Zeitschrift für Sozialismus und Frieden                                                                                   5/2004

Herausgeber: Verein zur Förderung demokratischer Publizistik (e.V.)

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Stalins Beiträge

zur marxistisch-leninistischen Militärtheorie und Militärpolitik 1943


 

Inhalt: 

 

Redaktionsnotiz

Militärtheorie und Militärpolitik. Das Jahr 1943

1. Idee der allgemeinen Offensive

2. Die Schlacht am Kursker Bogen (5. Juli bis 23. August 1943)

3. Zwischen Kursk und Teheran

4. Teheran, 28. November - 1. Dezember 1943


 

 

Redaktionsnotiz

 

Wir setzen die Reihe von Ulrich Huar zur Darstellung der Beiträge Stalins zum Aufbau des Sozialismus und zur marxistisch-leninistischen Theoriebildung hiermit fort.

Zur Erinnerung bzw. zur Information für neue Leserinnen und Leser seien hier noch einmal kurz die Arbeitsmaximen wiederholt, die Ulrich Huar im ersten Heft der Reihe darlegte. Er schrieb:

Für die Darstellung boten sich zwei Herangehensweisen an: Einmal die chronologische, die den Vorteil hat, die Theorie in allen ihren Bestandteilen im Zusammenhang darstellen zu können innerhalb der Zeitperiode, in der sie verfasst wurde. Die zweite Methode war die Theorie nach ihren Bestandteilen - Parteitheorie (Theorie der nationalen Frage, Politische Ökonomie des Sozialismus, Militärtheorie, Staats- und Revolutionstheorie) darzustellen. Der Vorteil dieser Methode bestand darin, die einzelnen Teiltheorien gründlicher darstellen zu können, innerhalb dieser die Kontinuität von Marx/Engels - Lenin - Stalin, sowie die Erkenntnisfortschritte im Denken Stalins selbst deutlicher herausarbeiten zu können.

Für die Arbeit der elektronischen Texterfassung und Korrektur danken wir den Genossinnen und Genossen der „Schriftenreihe der KPD“ sehr herzlich. Wie schon die vorherigen Hefte dieser Reihe erscheint auch dieses jetzt vorliegende gleichzeitig hier und bei der KPD.

 

Allerdings gibt es bei diesem Heft einen geringfügigen Unterschied: die Ausgabe der KPD enthält einen Anhang mit einigen Schriftdokumenten (Briefe zwischen Stalin, Churchill und Roosevelt, das Manifest des Nationalkomitees „Freies Deutschland“ sowie einige Reproduktionen von Landkarten). Wir müssen hier aus Kostengründen auf den Abdruck dieses Anhangs verzichten, da uns das Überschreiten der 60-Seiten-Grenze im Druck etwa 300,-  € mehr kosten würde – das sind 300,- €, die wir zur Zeit nicht haben.

Das ist ein Hinweis auf die finanziell nicht sher rosige Lage! Die Zeitschrift Offensiv finanziert sich allein durch Spenden.

 

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                                                                                                                     Redaktion Offensiv, Hannover


Militärtheorie und Militärpolitik. Das Jahr 1943

1. Idee der allgemeinen Offensive

In seinem Befehl Nr. 95 vom 23. Februar 1943 warnte Stalin davor, nach dem Sieg bei Stalingrad die Kräfte des Gegners zu unterschätzen. Der Feind habe eine Niederlage erlitten, sei aber noch nicht besiegt. Die faschistische deutsche Armee mache eine Krise durch, könne sich aber erholen. Der Kampf sei noch nicht zu Ende. “Der Roten Armee steht ein harter Kampf gegen einen heimtückischen, grausamen und vorläufig noch starken Feind bevor. Dieser Kampf wird Zeit, Opfer, die Anspannung unserer Kräfte und die Mobilisierung aller unserer Möglichkeiten erfordern.”1)

Diese realistische Einschätzung, die der Lage an den Fronten entsprach, enthielt auch psychologische und diplomatische Aspekte. Die Werktätigen im Soldatenrock der Roten Armee und in den Produktionsstätten im Hinterland mußten darauf vorbereitet werden, daß der Weg zur Befreiung des Landes noch langwierig, entbehrungs- und opferreich sein würde.

Dieser richtigen Einschätzung der Situation scheint die Orientierung Stalins auf eine allgemeine Offensive an der gesamten Front von der Ostsee bis ans Asowsche Meer zu widersprechen. Sie zeugt von einer Überschätzung der eigenen und Unterschätzung der Möglichkeiten des Gegners. Nun ist diese Idee der allgemeinen Offensive nicht Stalin allein zuzuschreiben. Sie entsprach auch den Auffassungen von Mitgliedern des Hauptquartiers (HQ). Wie weit es Diskussionen, gegenteilige Auffassungen gegeben hat, konnte ich aus den mir zugänglichen Materialien nicht entnehmen. Aber als Oberbefehlshaber trug Stalin die Verantwortung für diese Idee.

Zunächst bezog sich die Idee der allgemeinen Offensive nur auf die Südfront, vom Asowschen Meer bis in den Raum Kursk - Charkow - Donezbecken. Das HQ hielt die Lage in diesem Raum für eine solche Offensive für günstig. Die Angriffsoperation in Richtung Charkow sollte zeitgleich mit der Befreiung des Donezbeckens erfolgen.

In der Westrichtung sollte zugleich nach dem Plan des HQ ein vernichtender Schlag gegen die Heeresgruppe Mitte geführt werden. Im Nordwesten war vorgesehen, die Frontvorsprünge der deutschen Truppen bei Demjansk und dem Eisenbahnknotenpunkt Mga zu beseitigen.2)

Armeegeneral Rokossowski, Frontoberbefehlshaber (FOB) der Zentralfront, der im Zusammenwirken mit der Brjansker Front einen “tiefen Umfassungsstoß in allgemeiner Richtung Gomel - Smolensk” (die beiden Städte liegen Luftlinie etwa 290 km weit auseinander. UH) führen sollte, berichtet über die Umsetzung der allgemeinen Offensive an seinem Frontabschnitt,  die er “ihrer Idee nach”  als  “geniale(n) Operation” bezeichnete.

Der Beginn der Offensive wurde vom HQ auf den 15. Februar 1943 festgelegt. Dieser Termin war nach Rokossowski nicht einzuhalten. Das HQ lehnte seinen Einspruch gegen diesen Termin ab. Ein Großteil seiner Armeen, (der „Donfront“, die in „Zentralfront“ umbenannt wurde. UH), die an der Stalingrader Schlacht teilgenommen hatten, befanden sich noch im Raum Stalingrad. Sie mußten erst in den Konzentrierungsraum bei Jelez - etwa 600 km Luftlinie! - auf einer gerade erst notdürftig wiederhergestellten nur eingleisigen Eisenbahnlinie befördert werden. Dies erwies sich als äußerst schwierig. Die Bahn war der Verlegung so großer Truppenteile mit ihren technischen Ausrüstungen und Versorgungsgütern, Munition, Treibstoff, Lebensmittel, Lazaretten, etc. nicht gewachsen. Zudem gab es Meldungen über Unzulänglichkeiten bei der Bahn, die die Lage noch verschlimmerten: „Das NKWD wurde beauftragt, die Verlegung der Truppen zu beschleunigen.“3) (Rokossowski nannte keinen Namen, wer diese unglückliche Weisung erteilt hatte. Um tendenziösen Deutungen vorzubeugen, sie kann, muß aber nicht von Stalin veranlaßt worden sein. Stalin entschied nicht jedes Detail. Auch die FOB haben sich in einigen Fällen an das NKWD gewandt, wenn verdächtige Vorkommnisse aufzuklären waren. Es muß ferner berücksichtigt werden, daß es feindliche Elemente im Hinterland gab, die Sabotageakte durchführten.)

Das  Ergebnis  dieser  Entscheidung  erwies  als  katastrophal.  Die NKWD-Genossen waren keine Fachleute für Bahntransporte. Sie brachten alles durcheinander. Es gab keinen Fahrplan mehr. Die Verbände trafen vermischt im Konzentrierungsraum ein; während die Artillerie mit ihren Geräten am Zielbahnhof anlangten, befanden sich die Zugmittel, Pferde und Kraftfahrzeuge, noch an ihren bisherigen Standorten, technische Kampfmittel wurden auf einem, die Truppen auf einem anderen Bahnhof ausgeladen. Transportzüge blieben oft tagelang auf Bahnhöfen oder Ausweichgleisen stehen.

