (und unter bestimmten Bedingungen ‚muss‘) allerdings im festen Bündnis mit anderen sozialen Kräften und ihren politischen Organisationen geschehen;
    2. die kommunistische Partei orientiert sich als „Partei neuen Typs" im Leninschen Sinne am Marxismus-Leninismus , dem Demokratischen Zentralismus und dem Proletarischen Internationalismus. Dies schließt den permanenten ideologischen Kampf gegen alle Formen des ‚Links‘- und Rechtsopportunismus mit ein, was zum Beispiel auch bedeutet, dass sich die Partei zum einen zwar von anderen Sozialismusvorstellungen abgrenzt, jedoch im revolutionären, anti-imperialistischen Kampf Bündnisse mit Vertretern solcher Vorstellungen eingehen kann;
    3. c) die kommunistische Partei muss in der Lage sein, alle Kampfformen zu beherrschen, um das Proletariat zur siegreichen Revolution zu führen.

Lenins Imperialismustheorie wurde - in all ihren Konsequenzen - natürlich von den rechten und zentristischen Theoretikern der Sozialdemokratie abgelehnt. Karl Kautsky, einer ihrer bedeutendsten Theoretiker - definierte den Imperialismus wie folgt: „Der Imperialismus ist ein Produkt des hoch entwickelten industriellen Kapitalismus. Er besteht in dem Drange jeder industriellen kapitalistischen Nation, sich ein immer größeres agrarisches (von Kautsky hervorgehoben! d.Verf.) Gebiet zu unterwerfen und anzugliedern, ohne Rücksicht darauf, von welchen Nationen es bewohnt wird.") Mit dieser Imperialismus-Definition entkleidet Kautsky den Imperialismus seines ökonomischen Kerns und beschränkt ihn letztlich auf eine rein politische Bestrebung, eine Form der Politik der höher entwickelten kapitalistischen Staaten; zudem begrenzt er diese „Politik" auf die Expansionsbestrebungen in „agrarischen Gebieten". Das bedeutet jedoch konkret, zu leugnen, dass der Imperialismus ökonomisch die höchste Stufe des Kapitalismus, dass er von seiner ökonomischen Natur her prinzipiell aggressiv (nach innen wie außen!) ist und die Aufteilung der Welt vor allem nach ökonomischen - und nicht nach rein agrarischen! - Gesichtspunkten her plant und durchführt. Die rein politische und beschränkte Definition des Imperialismus durch Kautsky schließt somit logisch die Möglichkeit ein, auch eine andere, friedlichere Politik unter kapitalistischen Bedingungen durchführen, sozusagen „friedlich auf Expansion und Aggression verzichten zu können", da der Imperialismus - nach Kautsky - nur eine Möglichkeit der kapitalistischen Produktionsweise - und eben kein Charakteristikum der neuen Stufe des monopolistischen Kapitalismus! - sei. Mehr noch, auf Basis dieser Imperialismus-Definition entwickelte Kautsky die Theorie vom so genannten „Ultraimperialismus", dem er einen prinzipiell friedlichen Charakter bescheinigte, da sich der Kapitalismus in eine Richtung entwickeln könne, in der die immer stärker werdende Tendenzen zur Kartell- und Monopolbildung die Außenpolitik der imperialistischen Staaten im Sinne einer „heiligen Allianz der Imperialisten" bei der Internationalisierung der Märkte und Produktion bzw. deren immer stärker werdenden gegenseitigen Abhängigkeiten beeinflussen werde, in deren Konsequenz eine Absicherung des Friedens in einer immer noch kapitalistischen Welt folge. Diese angenommene, mögliche Friedensfähigkeit des Imperialismus hatte natürlich auch Konsequenzen für die politischen Strategien der rechten Führer der Sozialdemokratie.

Wir sehen also: die historischen Auseinandersetzungen um Kernfragen des Revisionismus sowie die Auseinandersetzung mit ihm hören sich – konzentriert man sich auf die Inhalte, nicht auf Formulierungen und Verpackungen - sehr aktuell an. Es ging eben immer wieder um mehr oder weniger die gleichen Fragen: Imperialismus/Kapitalismusanalyse, Staatsfrage, Revolutionstheorie, Rolle der Partei, Grundcharakteristika des Sozialismus etc.

Oberflächlich betrachtet scheinen jedoch die sehr scharf und emotional geführten Debatten um die mit der Person Stalins verbundene Periode der Geschichte der kommunistischen Weltbewegung aus dem Rahmen dieser Einordnung zu fallen. Doch auch bei diesen Diskussionen geht es in erster Linie um Fragen der Prinzipien des Marxismus-Leninismus und die Rolle sowie Funktion des Revisionismus bzw. revisionistischer Positionen innerhalb der kommunistischen Bewegung.

Damit kommen wir des Pudels Kern schon etwas näher: „Die Geister scheiden sich offensichtlich am XX. Parteitag des KPdSU, genauer genommen an der Einschätzung bestimmter Grundfrage der Geschichte der kommunistischen Bewegung. (...) Dann wird aber auch klar werden, dass die überwiegende Mehrheit der Mitglieder der DKP nicht bereit sein dürfte, sich auf den Weg zurück zu gewissen theoretischen, politischen und praktischen Positionen aus der Stalin-Zeit zu begeben. Wer diesen Weg gehen will, mag dies tun und dafür auch werben, die DKP wird diesen Weg nicht gehen, dessen bin ich sicher." Welche Sicht der Dinge sich die Mitglieder der DKP zum XX. Parteitag jedoch aneignen sollen, schreibt der PDS-Politiker Harald Neubert ebenfalls in der DKP-Parteizeitung UZ: „Um zum Schluss auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen, sei resümierend gesagt, dass es nicht die vom Parteitag bewirkte Wende, sondern die unzureichende, halbherzige Wende war, die den Keim in sich trug, dass es schließlich zum Zusammenbruch des realen Sozialismus kam." Ähnlich hatte dies bereits 1993 hatte dies die Geschichtskommission der DKP in einem Grundsatzpapier 1994 (!!) formuliert: „Immer wieder hören wir in der Diskussion die Ansicht, mit dem 20. Parteitag der KPdSU und dem damit verbundenen Bruch in der kommunistischen Politik habe der Niedergang der kommunistischen Weltbewegung begonnen. Wir halten dies für falsch. Unsere Kritik am 20. Parteitag ist entgegengesetzt. Wir kritisieren seine Inkonsequenz (...)." Wer so schreibt, der scheint tatsächlich der Auffassung zu sein, als hätte sozusagen eine „geschichtliche Vorverlegung" von Gorbatschows „Perestroika" und „Glasnost", die sich ja ganz offen als Fortsetzung und Vertiefung des mit dem XX. Parteitag der KPdSU eingeschlagenen Weges verstanden, den „Sozialismus retten können". Den Gifttod also mit Hilfe des Schluckens von Zyankali verhindern?

Wie auch immer, eines verschweigen uns all diese Autoren, die sich so heftig gegen eine intensive Ursachendiskussion über revisionistische Entwicklungen in der kommunistischen Weltbewegung wehren: den tatsächlichen „Bruch in der kommunistischen Politik", die die Beschlüsse des XX. Parteitages (in der Regel werden diese auf eine mehr oder weniger oberflächliche „Stalin-Diskussion" reduziert) bedeuteten: „Das bedeutendste Ereignis war, dass der XX. Parteitag die - in der damaligen historischen Situation - richtige Position verwarf, dass sich vor allem der Klassenkampf verschärfte. (...)

Theoretische Ansichten wurden kultiviert oder Optionen bevorzugt, die eine Abweichung von unserer Theorie, eine Verletzung ihrer grundlegenden Prinzipien bedeuteten. Die Kampffront gegen den Imperialismus und Revisionismus wurde geschwächt.

In einigen Fällen wurden falsche Theorien angenommen, die nichts mit den Realitäten zu tun hatten oder schlicht Fragen des Aufbaus des Sozialismus simplifizierten, so z.B. die Theorien, die einen raschen Übergang zum entwickelten Sozialismus und Kommunismus verlangten und so den komplexen und langfristigen Charakter der Übergangsperiode (siehe XX. Parteitag) unterschätzten, Theorien über den ‘Staat des gesamten Volkes’, der ‘Partei des gesamten Volkes’ und der ‘Demokratie des gesamten Volkes’.

Die vom XX. Parteitag beschlossenen Orientierungen auf ‘eine Vielzahl von Übergangsformen in verschiedenen Ländern unter bestimmten Bedingungen zum Sozialismus’ wurden von den Führungen Kommunistischer Parteien als theoretisches Fundament für eine Offensive gegen die wissenschaftliche Theorie des Sozialismus benutzt. Im Namen von nationalen Besonderheiten und Eigenheiten wurden die unveränderlichen Gesetzmäßigkeiten der sozialistischen Revolution einer Revision unterzogen. Sichtweisen wurden entwickelt, nach denen durch strukturelle Reformen und eine ‘Politik der Demokratie’ ein kapitalistisches System in ein sozialistisches transformiert werden könne, ohne dass ein revolutionärer Bruch notwendig sei." So jedenfalls sehen es die griechischen Kommunisten der KKE (die mit dieser Position, folgt man den Äußerungen, Argumenten und der Gedankenwelt der DKP-Führung, dann wohl in den Geruch des „Sektierertums", „Dogmatismus" und „Anti-Humanismus" kommen dürften....).

Zur Entwicklung der internationalen kommunistischen Bewegung

Krise und Niedergang der kommunistischen Weltbewegung sind eng verbunden mit der Rolle und Entwicklung des Revisionismus, der in den sozialistischen Ländern die Vorraussetzung für die Konterrevolution schuf und in den kommunistischen Parteien zur Zersetzung ihrer politischen wie ideologischen Basis führte.

In der Geschichte der kommunistischen Bewegung seit dem Bund der Kommunisten 1847 sind Spaltungen, Vereinigungen, Neugründungen von kommunistischen Parteien keine Seltenheit. Man kann darüber streiten, ob Spaltungen/Vereinigungen allgemeine Bewegungsformen in der geschichtlichen Entwicklung kommunistischer Parteien sind oder zu den Ausnahmen gehören. Die Klassenspaltung der kapitalistischen Gesellschaft sowie die ständigen Veränderungen der Struktur der Arbeiterklasse werden ideologisch und organisatorisch innerhalb der Partei reflektiert. Die Geschichte der kommunistischen Parteien ist auch eine Geschichte der Auseinandersetzungen als Form des theoretischen Klassenkampfes, die in vielen Fällen zu organisatorischen Spaltungen geführt haben – oder zu deren Zerstörung. Insofern sind organisatorische Fragen auch ideologische. (…)."

Das erste, bedeutende Anzeichen für eine existenzielle Krise und den damit verbundenen Niedergang der kommunistischen Weltbewegung war die Spaltung der internationalen kommunistischen Bewegung in zwei „Lager" nach dem XX. Parteitag der KPdSU, dessen Ergebnisse zur – wenn auch widersprüchlichen - Durchsetzung und Entwicklung des Revisionismus in den kommunistischen Parteien (fast aller) sozialistischer Länder sowie im mit diesen verbundenen „Lager" der kommunistischen Weltbewegung führte.

Die chinesischen Genossen waren nicht bereit, den Orientierungen des XX. Parteitages zu folgen und begannen in den Jahren danach mit einer öffentlichen, marxistisch-leninistischen Polemik gegen dessen Beschlüsse. Dieser Positionierung folgte nur eine Minderheit in der kommunistischen Weltbewegung, die dann schließlich zum Teil auch bereit war, sich offen auf Seiten der chinesischen Genossen zu stellen und einen – in welcher Form auch immer vollzogenen – organisatorischen Bruch mit dem „anderen Lager" zu vollziehen. Waren auf Seiten des von Peking geführten „Lagers" der kommunistischen Weltbewegung zu Beginn lediglich einige linkssektiererische „Zungenschläge" zu vernehmen, so verstärken sich diese in den Folgejahren und wurden mit der Herausbildung des Maoismus als ideologischer Konzeption zum dominierenden ideologisch-politischen Faktor dieses „Lagers". Schließlich waren die Maoisten sogar bereit, sich auf Basis inzwischen durchgesetzter theoretischer Konzeptionen wie „Sozialfaschismustheorie", „Drei-Welten-Theorie" etc. auf Seiten des US-Imperialismus in ihren Kampf gegen die „sowjetischen Sozialimperialisten" zu stellen, was die offene Unterstützung konterrevolutionärer Kräfte mit einschloss. Jeder mögliche Widerstand gegen diese Entwicklung wurde in der KP Chinas im Zuge der so genannten „Kulturrevolution" zerschlagen. Bis heute fehlt in der KP Chinas eine marxistisch-leninistische Analyse dieser Phase ihrer Entwicklung sowie ihre umfassende Aufarbeitung und im Gefolge dessen ist die chinesische Partei bisher nicht auf konsequent antirevisionistische, marxistisch-leninistische Positionen zurückgekehrt. Im Gegenteil, nach dem Abbruch der von Mao vertretenen ideologischen Konzeption des Maoismus ist eine Entwicklung klassisch revisionistischer Positionen in der KP Chinas zu beobachten.

Der Sieg der Konterrevolution in den sozialistischen Ländern Ost-Europas, besonders in der Sowjetunion, deren Vorraussetzung der Revisionismus war, verschärfte die Widersprüche in den kommunistischen Parteien weiter und/oder führte zur Zerstörung nicht weniger dieser Parteien. In anderen wurde der Revisionismus dominierend. Damit hatten sich die kommunistischen Parteien als Weltbewegung und auch als revolutionäre Herausforderung für den Imperialismus, zumal in Form des staatlich organisierten Sozialismus, verabschiedet.

Nach dem Sieg der Konterrevolution lassen sich folgende Entwicklungstendenzen der Parteien der kommunistischen Weltbewegung herausarbeiten:

    1. In vielen kommunistischen Parteien, vor allem denen der vormals sozialistischen Länder, vollende der Revisionismus seinen Entwicklungszyklus zur offenen Sozialdemokratisierung dieser Parteien. Andere Parteien zerfielen oder lösten sich kläglich auf. Dieses Bild wird auch nicht dadurch getrübt, dass es in manchen dieser sozialdemokratischen, nicht-marxistischen Formationen (wie etwa der bundesdeutschen PDS) nach wie vor Mitglieder gibt, die sich als Kommunisten verstehen oder zumindest antikapitalistische Sozialismusvorstellungen haben.
    2. Andere Parteien befinden sich noch auf dem revisionistischen Entwicklungsweg (diese Aussage gilt sicherlich auch für die bundesdeutsche DKP). Dabei ist jede Partei differenziert zu analysieren, um zu erkennen, in welchem Stadium der Entwicklung des Revisíonismus sie sich befindet. Allen gemeinsam ist jedoch, dass in ihnen revisionistische Positionen dominierend sind bzw. ihre Führungen mehrheitlich revisionistisch sind. In manchen, wie etwa der italienischen „Rifondazione", gibt es zudem konterrevolutionäre trotzkistische Positionen bzw. Fraktionen.
    3. Nur eine Minderheit von Parteien nehmen marxistisch-leninistische Grundpositionen ein oder befinden sich im – natürlich nicht widerspruchsfreien – Prozess der Durchsetzung des Marxismus-Leninismus. Als bedeutendste von diesen Parteien wären in Europa zum Beispiel die griechische KKE, die portugiesische PCP, die belgische PTB oder die schwedische KPML® zu nennen.
    4. Als unbedeutend, aber objektiv konterrevolutionär sind Versuche zu werten, Parteien auf Basis des „klassischen Maoismus" zu entwickeln bzw. zu reaktivieren. In diesem Zusammenhang gibt es sogar einzelne Bestrebungen, internationale Zusammenschlüsse zu organisieren. Zu diesen objektiv konterrevolutionären Kräften zählen zum Beispiel die bundesdeutsche MLPD oder die peruanische Organisation „Sendero Luminoso", die in ihrem Kampf gegen von ihr als Revisionisten gebrandmarkte Organisationen sogar zu Methoden des individuellen Terror greift oder gar, im CIA-Hauptquartier wird man gejubelt haben, Anfang der 90er Jahre auf die Botschaft der von ihnen als „Revisionisten" denunzierten kubanischen Genossen ein Bombenattentat organisierte.

Tendenzen zum Wiederaufbau der internationalen kommunistischen Bewegung

Die zwei interessantesten, konsistentesten und daher auch bedeutendsten Initiativen zum Wiederaufbau der internationalen kommunistischen Bewegung werden zur Zeit auf Initiative der griechischen Partei (KKE) bzw. der belgischen Genossen von der PTP im Rahmen von jährlich stattfindenden internationalen Seminaren organisiert.

Die Schwächen beider Initiativen sind jedoch in ihrem Charakter zu suchen. Zwar werden beide von marxistisch-leninistischen Parteien organisiert, die griechischen Genossen stützen sich bei ihren Seminaren im wesentlichen auf ihre ehemaligen Bruderparteien, auch offen revisionistischen (wie zum Beispiel die vom Revisionismus zerfressene so genannte „Französische Kommunistische Partei" <FKP> oder die faktisch nur im Internet existierende revisionistische „Schwedische Kommunistische Partei" <SKP>, während die tatsächlich marxistisch-leninistische Partei des Landes, die KPML® nicht eingeladen wird). Bei den Seminaren der belgischen Genossen der PTB sind sektiererische, in manchen Fällen gar objektiv konterrevolutionäre Kräfte überproportional vertreten, während bedeutende marxistisch-leninistische Parteien und/oder Organisationen bzw. Tendenzen nicht oder nicht mehr teilnehmen (Beispiel KKE).

Damit lassen sich die Schwächen bei allen existierenden Versuchen, die kommunistische Weltbewegung wieder zu beleben, wie folgt zusammenfassen:

 

1) Objektiv inkonsequente Teilnahmekriterien

Beide initiativ tätigen Parteien – die KKE wie auch die PTB – haben sich zum Ziel gesetzt, einen Beitrag zur Entwicklung und Einheit der kommunistischen Bewegung auf marxistisch-leninistischer Basis zu liefern. Beiden Parteien ist klar, dass es sich hierbei um einen langfristigen, nicht widerspruchsfrei verlaufenden Prozess handelt, bei dem es natürlich im Kern um die Überwindung aller Formen des Opportunismus (Rechts- wie Linksopportunismus) und Revisionismus innerhalb der kommunistischen Bewegung geht. Das entscheidende Element ist hierbei eine entsprechende Entwicklung der nationalen kommunistischen Parteien und Formationen. Internationale Initiativen können in dieser Hinsicht lediglich unterstützend wirken. Objektiv im Widerspruch zu diesen richtigen, ja für die kommunistische Bewegung entscheidenden Zielen ist jedoch der Charakter vieler Teilnehmer beider Initiativen. Welchen Sinn macht es in Athen, mit vom Revisionismus zerfressenen Parteien wie der FKP oder sogar solchen, deren Führungen objektiv mit dem US-Imperialismus zusammenarbeiten, über die Einheit oder Grundfragen der kommunistischen Bewegung zu diskutieren? Welche Perspektiven können in Belgien entwickelt werden, wo wichtige marxistisch-leninistische Parteien oder Formationen fehlen und sektiererische Kräfte überproportional vertreten sind?

Von daher ist es verständlich, dass es faktisch keinerlei Koordination zwischen beiden Initiativen gibt und dass es bisher nicht gelungen ist, verbindliche, übergreifende Grundkriterien für die Einheit der kommunistischen Bewegung zu entwickeln.

 

2) Keine gemeinsame wissenschaftliche Forschung

Aus dem bisher Gesagten ergibt sich fast zwangsläufig, dass es keine kontinuierliche marxistisch-leninistische, wissenschaftliche Forschung – zumindest auf regionaler, geschweige denn internationaler Ebene – gibt, die der kommunistischen Bewegung in politisch-strategischer wie auch ideologischer Hinsicht Analysen, Studien, Ausarbeitungen, Diskussionsbeiträge etc. an die Hand gibt, um die Kommunisten für den international sich verschärfenden Klassenkampf zu wappnen und sich gleichzeitig mit den verschiedenen Formen und Theorien revisionistischer Aufweichung auseinanderzusetzen. Vorraussetzung hierfür wäre allerdings auch die gemeinsam getragene Erkenntnis, dass es mit dem Revisionismus vom marxistisch-leninistischen Standpunkt aus keinerlei „Burgfrieden" geben kann und darf. Es handelt sich bei der überlebensnotwendigen Auseinandersetzung mit dem Revisionismus eben nicht um „Diskussionen unter Kommunisten"…

 

3) Kein gemeinsames Handeln

Somit ist es natürlich auch verständlich, dass von den bisher existierenden Initiativen zur Wiederbelebung und Einheit der internationalen kommunistischen keine nennenswerten Initiativen zu – wenn auch nur punktuell konzentriert – gemeinsamen Handeln der internationalen kommunistischen Bewegung ausgehen.

Initiativen, die sich die Wiederbelebung und Einheit der kommunistischen Bewegung zum Ziel gesetzt haben, werden nur dann in der Lage sein, stärkere Impulse in diese Richtung auszustrahlen, wenn sich der entscheidende Kern der an solchen Initiativen teilnehmenden und/oder sie tragenden Parteien, Formationen und Initiativen auf folgende Grundprinzipien verständigt haben, die keinerlei Raum für ideologische und politische Kompromisse liefern:

    1. Anerkennung der Grundpositionen des Marxismus-Leninismus (Leninsche Imperialismustheorie, Staatsauffassung, Revolutionstheorie, Parteitheorie etc.);
    2. Anerkennung der historischen Rolle der sozialistischen Länder, insbesondere der Sowjetunion sowie deren unverzichtbaren Erbes für die internationale kommunistische Bewegung. Dies schließt jegliche rechts- wie rechtsopportunistische Positionierung in dieser Frage aus;
    3. Anerkennung des Revisionismus als Vorraussetzung für die (anhaltende) Spaltung sowie Schwächung der internationalen kommunistischen Bewegung und den Sieg der Konterrevolution in den sozialistischen Ländern, insbesondere der Sowjetunion.

Wollen die Kommunisten wieder in die Lage kommen, gerade auch angesichts der sich dramatisch entwickelnden „Neuen Weltordnung" des Imperialismus, Initiativen im revolutionären Kampf zu ergreifen, dann ist die Anerkenntnis der oben skizzierten Grundpositionen als erster Schritt zur Bolschewisierung der kommunistischen Bewegung unerlässlich . Nur auf dieser Basis wird es auch möglich sein, auf internationaler Ebene eine breite, demokratische, anti-imperialistische Front aufzubauen, die tatsächlich in der Lage ist, der eskalierenden Barbarei des Imperialismus eine internationale militante Friedensbewegung sowie Bewegung der Völker zur Befreiung entgegenzusetzen.

Die kommunistische Bewegung in Deutschland

Die deutschen Kommunisten sind in einer Sondersituation. Sie hatten bereits einen Teil Deutschlands, die spätere DDR, nach dem Sieg der Anti-Hitler-Koalition über den Nazi-Faschismus den Klauen des deutschen Imperialismus entrissen und den ersten Arbeiter-und-Bauern-Staat auf deutschem Boden errichtet. Nach der konterrevolutionären Zerschlagung der DDR bedeutet es daher für die kommunistische Bewegung in der Bundesrepublik, eine „neue Legierung" aus dem Erfahrungsschatz von Genossinnen und Genossen zu schmieden, die, sofern sie aus der DDR kommen, die Erfahrung der Machtausübung mitbringen oder, sofern sie aus der (alten) BRD stammen, Erfahrungen im Klassenkampf gegen eine der erfahrensten imperialistischen Bourgeoisien gesammelt haben. Damit wird jedoch die Stellung zur DDR als größter Errungenschaft der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung zum „Prüfstein" für jeden deutschen Kommunisten!

Es gibt in der BRD eine Reihe von Parteien und Organisationen mit kommunistischem Anspruch. Sie alle haben ihre eigene Tradition, ihren eigenen Erfahrungshorizont und Entwicklungsgeschichte. Gemeinsam ist ihnen jedoch ihre mangelnde oder faktisch nicht vorhandene Verankerung in der Arbeiterklasse.

Die kommunistische Bewegung in Deutschland leidet unter einer „doppelten Hypothek": der Dominanz rechtsopportunistischer und revisionistischer Positionen sowie auch als Konsequenz hieraus der Zersplitterung und anhaltenden Schwäche, was bedeutet, dass es derzeit in Deutschland KEINE einheitliche, marxistisch-leninistische Kommunistische Partei gibt. Ihre Schaffung wird ohne Entlarvung und Zurückdrängung des Revisionismus nicht gelingen und ist daher ein längerfristiger Prozess, der nur erfolgreich sein kann, wenn sich die Marxisten-Leninisten mit oder ohne Parteibuch folgender Herausforderungen bewusst werden:

Zur Einheit der Kommunisten

Die Einheit der kommunistischen Bewegung in Deutschland kann weder auf der Basis politisch-ideologischer Beliebigkeit geschehen, noch auf die Aktionseinheit im gemeinsamen praktischen Handeln beschränkt bleiben. Grundvoraussetzung für eine tatsächliche Einheit der Kommunisten, die als Ziel die Schaffung einer gemeinsamen Partei haben muss, ist die Klärung politisch-ideologischer Grundfragen der kommunistischen Bewegung, was einher gehen muss mit dem Ausscheiden revisionistischer Positionen (aktuell: jeglicher Form der „Neoliberalismus-Theorie" oder der Anschauungen vom „kollektiven Imperialismus"). Die zum Teil heftig geführten Diskussionen – nicht nur in der DKP! – sind ein Beleg dafür. Wer z. B. die sich zuspitzenden Auseinandersetzungen in der DKP um Grundfragen aufmerksam beobachtet, wird unschwer feststellen, dass es sich dabei um einen Spiegel für alle Grundprobleme der kommunistischen Bewegung in Deutschland handelt…

Das bedeutet jedoch zugleich, dass die Erkenntnis in die Notwendigkeit der Abwehr und schließlichen Überwindung des Revisionismus die Vorraussetzung – nicht nur in Deutschland (!)- für die Einheit der Kommunisten ist, sondern auch für ihr „Überleben in organisierter Form"!

Zu einer Klärung politisch-ideologischer Grundfragen (ohne revolutionäre Theorie keine revolutionäre Praxis!) wird es jedoch nur kommen, wenn es den nicht organisierten oder in unterschiedlichen Formationen organisierten Marxisten-Leninisten gelingt, zu einer verstärkten und schließlich auch – in welcher Form auch immer – organisierten Zusammenarbeit zu kommen, auf deren Basis sie in der Lage sind, im koordinierten Eingreifen in die Klassenkämpfe neue, junge Mitstreiter, insbesondere aus der Arbeiterklasse, zu gewinnen und in den verschärfenden Auseinandersetzungen mit dem Revisionismus und seinen Vertretern in die Offensive zu kommen;

Zum Aufbau einer demokratischen, anti-imperialistischen Volksfront als langfristiges strategisches Ziel

Die sich verschärfende Krise des imperialistischen Systems sowie die sich zuspitzende innere wie äußere Aggression des Imperialismus bieten neue Chancen, ausbrechenden Widerstand zu organisieren und zu politisieren, die Erkenntnis in den verbrecherischen Charakter des Imperialismus zu vertiefen. Mit anderen Worten: alle bisher existierenden und sich entwickelnden demokratischen Bewegungen und Kämpfe der Arbeiterklasse müssen auf ein wesentlich höheres politisches und organisatorisches Niveau gehoben werden, um sie überhaupt erst für eine Option der strategischen Politisierung öffnen zu können.

Für die deutschen Kommunisten sind dabei der BRD-Imperialismus, die eigene imperialistische Bourgeoisie und deren politische Helfershelfer, der Hauptfeind, gegen den sich alle Kämpfe richten müssen, was keine Unterschätzung oder gar Abschwächung des Kampfes gegen den US-Imperialismus als gegenwärtigem imperialistischen Hegemon bedeutet, sondern einander bedingt.

Die Aufgabe der Kommunisten ist dabei vor allem auch die Bündelung möglichst breiter demokratischer, anti-imperialistischer Kräfte und ihrer Widerstandskämpfe in einer langfristig und strategisch anzustrebenden demokratischen, anti-imperialistischen Volksfront als Vorraussetzung zur Schaffung der Bedingungen für eine sozialistische Revolution. Der Arbeiterklasse und ihrer politischen Avantgarde, der Kommunistischen Partei, kommt dabei eine Vorreiterrolle und Führungsrolle zu.

Die Einheit der Kommunisten auf marxistisch-leninistischer Basis und der Aufbau einer demokratischen, anti-imperialistischen Volksfront bedingen einander. Anders und zugespitzt formuliert: die Bolschewisierung der kommunistischen Bewegung ist der einzige Weg für die Kommunisten, wieder Einfluss in den Klassenauseinandersetzungen, insbesondere in der Arbeiterklasse, zu gewinnen und eine Avantgarderolle beim Aufbau einer demokratischen, anti-imperialistischen Volksfront zu spielen, mehr noch, überhaupt erst das Bewusstsein in die Notwendigkeit einer solchen breiten Front des Volkes gegen den eigenen Imperialismus zu schaffen!

Identität der Kommunisten

Ich glaube, mit diesem etwas umfangreicheren Ausführungen wurde deutlich, dass – ob in den Fragen Krieg und Frieden, der Rolle des Staates, der Imperialismusanalyse, der Revolutionstheorie und –praxis etc. – die Identität der Kommunisten unmittelbar mit dem Kampf gegen Revisionismus und jegliche Formen des Opportunismus in der Arbeiterbewegung (wie auch in den eigenen Reihen) verbunden ist. Ja, die Gründung der Kommunistischen Parteien als eigenständige revolutionäre Formation der Arbeiterbewegung wäre ohne diese permanente Auseinandersetzung überhaupt nicht erklärlich (und historisch notwendig gewesen). Anders formuliert: ohne diese Auseinandersetzung, verknüpft mit der Verteidigung der Grundprinzipien des Marxismus-Leninismus, ist die Existenz von kommunistischen Parteien objektiv überflüssig, ihre Existenzberechtigung stirbt förmlich ab...

Michael Opperskalski, Köln


 

K. Gossweiler: Revisionismus – Totengräber des Sozialismus

(Vorbemerkung der Redaktion: Bei dem Beitrag von Kurt Gossweiler handelt es sich um seinen Vortrag bei der von uns organisierten gemeinsamen Lesung mit ihm und Harpal Brar, gehalten in Berlin im Sommer 2002, für eine Veranstaltung in Österreich nochmals durchgesehen und leicht überarbeitet; d. Red.)

Zur Entstehung des modernen Revisionismus und zu seiner Etablierung in der Sowjetunion unter Chruschtschow 1953-1964

Es ist für mich eine große Freude, diese Veranstaltung gemeinsam mit dem Genossen Harpal Brar bestreiten zu dürfen, den ich vor neun Jahren in Brüssel beim alljährlichen Mai-Seminar der Partei der Arbeit Belgiens zum ersten Mal erleben durfte.

Dass wir heute gemeinsam hier auftreten können, dafür sind wir alle hier der Zeitschrift „Offensiv" und ihren unermüdlichen Herausgebern, Frank und Anna, Dank schuldig.

Danken möchte ich aber auch den Zeitschriften, die ebenfalls bereit waren, Einladungs-Anzeigen zu dieser Veranstaltung abzudrucken, also der „Jungen Welt", der „Roten Fahne" der KPD und der „UZ" der DKP.

Das gemeinsame Thema beider heutiger Referenten lautet: Der Revisionismus – Totengräber des Sozialismus.

Diese Feststellung wird durch jedes der beiden heute vorzustellenden, aber vollständig unabhängig voneinander entstandenen Bücher belegt.

Dass sie dennoch zu genau den gleichen Ergebnissen gelangt sind, bestätigt die Richtigkeit eines früher, als die kommunistischen Weltbewegung noch fest auf dem Fundament des Marxismus-Leninismus stand, unter Kommunisten geläufigen Wortes, das besagte: Wo auch immer Kommunisten leben – ob in Berlin, New York, Moskau oder Peking – sie werden zu allen entscheidenden Fragen des Klassenkampfes unabhängig voneinander überall die gleiche Position einnehmen.

Dabei waren unsere Ausgangspunkte schon allein durch den Altersunterschied bedingt ganz unterschiedlich. Mich als damals fast Vierzigjährigen haben schon die ersten drei Jahre Chruschtschow an der Macht zu der Überzeugung gebracht, die ich in meinem politischen Tagebuch am 19. Januar 1957 mit den Worten niedergeschrieben habe: „Kein Zweifel, an der Spitze der Partei Lenins und Stalins steht zur Zeit ein Feind, ein Vertrauensmann der imperialistischen Geheimdienste, allen voran des us-amerikanischen, ein Komplize des seit langem zum Agenten des Secret Service und des CIA gewordenen Tito." (Taubenfußchronik. S.209)

Auch unser Herangehen an die Analyse ist geprägt durch unsere jeweilige Spezialisierung: Genosse Brar als Ökonom hat das Hauptgewicht auf die Analyse der Wirtschaftspolitik Gorbatschows und – im Rückblick – Chruschtschows gelegt.

Mein Hauptuntersuchungsfeld war dagegen die innere und äußere Politik Chruschtschows, die Politik gegenüber der Geschichte der eigenen Partei, die Politik gegenüber den Bruderparteien und sozialistischen Bruderländern – besonders gegenüber der DDR-, die Politik gegenüber dem Imperialismus. Die Wirtschaftspolitik blieb natürlich nicht unbeachtet, ihren Schädlingscharakter habe ich, wo ich ihn erkannte, - z. B. bei der Auflösung der MTS, bei der Neulandaktion - , aufgedeckt, aber für eine so genaue Analyse der „Wirtschaftsreformen" unter Chruschtschow und Breshnew, wie sie Genosse Brar durchführte, fehlten mir sowohl die notwendigen politökonomischen Kenntnisse als auch die nötige Materialkenntnis.

Aber wo man die Politik der Revisionisten auch packt: man kommt immer zum gleichen Ergebnis: der Revisionismus zielt auf die Restauration des Kapitalismus, und wo ihm nicht das Handwerk gelegt wird, da wird er zum Totengräber des Sozialismus und - das muss mit Nachdruck ergänzt werden: auch der kommunistischen Bewegung.

Insofern ergänzen sich beide Bücher – ich möchte sagen: in glücklicher Weise – sowohl von der Chronologie her als auch von der Betrachtungsweise her.

Und auch von der Zielsetzung her!

Im letzten Absatz seiner „Perestroika" schreibt Genosse Brar: „Der Verfasser strebt nach Antwort auf die wichtigste Frage, nämlich: Wie war es möglich, dass ...diese UdSSR, die einer gewaltigen Hitlerschen Kriegsmaschinerie das Genick brach... als sozialistischer Staat so schmählich kollabierte? Niemand kann die enorme Bedeutung für die gesamte kommunistische Bewegung leugnen, eine richtige Antwort auf diese Frage zu finden. Nur die Zeit und weitere Erörterungen werden erweisen, ob der Autor erfolgreich bei ihrer korrekten Beantwortung war." (Perestroika, S. 163)

Im Vorwort zu meiner „Taubenfußchronik" ist zu lesen: Seit dem Untergang der Sowjetunion und des Staat gewordenen Sozialismus in Europa ist ... die wichtigste und zugleich quälendste Frage für jeden revolutionären Sozialisten die Frage nach den Ursachen für diese Menschheitskatastrophe. ... Wenn die Chronik dazu beiträgt, in der kommunistischen und der Arbeiterbewegung einer einheitlichen Auffassung über die tatsächlichen Ursachen der keineswegs unvermeidlichen, sondern vermeidbaren Niederlage und darüber näherzukommen, wodurch der keineswegs unmögliche, sondern fast schon sichere, nicht mehr zurückzudrehende Sieg über den Imperialismus in diesem Jahrhundert verhindert wurde, dann hätte dieses Tagebuch doch noch einen gesellschaftlichen Nutzen erzielt und seine Veröffentlichung gerechtfertigt."

1. Einige Bemerkungen zum Ursprung und zur Charakteristik des „modernen Revisionismus"

Der Revisionismus in beiderlei Gestalt, als „alter" Revisionismus in der alten revolutionären Sozialdemokratie oder als „moderner" Revisionismus innerhalb der kommunistischen Bewegung,

ist der in ein theoretisches Gewand gekleidet Ausdruck der Interessen und der Neigung zum Opportunismus kleinbürgerlicher Schichten innerhalb der marxistischen Arbeiterbewegung.

In der alten revolutionären Sozialdemokratie entstand der Revisionismus der Bernstein und Kautsky als der theoretische Ausdruck von Interessen proletarisierter Kleinbürger und Angehöriger der mit dem Imperialismus entstandenen, vom Monopolkapital korrumpierten Schicht der Arbeiteraristokratie, die ihren Frieden mit einem „reformierten" Kapitalismus gemacht haben.