Rokossowski wandte sich ans HQ, die Eisenbahnverwaltung wieder selbständig arbeiten zu lassen, die NKWD-Genossen abzuziehen. Dem wurde entsprochen, nachdem sie genug Unordnung angerichtet hatten. Die Eisenbahner mußten erhebliche Zeit aufwenden, um das Durcheinander wieder einigermaßen zu entwirren.4)

Der Angriffstermin mußte auf den 25. Februar verschoben werden; aber auch jetzt war ein Teil der zur Front gehörenden Truppen noch nicht im Konzentrierungsraum eingetroffen. Die 21. Armee befand sich noch auf dem Wege von Stalingrad nach Jelez (Standort des Stabes der Zentralfront UH), die 70. Armee aus der Reserve des HQ noch auf dem Anmarsch. Trotzdem mußte laut Befehl des HQ der Angriff begonnen werden.

Unter diesen Umständen konnte die Zentralfront die gestellten Aufgaben der Offensive nicht lösen. Nach entsprechender Meldung Rokossowskis an Stalin wurde der Plan zwar geändert, brachte aber „wenig Erfolg“. Desgleichen gab es Schwierigkeiten an der Brjansker und Woronesher Front.Das HQ sah sich gezwungen, den „richtigen und mutigen Entschluß“ zu fassen, „den Angriff auf Orjol einzustellen“ und zur Verteidigung überzugehen.

Der sowjetischen Aufklärung war nicht entgangen, daß der Gegner am Mittelabschnitt Truppen zusammenzog. Rokossowski verfaßte eine schriftliche Meldung an Stalin über die Vorbereitung einer „entscheidenden Offensive“ des Gegners am Kursker Bogen. (Ein sowjetischer Frontvorsprung, etwa zwischen Orjol im Norden und Belgorod im Süden gelegen. UH) Der Gegner wolle „mit noch stärkeren Kräften das ... erreichen, was ihm im Winter nicht gelungen“ sei. Rokossowski wies eindringlich auf die Notwendigkeit der Schaffung „starker Reserven“ beim HQ hin.5)

Wie weit sich seine Meldung auswirkte, vermochte er nicht zu sagen, da die „allgemeine Lage“ ohnehin die Aufmerksamkeit auf den Kursker Bogen gelenkt hatte. Das HQ hatte im Mai und Juni eine starke Reservefront im rückwärtigen Raum der Zentral- und Woronesher Front formiert. Die Mahnung Rokossowski, „hinter dem Kursker Bogen zuverlässige Reserven zu schaffen,“ war damit „verwirklicht worden.“6)

Trotz der unzureichenden Vorbereitung der Offensive hatte sie im Süden im Februar zur Befreiung von Kursk und Belgorod geführt, am 15./16. Februar zur Befreiung Charkows.

Im Norden nahmen die Truppen der Wolchow- und Leningrader Front am 18. Januar Schlüsselburg, durchbrachen den Blockadering um Leningrad und stellten einen etwa 12 km breiten Korridor südlich des Ladogasees her. Wie Armeegeneral Merezkow, FOB der Wolchowfront, berichtet, hatte das HQ im Januar 1943 den größten Teil seiner Mittel im Süden eingesetzt. An der Wolchowfront wurde ihm die Aufgabe gestellt, mit den vorhandenen Kräften den Landkorridor nach Leningrad „um jeden Preis“ zu halten. Mit dem erfolgreichen Durchbruch nach Schlüsselburg war die Offensive an der Wolchow-/Leningrader Front erst einmal beendet.

Die Truppen der Wolchow- und Leningrader Front (FOB General Goworow) hatten nunmehr  fast  12  Monat  lang  Kampfhandlungen  in  Richtung  Mga  und Nebenoperationen an anderen Abschnitten zu führen. In diesen Kämpfen wurden die Voraussetzungen geschaffen für den späteren Vorstoß ins Baltikum.7)

Über die Idee der „allgemeinen Offensive“ informierte Stalin Merezkow und Goworow persönlich, wobei der Terminus „allgemeine Offensive“ nicht verwendet wurde. Dieser Terminus ist wahrscheinlich erst später in der Militärgeschichtsschreibung des zweiten Weltkrieges geprägt worden.

Die Idee der allgemeinen Offensive sah koordinierte Handlungen von fünf Fronten vor, der Zentral-, der Brjansker, der West-, der Kalininer- und der Nordwestfront. Die ersten drei sollten über Orjol und Brjansk Smolensk erreichen. Dies sollte es der Nordwestfront ermöglichen, den Frontvorsprung der deutschen Truppen bei Demjansk zu liquidieren, in den rückwärtigen Raum der faschistischen Truppen vorzustoßen, die der Wolchowfront gegenüberstanden. Merezkow hielt diesen Plan des HQ für „durchaus erfolgversprechend.“8)

An der Nordwestfront trafen die sowjetischen Truppen jedoch auf „starken Widerstand.“ Im März verlegte das HQ mehrfach den Angriffstermin im Raum Mga. Schließlich mußte „auf den Angriff überhaupt verzichtet“ werden. „Die Rote Armee“, resümierte Merezkow, „hatte zwar bedeutende Erfolge erziel, unsere Heerführer mußten jedoch in der schwierigen Kunst moderner Kriegführung noch einiges lernen.“9) Inwieweit er mit dieser salomonischen Bemerkung Stalin in die „Heerführer“ mit einbezog, muß ich hier offen lassen.

Zum ersten Mal stießen die sowjetischen Truppen an der Wolchowfront auf den deutschen Panzer „Tiger“. Damit erhöhten sich „sprunghaft die Verluste an unserer Front“, schrieb Merezkow. Ein Teil der sowjetischen Panzerabwehrartillerie war nicht mehr in imstande, den „Tiger“ wirkungsvoll zu bekämpfen. Das HQ nahm die Meldung Merezkows „sehr ernst“. Das Programm der Verteidigungsindustrie mußte in kurzer Zeit geändert, die Konstrukteure veranlaßt werden, neue Arten von Kanonen und Granaten zu schaffen.10)

Das konnte ein FOB natürlich nicht leisten, was auch nicht seine Aufgabe war. Diese Probleme konnte nur das HQ, nicht zuletzt der Oberste Befehlshaber und Vorsitzende des Rates der Volkskommissare, also Stalin, einer Lösung zuführen. Es geht hier nur darum, zu verdeutlichen, daß der Oberste Befehlshaber nicht nur für die Ausarbeitung der Strategien der Fronten verantwortlich war, sondern auch für die Verteidigungsindustrie im Hinterland. Diese Machtkonzentration, Generalsekretär der KPdSU (B), Oberster Befehlshaber und zugleich Vorsitzender des Rates der Volkskommissare in den Händen Stalins erwies sich unter den konkreten historischen Bedingungen der Verteidigung der Sowjetunion, eines Kampfes auf Leben und Tod, als notwendig und hat sich bewährt. Unter normalen friedlichen Bedingungen ist eine solche Machtkonzentration nicht erforderlich und kann unerwünschte, sogar schädliche Folgen haben. Aber zu welcher Zeit hatte denn die Sowjetunion „normale, friedliche“ Existenzbedingungen? Zu Lebzeiten Stalins jedenfalls nicht.

Wie Merezkow schrieb, befaßte man sich „auf höchster Ebene“ mit diesem Problem, bildete eine „spezielle Kommission“ zur Ausarbeitung entsprechender Maßnahmen. „Dieses operative Herangehen an die Fragen brachte Erfolge.“11) Die Produktion einer neuen Waffengeneration war das eine, aber die Truppen mußten auch daran ausgebildet werden, „die Handhabung der neuen Waffen erlernen, ihre Taktik verändern und die „Tiger“ bekämpfen lernen.“12)

Die neuen deutschen Panzertypen, „Tiger“, „Panther“ und die Selbstfahrlafette (SfL) „Ferdinand“, so gefährlich sie waren, konnten die Faschisten auch nicht vor ihrer Niederlage bewahren. 1943 lieferte das Hinterland den sowjetischen Truppen „eine so große Anzahl neuer technischer Kampfmittel und anderen Materials, daß sich der grundlegende Umschwung zu unseren Gunsten vollziehen konnte.“13)

General Moskalenko, (Armeeoberbefehlshaber (AOB) der 40. und ab Oktober 1943 der 38. Armee) beschreibt die Taktik der sowjetischen Soldaten im Kampf gegen den „Tiger“, einem „furchtgebietenden Panzer.“ Die Soldaten mußten gut auf die Abwehr von Panzerangriffen vorbereitet werden. „Sie ließen sich im Graben von Panzern überrollen, wurden mit der neuen Panzerhandgranate vertraut gemacht und lernten die verwundbaren Stellen der deutschen Panzer kennen. Außerdem erhielten die Artilleristen unmittelbar vor der Schlacht (am Kursker Bogen, UH) Unterkalibergranaten für die 45 mm, 57 mm und 76 mm Kanone sowie Hohlladungsgranaten für die 76 mm - Regimentskanone und die 122 mm-Haubitze. Durch den Einsatz dieser Granaten, die zur rechten Zeit eintrafen, wurden die Möglichkeiten der deutschen Panzer und SfL erheblich eingeschränkt.“14)

Das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) hatte nach der Niederlage bei Stalingrad bedeutende Umgruppierungen und Frontverkürzungen vorgenommen. Dazu gehörte der Rückzug des rechten Flügels der Heeresgruppe Don hinter den Mius, wodurch starke Kräfte für die Gegenoffensive bereit gestellt werden konnten.14a) Da es keine zweite Front gab, auch nicht in absehbarer Zeit zu erwarten war, konnte das OKW aus dem Westen einige Divisionen abziehen und an die gefährdeten Abschnitte der deutsch-sowjetischen Front einsetzen.

Die sowjetischen Truppen erlitten in ihren Angriffsoperationen, seit Januar faktisch ohne Pause, erhebliche Verlust, besonders in der Charkower Richtung. Sie waren auch ermüdet und bedurften der Erholung.

Die sowjetische Offensive kam „mehr und mehr zum Stillstand“. Durch den an einigen Abschnitten erfolgten raschen Vormarsch - an einigen Sektoren bis zu 300 km! - wurden die Verbindungslinien zu den rückwärtigen Diensten ausgedehnt. Die Flugplätze für den Einsatz von Kampfflugzeugen mit begrenztem bzw. mittleren Aktionsradius waren weit zurückgeblieben. Der Personalbestand der Armeen mußte aufgefüllt werden. So hatte sich das Kräfteverhältnis im Süden zugunsten der deutschen Truppen verändert. Bei Panzern hatten die deutschen Truppen eine Überlegenheit um 20 Prozent, bei Flugzeugen um 140 Prozent. Dennoch war das HQ entschlossen, die Offensive fortzusetzen. Das HQ nahm an, daß sich die deutschen Truppen an den Dnepr zurückziehen würden. So erhielt der FOB der Woronesher Front von Stalin die Weisung, den Gegner „so weit wie möglich hinter Charkow zurückzudrängen, damit in dieser Stadt die Regierung der Ukrainischen SSR normal arbeiten“ könne.15)

Am 19. Februar begann die Gegenoffensive der deutschen Armeen. Nicht nur das HQ, sondern auch Generaloberst Watutin, FOB der Südwestfront, unterschätzten die drohende Gefahr für die weit vorgerückten sowjetischen Truppen. Einige Verbände der zur Südwestfront gehörenden 6. Armee gerieten in die Einschließung. Erst am 25. Februar erhielt Watutin den Befehl, den rechten Flügel der Südwestfront auf den nördlichen Donez zurückzunehmen. Am 3. März hatten die sowjetischen Einheiten ihre Verteidigungsstellung auf dem linken Ufer des Donez bezogen. Versuche des Gegners den Fluß zu forcieren, konnten nunmehr abgewehrt werden.

In der sowjetischen Militärliteratur wird wiederholt auf die „großen Verluste“ an Menschen und technischen Kampfmitteln der Roten Armee hingewiesen, aber es gibt so gut wie keine Zahlenangaben. Die sowjetischen Truppen im Raum Charkow verfügten nicht über operative Reserven. Am 4. März begann die in der sowjetischen Militärgeschichtsschreibung als Verteidigungsschlacht bezeichnete Abwehroperation, die bis Ende März dauerte. Nach etwa fünf Tagen auf beiden Seiten verlustreichen Kämpfen konnten die deutschen Truppen am 17. März Charkow, am 18. März Belgorod zurückerobern. Ein Vorstoß auf Kursk konnte dagegen abgewehrt werden.

Auf Befehl Stalins ging General Wassilewski (Chef des Generalstabs) an die Woronesher Front, Armeegeneral Shukow(Stellvertreter des Obersten Befehlshaber) in den Raum Obojan. Beide hatten den Auftrag, den FOB zu helfen und deren Verteidigung zu koordinieren. Am 25. März stabilisierte sich die Front.16)

War nun die Idee der allgemeinen Offensive ein Fehler? Bis zur Befreiung von Charkow, Belgorod, Kursk und Rostow Mitte Februar war die Offensive erfolgreich. Danach hatte das sowjetische Oberkommando, aus heutiger Sicht, mit den heutigen Kenntnissen, zur Verteidigung übergehen müssen. Die Erkenntnisse der Aufklärung über die tatsächliche Stärke des Gegners in diesem Kampfraum, der sich über Hundert Kilometer ausdehnte, waren lückenhaft. Nicht nur Stalin, auch andere Mitglieder des HQ und die FOB unterschätzten die Möglichkeiten des Gegners. Aber als Oberbefehlshaber trug Stalin die Verantwortung. Was man an seiner Entscheidung kritisieren kann, ist, daß er den Zustand der eigenen Truppen, der ihm bekannt sein mußte, ungenügend berücksichtigt hat. Die eigenen Verluste an Menschen und Kampftechnik muß er, selbst bei unvollständigen Informationen, gekannt haben. Stalin war mit den FOB, auch mit AOB, in ständigem Kontakt. Er führte sehr exakt Angaben über die Stärke der Fronten und Armeen, über ihre personelle Zusammensetzung, Bewaffnung, Versorgung in seinem Notizbuch. Er wußte auch, daß ohne operative Reserven eine Offensive ein sehr riskantes Unternehmen ist, daß die Front sich nicht zu weit von ihrer Nachschubbasis entfernen darf. Desgleichen wußte er, daß von den westlichen Koalitionspartnern keine Entlastung zu erwarten war, wie der Briefwechsel mit Präsident Roosevelt, Januar bis März 1943 - beweist. So schilderte Stalin in seiner Botschaft an Roosevelt vom 13. Januar die Bestürzung seiner Kollegen darüber, „daß die Operationen in Nordafrika zum Stillstand gekommen sind, und zwar, wie man sagt,... auf lange Zeit“.17)

In einer weiteren Botschaft an Roosevelt vom 16. Februar wies Stalin darauf hin, „wie wenig wünschenswert“ die Hinausschiebung des Abschlusses der Kampfhandlungen in Tunesien sind. „Gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt, da die sowjetischen Truppen noch in der Lage sind, ihre umfassende Offensive aufrechtzuerhalten, ist die Aktivität der anglo-amerikanischen Truppen in Nordafrika dringend notwendig.“18) Stalin betonte gegenüber Roosevelt, daß die „baldige Errichtung der zweiten Front“ die „Hauptfrage“ sei und erinnerte daran, daß Roosevelt und Churchill „es für möglich hielten, die zweite Front schon im Jahre 1942, auf jeden Fall aber spätestens im Frühjahr dieses Jahres zu errichten.“19)

Unter Berücksichtigung des verständlichen Bestrebens, die Faschisten so schnell wie möglich aus dem Lande zu vertreiben, war die Fortsetzung der Offensive nach der Befreiung von Charkow, Belgorod, Kursk und Rostow ein ernster operativer Fehler.

Aber auch die Faschisten konnten ihre weitgesteckten Ziele mit ihrer Gegenoffensive nicht erreichen. Außer einigen territorialen Erfolgen, allerdings auch der Rückeroberung von Charkow und Belgorod, brachte die Offensive nur Verluste ein. Sie war nicht einmal von strategischer Bedeutung, auch wenn „der Ausgang der Kämpfe um Charkow“, wie General der Infanterie Kurt von Tippelskirch resümierend meint, gezeigt habe, „wieviel Kraft noch in den deutschen Truppen steckte, wenn sie von starker und sachkundiger Hand nach gesunden operativen und taktischen Grundsätzen geführt werde.“20)

Diese von Tippelskirch beschworene „Kraft“ reichte jedoch nicht mehr aus, „die Sowjettruppen im Raum von Charkow einzukesseln und unseren Truppen ein ‘deutsches Stalingrad’ zu bereiten“, erklärte Stalin in seinem Befehl Nr. 195 vom 1. Mai 1943. „Allein, der Versuch des Hitlerschen Oberkommandos, für Stalingrad Rache zu nehmen, ist gescheitert.“21)

Über die Anzahl der aus dem Westen abgezogenen deutschen Divisionen gibt es unterschiedliche Angaben. Stalin sprach in dem erwähnten Befehl von „dreißig neuen Divisionen“, die aus Westeuropa abgezogen worden seien.22) In der Geschichte des zweiten Weltkrieges, Bd. 6, ist von acht Divisionen die Rede, die aus dem Raum Rostow und Westeuropa abgezogen wurden. Die Heeresgruppe Süd habe insgesamt über dreißig Divisionen verfügt, darunter 13 Panzer- und Panzergrenadierdivisionen.23) Offensichtlich liegt in der Wiedergabe des Befehls Stalins ein Fehler vor.