Die wesentlichsten Punkte der Revision des Marxismus, seiner Kastrierung, waren und sind dabei:

- nicht Klassenkampf, sondern Ausgleich der Klasseninteressen

- die Partei nicht Partei der Arbeiterklasse, nicht Avantgarde, sondern „Volkspartei";

- nicht Revolution, sondern Reformen als Weg zum Sozialismus:

- nicht Diktatur des Proletariats, sondern „demokratischer Sozialismus", „Volksstaat".

Der alte Revisionismus verwandelte die alte Sozialdemokratische Partei aus einer proletarischen, revolutionären marxistischen Arbeiterpartei zuerst in eine bürgerliche Arbeiterpartei, die sich folgerichtig zu einer imperialistischen „Volkspartei" der Konterrevolution weiterentwickelte.

Der „moderne Revisionismus" hat seinen Ursprung im Opportunismus innerhalb der kommunistischen Bewegung. Seine sozialen Träger sind aus dem Kleinbürgertum kommende oder von kleinbürgerlicher Ideologie befallene Mitglieder und Funktionäre in kommunistischen Parteien und im Partei- und Staatsapparat sozialistischer Länder.

Der Kerngehalt des alten Revisionismus bleibt in aktualisierter Form der gleiche.

- „Nicht Klassenkampf, sondern Ausgleich der Klasseninteressen" kommt jetzt zum Ausdruck in der These, Imperialismus und Sozialismus könnten und müssten in dauerhafter friedlicher und freundschaftlicher Koexistenz zusammenleben und zusammenarbeiten.

- Die Partei soll nicht mehr Partei der Arbeiterklasse und deren Vortrupp sein, sondern „Volkspartei".

- „Nicht Revolution, sondern Reform als Weg zum Sozialismus" erscheint nun als These von der „Möglichkeit des friedlichen Weges zum Sozialismus".

- Die Ablehnung der Diktatur des Proletariats kommt zum Ausdruck in der These von der Umwandlung der Sowjetunion aus einem Staat der Diktatur des Proletariats in einen Volksstaat.

Aber der „moderne" Revisionismus, also der Revisionismus in den Kommunistischen Parteien und in den sozialistischen Ländern, entstand auf andere Weise, als der „alte" Revisionismus. Er ist nicht „von unten" gewachsen. Den Begriff des „modernen Revisionismus" gab es in der Sowjetunion der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg nicht, weil es das, was ihn ausmacht, noch nicht gab. Es gab den Trotzkismus als „linke" Abweichung, und es gab rechte, opportunistische Abweichungen von der marxistisch-leninistischen Generallinie der Partei, die durchaus Elemente enthielten, die auch für den modernen Revisionismus kennzeichnend sind, ohne jedoch schon alle dessen Merkmale und Inhalte in sich zu vereinigen.

Beide, der alte und der moderne Revisionismus, haben gemeinsam, dass sie Agenturen der Bourgeoisie in der Arbeiterbewegung sind:

Der alte Revisionismus wirkt im Kapitalismus und will die Revolution verhindern, um den Kapitalismus zu erhalten.

Der moderne Revisionismus will die Revolution rückgängig machen, um den Kapitalismus wiederherzustellen.

Das sozialistische Land, in dessen führender kommunistischer Partei erstmals an die Stelle des Marxismus-Leninismus das gesetzt wurde, was später den Namen „moderne Revisionismus" erhielt, war Titos Jugoslawien.

Aber er war nicht dort entstanden, sondern hatte seinen Ursprung in den USA, und sein Schöpfer war kein anderer als der langjährige Generalsekretär der KP der USA, Earl Browder.

Es war kein Zufall, dass der moderne Revisionismus im zweiten Weltkrieg entstand, in einer Ausnahmesituation also, in der imperialistische Staaten und die sozialistische Sowjetunion in einem Bündnis – der Anti-Hitlerkoalition – vereint waren. Und es war auch kein Zufall, dass der „Vater" dieses modernen Revisionismus aus der kommunistischen Partei kam, die in den USA, im stärksten und führenden imperialistische Staat, wirkte. Und erst recht war es kein Zufall, dass es ein V-Mann des us-amerikanischen Geheimdienstes OSS war, mit dessen Hilfe Browders revisionistische Ideen in die europäische kommunistische Bewegung eingeschleust wurden.

Für eine eingehendere Darstellung seiner Auffassungen und des Weges, auf dem diese aus den USA in die kommunistischen Parteien Europas transportiert wurden, fehlt hier die Zeit; ich verweise deshalb auf meine Arbeit „Die Ursprünge des modernen Revisionismus in Heft 10/03 von „Offensiv",in dem dazu eine ausführliche Schilderung zu finden ist.

Hier sei nur soviel erwähnt: ab 1942, nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis, schlug Browder einen opportunistischen Kurs ein, löste die KP der USA auf und verwandelte sie in eine Art Propaganda-Verein, befürwortete das Aufgehen der Partei in einer breiten, alle Klassen umfassenden antifaschistischen Front, die Preisgabe des Kampfes der Kommunisten um den Sozialismus in den USA, und verkündete, die in den USA Regierenden hätten ihre Absicht, den Sozialismus in der Sowjetunion zu beseitigen, aufgegeben, künftig werde ein dauerhafter Frieden durch die Zusammenarbeit der USA mit der UdSSR gesichert und die Sowjetunion solle ihre zerstörten Gebiete mit USA-Krediten wieder aufbauen.

Seine revisionistischen Ideen fasste er in einer Schrift „Krieg oder Frieden?" zusammen. Die wurde während des Krieges in deutscher und französischer Sprache in der Schweiz unter den kommunistischen Emigranten verschiedener Länder – vor allem deutscher, ungarischer und jugoslawischer – verbreitet und in Schulungen breit popularisiert.

Der Mann, der die Übersetzung und die Verbreitung dieser Urschrift des modernen Revisionismus unter den kommunistischen Emigranten betrieb, war ein mit Browder persönlich befreundeter US-Beamter, Noel Field, der nach dem Abzug der Interbrigadisten und deren Einweisung in Lager in Frankreich der internationalen Kommission angehörte, die alle aus Spanien nach Frankreich evakuierten Freiwilligen der Internationalen Brigaden namentlich registrierte. In Frankreich und der Schweiz war er als Leiter einer us-amerikanischen Hilfsorganisation tätig und knüpfte dadurch Beziehungen zu den kommunistischen Emigranten vieler Länder an. Gleichzeitig arbeitete er mit dem in Bern residierenden Chef des US-Geheimdienstes OSS, (Office of Strategic Services) , Allan Dulles, zusammen.

In seinem Buch Perestroika weist Genosse Brar darauf hin, (S.126 f.), dass einer der führenden polnischen Revisionisten, der bürgerliche Ökonom Oskar Lange, in den dreißiger Jahren Vorlesungen an der Universität in Chicago hielt und in seinem 1935 erschienen Buch: „Marxistische Ökonomie und moderne Wirtschaftstheorie" von revisionistischen Positionen aus die marxistische Ökonomie als veraltet und der modernen bürgerlichen Wirtschaftstheorie weit unterlegen erklärte. Er verbreitete Ideen über „eine elementare Gemeinschaft der Grundwerte" der USA und der Sowjetunion, die wir ähnlich bei Browder wiederfinden. Es ist durchaus möglich, dass Browder von Langes Vorträgen und Büchern Kenntnis hatte und einige ihrer Ideen übernommen hat.

Zusammenfassend können wir sagen: Im Unterschied zum alten, sozialdemokratischen Revisionismus, der gewissermaßen aus den Oberschichten der Arbeiterklasse herausgewachsen ist, ist der neue, „moderne" Revisionismus als imperialistische Zersetzungsideologie von außen in die europäische kommunistische Bewegung eingeschleust worden.

Wie und warum aber konnte er dort Wurzeln schlagen und schließlich über den Marxismus-Leninismus in der Sowjetunion und ihren europäischen Verbündeten den Sieg davontragen?

Diese Tatsache ist noch schwerer erklärlich, wenn wir uns vor Augen halten, dass auf den beiden Moskauer Konferenzen von 1957 und 1960 der Revisionismus sehr treffend gekennzeichnet und zur Hauptgefahr für die kommunistische Bewegung erklärt wurde. So heißt es in der Erklärung der Beratung von 1957:

„Der moderne Revisionismus ist bemüht, die große Lehre des Marxismus-Leninismus in Verruf zu bringen, er erklärt sie für ‚veraltet’, behauptet, sie habe heute ihre Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung verloren.

Die Revisionisten sind bestrebt, die revolutionäre Seele des Marxismus auszumerzen und den Glauben der Arbeiterklasse und des schaffenden Volkes an den Sozialismus zu erschüttern.

Sie wenden sich gegen die historische Notwendigkeit der proletarischen Revolution und der Diktatur des Proletariats beim Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus,

sie leugnen die führende Rolle der marxistisch-leninistischen Partei,

sie lehnen die Prinzipien des proletarischen Internationalismus ab,

sie fordern Verzicht auf die grundlegenden Leninschen Prinzipien des Parteiaufbaus und vor allem auf den demokratischen Zentralismus,

sie fordern, dass die kommunistische Partei aus einer revolutionären Kampforganisation in eine Art Diskutierklub verwandelt wird."

In der Schlusserklärung der Moskauer Beratung von 1960 wurde erneut bekräftigt, dass der Revisionismus die Hauptgefahr für die kommunistische Weltbewegung darstellt, darüber hinaus scharf mit dem Tito-Revisionismus abgerechnet:

„Die kommunistischen Parteien haben die jugoslawische Spielart des internationalen Opportunismus, die einen konzentrierten Ausdruck der ‚Theorien’ der modernen Revisionisten darstellt, einmütig verurteilt. Die Führer des Bundes der Kommnisten Jugoslawiens, die den Marxismus-Leninismus verrieten, indem sie ihn für veraltet erklärten, haben der Erklärung von 1957 ihr antileninistisches revisionistisches Programm - (das „Laibacher Programm" von 1958, K.G.) - entgegengestellt, ihr Land vom sozialistischen Lager losgerissen, es von der Hilfe der amerikanischen und anderen Imperialisten abhängig gemacht und damit die Gefahr heraufbeschworen, dass das jugoslawische Volk seiner im heroischen Kampf erzielten revolutionären Errungenschaften verlustig geht. Die jugoslawischen Revisionisten betreiben eine Wühlarbeit gegen das sozialistische Lager und die kommunistische Weltbewegung. Unter dem Vorwand einer blockfreien Politik entfalten sie eine Tätigkeit, die der Einheit aller friedliebenden Kräfte und Staaten Abbruch tut.

Die weitere Entlarvung der Führer der jugoslawischen Revisionisten und der aktive Kampf dafür, die kommunistische Bewegung wie auch die Arbeiterbewegung gegen die antileninistischen Ideen der jugoslawischen Revisionisten abzuschirmen, ist nach wie vor eine unerlässliche Aufgabe der marxistisch-leninistischen Parteien."

Diese Forderung war nur zu sehr berechtigt, aber sie kam viel zu spät.

Was hier – 1960! – verlangt wurde: Entlarvung Titos als Revisionist, und Abschirmung der kommunistischen Bewegung gegen die antileninistischen Ideen der jugoslawischen Revisionisten – das hatten doch schon 1948, also 12 Jahre vorher, die Parteien des Kommunistischen Informationsbüros – KPdSU, Polnische Arbeiterpartei, Ungarische Partei der Werktätigern, KP der CSR, Bulgarische Arbeiterpartei, KP Frankreichs und KP Italiens – mit ihrer Resolution vom Juni 1948 „Über die Lage in der kommunistischen Partei Jugoslawiens" getan!

Wie konnte es da geschehen, dass wenige Jahre später dennoch der Revisionismus in der kommunistischen Bewegung zur Hauptgefahr werden konnte und sie erneut vor der Wühlarbeit der jugoslawischen Revisionisten gewarnt werden musste?

Das ist das „Verdienst" Chruschtschows, dessen Rolle nun etwas näher betrachtet werden soll.

2. Wie Chruschtschow die Zerstörung der Sowjetmacht einleitete

(S. dazu auch meine Schrift: "Genosse Domenico Losurdos „Flucht aus der Geschichte", Heft 10/2001 von „offensiv", S. 25-43.)

Eine der ersten Handlungen des nach Stalins Tod am 5. März 1953 im September 1953 zum Generalsekretär der KPdSU aufgestiegenen Chruschtschow, die mich stutzig machten, war jene, mit der die erwähnte Warnung der Parteien des Kommunistischen Informationsbüro vor dem Tito-Revisionismus als falsch und unberechtigt erklärt und damit die dringend notwendige Schutzimpfung aller kommunistischen Parteien gegen die Infektion mit dem Revisionismus, die diese Warnung dargestellt hatte, unwirksam gemacht worden war.

Am 26. Mai 1955 erklärte Chruschtschow als Leiter der sowjetischen Delegation bei deren Ankunft auf dem Belgrader Flughafen: „Teurer Genosse Tito! Wir bedauern aufrichtig, was geschehen ist... Wir haben eingehend die Materialien überprüft, auf denen die schweren Anschuldigungen und Beleidigungen beruhten, die damals gegen die Führer Jugoslawiens erhoben wurden. Die Tatsachen (?!) zeigen, dass diese Materialien von Volksfeinden, niederträchtigen Agenten des Imperialismus, fabriziert waren, die sich durch Betrug in die Reihen unserer Partei eingeschlichen hatten."

Ich habe in meinem Tagebuch damals diese Auslassungen Chruschtschows so kommentiert: „Näheres darüber, welche Dokumente gefälscht sind, wurde nie veröffentlicht. Obwohl die Behauptung, dass die kommunistische Weltbewegung, mit so erfahrenen Genossen wie Stalin, Dimitroff, Togliatti, Thorez usw., sich durch Fälschungen einer Gruppe von Provokateuren zu einer vollkommen falschen Einschätzung der Situation eines Landes habe verleiten lassen; dass die kommunistische Bewegung mit der KPdSU an der Spitze im Unrecht, Tito dagegen der Mann sei, der im Recht ist; obwohl eine solche Situation das Allerunwahrscheinlichste ist, genügte für viele diese eine, durch nichts bewiesene Behauptung, um sie für Tatsache zu nehmen und von nun ab in Tito den „teuren Genossen", dem bitter Unrecht geschehen ist, zu sehen." (Taubenfußchronik. (TFChr), S.47 f.)

In meiner Chronik führe ich des weiteren Tatsachen an, die beweisen, dass Chruschtschows Reinwaschung Titos eine faustdicke Lüge darstellte. Das Tollste aber ist, dass Chruschtschow selbst, als nach der von Tito mitinszenierten Konterrevolution in Ungarn im Oktober-November 1956 endlich in der kommunistischen Weltbewegung der Revisionismus als Hauptgefahr für die Existenz des Sozialismus erkannt wurde und dadurch Chruschtschows Position an der Spitze der KPdSU gefährdet war, der sich, als habe er niemals seine Flugplatzrede gehalten, als Vorkämpfer gegen den Tito-Revisionismus aufspielte. So hielt er auf dem VII. Parteitag der KP Bulgariens im Juni 1958 eine Rede, in der er u.a. ausführte: „Die kommunistischen Parteien hüten und wahren die Einheit ihrer Reihen wie ihren Augapfel. (Das sagt der Mann, der alles getan hat, um diese Einheit zu zerstören und vor allem Volkschina aus der Gemeinschaft der kommunistischen Staaten auszustoßen!)

Doch weiter in seinem Text: „Sie führen einen unversöhnlichen Kampf gegen Revisionismus und Dogmatismus. In diesem Kampf richtet sich das Hauptfeuer der kommunistischen Parteien naturgemäß gegen die Revisionisten als die Kundschafter des imperialistischen Lagers.... Der moderne Revisionismus ist eine Art trojanisches Pferd. Die Revisionisten versuchen, die revolutionären Parteien von innen zu zersetzen, die Einheit zu unterminieren und Verwirrung und Durcheinander in die marxistische Ideologie zu tragen."

( Das ist eine sehr gute Selbstbeschreibung seines Auftrages und seiner Hauptbeschäftigung!) Doch das ist noch immer nicht alles: mit den folgenden Ausführungen gibt er selbst zu, dass seine Tito-Rehabilitierung von 1955 auf Lügen beruhte:

„Im Jahre 1948 nahm die Konferenz des Informationsbüros eine Resolution ‚Über die Lage in der KPJ’ an, die eine berechtigte Kritik an der Tätigkeit der KP Jugoslawiens in einer Reihe prinzipieller Fragen enthielt. Diese Resolution war im wesentlichen richtig und entsprach den Interessen der revolutionären Bewegung." (ND v.5.Juni 1958).

Natürlich wusste das Chruschtschow auch 1955, als er in seiner Tito-Rehabilitierung das Gegenteil von sich gab.

Was aber ergibt sich daraus mit zwingender Logik? Einer, der sich selbst als Kommunist ausgibt, aber einem anderen, der sich auch als Kommunist ausgibt, von dem er aber weiß, dass der in Wahrheit ein Kundschafter des Imperialismus, also ein imperialistischer Agent ist, diesem dennoch das Zeugnis eines zuverlässigen Kommunisten ausstellt – der kann nur ein Komplize des Agenten, also selbst ein Agent des Imperialismus sein!

Man sollte meinen, dass dies, wie es Genosse Brar in einem anderen Zusammenhang in seinem Buche formuliert, „selbst Idioten erkennen können." (Perestroika, S.146)

Aber davon kann leider keine Rede sein. Ich erlebe leider immer wieder, dass mir Genossen, die ich schätze und deren Verstand voll intakt ist, auf meine Feststellung: „Chruschtschow ist der Gorbatschow der fünfziger und sechziger Jahre, wie Gorbatschow der Chruschtschow der achtziger und neunziger Jahre ist", erklären Ja, dass Gorbatschow ein Verräter war, damit hast Du ja recht gehabt. Aber Chruschtschow – das ist doch etwas anderes.

Und selbst, wenn ich ihnen dann weitere Beispiele offenkundiger Lügen Chruschtschows und demagogischer Manöver vorführe, die eindeutig beweisen, dass dieser Mann seine Macht und Stellung dazu missbrauchte, dem Imperialismus zu dienen und darüber die Partei und das Volk irrezuführen, - dann genügt ihnen das alles immer noch nicht: offenbar reichen ihnen nicht für sich sprechende Tatsachen aus, - sie sind durch Tatsachenzeugnisse von ihrem Glauben an die im Grunde doch guten Absichten des Nikita nicht zu heilen und von Chruschtschows bewusster Schädlingsarbeit nicht zu überzeugen, so lange die ihnen nicht durch ein Papier, am besten mit einer von Chruschtschow unterschriebenen Verpflichtungserklärung als V-Mann des CIA , nachgewiesen wird.

Ich greife hier nur zwei weitere solche Tatsachenzeugnisse heraus, von denen jedes einzelne ausreicht, bei einem Kommunisten, der gewohnt ist, die Ehrlichkeit eines Parteiführers gegenüber seinen Genossen als Maßstab für dessen Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit zu nehmen, ausreichen würde, um zu sagen: Du magst alles mögliche sein, aber eines bist Du mit Sicherheit nicht: ein Kommunist oder gar einer, dem man die Führung der Partei anvertrauen darf!

Erstes Beispiel: nach Chruschtschows Totalverdammung Stalins in seiner Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU brachte es der gleiche Chruschtschow fertig, in seiner Festrede auf der Oktoberfeier des Jahres 1957, die völlig im Zeichen des Kampfes gegen den Revisionismus stand und er daher um seine eigene Stellung an der Spitze der Partei bangen musste, - so, als hätte es nie seine Rede auf dem XX. Parteitag gegeben -, zu erklären: „Die Partei hat alle bekämpft und wird dies auch weiterhin tun, die Stalin verleumden und unter der Flagge der Kritik am Personenkult die ganze historische Tätigkeit unserer Partei falsch und verzerrt darstellen, in der J.W. Stalin an der Spitze des Zentralkomitees stand. Als treuer Marxist und Leninist und standhafter Revolutionär nimmt Stalin einen würdigen Platz in der Geschichte ein. Unsere Partei und das Sowjetvolk werden Stalins gedenken und ihm die gebührende Ehre erweisen."

Was er darunter verstand, wurde auf dem XXII. Parteitag der KPdSU im Jahre 1961 offenbar, als er nicht nur alle seine Verleumdungen Stalins von 1956 wiederholen, sondern auch die engsten Mitarbeiter Stalins, Molotow und Lasar Kaganowitsch, als „Parteifeinde" aus der KPdSU ausschließen ließ.

Zweites Beispiel: Die Auflösung des Informationsbüros der Kommunistischen und Arbeiterparteien (Informbüro): Auf einer Pressekonferenz in Neu Delhi am 14. Dezember 1955 führte der damalige sowjetische Ministerpräsident Bulganin aus:

„Manchmal stellt man die Frage, ob man denn die ‚Kominform’ nicht irgendwie liquidieren könne. Doch aus welchem Grunde sollten die kommunistischen und Parteien eigentlich auf eine allgemeingültige Form des internationalen Verkehrs und Zusammenwirkens verzichten?...Die Tätigkeit dieser Organisation beunruhigt alle, die das alte, überlebte System der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu einer bleibenden Erscheinung machen wollen."

Kurz danach, am 29. Dezember 1995 sprach Chruschtschow selbst zum gleichen Thema vor dem Obersten Sowjet der UdSSR und sagte dabei dies:

„Ausländische Journalisten in Indien fragten uns sehr oft: Warum lösen Sie das Kominform nicht auf? Wir haben darauf geantwortet: Warum schlagen Sie nicht vor, die Sozialistische Internationale aufzulösen? ... Natürlich gefällt den Gegnern des Kommunismus das Kominform nicht..." (TFCh.S.92).

In Gestalt westlicher Journalisten wurde Chruschtschow also Ende des Jahres 1955 nachdrücklich die Forderung derer unterbreitet, die durch die Tätigkeit des Informbüros „beunruhigt" waren, dieses aufzulösen.

Und, was geschah? Trotz der überzeugenden Zurückweisung dieser Forderung durch Bulganin und Chruschtschow?

Am Dienstag, den 17.April 1956 erschien die Zeitung des Informationsbüros „Für dauerhaften Frieden, für Volksdemokratie zum letzten Mal mit einer „Informatorischen Mitteilung über die Einstellung der Tätigkeit des Informationsbüros der Kommunistischen und Arbeiterparteien."

Als Begründung wurden „Änderungen in der Internationalen Lage" angegeben. Aber zwischen dem Dezember 1955 und dem April 1956 hat nur ein Ereignis stattgefunden, das die internationale Lage in unabsehbarer Weise verändert hat: Der XX. Parteitag der KPdSU.

Und der machte sehr schnell deutlich, dass – wie ich in meinem Tagebuch vermerkte - „ein Kontaktorgan der Kommunistischen und Arbeiterparteien noch nie so dringend nötig war wie gerade jetzt!" (TFChr.S.91)

Aber genau das war der Grund für seine Auflösung durch die Chruschtschow-Führung.

Der XX. Parteitag der KPdSU war von Chruschtschow dazu ausersehen, den Generalangriff auf das von Lenin und Stalin geschaffene sozialistische System und die marxistisch-leninistische Grundlage der kommunistischen Weltbewegung zu starten. Dazu sollte die tatsächliche ökonomische, politische und militärische Abhängigkeit der europäischen sozialistischen Länder von der Sowjetunion ausgenutzt werden, um diese zur widerspruchslosen Gefolgschaft bei der grundlegenden Kursänderung zu zwingen. Deshalb musste Schluss gemacht werden mit einem Organ, in dem die wichtigsten nächsten Schritte der sozialistischen Staaten und der kommunistischen Parteien kollektiv beraten und alle Parteien prinzipiell gleichberechtigt waren; musste auch Schluss gemacht werden mit dem in diesem Organ herrschenden Grundsatz, dass alle Parteien der kommunistischen Bewegung der Bewegung als Ganzem gegenüber rechenschaftspflichtig sind. Von jetzt ab hatte zu gelten: Was in Moskau beschlossen wird, das gilt für alle – ausgenommen Tito und später hinzutretende Revisionisten, wie Gomulka und Kadar. Für sie – und nur für sie !- galt der Passus in der von Tito und Chruschtschow am 2.Juni 1955 unterzeichneten „Belgrader Deklaration", der den „Nationalkommunismus" als ein „marxistisch-leninistisches Prinzip" legitimierte:

„Beide Regierungen gehen von folgenden Prinzipien aus: gegenseitige Achtung und Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, Einmischung weder aus wirtschaftlichen noch aus politischen, ideologischen oder sonstigen Gründen, da die Fragen der inneren Einrichtung, des Unterschiedes in den Gesellschaftssystemen und des Unterschiedes in den konkreten Formen der Entwicklung des Sozialismus ausschließlich Sache der Völker der einzelnen Länder sind." (Handbuch der Verträge, Berlin 1968, S.606 f.)

3. .Ziele und Wirkungen des XX. Parteitages der KPdSU

Das Verrückte an der Weigerung mancher Genossen, in Chruschtschow einen zu sehen, der wie Gorbatschow zum Ziel hatte, die sozialistische Ordnung im Lande zu unterminieren, ist, dass sie in ihm einen Heilsbringer und einen Retter des Sozialismus genau wegen der Veranstaltung sehen, die in Wahrheit die wichtigste Grundlage dafür schuf, dass Gorbatschow – gestützt auf die Vorarbeit von Chruschtschow und Breshnew – das von Chruschtschow eingeleitete Zerstörungswerk erfolgreich zuende bringen konnte – also wegen des XX. Parteitages.

Beginnt doch kein geringerer als Robert Steigerwald, führender Theoretiker der Deutschen Kommunistischen Partei und seit einiger Zeit auch Vorsitzender der Marx-Engels-Stiftung noch im Jahre 2001 einen ganzseitigen Artikel zum 45.Jahrestag des XX. Parteitages im DKP Organ "Unsere Zeit" vom 9. Februar vorigen Jahres mit den Worten:

„Der XX. Parteitag der KPdSU beendete das System schwerer Verletzungen sozialistischen Rechts und sozialistischer Ideale, wie es sich, beginnend gegen Ende der Zwanzigerjahre in der Sowjetunion gebildet hatte."

Es ist dies noch immer die Sicht nicht nur der Mehrheit der Bürger der ehemals sozialistischen Länder – von denen anderer Länder ganz zu schweigen -, sondern auch der Mehrheit der Kommunisten dieser und sicher auch vieler anderer Länder. Und das ist kein Wunder, gleichen doch die Stimmen, die dieser Geschichtsfälschung die Wahrheit über Chruschtschow und seine Bande entgegenhalten, einer einzelnen schwachen Stimme, die gegen das tosende Donnern der Wellen des Meeres der bürgerlichen und revisionistischen Medien anzurufen sucht.

Aber wir rufen weiter, in der Gewissheit: noch jede Wahrheit, die sich schließlich durchgesetzt hat, musste so beginnen!

Ich brauche in diesem Kreise nicht im Einzelnen nachzuweisen, dass der XX. Parteitag der Wendepunkt in der Geschichte der KPdSU war, der aus der bisher führenden und reifsten marxistisch-leninistischen Partei das Leitzentrum des modernen Revisionismus machte. Dies nicht nur wegen der revisionistischen Umschreibung der eigenen Geschichte, sondern wegen der Umschaltung von einer marxistisch-leninistischen Theorie und Praxis auf eine revisionistische auf allen Gebieten – Partei und Staat, Wirtschaft, Innen– wie Außenpolitik, Wissenschaft und der Kultur.

Nicht zu Unrecht aber verbindet jeder mit dem XX. Parteitag vor allem die „Geheimrede" Chruschtschows, seine „Abrechnung" mit Stalin. Die wenigsten aber wissen, dass Chruschtschow diese seine Rede dem Parteitag nach dessen offizieller Beendigung überfallartig aufgezwungen hat.

Als ich damals diese Rede zum erstenmal las, sagte ich mir und schrieb es in mein Tagebuch: „Es ist ausgeschlossen, dass das Politbüro oder das ZK die Rede so, wie sie gehalten wurde, vorher gebilligt hat. Die Westpresse hat ganz bestimmt recht, wenn sie ‚vermutet’, Chruschtschow sei in dieser Rede viel weiter gegangen, als vereinbart." (TFChr., S.74)

Eine Bestätigung dessen erhielt ich 45 Jahre später, als ich die Erinnerungen Lasar Kaganowitschs las. Er schildert sehr anschaulich, auf welche Weise Chruschtschow den Parteitag vergewaltigte: „Der XX. Parteitag ging seinem Ende entgegen. Plötzlich wird eine Pause eingelegt. Die Mitglieder des Präsidiums werden in den hinteren Raum, der zum Ausruhen bestimmt ist, zusammengerufen. Chruschtschow stellt die Frage, auf dem Parteitag seinen Vortrag über den Persönlichkeitskult Stalins und dessen Auswirkungen anzuhören. Gleichzeitig wurde uns der Entwurf des Vortrags in einem rotgebundenen maschinenschriftlichen Büchlein verteilt. Die Sitzung ging unter anormalen Bedingungen vor sich – in einer Enge – manche Saßen, andere standen. Es war schwierig, in kurzer Zeit dieses umfangreiche Heft durchzulesen und seinen Inhalt zu durchdenken, um entsprechend den Normen der innerparteilichen Demokratie einen Beschluss zu fassen. Alles das in einer halben Stunde, denn die Delegierten saßen im Saal und erwarteten etwas für sie Unbekanntes, da die Tagesordnung des Parteitages bereits erledigt war. ... Schon vor dem XX. Parteitag hatte das Präsidium die Frage ungesetzlicher Repressalien und begangener Fehler behandelt. Das Präsidium des ZK bildete eine Kommission, die beauftragt wurde, die Angelegenheiten von Repressierten an Ort und Stelle zu untersuchen ... und konkrete Vorschläge zu formulieren. Nach der Beratung dieser Fragen im Präsidium war vorgesehen, nach dem XX. Parteitag ein ZK-Plenum einzuberufen, um den Vortrag der Kommission mit entsprechenden Vorschlägen anzuhören. Genau dazu sprachen die Genossen Kaganowitsch, Molotow, Woroschilow und andere zur Begründung ihrer Einwände. Außerdem sagten die Genossen, dass wir einfach außerstande seien, den Vortrag (Chruschtschows) redaktionell zu bearbeiten und Korrekturen anzubringen, die unbedingt nötig seien. Wir sagten, dass selbst ein flüchtiges Bekanntmachen zeigt, dass das Dokument einseitig und falsch ist. Die Tätigkeit Stalins könne auf keinen Fall nur von einer Seite beleuchtet werden, notwendig sei eine objektive Beleuchtung aller seiner positiven Seiten, damit die Werktätigen verstehen und allen Spekulationen der Feinde unserer Partei und unseres Landes eine Abfuhr erteilen. Die Sitzung zog sich hin, die Delegierten (im Saal) erregten sich, und deshalb wurde ohne jede Abstimmung die Sitzung beendet und wir begaben uns in den Saal. Dort wurde die Ergänzung der Tagesordnung verkündet: den Vortrag Chruschtschows über den Persönlichkeitskult Stalins anzuhören. Nach dem Vortrag fand keinerlei Aussprache statt, der Parteitag beendete seine Arbeit." (Lasar Kaganowitsch, Pamjatnie Sapiski, Wagrius, Moskwa 1996, S. 508; Übersetzung: Kurt Gossweiler)

Es ist wenig bekannt, dass dieser Bericht weder zu Chruschtschows noch zu Breshnews Zeiten in der Sowjetunion veröffentlicht wurde. Die Partei lehnte es ab, ihn als offizielles Parteidokument anzuerkennen. Auch Chruschtschow hat sich während seiner Amtszeit nie als Verfasser seiner Rede bekannt. Veröffentlicht wurde sie kurz nach dem Parteitag zuerst in der New York Times.

Am 14. Mai 1957 gab Chruschtschow dem Korrespondenten der New York Times, Turner Catledge, ein Interview, in dessen Verlauf Catledge Chruschtschow auch folgende Frage stellte:

„Sie wissen vielleicht, dass im vergangenen Jahr die Zeitung New York Times den Text Ihrer Rede auf dem XX. Parteitag, in der Sie die Exzesse der stalinschen Periode kritisierten, veröffentlichte. Sind in dem Text Ihrer Rede, der in den westlichen Ländern veröffentlicht wurde, irgendwelche wesentlichen Auslassungen oder gar Entstellungen unterlaufen?"

Wie antwortete Chruschtschow auf diese Frage? „Ich weiß nicht, von welchem Text die Rede ist. Ich hörte davon, dass in den USA irgendein Text veröffentlicht wurde, der vom amerikanischen Geheimdienst fabriziert worden ist und dieser Text als Text meines Vortrages auf dem XX. Parteitag ausgegeben wurde. Aber die Veröffentlichungen von Allan Dulles erfreuen sich keiner Autorität in der SU. Ich habe keinerlei Wunsch, Literatur zu lesen, die von Allan Dulles fabriziert wird." (TFChr.S.300)

Man kann getrost diese Antwort Chruschtschows als einen indirekten Hinweis auf die Stelle betrachten, die, wenn nicht selbst als Verfasser der Rede, so doch als Helfer und Begutachter ihres Entwurfes mitbeteiligt war, und ihren Apparat - keineswegs selbstlos, sondern im ureigensten Interesse -, für ihre weltweite Verbreitung zur Verfügung stellte – die CIA.

Im westlichen Ausland waren die Anklagen gegen Stalin, die diese Rede enthielt, durchaus nichts Neues. Wurden sie doch dort von der bürgerlichen und sozialdemokratischen Presse und den Trotzkisten und seit Jahr und Tag verbreitet.

Solange sie aus diesen Quellen kamen, waren sie für die Kommunisten in aller Welt nur die Bestätigung dessen, dass die Sowjetunion auf dem richtigen Wege war, denn weshalb sonst würde sie von den Imperialisten und deren Meute so wütend verfolgt?

Neu und sensationell war jedoch, dass diese Anklagen diesmal nicht aus dieser Richtung kamen, sondern dass es der Nachfolger Stalins an der Spitze der KPdSU war, der nunmehr bestätigte, dass alles, was die vereinten Antikommunisten im Westen bisher an Hetzlügen über die Sowjetunion verbreitet hatten, gar keine Hetzlügen seien, sondern die Wahrheit.

Die Wirkung auf die Kommunistische Weltbewegung war verheerend. Ihre erprobtesten Führer, die natürlich ein enges Vertrauensverhältnis zur Führung der KPdSU und zu Stalin gehabt hatten, waren von Heute auf Morgen mit dem Vorwurf belastet, einem Verbrecher zur Hand gegangen zu sein und die eigene Partei zur Gefolgschaft für diesen Verbrecher erzogen zu haben.

Wer bisher zutiefst von der Richtigkeit der Politik der eigenen Partei und der Sowjetunion überzeugt gewesen war, wurde in schreckliche Zweifel gestürzt und verunsichert; für viele war es gerade ihr tiefsitzendes Vertrauen zur Sowjetunion, das sie nach schweren inneren Kämpfen sich zu der Haltung durchringen ließ, Stalin so zu sehen, wie dessen Nachfolger ihn schilderte. Wer aber schon vorher die strenge Parteidisziplin und den Kampf um die Reinheit und Einheit der Partei als lästige Fessel und Einengung der eigenen Persönlichkeit empfunden hatte, der empfand Chruschtschows „Abrechnung mit Stalin" als eine Art Befreiung.

Ich habe das in meiner Umgebung damals selbst erlebt und in meinem Tagebuch auf den Seiten 65 ff. festgehalten: Besonders gefährlich und verhängnisvoll war die Auswirkung auf die Jugend, die erzogen war, in Stalin die Verkörperung des Besten eines Revolutionärs zu sehen, und die ihn – ich spreche von der fortschrittlichen Jugend – liebte und verehrte von ganzem Herzen, wie nur Jugend lieben und verehren kann. Sie traf die Chruschtschow-Erklärung wie ein vernichtender Keulenschlag. Viele von ihnen hatten erlebt, wie sich ein Ideal, an das sie ebenso fest geglaubt hatten, der Nazismus, als Lüge, Heuchelei und Verbrechen enthüllt hatte. – Und jetzt wurde ihnen gesagt, dass sie wieder ihre Verehrung, ihre Begeisterung einem Unwürdigen zugewandt hatten. Sie mussten sich betrogen fühlen; sie fühlten sich betrogen, irregeführt, verhöhnt. Die unvermeidliche Reaktion: nichts mehr glauben, niemandem mehr vertrauen, allem misstrauen, was mit dem Anspruch auf absolute Wahrheit auftritt!

Verlust des Vertrauens nicht nur zu Stalin, sondern zu den Führern, die sie gelehrt hatten, in Stalin das Vorbild zu sehen. Das war das Schlimmste; diese Erklärung hat das Vertrauen der Jugend zur Partei untergraben, hat sie in eine Stimmung der erbitterten Opposition gegen die Partei und deren Führer getrieben, hat sie dazu geführt, in dem, was der Feind sagt, auch eine Quelle der Wahrheitsfindung zu sehen, denn, nicht wahr, der hat das ja schon seit Jahren gesagt, was jetzt Chruschtschow bestätigt hat, und hätten wir früher darauf gehört, dann wäre uns diese Enttäuschung jetzt erspart weblieben. Ein zweites Mal soll uns das nicht passieren! – Verlust des Gefühls dafür, wer Feind, wer Freund. Abgleiten in Zynismus und alles verneinende Skepsis – all dem wurde der Boden bereitet, und das war der Zustand, der in Ungarn und Polen die Jugend in die Arme von Demagogen, gegen die Partei trieb.

Wirkung auf die Intelligenz

Ähnlich wie bei der Jugend. Der Intelligenz gegenüber waren die größten Fehler gemacht worden. Der notwendige Kampf gegen Individualismus, Eigenbrötelei, kleinbürgerlich-anarchistische Stimmung war mit Methoden der dogmatischen „Belehrung" der Gängelei, der Einengung des schöpferischen individuellen Schaffens und mit deutlich zum Ausdruck gebrachten Misstrauen gegen jeden, der „aus dem Rahmen" fiel, geführt worden. Die Ausgangsstimmung war hier also umgekehrt wie bei der Jugend – eine schon lange aufgestaute Erbitterung über all das. Die Reaktion auf die Erklärung musste aber gerade deshalb ähnlich sein: Sie, die Intelligenz, war im Recht, die Partei hatte ihr Unrecht getan, die Partei hat sich überhaupt nicht um unser Schaffen zu kümmern, sie hat uns keine Vorschriften zu machen, sie versteht nichts davon. Der Drang war riesengroß, jetzt all die aufgestaute Verbitterung herauszuschreien, mit all den längst empfundenen Fehlern der Vergangenheit gründlich aufzuräumen, damit sie nie, nie wiederkehren konnten. Das wurde zur Hauptsorge: so gründlich abrechnen, daß restlos und für immer Schluß ist damit. Dabei übersahen viele, dass die Hauptsorge die alte geblieben war; das, was wir erreicht hatten – und das war doch bei allen Mängeln etwas ganz Gewaltiges, in Deutschland, Ungarn, Polen noch nie Dagewesenes – das zu schützen und zu verteidigen gegen den immer auf der Lauer liegenden Feind. Die Partei hat das gesagt, aber viele glaubten ihr nicht, weil sie argwöhnten, dahinter verberge sich nur der Unwille, die Fehler der Vergangenheit wirklich zu liquidieren, und weil sie zu viele Zusammenhänge nicht sahen, die die Führung sah, aber nicht mitteilen konnte. Und sie glaubten auch deshalb nicht, weil sie nach der Chruschtschow-Erklärung in ihrem Vertrauen zur Partei erschüttert waren. Und so gerieten viele ehrliche Intellektuelle an die falsche Front, wie sich in Ungarn zeigte.

Weiter Auswirkungen: Große Einbuße an Autorität der KPdSU

Ganz selbstverständlich drängte sich die Überlegung auf: Eine Partei, an deren Spitze jahrzehntelang ein solcher Mann stehen konnte, wie er durch Chruschtschow charakterisiert worden war – eine Partei, die unfähig ist, sich von ihm rechtzeitig zu befreien -, die kann nicht mit dem Anspruch auftreten, mit dem sie bisher aufgetreten ist. So hat diese Erklärung auch den Boden bereitet für antisowjetische Stimmungen, für die Losungen der sogenannten Nationalkommunisten. Nicht umsonst berufen sie sich auf den XX. Parteitag. Sie wissen, was sie ihm verdanken.

Diese Erklärung rief hervor bzw. verstärkte enorm eine Feindschaft gegen den Partei- und Staatsapparat. Die Theorien, nach denen der „Apparat" (und nicht etwa die historischen Bedingungen) die Quelle für das Gedeihen des Personenkults sein sollte, fand breiten Anklang. Die Losung der „Demokratisierung" wurde bei vielen alsbald gleichbedeutend mit Kampf gegen den „Apparat". Er wurde nicht mehr als der eigene Apparat, den man verbessern muß, schlagkräftiger machen muß, sondern als der Feind, der Gegner betrachtet, der liquidiert werden muß.

All diese Dinge zusammengenommen, die ohne Zweifel eine günstige Situation für einen Vorstoß der Konterrevolution schufen, hätten ohne die Chruschtschow-Erklärung, so wie sie gegeben wurde, niemals solche günstigen Wachstumsbedingungen finden und der Kampf gegen sie hätte niemals so schwierig werden können. Aber das Ziel, die Überwindung des Dogmatismus usw., hätte sich ohne Zweifel nicht nur auch, sondern besser ohne die Anwendung dieser „Schock-Therapie" erreichen lassen. Wir fragten uns damals: Ist es denn nötig, das Pendel jetzt wieder ganz bis ans andere Ende schlagen zu lassen?

Es war nicht nur nicht nötig, es war falsch und schädlich. Dazu kommt noch eine weitere Wirkung: eine gewisse ideologische und politische Demobilisierung, hervorgerufen durch die Feststellung, dass durch die übertriebene Wachsamkeit Tausende gute Kommunisten unschuldig verurteilt worden waren. Diese Abschwächung der Wachsamkeit wurde noch erheblich verstärkt durch die Erklärung der verschiedenen Parteien, dass die Prozesse gegen Rajk, Kostoff usw. unkorrekt waren, dass also Leute als Agenten verurteilt wurden, ohne es zu sein. Logische Folge: solche Fehler, die dazu führen, unschuldigen Leuten Unrecht zu tun, ja sie hinzurichten, wollen wir nie wieder machen. Also Schluß mit der Agentenfurcht und der Agentenriecherei! Ergebnis: Im Oktober 1956 hat der Feind gezeigt, dass er nach wie vor da ist, dass es Agenten des Feindes in den eigenen Reihen gibt, und dass sie nicht zuletzt durch unsere Vertrauensseligkeit so aktiv werden konnten.

Zu denen, die auf die eine oder andere Weise Opfer des XX. Parteitages wurden, sich aber bis heute nicht als Opfer, sondern als Befreite durch ihn empfinden, gehört auch Genosse Robert Steigerwald. In seinem schon erwähnten Artikel zum XX. Parteitag schreibt er gegen Leute wie Genossen Brar und mich:

„Es wird der Vorwurf erhoben, der XX. Parteitag sei ein Akt der Konterrevolution gewesen, durchgeführt von revisionistischen Kräften, denen es um die Zerstörung der ruhmreichen von Stalin geprägten Partei gegangen sei. Diese Argumentation zerbricht an ihrer inneren Widersprüchlichkeit. Wenn es möglich war, dass innerhalb von drei Jahren (nach Stalins Tod waren drei Jahre vergangen) eine solche Partei konterrevolutionär überrumpelt werden konnte, so war diese Partei schon vorher nicht mehr das, wofür ihre Verteidiger sie halten. Dann hat der Zersetzungsprozess der Partei nicht erst 1956 begonnen. Oder aber, das wäre die andere Seite des Widerspruchs, der XX. Parteitag war, obwohl eine scharfe Wende in der Parteigeschichte, eben kein Akt der Konterrevolution."

Genosse Steigerwald macht es sich entschieden zu leicht. Wir sagen nicht, dass es den revisionistischen Kräften darum ging, die Partei zu zerstören, sondern es ging ihnen darum, sie in ihre Hand zu bekommen, um sie in ein Instrument zur Restauration des Kapitalismus umzuwandeln. Das ist ihnen schließlich gelungen, aber die von Lenin und Stalin in 36 Jahren errichtete sozialistische Ordnung war so stabil, dass die Chruschtschow und Gorbatschow sich 37 Jahre abmühen mussten, um sie wieder aus der Welt zu schaffen.

Das lag in erster Linie daran, dass diese sozialistische Ordnung fest in den Massen verwurzelt war und alle Häuptlinge des Revisionismus – Chruschtschow, Breshnew und Gorbatschow – das Vertrauen der Massen für eine gewisse Zeit nur deshalb erringen konnten, weil sie feierlich ihre Treue zum Leninismus bekundeten und versprachen, die sozialistische Ordnung auf nie gekannte Höhen zu führen. Keiner von ihnen hätte auch nur die unterste Stufe der Macht erreichen können, hätte er offen ausgesprochen, dass sein Ziel die Wiedererrichtung des Kapitalismus ist. Sie betrogen die Massen, indem sie ihrem Ziel – der Rückkehr zum Kapitalismus – den Namen „Umbau zur sozialistische Marktwirtschaft" gaben.

Und das lag zweitens daran, dass es der Revisionisten-Bande nicht gelungen ist, die Partei ihrem Willen vollständig gefügig zu machen. Chruschtschow hatte bis zu seinem Sturz im Oktober1964 einen nach außen kaum sichtbaren ständigen Kampf gegen den Widerstand der verbliebenen marxistisch-leninistischen Kräfte zu führen. Und Gorbatschow benutzte zunächst die Partei, um den Staatsapparat in die Hand zu bekommen, um dann von dort aus die Partei zu entmachten. In seinem berüchtigten Interview mit dem Spiegel (Spiegel Nr. 3/93, S.127) rühmte er sich dessen mit den Worten:

„Dabei konnte man doch nicht Dinge ankündigen, für die das Volk noch nicht reif war. Man hätte mich für verrückt erklärt, das Volk wäre zerrissen worden, es hätte zum Bürgerkrieg kommen können. Man musste Geduld zeigen, bis die Parteibürokratie so entmachtet war, dass sie das Rad der Geschichte nicht mehr zurückdrehen konnte."

Und schließlich lag das drittens auch daran, dass in der kommunistischen Weltbewegung starke Kräfte, an ihrer Spitze die Partei Mao Tse-tungs, einen erbitterten Kampf gegen den Revisionismus in der kommunistischen Bewegung führten.

Alles das liegt aber außerhalb des Blickfeldes der Verteidiger Chruschtschows und des XX. Parteitages.

4. Drei Schwerpunkte, mit denen sich die Revisionisten ihre Massen-basis verschafften und die Geschichtslüge, mit der sie die kommunis-tische Bewegung paralysierten

Das demagogische Repertoire der Massenverführung und des Massenbetruges der Revisionisten ist umfangreich und vielseitig. Ich greife jene Punkte heraus, von denen ich meine, dass sie die wirkungs- und verhängnisvollsten waren:

Erstens: das Anknüpfen an die Friedenssehnsucht: die sogenannte „Entspannungspolitik";

zweitens: das Versprechen einer raschen Steigerung des Volkswohlstandes,

drittens: die paralysierende Geschichtslüge: Die Verteufelung Stalins

Zum ersten Punkt: Kein Gefühl und keine Sehnsucht bei allen am Krieg beteiligten Völkern, ganz besonders aber beim Sowjetvolk, war stärker als die elementare Sehnsucht nach Frieden. Das war nur natürlich nach dem blutigsten und verlustreichsten aller bisherigen Kriege. Aber hinzu kam ein ganz neuer, schwerwiegender Umstand: der Eintritt der Menschheit ins Atomzeitalter! Krieg bedeutete nunmehr die Drohung mit einem Atominferno, wie es die US-Atombomben in Hiroshima und Nagasaki angerichtet hatten. Das steigerte die Kriegsfurcht der Menschen auf ein bisher nie erreichtes Maß. Nachdem die Sowjetunion das Atomwaffenmonopol der USA gebrochen hatte, konnten die Menschen wieder ruhiger schlafen. Die Atomerpressung als Waffe des USA-Imperialismus gegen den Sozialismus war stumpf geworden.

Die Chruschtschow-Bande, an die Macht gekommen, verhalf dieser Waffe in Komplizenschaft mit den USA-Imperialisten zu neuer Schärfe. Sie rief nach einem abgestimmten Szenario mit ihren imperialistischen Partnern mehrfach Situationen scharfer politischer Zuspitzungen hervor – wie z.B. in der Berlin- und in der Cuba-Krise – und malte die akute Gefahr eines Atomkrieges in den schrecklichsten Farben an die Wand. Noch heute schreiben Journalisten und Historiker, wenn sie über diese Krisen berichten, die Welt habe damals dicht am Rande eines Atomkrieges gestanden. Im Ernst dachte im Weißen Haus und im Pentagon aber niemand daran, einen Atomkrieg gegen die Sowjetunion zu führen, solange dort einer an der Spitze war, der ihr Spiel spielte. Sie hatten spätestens seit dem XX. Parteitag vorrangig auf die innere Zersetzung der Sowjetunion und ihres Machtbereiches gesetzt. Kein anderer als der US-Aussenminister John Foster Dulles hatte seiner Hoffnung auf eine solche Entwicklung am 11. Juli 1956 in einer Rede Ausdruck verliehen, von der die Presse wie folgt berichtete:

„Dulles sieht eine Befreiung der Satellitenstaaten für möglich an. Dulles sagt voraus, dass Kräfte der Freiheit, die nun hinter dem Eisernen Vorhang am Werke seien, sich als unwiderstehlich erweisen, und dass sie die internationale Szenerie bis zum Jahre 1965 umändern könnten. Die Anti-Stalin-Kampagne und ihr Liberalisierungsprogramm hätten eine Kettenreaktion ausgelöst, die auf lange Sicht nicht aufzuhalten sei." (TFChr., S.100 f.).

Wer auf eine solche Kettenreaktion setzt, der denkt im Ernst nicht daran, eine Atomreaktion mit allen ihren Risiken zu entfesseln.

Wozu aber wurde dann die Schürung der Atomkriegsangst gebraucht? Chruschtschow verfolgte und erreichte mit ihr mindestens zwei Ziele: erstens - in der kommunistischen Bewegung und bei der eigenen Bevölkerung die antiimperialistische Grundeinstellung aufzuweichen mit der Behauptung, die Atomkriegsgefahr könne nur gemeinsam mit den USA gebannt werden, der USA-Imperialismus dürfe daher nicht mehr nur als Gegner gesehen werden, sondern er sei der unentbehrliche Partner der friedenssichernden Entspannungspolitik.

Zweitens entwickelte Chruschtschow– angeblich zur Beseitigung der Atomkriegsgefahr, in Wirklichkeit zur Ausschaltung der Kontrolle seiner Geheimbesprechungen mit den Gesprächspartnern der imperialistischen Seite durch das Kollektiv der Parteiführung, und zur Ausschaltung des Außenministeriums und der Leninisten gebliebenen Außenminister (Molotow, Gromyko) – die „Gipfeldiplomatie", mit der er sich als den unermüdlichen Friedensretter darstellte und feiern ließ, die jedoch in Wirklichkeit die Rückkehr zur unkontrollierten Geheimdiplomatie darstellte.

Und schließlich benutzte er diese seine Reisen und Gespräche mit den imperialistischen Spitzenpolitikern, wie dem USA-Präsidenten Eisenhower, auch noch zur Sympathiewerbung für den USA-Imperialismus und seine Spitzenpolitiker.

Zum zweiten Punkt: nach den harten Kriegsjahren mit ihren großen Opfern und Entbehrungen sehnten sich die Menschen der Sowjetunion nicht nur nach Frieden, sondern auch nach einer raschen Wiederherstellung normaler Verhältnisse; und sie erwarteten völlig zu Recht als Früchte des Sieges auch eine spürbare Erhöhung ihres Lebensstandards.

Der Wiederaufbau in den ersten Jahren nach dem Kriege hatte große Erfolge gebracht, aber die Lebensverhältnisse ließen natürlich noch viele Wünsche offen. Die Chruschtschow-Führung nutzte diese Situation in echter Schädlingsart aus:

Sie weckte unerfüllbare Hoffnungen mit dem Versprechen, anders als unter Stalin jetzt die Konsumbedürfnisse des Volkes an die erste Stelle zu setzen und die Versorgungslage rasch zu verbessern.

Mit der Begründung, dies sei für die rasche Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung notwendig, wurde ein Schädlingsprogramm in Szene gesetzt, indem der Vorrang der Entwicklung der Produktionsgüterindustrie vor der der Konsumgüterindustrie, - die unbedingte Voraussetzung für ein stabiles Wachstum der gesamten Wirtschaft – beseitigt und das Verhältnis beider Abteilungen zueinander nahezu umgekehrt wurde.

Das musste auf längere Sicht gesehen zu Engpässen und zugespitzten Versorgungsschwierigkeiten auf allen Gebieten führen, und damit auch zu wachsender Unzufriedenheit in der Bevölkerung, und führte in der Tat dazu.

Dass ihre Politik dahin führen würde, das wussten natürlich auch Chruschtschow und seine Fachleute – mehr noch – das war eingeplant.

Wer den Sozialismus abschaffen und den Kapitalismus restaurieren will, der muss dafür sorgen, dass der Sozialismus die Unterstützung durch die Massen verliert, dass Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen entsteht und wächst und eine Massenstimmung entsteht, in der alle sagen: So kann es nicht weitergehen!

Revisionistische Wirtschaftspolitik führt deshalb nicht aus Unfähigkeit der revisionistischen Wirtschaftsleiter zum Niedergang der Wirtschaft, sondern er wird planmäßig herbeigeführt, weil das politische Ziel der Überwindung des sozialistischen Systems und seine Beseitigung nur durch die Ruinierung der Wirtschaft zu erreichen ist.

Die Chruschtschow, Breshnew und Gorbatschow sorgten aber nicht nur für den Niedergang der Wirtschaft im eigenen Land, sondern taten alles, was sie konnten – und das war gewaltig viel! –, um auch die Wirtschaft in allen anderen sozialistischen Länder in krisenhafte Verhältnisse zu stürzen, soweit dies die dortigen revisionistischen Führer – wie in Ungarn und Polen – nicht schon selbst besorgten.

Schließlich zum dritten Punkt: Die „Enthüllungen" der „Stalinschen Verbrechen."

Darüber müsste sehr viel und ausführlich gesprochen werden, aber meine Redezeit ist fast um. Daher nur einige Gedanken und Feststellungen.

Die revisionistische Konterrevolution musste schon in den Anfängen stecken bleiben, wenn nicht die Autorität zerstört wurde, die Stalin nahezu uneingeschränkt im Sowjetvolk und in allen kommunistischen Parteien, ja bis weit in die Kreise des Bürgertums in der ganzen Welt genoss, die in ihm als dem Führer des Sowjetvolkes zu Recht den Befreier vom Faschismus erblickten.

Er musste zum Teufel gemacht werden, weil er nicht der bleiben durfte, an dessen Lehren und Taten seine Nachfolger gemessen würden. Und diese Lehren und Taten waren Marxismus-Leninismus in Aktion und lebendig im Bewusstsein der Sowjetmenschen und der Kommunisten in der ganzen Welt; jede Abweichung von ihnen hätte sie wachsam gemacht und ihren Widerstand hervorgerufen.

Weil man den Marxismus-Leninismus über Bord werfen wollte, um freie Hand für den Kurswechsel zum Revisionismus zu gewinnen, deshalb musste der personifizierte Marxismus-Leninismus, Stalin, nicht nur über Bord geworfen, sondern zu seinem Gegenteil, zum Anti-Leninisten, gemacht werden. Denn das Volk wollte keinen Kurswechsel, sondern an Marx und Lenin und dem Sozialismus festhalten.

Deshalb durfte es den Kurswechsel nicht als das erkennen, was er tatsächlich war, sondern ihm musste vorgemacht werden, dieser Kurswechsel sei die Rückkehr von der Stalinschen Kursabweichung wieder hin zum richtigen Leninschen Kurs.

Dazu wärmte Chruschtschow in seiner Geheimrede die alte Geschichte mit dem als Testament Lenins ausgegebenen Brief Lenins an den bevorstehenden Parteitag wieder auf, mit der schon Trotzki vergeblich versucht hatte, nach Lenins Tod Stalin zu stürzen und sich selbst zum Nachfolger Lenins an die Spitze der Partei aufzuschwingen

Das schärfste Kontrastbild zu Lenin stellte er aber her, indem er Stalin als willkürlichen, blutgierigen Despoten darstellte. Was er dazu in seinem Bericht ausmalte, war ein Verbrechen an der Partei und der Sowjetmacht.

Dies nicht etwa deshalb, weil er bisher kaum oder nur unvollständig bekannte Tatsachen über unschuldige Opfer der „Säuberungen" der Jahre 1936-39 zur Sprache brachte, sondern weil er in der sogenannten Geheimrede in vielen Passagen eine ungeheuerliche Fälschung der Geschichte der Sowjetunion beging; auch – aber keineswegs nur – damit, dass er die Prozesse und die „Säuberungen", die von der gesamten Parteiführung beschlossen und getragen wurden, allein Stalin als dessen persönliche Willkürakte zuschrieb.

Wäre Chruschtschows Ziel nicht gewesen, Stalins Autorität ein für allemal zu zertrümmern, um nicht ständig an ihm gemessen zu werden, und um für seine konterrevolutionäre Kursänderung freien Bahn zu haben;

und hätte zu seinen Absichten nicht auch gehört, der Überzeugung der Sowjetbürger in die Gerechtigkeit ihrer Sache und dem Stolz auf ihre Sowjetmacht einen tödlichen Schlag zu versetzen; hätte er wirklich nur im Sinn gehabt, den unschuldigen Opfern der „Säuberungen" Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und die geschichtliche Wahrheit über die Zeit der Repressionen darzulegen, dann hätte in seinem Bericht etwa das Folgende gesagt werden müssen:

„1936, nach der Errichtung der faschistischen Diktatur in Deutschland, nach der Aufrüstung des faschistischen Deutschland unter Duldung und sogar Mithilfe der Westmächte, nach dem Verrat der Westmächte an der spanischen Republik, standen wir vor der Gefahr, vom faschistischen Deutschland – möglicherweise sogar im Einvernehmen mit den Westmächten -, überfallen zu werden und uns allein der stärksten Militärmacht der ganzen Kriegsgeschichte gegenübergestellt zu sehen, von der wir aus dem Spanienkrieg schon wussten, was sich dann in Norwegen und Frankreich später wiederholte, nämlich, dass der faschistischen Wehrmacht im Hinterland der überfallenen Länder „fünfte Kolonnen" von Quislingen und Verrätern zu Hilfe kamen.

Wie groß die Gefahr des Überfalles war, zeigte sich noch viel deutlicher mit dem Münchener Abkommen der Westmächte mit Hitler und der Auslieferung der Tschechoslowakei an ihn, mit der Weigerung der Westmächte, mit uns einen Vertrag über kollektive Sicherheit und gegenseitigen Beistand zur Bändigung Hitlerdeutschlands abzuschließen.

Unsere Vorbereitungen auf den faschistischen Überfall mussten also auch der Verhinderung der Bildung einer 5. Kolonne in unserem Hinterland gelten. Noch gab und gibt es bei uns Feinde der Sowjetmacht, einst von uns enteignete Kulaken und ihre Nachkommen, Reste der zerschlagenen Gruppen der Trotzkisten und anderer Oppositionsgruppen – hatte doch Trotzki mehrfach in seinen Veröffentlichungen dazu aufgerufen, im Kriegsfalle den Aufstand gegen den „Stalinismus" zu beginnen; ferner Leute, die mit den Deutschen sympathisierten, z.B. unter den Wolgadeutschen oder bei bestimmten Nationalitäten, wie den Krimtataren und den Tschetschenen.

Also mussten wir angesichts der tödlichen Bedrohung alles tun, um es möglichen Feinden der Sowjetmacht unmöglich zu machen, im Hinterland mit Fünften Kolonnen den faschistischen Überfall zu unterstützen.

Dabei mussten wir in Rechnung stellen und in Kauf nehmen, dass es bei Säuberungen so großen Ausmaßes, wie wir sie für notwendig erachteten, nicht auszuschließen war, dass auch Unschuldige,- sei es wegen absichtlicher Falschbeschuldigungen durch feindliche Elemente, sei es aus Übereifer örtlicher Organe, sei es durch Anlegen eine zu pauschalen Rasters -, in erheblichem Umfange von den Maßnahmen betroffen sein würden, wie es dann auch der Fall war.

Aber wir hatten damals abzuwägen, was schwerer wog: wenn wegen ungenügender Sicherungsmaßnahmen die Sowjetmacht zugrunde ging – oder wenn bei unseren Sicherungsmaßnahmen nicht nur echte Feinde, sondern auch unschuldige und sogar eigene Leute getroffen würden.

Die Partei hat sich für die Sicherung der Sowjetmacht als der allem anderen übergeordneten Pflicht entschieden.

Jetzt aber ist es an der Zeit, dabei begangenes Unrecht aufzuklären und wiedergutzumachen."

So oder so ähnlich hätte eine ehrliche, kommunistische Stellungnahme zu der für jeden Kommunisten schmerzlichsten Seite der Geschichte der Sowjetunion lauten müssen.

Eine kommunistische, das heißt wahrheitsgemäße Schuldzuweisung auch für diese Opfer hätte darüber hinaus klar aussprechen müssen, dass auch ihre Leiden und ihr Tod wie der von 25 Millionen Sowjetsoldaten und –bürgern und der von 50 Millionen Toten des Zweiten Weltkrieges auf das Konto derer geht, die die Führung der Sowjetunion vor eine solch grausame Entscheidung stellten – auf das Konto Hitlers und des deutschen Imperialismus in erster Linie, in zweiter aber auch auf das Konto derer, die Hitlerdeutschland aufrüsteten, um es als Stoßkeil gegen die Sowjetunion zu lenken und seine Bändigung durch ein kollektives Sicherheitsbündnis sabotierten.

Indem er statt dessen Stalin als Massenmörder hinstellte, übernahm nun der Führer der KPdSU die bisher nur über die westlichen Medien verbreiteten antisowjetischen Hetz-Lügen aus den Küchen der imperialistischen Spezialisten für psychologische Kriegsführung und verkündete sie als Wahrheit.

Von daher kommt es, dass ehrliche und überzeugte Kommunisten auch heute noch bedenkenlos die giftige Verleumdung weitergeben, Stalin habe mehr Kommunisten umgebracht , als Hitler.

Die Wahrheit ist, dass alle Kommunisten, alle Kämpfer gegen den Faschismus und alle Juden, die im vom Faschismus besetzten Europa überlebt haben, dies vor allem der Sowjetunion, der Roten Armee und damit auch Stalin verdanken.

5. Einige Schlußbemerkungen

1. Der Sieg des Revisionismus über den Marxismus-Leninismus in der KPdSU und anderen kommunistischen Parteien war die Voraussetzung für den zeitweiligen Sieg des Imperialismus und die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion und den sozialistischen Staaten in Europa.

Die Überwindung des Revisionismus in der gesamten kommunistischen Bewegung ist die Voraussetzung für ihren neuen Aufschwung und für neue Siege des Sozialismus über den Imperialismus

2. Der Anti-Stalinismus der revisionistischen Unterminierer und Zerstörer des Staat-gewordenen Sozialismus, von Tito über Chruschtschow bis zu Gorbatschow, ist das stärkste Zeugnis für Stalin:

Es gibt keinen stärkeren Beweis für die positive Rolle Stalins als die Tatsache, dass die Zerstörung seiner Autorität in der Sowjetunion und in der kommunistischen Bewegung die Voraussetzung war für die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion.

Ohne „Entstalinisierung" keine Restauration des Kapitalismus!

3. Der Anti-Stalinimus ist komprimierter Revisionismus, also Anti-Leninismus, jedoch in der Maskerade eines Verteidigers des Leninismus. Der Angriff auf Stalin ist für die Revisionisten vom Schlage Tito-Chruschtschow-Gorbatschow nur der Beginn. Er zielt von Anfang an auf Lenin. Es ist deshalb nur folgerichtig, wenn der Chruschtschow-Zögling und Gorbatshow-Berater Jakowlew in seiner Autobiografie seine Hassorgien mehr noch als auf Stalin gegen Lenin richtet. Die FAZ v. 26. Januar 2004 zitiert aus seinem Buche („Die Abgründe meines Jahrhunderts") : „In der Geschichte hat es keinen Menschen gegeben, der Rußland mehr haßte als Uljanow-Lenin. Was immer er anfaßte, verwandelte sich in einen Totenacker, in ein Riesenfeld mit menschlichen, sozialen und ökonomischen Gräben. Alle wurden ausgeraubt – die Lebenden und die Toten." Mit einigem Erstaunen stellt die FAZ fest, dass Jakowlew alle, die der Meinung seien, Stalin, nicht Lenin sei der wahre Unhold der Sowjetmacht gewesen, darüber belehrt, „die Geschiche des Stalinismus weise im Grunde nichts Neues auf". In der Rezension des Jakowlew-Buches im „Neuen Deutschland" (29.1.04) wird der gleiche Tatbestand so beschrieben: „Nach Jakowlew gab es keinen strategischen Bruch zwischen der Periode des weltrevolutionär-internationalistisch begründeten Revolutionskonzepts W. I. Lenins und der Stalinschen Praxis eines nationalen Sozialismus."

Die konsequentesten Anti-Stalinisten bestätigen damit auf ihre entstellende und verleumderische Weise die Richtigkeit der Feststellung des großartigen französischen Schriftstellers und Kommunisten Henri Barbusse: „Stalin – das ist der Lenin unserer Tage!" (Henri Barbusse: Stalin – eine neue Welt. Rotfront Reprint, Berlin 1996, S.279).

4. Den fünfzigsten Jahrestag des Todes Stalins (5. März 2003) begingen die imperialistischen Medien mit geballten Ladungen von Artikeln und Serien über den „Jahrhundertverbrecher" Stalin, die – was man kaum für möglich halten konnte – noch alles übertrafen, was in den letzten fünfzig Jahren seit Stalins Tod an Hetze gegen ihn „geleistet" wurde.

Wie soll man sich diese alles bisher auf diesem Gebiet Gebotene weit in den Schatten stellende Orgie der Anti-Stalin-Hetze erklären?

Es gibt darauf nur eine Antwort: Die Sieger von gestern sind sich der Dauerhaftigkeit ihres Sieges nicht sicher, sie haben Furcht! Ja, sie fürchten den Einfluss des vor einem halben Jahrhundert verstorbenen Stalin auf die heute Lebenden! Sie erschrecken davor, dass noch immer und sogar immer mehr Menschen in Russland und den übrigen Staaten der früheren Sowjetunion bei ihren Demonstrationen Stalin-Bilder mit sich führen. Sie fürchten, dass die Verlierer von Gestern die Sieger von morgen oder übermorgen sein könnten. Diese Furcht sitzt offenbar auch Jakowlew im Nacken. Weshalb sonst sollte er – wie im „Neuen Deutschland" zu lesen, „das Erhalten von Lenin-Denkmälern" beklagen und – wie die FAZ aus seinem Buche zitiert – höchst beunruhigt und empört feststellen: „Und heute wohnen wir seelenruhig der Reinwaschung Stalins durch einige Behörden und Massenmedien bei!" ?

Die Sieger von gestern haben allen Grund zu dieser Furcht. Fünfzehn Jahre nach ihrem Triumph über den Sozialismus stecken sie in der tiefsten Krise ihres Systems: ökonomisch, politisch, sozial, kulturell, und nicht zuletzt: ideologisch. Immer deutlicher wird: die allgemeine Krise des Kapitalismus ist trotz der Niederlage des Sozialismus in Europa nicht überwunden, sondern dauert fort und vertieft sich. Und es wächst der Widerstand.

5. Ein Grund für die Furcht der Sieger von gestern ist mit Sicherheit auch die Erfahrung, dass es ihnen nicht gelungen ist, die Mehrheit der Jugend der ehemals sozialistischen Länder für sich zu gewinnen.

Das folgende Beispiel aus Ostdeutschland kann durchaus Gültigkeit auch für andere ehemals sozialistische Länder beanspruchen. Eine an der Leipziger Universität angefertigte und am 19. September 2002 auszugsweise im „Neuen Deutschland" veröffentlichte Studie macht deutlich:

Nachdem die DDR-Bürger 12 Jahre lang die Segnungen des realen, unverfälschten Kapitalismus über sich ergehen lassen mussten, haben selbst Jugendliche, die nur wenige Jahre noch als Bürger der DDR erlebt haben, die Erfahrung gemacht, dass die in der DDR herrschende sozialistische Gesellschaftsordnung – trotz ihrer fortgeschrittenen Deformation – menschenfreundlich war, die der Bundesrepublik dagegen dies ganz und gar nicht ist. In der Studie ist über die Ansichten der befragten Jugendlichen zu lesen:

„Für 91 Prozent der Befragten gab es vor der Wende mehr Sicherheit, nur 1 Prozent ist der Meinung, dies sei heutzutage besser. ...Die Zukunftsfähigkeit des jetzigen Gesellschaftssystems schätzen sie als ziemlich gering ein, nur ein kleiner Teil hofft, dass dieses System für immer erhalten bleibt. ... Die Distanz gegenüber dem kapitalistischen System geht mit einer zunehmenden Identifikation mit sozialistischen Idealen einher. ... Sozialistisches Gedankengut sei nicht aus den Köpfen der jungen Ostdeutschen verschwunden." (Entnommen meinem Aufsatz: „Der unsterbliche Frühsozialismus, in: „In den Trümmern ohne Gnade. Festschrift für Peter Hacks", Eulenspiegel-Verlag, Berlin 2003, S.225)

6. Die Anti-Stalinisten haben bewirkt, dass seit einem halben Jahrhundert die wichtigsten marxistischen Werke nach denen von Marx, Engels und Lenin, die Werke Stalins, als Werke gelten, von denen ein anständiger Kommunist sich trennt und sie nie wieder in die Hand nimmt. Wie die Päpste die Schriften von „Ketzern" auf den Index setzten, so wurden die Schriften Stalins von den Führern der Parteien des „demokratischen" und „pluralistischen" Sozialismus und Kommunismus moralisch geächtet und also auf den Index gesetzt. (Mit den Werken Stalins, die durch diese Ächtung nach Chruschtschows Stalin-Verdammung auf dem Müll landeten, könnte man viele Bibliotheken füllen.).

Genau mit dem Beginn dieser Index-Zeit begann auch der Niedergang des Sozialismus und der kommunistischen Bewegung.

Zu den unabdingbaren Voraussetzungen für ihren neuerlichen Aufschwung gehört deshalb auch die massenhafte Hinwendung zum erneuten Studium der Werke Stalins, in denen der ganze Reichtum der Erfahrungen des erfolgreichen Aufbaus des Sozialismus auf den von Lenin gewiesenen Bahnen enthalten ist.

Kurt Gossweiler, Berlin


 

G. Hoffmann: Der Revisionismus als kleinbürgerliches Element im Marxismus

Vorbemerkung

Bevor ich zum eigentlichen Gegenstand vorliegender Arbeit komme – das Verhältnis von Marxismus und Revisionismus als ideologisches Moment des Klassenkampfes zwischen Proletariat und Bourgeoisie –, möchte ich kurz daran erinnern, wieso nach dem theoretischen Teil die Auseinandersetzung mit Robert Steigerwald geführt wird.

Zunächst erschienen meine Arbeit zur historischen Bedeutung der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution in offensiv Heft 2/2003 und in Heft 5/2003 „Nachbemerkungen" dazu (S. 41-55). Darin kritisierte ich Steigerwald aufgrund seiner privaten Stellungnahme zu jener Arbeit und zeigte, dass es in den entscheidenden Fragen um das von ihm verkündete „Wir stimmen überein!" nicht weit her ist. In Heft 11/2003 (S. 49-56) „erwidert" Steigerwald nun, dass es zwischen ihm und mir keine Übereinstimmung gibt. Allerdings sieht es jetzt so aus, Gen. Steigerwald – als erfahrener Kämpfer, seit mehr als fünf Jahrzehnten in der Arbeiterbewegung – hätte mir den Kopf gewaschen, einem Grünling, welcher das ABC des Marxismus noch nicht verstanden habe, und der Revisionismus sei auf meiner Seite zu suchen. Steigerwald verabschiedet sich mit dem Hinweis auf seine Schrift „Kommunistische Stand- und Streitpunkte" (GNN 2002), wo seine „Position zu derlei Fragen" nachzulesen sei (offensiv 11/03, S. 55). Diese (und z.T. auch schon frühere) Schriften Steigerwalds zwingen allerdings zu dem Schluss, dass er sich nicht nur „›marxistisch‹ für die ›Fehler Stalins‹ entschuldigt", sondern mittlerweile für den Klassenkampf überhaupt. Da man sich aber dafür nur bei der Bourgeoisie „entschuldigen" kann, ist die These über Steigerwalds Position dahingehend zuzuspitzen, dass er nicht nur idealistische/revisionistische Argumentationen vertritt (offensiv 5/03, S. 50), sondern den Weg zur Aufgabe des Standpunktes der Arbeiterklasse beschreitet und den ideologischen Klassenkampf zunehmend auf der Seite der Bourgeoisie führt – wie einst Bernstein, Plechanow, Kautsky oder als näher liegendes Beispiel: Roger Garaudy.