2. Die Schlacht am Kursker Bogen (5. Juli bis 23. August 1943)

Über die Kursker Schlacht existiert eine umfangreiche militärhistorische Literatur.1) Im Folgenden geht es um die Ausarbeitung des strategischen Plans für die sowjetischen Truppen und den Anteil Stalins daran, seines Anteils, sei hier nochmals betont, denn den Plan für eine militärische Operation in den Dimensionen der Kursker Schlacht konnte nicht von einem einzelnen ausgearbeitet und durchgeführt werden. Wie auch bei der Stalingrader Schlacht waren Planung und Führung das Ergebnis eines Kollektivs von Feldherren, Front- und Armeeoberbefehlshabern, Ökonomen und Konstrukteuren, Verwaltungsoffizieren und, nicht zuletzt, Mitgliedern des Politbüros der KPdSU (B).

In der sowjetischen wie auch in der bürgerlichen Militärgeschichts-schreibung wird die Kursker Schlacht bei unterschiedlichen Positionen übereinstimmend als eine bedeutende, große Schlacht des zweiten Weltkrieges bezeichnet. In einigen Arbeiten wird sie sogar als die „größte“ Schlacht des zweiten Weilkrieges, vereinzelt sogar der „Weltgeschichte“ betrachtet. Wenn wir von Superlativen absehen, die in wissenschaftlichen Arbeiten mit Vorsicht zu gebrauchen sind, war die Kursker Schlacht zweifellos eine der größten des zweiten Weltkrieges und auch eine kriegsentscheidende Schlacht. An dieser Schlacht waren von beiden Seiten über vier Millionen Mann, 69.000 Geschütze und Granatwerfer, über 13.000 Panzer und Selbstfahrlafetten bzw. Sturmgeschütze, fast 12.000 Kampfflugzeuge beteiligt.1a)

Die faschistische Führung war sich nach der Schlacht von Stalingrad endgültig darüber im klaren, daß die „Möglichkeit einer offensiven Beendigung des Krieges im Osten“1b) nicht mehr gegeben war. Als Konsequenz dieser Erkenntnis, die nun allgemein verbreitet war, begann sie einen neuen Kriegsplan zu entwickeln, der eine strategische Defensive zur Behauptung des eroberten Raumes in Europa vorsah, wobei unter Ausnutzung der kürzeren Verbindungslinien innerhalb der „Festung Europa“ die Hauptkräfte jeweils an den am meisten bedrohten Kriegsschauplatz geworfen werden sollten. Da die Sowjetunion weiterhin als Hauptgegner betrachtet wurde und die faschistische Führung die Verzögerung der zweiten Front durch die Regierungen der USA und Großbritanniens als festen Faktor in ihre Planungen einbaute, gelangte sie zu der Schlußfolgerung, im Sommer 1943 noch einmal durch einen schnellen und wuchtigen Angriff auf schmaler Frontbreite im Osten die Rote Armee entscheidend schwächen und zumindest für längere Zeit lähmen zu können. Die Stabilisierung der deutsch-sowjetischen Front sollte dann ermöglichen, mit überlegenen Kräften der Partisanenbewegung und den alliierten Armeen im Westen entgegentreten zu können.1c)

In seinem „Operationsbefehl Nr. 5“ vom 5. März 1943 gab das OKW an die Heeresgruppen Süd und Mitte die ersten Anweisungen zur Vorbereitung einer konzentrischen Offensive gegen den sowjetischen Frontbogen im Raum von Kursk. Es komme darauf an, so wurde der strategische Grundgedanke erläutert, dem Feinde wenigstens an einem Frontabschnitt das Gesetz des Handelns vorzuschreiben und ihn an den anderen Fronten anrennen und sich verbluten zu lassen. Am 15. April 1943 hieß es in dem von Hitler unterzeichneten „Operationsbefehl Nr. 6“:

„Ich habe mich entschlossen, sobald die Wetterlage es zuläßt, als ersten der diesjährigen Angriffsschläge den Angriff ‘Zitadelle` zu führen. Diesem Angriff kommt daher ausschlagende Bedeutung zu. Er muß schnell und durchschlagend gelingen. Er muß uns die Initiative für dieses Frühjahr und Sommer in die Hand geben. Deshalb sind alle Vorbereitungen mit größter Umsicht und Tatkraft durchzuführen. Die besten Verbände, die besten Waffen, die besten Führer, große Munitionsmengen sind an den Schwerpunkten einzusetzen. Jeder Führer, jeder Mann muß von der entscheidenden Bedeutung dieses Angriffs durchdrungen sein. Der Sieg von Kursk muß für die Welt wie ein Fanal wirken.“1d)

So konzentrierte die faschistische Führung im ersten Halbjahr noch einmal alle zur Verfügung stehenden Kräfte zu einem entscheidungssuchenden Schlag gegen die Rote Armee. Die auf Hochtouren laufende Rüstungsindustrie, die im Mai 1943 ihren bisher höchsten Produktionsausstoß an Waffen und Geräten erreichte, ermöglichte eine vollkommene Neuausstattung der für den Angriff vorgesehenen und zur Auffrischung aus der Front gezogenen 41 Elite-Divisionen. Die 19 Panzerdivisionen wurden zum Teil mit den neuen schweren Panzern „Panther“ und „Tiger“ sowie mit den Selbstfahrlafetten „Ferdinand“ ausgestattet. Unter Entblößung aller übrigen Frontabschnitte wurde die Masse der an der deutsch-sowjetischen Front einsatzbereiten 3.000 Panzer sowie 1.800 Frontflugzeuge der Luftflotten 4 und 6 bereitgestellt. Eine derartige Massierung von Angriffskräften auf kleinstem Raum hatte es noch nicht gegeben. Der Erfolg von „Zitadelle“ schien der faschistischen Führung sicher.

Für die Ausarbeitung des Planes für die sowjetischen Armeen nennt Shukow General Wassilewski, Generaloberst Antonow, Stellvertreter des Chefs des Generalstabes, und sich selbst. „Antonow galt mit Recht als vorzüglicher Meister der Stabskultur, und während wir den Konspekt des Berichts an Stalin aufsetzten, entwarf er schnell die Lagekarte und den Kampfplan der Handlungen der Fronten im Raum des Kursker Bogens.“2)

Am Abend des 12. April legten Shukow, Wassilewski und Antonow den Planentwurf im HQ Stalin vor. Bezüglich Kursk als dem Ziel der faschistischen Offensive stimmte Stalin zu, desgleichen, daß die Hauptanstrengungen der sowjetischen Armeen auf den Kursker Bogen gerichtet sein mußten. Stalin äußerte aber nach wie vor Sorgen über die Moskauer strategische Richtung einer deutschen Offensive.

Mitte April hatte das HQ den vorläufigen Entschluß gefaßt, sich zunächst auf die Verteidigung am Kursker Bogen vorzubereiten. Den endgültige Beschluß über die „planmäßige Verteidigung“ faßte das HQ erst Ende Mai, Anfang Juni. Der Plan sah vor, der zu erwartenden Offensive in einer „mächtigen Verteidigungsfront“ zu begegnen, den Gegner auszubluten und ihn in einem Gegenangriff endgültig zu schlagen. Es wurde beschlossen, mit der Ausarbeitung des Planes zur Verteidigung zugleich mit der Konzipierung des Offensiv-Planes zu beginnen. Sollte sich jedoch die deutsche Offensive verzöqern, so sollte mit der eigenen Offensive nicht abgewartet werden.3)

Nach der Vorlage des Berichts schwankte Stalin aber noch, “ob unsere Truppen dem Gegner in der Verteidigung begegnen oder einen Präventivstoß führen sollten. Der Oberste Befehlshaber fürchtete, unsere Verteidi­gung könnte dem Stoß der faschistischen Truppen nicht wider­stehen, wie das in den Jahren 1941 und 1942 wiederholt der Fall gewesen war. Andererseits war er aber auch nicht sicher, daß unsere Truppen in der Lage wären, den Gegner im Angriff zu bezwingen.

Nach mehrmaligen Besprechungen entschied Stalin Mitte Mai 1943 endgültig, dem faschistischen Angriff mit dem Feuer aller Mittel der tiefgestaffelten Verteidigung, mit wuchtigen Schlägen der Fliegerkräfte und Gegenstößen der operativen und strategi­schen Reserven zu begegnen, den Gegner zu zermürben und auszubluten, ihn dann durch eine wuchtige Gegenoffensive in der Belgorod-Charkower und der Orjoler Richtung zu schlagen und anschließend tiefe Angriffsoperationcn in den wichtigsten Richtungen zu unternehmen.