Allerdings geht es nicht um Robert Steigerwalds Person. „Wenn die Polemik nicht unfruchtbar bleiben soll, wenn sie nicht zu persönlicher Rivalität ausarten, nicht zu einer Verworrenheit der Ansichten, zur Verwechslung von Feind und Freund führen soll, [ist es] unbedingt notwendig, die Frage des Programms in diese Polemik einzubeziehen." Dies wird im letzten Teil vorliegender Arbeit geschehen. Es geht also um Genossen Steigerwald als Repräsentant bestimmter in der DKP verbreiteter Auffassungen – nicht, weil ich gerade Lust auf „Meinungsstreit" hätte, sondern weil „man nicht vergessen [darf], dass ein politischer Leiter nicht nur für seine Politik verantwortlich ist, sondern auch dafür, was die von ihm Geleiteten tun." (LW 32, S. 21)

Einleitung

Es mag gefragt werden: wozu ausgerechnet heute über Revisionismus schreiben? – nach dem Zerfall des ersten sozialistischen Weltsystems und ohne dass (jedenfalls in der BRD) eine kommunistische Partei mit politischem Masseneinfluss bestünde. Die Antwort ist einfach: genau deswegen.

Der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus ist nach wie vor der sozialökonomische Hauptinhalt unserer Epoche, auch wenn die siegreiche Konterrevolution von 1989 darin eine retardierende Periode einleitete und die internationale Arbeiterbewegung sich momentan aus einem Rückschlag herausarbeitet. Allerdings wurde 1990 vom Imperialismus nicht „der" Sozialismus (und schon gar nicht Kommunismus) „besiegt", vielmehr gab der seit mehr als dreißig Jahren vom inneren und äußeren Klassenfeind geschwächte Sozialismus im Verlauf von „Glasnost" und „Perestroika" auf. Dies bedeutet aber keineswegs (wie die Ideologen der Bourgeoisie versichern), dass die marxistische Theorie damit „widerlegt" sei, auch nicht, dass (wie kleinbürgerliche Mitläufer des Marxismus behaupten) nun die „Überprüfung" einiger Grundannahmen des Marxismus nötig wäre. Umgekehrt: die Geschichte bestätigte die marxistische Erkenntnis, dass die Vernachlässigung der Grundlagen des politischen, ökonomischen und ideologischen Klassenkampfes zur Desorientierung im sozialistischen Aufbau, zum Nichthandeln gemäß historischer Gesetzmäßigkeiten führt und schließlich den Sieg der Konterrevolution ermöglicht. Dies ist ein naturgesetzliches Ergebnis im geschichtlichen Klassenkampf, ebenso wie das loderndste Feuer erlischt, wenn man statt trockenen Brennstoffes feuchtes Laub „nachlegt" (egal ob man das feuchte Laub „Holz", „Kohlen" usw. nennt).

Dass die Konterrevolution gesetzmäßiges Resultat im Klassenkampf ist, heißt natürlich nicht, dass sie auch unvermeidlich eintreten musste. Wie jeder gesetzmäßige Vorgang bedurfte sie bestimmter ideologischer, politischer und ökonomischer – innerer und äußerer – Bedingungen, um wirksam zu werden. Der äußere und Hauptfaktor der Niederlage des Sozialismus war das Fortbestehen des Imperialismus und seine systematische Untergrabung des Sozialismus. Aber diese war nicht hinreichend, denn der Sozialismus behauptete sich nicht nur zunächst gegen ihn, sondern besiegte und zerschlug auch dessen aggressivste Herrschaftsvariante, den faschistischen deutschen Imperialismus. Es müssen also die inneren Bedingungen des Niedergangs untersucht werden. Dieser fand gerade in einer Phase scheinbar „friedlicher Koexistenz" statt. Die „Entspannungsprozesse", welche in die Restauration des Kapitalismus mündeten, hingen eng zusammen mit der ideologischen Revision des Marxismus-Leninismus, mit der Abwertung des subjektiven Faktors in der Geschichte, mit der politischen Zügelung der historischen Initiative der Massen und ihres Glaubens an die eigenen Kräfte und die Zuversicht über den vollen Sieg des Kommunismus im Weltmaßstab sowie mit der Stagnation in der Vereinheitlichung der Eigentumsformen („sozialistische Warenproduktion") – bis die „friedliche Koexistenz" schließlich in „friedliche Revolution" umschlug.

Während die DDR viele Jahre lang um Schadensbegrenzung hinsichtlich des um sich greifenden Revisionismus in den sozialistischen Staaten bemüht war, kritisierte die Geschichte gründlicher und schloss den Vorhang vor dem einst so ruhmvoll begonnenen ersten Akt des Kommunismus in der Sowjetunion und in Europa. Viele der früheren Vertreter der Arbeiterbewegung haben sich enttäuscht ins „innere Exil" zurückgezogen und vom organisierten Klassenkampf verabschiedet. Einige der marxistisch-leninistischen Wissenschaftler, Agitatoren und Organisatoren der damaligen DDR und auch der BRD sind hingegen mit der Konterrevolution von 1989 „unzurechnungsfähig" geworden und finden „sich nicht in den Gang der Geschichte". Ihr kapitulantenhaftes auf-dem-Bauch-Liegen entweder vor der bürgerlichen Demokratie oder einem imaginären „demokratischen", „humanen", „zivilgesellschaftlichen" Sozialismus usw. ist eine schöne Illusion und unschöne Erscheinung, welche jede revolutionäre Bewegung an Punkten ihrer Niederlage durchzumachen hat – ebenso zeigt die Geschichte aber das Gegenteil, nämlich die Anziehungskraft vorwärtsstürmender Revolutionen auf Elemente, welche ihr sonst gleichgültig gegenüber stehen.

Die Wiedergewinnung der historischen Offensive der Arbeiterbewegung, die erneute Entfaltung des sozialistischen Massenkampfes gegen das Kapital, setzt seitens der Kommunisten und der fortgeschrittensten Teile der arbeitenden Klassen in erster Linie die (Wieder-)Aneignung der marxistisch-leninistischen Theorie voraus, verbunden mit einer Analyse der Vorgänge, welche die Erosion des sozialistischen Staatensystems zuließen und so den Sozialismus sturmreif für den Imperialismus gemacht hatten. Dies ist nur möglich auf Grundlage der marxistischen Gesellschaftstheorie und muss mit den brennendsten sozialen Fragen der Gegenwart verbunden werden – denn nicht um eine abstrakte Geschichtsschelte (oder auch Verherrlichung) geht es, sondern um ideologische Klarheit und die notwendigen Schritte zur Reorganisation der Kommunisten in einer marxistisch-leninistischen Partei.

Dieser Standpunkt ergibt sich aus Lenins Bestimmung des höchsten und unmittelbar an den Sozialismus heranführenden Stadiums des Kapitalismus als Imperialismus, der durch die allseitige Zuspitzung der Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise unwiderruflich die sozialistische Revolution, die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln sowie Grund und Boden auf die geschichtliche Tagesordnung setzt – nicht in dem Sinne, dass diese heute direkt bevorstünde, sondern dass jede Krise, jede Zuspitzung der Klassenauseinandersetzungen (nicht nur in den „schwächsten Kettengliedern" des Imperialismus) genutzt werden muss zur bewussten Vorbereitung und siegreichen Durchführung der sozialistischen Revolution. Die Erkämpfung des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln ist die Voraussetzung, um den Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat seiner objektiven historischen Tendenz nach zu Ende zu führen. Jedoch: Die siegreiche sozialistische Revolution und ihre Verankerung als proletarische Diktatur setzen (tendenziell) einheitliches Handeln der Arbeiterklasse voraus. Dazu bedarf sie der Führung einer konsequent revolutionären, d.h. marxistisch-leninistischen KampfparteiKlassenorganisation. Die Bolschewiki entwickelten sich unter den Bedingungen des Imperialismus als eine solche Partei neuen Typs. Und zwar gegen die Tendenz der Durchsetzung der Arbeiterklasse mit utopistisch-kleinbürgerlichem Ideengut, also das kleinbürgerliche Element bewusst ideologisch und organisatorische aus sich ausschließende Partei. Wie die Dialektik der Oktoberrevolution und die aufsteigenden Etappen der proletarischen Diktatur in der Sowjetunion internationalen, allgemeingültigen, gesetzmäßigen Charakter tragen, so gilt auch hinsichtlich des Kampfes gegen das „kleinbürgerliche Element" kleinbürgerliche Ideologie Lenins Satz, „dass sich der Bolschewismus als Vorbild der Taktik für alle eignet".

Die Auseinandersetzung mit dem modernen Revisionismus erfordert, dessen Begriffe und Theorien vom Standpunkt des dialektischen und historischen Materialismus zu analysieren und in die aktuellen Klassenauseinandersetzungen einzuordnen. Zunächst aber ist die marxistisch-leninistische Ideologie- und Revisionismustheorie selbst zu skizzieren. Dabei ist zu fragen, wie weit diese Positionen in der DDR vertreten wurden. Insbesondere nutze ich in vorliegender Arbeit das Buch Philosophischer Revisionismus. Quellen, Argumente, Funktionen im ideologischen Klassenkampf (Dietz Verlag Berlin 1977).

1. Zur Ideologietheorie des Marxismus-Leninismus

Die drei Bestandteile der einheitlichen Lehre des Marxismus-Leninismus sind

– die Philosophie des dialektischen Materialismus

– der aus der Anwendung der materialistischen Dialektik auf die ökonomische Basis der Gesellschaft gewonnene und also durch die Politische Ökonomie fundierte historische Materialismus

– der wissenschaftliche Kommunismus oder die Theorie der sozialistischen Revolution. Diese enthält die Strategie und Taktik der kommunistischen Partei, ihre Bündnispolitik und verarbeitet die mannigfaltigen Erfahrungen der internationalen Arbeiterklasse und ihrer Parteien bei Errichtung, Verankerung und Ausbau der revolutionären Diktatur des Proletariats.

Obgleich der Revisionismus dem Marxismus wesentlich entgegengesetzt ist, hat auch er drei Bestandteile, deren Zusammenhang aus der Orientierung am Marxismus bei gleichzeitigem prinzipiellen Gegensatz zu ihm entspringt:

– Die philosophische Verankerung des Revisionismus im subjektiven Idealismus gründet in einer Abweichung vom dialektischen Materialismus.

– Dies bringt auf dem Gebiet der Gesellschaftstheorie kleinbürgerlichen (reformistischen oder ultra„linken") Sozialismus hervor und bedeutet das Abgehen vom historischen Materialismus.

– Durch die Leugnung objektiver Gesetze im Aufbau des Sozialismus greifen utopistische Vorstellungen über „Sozialismusmodelle" oder „Alternativen" zum Kapitalismus um sich und haben in der politischen Praxis Opportunismus zur Folge, welcher praktischer Ausdruck der Unterordnung der Arbeiterklasse und ihrer Partei unter die Interessen der Bourgeoisie ist.

Das kleinbürgerliche Wesen des Revisionismus (d.h. seine antimarxistische Grundtendenz und verschleierte Apologetik des Imperialismus) erhält sich ungeachtet seiner verschiedenen Erscheinungsformen. Sein Angelpunkt ist die Ablehnung der marxistisch-leninistischen Philosophie und Erkenntnistheorie, ihre Ersetzung durch bürgerliche Philosophie, um ferner die systematisch zusammenhängenden Bestandteile des historischen Materialismus (insbesondere die politische Ökonomie, die Lehre vom Klassenkampf und von der Diktatur des Proletariats) durch andere, „bessere", „neue", den „heutigen Bedingungen angemessene" Theorien zu ergänzen. Aber „weit davon entfernt, eine Bereicherung des Marxismus, eine Entwicklung seiner Prinzipien, eine Erarbeitung neuer Kategorien mit Hilfe der wissenschaftlichen Erkenntnis zu sein, ruft er vielmehr seine völlige Zersetzung hervor." Revisionismus kann kurz gefasst werden als Rückfall des revolutionären in bürgerliches Denken, eine theoretische Rechtfertigung (bzw. Begründung) opportunistischer Praxis.

Zuerst einen seichten Utopismus (Proudhon, Dühring), dann einen „gemäßigten" Marxismus propagierend (Bernstein, Kautsky), später zur „permanenten" (und nicht konkret-historischen) Revolution aufrufend (Trotzki), schließlich die „Erneuerung", „Demokratisierung", „Verbesserung", „Humanisierung" usw. des Sozialismus empfehlend (Chrustschows Stalin-„Kritik", jugoslawische „Praxis-Philosophie" oder Gorbatschows „Perestroika") und heute „antikapitalistische Alternativen" gegenüber der historisch notwendigen Diktatur des Proletariats entwickelnd (die „Sozialismus-Vorstellungen" der EAL wie tendenziell auch der DKP) – der Revisionismus hat geschichtlich so viele Formen wie subjektiv vielleicht ehrliche Ziele, aber immer nur ein und dasselbe Ergebnis: Zerfall der revolutionären Ideologie und Spaltung der Arbeiterklasse. „Marxistisch" auftretend bietet sich der Revisionismus den nach Frieden, sozialer Gleichstellung, materiellem Wohlstand und kollektiver Wirtschaftsweise, kurz: zum Sozialismus strebenden arbeitenden Millionenmassen als Ersatzklassenbewusstsein an.

Trotz buntscheckiger Vielfalt des kleinbürgerlichen Sozialismus lassen sich drei Stufen seiner „Entfernung" vom Marxismus-Leninismus unterscheiden.

„Linker" Antimarxismus: Bernsteins „Weg ohne Ziel". Sozialismus wird reduziert auf einen moralischen Imperativ („gerechte Verteilung", „sozialistische Wertvorstellungen"), Privateigentum und Profitstreben des Kapitals werden akzeptiert als „dialektisches" Antriebsmoment gesellschaftlicher Entwicklung (unternehmerische Initiative, Erfindungsgeist, Organisationsfähigkeit etc.) – also die offene Hinbewegung zur Sozialdemokratie, Regierungsbeteiligung auch angenehm. Diese Haltung ist ausgeprägt und am weitesten verbreitet in den Führungskreisen der PDS (sog. „Reformer").

Aufgeklärter Marxismus: „Entstalinisierung"/„Entdogmatisierung" des Marxismus-Leninismus sowie Hegemonialkampf um die Köpfe aller abhängigen Klassen und Schichten für eine verschwommene „Idee" des Sozialismus – im Interesse „der Menschheit" (wobei die Anknüpfung an bürgerliche Denkformen als unvermeidlich gilt, da „man" „ja" die Menschen abholen müsse, wo sie gerade stehen). Offener Abschied von der leninistischen Imperialismus- und Revolutionstheorie, von der Partei neuen Typs, von der Diktatur des Proletariats. Solche Auffassungen werden vertreten rund um die Zeitschriften „Z" (Marxistische Erneuerung) und „Sozialismus", in Publikationen der PDS-Basis (auch der Kommunistischen Plattform), teilweise aber auch in Organen der DKP („Unsere Zeit", „Marxistische Blätter".)

Verklausulierter Marxismus und damit „eigentlicher" Revisionismus: erscheint als Marxismus-Leninismus („Orientierung an der einheitlichen Lehre von Marx, Engels und Lenin"), zeigt aber mit vielen „Meinungen", „Übereinstimmungen" und „undogmatischen" Öffnungsphrasen seine versöhnlerische Haltung und Hinwendung zum Revisionismus der zweiten Form.

Von diesen drei Varianten (die sich der Form, nicht ihrem Wesen nach unterscheiden) interessiert uns vorrangig die dritte, weil sie die am besten „getarnte" Form des Antimarxismus ist und so große ideologische Verwirrung innerhalb einer kommunistischen Partei anrichtet. In erster Linie nämlich als „Türöffner" für die zweite Variante, welche wieder nichts anderes darstellt als eine Übergangsstufe zum endgültigen „Türsteher" der Reaktion, dem reinen Reformismus.

1.1 Grundzüge der marxistisch-leninistischen Ideologietheorie

1.1.1 Gesellschaftstheoretische Bestimmung des Ideologiebegriffs

Der sozialistische Klassenkampf erstreckt sich gleichermaßen auf die Gebiete der Ökonomie, der Politik und der Ideologie. Dies ist Voraussetzung für jeglichen Erfolg im Sinne der Arbeiterklasse auf jedem der drei Gebiete. Allerdings interessiert uns hier vorrangig der ideologische Klassenkampf als Voraussetzung dafür, auf dem Gebiet der Politik und Ökonomie nicht im Bannkreis des bürgerlichen Reformismus und kleinbürgerlichen Opportunismus stecken zu bleiben.

Um später einzelne Thesen des Revisionismus analysieren zu können, ist zunächst eine allgemeine Bestimmung von Ideologie nötig. Der marxistische Kampf gegen die kleinbürgerliche Weltanschauung und Denkweise ist Bestandteil des ideologischen Klassenkampfes und basiert auf der materialistischen Ideologietheorie. Diese ist Bestandteil des historischen Materialismus und ergibt sich aus der Basis-Überbau-Theorie. Diese besagt: Während die Basis die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die „Gesamtheit der Produktionsverhältnisse" bildet, zählen zum gesellschaftlichen Überbau sowohl diejenigen gesellschaftlichen Einrichtungen, welche die Basis kontrollieren und in dieser Hinsicht auf sie einwirken (Staat und Recht) – als auch diejenigen Einrichtungen, welche die ökonomischen Verhältnisse widerspiegeln und innerhalb deren die Menschen sich über Widersprüche der gesellschaftlichen Verhältnisse und ihre Stellung darin bewusst werden (Bildung, Religion, Kultur, Wissenschaft usw.) Die Philosophie (hier als Weltanschauung verstanden) ist die allgemeinste Form der Wirklichkeitsaneignung und durchdringt alle anderen Bereiche des gesellschaftlichen Überbaus, denn alle Menschen entwickeln im Laufe ihres Lebens eine (wie auch immer „zusammengesetzte") Weltanschauung. Da aber der gesellschaftliche Überbau letztlich die Widerspiegelung der Basis, der Produktionsverhältnisse ist, ist die Philosophie (wie alle anderen Formen des Überbaus) an die Existenz von Klassen gebunden. Die ideologische ist die weltanschauliche, auf die Interessen von Gesellschaftsklassen bezogene Seite der Philosophie. Die Erkenntnis, dass es keine klassenneutralen Anschauungen auf dem Gebiet der Gesellschaft gibt, zählt zu den wichtigsten Lehren des Marxismus.

1.1.2 Ideologie und Klassen

Die auch unter Marxisten geläufige Auffassung von Ideologie als „falsches Bewusstsein" ist einseitig und letztlich unmarxistisch, denn sie setzt ein „außerhalb" der Ideologie liegendes Wahrheitskriterium voraus, d.h. macht die falsche Voraussetzung, es gäbe eine ideologiefreie Ideologie, die Ideologie einer Klasse, die keine Klasse ist. Der Fortschritt des Marxismus besteht hingegen darin aufgewiesen zu haben, dass jegliches Denken letztlich die Interessen von Gesellschaftsklassen zum Ausdruck bringt und er weist daher die vermeintlich klassenneutrale Betrachtung gesellschaftlicher Phänomene selbst als Form der (klein)bürgerlichen Ideologie nach. Der Marxismus strebt denn auch keine „Unparteilichkeit" und allgemeine „Ideologiekritik" an, sondern weiß sich gerade aufgrund seiner Parteilichkeit mit der Arbeiterklasse und als deren Ideologie frei von den Vorurteilen bürgerlicher Ideologie.

Im Marxismus heißt Ideologie demzufolge nicht falsches, sondern klassenbedingtes Bewusstsein: eine relativ geschlossene, durch einen grundlegenden Bezugspunkt bestimmte Systematik von Anschauungen, die eine philosophisch-weltanschauliche Perspektive hat und in diesem Verständnis von „Natur" und „Gesellschaft" die Interessen der verschiedenen Klassen zum Ausdruck bringt. Ideologie spiegelt also generell die gesellschaftliche Basis wider und wirkt durch das Handeln der Menschen auf sie zurück. Ideologien unterscheiden sich allerdings darin, was sie von der Gesellschaft „zu Gesicht bekommen", wie sie die objektive Realität erfassen: materialistisch oder idealistisch, objektiv oder subjektiv, dialektisch oder metaphysisch.

Da jede Ideologie auf den Standpunkt von Klassen zurückführbar ist, kann und muss gefragt werden, welcher Klasse sie dient. Die Klassenzugehörigkeit von Menschen ist bestimmt durch ihr Verhältnis zu den gesellschaftlichen Produktionsmitteln. Diese Verhältnisse können nur solche des Eigentums oder des Nichteigentums an den Produktionsmitteln sein (denn ein „Halbeigentum" gibt es nicht). Eigentum an Produktionsmitteln heißt generell: Möglichkeit, sich gesellschaftlichen Reichtum anzueignen; kapitalistisches Eigentum heißt: sich auf Basis der Ausbeutung eigentumsloser Menschen gesellschaftlichen Mehrwert anzueignen. Eigentumslosigkeit heißt umgekehrt: von der Teilnahme am gesellschaftlichen Reichtum ausgeschlossen, ausgebeutet, erniedrigt zu sein – von den Eignern der Produktionsmittel geknechtet, reduziert auf eine Arbeitskraft, ein Verwertungsmittel des Kapitals. Kapitalistische Produktionsverhältnisse, worin Produktion und Eigentum an den Produktionsmitteln auseinanderfallen, erzeugen folglich objektiv entgegengesetzte Klasseninteressen und einen Kampf für den Erhalt dieser oder die Herstellung anderer Eigentumsverhältnisse. Darin gründet der Klassenkampf von Bourgeoisie und Proletariat. Obgleich sich also nur zwei Hauptklassen in der modernen bürgerlichen Gesellschaft gegenüberstehen und es nur zwei Weltanschauungen gibt (die des Privateigentums und die des gesellschaftlichen Eigentums, bürgerliche und sozialistische Ideologie; LW 5, S. 396), erheben sich über der ökonomischen Basis des Kapitalismus aufgrund der darin vorhandenen drei Eigentumsformen auch drei Ausprägungen von Ideologie:

1.a) Bürgerliche Ideologie: Sie gründet im kapitalistischen Eigentum an den Produktionsmitteln und bildet die geschichtlich letzte Ausbeuterideologie, welche das Spektrum von Liberalismus und Aufklärung (in der Aufstiegsphase des Kapitalismus der „freien" Konkurrenz) bis Konservatismus und Faschismus umfasst (in der imperialistischen Niedergangsphase des Kapitalismus), wo die spätbürgerliche Ideologie zwecks Rechtfertigung überlebter und ihrer Sprengung entgegengehender Produktionsverhältnisse das reaktionäre Erbe aller vorhergehenden Ausbeuterklassen (Sklavenhalter, Feudaladel, Großgrundbesitzer) antritt. Dem kapitalistischen Privateigentum entspricht, grob gesagt, auf dem Gebiet der Philosophie der objektive Idealismus (Herder, Hegel). Freilich verlor die Bourgeoisie mit dem Eintritt des Kapitalismus in sein imperialistisches Stadium jeden epochenübergreifenden Entwicklungsbegriff und sank zu subjektivem Idealismus, Positivismus, Phänomenologie, Irrationalismus und Faschismus herab (Schopenhauer, Dilthey, Mach, Nietzsche, Chamberlain). Funktion der bürgerlichen Ideologie ist heute: Kampf gegen die sozialistische Weltanschauung sowie Rechtfertigung und „Optimierung" des zerfallenden Imperialismus (Reformismus).

1.b) Kleinbürgerliche Ideologie: diese wurzelt im selbsterarbeiteten Kleineigentum (von Bauern, Handwerkern, Dienstleistern), dem philosophisch der subjektive Idealismus entspricht. Gemeinsam mit der bürgerlichen macht die kleinbürgerliche Ideologie die Weltanschauung des Privateigentums aus. Aber durch den Ruin des Kleinbürgertums bzw. dessen Unterordnung unter das Monopolkapital und Herabdrückung auf ein proletarisches Lebensniveau sind kleinbürgerliche Ideologen zunehmend zur Reflexion gesellschaftlicher Widersprüche angehalten, was tendenziell auf antikapitalistische Positionen führt (Reformismus und utopischer Sozialismus.) Spezifisch für kleinbürgerliches Denken ist es dabei, kapitalistisches Ausbeutereigentum und Eigentum des unmittelbaren Produzenten an den Produktionsmitteln gleichzusetzen und damit gerade die für die Gesellschaftsveränderung entscheidende, die Eigentumsfrage, zu verhüllen. Darin gründen sämtliche Vorstellungen eines „dritten Weges" zwischen Kapitalismus und Sozialismus, einer Versöhnung von Privateigentum und Sozialismus.

2.) Sozialistische Ideologie (Marxismus-Leninismus): Die geschichtlich erste und notwendig einzige wissenschaftliche Weltanschauung, Ideologie der heute ausgebeuteten, d.h. eigentumslosen und zum Verkauf ihrer Arbeitskraft an die besitzende Bevölkerungsschicht gezwungenen Arbeiterklasse. Der wesentliche Unterschied des Marxismus zu aller bisherigen Ideologie besteht in seiner bewussten Klassenposition. Er ist das Geschichtsbewusstsein und allgemeinster Ausdruck der Lebensinteressen derjenigen Gesellschaftsklasse, „deren geschichtlicher Beruf die Umwälzung der kapitalistischen Produktionsweise und die schließliche Abschaffung der Klassen ist." (MEW 23, S. 19) Vorrangiger Gegenstand der marxistischen Theorie – als Wissenschaft des Klassenkampfes allgemein und des Sturzes des Kapitalismus zum sozialistischen Aufbau im Besonderen – sind deshalb solche Momente der bürgerlichen Gesellschaft, die tendenziell ihre Auflösung bewirken und ihre Überwindung ermöglichen. Dies schließt die beständige Weiterentwicklung der Theorie ein, und zwar in der Auseinandersetzung mit den „linken" Spielarten der bürgerlichen Ideologie (Reformismus und kleinbürgerlicher Utopismus). Die Gesetzmäßigkeit der beständigen Weiterentwicklung und Bereicherung des Marxismus als Handlungsanleitung der fortschrittlichsten Klasse der Gesellschaft erfordert im Kapitalismus den entschiedenen Kampf gegen die herrschende bürgerliche und kleinbürgerliche Ideologie, um deren Einfluss wenigstens auf die fortgeschrittenen Teile der arbeitenden Bevölkerung zu brechen. Im Sozialismus (und diesen vorwegnehmend, in der kommunistischen Partei) hingegen verwirklicht sich jenes Entwicklungsgesetz des Marxismus als Kritik und Selbstkritik, und zwar gleichfalls durch Kampf gegen kleinbürgerliche Abweichungen vom Marxismus.

1.1.3 Erkenntnistheoretische Bestimmung des Ideologiebegriffs

Nach der materialistischen Einordnung von Ideologie sind nun einige logisch-erkenntnistheoretische Bestimmungen zu entwickeln, welche schließlich den Revisionismus als kleinbürgerliche Ideologie genauer erkennbar werden lassen.

Wenn Engels sagt, „dass alles, was einen Menschen bewegt, den Durchgang durch seinen Kopf machen muss" , so heißt das: Menschen handeln immer begründet. Die Gründe aber (Gefühle, Wünsche, Strebungen) sind ideelle Triebkräfte, nur weil sie Widerspiegelung der materiellen Lebensverhältnisse sind. Aus dieser Einheit von ideeller Form und materiellem Inhalt des Bewusstseins, aus der Funktion des Denkens für gesellschaftliches Handeln, aus dem Praxisbezug und dem zwecksetzenden Charakter des menschlichen Verstandes ergibt sich die erkenntnistheoretische Frage: wie bestimmt das Sein das Bewusstsein, wie wird dessen Widerspiegelung zur Handlungsbegründung, wie ist das „durch-den-Kopf-Gehen" der materiellen Verhältnisse zu verstehen? Da das Sein generell das Bewusstsein bestimmt, die Widerspiegelung der materiellen Verhältnisse allem Denken gemeinsam ist, treten verschiedene Denkformen als verschiedene Klassenideologien auf. Die „Einheit der Unterschiede" besteht darin, dass die Unterschiede bzw. Gegensätze der Ideologien nur in Bezug auf ihre Einheit als Ideologie zu erfassen sind, diese aber wieder nur in verschiedenen Ideologien existiert.

(a) Widerspiegelung der objektiven Realität

Denken, da es einen Gegenstand (ein Objekt) hat, ist wesentlich dessen Widerspiegelung in sprachlicher Form (d.h. es reflektiert, aber nicht immer objektiv, in der Form des Begriffs). – Monistisches bürgerliches Denken (objektiver Idealismus) widerspiegelt das gesellschaftliche Sein unter einer falschen Voraussetzung (nämlich Ewigkeit und Naturnotwendigkeit des Privateigentums.) Es ist insofern zwar dogmatisch, aber trotzdem so weit objektiv, wie dies für den Erhalt seiner falschen Voraussetzung nötig ist. – Im Marxismus wird nicht nur die bürgerliche Gesellschaft, sondern deren Gesetze und die Bedingungen ihres Unter- und Übergangs zum Sozialismus erkannt. Diese Gesetze sind objektiv, können daher theoretisch widergespiegelt und praktisch umgesetzt werden. – Kleinbürgerliches Denken kommt ebenfalls nicht herum um die Widerspiegelung des Konkreten in der Form des Denkens, weicht aber bei entscheidenden Fragen die Bestimmung der Objektivität auf zugunsten verschiedener Spielarten des subjektiven Idealismus (Phänomenologie, Kritischer Rationalismus, Subjektwissenschaft, Existentialismus usw.)

(b) Widerspruch

Jeder Gegenstand schließt verschiedene, widersprechende Seiten ein, und im Widerstreit dieser Seiten gründet seine Selbstbewegung und Entwicklung. – Bürgerliches Denken bemerkt gesellschaftliche Widersprüche, aber letztlich nur mit dem Ziel ihrer Kontrolle, nicht Lösung. – Der Marxismus weist Widersprüche als den Grund aller materiellen und geistigen Entwicklung nach und als den allen anderen Widersprüchen zugrundeliegenden, heutigen Epochenwiderspruch den zwischen Kapital und Arbeit. – Im kleinbürgerlichen Denken werden Widersprüche im Allgemeinen nicht geleugnet, aber der Hauptwiderspruch der Gesellschaft, der Kampf der Klassen, relativiert durch „andere" Widersprüche, die man „auch" beachten müsse. Kleinbürgerliche Ideologie kann also nicht verzichten auf eine äußere Reflexion der Widersprüche, aber es verlagert diese auf Nebensächliches oder möchte sie „versöhnen", womit dem gesellschaftstheoretischen Denken die revolutionäre Spitze abgebrochen und es auf eine Theorie gesellschaftlicher Widersprüche reduziert wird.

(c) Das Wesen oder der Rückgang in den Grund

Zusammenfassendes Merkmal von Ideologie ist der „Rückgang in den Grund". – Auch bürgerliches Denken bleibt nicht einfach vor der reinen Erscheinung stehen, sondern setzt etwas als deren Wesen, und zwar entsprechend der Klassenstellung der Bourgeoisie (auf dem kapitalistischen Privateigentum basierende Aneignung abstrakt-menschlicher, also gesellschaftlicher Mehrarbeit) etwas abstrakt-Allgemeines, selbst Unveränderliches (die „absolute Idee", „das" Eigentum, „die" Moral oder ewige „Werte", usw.) – Der Marxismus hingegen analysiert im Übergang vom erscheinenden Sein zu dessen Wesen zunächst die Zirkulationssphäre (als erscheinende Totalität der bürgerlichen Gesellschaft) und führt sie zurück in die Produktion, d.h. leitet sie ab aus der sie hervorbringenden und ihr zugrundeliegenden Totalität kapitalistischer Produktionsverhältnisse. Diese sind nun keineswegs etwas abstrakt-Allgemeines, sondern Besonderes, Epochenspezifisches, Vergehendes. – Kleinbürgerliches Denken vollzieht diesen „Rückgang in den Grund" ebenfalls, aber rein formal, das Wesen der Epoche nicht erfassend. Stattdessen setzt es verschiedene abstrakte „Wesenheiten", etwa positiv das Wesen „des Menschen", der „individuellen Autonomie" oder negativ „die Entfremdung", „der Staat" usw. Durch die pluralistische Wesensbestimmung von Gesellschaft wird die Theorie schon auf der Ebene der Denkform für den proletarischen Klassenkampf unfruchtbar gemacht; es fehlt die vereinheitlichende Kategorie oder der übergreifend allgemeine Bezugspunkt verbindlicher Klassenpraxis.

(d) Handlungsbegründung

Schließlich ist jede Ideologie begründend, nämlich wegen ihres auf die Totalität von Gesellschaft (bzw. „Welt") zielenden Charakters handlungsbegründend für individuelle oder kollektive gesellschaftliche Praxis. – Bürgerliches Denken ist begründend (für zukünftige) oder rechtfertigend (für vergangene) Praxis innerhalb kapitalistischer Verhältnisse. – Der Marxismus als Wissenschaft des Klassenkampfes und der Befreiung der gesellschaftlichen Arbeit vom Kapital hat seine Fundierung im Klassenstandpunkt des Proletariats und begründet als dessen verallgemeinerter weltanschaulicher Ausdruck den sozialistischen Klassenkampf. Es handelt sich beim Marxismus zwar um eine besondere Klassenideologie, deren praktische, handelnde Umsetzung aber im Interesse der gesellschaftlichen Gesamtentwicklung liegt, weil die Arbeiterklasse gegenüber den anderen Gesellschaftsklassen keine Sonderinteressen vertritt (sozusagen keinen „Eigentumsvorbehalt" hat.) – Kleinbürgerliches Denken hingegen erscheint von vornherein im Mantel abstrakter Allgemeinheit (will es „allen recht machen") und gibt sich z.B. den Anschein des weltanschaulichen „Pluralismus". Es setzt so fälschlicherweise z.B. ein „allgemein-menschliches" Interesse an der Überwindung der Klassengesellschaft voraus, womit letztlich ein nichtantagonistischer, damit vermittelbarer Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit bestehen soll (oder „antagonistische" Widersprüche allen Sphären der Gesellschaft zukämen.) Auf diese Weise wird das Wesen, die Unversöhnlichkeit des Klassenkampfes zwischen Arbeit und Kapital verfälscht und kleinbürgerliches Denken im Gewande des Marxismus (also der Revisionismus) rechtfertigt oder begründet eine vermeintlich emanzipatorische Praxis unter der (wenngleich meist unausgesprochenen) Annahme der Vereinbarkeit des Privateigentums mit dem Sozialismus. Damit wird letztendlich gerade das auf die Überwindung des Privateigentums orientierte Handeln, die revolutionäre, kommunistische Praxis der Arbeiterklasse gelähmt.

Aus den Punkten (a) bis (d) ergibt sich folgende allgemeine Definition:

Ideologie ist als begriffliche Widerspiegelung objektiver Widersprüche die Bestimmung des Wesens (bzw. Grundes) von Erscheinungen zur Begründung von gesellschaftlicher Praxis.

Diese vier Momente bilden in ihrer Einheit auch die allgemeinste Bestimmung wissenschaftlicher Ideologie, für sich genommen entscheiden sie aber noch nicht darüber, ob ein Gedanke oder Theorem (was hier letztlich allein interessiert) marxistisch oder revisionistisch, proletarisch oder bürgerlich ist. Gerade weil jeder Ideologie als Form des gesellschaftlichen Bewusstseins jene Denkformen auf die ein oder andere Weise zukommen, können sie die bewusste Klassenideologie des Proletariats unterschreiten und trotzdem so „aussehen". Darin gründet überhaupt die Möglichkeit des Revisionismus. „Der Revisionismus wird dann deutlich als Verfälschung der Prinzipien des dialektischen Materialismus und als Rückfall in vom Idealismus gezeichnete philosophische Formen erkennbar, die mehr oder weniger vollständig mit den Wissenschaften und den objektiven Bedingungen der Erkenntnis gebrochen haben."

1.2 Marxismus und Revisionismus

Der marxistische Kampf gegen den Revisionismus dient der Aufdeckung seiner Einwirkung auf Partei, Arbeiterklasse und am Sozialismus interessierte Teile des Kleinbürgertums durch die vielfältigen Wege der Verfälschung des Marxismus, etwa dessen Reduktion auf „Antikapitalismus", „Ideologiekritik", „aufklärerische" bürgerliche Ideologie. „Von revisionistischer Philosophie zu sprechen hat nur Sinn in einem Gegensatz zum Marxismus: Alle anderen Philosophien entwickeln sich, verfallen oder werden widerlegt, aber niemals revidiert. Ihre unaufhörliche Veränderung verletzt in keiner Weise den Idealismus... Dagegen ist die Revision des Marxismus nichts anderes als seine Zersetzung, als das verfälschende Einsetzen der empiristischen und positivistischen Prinzipien der bürgerlichen Philosophie an die Stelle des Materialismus und der Dialektik..." (Milhau, a.a.O. S. 12)

Der Revisionismus als bürgerlich-refomistische Ideologie in der Arbeiterbewegung ist Teil der bürgerlichen Weltanschauung (Weltanschauung des Privateigentums). Aber er ist nicht vordergründig apologetisch gegenüber dem Kapitalismus, sondern vielmehr „kapitalismuskritisch". Seine bevorzugte Argumentationsform ist der Pluralismus abstrakter Negation (antikapitalistisch, antimilitaristisch, antimonopolistische, „sozialistische" Alternative), nicht die bestimmte Negation. Auf diese Weise ist das Wissen über die praktischen Bedingungen der Aufhebung (Negation) der bürgerlichen Gesellschaft durch die proletarische Diktatur nicht zu gewinnen, denn der Revisionismus kommt über das Privateigentum nicht hinaus. Er lässt zu, vertritt und „bekennt" sich zum Marxismus oder „orientiert" sich an ihm, so lange die Hegemonie (Vorherrschaft) der bürgerlichen Ideologie nicht infrage gestellt wird. D.h. er gebärdet sich revolutionär, bleibt aber in letzter Instanz dem bürgerlichen Denken verhaftet und somit theoretischer Ausdruck einer Gesellschaftsschicht, welche die Grundlage des Imperialismus, das Privateigentum theoretisch anerkennt und praktisch verteidigt.

Auf den ersten Blick sieht es allerdings umgekehrt aus. Der Revisionismus erscheint als „moderner" Marxismus (und das muss er, sonst wäre er nicht Revisionismus), steht tatsächlich aber zur bürgerlichen Ideologie in einem nur scheinbaren, zum Marxismus-Leninismus hingegen in einem wirklichen Gegensatz, was er durch Nachäffung der Form zu übertünchen strebt. Zur bürgerlichen Ideologie (zum „herrschenden Denken" usw.) stellt er sich in Fundamentalopposition, d.h. erscheint als absoluter, radikaler, inhaltlicher, qualitativer Gegensatz – zum Marxismus-Leninismus hingegen gibt er sich den Schein grundsätzlicher Übereinstimmung: hier will der Revisionismus lediglich „verbessern", „anmerken", „Fehler korrigieren" oder „die konkreten Bedingungen" beachten gegenüber „dogmatischer Erstarrung", „Ökonomismus" usw.

Es ist klar, dass in der Annäherung an den (oder vielmehr in der Entfernung vom) Marxismus jeder noch so kleine Unterschied einen Unterschied ums Ganze, den Unterschied zwischen sozialistischer und bürgerlicher Ideologie ausmacht. Darin, dass der Revisionismus bürgerliche Ideologie im Gewande des Marxismus (oder sogar Marxismus-Leninismus) ist – in diesem Auftreten als Schaf im Wolfspelz – liegt dessen eigentliche Gefährlichkeit, denn nur so kann er seine Funktion als „Trojanisches Pferd" innerhalb der Arbeiterbewegung erfüllen. (Dies zeugt keineswegs von der Richtigkeit des Revisionismus, sondern vielmehr von der nach wie vor bestehenden großen Anziehungskraft des Marxismus.) Durch Verkleisterung der objektiven Gegensätze im Klassenkampf rechtfertigt der Revisionismus die Vorstellung von Klassenzusammenarbeit und -versöhnung. Sozialismus scheint ihm nur möglich durch ein pauschales „Zusammengehen" der Arbeiterklasse mit dem an der Bourgeoisie orientierten Mittelstand und der bürgerlichen Intelligenz. Der Revisionismus hat daher letztlich eine feindliche Haltung zum kämpfenden Proletariat, genauer zur Diktatur des Proletariats, weil diese nur zu verwirklichen ist, wenn die Arbeiterbewegung als führende Kraft der Gesellschaft fortschrittliche Teile des Kleinbürgertums an die Seite der Arbeiterklasse zu ziehen oder es wenigstens zu neutralisieren vermag. Sobald die Arbeiterklasse zum revolutionären Kampf schreitet, offenbart der Revisionismus sein opportunistisches und konterrevolutionäres Wesen. Er zersetzt und demoralisiert durch seine Anschauungen die kommunistische Partei und spaltet durch falsche Bündnispolitik die Arbeiterbewegung.

Rechter Revisionismus bedeutet marxistisch verkleideter kleinbürgerlicher Reformismus und Versöhnlertum gegenüber der liberalen Bourgeoisie, was einen Verzicht auf das Ziel der Arbeiterbewegung (Diktatur des Proletariats als Übergang zum Kommunismus) bewirkt. Daraus ergeben sich Fehler hinsichtlich der Bestimmung konkret-geschichtlicher Aufgaben der Arbeiterbewegung (statt dessen: Kampf gegen „Dogmatismus", Bündnissee mit der liberalen Bourgeoisie oder dem Kleinbürgertum). – „Linker" Revisionismus ist marxistisch-leninistisch verkleideter Ultra-Revolutionarismus. Dieser entwickelt wegen der permanenten Revolutionserwartung Augenblicksaufgaben wie z.B. absolute „Reinhaltung" der revolutionären Avantgarde, was aber ebenso Desorientierung in langfristigen Fragen und Aufgaben des sozialistischen Klassenkampfes bewirkt. Beide Varianten des Revisionismus – indem er entweder der kommunistischen Partei den werktätigen Massen hinterherzutrotten oder ihr vorauszueilen empfiehlt – gründen in der Überschätzung des Klassenfeindes oder in dessen Unterschätzung. Sie haben ihre Gemeinsamkeit in der Untergrabung der kommunistischen Parteipraxis, also Verhinderung einer siegreichen Revolution oder Gefährdung der bestehenden Diktatur des Proletariats. Ihren wirklichen (d.h. wirksamen) Unterschied haben „linker" und rechter Revisionismus also nicht voneinander, sondern vom Marxismus.

Marxismus und Revisionismus bilden somit eine „Einheit Entgegengesetzter": zunächst eine Einheit, weil der Revisionismus im Marxismus entsteht: Er spiegelt die Anreicherung der Arbeiterklasse durch ursprünglich ihr nicht zugehörige Teile der Bevölkerung wider (proletarisierte Kleinbürger und Intellektuelle), „pflegt" die in der Arbeiterklasse verbreitete reformistische Ideologie und drückt damit die gezielte ideologische und materielle Einwirkung der Bourgeoisie auf die werktätigen Massen aus. Zugleich aber sind Marxismus und Revisionismus eine Einheit Entgegengesetzter, weil Revisionisten im Sinne der Bourgeoisie in der Arbeiterbewegung wirken. Wie gesagt wird solcher Opportunismus immer „begründet" durch eklektische Zugeständnisse an den philosophischen Idealismus. Revisionismus und Marxismus stehen somit in einem feindlichen Gegensatz (= Antagonismus), denn Idealismus und Materialismus sind ebenso unversöhnlich wie privates Eigentum und gesellschaftliches unvereinbar sind. Umgekehrt hat der Revisionismus (ungeachtet seines Selbstverständnisses) keine Negation, kein feindliches, sondern ein versöhnliches Verhältnis zur bürgerlichen Ideologie, denn er ist Teil der Weltanschauung des Privateigentums und „aufgehoben" in einer letztlich die bürgerlichen Produktionsverhältnisse stützenden Praxis. Daher bilden bürgerliche Ideologie und Revisionismus keine „Einheit Entgegengesetzter". Revisionismus und bürgerliche Ideologie „entwickeln" sich also nicht durch gegenseitige Kritik, denn die Verankerung im bürgerlichen Klasseninteresse macht eine wirkliche Entwicklung unmöglich. Allerdings wechseln sich Revisionismus und bürgerliche Ideologie je nach Adressat und je nach Situation im Klassenkampf ab, sie ergänzen und bestätigen sich gegenseitig – eben weil sie im Idealismus grundsätzlich „übereinstimmen".

Der Marxismus, indem er bürgerliche und kleinbürgerliche Ideologie aus den materiellen Verhältnissen und Klasseninteressen ableitet, schließt beide aus sich aus. Zugleich sind in der (klein)bürgerlichen Ideologie enthaltene Hinweise auf den gesellschaftlichen Klassenkampf (nämlich die wenngleich oberflächliche Reflexion von Widersprüchen) im Marxismus als umfassendster gesellschaftlicher Entwicklungstheorie aufgehoben. Der Marxismus-Leninismus ist als Weltanschauung die ideelle Grundlage des Kommunismus und bringt – als Handlungsanleitung der revolutionären Partei, tendenziell der Arbeiterklasse und schließlich der arbeitenden Bevölkerung überhaupt – die Zukunftsinteressen der gesamten Menschheit (an kommunistischer Gesellschaftsgestaltung) zum Ausdruck.

1.3 Revisionismus oder Revisionisten?

Obgleich der Revisionismus die revolutionäre Ideologie der Arbeiterklasse preisgibt und so deren einheitliches Handeln im Klassenkampf gefährdet, tritt er bei subjektiv von der Notwendigkeit des Sozialismus überzeugten, bei sich als Kommunisten verstehenden und kommunistischen Parteien angehörenden Menschen auf – also innerhalb dieser Parteien. Je mehr der Revisionismus in den führenden Kreisen der proletarischen Bewegung um sich greift, desto gefährlicher ist er. Dies ist ein Grund für die Zersetzung der kommunistischen Parteien und war eine Bedingung für die vorläufige Niederlage des Sozialismus. Die Überwindung des Revisionismus in den führenden Positionen der sozialistischen/kommunistischen Parteien und Gruppierungen der BRD ist Bedingung für die Herausbildung einer einheitlichen proletarischen Kampfpartei der Arbeiterklasse mit Masseneinfluss.

Der Revisionismus bleibt trotz seiner vielfältigen Äußerungsformen dem Wesen nach derselbe, daher kann und muss gelernt werden, ihn zu bekämpfen, um seinen Einfluss auf die an der gesellschaftlichen Umgestaltung am meisten interessierten und dazu befähigten Teile der Gesellschaft – die Arbeiterklasse und ihre Partei – zu brechen. D.h. der Revisionismus kann geschlagen werden und seine Ausschaltung ist selbst ein wesentlicher Schritt zur Meisterung des Marxismus-Leninismus. Das bedeutet, dass der Kampf gegen revisionistische Verfälschungen zwar mit aller Schärfe geführt werden muss, aber durch Überzeugung der breiten Mehrheit der für Frieden und Sozialismus Kämpfenden von der Wahrheit des Marxismus-Leninismus, und nicht durch polemische Verzettelung und hitzige Wortgefechte über geschichtliche Einzelfragen oder persönliche Eitelkeiten. Es kommt darauf an, Funktion (Ergebnis) und Ziel (Absicht, Wille, Motiv, Glaube) des Revisionismus zu unterscheiden. Der Kampf gegen Revisionismus kann nicht wirkungsvoll geführt werden aufgrund der Unterstellung „falscher" (schlechter, konterrevolutionärer usw.) Motive. Subjektive Motivationen bestimmter Personen sind sekundär, entscheidend ist, was in Theorien ausgesagt wird, wie sie die Realität wiederspiegeln und wie sie auf das Handeln der Menschen einwirken. – Umgekehrt ist der Revisionist stets beleidigt, wenn ihm sein konterrevolutionäres Wesen vorgehalten wird, weil es „ja" ganz anders „gemeint" sei. Dieses „Meinen" ist aber gegenüber dem Gesagten ebenso unwesentlich wie der „gute Wille" gegenüber dem tatsächlichen Tun.

Das Hauptaugenmerk im ideologischen Klassenkampf muss auf der Gefahr liegen, dass bestimmte Theoreme unbemerkt die gemeinsame Handlungsgrundlage der Kommunisten (den Marxismus-Leninismus) infrage stellen oder eine falsche „gemeinsame" Handlungsgrundlage vorspiegeln und so ebenfalls die auf Überwindung des Privateigentums gerichtete Praxis untergraben.

1.4 Marxismus als ideologischer Klassenkampf

Die Kritik der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideologie ist ein Wesenszug des Marxismus, weshalb er in der Auseinandersetzung besonders mit dem kleinbürgerlichen Sozialismus gewachsen ist. Wenngleich das klassische bürgerliche Denken in Philosophie und politischer Ökonomie Quelle des Marxismus wurde, nimmt dessen Auseinandersetzung mit dem kleinbürgerlichen Sozialismus einen größeren Raum ein als etwa die Kritik der Philosophie Hegels. Dies liegt daran, dass kleinbürgerliches Denken dem Sozialismus näher steht als die bürgerliche Ideologie und mehr entwicklungsfähige Keime birgt, andererseits aber die größere Tendenz hat zur Verfälschung des Marxismus, denn das Kleinbürgertum möchte seinen „eigenen" Marxismus.

Bezüglich der vorimperialistischen Epoche des Kapitalismus im 19. Jahrhundert, als der Marxismus sich in der Arbeiterbewegung noch nicht durchgesetzt hatte, kann man beim kleinbürgerlichen Utopismus noch nicht von Revisionismus sprechen, da solche unwissenschaftliche/idealistische Konzeptionen der Gesellschaftsveränderung sich noch nicht „marxistisch" (aber immerhin schon „wissenschaftlich") drapierten. Nichtsdestotrotz ist das Wesen jeglicher Sozialismusvorstellungen Ausdruck des Schwankens kleinbürgerlicher Schichten der kapitalistischen (oder sozialistischen) Gesellschaft zwischen den Hauptklassen der Gesellschaft (Bourgeoisie und Arbeiterklasse). Das Kleinbürgertum neigt zum Sozialismus, aber „kritisiert" den Kapitalismus/Imperialismus vom Standpunkt des Privateigentums; „die grundlegende Eigentümlichkeit seiner [des Kleinbürgertums] Lage machen es zu irgendeinem selbstständigen Handeln unfähig."( LW 29, S. 301) Dessen Ideologen vollziehen daher ebenfalls nicht den Übergang zur proletarischen Weltanschauung:

„Was sie [die Ideologen] zu Vertretern des Kleinbürgers macht, ist, dass sie im Kopfe nicht über die Schranken hinauskommen, worüber jener nicht im Leben hinauskommt, dass sie daher zu denselben Aufgaben und Lösungen getrieben werden, wohin jenen das materielle Interesse und die gesellschaftliche Lage praktisch treiben. Dies ist überhaupt das Verhältnis der politischen und literarischen Vertreter einer Klasse zu der Klasse, die sie vertreten."

Darin, dass der Marxismus sich durchgehend im schonungslosen Kampf gegen kleinbürgerlich-subjektivistische Auffassungen entwickelte (nicht nur Marx’/Engels’, sondern auch später Lenins gegen die russischen Menschewiki, Bernstein, Plechanow oder Kautsky sowie Stalins gegen die „linke" und rechte Abweichung in der KPdSU), verdeutlicht sich das Ausschließungsverhältnis von Revisionismus und Marxismus. Die Durchsetzung des Marxismus gegenüber kleinbürgerlichen Vorstellungen war und ist nie endgültig zu leisten, sondern blieb und bleibt stets Aufgabe des ideologischen Klassenkampfes (auch im Sozialismus).

Geschichtlich wuchs der Marxismus in der ideologischen Auseinandersetzung mit (klein)bürgerlichen Theorien als einer Bewusstseinsform, welche – wie oben dargelegt – formal die Widersprüche der gesellschaftlichen Entwicklung reflektiert, aber in äußerlicher, die reale Bewegung nicht ausdrückender Weise (und daher nicht bis zum Wesen der gesellschaftlichen Bewegung vordringt). Deswegen schließt die Kritik des Revisionismus den Aufweis seiner Widersprüchlichkeit in gesellschaftstheoretischen Fragen ein, das heißt, dass er gerade an den entscheidenden Punkten, den Wendepunkten der Geschichte, im Widerspruch verharrt, nicht zur Widerspiegelung der Realwidersprüche der gesellschaftlichen Basis vordringt und kein adäquates Bewusstsein dieser Widersprüche und des Weges ihrer praktischen Überwindung hervorzubringen imstande ist.

In seinem Artikel „Marxismus und Revisionismus" (LW 15, S. 19-28) legt Lenin dar, dass der Marxismus als ideologische Waffe der Arbeiterklasse notwendig die Lebensinteressen der Bourgeoisie verletzt, die deswegen nichts unversucht lässt, den Marxismus zu „widerlegen". Marxisten müssen also die eifernde Gereiztheit oder alberne Überheblichkeit, mit welcher der Marxismus gewöhnlich als „veraltet" erklärt wird, als mehr oder minder bewussten Angriff gegen die Interessen der Arbeiterklasse entlarven. Der Marxismus entwickelte sich nicht zufällig in Marx’ und Engels’ unermüdlichem Kampf zunächst gegen die „Kritischen Kritiker" des Junghegelianismus, später gegen Proudhons kleinbürgerliche Utopien, dann gegen die Anarchisten (Bakunin) und schließlich gegen Dühring und Mühlberger. Nachdem der Marxismus sich aber als wissenschaftliche Organisationsgrundlage in der revolutionären Arbeiterbewegung durchgesetzt hatte, widmeten sich die Gegner des Marxismus als „Marxisten" verkleidet ihrem früheren „kritischen" Geschäft, der Zerstörung des Marxismus. So entstand innerhalb des Marxismus der Revisionismus als Rückfall in vormarxistischen Sozialismus. Betrachten wir mit Lenin anhand der drei Bestandteile des Marxismus, worin die Abkehr des Revisionismus vom Klassenkampf besteht.

A.) In der Philosophie segelt er im Kielwasser der professoralen Wissenschaft, erklärt den Materialismus für „überholt" und ersetzt ihn durch irgendeine Variante des Idealismus (aber einen flacheren, seichteren als den objektiven Idealismus Hegels.) Zweitens wird die Dialektik für „unzureichend" erklärt und durch evolutionistische Entwicklungskonzepte „ergänzt", wonach man sich an das Gegebene, die „konkreten Bedingungen" usw. zu halten habe. Es ist klar, dass mit der Ersetzung des dialektischen Materialismus in der Philosophie (durch „Korrekturen" an Marx anhand der „neuesten Ergebnisse" der Naturwissenschaften) das Erkenntnisfundament des Marxismus (die dialektisch-materialistische Widerspiegelungstheorie) preisgegeben wird. Da die marxistische Philosophie (als Einheit von Dialektik, Logik und Erkenntnistheorie und allgemeine Lehre der Entwicklung in Natur, Gesellschaft und menschlichem Denken) die Methode für alle anderen Wissensgebiete des wissenschaftlichen Kommunismus begründet, lassen sich Abweichungen vom Marxismus generell auf erkenntnistheoretische Fragen zurückführen. Daraus folgt, dass der Marxismus zuerst auf dieser Ebene (Erkenntnis objektiver Gesetze) seinen revolutionären, handlungsleitenden Charakter verliert und zum Dogma (Fixpunkt, Vorstellung usw.) wird. Umgekehrt: kein Revisionismus ohne Angriff auf die marxistische Philosophie und ihre Quellen.

B.) Auf dem Gebiet der Ökonomie ist für den Revisionismus erstens charakteristisch, dass er den Imperialismus nicht als höchstes und unmittelbar an die sozialistische Revolution heranführendes Stadium des Kapitalismus begreift, noch weniger als die materielle Vorbereitung des Sozialismus. Vielmehr wird der Imperialismus auf „militaristische", „neoliberale", „sozialreaktionäre" bürgerliche Politik reduziert. Zweitens leugnet der Revisionismus die allgemeine Krise des Kapitalismus durch Postulierung seiner „Wandlungsfähigkeit", „Anpassungsfähigkeit" („Ultraimperialismus"). Die umgekehrte Variante davon ist die Verniedlichung des Imperialismus, wobei der Staat zum Instrument der „Regulation" des Kapitalismus gemacht wird und die Krisen entweder ignoriert, oder jedenfalls nicht als Krisen kapitalistischer Produktions- und Austauschweise begriffen werden. Drittens ist für den Revisionismus charakteristisch die Verabsolutierung des „Wertes", d.h. insbesondere die Relativierung oder Leugnung der Wichtigkeit des Kleinbürgertums für die beständige Erzeugung des Kapitalismus und die Verkennung des tendenziell konterrevolutionären Charakters der Warenproduktion im Sozialismus (dazu weiter unten.)

C.) Aus der Verabsolutierung der Warenproduktion auf ökonomischem Gebiet erwächst in der Politik die Revision der Lehre vom Klassenkampf und die Anbetung „reiner" (über den Klassen stehender) Demokratie. Dabei wird übersehen, dass jede Demokratie Klassenherrschaft ist und bürgerliche wie sozialistische Demokratie Mittel und Formen sind, um Klasseninteressen durchzusetzen. Schon Engels bemerkte, dass die „reine Demokratie" das letzte Rückzugsgebiet der „Gesamtreaktion" beim revolutionären Sturm der Massen auf die Bastionen kapitalistischer Klassenherrschaft ist. (MEW 36, S. 252f) Lenin fügte hinzu, dass die Fortentwicklung der bürgerlichen Demokratie gerade das Machtinstrument der Bourgeoisie, ihren Staat und dessen Institutionen, vervollkommnet und eine drastische Zuspitzung der ökonomischen Klassenunterschiede erlaubt (LW 28, S. 244, 246): Proletariat und Kleinbürgertum dürfen sozusagen über ihre wachsende Entrechtung „mitbestimmen". Anstatt solche „Mitbestimmung" als Verrat an den Interessen der arbeitenden Massen zu brandmarken, verfällt der rechte Revisionismus in seiner Überschätzung des Imperialismus darauf, die unendliche „Weiterentwicklung" der bürgerlichen Demokratie und „Verbesserung" der bürgerlichen Gesellschaft auf dem „Weg der kleinen Schritte" (Reformen) an die Stelle des revolutionären Endziels der Arbeiterbewegung zu setzen. Der „linke" Revisionismus hingegen lehnt aufgrund der ihm eigenen Unterschätzung des Imperialismus die Ausnutzung der bürgerlichen Demokratie zum Zwecke des Sturzes der Monopolbourgeoisie rundweg ab und begibt sich damit ebenfalls auf das Gebiet der „unbefleckten" Praxis und der „revolutionären" Phrase.

Das internationale Hervortreten des Revisionismus in allen entwickelten kapitalistischen Staaten gründet darin, dass die Arbeiterklasse generell sich einerseits zunehmend mit proletarisierten Kleinbürgern anreichert und andererseits bedeutende Teile der Arbeiterklasse durch imperialistische Monopolprofite materiell „privilegiert" und ideologisch korrumpiert werden, wodurch sich kleinbürgerliche Sozialismusvorstellungen in der Arbeiterbewegung ausbreiten und unvermeidlich eine Spaltung in revolutionäre und revisionistische Kräfte (hier wieder: links- und rechtsopportunistischen Charakters) erzeugen.

Schon Marx und Engels sagten, dass aufgrund des Bewegungsgesetzes der kapitalistischen Ökonomie „sich das Proletariat aus allen Klassen der Bevölkerung" rekrutiert (MEW 4, S. 469). Da aber weder die Klassenzusammensetzung des Proletariats „verändert" werden kann (damit wieder das „reine" Industrieproletariat der Bourgeoisie entgegentrete?), noch durch veränderte Zusammensetzung der Arbeiterklasse deren allgemeine, objektive Interessen sich ändern, liegt die größte Wichtigkeit auf der ideologischen Bekämpfung des Revisionismus. Die Aufgabe der Theoretiker der Arbeiterbewegung (als bewusste ideologische Vertreter des Proletariats) besteht somit darin, im Interesse der Gesamtbewegung die kleinbürgerlichen Vorstellungen in der Arbeiterklasse als konterrevolutionär zu entlarven. Marx/Engels schrieben im Zirkularbrief an Liebknecht, Bebel, Bracke: „Wenn solche Leute aus andern Klassen sich der proletarischen Bewegung anschließen, so ist die erste Forderung, dass sie keine Reste von bürgerlichen, kleinbürgerlichen etc. Vorurteilen mitbringen, sondern sich die proletarische Anschauungsweise unumwunden aneignen. Jene Herren [u.a. Bernstein] aber...stecken über und über voll bürgerlicher und kleinbürgerlicher Vorstellungen. In einem so kleinbürgerlichen Land wie Deutschland haben diese Vorstellungen sicher ihre Berechtigung. Aber nur außerhalb der sozialdemokratischen Arbeiterpartei." (MEW 19, S. 165) Also auch innerhalb der fortgeschrittensten Partei der Gesellschaft ist der ideologische Klassenkampf nicht aufgehoben. Vielmehr ist der Kampf gegen kleinbürgerliche Ideen darin fortzuführen.

2. Revisionismuskritik in der DDR

Lenin sagte, dass der Revisionismus an jeder bedeutenden geschichtlichen Wendung, mit jeder Änderung der Strategie der Bourgeoisie eine neue Gestalt annimmt (LW 15, S. 26), dabei aber sein Wesen unverändert bleibt. Im Zuge der Konterrevolution hat der Revisionismus eine neue Gestalt erhalten (vgl. Fn. 10) und der im Sozialismus gegen ihn geführte Kampf kann daher nicht unverändert bleiben. Vielmehr muss aus den Ereignissen 1989/90 der Schluss gezogen werden, dass bereits im Sozialismus der Kampf gegen den Revisionismus als innere Aufweichung des sozialistischen Staatensystems nicht mit hinreichender Entschiedenheit geführt wurde. Was können die Keime dafür gewesen sein? Alexander Shdanow bemerkte1947:

„Wenn das Buch des Genossen Alexandrow tatsächlich die Anerkennung der Mehrzahl unserer führenden Philosophen erhalten hat, wenn es zum Stalinpreis vorgeschlagen, als Lehrbuch empfohlen wurde und zahlreiche lobende Rezensionen hervorrief, so bedeutet das, dass offensichtlich auch andere Philosophen die Fehler des Gen. Alexandrow teilen [...] Der Umstand, dass das Buch keinerlei nennenswerte Proteste hervorgerufen hat, dass das Eingreifen des Zentralkomitees und des Genossen Stalin persönlich erforderlich war, um die Mängel des Buches aufzudecken, bedeutet, dass es an der philosophischen Front keine entfaltete bolschewistische Kritik und Selbstkritik gibt. [...] Gleicht unsere philosophische Front wirklich einer Front? Sie erinnert eher an eine seichte Bucht oder ein Biwak irgendwo fern vom Schlachtfeld. Das Schlachtfeld ist noch nicht erobert, Feindberührung gibt es kaum, Aufklärung wird nicht geführt, die Waffen rosten, die Soldaten kämpfen auf eigene Faust, während die Kommandeure entweder in vergangenen Siegen schwelgen oder darüber streiten, ob die Kräfte für einen Angriff reichen, ob man nicht Hilfe von außen anfordern soll, oder über das Thema, wie weit das Bewusstsein hinter dem Sein zurückbleiben kann, ohne dass man allzu rückständig erscheint."

Es ist klar, dass, wenn solche Fehler nicht korrigiert werden, dies schrittweise zur Entwaffnung der Arbeiterklasse im ideologischen Klassenkampf führt, wodurch weiterhin Fehler im polit-ökonomischen Klassenkampf nicht mehr als Fehler erkennbar sind, die Festung des Sozialismus an Verteidigungskraft verliert und so schließlich für den Gegner sturmreif wird. Daher ist zu fragen, wie weit die Revisionismus-Kritik in der DDR entwickelt war. Bemerkenswert ist zunächst, dass der systematische Kampf gegen den Revisionismus erst um 1970 aufgenommen wurde. Vier wichtige geschichtliche Vorgänge hatten zuvor neue Formen des Revisionismus hervorgebracht: erstens die Wende der Politik der KPdSU zu einem voluntaristischen Kurs unter Chrustschow, zweitens die Wende der imperialistischen Bourgeoisie vom „roll back" zum „Wandel durch Annäherung", drittens die im Zuge des Vietnamkrieges weite Teile Europas und die USA erfassende Studentenbewegung und viertens der konterrevolutionäre Umsturzversuch in der CSSR.

In Reaktion hierauf begann in der DDR ein systematischer ideologischer Kampf gegen den Revisionismus. Auf dem Gebiet der Philosophie gab es zwar vorher schon wichtige Publikationen über (klein)bürgerliche Ideologie und Revisionismus, aber erst ab 1971 erschien z.B. die Reihe „Zur Kritik der bürgerlichen Ideologie". Sie ist verdienstvoll, weil und sofern sie die bürgerliche Ideologie unter dem Gesichtspunkt ihrer „Quellenfunktion" für den modernen Revisionismus untersucht. Innerhalb der neuen ideologischen Offensive des Sozialismus entstand auch die Kollektivarbeit „Philosophischer Revisionismus" (Dietz Berlin 1977). Sie ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert, u.a. weil sie erstmals systematisch die erkenntnistheoretische Seite des Revisionismus untersucht (S. 35ff), „moderner Revisionismus" in verhüllter Form vorwegnimmt (S. 15), weil sie die Schriften Stalins aufführt im Verzeichnis der dem Kampf gegen Revisionismus gewidmeten Literatur des Marxismus-Leninismus (S. 441) und ihn nach langem Totschweigen wieder unter die „bedeutenden Marxisten" (72) und Verteidiger der marxistischen Philosophie zählt (121).

Die Autoren bestimmen den Revisionismus zunächst als „bürgerliche Ideologie, die innerhalb der revolutionären Arbeiterbewegung wirkt", weshalb „die offensive Auseinandersetzung mit allen Spielarten des Revisionismus zu den wichtigen Erfordernissen der ideologischen Klassenauseinandersetzung gehört" (S. 5, 7) Gegenstand der Arbeit sind die philosophischen Quellen, weltanschaulich-theoretischen Hauptzüge und Argumente des Revisionismus, um das Wesentliche, Allgemeine seiner philosophischen Angriffe auf den Marxismus systematisch herauszuarbeiten.

Die Auseinandersetzung mit dem Revisionismus findet vor einer bemerkenswerten Epochenbestimmung statt. Deren Hauptinhalt (der weltweite Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus), wird genauer so bestimmt:

„Zwar ist der Weltimperialismus heute gezwungen, sich den neuen Bedingungen des Kräfteverhältnisses [zugunsten des Sozialismus] und der Auseinandersetzung zwischen den beiden Systemen anzupassen..., aber er hat zu keinem Zeitpunkt auf seine Ziele verzichtet...seine Positionen zu wahren und zu erweitern, die demokratischen und Friedenskräfte in der Welt zurückzudrängen und die sozialistische Ordnung zu untergraben und zu vernichten. [...] Nachdem die Politik des ›roll back‹, des Zurückdrängens des Sozialismus, seiner Umklammerung und Erpressung jämmerlich gescheitert ist..., musste der Imperialismus diese Kraft und Stärke des Sozialismus...in seiner strategischen Konzeption berücksichtigen. Der ehemalige Außenminister der USA, Henry Kissinger, brachte diese Erkenntnis zum Ausdruck, als er erklärte, dass die Notwendigkeit der Entspannungspolitik von objektiven Faktoren diktiert werde, so davon, dass die Sowjetunion in militärisch-strategischer Hinsicht den Vereinigten Staaten ebenbürtig sei. ›Deshalb müssen wir Reserviertheit, Koexistenz und in letzter Instanz auch Zusammenarbeit anstreben.‹" (S. 5-11, Herv. GH)

Anstatt zu sagen, dass man auf die vom Klassenfeind gewünschte „Koexistenz und...Zusammenarbeit" (die nur eine neue Form seiner „strategischen Konzeption" darstellt) verzichtet, wird sie entgegen anderslautender Versicherung durchaus zugunsten einer Zurücknahme des Klassenkampfes praktiziert. Dem Imperialismus wird z.B. zum Vorwurf gemacht, er predige gegenüber der eigenen Bevölkerung die Klassenversöhnung, transportiere aber nach außen eine „militante" Freund-Feind-Alternative (S. 13). Ist der Gegensatz der Gesellschaftssysteme etwa nicht objektiv vorhanden? Das Falsche der imperialistischen Ideologie besteht doch nicht darin, das Ausschließungsverhältnis von Kapitalismus und Sozialismus zu konstatieren, sondern dem Sozialismus die eigene Aggressivität unterzuschieben. Noch deutlicher wird dies in der 1975 im Dietz Verlag Berlin erschienenen Studie „Demokratischer Sozialismus", worin es heißt: „Die Tendenz zur internationalen Entspannung entzog der Lüge von der ›Bedrohung aus dem Osten‹ zunehmend den Boden..." (Herv. GH). Indem man dem Imperialismus (vielmehr der eigenen Bevölkerung) die Friedensfähigkeit des Sozialismus „beweist", stellt man sich ja schon auf den Boden der Lüge, der Sozialismus könne durchaus auch aggressiv und expansionistisch sein. Vielmehr müsste hier nachgewiesen werden, dass seitens des Sozialismus alle außenpolitischen Schritte zur Erhaltung des Friedens getan wurden – „vom ersten Dekret der Sowjetmacht 1917, das Frieden verkündete [besser: anbot] und für Russland den ersten Weltkrieg beendete, vom Sieg über den Hitlerfaschismus bis zu den Abrüstungsinitiativen der Warschauer Vertragsstaaten" (Dürrbeck, Holz, Seppmann 2003) – einschließlich dem Nichtangriffspakt mit Deutschland 1939. Ebenso müsste man darauf aufmerksam machen, dass solche Schritte zur Friedenssicherung generell in antikommunistischer Manier als „Expansionsdrang" umgedeutet wurden und werden (z.B. „Hitler-Stalin-Pakt", „Aufteilung Polens" usw.)

Eine Behauptung wie die über die Aggressivität des Sozialismus bedarf also keiner empirischen Widerlegung wie etwa dem Hinweis auf „internationale Entspannung". Diese kann vielmehr nur bedeuten, dass Sozialismus und Imperialismus füreinander „ungefährlicher" werden. Da aber der Imperialismus aggressiv und expansionistisch ist und seinem Wesen nach bleibt, bedeutet „Entspannung", dass der Sozialismus für den Imperialismus ungefährlicher wird, eben weil er den inneren Klassenkampf vernachlässigt, ihn abschwächt, auf die lange Bank schiebt und sich zur Koexistenz mit einem angeblich „friedensfähigen" Imperialismus anschickt. Friedliche Koexistenz ist objektiv nur möglich als Form des Klassenkampfes, indem der Sozialismus dem Kapitalismus den Frieden aufzwingt, eben weil der Imperialismus dem Wesen nach nicht anders kann, als je nach den Kräfteverhältnissen den Sozialismus zu untergraben oder direkt zu bekämpfen. Die Frage „Wer-Wen?" steht, so lange der Imperialismus existiert. Der Klassenkampf verschärft sich notwendig mit den Erfolgen des Sozialismus und ist ihm daher objektiv aufgezwungen; er kann nicht in „entspannter" Weise geführt werden, ohne damit schrittweise dem Imperialismus nach innen, also dem Revisionismus den Platz zu räumen.

Zugleich liegen in vorliegender Publikation Licht und Schatten nahe beieinander. Denn die dem Imperialismus aufgezwungene „friedliche Koexistenz" wird durchaus als neue Form des Klassenkampfes aufgefasst, welche den Imperialismus auch nach neuen Formen des Antikommunismus suchen lässt. Entgegen der zuerst geäußerten These über „internationale Entspannung" wird nun gesagt: Weil der Imperialismus historisch in der Defensive ist, wachse die Rolle des ideologischen Kampfes (S. 13), denn der Imperialismus wende vermehrt die „Strategie der immanenten Zersetzung" des Sozialismus an, gehe also nach der Methode des „trojanischen Pferdes" vor (S. 14) und suche sich konterrevolutionäre Stützpunkte innerhalb des Sozialismus zu verschaffen. Obwohl sich der internationale Klassenkampf „entspannt", spiele „innerhalb des Systems imperialistischer ideologischer Kriegführung gegen den realen Sozialismus und die kommunistische Weltbewegung...der Revisionismus als bürgerliche Ideologie in der revolutionären Arbeiterbewegung" eine entscheidende Rolle dabei, jene „auf die Bahnen des Opportunismus zu lenken und diesen Opportunismus theoretisch zu rechtfertigen." (ebd.) Der Revisionismus passe sich der aktuellen strategischen Konzeption des Imperialismus an, indem er die praktische Klassenzusammenarbeit mit der Bourgeoisie begründe und damit die Unterordnung der Arbeiterklasse unter die Interessen des Kapitals in den kapitalistischen Staaten – und in den sozialistischen die Auslieferung des Sozialismus an das imperialistische Herrschaftssystem – fördere:

Wenn wir heute [1977] von Revisionismus sprechen, dann handelt es sich um jene politische und ideologische Strömung innerhalb der kommunistischen Bewegung, die unter dem Vorwand der Erneuerung, Entdogmatisierung, schöpferischen Weiterentwicklung und Ergänzung die Grundprinzipien des Marxismus-Leninismus angreift, auf die Vernichtung des Sozialismus sowie auf die Aufweichung der kommunistischen und Arbeiterparteien gerichtet ist und die Sprengung ihrer revolutionären Einheit und Geschlossenheit zum Ziel hat. Es ist jene politische und ideologische Erscheinung, die sich Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre in der kommunistischen Weltbewegung herauszubilden begann und die bis in die Gegenwart – wenn auch unter bestimmten Veränderungen und Modifizierungen – hinein wirkt." (S. 15)

Man sieht: Der Revisionismus wird richtig als der Arbeiterbewegung und den sozialistischen Staaten feindliche ideologische Strömung erkannt. Wie weit die Autoren das vorwegnehmen, was heute zur Gewissheit geworden ist, zeigt der Satz: „Der Revisionismus, der zu dieser Zeit [nach 1960] in der revolutionären Arbeiterbewegung verstärkt auftritt, ist eine politische und ideologische Reaktion auf diese neuen gesellschaftlichen Bedingungen von einem kleinbürgerlichen subjektiv-idealistischen Standpunkt." (15f) Auch die Gefahr seiner Ausbreitung im Sozialismus wird erkannt, aber es werden nur abstrakte Thesen genannt und keine Vertreter dieser Thesen innerhalb der Arbeiterbewegung. Nur: wie soll man aufgrund jener abstrakten Feststellungen den ideologischen Klassenkampf führen, gegen wen, gegen welche Theorien, hinsichtlich welcher praktischen Gefahren?