Das Hauptquartier wollte nach der Niederlage des Gegners im Kursker Bogen das Donezbecken, die ganze Ukraine ost­wärts des Dnepr befreien, den deutschen Brückenkopf auf der Taman-Halbinsel liquidieren, die Ostgebiete Belorußlands be­freien und die Voraussetzungen für die völlige Vertreibung des Gegners von unserem Territorium schaffen.”4)

Unvermeidlich, es gab auch Fehleinschätzungen der Kräfte des Gegners an den einzelnen Fronten. Shukow wies auf die Aufklärung hin, die in der Vorbereitung der Verteidigung und Offensive eine bedeutende Rolle spielte. An der Aufklärung des Gegners waren Tausende von Menschen beteiligt, die Methoden waren von Fall zu Fall verschieden. Es gab Einsatz von Kundschaftern, Truppenaufklärung, Aufklärung durch Partisanen, Meldungen von Sympathisierenden. Damit waren in den Meldungen neben Richtigem auch Fehler mit eingeschlossen. Hinzu kamen Tarnungen, Täuschungsmanöver des Gegners, die nicht immer gleich erkannt werden konnten. Irrtümer seien auch bei „systematischer Arbeit nicht ausgeschlossen.“5)

Inwieweit das HQ die uns heute bekannten Operationsbefehle Nr. 5 und 6 des OKW kannte, muß ich offen lassen.

Ein Irrtum des HQ und Generalstabs bestand in der Annahme, daß die stärkste Gruppierung des Gegners im Raum Orjol gegen die Zentralfront (FOB Rokossowski) formiert worden sei. Tatsächlich standen aber die stärksten Verbände im Raum Belgorod der Woronesher Front (FOB Watutin) gegenüber.

Diese Fehleinschätzung hat dazu beigetragen, daß die Zentralfront den Angriff des Gegners leichter als die Woronesher Front abwehren konnte. Der Woronesher Front standen etwa 1.500 Panzer gegenüber, der Zentralfront 1.200.6)

Rokossowski war ebenfalls davon überzeugt, daß die Hauptkräfte der deutschen Armeen im Raum Orjol, der Zentralfront gegenüber, konzentriert worden seien.7)

Rokossowski widerspricht allerdings der Einschätzung Shukows, wonach die Zentralfront es leichter gehabt habe als die Woronesher Front unter Watutin. Die Deutschen hatten an der Woronesher Front zwar mehr Panzer - er nennt zwei Panzerdivisionen - als an der Zentralfront, dafür hätten sie aber drei Infanteriedivisionen weniger gegenüber gehabt. An der Zentralfront hätte der Gegner nach sechs Tagen pausenloser Angriffe nur 6 bis 12 km unter sehr hohen Verlusten in die Verteidigung eindringen können, während er an der Woronesher Front 35 km tief eindringen konnte, bevor er zum Stehen gebracht wurde. Rokossowski führte dies darauf zurück, daß er an der Zentralfront seine Kräfte in den am meisten bedrohten Abschnitten konzentriert, während Watutin an der Woronesher Front seine Kräfte auf den gesamten Verteidigungsabschnitt verteilt habe.8)

 Folgt man den Ausführungen von Shukow, dann mußte Rokossowski an seiner Front mit den Hauptkräften der deutschen Armeen rechnen, während Watutin mit einer weniger starken Konzentration gegnerischer Kräfte rechnete. In Wirklichkeit war es eben umgekehrt, wie wir heute wissen.

Rokossowski erwartete den Angriff der deutschen Truppen nur aus einer Richtung, was sich als richtig erwies. Er hatte die Möglichkeit, an dem betreffenden 95 km breiten Frontabschnitt hohe operative und taktische Dichte seiner Truppen zu sichern und in der Tiefe starke Reserven zu halten. Watutin ging davon aus, daß der Gegner aus zwei Richtungen an einem 164 km langen Frontabschnitt angreifen konnte. Auch dies erwies sich als richtig. Darum veranlaßte er einen tiefen operativen Aufbau seiner Truppen. Das ging natürlich auf Kosten einer geringeren Dichte in der taktischen Verteidigungszone.

Da, wie schon gesagt, das HQ annahm, daß der Hauptschlag des Gegners gegen die Zentralfront gerichtet war, erhielt Rokossowski bei der Aufteilung der Kräfte ein Artilleriekorps mit dessen Einsatz er einen schwer zu durchbrechenden Feuerschild schuf. Watutin verfügte nicht über ein Artilleriekorps, d.h., daß er an Geschützen und Granatwerfern 2.700 Rohre weniger besaß als Rokossowski.8 a)                                

 Es geht hier nur darum, zu zeigen, daß die Einschätzungen der sowjetischen Generale, noch Jahre nach der Kursker Schlacht in Einzelfällen voneinander abweichen. General Bagramjan, AOB der 11. Gardearmee (ursprünglich 16. Armee, auf Befehl Stalins für ihre Verdienste in 11. Gardearmee umbenannt. Das war eine hohe Auszeichnung. UH) berichtet über eine Beratung im HQ bei Stalin Ende April über den Plan der Operation im Raum Orjol. Der Plan war von Antonow vorgelegt, von den anwesenden FOB Sokolowski und Reiter bestätigt worden. Stalin fragte, ob alle einverstanden oder jemand anderer Meinung sei. Bagramjan meldete sich. Er war der Auffassung, daß die 11. Gardearmee stärker ausgerüstet werden müßte, um durch starke, konzentrische Stöße die gegnerische Gruppierung bei dem Ort Bolchow einzuschließen und zu vernichten. Dafür müßte die 11. Gardearmee 12 Schützendivisionen, darunter 3 Divisionen des Nachbarn erhalten. Außerdem müßte die 61. Armee mit mehreren Divisionen und einem Panzerkorps aus der Reserve des HQ verstärkt werden. So würde in die Verteidigung des Gegners eine Bresche geschlagen und günstige Bedingungen für den weiteren Vorstoß der sowjetischen Truppen geschaffen werden.9)

Diese Auffassung Bagramjans war vorher schon von den FOB Sokolowski und Reiter abgelehnt worden. Sie sahen darin nur den Wunsch Bagramjans, seine Armee auf Kosten anderer zu stärken. Solche Bestrebungen hatten die meisten Generäle, aus dem HQ soviel an Kräften wie nur möglich zu erhalten. Antonow hatte geäußert, den Plan nicht mehr ändern zu können. Stalin hörte Bagramjan aufmerksam zu und äußerte dann: „Bagramjan hat gar nicht so unrecht. Wir sollten seinem Vorschlag zustimmen. Die Sorge eines Armeeoberbefehlshaber um günstigere Bedingungen ist lobenswert. Schließlich trägt er für den Mißerfolg die volle Verantwortung.“10)

Die Variante von Bagramjan wurde ohne wesentliche Änderungen angenommen. Diese Episode beweist, daß es bei den Beratungen im HQ Meinungsverschiedenheiten und Diskussionen gab. Jeder der Anwesenden konnte seine Auffassungen vortragen. Als Oberster Befehlshaber hatte Stalin letztendlich zu entscheiden und trug damit die Verantwortung. Natürlich, die Stalin-Kritiker können ihm vorwerfen, daß er die Meinung der „Mehrheit“, bewährter kampferfahrener Generäle, darunter Antonow und zwei FOB! mißachtet und einer Einzelmeinung - auch eines kampferfahrenen Generals! - zugestimmt habe, also „subjektivistisch“ eine Entscheidung getroffen habe. Damit wäre allerdings nicht bewiesen, daß die Entscheidung Stalins falsch war. Mehrheitsentscheidungen müssen nicht immer richtig sein. Die Analyse von Beratungen im HQ bei Stalin zeigen, daß die strategischen und taktischen Fragen oft kontrovers diskutiert wurden, wobei sie nach Sachlage, nicht nach „Mehrheiten“ und „Minderheiten“ entschieden  wurden.  HQ  und  Generalstab  waren  schließlich  keine bürgerlichen Parlamente.