Ein weiterer Mangel des umfangreichen Buches zum Revisionismus besteht darin, dass nur geringe Bezüge zur politischen Ökonomie, und da vornehmlich der des Kapitalismus, hergestellt werden. Sofern es sich auf den Sozialismus bezieht, wird die „gesamtgesellschaftliche Planung" verteidigt gegen die seitens der ›Praxis-Philosophie‹ geführten Angriffe auf die sogenannte „zentralistisch-dirigistische Planung sowjetischen Typs". (S. 46) Wenngleich also die Unvereinbarkeit von Sozialismus und „Selbstverwaltung" aus den „objektiven Entwicklungsgesetzen" der Eigentumsverhältnisse nachgewiesen wird, kommt deren verfeinerte Variante, die „sozialistische Warenproduktion", nicht ins Blickfeld der Kritik. Daher ein kurzer Exkurs zum Revisionismus in der politischen Ökonomie des Sozialismus.

2.1 Exkurs: Revisionismus in der politischen Ökonomie des Sozialismus

Wie Hermann Jacobs in offensiv 15/03 herausgearbeitet hat, liegt die Gefahr des Revisionismus letztlich darin, dass die Bedeutung einer klassenbewussten politischen Ökonomie des Sozialismus verdrängt wird. Als kleinbürgerliche Ideologie und Abweichung vom Marxismus-Leninismus hat der Revisionismus auf politökonomischem Gebiet die Gestalt der Theorie „sozialistischer Warenproduktion", deren Übergänge zur „Selbstverwaltung" (Jugoslawischer Weg) fließend sind. Die Revision des Marxismus besteht darin, dass die Aufgabe des Sozialismus nicht mehr in der Aufhebung der Warenproduktion zugunsten der Planwirtschaft, im Übergang von der Wertökonomie zur Planökonomie, gesehen wird. Vielmehr wurde (zwischen 1963 und 1970 auch im NÖSPL der DDR) angenommen, dass der Plan durch die „relative Selbstständigkeit" und „materielle Interessiertheit" der produzierenden Einheiten „optimiert", also nicht nur die Form des Privateigentums (bei Kollektivwirtschaften) beibehalten werden müsse, sondern vielmehr die „sozialistischen Warenproduzenten" (allgemein) durch den Plan eine Produktionsperspektive („Prognose") erhalten müssten. So stellt sich (nicht wie in der originären marxistischen Theorie: der Kapitalismus, sondern) der Sozialismus dar als die höchste Form der Warenproduktion, indem er diese von den Übeln der kapitalistischen Konkurrenz befreie und so das Wertgesetz erstmals frei von allen Verzerrungen zur Anwendung kommen könne. So jedenfalls wurde es (wenn auch nicht durchgängig) in der politischen Ökonomie in der DDR aufgefasst. Dass diese Ideologie nicht gefeit ist gegenüber Vorstellungen einer „sozialistischen Marktwirtschaft", unter deren Banner die Restauration des kapitalistischen Privateigentums nach dem Sturz der Diktatur des Proletariats erfolgte, sollte nicht verwundern. Um hier vorzubeugen, muss der Revisionismus nicht nur auf dem Gebiet der Philosophie, sondern auch auf dem der politischen Ökonomie bekämpft werden.

Zunächst ist er als Revision der politischen Ökonomie des Sozialismus die am wenigsten erkannte Form im Sozialismus gewesen und trat hier immer als „Kritik" am „Dogmatismus" auf. Da aber gerade in der Stalinschen Etappe das Problem der Warenproduktion und ihrer Aufhebung im Sozialismus marxistisch gelöst worden war, und sich die Voraussetzungen für den allmählichen Übergang zur Schaffung der Grundlagen des Kommunismus abzeichneten, vernebelte der politökonomische Revisionismus mit seiner Verabsolutierung der Warenproduktion theoretisch das Ziel des Kommunismus und förderte Praxisformen, welche langfristig die Diktatur des Proletariats untergruben (man könnte sagen: aus dem Bündnis von Arbeiterklasse und Bauernschaft bzw. Kleinbürgertum wurde ein Kompromiss zwischen beiden.) Die Lähmung der kommunistischen Masseninitiative liegt vor allem daran, dass der Sozialismus an einer idealisierten bürgerlichen Gesellschaft gemessen wurde, weil die wertökonomischen „Optimierungsversuche" („materielle Interessiertheit", „relative ökonomische Selbstständigkeit der Betriebe") die Bedeutung des gesamtgesellschaftlichen Eigentums, des zentralen Plans und des Massenwettbewerbs untergrub. Wird die sozialistische in der Form der Warenproduktion entwickelt, stagniert also die Vereinheitlichung der Produktionsverhältnisse, dann bleibt das politische Einfallstor der Konterrevolution offen. Diese restauriert dann notwendig die „wirkliche", heute kapitalistische Warenproduktion.

Was bedeutet also Verabsolutierung der Warenproduktion? Falsch ist nicht, dass im Sozialismus (als der ersten Phase des Kommunismus) noch Warenproduktion und damit Geld-Ware-Beziehungen existieren; sie einfach „abzuschaffen" ist unmöglich. Der entscheidende Unterschied besteht darin, wie diese Geld-Ware-Beziehungen theoretisch gefasst und politisch behandelt werden – als Muttermal des Kapitalismus oder als Wesensmerkmal des Sozialismus. Davon hängt letztlich ab, wie Warenproduktion und Wertgesetz ökonomisch ausgenutzt und angewandt werden: zur Aufhebung oder zur Ausweitung der Warenproduktion, zur Optimierung der Planung oder zur Reduktion des Plans auf Perspektiven, „Prognosen" (also allgemeine „Rahmendaten" für „sozialistische Warenproduzenten", damit für eine letztlich von den einzelnen Betrieben selbst „geplante", und das heißt Warenproduktion.)

Zunächst ist also die allgemeine Vorstellung beiseite zu legen, der Sozialismus sei als arbeitsteilige Ökonomie zugleich Warenproduktion. Diese setzt Privateigentum an Produktionsmitteln voraus und in der „Aufhebung des Privateigentums" fasst sich bekanntlich die Lehre des Kommunismus zusammen. Der Marxismus, als wissenschaftlicher Ausdruck der Interessen der werktätigen Massen, ist der theoretische Ausdruck der objektiven historischen Tendenz jener „Aufhebung des Privateigentums", die im Kapitalismus beginnt, aber erst im Sozialismus vollendet werden kann. Der Marxismus als revolutionäre Politik der herrschenden Arbeiterklasse muss demnach das Eigentum zentralisieren, denn nur das zentralisierte Eigentum ist Grundlage für das Entstehen und die Anwendung der ökonomischen Gesetze des Sozialismus.

Herauszuheben sind – in aller Kürze – die zwei wesentlichen: erstens das ökonomische Grundgesetz des Sozialismus, welches besagt: Sozialistische Produktion dient der immer umfassenderen Befriedigung der ständig wachsenden produktiven und konsumtiven Bedürfnisse der Gesellschaft auf Basis der höchstentwickelten Technik. Dieses Gesetz drückt aus, dass es sich bei der sozialistischen Produktionsweise um gesellschaftliche Bedarfsökonomie handelt (und nicht wie in der Warenproduktion und folglich im Kapitalismus um private Wertökonomie.) Um sich aber als Bedarfsökonomie realisieren zu können, bedarf es der Planung; der sozialistische Plan ist nichts anderes als die mehr oder weniger genaue Widerspiegelung des zweiten wesentlichen Gesetzes der sozialistischen Produktionsweise: des Gesetzes der proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft. Dieses erfordert in erster Linie eine genaue Abstimmung zwischen Produktionsmittel- und Konsumgüterindustrie, Rechnungsführung und Kontrolle der Arbeitszeit, planmäßige Entwicklung des Verkehrswesens, Organisation der Güterverteilung usw.

Diese zwei Gesetze sind in ihrer Einheit die grundlegenden, die sozialistische Produktionsweise bestimmenden Gesetze und bleiben auch im Kommunismus bestehen (sie erhalten dort erst ihre „eigentliche" Wirkungssphäre.) Hingegen das Gesetz der Aneignung nach Arbeitszeit und Qualifikation (Leistungsprinzip) ist an den Entwicklungsstand der Produktivkräfte gebunden und wird im Übergang zum Kommunismus durch das Gesetz der Aneignung nach den Bedürfnissen ersetzt, d.h. die Aneignung gesellschaftlichen Reichtums hört erst hier auf, an die verausgabte Arbeitszeit gebunden zu sein. Wieder andere Gesetze, etwa das Gesetz der unbedingten Übereinstimmung der Produktionsverhältnisse mit dem Charakter der Produktivkräfte oder das Gesetz des ständigen Wachstums der Arbeitsproduktivität wirken im Sozialismus wie in allen anderen Gesellschaftsformen und sind hier nicht näher zu betrachten, wo es um die Herausarbeitung der Besonderheit des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus einerseits und dem Kommunismus andererseits geht.

Die allgemeinen Gesetze des Übergangs von der Warenwirtschaft (Wertökonomie) zur Planwirtschaft (Bedarfsökonomie) sind die objektiven Entwicklungsgesetze der Produktionsverhältnisse, d.h. die Gesetze der bewussten, allmählichen Vereinheitlichung des gesellschaftlichen Eigentums (das damit aufhört „Eigentum" zu sein.) In dieser Periode – der Diktatur des Proletariats – greifen zwei Formen des gesellschaftlichen Eigentums (Kollektiv- und Staatseigentum) ineinander (es gibt auch noch eine verschwindend geringe Privatproduktion). Die Planwirtschaft bedient sich dabei der Warenproduktion, des Geldes usw. – die Warenproduktion aber bleibt ein letztlich unvollständig kontrolliertes Moment innerhalb der Planwirtschaft, so lange die freie Verfügung der Produzenten über Überplanbestände besteht, also Verkauf von Überschüssen und damit Markt existiert.

Die für den politökonomischen Revisionismus charakteristische Verabsolutierung der Warenproduktion (man habe im Sozialismus das Wertgesetz zu „beachten") führt zurück zu Überlegungen über den ideologischen und materiellen „Resonanzboden" des Revisionismus in Sozialismus und Kapitalismus.

2.2 Ursachen des Revisionismus

2.2.1 Erkenntnismäßige Ursachen

Die entscheidende erkenntnistheoretische Ursache des Revisionismus (der Punkt des „Zusammenschlusses" von materiellen Verhältnissen und Ideologie und damit der Grund der praxiswirksamen Umsetzung des Revisionismus in praktischen Opportunismus) ist, wie oben gesagt, generell die unzureichende Durchdringung gesellschaftlicher Erscheinungen auf ihr Wesen.

Denn die „menschliche Erkenntnis ist nicht (respektive beschreibt nicht) eine gerade Linie, sondern eine Kurve, die sich einer Reihe von Kreisen, einer Spirale unendlich nähert. Jedes Bruchstück, Teilchen, Stückchen dieser Kurve kann verwandelt (einseitig verwandelt) werden in eine selbstständige, ganze, gerade Linie, die (wenn man vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht) dann in den Sumpf, zum Pfaffentum führt (wo es durch das Klasseninteresse der herrschenden Klassen verankert wird.) Geradlinigkeit und Einseitigkeit, Erstarrung und Verknöcherung, Subjektivismus und subjektive Blindheit, viola [das sind] die erkenntnistheoretischen Wurzeln des Idealismus." (LW 38, S. 344)

Lenin macht weiterhin darauf aufmerksam, dass „allgemeine Phrasen über Freiheit, Gleichheit und Demokratie...in Wirklichkeit gleichbedeutend [sind] mit der gedankenlosen Wiederholung von Begriffen, die eine Ableitung aus den Verhältnissen der Warenproduktion sind." (LW 30, S. 101). Daher widmete Marx der Analyse solcher objektiven Denkformen die größte Aufmerksamkeit, die aus den Verhältnissen der Warenproduktion hervorwachsen. Marx weist im ›Kapital‹ („Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis") eindringlich darauf hin, dass zwei Denkformen untrennbar sind: 1.) die historische Besonderheit der bürgerlichen Produktionsweise zu verschleiern und 2.) den (dieser Produktionsweise geschuldeten) Wertcharakter der Arbeitsprodukte ihnen als Dingen (Gebrauchswerten) zuzuschreiben.

„Derartige Formen bilden eben die Kategorien der bürgerlichen Ökonomie. Es sind gesellschaftlich gültige, also objektive Gedankenformen für die Produktionsverhältnisse dieser historisch bestimmten gesellschaftlichen Produktionsweise, der Warenproduktion." (MEW 23, S. 90) – „Für eine Gesellschaft von Warenproduzenten, deren allgemein gesellschaftliches Produktionsverhältnis darin besteht, sich zu ihren Produkten als Waren, also als Werten, zu verhalten und in dieser sachlichen Form ihre Privatarbeiten aufeinander zu beziehn als gleiche menschliche Arbeit, ist das Christentum mit seinem Kultus des abstrakten Menschen, namentlich in seiner bürgerlichen Entwicklung, dem Protestantismus, Deismus usw., die entsprechendste Religionsform." (MEW 23, S. 93; Herv. GH)

In einem früheren Manuskript zum Kapital betont Marx, dass alle Apologetik der kapitalistischen, auf der Ausbeutung fremder Arbeitskraft basierenden Produktionsweise darauf gründet, diese gleichzusetzen mit auf eigener Arbeit basierender Produktion (siehe oben 1.1.1, „1.b). Kleinbürgerliche Ideologie"). Dies ist möglich, weil beide Produktionsformen Privateigentum an Produktionsmitteln zur Grundlage haben, weil das Arbeitsprodukt beider Produktionsformen Waren sind, und folglich beide über Kauf und Verkauf in den gesellschaftlichen Stoffwechsel eingehen. Man nimmt bei solcher Identifikation den Standpunkt der Zirkulationssphäre oder (wie Marx sagt) den „der fertigen Phänomene" ein. Übersehen wird dabei der wesentliche Unterschied, dass in der kleineigentümlichen Warenproduktion der unmittelbare Produzent selbst Eigentümer der Produktionsmittel ist, in der kapitalistischen Produktionsweise hingegen nicht. „Übersehen" wird also „nur" die Grundlage der Ausbeutung, das kapitalistische Privateigentum an den Produktionsmitteln, was die Eigentumslosigkeit der unmittelbaren Produzenten voraussetzt. Aber die Identifikation beider Produktionsformen durch ihre unkritische Auffassung über Kauf und Verkauf (Waren- und Geldzirkulation) bringt sämtliche Vorstellungen einer Veränderbarkeit der Gesellschaft durch Eingriff in die Zirkulation, durch „Demokratisierung", „gerechte" Verteilung usw. hervor – wodurch die historische Rolle der Arbeiterklasse, das Kapital zu stürzen und die proletarische Diktatur zu errichten, negiert wird. Einerseits erwachsen diese Denkformen unmittelbar der oberflächlichen Reflexion kapitalistischer Warenproduktion, andererseits werden diese „kleinbürgerlichen" Vorstellungen trotz Zuspitzung des Klassenantagonismus zwischen Kapital und Arbeit auch im Imperialismus auf verschiedene Weise reproduziert. Und hierin findet der Revisionismus seinen materiellen Resonanzboden sowohl im Kapitalismus als auch im Sozialismus.

2.2.2 Materielle und politische Ursachen im Kapitalismus

Diese werden in dem Buch „Philosophischer Revisionismus" in enger Anlehnung an Lenins „Revisionismus und die Spaltung der internationalen Arbeiterbewegung" dargelegt (vgl. Fn. 57). Weiterhin werden genannt:

- Veränderungen in den Bedingungen der Reproduktion der Arbeitskraft: Im Klassenkampf errungene soziale Sicherungssysteme werden genutzt, um in der Arbeiterklasse feindliche Illusionen über die Reformierbarkeit des Kapitalismus zu fördern („Sozialpartnerschaft").

- Veränderung in der Zusammensetzung der Arbeiterklasse: Ehemalige Mittelschichten als Angestellte, Beamte, Verwalter, Kontrolleure, hochqualifizierte Facharbeiter usw. oder Teile des neuentstehenden Arbeitslosenheeres tragen unweigerlich kleinbürgerliche Eigentumsideologie in die Arbeiterklasse oder befestigen diese, sofern sie sich darin vorfindet.

- Proletarisierung der bürgerlichen Intelligenz: auf proletarische Lebensbedingungen herabgedrückt, ist sie angehalten, die Widersprüche kapitalistischer Produktion und Verteilung zu reflektieren. Da sie es vom Standpunkt des bürgerlichen Individualismus tut, bleiben die Denkformen dem Kleinbürgertum verwandt und dem Kleineigentum verhaftet. Zugleich fördert individualistische Ideologie die Undiszipliniertheit und Unorganisiertheit, also Vorbehalte gegenüber der Partei der Arbeiterklasse und von ihr geführter Massenaktionen (Bildungsveranstaltungen, politische Streiks, Massendemonstrationen.)

2.2.3 Materielle und politische Ursachen im Sozialismus

Die Autoren unterscheiden in „Philosophischer Revisionismus" jenes gesetzmäßige Entstehen des kleinbürgerlichen Sozialismus, Linksradikalismus, Reformismus – also den Revisionismus im Kapitalismus von seinen Entstehungsgründen im Sozialismus, wo er keine gesetzmäßige (dem Sozialismus eigene) Erscheinung sei und mehr von äußeren Umständen abhänge. Der Revisionismus habe einen Resonanzboden im Sozialismus,

- da dieser noch mit den „Muttermalen" der bürgerlichen Gesellschaft behaftet ist. Hierunter zählt in erster Linie die noch bestehende kleine Warenproduktion, wobei ein Schwanken der Mittelschichten in dem Maße auftritt, wie das feste Bündnis mit dem Proletariat gestört wird und Vorstellungen eines „humanen", „freiheitlichen" Sozialismus oder „sozialer Marktwirtschaft" hervorbringt.

- da sozialistische Verhältnisse nicht automatisch sozialistisches Bewusstsein hervorbringen, ebenso die Ausgangsbedingungen der proletarischen Diktatur und ihre äußeren Existenzbedingungen möglicherweise noch lange ein relatives Zurückbleiben des Lebensniveaus bewirken können (etwa in der DDR, deren Bevölkerung ihr auf das Individuum bezogene Lebensniveau an der BRD und nicht anderen kapitalistischen Staaten, etwa Italien maß.)

- aufgrund der Anreicherung der kommunistischen Partei mit wenig geschulten Mitgliedern dadurch, dass sie regierende Partei und zugleich Massenpartei wird (ungenügende Aneignung des Marxismus-Leninismus.) Zugleich ist hier die Verhinderung einer Spaltung wichtiger, weil diese den Sturz der Diktatur des Proletariats bewirken würde.

- durch Fehler in der Ausübung der führenden Rolle der Partei (materielle Fehlentwicklungen, etwa unzureichende Bekämpfung der Warenproduktion), keine Entfaltung der Selbstkritik („Unumkehrbarkeit" des Sozialismus, Selbstlauftheorie, Überheblichkeit), unzureichende ideologische Arbeit unter den breiten Bevölkerungsmassen.

- so weit innere Probleme des sozialistischen Aufbaus mit der ideologischen Diversion des Imperialismus zusammentreffen. So können sich im Sozialismus revisionistische Denkweisen bis zu konterrevolutionärer Praxis bestimmter Bevölkerungsteile auswachsen. Bürgerliche Ideologie ist also im Sozialismus ein konterrevolutionärer Faktor, so wie der Marxismus in der bürgerlichen Gesellschaft ein revolutionärer ist.

3. Revisionismus heute

Das Autorenkollektiv von „Philosophischer Revisionismus" gibt für die imperialistische Ideologie und ihre Benutzung durch den Revisionismus bzw. die Benutzung des Revisionismus durch die Bourgeoisie im Kampf gegen Arbeiterbewegung und realen Sozialismus vier Ziele an (vgl. S. 11f):

1. Aufweichung der Führungsrolle der marxistisch-leninistischen Parteien in den sozialistischen Staaten durch gezielte Einwirkung auf die verschiedenen Schichten der Bevölkerung. So sollen unter Ausnutzung der Zusammenarbeit auf kulturellem, wissenschaftlichem und technischem Gebiet bürgerliche und kleinbürgerliche Auffassungen und Praxisformen innerhalb sozialistischer Staaten wiederbelebt werden: Anstelle der aggressiven Nachkriegspolitik des sog. „Roll-back" orientierten sich „die herrschenden Kräfte des Monopolkapitals...dabei auf eine langfristige Erosion des Sozialismus." (11) So ist es also in Wirklichkeit um die „friedliche Zusammenarbeit" bestellt!

2. Sprengung der sozialistischen Staatengemeinschaft und der Einheit der kommunistischen Weltbewegung durch Propagierung dem proletarischen Internationalismus entgegengesetzter, also antikommunistischer/antisowjetischer Konzeptionen (Anarchismus, Sozialreformismus, bürgerlicher Nationalismus – etwa die maoistische Ideologie, welche die revisionistische Sowjetunion als „Supermacht" und „Sozialimperialismus" bekämpfte.)

3. Verbreitung scheinbarer Alternativen zum Sozialismus im Sinne eines „pluralen Marxismus", d.h. Diskreditierung der Allgemeingültigkeit der marxistisch-leninistischen Theorie des sozialistischen Aufbaus, wie sie in der SU entwickelt wurde. Durch Ableugnung der Allgemeingültigkeit der Erfahrungen der kommunistischen und Arbeiterparteien sollten z.B. die neokolonial unterdrückten Völker vom Fortschreiten und Aufbau ihrer Gesellschaft nach dem Vorbild und durch Unterstützung des realen Sozialismus abgehalten und auf den kapitalistischen Entwicklungsweg gezwungen werden.

4. Ideologische Integration aller Bevölkerungsteile auf innenpolitischem Gebiet, Einordnung und Kontrolle aller für den Sozialismus eintretenden Kräfte in das imperialistische Herrschaftssystem (Kampf gegen „Terror" und „Extremismus".)

Unter den Bedingungen des Bestehens eines sozialistischen Staatensystems ist diese Definition zutreffend. (Sie steht allerdings im direkten Widerspruch zu gelegentlichen Äußerungen über eine „friedliche Entspannungspolitik" usw.) Heute, unter Bedingungen des sich scheinbar „endgültig" zur Weltherrschaft aufschwingenden Imperialismus gilt diese Rangfolge der Bedeutsamkeit des Revisionismus für den Erhalt imperialistischer Verhältnisse natürlich nicht mehr. Die beiden ersten Ziele (konterrevolutionärer Sturz des sozialistischen Staatensystems, Enthauptung der Arbeiterklasse durch Zerschlagung oder revisionistische Desorganisation der kommunistischen Parteien) wurden vorläufig realisiert. Damit sind die dritte und vierte Funktion entscheidend geworden: die Verbreitung scheinbarer Alternativen zum realen Sozialismus und die innenpolitische Komponente der ideologischen Korrumpierung sämtlicher Bevölkerungsteile durch imperialistische Ideologie.

Die Bedeutung der dritten Funktion liegt nach wir vor auf dem Erhalt von billigen Rohstoffquellen als Gegenwirkung zum tendenziellen Fall der Profitrate und zur Verfügung über billige Arbeitskräfte für den Imperialismus, wobei die unterdrückten Völker momentan kaum auf Unterstützung durch sozialistische Staaten rechnen können – wenngleich der Widerstand nationaler Befreiungsbewegungen (besonders in Südamerika gegen die US-imperialistische Vorherrschaft) deutlich wächst.

Entsprechend der vierten Funktion des Revisionismus richtet die Bourgeoisie, da die Arbeiterbewegung vom entfalteten Aufbau des Sozialismus auf die Phase der Orientierung und Reorganisation zurückgeworfen wurde, heute ihre Hauptangriffe eben hierauf, auf die Verhinderung von Orientierung und Organisation. Dies geschieht durch die permanente Delegitimierung des realen Sozialismus (in unserem Fall der DDR) als „Verbrecherstaat", durch seine Bezeichnung als „gut gemeintes" (aber schlecht gemachtes) „Experiment" oder auch die „Verniedlichung" der DDR als Puppenstube mit kuriosen Gebrauchswerten in der aktuellen „(N)Ostalgie"-Welle. In allen Fällen handelt es sich um eine Diskreditierung der historischen Errungenschaften des Sozialismus und des Marxismus-Leninismus, denn so weit der Sozialismus dem Imperialismus trotzte, geschah dies aufgrund der Anwendung des Marxismus-Leninismus in der Praxis (auch wenn die Millionenmassen der Werktätigen sich dessen nicht immer bewusst waren). Dass die DDR und der Realsozialismus nicht gänzlich zu verschweigen sind, zeigt nur, dass sie und seine Errungenschaften nicht einfach aus der Erinnerung verdrängt werden können. Also muss ein falsches Bild von ihm im öffentlichen Bewusstsein befestigt werden, damit er nicht wieder handlungsleitend werde. Die Bourgeoisie und ihr „drittes Standbein", ihr Helfershelfer in ideologischen „Fragen" (der Revisionismus) richten sich daher (nicht immer bewusst, aber immer aufgrund des vom Privateigentum geleiteten Klasseninstinktes) stets gegen den fortgeschrittensten Teil der Arbeiterbewegung und seine Repräsentanten. Die Angriffe auf den Realsozialismus und die marxistische Theorie werden vorrangig durch die Entwicklung von „Alternativen" zum Kapitalismus und damit auch zum realen Sozialismus (denn er ist keine „Alternative", sondern die bestimmte Negation des Kapitalismus) vorangetrieben, und zwar durch die Verfälschung der Geschichte und damit der Theorie der Arbeiterbewegung. Insbesondere geschieht der Angriff auf den Marxismus-Leninismus durch die Diskreditierung des sozialistischen Aufbaus in der Sowjetunion vor und den europäischen Volksdemokratien nach dem II. Weltkrieg – der, soweit erfolgreich, „stalinistisch" war.

Der „Antistalinismus" in der Geschichtsbetrachtung ist heute nicht die einzige, aber die grundlegende der vielfältigen Demoralisierungsstrategien des Revisionismus (welcher sich besonders in dieser Form der Bourgeoisie zur Aufweichung marxistisch-leninistischer Theorie und Praxis anbietet bzw. anbiedert). Der Revisionismus behält seinen opportunistischen Charakter vollauf bei, aber hat sich mit dem Niedergang des realen Sozialismus um den bürgerlichen „Antistalinismus" gruppiert. Was in der „antistalinistischen" (z.B. pluralistischen) „Haltung" auf dem Gebiet der Geschichtsbetrachtung zur Ablehnung dieser Diktatur des Proletariats, dieses sozialistischen Aufbaus, dieser Form der Partei- und Staatsorganisation führt, bringt letztlich immer die Leugnung

– der Notwendigkeit einer marxistisch-leninistischen Klassenorganisierung,

– der Notwendigkeit der Diktatur des Proletariats und

– der Gesetze bzw. Gesetzmäßigkeit des sozialistischen Aufbaus mit sich.

3.1 Kleinbürgertum und moderner Revisionismus

Es wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass das Kleinbürgertum und dessen Ideologen als scheinbar „über" den Hauptklassen der Gesellschaft stehende Schicht das Unversöhnliche (Idealismus und Materialismus, Kapital und Arbeit, Privateigentum und Sozialismus) zu versöhnen streben. Allerdings ist der Imperialismus auch vom Standpunkt des Kleinbürgers von Übel: vor allem, weil er die Existenzgrundlage des Kleineigentums durch die monopolistische Konkurrenz vernichtet (aber dafür „plötzlich" an anderer Stelle, etwa im Dienstleistungssektor, wieder erzeugt.) Aus dieser Vernichtung bei gleichzeitigem Neuentstehen des Kleinbürgertums ergibt sich für es ein gewissermaßen „halbherziger" Kampf gegen den Kapitalismus, basierend auf dem Widerspruch von materieller Knechtung und gleichzeitig ideologischer Privilegierung der Kleinbürger („Selbstständige") im Imperialismus. Letztlich reduziert sich die reformistische kleinbürgerliche Ideologie auf die „Idee", mit einem „gezähmten" oder „gefesselten" Kapitalismus in den Sozialismus hineinzuwachsen. Das „links"radikale Pendant dazu ist die Vorstellung, dem Imperialismus immer und überall „revolutionär" entgegen zu treten, unabhängig vom Entwicklungsstand der Arbeiterklasse und der realen Kräftekonstellation im Klassenkampf. Beides sind elitäre Vorstellungen und verschleiern die Notwendigkeit des revolutionären Sturzes des Kapitals durch die von einer kommunistischen Partei geführten werktätigen Massen und vor allem die Schwierigkeiten des Weges dahin.

Die andere Seite ist: Ebenso wie das Kleinbürgertum nur so weit „gegen" den Kapitalismus auftritt, wie er das Kleinbürgertum ruiniert, tritt es „für" den Sozialismus nur ein, so lange er das Kleineigentum nicht antastet. Auch der Sozialismus ist dem Kleinbürger von Übel, weil und sofern er dass Privateigentum abschafft.

3.1.1 Noch einmal zur Verabsolutierung der NÖP

In meiner Arbeit zur Oktoberrevolution (vgl. den „Exkurs" S. 45f) hatte ich die These aufgestellt, dass „jede ›antistalinistische‹ Denkhaltung...mit einer Idealisierung der NÖP verbunden" sei, weil diese für kurze Zeit die relative Freiheit des Privateigentums innerhalb eines sozialistischen Staates gewährte. Zunächst war es unvermeidlich, dass in der Phase der Errichtung der Diktatur des Proletariats die sozialistischen Produktionsverhältnisse noch nicht auf ganzer Linie siegten, weil insbesondere in der Landwirtschaft die kleinbäuerliche Warenproduktion vorherrschte, die Sowjetmacht aber das Warengetreide der Mittelbauern und kapitalistischen Großbauern (Kulaken) noch nicht ersetzen konnte. Daher die Wichtigkeit des festen Bündnisses der Arbeiterklasse mit der Klein- und Mittelbauernschaft (und nicht mit der Bauernschaft schlechthin.) Aber auch jenes Bündnis diente nicht der Erhaltung, sondern der Überwindung des Kleineigentums. Dieses konnte und musste – um eine Restauration des Kapitalismus zu verhindern – in dem Maße in kollektivwirtschaftliche Produktionsverhältnisse überführt werden, wie die sozialistische Wirtschaft den privat erwirtschafteten Anteil am gesellschaftlichen Gesamtprodukt (insbesondere das Warengetreide) ersetzen konnte. (vgl. offensiv 5/03, S. 45)

Erst die Überleitung der Landwirtschaft in die Bahnen der gesellschaftlichen Produktion sicherte wirklich den Sieg der sozialistischen Revolution in der Sowjetunion. Die ab 1929 einsetzende Massenbewegung zur Schaffung von Kollektivwirtschaften war Ausdruck des Strebens der landarmen und Kleinbauern, aus den Fesseln des Kulakentums und der Kleinproduktion auszubrechen. Vom Klassenstandpunkt der relativ wohlhabenden Mittelbauern und Kulaken erschien die Kollektivierung hingegen als „Bürgerkrieg gegen das Dorf". Ähnlich sagte bereits Kautsky 1918 durch seinen „Einwurf", die Sowjetregierung trage durch die Enteignung wohlhabender Bauern „ein neues Element der Unruhe und des Bürgerkrieges in den Produktionsprozess hinein". Lenin sagte, dass sich die Bolschewiki dies – in Verwirklichung der Diktatur des Proletariats im Bündnis der armen Bauernschaft – gerade „als Verdienst anrechnen". (beide Zitate: LW 28, S. 299) Damals (1918) handelte es sich bei den Komitees der Dorfarmut natürlich noch um die unmittelbare Fortführung der Revolution auf dem Lande, zehn Jahre später hingegen um die Wende von der Politik der Einschränkung der Ausbeutertendenzen der Kulaken zur Politik der Liquidierung des Kulakentums als Klasse. Dem Wesen nach sind diese Prozesse jedoch dieselben, denn sie bedeuten die Aufhebung des Ausbeutereigentums.

Unter der scheinbaren Kritik Steigerwalds an „Stalins Politik" (der „überstützten", „nicht vorgesehenen" Kollektivierung) versteckt sich letztlich die o.g. Verabsolutierung der NÖP („stetiges und langsames Wachstum der Kollektivierungsaktion", offensiv 11/03, 52). Der Nachweis, dass es sich bei der Kollektivierungspolitik der KPdSU um einen gesetzmäßigen ökonomischen Prozess handelte, behagt Steigerwald offenbar nicht. Welches sind die politökonomischen Vorstellungen Steigerwalds hinsichtlich der Übergangsperiode in der Sowjetunion? Schon in einer früheren Schrift äußert er, „Lenin [ging] unmittelbar nach der Revolution daran..., die Grundlage der politischen Ökonomie des Sozialismus auszuarbeiten. Es handelt sich dabei keineswegs, wie sogenannte Antirevisionisten behaupten, nur um konkret-unvermeidliche Maßnahmen während der Neuen Ökonomischen Politik, sondern – auf der Grundlage der politischen Macht der Arbeiterklasse und sozialistischer Produktionsverhältnisse – um ein ganzes System ökonomischer Gesetze, wobei bestimmte Kategorien wie Ware, Wert, Preis, Gewinn usw. beibehalten werden, aber bereits einen qualitativ anderen gesellschaftlichen Inhalt besitzen."

Genau das ist eben falsch. Die NÖP ist – wie Steigerwald zunächst richtig bemerkt – keine zeitweilige Veränderung der Politik, sondern eine eigenständige Übergangsphase zur Entwicklung sozialistischer Produktionsverhältnisse unter Ausnutzung der Warenproduktion bei Herrschaft des sozialistischen Staatsmonopols. Das heißt aber, dass die NÖP eben noch nicht „auf der Grundlage...sozialistischer Produktionsverhältnisse" wirkt, sondern auf die Schaffung der materiellen Bedingungen gerichtet ist, die für die gesamtgesellschaftliche Durchsetzung sozialistischer Produktionsverhältnisse nötig sind. Also hatten in der NÖP „Kategorien wie Ware, Wert, Preis, Gewinn usw." noch keinen „qualitativ anderen gesellschaftlichen Inhalt". Vielmehr ist die NÖP eine Übergangsphase mit gemischten Eigentumsformen, da kapitalistische und sozialistische Elemente in der Volkswirtschaft vorhanden waren – was angesichts des Entwicklungsstandes der Produktivkräfte die einzig mögliche Form des Bündnisses von Arbeiterklasse und armer Bauernschaft war.

Zudem ist unklar, wie etwa das Wertgesetz jemals einen „qualitativ anderen gesellschaftlichen Inhalt" haben kann. Es besagt, dass Waren sich im Maße der in ihnen vergegenständlichten gesellschaftlichen Durchschnittsarbeitszeit austauschen, im Kapitalismus wie im Sozialismus (sofern darin noch Warenproduktion besteht.) Allenfalls kann das Wertgesetz seinen Charakter ändern, indem es nicht mehr als blindwirkender Regulator der Produktion fungiert, sondern ausgenutzt wird für die zunehmend gesamtgesellschaftliche Planung der Produktion. So lange aber noch Privateigentum an Produktionsmitteln besteht, wirkt auch das Wertgesetz als Regulator der Produktion (sichtbar an den Tendenzen des Kulakentums zur Spekulation mit Warengetreide und zur Einschränkung der Anbauflächen.) Um diesem Zustand abzuhelfen, ist die Aufhebung sämtlichen Privateigentums zugunsten des gesamtsozialistischen Aufbaus, die Vergesellschaftung der anarchischen Kleinproduktion wie auch die Zerschlagung der kapitalistischen Dorfbourgeoisie nötig. Es zeigt sich also, dass Steigerwald die NÖP nicht als relativ eigenständige Übergangsform zur sozialistischen Produktionsweise auffasst, sondern beide identifiziert.

3.2 Lernen aus den „Fehlern" der Geschichte?

Ein wesentlicher Punkt in der Argumentation Steigerwalds ist sein Wille, die richtigen Lehren aus der Geschichte des Sozialismus zu ziehen, um bestimmte Fehler beim nächsten „Anlauf" zu vermeiden. Dies ist zunächst richtig, die Frage ist nur: um welche Fehler handelt es sich und welche Lehren meint Steigerwald daraus ziehen zu müssen? Verdeutlicht werden kann dies an einem aktuellen Artikel Steigerwalds in den ›Marxistischen Blättern‹ 6/03 („Probleme in Stalins Politik des Aufbaus des Sozialismus"). Ist die Einschätzung der Geschichte durch Gen. Steigerwald mit einer kommunistischen Parteilinie, mit dem proletarischen Klassenstandpunkt, mit dem historischen Materialismus vereinbar? Vorderhand sieht es ganz danach aus, denn Steigerwald versichert zweimal, dass er sich „an der Entwicklung der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse" orientiere, wohingegen ich nicht verstanden hätte, was historisch-materialische Geschichtswissenschaft bedeute. (offensiv 11/2003, S. 51 und 54)

Erstens. Steigerwald überschrieb bereits seine Kritik in offensiv 11/03 mit „Meinungsstreit ja, aber mit Substanz, bitte!" (49). Dies wirft eine Frage auf: Er mag unsere Diskussion als „Meinungsstreit" ansehen, sie ist es aber nicht. Möglicherweise waren meine Formulierungen ungenau, möglicherweise habe ich die Relevanz des in Frage stehenden Themas für die heutige Praxis der kommunistischen Partei nicht genügend herausgearbeitet. Es ging ja nicht – wie Steigerwald meint – um „einige Aspekte der Geschichte der Sowjetunion" (ebd.), über die man als Marxist verschiedener „Meinung" sein könnte. Vielmehr stellt meine Arbeit eine Zusammenfassung der für die marxistische Gesellschaftstheorie relevanten Prozesse dar, nämlich derjenigen, welche die objektiven Gesetzmäßigkeiten des sozialistischen Aufbaus – der Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung unter den Bedingungen der Diktatur des Proletariats betreffen. Auch zu Naturgesetzen gibt es in wissenschaftlicher Hinsicht keine „Meinungen", sondern nur ihre Erkenntnis (und Ausnutzung) oder ihre Unkenntnis. Ebenso verhält es sich mit den gesellschaftlichen Gesetzen. Diese unterscheiden sich aber von denen der Natur dadurch, dass sie durch das Handeln der Menschen sich durchsetzen und dabei unmittelbar die Interessen von Gesellschaftsklassen berühren. Es sind eben diese „Gesetze der Erscheinung" (das Allgemeine im Einzelnen, die Zusammenhänge der Phänomene, ihr Wesen), welche zur Weiterentwicklung und Konkretisierung des historischen Materialismus beigetragen haben und deren Aneignung die Aufhebung des revolutionären Erbes der Arbeiterbewegung bedeutet; ohne dies kann sie nicht wieder zu einer geschichtsbestimmenden Kraft werden.

Zweitens zu den „Erscheinungen", an welchen Steigerwald ableugnet sich zu orientieren. Er sagt, dass er sich an der Produktivkraft-Entwicklung, an den Hungertoten, an den überhöhten Planzahlen „orientiert". Er streitet lediglich ab, dass „Hunderttausende Verhungerte...[eine] Erscheinung [sind.]" (53) Aber selbstverständlich sind diese zunächst ebenso eine Erscheinung, wie die Planzahlen, die Überspitzungen bei der Kollektivierung usw. Sie bleiben auch Erscheinungen, wenn man nicht in Rechnung stellt, dass sie die Oberfläche, die Erscheinungsform des in der Tiefe der Gesellschaft sich vollziehenden Klassenkampfes sind. Steigerwald erwähnt zwar (obwohl er „nicht darauf eingehen" will, gerade das wäre aber nötig) die umgesiedelten Kulaken, aber nicht, inwiefern sie vorher an den Versorgungsschwierigkeiten der Bevölkerung beteiligt gewesen waren. Würde er darüber nachdenken, könnte er sich vielleicht auch die 1927 beschlossenen administrativen Maßnahmen der Sowjetmacht erklären. Auch könnte er in Rechnung stellen, dass eine Missernte unter den Bedingungen einer technisch zurückgebliebenen und stark zersplitterten Landwirtschaft ein weiterer Grund für die Hungersnot war. Er erwähnt die Missernte zwar, aber im Zusammenhang mit dem Fünfjahrplan. Er reißt die Phänomene also auseinander, ersetzt Dialektik durch Eklektizismus: Es gab einerseits eine Missernte, andererseits Hungertote. Es gab einerseits administrative Maßnahmen gegen Getreidespekulation, andererseits die Umsiedlung ehemaliger Kulakenfamilien; zumal während des russischen und (andererseits?) sibirischen Winters. Es gab einerseits eine Wirtschaftskrise des Imperialismus und andererseits die Versuche der Parteiführung, die arbeitenden Massen zu animieren zur schnellstmöglichen Erfüllung des Fünfjahrplanes (unter Aufstellung von Gegenplänen.) Natürlich muss man, wenn man die Zusammenhänge nicht erkennt, sie durch Voluntarismus „erklären". Dass man damit aber den Boden der Wissenschaft, des Marxismus verlässt, wird wohl einleuchten. Besonders fällt Steigerwalds „Argumentation" ins Auge, dass es „einerseits" kein historisches Beispiel für den sozialistischen Aufbau gab und man daher in bestimmten Fragen experimentieren musste (50). „Andererseits" sei die Herstellung von Kollektivwirtschaften, ohne dass diese vollständig mit Traktoren ausgerüstet seien, „eine regelrechte Umkehrung des Verhältnisses, welches sonst [?] für eine Revolution kennzeichnend ist." (52) Ich komme darauf zurück.

Drittens ist festzuhalten, dass Steigerwald nach eigenem Dafürhalten sich mit „zweitrangigen" Problemen befasst, wenn er „Voluntarismus und Subjektivismus unter Stalin" untersucht (MBl 6/03, S. 92). Sein Artikel dreht sich jedoch um ein durchaus „erstrangiges" Thema, nämlich die Frage nach dem Verhältnis von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen in der Sowjetunion 1925-1939, also die Periode der Industrialisierung. Da der historische Materialismus das Gesetz der unbedingten Übereinstimmung der Produktionsverhältnisse mit dem Charakter der Produktivkräfte als das Grundgesetz der gesellschaftlichen Entwicklung überhaupt auffasst, haben wir es im vorliegenden Fall mit der Frage nach der Allgemeingültigkeit des in der Sowjetunion gegangenen Weges im Aufbau des Sozialismus zu tun. Bejaht man diese Frage, schließt dies notwendig ein, die Politik anzuerkennen, welche in Gestalt des Bolschewismus, der marxistisch-leninistischen Partei der Sowjetunion, die ökonomisch-gesellschaftliche Entwicklung führte.

Wie steht es nun um Steigerwalds „Orientierung" an den Produktivkräften und Produktionsverhältnissen? Er dreht die für den Marxismus einzig mögliche Fragestellung einfach um, er leitet nicht die Politik aus den ökonomischen Gegebenheiten ab, sondern interpretiert die ökonomische Entwicklung am Maßstab einer von ihm gewünschten Politik. Anstatt aus dem Wesen die Erscheinung abzuleiten, schließt er von der Erscheinung auf das Wesen. Sehen wir uns diesen „Schluss" genauer an. Zunächst wird die – im Marxismus-Leninismus bereits beantwortete – Frage nach der Reife der Revolution in Russland erneut aufgeworfen. Steigerwald kommt zwar zu dem Schluss, dass die Revolution historisch notwendig war, aber auf dem Weg eines geradezu abenteuerlichen Gedankenganges. Nach dem bekannten Zitat aus Marx’ „Vorwort" zur „Kritik der politischen Ökonomie" (MEW 13, S. 8/9), über die Bedingtheit sozialer Revolutionen durch den Widerspruch zwischen der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte und den Produktionsverhältnissen als ihren Bewegungsformen, stellt Steigerwald die Frage auf: „Kann man diese Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen auch umkehren?" (MBl 6/03, S. 92)

Bevor man zur Beantwortung dieser Frage schreitet, muss man die allgemeinere (also vorausgesetzte) Frage beantworten, ob man Dialektik überhaupt „umkehren" kann. Sofern man Dialektik auffasst als konkrete Vermitteltheit der (hier: gesellschaftlichen) Entwicklung, damit als objektive Logik oder Gesetzmäßigkeit, so kann „man" sie nicht umkehren. Man kann sie nur erkennen und ihr entsprechend handeln, die objektiven Gesetze also ausnutzen und anwenden. Fasst man „Dialektik" hingegen nur subjektiv auf, als Form des Erkennens, so kann man sie so sehr umkehren, wie man jeden Gedanken umkehren kann. Gegen subjektive Gedankenspielerei ist noch kein Kraut gewachsen. Dies ist aber nicht die marxistische Auffassung subjektiver Dialektik. Vielmehr stellt diese die Widerspiegelung der objektiven Dialektik dar, ist also Dialektik nur, sofern in ihr die objektive Notwendigkeit zum Ausdruck kommt. „Objektive Notwendigkeit" heißt aber nichts anderes als die Gesetze, welche unabhängig von Bewusstsein bzw. Willen der Menschen die Geschichte bestimmen und deren Erkenntnis, Berücksichtigung und Anwendung zur bewussten Gestaltung der Geschichte befähigt. Vom Standpunkt des Marxismus kann die Frage also gar nicht gestellt werden, ob irgendeine Dialektik „umkehrbar" ist, und die marxistische Antwort müsste nach einem Wort Hegels „in der Tat die sein, dass die Frage nichts tauge."

Da Steigerwald die Frage aber stellt, nimmt er notwendig auch in ihrer Beantwortung einen unmarxistischen Standpunkt ein. Steigerwald sagt nämlich, jene Umkehrung, die Herstellung sozialistischer Produktionsverhältnisse ohne die dafür erforderlichen Produktivkräfte seien von Charles Fourier durch Appell an den französischen Justizminister angeregt, von der KPdSU-Führung in der Phase der Kollektivierung und Industrialisierung (wie auch in der chinesischen Kulturrevolution) hingegen „in der Realität versucht" worden. (92) Steigerwald ging die Kollektivierung der Landwirtschaft in der Sowjetunion zu schnell, er sieht in der zunächst noch unzureichenden Versorgung der neuen Kollektivwirtschaften mit maschineller Großtechnik (Traktoren usw.) den Verstoß gegen die Geschichte gegeben: „Die Entwicklung der Produktivkräfte blieb hinter jener der Produktionsverhältnisse zurück – eine regelrechte Umkehrung des Verhältnisses, dass sonst für eine Revolution kennzeichnend ist." (94)

Diese Darlegung ist eine schreiende Unrichtigkeit. Zunächst: was ist kennzeichnend für „eine Revolution"? In dieser Allgemeinheit ist nur kennzeichnend, dass sie einen qualitativen Sprung in der Entwicklung der Gesellschaft darstellt, die politische Form der Ablösung einer Produktionsweise durch eine höhere. Das trifft auf bürgerliche wie auf proletarische Revolutionen zu. Soll aber nicht klassenneutral, sondern marxistisch gedacht werden, muss man den spezifischen Unterschied im Auge behalten: die bürgerliche Revolution vollzieht politisch den Sieg des bürgerlichen Eigentums über das feudale Eigentum, eben weil sich bürgerliche Produktionsverhältnisse schon im Feudalismus herausbilden konnten. Die proletarische Revolution ist entgegen „sonstiger" (bürgerlicher) Revolutionen die Voraussetzung für die Umwandlung der Produktionsverhältnisse in sozialistische, weil innerhalb von Ausbeutergesellschaften keine ausbeutungsfreien Produktionsverhältnisse sich ausbilden können.

Die Kollektivierung stellte den Abschluss der Revolution von 1917 dar, weil erst durch die Aufhebung der antagonistischen Klassen der Sieg des Sozialismus gesichert werden konnte. Anstatt anzuerkennen, dass die Kollektivierungspolitik eine historische Gesetzmäßigkeit zum Ausdruck brachte und auch zunächst nur kooperativ (noch nicht maschinell) zusammengeschlossene Kolchosen einen Sieg über das zersplitterte Kleineigentum darstellten, erscheint für Steigerwald dieser Prozess als „Umkehrung" der Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen „in der Realität", denn eine Kollektivwirtschaft ohne Traktor ist für ihn offenbar keine Kollektivwirtschaft (auch hier verabsolutiert er die Produktivkräfte.) Der sozialistische Charakter der Kollektivierung der Landwirtschaft zeigt sich aber gerade darin, dass durch bewusste ökonomische Politik zunächst die Produktionsverhältnisse für die Anwendung modernster Technik geschaffen wurden (s.o. 2.1 Exkurs: Revisionismus in der politischen Ökonomie des Sozialismus), wenn auch die Zulieferung von Traktoren usw. hinter der Zahl der 1930 bestehenden Kollektivwirtschaften hinterherhinkte. (Das war nebenbei bemerkt ständiges Thema während der Kollektivierungsperiode.) Hier ist zudem wichtig, dass allein die Kooperation auf gleichbleibendem Entwicklungsniveau der Produktivkräfte eine große Steigerung der Arbeitsproduktivität ermöglicht (worauf Marx im Kapitel „Kooperation" hinweist; MEW 23, S. 341-355.) Vor allem ist die Kooperation ein Erziehungsmittel, ein großer Schritt zur Überwindung des jahrhundertelang eingewurzelten „Eigentumsvorbehaltes" der Kleinproduzenten, es ist eine sozialistische Erziehungsmaßnahme im Sinne des Heranreifens auch der sozialpsychologischen Bedingungen für eine kollektive Wirtschaftsweise.

„Die Entwicklung der Produktivkräfte blieb hinter jener der Produktionsverhältnisse zurück" – nach Steigerwald ist offenbar eine erfolgreiche Politik trotz Verletzung objektiver historischer Gesetze möglich, denn er leugnet nicht den Erfolg der Industrialisierung (welche wiederum ohne die Kollektivierung unmöglich gewesen wäre), aber „das Erreichte...wurde nur im Lichte des voluntaristischen Unsinns herabgewürdigt." (94) Der Erfolg von Kollektivierung und Industrialisierung sei also unter Verstoß gegen objektive historische Gesetze verwirklicht worden, obwohl die Politik der KPdSU gegen eine grundlegende historische Gesetzmäßigkeit verstieß und von Voluntarismus (also Abenteurertum) geprägt war.

Ist es überhaupt möglich, dass ohne bewusste Einsicht in die Notwendigkeit die Leitung gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse erfolgreich ist? Sicherlich gilt das für Produktionsweisen, deren grundlegende Gesetze sich ohne Bewusstsein der Produktionsagenten durchsetzen. Aber der Sozialismus ist ja gerade dadurch die gegenüber dem Kapitalismus höhere Gesellschaftsform, weil er es ermöglicht und zugleich erfordert, dass die Werktätigen zum ersten mal in der Geschichte bewusst die gesellschaftliche Entwicklung steuern. Die Durchsetzung der ökonomischen Gesetze des Sozialismus basiert gerade auf ihrer Kenntnis und Anwendung. Historische Gesetze sind wie Naturgesetze objektiv, sie bezeichnen – als theoretische Gesetze festgehalten – ein Absolutes. Etwa das Fallgesetz besagt, dass sich Körper gegenseitig anziehen und es ist kein „Fall" bekannt, der diesem Gesetz widerspräche. Laut Steigerwald soll nun in der Sowjetunion geschehen sein, was sonst unmöglich ist, nämlich dass die gesellschaftliche Höherentwicklung sich durchsetzt entgegen dem Grundgesetz der gesellschaftlichen Höherentwicklung.

Wenn Steigerwalds Darlegungen überhaupt einen Sinn haben, dann den, kommunistische Politik ohne Beachtung objektiver gesellschaftlicher Gesetze „begründen" zu wollen. Denn letztlich laufen beide Aussagen Steigerwalds auf die Negierung der „Naturgesetzlichkeit" gesellschaftlicher Entwicklung hinaus und stellen einen Bruch mit dem Marxismus dar. Mit Trotzki hingegen teilt Steigerwald folgende Thesen: a) Der Sieg des Sozialismus in einem – zumal rückständigen – Lande ist ohne äußere Hilfe unmöglich (weil nur der westliche Kapitalismus schon „sozialistische" Produktivkräfte erzeugt hatte) und b) wenn es dennoch („voluntaristisch") versucht wird, dann muss die Partei entarten, der Staat verbürokratisieren usw. Die „Stalinsche Politik" habe nun nach Steigerwald nicht nur die Leistungen der Werktätigen „herabgewürdigt", sondern auch beigetragen zur späteren siegreichen Konterrevolution. Weil ein „hierarchisch gegliedertes System" an die Stelle der Millionen zählenden Parteimitglieder gesetzt wurde, womit „in beamtenmäßiger Weise die von der Führung ausgehenden Anordnungen"– egal ob von Stalin, Chrustschow, Breschnew oder auch Gorbatschow kommend – ausgeführt wurden (97). Steigerwald beendet seinen Artikel mit der Bemerkung, dass das alles nicht möglich gewesen wäre, hätte es wirklich – und nicht nur auf dem Papier – eine marxistisch-leninistische Partei, eine Partei neuen Typs gegeben. Folglich – und das sind zwei weitere Thesen, die Steigerwald mit den Trotzkisten teilt – seien c) sämtliche Erfolge des Sozialismus ohne marxistisch-leninistische Partei zustande gekommen und d) nicht der Imperialismus und seine „sozialistische" Agentur, der Revisionismus, sind Ursache für die Niederlage des Sozialismus, sondern eben die „stalinistische" Deformation.

Das ist das traurige Ergebnis der „Lehren", welche Steigerwald aus der Geschichte des Sozialismus zieht. Wie sich solche Geschichtsbetrachtung auf die „Sozialismusvorstellungen" der DKP auswirkt, wie auch auf die künftige Rolle der Partei, wird weiter unten zu betrachten sein. Jedenfalls können wir festhalten, dass die „Empfehlungen" und „Ratschläge" Steigerwalds allesamt diejenigen der „linken" und rechten Opposition der damaligen KPdSU sind: Die Minimalvariante des ersten Fünfjahrplans wäre angesichts der objektiven Bedingungen realisierbar gewesen, hätte also umgesetzt werden müssen (96). Zweitens die Wende in der Politik gegenüber dem Kulakentum, welche die Kollektivierung einleitete, hätte unterbleiben und die Politik der NÖP fortgeführt werden müssen (96). Steigerwald vertritt dabei offenbar den Standpunkt einer Klasse, die an einer „langsamen und stetigen" Ablösung des Privateigentums durch das gesellschaftliche Eigentum interessiert ist. Aber eine solche Klasse gibt es nicht. Die Arbeiterklasse ist an einer vollständigen Aufhebung des Privateigentums interessiert, und zwar im Bündnis mit der Klein- und Mittelbauernschaft, aber einem Bündnis, das den Keim der Selbstaufhebung in sich trägt und zugleich den langfristigen Interessen der Kleinproduzenten entspricht. Die Bourgeoisie hingegen ist an einem ebenso vollständigen Erhalt und der kapitalistischen Verwertung dieses Privateigentums interessiert. Zwischen entgegengesetzten Interessen entscheidet bekanntlich der Kampf, und zwischen entgegengesetzten Klasseninteressen der Klassenkampf. Dieser kann sich vollziehen als Abschaffung oder als Wiederherstellung des Privateigentums, der proletarischen oder der bürgerlichen Klasse dienend. Dazwischen gibt es keinen „dritten Weg". Die konkrete politische Praxis der regierenden kommunistischen Partei entscheidet darüber, ob die Schritte, welche sie veranlasst, in die eine oder andere Richtung führen; hier ist in der Tat die größte Schwierigkeit nicht zu langsam und nicht zu schnell voranzugehen. Sich darüber täuschen zu wollen, heißt sich kleinbürgerlichen Illusionen hinzugeben. Das gilt auch für Steigerwald. Sein „kritisches Feuilleton" über die Entwicklung der Sowjetunion kann nur dazu dienen vorhandene kleinbürgerliche Vorurteile über den Sozialismus zu bestätigen. Aber wer in seinen Vorurteilen bestätigt wird, bleibt passiv, bleibt gelähmt.

4. Ideologischer Klassenkampf in der DKP

4.1 Zur Dialektik von Klarheit und Einheit

Bevor ich auf die Programmdebatte zu sprechen komme, sind einige Betrachtung zu Steigerwalds Kampf um die Einheit der Kommunisten angebracht. Widmen wir uns zunächst der Dialektikbestimmung Steigerwalds. „Klarheit vor Einheit" sei eine „Handlungsanweisung" und „entsprechend den vorhandenen Bedingungen, also dialektisch zu benutzen" (offensiv 11/03, S. 50, Herv. GH) Heißt „dialektisch" tatsächlich etwas „entsprechend den vorhandenen Bedingungen" nutzen? Z.B. einen Hammer benutzt man zum Zuschlagen. Die Dialektik – hier: der Produktivkraftentwicklung – besteht in der konkreten Beschaffenheit des Hammers und der Art des durch ihn ermöglichten Zuschlagens. Benutzt man einen Hammer nun „dialektisch", wenn man ihn – „entsprechend den vorhandenen Bedingungen" – statt zum Zuschlagen etwa zum Flaschenöffnen oder als Briefbeschwerer verwendet? Natürlich nicht. Man benutzt ihn so nicht als Hammer, sondern als Hebel oder Gewicht, damit abstrakt, das heißt unter dem Gesichtspunkt von Eigenschaften, die ihm als schweres bzw. langes Ding überhaupt zukommen. Man unterschreitet damit seine Verwendungsmöglichkeiten als Hammer. Ihn auf diese Weise benutzen, heißt, dass keine Flaschenöffner oder Briefbeschwerer vorhanden sind – und daher wären diese „Bedingungen" zu ändern, aber nicht der Hammer „entsprechend den vorhandenen Bedingungen" zu nutzen, denn so findet man sich lediglich „dialektisch" mit einem Mangel ab.

Auch meine Aufforderung „Klarheit vor Einheit" verweist auf einen Mangel an marxistischem Geschichtsverständnis bei Steigerwald oder seine der kleinbürgerlichen Ideologie verpflichtete Deutung der Geschichte des Sozialismus. „Klarheit vor Einheit" – dies heißt Verpflichtung der Kommunisten zur Organisierung des Klassenkampfes vom Standpunkt der allgemeinen Interessen des Proletariats, also auch zur Aufdeckung der Widersprüche in den Geschichtsauffassungen innerhalb der Partei. Hier hat die marxistische Theorie zunächst die Gegensätze in ihrem Zusammenhang aufzuzeigen oder sie hört auf, marxistische, dialektische Theorie zu sein. – Bei Steigerwald hingegen ist Klarheit „bei der Formulierung der 21 Punkte für die Aufnahme in die Komintern...etwas anders als auf dem X. Parteitag der KPdSU" (50). Was heißt das? Klarheit kann das einemal das, das andere mal das heißen? Der Subjektivismus Steigerwalds zeigt sich, wenn er „für die Einheit" votiert „auf der Grundlage des von mir [Gen. Steigerwald] benannten viermaligen ›Ja‹...", während Hoffmann die Einheit wegen bestimmter Differenzen gerade ausschließen wolle (ebd.; Herv. GH). – Die Einheit der Kommunisten kann aber weder durch „Ja-Sagen" hergestellt, noch durch „Wollen" ausgeschlossen werden. Die Einheit des Willens und Handelns einer kommunistischen Partei kann sich nur ergeben aus dem gemeinsamen Klassenstandpunkt, der einheitlichen Widerspiegelung gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse und der Umsetzung dieses Wissens in organisatorische Praxis. Klammert man die entscheidenden Erkenntnisse der Geschichte aus dem Marxismus aus und spielt sie zu „bestimmten Differenzen" („Meinungsverschiedenheiten") herunter, dann verliert die „Gemeinsamkeit" ihren sozialistischen Klassencharakter, wird irgendeine Gemeinsamkeit, und verletzt die Funktion des Marxismus, als theoretische Grundlage für die Organisation der fortgeschrittensten Teile der Arbeiterklasse zu dienen. Jene abstrakte „Übereinstimmung" kann zur Ansammlung kleinbürgerlicher Intellektueller dienen, aber nicht dem Kommunismus. Die Kommunistische Partei verkommt ohne Anwendung ihres wissenschaftliches Rüstzeuges (ihrer ideologischen Waffen) vielmehr zu einem opportunistischen „Debattierclub", bleibt in der Interpretation des Bestehenden, im „Meinungsstreit" stehen und gelangt nicht zu einer die Arbeiterbewegung zusammenführenden, sie auf ihre nächsten Aufgaben und langfristigen Ziele hinführenden Programmatik, geschweige denn Praxis.

Als scholastisch bezeichnet Marx ein Denken, was sich von solcher Praxis isoliert, und mir scheint, dass der Vorwurf Steigerwalds, ich beachtete nicht „die konkreten Bedingungen", scholastischen Charakter trägt. Der X. Parteitag wird genannt, Lenin wird genannt, es werden „Differenzen" genannt; weiterhin, dass die Opponenten Lenins in der Partei behalten wurden usw., aber um welche Frage es ging, wird nicht gesagt. Wir erfahren nur: „Wäre Lenin nicht Lenin gewesen, hätte er die Opposition...mangels Klarheit aus der Partei werfen müssen." (offensiv 11/03, S. 50) Um aus seiner Aufzählung ein Argument zu machen, hätte Steigerwald mindestens dazusagen müssen, dass

- es sich auf dem X. Parteitag (März 1921) um die Gewerkschaftsdiskussion drehte,

- die Partei mit der Zulassung einer solchen Diskussion unter den schwierigen Bedingungen des Übergangs vom Interventionskrieg zum Frieden nach Lenins Auffassung einen Fehler begangen hatte (LW 32, S. 175),

- nichtsdestotrotz aus dem „Luxus" einer insgesamt abstrakten Diskussion neue Erkenntnisse gewonnen werden konnten. Z.B. die, dass die „Arbeiteropposition" eine „syndikalistische und bis zu einem gewissen Grade sogar halbanarchistische Abweichung" darstellte, ausgedrückt in Trotzkis parteifeindlicher Bemerkung über einen angeblichen „sowjetischen Trade-Unionismus" (LW 32, S. 6, 34f), wobei ihn Bucharin bei der „schlimmsten und schädlichsten Fraktionsmacherei" unterstützte (ebd. 60).

Die „Klarheit" Lenins bestand im vorliegenden Fall eben darin, gegenwärtig für die Duldung der Genossen der – aufzulösenden! – „Arbeiteropposition" im ZK der Partei zu votieren, um ihnen Vertrauen zu erweisen und die Möglichkeit zu geben, ihre Fehler zu korrigieren. Gleichwohl geschah dies unter der Bedingung, dass es „nicht die geringsten Spuren von Fraktionsmacherei" geben dürfe (167; vgl. 201), weshalb als „Maßnahme für den äußersten Fall" der ordentliche Parteiausschluss für die Zukunft als Möglichkeit im Auge behalten wurde (vgl. LW 32, S. 265). So steht es um die „Klarheit", so steht es um den Klassenstandpunkt. Wenn Steigerwald also den geschichtlichen Zusammenhang mitgeliefert hätte, wäre es um sein ›Argument‹ geschehen gewesen. Was hat das mit einer Argumentation zu tun? Wie soll Oberflächlichkeit, Besserwisserei und abstraktes „Anrufen" der Geschichte beitragen zur Klarheit unter Kommunisten?

4.2 .Theoretische Grundlage und Einheit der kommunistischen Partei

Es mag nützlich sein, das Thema noch von einer anderen Seite zu beleuchten. Wenn Lenin für die Mitgliedschaft von Anhängern der ehemaligen „Arbeiteropposition" im Zentralkomitee votierte, um deren Anregungen zur Bekämpfung des Bürokratismus auswerten zu können und um eine Parteispaltung zu verhindern, so muss man sich klar machen, dass die KPR (B) 1921 regierende Partei war und eine Spaltung unweigerlich zum Sturz der Diktatur des Proletariats geführt haben würde. Von ganz anderer Bedeutung ist das heute – hier wäre von Steigerwald die Beachtung der „konkreten Bedingungen" gefordert –, denn die DKP ist eine kleine, sozusagen halbkommunistische Partei und das zumal in einer Zeit, wo die Arbeiterklasse in der BRD nicht die führende Kraft einer proletarischen Diktatur, sondern auf das Stadium der Reorganisation zurückgeworfen ist. Hier spielt die Klarheit vor vermeintlicher „Einheit" insofern die übergeordnete Rolle, weil nur eine auf der Basis des kommunistischen Klassenstandpunktes zusammengeschlossene Partei überhaupt die Arbeiterklasse gemeinsam mit ihren Verbündeten zur proletarischen Diktatur führen kann.

Man erinnere sich daran, dass Lenin gerade in der Periode der Stolypinschen Reaktion (also nach der Niederlage der Revolution von 1905) darauf drängte, dass die Marxisten sich der Grundlagen der revolutionären Theorie vergewissern müssen und hier keine ideologischen Kompromisse eingehen dürfen, weil dies zur Eliminierung der proletarischen Partei führt.

„Die ›Umwertung aller Werte‹ auf den verschiedenen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens [nach der Revolution von 1905] führte zu einer ›Revision‹ der abstraktesten und allgemeinsten philosophischen Grundlagen des Marxismus. Der Einfluss der bürgerlichen Philosophie in ihren mannigfaltigen idealistischen Schattierungen fand seinen Niederschlag in der machistischen Seuche unter den Marxisten. [...] Es gibt nichts Wichtigeres als den Zusammenschluss aller Marxisten, die die Tiefe der Krise und die Notwendigkeit, sie zu bekämpfen, erkannt haben, um die theoretischen Grundlagen des Marxismus und seine Fundamentalsätze zu verteidigen, welche von ganz entgegengesetzten Seiten her, infolge der Ausbreitung des bürgerlichen Einflusses auf die verschiedensten ›Mitläufer‹ des Marxismus, verzerrt werden. Die vorhergehenden drei Jahre [1907-1910] haben breite Schichten zur bewussten Teilnahme am gesellschaftlichen Leben erweckt; in vielen Fällen beginnen sie jetzt zum erstenmal, den Marxismus richtig kennenzulernen. [...] Ein Zerfall innerhalb des Marxismus ist unter solchen Umständen besonders gefährlich." (LW 17, S. 27f)

Bei einer nichtregierenden kommunistischen Partei gibt es hinsichtlich einer Parteispaltung zwei Möglichkeiten. Entweder die Partei verfolgt eine marxistisch-leninistische Linie, dann muss sie die Spaltung verhindern, die Abweichung innerhalb der Partei bekämpfen – oder (sofern die Abweichler Fraktionen zu bilden beginnen) diese aus der Partei ausschließen. Hingegen wenn sich in der Führung einer kommunistischen Partei eine opportunistische Linie herausbildet, müssen die kommunistischen Kräfte entweder der Absetzung der revisionistischen Führung oder einer Abspaltung und Neugründung der kommunistischen Partei zuarbeiten. So entstand die KPR (B) aus der Trennung von den Menschewiki, die KPD (Spartakusbund) in Deutschland aus der Abspaltung von der SPD usw. Die Einheit ergibt sich – wie schon gesagt – niemals aus dem subjektiven Wollen der Parteimitglieder, sondern aus dem Klasseninhalt der von ihnen vertretenen Politik. Es ist ein Entwicklungsgesetz der kommunistischen Partei, Widersprüche klar herauszuarbeiten und zu überwinden, gegen die immer wieder auftretenden „linken" und rechten Abweichungen vom Bolschewismus mit aller Entschiedenheit vorzugehen.

4.3 Ideologischer Klassenkampf in der DKP

Dieses Entwicklungsgesetz negierend behaupten Gerns, Steigerwald und Weiß, es gäbe „revisionistische Kräfte in der Bundesrepublik heute nicht. Es gibt sie nicht in der DKP, nicht in der marxistisch orientierten Arbeiterjugendbewegung, der SDAJ, nicht in dem marxistisch orientierten Studentenbund MSB Spartakus." Es wäre aber in der Tat eine geschichtliche Neuheit, wenn im Imperialismus, innerhalb einer Kommunistischen Partei kein Revisionismus aufträte. Näher liegt die Vermutung, dass in einer der Führung nach revisionistischen Partei von Revisionisten kein Revisionismus festgestellt werden kann (wie auch eine bürgerliche Partei sich nicht selbst hinsichtlich ihres bürgerlichen Klassencharakters kritisieren kann.) Die Bestimmung des Revisionismus durch Steigerwald krankt z.B. daran, dass die „Orientierung am Marxismus" nicht selbst als revisionistisch erkannt wird. Die DKP „orientiert" sich, wie allenthalben versichert wird, „an der einheitlichen Lehre von Marx, Engels und Lenin". Den Marxismus aber als einen „Fixpunkt der Orientierung" aufzufassen, lässt ihn entweder zur Schablone erstarren oder zu einem festen Gefäß werden, worin alles und jedes „sozialistisch Orientierte" hineingeworfen werden kann. Sich daran orientieren heißt, ständig zu prüfen, ob man mit einem fixen Etwas „übereinstimmt". Der Marxismus beginnt damit Handlungen und Gedanken zu kontrollieren, anstatt ihnen zugrunde zu liegen. „Orientierung" hat nichts mit dem Marxismus als einer lebendigen, sich entwickelnden Anleitung zum Handeln zu tun. Dies setzt eben voraus, dass man auf dem Standpunkt des Marxismus-Leninismus steht und nicht (wie Stalin sagt) „darauf liegt".

Unter der Annahme, die Orientierung am Marxismus sei ausreichend als Kriterium dafür, ob jemand Marxist ist, ist es natürlich ein Leichtes, alle revisionistischen, aber notwendig am Marxismus „orientierten" Kräfte (sonst wären es keine Revisionisten, sondern einfach Sozialdemokraten) als „Marxisten" einzustufen und daher – wie Steigerwald – in der DKP keinen Revisionismus zu sehen. Steigerwald stellt sich als Revisionismus-Kritiker über allen Revisionismus erhaben dar und erklärt ihn zugleich als in der DKP nicht vorhanden. Sein Hauptfehler ist m.E. die nur geschichtliche Analyse des Revisionismus und seine Verortung bei der bürgerlichen Intelligenz (die aber nicht in der Arbeiterbewegung, sondern nur in sie hinein wirkt.) Faktisch ist dies eine versöhnlerische Haltung gegenüber revisionistischen Kräften innerhalb der Partei. Dies geht bei Steigerwald einher mit einer Annäherung an den subjektiven Idealismus, da zumindest „auch" von dessen Boden aus für den Marxismus relevante Erkenntnisse gewonnen werden könnten – etwa was sein „soll": die Orientierung an der Minimalvariante des ersten Fünfjahrplanes der Sowjetunion, eine langsamere Kollektivierung (s.o.). Damit ist eine versöhnlerische Tendenz Steigerwalds gegenüber den Verteidigern des Privateigentums festzustellen, die bei seiner formalistischen Einschätzung der Kollektivierung in der Sowjetunion voll durchschlägt. Diese subjektiv-idealistischen Methoden bedeuten, wie aufgewiesen, die Ableugnung der objektiven Gesetze auf gesellschaftstheoretischem Gebiet und unterscheiden sich damit nicht wesentlich von den bürgerlichen Interpretationen der Geschichte des Sozialismus.

Wenn sich Steigerwald lange Zeit mit dem Revisionismus auseinandersetzte, aber in der DKP gar kein Revisionismus vorhanden gewesen sei, wozu dann die ganze Arbeit? Etwa um dem Revisionismus vorzubeugen? In ›Bürgerliche Philosophie...‹, S. 342 heißt es: „Der Revisionismus ist das natürliche Echo des Dogmatismus. Darum ist der Kampf gegen beide, Revisionismus und Dogmatismus, nötig", um nicht in der „Diskussion der neu herangereiften Probleme des Klassenkampfes...allein dem Revisionismus das Feld [zu] überlassen." Steigerwalds Kampf gegen den Revisionismus erweist sich damit als Verteidigung einer absoluten Deutungshoheit, da nicht geklärt wird, was „Dogmatismus" sein soll. Lediglich dass er das Ursprüngliche gegenüber dem Revisionismus sei, wird gesagt (denn das Echo ist sekundär gegenüber dem Ruf.) Dann müsste aber konsequenterweise der Kampf auch hauptsächlich gegen den „Dogmatismus", gegen die Ursache geführt werden. Dazu ist Steigerwald heute übergegangen; 1980 begnügte er sich noch mit der Bekämpfung des Revisionismus und des „Dogmatismus". Das Versöhnlertum gegenüber dem Revisionismus besteht dabei darin, die DKP auf eine dem Kapital letztlich unschädliche Praxis zurückzuzerren, sie auf eine „undogmatische" (den „Bedingungen angemessene" usw.) Anwendung des Marxismus festzulegen. Man fertigt sich so eine wohlfeile Schablone, die jederzeit dem Standpunkt aufgeheftet werden kann, welcher die eigene (dem Revisionismus gegenüber versöhnlerische) Position infrage stellen könnte. Der ideologische Klassenkampf, den Steigerwald führt, ist also nicht marxistisch. Die kommunistische Partei kann aber nur dann Führerin des revolutionären Proletariats sein, wenn sie einen entschiedenen Kampf gegen jegliche Formen des Opportunismus und des Versöhnlertums gegenüber dem Opportunismus, also dessen Verschleierung, führt. Hier liegen die aktuellen Aufgaben der DKP, und nicht im Kampf gegen einen vermeintlichen Dogmatismus.