In Vorbereitung auf die Verteidigung und nachfolgende Offensiv wurden nach Shukow 1.330.000 Mann, über 3.600 Panzer und Sfl, 20.000 Geschütze und 3.130 Kampfflugzeuge, einschließlich Fernkampfflugzeuge für die Operation bereitgestellt.11)

Über die Anforderungen, die damit an die rückwärtigen Dienste, Bereitstellung und Transport von Treibstoff, Munition, Verpflegung, Lazaretten und sonstigen Ausrüstungen, gestellt waren, gibt Generalleutnant Antipenko Auskunft.12) Hier sei nur auf einen Posten aufmerksam gemacht, den Verbrauch an Artilleriemunition von zwei Fronten, der Zentralfront (Rokos-sowski) und der Woronesher Front (Watutin) in der Zeit vom 5. bis 12. Juli 1943, in der ersten, der Verteidigungsphase der Kursker Schlacht, also innerhalb von nur sieben Tagen! Die Artillerie der Zentralfront verschoß 1079, die der Woronesher Front „nur“ 417 Waggons Munition.13) Allein eine Armee der Zentralfront, die 13. Armee, verschoß innerhalb dieses Zeitraumes vier Kampfsätze Artilleriemunition (ein Kampfsatz wog etwa 20.000 Tonnen. UH) „Einen derartig hohen Munitionsverbrauch in so kurzer Zeit hatte es in keiner Verteidigungsoperation einer Armee weder im Großen Vaterländischen Krieg noch in der Geschichte der Kriege überhaupt gegeben.“14)

Antipenko erwähnt Probleme in der Versorgung der Fronttruppen mit Fleisch. Für die Front war Vieh mit einem Schlachtgewicht von 10.000 Tonnen bereitgestellt. Es fehlte aber an Transportmöglichkeiten, um das Vieh in Frontnähe zu befördern. Es standen keine Eisenbahnwaggons zur Verfügung. Das Vieh mußte mit „eigenen Kräften“ herangetrieben werden. 10.000 Tonnen Fleisch bedeuteten etwa 75.000 Stück Großvieh, einschließlich Jungvieh, über 500 Herden, die über eine Strecke von mehr als 1.000 km zu treiben waren. Während dieses Viehtriebs mußten die Herden veterinärmäßig betreut, Futtermittel bereitgestellt und die Verarbeitung der Milch gesichert werden. Antipenko verwies zum Vergleich auf die damalige Literatur, in der es Beschreibungen über Viehtrieb in Australien und im zaristischen Rußland, in Sibirien gab. Aber da handelte es sich um Herden von 5.000 bis 6.000 Tiere, sie aber mußten 70.000 Tiere treiben.15)

Man könnte fragen, was das HQ und der Oberste Befehlshaber damit zu tun haben. Sie hatten auf jeden Fall die Versorgung der Fronten mit Lebensmitteln zu sichern, und dazu gehörten Produktion, Transport und Verteilung der Güter, in diesem Falle mit Fleisch. Natürlich waren dafür die Rückwärtigen Dienste verantwortlich. In nicht wenigen Fällen mußte jedoch das HQ eingreifen. Generalmajor Krainjukow nennt einen dieser Fälle. Ende 1943 hatte die 18. Armee der 1. Ukrainischen Front einen Angriff zu führen, der Bestandteil der Winteroffensive 1943/44 war. Da im Dezember normalerweise Frost und Schnee typisch sind, waren die Soldaten mit Filzstiefeln ausgerüstet. Es setzte aber Tauwetter mit Regen ein, der Schnee schmolz weg und vermischte sich mit dem Boden zu einem Morast. Die Soldaten mußten vor dem Angriff die Filzstiefel gegen Lederstiefel tauschen, die aber nicht ausreichend vorhanden waren. Davon hing der Erfolg der Offensive an diesem Frontabschnitt ab. Nach Aussagen des Chefs der Sanitätsverwaltung hätten dadurch die Erkältungskrankheiten zugenommen, die sich epidemisch ausbreiten könnten. Der Bedarf an Lederstiefeln konnte nur zu 30 Prozent gedeckt werden. Da die Rückwärtigen Dienste der Front nicht die benötigten Lederstiefel beschaffen konnten, wandte sich Krainjukow (Chef der Rückwärtigen Dienste der 1. Ukrainischen Front) direkt an den Chef der Rückwärtigen Dienste (Alle Fronten), Armeegeneral Chruljow, in Moskau, also an das HQ, aus der die benötigten Stiefel aus der Reserve des HQ an die Front befördern ließ.16) Aus der Reserve des HQ konnte nichts entnommen werden ohne Zustimmung Stalins.

In die Vorbereitung großer Operationen gehört auch die politisch-ideologische Bildung und Erziehung der Soldaten. Eine wichtige Rolle spielten dabei die Frontzeitungen. Nun waren die Soldaten der Roten Armee nicht alle Russen, verstanden nicht alle die russiche Sprache oder nur sehr unvollkommen. Die Frontzeitungen der 1. Ukrainischen Front mußten nach deren Zusammensetzung also in russischer, ukrainischer, usbekischer, kasachischer und tatarischer Sprache erscheinen.17) Die rechtzeitige Auslieferung der Zeitungen - und richtige Verteilung! - gehörte zu den Aufgaben der Rückwärtigen Dienste. Sie waren unverzichtbare Aufgaben zur Vorbereitung auf die Operationen im Kursker Bogen.

Nach einer Gefangenenaussage vom 5. Juli, morgens gegen 02.00 Uhr, sollte der deutsche Angriff in einer Stunde, um 03.00 Uhr beginnen. Shukow und Rokossowski gaben den Befehl zu Gegenvorbereitungen und informierten über Telefon sofort Stalin, den den Befehl billigte. Stalin befahl, „ihn ständig zu informieren.“ Shukow meinte, in dem Gespräch die „Nervenanspannung“ Stalins zu verspüren. „Wir alle waren äußerst erregt, obwohl wir eine tiefgestaffelte Verteidigung aufgebaut hatten und jetzt über mächtige Mittel verfügten...“18)

Am 5. Juli, 02.20 Uhr begann die Zentralfront „mit dem Artillerieschlag“ gegen die Aufstellungsräume der deutschen Truppen. Damit begann die Schlacht am Kursker Bogen.

Stalin war während der Kursker Schlacht von Anfang bis Ende in stetigem Kontakt mit den FOB und AOB, wie in deren Erinnerungen übereinstimmend berichtet wird.19) Stalin mußte auch die anderen Abschnitte der langen Frontlinie von Nordkarelien bis zum Asowschen Meer im Auge behalten, desgleichen die Aktivitäten der Japaner im Fernen Osten. Selbst die Schiffahrt auf der Wolga, die anscheinend doch nichts mit der Schlacht im Kursker Bogen zu tun hatte, gehörte in den Bereich der Aufmerksamkeit des Obersten Befehlshaber. Wie Admiral Kusnezow berichtet, hatte die deutsche Luftwaffe in die Fahrrinne der Wolga Hunderte von Minen geworfen, um diese wichtige Verkehrsader lahmzulegen. Nach Beendigung der Stalingrader Schlacht war der Kampf gegen die Minen noch nicht beendet. 1943 räumten die Räumfahrzeuge der Wolgaflottille mindestens 600 Minen. Stalin erkundigte sich wiederholt bei Kusnezow über die Sicherung dieser wichtigen Verkehrsader. Bis Juni 1943 wurde der Transportplan für die Wolgaschiffahrt wieder zu 70 Prozent erfüllt. Im Sommer 1943 passierten 8.000 Transporter den Fluß, die mehr als 7.000.000 Tonnen Erdöl beförderten. Stalin versicherte Admiral Kusnezow: „Zum Sieg bei Kursk haben auch Sie beigetragen. Übermitteln Sie das Ihren Genossen.“20)

Als Oberster Befehlshaber griff Stalin mit Befehlen, mit dem Einsatz von Reserven des HQ an den Fronten aktiv ein, wo es erforderlich war.

In der Kursker Schlacht entwickelte die sowjetische Führung neue Methoden des Kampfes.

In Erwartung des deutschen Angriffs hatte sie starke Abwehrkräfte bereitgestellt. Zum ersten Mal wandte sie eine neue Verteidigungstaktik an. Bisher waren feindliche Panzerdurchbrüche immer erst in der Tiefe des Raumes durch Gegenstöße eigener Panzerkräfte abgefangen worden. Im Kursker Frontbogen wurde nun den feindlichen Panzerdivisionen kein Raum mehr zum Manövrieren im freien Gelände gelassen, sondern sie liefen sich schon nach wenigen Kilometern in einem gut ausgebauten, tief gestaffelten Stellungssystem fest, dessen Rückgrat eine mächtige Artillerie aller Kaliber bildete. Schon am zweiten Angriffstage mußten sich die deutschen Panzer heftiger Gegenangriffe sowjetischer Panzer erwehren und hatten nach einer Woche verlustreicher Angriffe nur an wenigen Stellen 9 ( Raum Orjol) bis 35 km (Raum Belgorod) vordringen können. Ihre blutigen und Materialverluste waren  sehr hoch.  Im Rücken der der deutschen Angriffsverbände sprengten Partisanen im Juli 1114-mal die Nachschublinien und entlasteten damit wesentlich die sowjetische Verteidigung. Den starken deutschen Fliegerverbänden stellten sich ebenso starke und mit modernen Maschinen ausgerüstete Verbände entgegen. Es kam zu erbitterten Luftschlachten, in denen die sowjetischen Fliegerkräfte allmählich die Oberhand gewannen.20a)

Aber auch beim Angriff wandte die sowjetische Führung neue Methoden an. Erfolgte bisher der Angriff der Infanterie nach der Artillerievorbereitung, so nunmehr schon während des Artilleriefeuers. Die Infanterie folgte unmittelbar der Artilleriefeuerwalze, die, je nach Angriffstempo nach und nach vorverlegt wurde.21)

Über Idee, Plan und Führung der Schlacht äußerte sich Bagramjan:

“Die Kursker Schlacht bestärkte uns in unserer Meinung, daß bei der Ausarbeitung der Idee und des Planes dieser Schlacht die strategischen Führungsorgane und nicht die ihnen unterstellten Instanzen der Fronten die  ausschlaggebende Rolle spielten.