4.4 ›Linke‹ und rechte Abweichung damals und heute

Bei Steigerwald und der von ihm maßgeblich getragenen Revisionismuskritik der DKP ist eine (unter den Bedingungen einer zunehmend revisionistischen Sowjetunion wohl unvermeidliche) Fehleinschätzung, eine Unterschätzung des rechten Revisionismus festzustellen. Da sich ›linke‹ und rechte Abweichung nicht wesentlich unterscheiden, ist diejenige die gefährlichere, gegen welche man den Kampf abschwächt bzw. eingestellt. Steigerwalds Versöhnlertum gegenüber dem rechten entspricht die Überschätzung des „linken" Revisionismus. Zwar stimmt es, dass der im Antikommunismus verhaftete, kleinbürgerliche Revolutionarismus etwa der KPD/ML oder moistischer Sekten („Neue Einheit", MLPD) eine große Gefahr darstellt, etwa die, dass zum Marxismus und zur Arbeiterbewegung sich hinbewegende Teile der Mittelschichten eine falsche Vorstellung der Revolution vermittelt bekommen und durch das notwendige Scheitern „links"radikaler Praxis letztlich entpolitisiert werden.

Dies ist aber nur eine Seite. Denn es gab ab Mitte/Ende der 50er Jahre wirklich revisionistische Züge in der Politik der KPdSU und der mit ihr verbundenen Parteien, eine Tendenz zum Revisionismus in der Ideologie und zum kleinbürgerlichen Opportunismus in der Politik – im Namen der Überwindung von „Personenkult" und „Dogmatismus". Man leugnete das Allgemeingültige, Gesetzmäßige in der sowjetischen Entwicklung 1923-1953 und damit die in dieser Epoche geleisteten Beiträge zur Bereicherung des Marxismus-Leninismus. Stattdessen hob man das allgemein-Menschliche (Frieden) an Stelle der Notwendigkeit des Klassenkampfes hervor. Also hat die Reaktion der Kommunistischen Partei Chinas auf die Politik, welche mit Chrustschow & Co. in die Führung der KPdSU einzog, durchaus einen „rationalen Kern". Die Maoisten verallgemeinerten dann diesen Kern falsch und subjektivistisch, indem sie behaupteten, die sozialistischen Staaten seien zum „Sozialimperialismus" geworden und als neobourgeoise „Klassengesellschaften" zusammen mit den USA die Hauptfeinde der nationalen Befreiungsbewegungen. Insbesondere liegt das an fehlender ökonomischer Analyse, also fehlendem Wissen darüber, wie lange und widerspruchsvoll sich die sozialistischen Produktionsverhältnisse in den Staaten der Diktatur des Proletariats herausgebildet hatten und wie lange und widerspruchsvoll ebenso der Prozess der langsamen Aufgabe der einst errungenen Positionen war.

Es kommt heute darauf an, die Fehler der „linken" und der rechten Abweichung vom Marxismus zu überwinden. Das Falsche sowohl der DKP-Kritik an den Maoisten, wie auch der Maoisten an der Praxis der DKP und des realen Sozialismus besteht gerade darin, den entscheidenden Fehler („Revisionismus") gerade dort zu suchen, wo Ansätze zur Kritik der jeweils eigenen Fehler lägen. Die sozialistischen Staaten und die DKP kritisierten zurecht die „Sozialimperialismus"-These der linksradikalen kleinbürgerlichen Intelligenz, wiesen den reaktionären Klassencharakter ihrer Positionen auf und lehnten zurecht jegliches Bündnis mit Maoisten und Trotzkisten ab. Zugleich wurde auf die Wichtigkeit der Überzeugung Irregeleiteter von der Richtigkeit des Standpunktes der DKP und der Notwendigkeit des Realsozialismus hingewiesen. Trotzdem wäre nach dem „rationellen Kern" der maoistischen Kritik am „Sozialimperialismus" zu fragen gewesen und warum dieser Linksradikalismus ausgerechnet nach dem XX. Parteitag und unter ständiger Berufung auf den „Chrustschow-Revisionismus" sich heranbildete. Umgekehrt sehen nämlich die Maoisten, dass die kleinbürgerliche, kapitulantenhafte Entstellung der Vergangenheit des sozialistischen Aufbaus die Praxis hinsichtlich des Ziels des Sozialismus, des Kommunismus, zu lähmen begann; sie verabsolutierte allerdings eine Tendenz zum Revisionismus als „Sozialimperialismus" und erfanden einen „eigenen" Sozialismus. Falsch ist es, die unter schwierigen Bedingungen des Klassenkampfes in der BRD operierende DKP als Agentur des Imperialismus hinzustellen und konterrevolutionär ist es, den realen Sozialismus „revolutionieren" zu wollen. Von dieser Seite ist die DKP-Kritik am „linken" Sektierertum voll zu unterstützen.

5. Zur DKP-Programmdiskussion

Abschließend möchte ich die hier diskutierten Probleme auf die in der DKP aktuelle Programmdebatte zuspitzen. Vor der Analyse der Programmdokumente, Sozialismusvorstellungen, Diskussionspapiere usw. ist zu klären, welche Bedeutung das Programm für eine Kommunistischen Partei überhaupt hat, und welchen Status es folglich für die Mitglieder dieser Partei haben muss.

5.1 Zur Bedeutung eines kommunistischen Parteiprogramms

Das internationale Entstehen kommunistischer Parteien ist eine objektive historische Gesetzmäßigkeit; die Partei der Kommunisten ist einer der vier Faktoren für eine siegreiche sozialistische Revolution. Objektive, d.h. unabhängig vom Willen und Bewusstsein der Menschen sich herausbildende Faktoren einer revolutionären Situation (in denen sich die Entwicklungstendenz des Kapitalismus ausdrückt) sind:

– Vorbereitung der materiellen Bedingungen (Produktivkräfte) für den Sozialismus im Schoße des Kapitalismus

– Zuspitzung der Krise des Kapitalismus und Unfähigkeit der Bourgeoisie weiter als führende Kraft der Gesellschaft zu wirken

– Unwille der unterdrückten Klassen so weiter zu leben wie bisher.

Der vierte, subjektive Faktor ist die kommunistische (auf dem wissenschaftlichen Geschichtsbewusstsein des Marxismus basierende) Partei, welche die Arbeiterklasse als fortschrittlichste und führende Kraft der Gesellschaft in ihrem Klassenkampf, im Kampf um den Sozialismus schult, organisiert und leitet. Die Kommunistische Partei als subjektiver Faktor ist eine Bedingung für die Durchsetzung der objektiven historischen Notwendigkeit des Sozialismus/Kommunismus. (vgl. Fn. 6)

Um zu einer disziplinierten, von Klassenbewusstsein und Glauben an die Kraft und Fähigkeiten der werktätigen Massen durchdrungenen Organisation zu werden und ebenso fähig zu sein die Massen zu führen, wie von ihnen zu lernen – dazu bedürfen die Kommunisten eines Programms. Es formuliert die allgemeinen Ziele und nächsten Aufgaben der Arbeiterklasse und ihrer Partei. Das erste kommunistische Parteiprogramm der Geschichte ist das „Manifest der Kommunistischen Partei". Es ist zugleich die Geburtsurkunde des wissenschaftlichen Kommunismus. Wenn von wissenschaftlicher Weltanschauung der Arbeiterklasse gesprochen wird, so impliziert dies Verbindlichkeit kommunistischer Programmatik. Wie das „Manifest der Kommunistischen Partei" unhintergehbare Grundlage für das Selbstverständnis eines jeden Kommunisten ist, ist jedes unter konkret-historischen Bedingungen geschriebene kommunistische Programm in erster Linie verpflichtende Handlungsgrundlage eines Parteimitgliedes – und erst dadurch möglicherweise auch ein „interessantes Angebot für Neugierige" (2000, S. 27).

So wie es Pflicht der Partei ist, auf der Grundlage eines wissenschaftlich fundierten Programms an die Massen heranzutreten, ist es Pflicht jedes Parteimitgliedes, das Programm anzuerkennen, zu verstehen, zu propagieren, zu verteidigen und ggf. an seiner Veränderung mitzuarbeiten. Auf dem Programm basieren Strategie, Taktik, Bündnispolitik und Aktionslosungen, kurz die gesamte Arbeit der Partei. Das Programm ist also nicht nur das Gesetz (die Handlungsanleitung) der Partei, sondern auch ihre Widerspiegelung. Wie das Programm, so ist die Partei. Obgleich Marx und Engels die realen Schritte der Arbeiterbewegung für das Wesentliche hielten (und anders kann ein Marxist die Frage auch nicht stellen), so kämpften sie doch mit Entschiedenheit gegen kompromisslerische, hinter den wissenschaftlichen Erkenntnisstand zurückfallende, illusorische und demoralisierende Programme. Die Wichtigkeit eines wissenschaftlich begründeten, marxistisch-leninistischen Programms für eine kommunistische Partei kann also kaum überschätzt werden.

5.2 Die Situation in der DKP

Die DKP befindet sich momentan in der Phase der Erarbeitung eines neuen Programms. Insofern ist die Programmdebatte zu forcieren, jedes Mitglied muss bewusst Stellung zu dem bisherigen Verlauf der Debatte und zu den verschiedenen Entwürfen beziehen können. Das ist ein Erfordernis innerparteilicher Demokratie. Analysiert man nämlich die „Sozialismusvorstellungen" und „Thesen zur programmatischen Orientierung" der DKP, welche zwischen 1993 und 2004 entstanden, vom Standpunkt des Marxismus, so sind gravierende Mängel festzustellen. Um deren Effekt auf die Funktion der DKP im ideologischen Klassenkampf zu vestehen, muss die Programmdiskussion in die theoretischen Grundlagen der dialektisch-materialistischen Weltanschauung zurückgeführt werden. Es besteht die Gefahr, dass die „Sozialismusvorstellungen" oder die ›Politische Erklärung‹ des Parteivorstandes (Februar 2004) politisch-ideologisch die Liquidation der DKP als kommunistische Partei befördern, weil sie mit der Ersetzung des Marxismus-Leninismus durch Eklektik und Reformismus ihr „Aufgehen" in einem breiten (europäischen) „antikapitalistischen" Linksbündnis anbahnen. Sollte eines der gegenwärtig zirkulierenden Programmvorschläge angenommen werden, wäre damit nicht die „Neufindung" (1993, S. 6), sondern Neuerfindung kommunistischer Identität abgeschlossen wäre. So würde die DKP alle überzeugten Kommunisten vor den Kopf stoßen, sich vor den Massen blamieren und ihre historische Aufgabe nicht erfüllen.

Bevor gefragt wird, was an Richtigem in den Programmentwürfen steht, muss Klarheit darüber herrschen, wieso sie ihrem Charakter nach für den proletarischen Klassenkampf desorientierend, also unbrauchbar sind. Denn das „Richtige" über die kapitalistische Produktionsweise, die aggressive Natur des deutschen Imperialismus, die Verschärfung sozialer Widersprüche, die geschichtliche Rolle der Arbeiterklasse usw. wird wieder falsch und verkommt zum Lippenbekenntnis, wenn es als Manöver dient, um die eigentlich handlungsbestimmenden (ideologischen, weltanschaulichen) Positionen der DKP-Programmdokumente zu verdecken, deren Natur zu verschleiern den Anschein des Revolutionären zu erzeugen. Besonders hier ist zu beachten, dass jegliche Abweichung von der sozialistischen eine Stärkung der bürgerlichen Ideologie bedeutet.

5.3 .Probleme der programmatischen Orientierung und „Sozialismus-vorstellungen" der DKP

Die Problematik der programmatischen Dokumente beginnt bereits bei ihrer „Quantität", denn sie sind zu lang und drücken sich in den entscheidenden Fragen durch Umschweife um die klare Positionierung. Dies beginnt bei der theoretischen Bestimmung des Kapitalismus. Es wird gesagt, „der Gegensatz zwischen Lohnarbeit und Kapital, zwischen der Arbeiterklasse und der Kapitalistenklasse ist ein unaufhebbarer Widerspruch dieser Gesellschaftsformation." (1993, S. 4) Bekanntlich existiert die Kapitalistenklasse nur in dieser Gesellschaftsformation, insofern könnte diese Ergänzung wegfallen. Sieht man aber genauer hin, entdeckt man ihre wirkliche Funktion. Im Satz heißt es „der Gegensatz zwischen Lohnarbeit und Kapital...ist ein unaufhebbarer Widerspruch...". Das ist Unsinn, weil es keine unaufhebbaren Widersprüche gibt. Marxistisch müsste der Satz die Bedingungen der Aufhebung des Kapitalantagonismus bzw. „dieser Gesellschaftsformation" nennen: „Der Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital ist ein unversöhnlicher Klassengegensatz und nur aufzuheben durch den Sturz der Bourgeoisie und die Herrschaft der Arbeiterklasse." Revisionistisch ist hingegen ist die Aussage: „Die Alternative zur Krise des Kapitalismus ist...eine neue Gesellschaftsordnung: der Sozialismus..." (1993, S. 5) Die falsche Bestimmung des Kapitalismus bringt notwendig eine falsche Bestimmung des Sozialismus hervor. Durch das klassenindifferente Wort „neu" wird die von Marx aufgedeckte historische Notwendigkeit des Sozialismus verwischt. Denn der Sozialismus ist weder die Alternative zur Krise des Kapitalismus, noch zum Kapitalismus, sondern dessen bestimmte Negation. Dies erlegt den Kommunisten die politische Pflicht zum Kampf um den Sozialismus auf. Die DKP hingegen kämpft für den „Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus" (1998, S. 7; Herv. GH) oder „für eine Politik" – dafür braucht man nicht kämpfen, denn jedes Handeln hat von vornherein politischen Charakter! – „eine Politik, die mit den monopolkapitalistischen Eigentumsverhältnissen brechen will", die „im Sozialismus die Zukunft" sieht usw.

Um für eine Politik zu kämpfen, die etwas „will" und etwas „sieht", eine voluntaristische und subjektivistische Politik, braucht man natürlich keinen Marxismus. Entsprechend will die DKP „diese Grundlagen kommunistischer Politik [die materialistische Wissenschaft] anhand der Realitäten von heute in Theorie und Praxis überprüfen, sie erneuern und uns auf die neuen politischen Verhältnisse einstellen." (1993, S. 6) Wieder eine erstaunliche „Neuheit": die Theorie soll in Theorie und Praxis geprüft werden. Man hat also auf der einen Seite den „Marxismus" (oder was man sich darunter vorstellt) und auf der anderen die „neuen Realitäten" – aber welche? Für die Bestimmung dieser „Realitäten" oder was „neu" ist, bedarf es ja gerade der Theorie. Aber offenbar nicht der marxistischen, denn deren Grundlagen sollen „überprüft" werden. Eine andere als die marxistische Theorie ist aber notwendig bürgerlich. Ist von Realitäten (also Plural) die Rede, so kann dies nur heißen, dass es so viele Realitäten wie „Zugänge" (1998, S. 14) zur objektiven Realität gibt, die aber letztlich unerkennbar ist. Die DKP schreibt sich damit die revisionistische Destruktion des Marxismus durch subjektiven Idealismus direkt ins Programm, was von Kommunisten schlechterdings unvertretbar ist.

Dass die permanente „Überprüfung" der Theorie letztlich im theorielosen Skeptizimus endet, verdeutlichen Aussagen wie: „Unsere wissenschaftliche Weltanschauung...muss auf der ständigen Analyse und Verallgemeinerung...der gesellschaftlichen Verhältnisse...beruhen." (2000, S. 14) Wie kann eine Weltanschauung auf der Verallgemeinerung gesellschaftlicher Verhältnisse „beruhen"? Was ist überhaupt eine „Verallgemeinerung gesellschaftlicher Verhältnisse" – außer Begriffslosigkeit und die Vorstellung, „gewonnene Erkenntnisse an der gesellschaftlichen Praxis zu messen" (ebd.) Auch die Rede von „Praxis" schlechthin ist eine aus der Geschichte des Sozialismus gut bekannte Strategie den Klassenstandpunkt sozialistischen Kampfes aufzuweichen und ihn mit dem Privateigentum, damit aber auch der Bourgeoisie auszusöhnen.

Zudem: wenn man schon sagt, dass die marxistische Theorie kein Dogma ist (2000, S. 14) und den deren ständige Untersuchung und Infragestellung fordert, muss man genau wissen, welche Kategorien und Begriffe der marxistischen Theorie überhaupt einer empirischen („praktischen") Prüfung zugänglich sind und welche nicht. Davon ist aber im Programm keine Rede. Also scheint – da von „Grundlagen" die Rede ist – die gesamte Theorie ständig überprüft werden zu sollen. Das einzige was dabei rauskommen kann, ist das permanente Preisgeben der Grundlagen. Und zwar so: „Das weltanschauliche Fundament und vor allem die materialistische Dialektik...muss [d.h. müssen] reflektiert werden." Also außerhalb des Fundaments stehend, in der bürgerlichen Ideologie stehend, wird etwas reflektiert, was selbst schon klassengebundene Reflexionsform (Grundlage der wissenschaftlichen Weltanschauung) ist. Ergebnis: „Die Anerkennung der Dialektik führt...zu der Erkenntnis, dass es unter bestimmten historischen Bedingungen für die Entscheidungen und das Handeln von Menschen immer mehrere, verschiedene Möglichkeiten zukünftiger Entwicklungen gibt." Dass es verschiedene Handlungsmöglichkeiten und Möglichkeiten gesellschaftlicher Entwicklung gibt, dazu findet das Denken auch ohne „Anerkennung der Dialektik".

Schließlich: „Anerkennung" setzt die Kenntnis der Dialektik voraus. Sobald man sie aber kennen lernt, wird man begreifen, dass man sie nicht einfach „Anerkennen" kann. Anerkennen kann man hingegen die Materie als die objektive Realität, also eine materialistische Antwort auf die Grundfrage der Philosophie geben. Der Marxismus unterscheidet dann die objektive Dialektik (Selbstbewegung der Materie) von der subjektiven Dialektik (Widerspiegelung). Will man nun die Dialektik „anerkennen", so müsste dies sich auf das Resultat der theoretischen Arbeit der bisherigen Generationen von Marxisten beziehen und anzuerkennen wäre hinsichtlich der weltanschaulichen Grundlagen kommunistischer Politik der Marxismus-Leninismus als der Marxismus der Epoche des Imperialismus und der sozialistischen Revolution. Laut Positionspapier der DKP (2000, S. 14) hingegen „bedarf" kommunistische Politik eines theoretischen Fundaments, sie hat es also offenbar nicht und muss es sich selbst in der Praxis immer wieder neu schaffen. So wird das Verhältnis von Theorie und Praxis, wie es für den Kommunismus charakteristisch ist, umgekehrt und die Praxis wird (wie in aller bürgerlichen Politik) zur Grundlage der Theorie.

Man sieht, obgleich viel von Dialektik, wissenschaftlicher Weltanschauung, Zusammenhängen und Widersprüchen die Rede ist, sind diese „Überlegungen" weit davon entfernt, aus der marxistischen Theorie abgeleitete Überlegungen zu sein. Sehen wir uns die „Sozialismusvorstellungen" daher etwas genauer an. Die Bestimmung der Epoche, eine selbstkritische Würdigung der Geschichte des Sozialismus, eine Einschätzung des aktuellen Kräfteverhältnisses zwischen Bourgeoisie und Proletariat, eine Einschätzung der Verfassung der internationalen kommunistischen Bewegung und der des jeweiligen Landes sowie die Bestimmung der vordringlichsten Aufgaben der Kommunisten sind m.E. die fünf wesentlichen Punkte, an denen die aktuelle Programmdiskussion und die gemeinsame Arbeit hinsichtlich der politisch-ideologischen und organisatorischen Grundlagen der DKP ansetzen muss.

1.) Globalisierung statt Imperialismus

Zunächst fällt in allen Dokumenten die Hervorhebung von allgemeinmenschlichen Fragen auf: „schwerste Krise der Menschheit in ihrer Geschichte" (1993, S. 4), „existenzielle Bedrohung der Menschheit" (1993, S. 7). Daraus ergebe sich die Aufgabe der „Rettung der menschlichen Zivilisation" (1998, S. 7). Der Kampf um den Sozialismus sei heute „unmöglich, ohne den Kampf darum, das Überleben der Menschheit zu ermöglichen." (1993, S. 27) Diese „Neubestimmung" der Aufgaben des Kommunismus geht mit einer „Neubestimmung" des Imperialismus einher, im Rückfall auf Kautskys Konzeption des Ultraimperialismus: „Das Finanzkapital [hat] eine neue Stufe seiner Macht erreicht", der Konkurrenzkampf eine „neue Stufe der Monopolisierung" erzwungen, der Imperialismus eine „bisher nie da gewesene Macht" erlangt, die „totale Beherrschung des Weltmarktes", eine „Machtfülle, die keinerlei demokratischer Kontrolle unterworfen ist" usw. (Politische Erklärung des DKP-Parteivorstandes vom Februar 2004) Anstatt den Imperialismus zu bestimmen und die neuen Erscheinungsformen seiner allgemeinen Krise zu analysieren (und dabei die Hauptfeindfrage hervorzuheben), wird eine „neue" Qualität des Imperialismus durch sprachlichen Unsinn zu konstruieren versucht. „Jeder Flecken der Erde wird in den kapitalistischen Weltmarkt einbezogen", aber: „Zwei Milliarden Menschen sind heute von wirtschaftlicher Entwicklung ausgeschlossen."

2.) Kleinbürgerliche Sozialismuskritik statt Lehren der Arbeiterbewegung aus der siegreichen Konterrevolution

Vorrangiger Gegenstand der marxistischen Theorie des Sozialismus sind die Gesetze gesellschaftlicher Höherentwicklung. Wenn also gesagt wird, dass „einmal eingeleitete gesellschaftliche Entwicklungen nicht automatisch gesichert" sind (2000, S. 15) so wäre zu fragen, welche „Widersprüche im Sozialismus sich so zuspitzen können, dass sie systemzerstörend", also konterrevolutionär wirken. Oder anders gesagt: es sind die Bedingungen zu nennen, welche erfordert sind, um die objektiv notwendige Entwicklung des Sozialismus zum Kommunismus zu gewährleisten oder zu vereiteln.

Laut Sozialismusvorstellungen der DKP hingegen war die DDR schlicht eine „sozialistische Alternative" (1998, S. 9), deren Verdienste zwar gewürdigt werden, aber deren Niedergang nur äußerlich kritisiert wird. Die Verwendung bürgerlicher Oberflächenbegriffe wie „Dogmatismus", „Entfremdung" oder „Erstarrung" geht einher mit der Relativierung der Eigentumsfrage im Sozialismus: Einerseits „planmäßiger Einsatz aller Produktivkräfte" (z.B. 1993, S. 8), andererseits sei die „straffe Zentralisierung von Produktion und Reproduktion [im Sozialismus] auch dann noch aufrecht erhalten [worden], als die wissenschaftlich-technische Revolution längst eine flexiblere Verbindung von Zentralisation und Verantwortlichkeit der wirtschaftlichen Einheiten kategorisch verlangte." (1993, S. 25) Diese die objektive Entwicklungsgesetze der sozialistischen Produktionsverhältnisse negierende These wird seit 1963 von kleinbürgerlichen Sozialisten vorgetragen. Folglich sei das „Sozialismusmodell" der Sowjetunion nicht tauglich für „entwickelte Länder" wie DDR oder CSSR (1998, S. 10) „Bloße Verstaatlichung trat an die Stelle wirklicher Vergesellschaftung. Die Folge war eine zunehmende Entfremdung vom sozialistischen Eigentum." (1998, S. 10)

Entsprechend der angeblich „neuen" Bedingungen kapitalistischer Globalisierung reduziert sich die DKP auf eine „antikapitalistische Protestpartei" bzw. „Partei des Antikapitalismus" (2000, S. 26/31) und erstrebt eine „sozialistische Alternative": „Wir halten einen neuen sozialistischen Anlauf für notwendig" (1998, S. 8) „Das Ziel der DKP ist der Sozialismus" (1993, S. 27) Das Ziel einer Partei kann nicht eine neue Gesellschaftsordnung sein. Sie stellt sich damit ein unerreichbares Ziel; das erreichbare – die Befähigung der Arbeiterklasse zur Erkämpfung des Sozialismus – stellt sie sich hingegen nicht. Stattdessen Pluralismus: „Antimonopolistische Alternativen", „tatsächliche Systemalternativen": Die DKP „wird an der theoretischen Entwicklung sozialistischer Alternativmodelle zum Kapitalismus und an deren Verwirklichung mitarbeiten." (1993, S. 26)

Weiß/Gerns/Steigerwald schrieben schon 1974 („Opportunismus heute", S. 9): „In dieser [der kapitalistischen] Gesellschaft gibt es nur zwei Hauptklassen [Bourgeoisie und Arbeiterklasse], die das gesellschaftliche Leben nach ihren gesellschaftlichen Grundsätzen gestalten können." Essenz: Die Bourgeoisie oder die Arbeiterklasse kann in der kapitalistischen Gesellschaft das gesellschaftliche Leben nach ihren gesellschaftlichen Grundsätzen gestalten. – Nicht die sozialistische Revolution ist die Voraussetzung der Gestaltung der Gesellschaft durch die Arbeiterklasse, sondern die Gestaltung der Gesellschaft nach „gesellschaftlichen Grundsätzen" durch die Arbeiterklasse ist Voraussetzung des Sozialismus. Nichts anderes behauptet Bernstein mit seinem berühmten Satz „der Weg ist alles, das Ziel nichts". Auch die Rede von „gesellschaftlichen Grundsätzen" ist verschwommen und verwischt die Tatsache, dass die Arbeiterklasse keineswegs nach moralischen Grundsätzen – „sozialistische Wertvorstellungen" (1998, S. 10) „humanistische Werte" (2000, S. 15), „gesellschaftlicher Nutzen" (2000, S. 5) – sondern nach objektiven Gesetzen den Sozialismus gestaltet und gestalten muss, ansonsten kann sie keine dem Kapitalismus überlegene Gesellschaftsform durchsetzen, die Geschichte nicht, wie Stalin sagte, gegen den Kapitalismus wenden. (SW 10, S. 207) Mit Marxismus jedenfalls hat obiges Zitat von Steigerwald und Co. nichts zu tun. Falls aber etwas „anderes" damit „gemeint" war, hätten die Genossen gut daran getan, lieber dieses „Andere" zu schreiben, denn Marxismus kann man nicht „meinen". Dies zeigt einmal mehr: der DKP-interne Revisionismus ist „früher geboren worden" (um eine beliebte Formulierung Steigerwalds aufzugreifen.)

3.) Reformistischer Eklektizismus statt Einschätzung des aktuellen Kräfteverhältnisses zwischen Bourgeoisie und Proletariat

Die im Kampf für den „Übergang" zum Sozialismus enthaltene Verabsolutierung der Politik (also das „Übersehen" der Tatsache, dass die politische Revolution des Proletariats die ökonomische Umwälzung der Produktionsverhältnisse erst einleitet) findet in folgenden Vorstellungen seinen Ausdruck: der Weg zum Sozialismus wird durch „strukturelle antimonopolistische Reformen" (2000, S. 21) und „antimonopolistische Alternativen" (ebd. S. 10) freigemacht – bis zum „revolutionären Bruch" (1998, S. 7). Aber damit ist keineswegs die sozialistische Revolution, die politische Machteroberung der Arbeiterklasse gemeint, sondern „die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln [=], die von Ausbeutung befreite gesellschaftliche Arbeit [=], die Produktion für die Bedürfnisse der Menschen nach...Plan [=] und die gesellschaftliche Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums." Dies ist die ökonomische Seite des Sozialismus. Vorraussetzung dafür ist, dass die Arbeiterklasse (ob friedlich oder nicht) zuerst die Kommandohöhen der Politik und Wirtschaft erobert und die bürgerliche Staatsmaschine zerbricht. Mit vielen Worten wird die Notwendigkeit der sozialistische Revolution verschwiegen. Stattdessen versichert die DKP, der Sozialismus bedürfe „der Zustimmung der Mehrheit des Volkes" (1998, S. 19) im „Handeln breiter Massen". Deren Handeln heißt indessen keineswegs schon „Zustimmung" zum Sozialismus. An die Positionen der Machteroberung, des politischen Sturzes der Bourgeoisie müssen fortgeschrittensten Teile der Bevölkerung von einer revolutionären Partei herangeführt werden.

Man will also mit dem Kapitalismus „brechen" anstatt politisch für die Aufhebung des Privateigentums einzutreten. Dies sei nur für die „wesentlichen", „entscheidenden" Produktionsmittel vorgesehen, was übrigens im Widerspruch steht zu der ebenfalls erhobenen Forderung nach „planmäßigem Einsatz aller Produktivkräfte" (s.o.) Anstatt Kommunismus als Aufhebung des Privateigentums: Rückkehr zur „sozialistischen" (einfachen) Warenproduktion: „Unmittelbare Selbstregelung sozialistischer Kollektive" oder „Produktion von Werten [also Waren] und deren Einsatz [muss] gesamtgesellschaftlich geplant sein". Ziel ist die „gesellschaftliche Aneignung des Mehrwerts" (1993, S. 9/26). Die kleinbürgerliche Vorstellung einer Versöhnbarkeit von Privateigentum und Sozialismus ist klar ausgedrückt. Dies ist die Basis kleinbürgerlicher Demokratieillusionen überhaupt (Dürrbeck, Holz, Seppmann: „Demokratie als Grundlage der Gesellschaft"). Mit der Verabsolutierung der bürgerlichen Demokratie geht einher die Verkennung der sozialistischen Demokratie als Diktatur des Proletariats, die Negierung der Rolle des sozialistischen Staates zur Gewährleistung sozialistischer Demokratie. Stattdessen finden wir die begrifflose „Ausweitung" der bürgerlichen Mitbestimmung und „gleiche Rechte" (1998, S. 13) im Sozialismus, aber keine Rede ist von den gleichen Pflichten, was erst die Natur der Rechte im Sozialismus gegenüber denen des Kapitalismus hervortreten lässt.

Die DKP sorgt sich übrigens jetzt schon um „die Rechte einer auf dem Boden der sozialistischen Verfassung wirkenden Opposition" (2000, S. 18), ohne zu sagen, worin eine Opposition (ein Gegensatz) zum Sozialismus überhaupt nur bestehen kann: in bürgerlichen Restaurationsversuchen.

4.) Negierung der Führungsrolle der Partei in der Klasse und des ideologischen Klassenkampfes

Die Entwicklung des sozialistischen Klassenkampfes wird reduziert auf einen Bewusstwerdungsprozess: „Um als Gegenmacht wirken und zum Träger gesellschaftlicher Veränderungen werden zu können, muss die Masse der Arbeitenden sich ihrer Klassenlage bewusst werden und zur organisierten Aktion bereit sein. Klassenbewusstsein ist unverzichtbar für die Formierung der Arbeiterklasse zum politischen Subjekt." (1993, S. 9; auch S. 11: „organisierter Bewusstwerdungsprozess" oder „politische und weltanschauliche Bildung der Massen", „Gegenkultur zur Kultur der Herrschenden"; 1993, S. 26)

Die Weltanschauung und ihre theoretischen Grundlagen sind falsch und eklektisch dargestellt (siehe oben), und mit dem abstrakten Bezug („Orientierung") geht die Leugnung der Theorie für die Formierung der Partei einher. Vielmehr soll die Partei verstärkt in die „sozialen Bewegungen" hineingehen. Dies bedeutet die Negierung des ideologischen Klassenkampfes. Zwar gibt es Hinweise auf den „Antikommunismus", auf das „Meinungsmonopol" der „gleichgeschalteten" bürgerlichen Medien. Aber nicht gesagt wird, worin die antikommunistische, bürgerliche Verfälschung der Geschichte und Theorie der Arbeiterbewegung besteht. Daher gibt es auch keine Abgrenzung der DKP von kleinbürgerlichen Kräften (Trotzkisten, „Reformkommunisten"), nur der allgemeine Appell: „Es darf keine Ausgrenzung geben" (›Politische Erklärung‹), nötig sei allerdings der Kampf gegen „Dogmatismus". (2000, S. 16)

5.) Aktionistische Bündnispolitik statt theoretisch fundierte Strategie im Klassenkampf

Die neue Qualität des Imperialismus („Globalisierung") habe auch eine „neue Qualität der Protestbewegungen", eine „übernationale Bewegung" dagegen hervorgebracht. Statt zu sagen, dass diese Gruppierungen (EAL, Attac) neue Formen des kleinbürgerlichen Reformismus darstellen, dass sie den Parteien der Arbeiterklasse sowie einen festen weltanschaulichen Fundament sozialistischer Politik ablehnend gegenüber stehen – also arbeiterfeindlich sind – soll die DKP daran mitarbeiten die außerparlamentarischen Bewegungen „zusammenzuführen" (Politische Erklärung). In derselben Weise, wie die neuen linken Widerstandsbewegungen auf die reaktionäre imperialistische Politik reagieren, fordert die „Politische Erklärung" faktisch die Liquidation der kommunistischen Partei: Heute sei „von kommunistischen und revolutionären Parteien" – welche Partei kann revolutionär, aber nicht kommunistisch sein? – „eine neue Form der Zusammenarbeit" verlangt, nämlich eine ideologische, oder die Zusammenarbeit von Kommunisten mit anderen Linken Kräften ohne eigenständige kommunistische Programmatik. Stattdessen fordert man das halbherzige „Einbringen" von „Klassenpositionen und unsere Vorstellung einer gesellschaftlichen Alternative", um gemeinsame „gesellschaftspolitische Ziele zu bestimmen" (Politische Erklärung.)

Eine eigenständige kommunistische Linie kann auch nicht gründen auf der (siehe ›Politische Erklärung‹) Orientierung an der nunmehr „sozialreaktionären" und „antireformerischen" Politik der SPD/Bündnisgrünen, die „endgültig in das bürgerliche Lager übergegangen" seien. Wo standen sie denn früher? Auch die Kritik an der PDS, sie habe es nicht vermocht, eine außerparlamentarische Opposition zu formieren verwischt die wirkliche Zielstellung kommunistischer Politik. Es fehlt die Orientierung auf die Zusammenführung der kommunistischen Kräfte der BRD. Auch die Führungsrolle der Kommunisten, wie sie im ›Manifest‹ entwickelt wurde, wird negiert durch „gleichberechtigte, solidarische Zusammenarbeit mit anderen linken Parteien" (Politische Erklärung.) „Aufgabe der Kommunisten ist es, jede Politik zu unterstützen, die in der Lage ist, die Deformation der Produktivkräfte durch den Imperialismus zumindest so weit zu bremsen, dass die weitere Entwicklungsmöglichkeit der Menschheit nicht zerstört wird." (1993, S. 27) – ausgedrückt in der Vorstellung, es ginge um eine „Veränderung des Kräfteverhältnisses", einen „Politikwechsel gegen Kapital und Kabinett", „Umverteilung des Reichtums von Oben nach Unten", denn „die finanziellen Mittel für...Reformen sind vorhanden: im Reichtum und den Spekulationsmilliarden der Konzerne, der Banken und Versicherungen, bei den Vermögen der Superreichen." (Politische Erklärung).

Schließlich wird die DKP betrachtet als „Teil der internationalen kommunistischen Bewegung und den kommunistischen Parteien". Abstrakte „Solidarität" tritt an die Stelle einer Analyse, welche Parteien kommunistisch, welche reformistisch, welche trotzkistisch sind. Besonders der ideologische Burgfrieden mit dem Trotzkismus kommt in vielen Varianten zum Ausdruck: hinsichtlich einer „sozialistischen Alternative", in der „Bürokratietheorie" und schließlich der Unmöglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Lande: „Ein neuerlicher sozialistischer Anlauf in Deutschland erfolgt nicht isoliert, sondern wird von ähnlichen Bewegungen in den Nachbarländern und anderen Teilen der Welt begleitet sein...Letzten Endes wird der Sozialismus sich nur dann geschichtlich bewähren, wenn er zur Formation der Weltgesellschaft wird..." (1998, S. 12) Dies negiert die marxistische Erkenntnis, dass der Klassenkampf des Proletariats generell internationalen Inhalt, aber nationale Form haben muss, dass es die Hauptaufgabe der Arbeiterklasse ist, „zunächst mit der eigenen Bourgeoisie fertig [zu] werden." (MEW 4, S. 473)

Gerald Hoffmann, Berlin