Die exakte Fixierung der allgemeinen Idee, die sorgfältige Pla­nung und die gründliche Vorbereitung der Operationen sowie die glänzende Führung der Streitkräfte beruhten vor allem auf der ge­waltigen organisatorischen Arbeit des Zentralkomitees der Partei, der Sowjetregierung und unserer höchsten militärischen Führung. Der Ausgang der Schlacht war ein wahrer Triumph der sowje­tischen Kriegskunst. Bewundernswert war der rechtzeitige, weise Entschluß, in der ersten Etappe des Sommer-Herbst-Feldzuges 1943 im Kursker Bogen zur Verteidigung überzugehen. Das er­möglichte der Zentralfront und der Woronesher Front, die reich­lich mit Panzern, Sturmgeschützen und Flugzeugen ausgerüsteten gegnerischen Stoßgruppierungen in Verteidigungsschlachten zu zermürben und ausbluten zu lassen, und half den sechs sowje­tischen Fronten (der West-, Brjansker, Zentral-, Woronesher, Step­pen- und Südwestfront), in der zweiten Etappe im Rahmen der Of­fensive die an der Operation «Zitadelle» beteiligten Verbände völlig zu zerschlagen.

Ich stimme jenen Historikern voll und ganz zu, die folgende Vor­züge der Vorbereitung des Sommer-Herbst-Feldzuges 1943 durch das Hauptquartier des Obersten Befehlshabers als die wichtigsten ansehen: In erster Linie war es die Tatsache, daß unsere Angriffsfront weitaus breiter war als die, an der die faschistische Wehrmacht ihren Angriff vorbereitete. Außerordentlich wichtig war die rechtzeitige Aufstellung starker Reserven, einschließlich der Steppenfront, so daß bis Sommeranfang 1943 an der gesamten sowjetisch-deutschen Front ein Kräfteübergewicht geschaffen werden konnte. Außerdem wurde der Erfolg gesichert, weil das Oberkommando der Roten Ar­mee eine Methode der Kriegführung gewählt hatte, die der konkre­ten Lage vollauf entsprach! Und schließlich kam noch die ausge­zeichnete Arbeit der Aufklärung hinzu, die die Absichten des Geg­ners aufdeckte und Angaben über die Gruppierung und die Kräf­teentfaltung sowie über den Plan der Operation «Zitadelle» be­schaffte.”22)

General Konew bestätigt aus seiner Sicht die Ausführungen von Bagramjan. Das HQ „sah richtig voraus…“ daß nicht nur die Anstrengungen der Fronten und Truppenausbildung ausschlaggebend sind, sondern auch „strategische Reserven benötigt“ werden. Zugleich äußerte Konew auch Kritik: Es sei wichtig, „daß man die strategischen Reserven massiert und in der entscheidenden Richtung“ des Kriegsschauplatzes einsetzt. Dies sei während der Verteidigungsphase der Kursker Schlacht (also vom 5. - 12./13. Juli, UH) nicht der Fall gewesen. So seien die Reserven hauptsächlich für die Woronesher Front (Watutin) verwendet worden, wodurch die Steppenfront (FOB Konew) geschwächt worden sei. Das Oberkommando der Steppenfront (also Konew) habe beim HQ „energisch“ dagegen seinen Einwand erhoben, aber das HQ hätte ihn „leider nicht“ akzeptiert.23)

Offenbar konnte man gegen Stalins Entscheidungen auch „energisch“ Einwände erheben. Dabei spricht es nicht unbedingt gegen Stalin, wenn er sie nicht akzeptierte. Ein Einwand bedeutet nicht, daß er begründet ist. Wie w.o. gezeigt, war die Verstärkung der Woronesher Front dringend geboten. Als FOB der Steppenfront hat Konew die Gesamtlage an den Fronten nicht in seiner Kompliziertheit überschauen können, während das HQ die Gesamtlage kannte und dem entsprechend entschied. So konnten Einwände eines Befehlshaber einer Front berechtigt erscheinen, die aus Sicht der Gesamtlage nicht richtig waren.

Konew würdigte trotz seiner „Einwände“ die Kursker Schlacht als einen hervorragenden Erfolg der sowjetischen Militärwissenschaft.

“Der Durchbruch ist eine Kunst und nicht einfach das Ergebnis arithmetischer Berechnungen. Wir wis­sen, wie schwierig er mitunter ist. Die wichtigste Aufgabe des ope­rativen Durchbruchs bestand in der Regel darin, die Hauptkräfte des Gegners in der taktischen Zone zu zerschlagen und alles für den Einsatz der Panzerarmeen oder der zweiten Staffeln vorzube­reiten, die den Durchbruch zu vertiefen hatten.

Um den Erfolg in der operativen Tiefe zu entwickeln, wurden in der Kursker Schlacht erstmalig Panzerarmeen in den Durchbruch eingeführt. Besonders interessant ist der Einsatz der 1. und der 5. Gardepanzerarmee in der Operation von Belgorod-Charkow. Nachdem sie die taktische Verteidigungszone durchbrochen hatten, gingen sie rasch zum Angriff über und stießen 120 bis 150 Kilometer vor. Die 1. Panzerarmee griff in Richtung Bogoduchow an. Unabhängig von den allgemeinen Armeen, legte sie in 24 Stunden 20 bis 30 Kilometer zurück, versetzte den operativen Reserven, den Flanken und rückwärtigen Diensten des Geg­ners Schläge und zwang sie, ihre Stellungen aufzugeben und zu­rückzuweichen.

Die Steppenfront selbst hatte 1380 Panzer. Insgesamt verfügten die drei an der Kursker Schlacht beteiligten Fronten über 4980 Panzer und Selbstfahrlafetten; das waren annähernd 50 Prozent der Panzer aller kämpfenden Armeen. Damit ist bewiesen, daß das Hauptquartier den massierten Einsatz der Panzer- und mechani­sierten Truppen in der Hauptrichtung geplant hatte. Bei Kursk kam es zur größten Begegnungsschlacht von Panzern in der Geschichte des zweiten Weltkrieges. Der Raum Prochorowka und kurz da­nach die Räume Achtyrka und Bogoduchow waren ein einziges Panzerschlachtfeld. Die Erfahrungen zeigten, daß vom Zusammen­wirken der Panzerarmeen mit den allgemeinen Armeen, von der richtigen Organisation der Artillerie- und Luftunterstützung, der raschen Kräftekonzentrierung in der Hauptstoßrichtung, dem raschen Angriff und der kontinuierlichen Führung der Erfolg ab­hängt.

Auch die Erfahrungen der Fliegerkräfte in dieser Schlacht be­reicherten die Kriegskunst. Unsere Fliegerkräfte errangen die Luft­herrschaft. Während der Gegenoffensive wurden massierte Angriffe in großer Tiefe gegen die Reserven des Gegners geflogen. Einige Luftarmeen wirkten mit den Fliegern der Luftverteidigung eng zusammen.

Die rückwärtigen Dienste arbeiteten in der Kursker Schlacht unermüdlich, um die Truppen mit allem Notwendigen zu versor­gen. Unsere bewährten Ärzte setzten alles daran, verwundete Soldaten und Offiziere ins Hinterland zu bringen und sie zu heilen.”

Weiter heißt es bei Konew: „Die Kursker Schlacht stellte eine wichtige Etappe in der Entwicklung der sowjetischen Kriegskunst dar. Sie bleibt für alle Zeiten ein Symbol der unbesiegbaren Macht des sozialistischen Staates, der in der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution geboren wurde, und seiner Streitkräfte. Sie war ein hervorragender Erfolg der sowjetischen Militärwissenschaft.“23 a)

Abschließend über die Rolle Stalins in der Kursker Schlacht sei Shukow zitiert, der während der ganzen Zeit mit ihm in Verbindung stand:

“Nach Stalins Tod wurde die Meinung vertreten, er hätte mili­tärisch-politische Entscheidungen auf eigene Faust gefällt. Das entspricht nicht der Wahrheit. Berichtete man Stalin sachkundig über irgendwelche Fragen, so hatte er ein offenes Ohr. Nicht selten änderte er dann seinen Standpunkt und frühere Entschlüsse. So verhielt es sich vor allem mit den Angriffsterminen vieler Kampfhandlungen.     

Die Schlacht im Raum Kursk-Orjol-Belgorod war eine der bedeutendsten des Großen Vaterländischen Krieges und des zweiten Weltkriegs überhaupt. Hier wurden nicht nur die Elite­truppen und die stärksten Gruppierungen des Gegners zerschla­gen; hier zerbrachen auch endgültig alle Bemühungen der fa­schistischen Führung, dem Krieg noch eine Wende zu geben. Das wirkte sich auf die Haltung des deutschen Volkes aus, aber auch auf die der Satellitenstaaten.

Mit der Zerschlagung der gegnerischen Hauptgruppierung im Raum Kursk schufen wir die Voraussetzungen für die darauf­folgenden großangelegten Angriffsoperationen der sowjetischen Truppen zur restlosen Vertreibung der Okkupanten von unse­rem Territorium und auch zur Befreiung Polens, der Tsche­choslowakei, Ungarns, Jugoslawiens, Rumäniens und Bulgariens sowie zur endgültigen Niederwerfung des deutschen Faschismus...

Eine Bedingung für unseren Sieg war die quantitative und besonders die qualitative Überlegenheit der sowjetischen Trup­pen zum Zeitpunkt der Verteidigungsschlacht. Ferner ermög­lichte es die größere Schlagkraft der sowjetischen Fliegerkräfte, der Artillerie- und der Panzertruppen, innerhalb kurzer Fristen Stoßgruppierungen zu bilden, die jeden Widerstand schnellstens brachen. Das gestattete es der sowjetischen Führung, die Zer­schlagung des Gegners im Raum des Kursker Bogens vorzu­bereiten und zu verwirklichen sowie die großangelegten faschi­stischen Angriffspläne für 1943 zu durchkreuzen.”24)

Von bürgerlichen Historikern wird der Sieg der Roten Armee bei Kursk auf deren materiell-technischen Überlegenheit zurückgeführt, die durch die amerikanischen und englischen Lieferungen erreicht werden konnte. So meint Tippelskirch, daß die „ständig zunehmende Stärke der Roten Armee“ „nicht nur“ auf „ihre(n) gewaltig angewachsenen eigenen Rüstungs-betriebe(en) zurückzuführen sei“, sondern daß sie auch „laufend mit amerikanischem Material versorgt“ wurde.25)

Immerhin erwähnt er auch die sowjetischen Rüstungsbetriebe. Desgleichen bestätigte er auch „die zunehmende Wendigkeit der russischen Führung in der Behandlung operativer Fragen“, versichert uns aber zugleich der unvermindert großen taktischen Überlegenheit der deutschen Truppen. Sie waren  „sich ihrer Überlegenheit über ihren Gegner so bewußt, daß sie einer Strategie des operativen Abnützungskampfes voll gewachsen war.“26) Mit dieser These von der „Überlegenheit“ der „deutschen Truppen“ auf dem Kampffeld bedient Tippelskirch die abgedroschenen Phrasen der Goebbelspropaganda.

Nicht der „Masseneinsatz an Material“, schrieb der „Völkische Beobachter“ vom 16. Juli 1943, „wie ihn die Bolschewisten in den Kampf warfen“ erzwinge die Entscheidung, „sondern lediglich der Geist der kämpfenden Soldaten, die eine Waffe und ihre Anwendung überlegen beherrschen. Diese geistige Überlegenheit liegt völlig auf der Seite der deutschen Soldaten...“26a) Nachdem die Niederlage der deutschen Truppen trotz ihrer „geistigen Überlegenheit“ vollkommen war, philosophierte der Völkische Beobachter“ vom 6. September 1943 über eine „fast unbegrenzte passive Leistungsfähigkeit der östlichen Menschen.“ Aber nun müsse der russische Soldat zum Angriff übergehen, der „andere Seelenkräfte als die Abwehr“ erfordere, „Kräfte, die den Sowjetbewohnern nicht eingeboren sind.“ Der deutsche Soldat dagegen habe solche „Seelenkräfte.“ „Es treibt ihn eine innere Macht und lenkt jede seiner Bewegungen...  Die Abwehrkräfte, die dem Sowjetarmisten aus einem dumpfen Instinkt zufließen, gehen bei ihm (dem deutschen Soldaten, UH) über den Weg des Verstandes und des Willensentschlusses...“

Diese mystische Verklärung des deutschen Soldaten war keineswegs unwirksam. Diese rassistische Überlegenheitstheorie des deutschen Soldaten zieht sich durch nicht wenige bürgerliche militärgeschichtliche Darstellungen des zweiten Weltkrieges durch. Tippelskirch ist da keine Ausnahme.

Der faschistischen Führung waren Briefe gefallener Sowjetsoldaten in die Hände gefallen, aus deren Inhalt die hohe Kampfmoral der Roten Armee ersichtlich war. Für sich notierte Goebbels in seinem Tagebuch: „Diese Briefe atmen einen sehr kampffrohen und positiven Geist. Von einer niedergedrückten Stimmung kann hier überhaupt nicht die Rede sein. Die Sowjets leben augenblicklich von ihren Siegen.“26 b)

Aber solche Eingeständnisse waren in der faschistischen Presse nicht zu finden.

Tippelskirch wäre überfordert, zu erkennen, daß die Ursachen der Niederlage der deutschen Truppen in der Stabilität der sozialistischen Ordnung, in der Leistungsfähigkeit der sozialistischen Wirtschaft, ihrer Industrie, in der Überlegenheit der sowjetischen Militärdoktrin, der Führungsqualität der sowjetischen Generale einschließlich des Obersten  Befehlshabers, letztendlich im Massenheroismus der sowjetischen Soldaten und der Werktätigen im Hinterland, der Partisanen hinter den deutschen Linien zu suchen und zu finden sind. Ein Sieg der Sowjetunion unter Führung der KPdSU(B) über die Kriegskunst deutscher Generale? Das ist für Tippelskirch nicht faßbar, Die faschistischen deutschen Generale waren auf ihrem taktisch-operativen Gebiet zweifellos Fachleute. Sie verstanden ihr Handwerk. Sonst hätte der Krieg nicht so lange gedauert. Was sie aber nicht verstanden, war die Clausewitz-These vom Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen, gewaltsamen Mitteln - wobei wir hier den von Lenin ergänzten Klassenaspekt sogar einmal weglassen können. Ihre Politik war irreal! Sie  ließ sich nicht realisieren! Die deutschen Generale hatten schon im ersten Weltkrieg das Kräfteverhältnis falsch eingeschätzt, was zu ihrer Niederlage führte.  Die  Träume  des Alldeutschen Verbandes von der Weltherrschaft ließen sich schon 1914 nicht verwirklichen. Der zweite Versuch des deutschen Imperialismus, die Weltherrschaft zu erobern, diesmal durch Machtübergabe an die Hitlerfaschisten, scheiterte am Widerstand der Völker der Antihitlerkoalition, in erster Linie der Völker der sozialistischen Sowjetunion. Namentlich die Sowjetunion wurde von den deutschen Imperialisten und Militaristen unterschätzt, als „Koloß auf tönernen Füßen“, der, wie sie glaubten, auf einen Anstoß von außen zusammenbrechen würde. Die Generale waren im gleichen politisch-strategischen Irrtum befangen wie Hitler, dem sie im Nachhinein alle Verantwortung zuweisen. Auch die Generale haben den Krieg gewollt, haben ihn geplant, durchgeführt und sind für die gesetzmäßige Niederlage verantwortlich. Sie waren es, die den Krieg gegen die Sowjetunion am 22. Juni 1941 begannen, ohne für die Truppen Winterausrüstungen bereitzustellen, weil sie überzeugt waren, bis zum Winter mit den „Bolschewisten“ fertig zu sein. Sie standen den verachteten Kommunisten in der Roten Armee gegenüber, die in der Kursker Schlacht 30 bis 40 Prozent der Truppenstärke ausmachten!

 

 

Stärke der Partei- und Komsomolorganisationen der im Raum des Kursker Bogens handelnden Truppen am 1. Juli 1943

Fronten          Kommu-        Komso-         Anteil             Partei-           Kompanie-    Komsomol-   Komsomol-

                     nisten             molzen           beider an       grund-           partei-           grund-           organi-

                     in 1000          in 1000          der Trup-       organi-           organi-           organi-           sationen

                                                                penstärke       sationen         sationen         sationen         der Kompa

                                                                                                                                                     nien

 

Westfront      181,3            137,8            40,5                  5160           8973             4741             8677

Brjansker

Front               81,4              73,5            37,3                  2320           4277             2165             4655

Zentralfront    119,4            131,8            35,4                  3816           6342             3703             7678

Woronesher

Front               93,4            114,7            33,3                  3305           5018             3286             6607

Steppen-

Militärbezirk    96,6              93,8            32,5                  2866           5222             2716             6339

 

Insgesamt      572,1            551,6            36,0              174373         29832           16611           33956

                                                               

26c)

Genauso, wie nach dem ersten Weltkrieg die „Dolchstoßlegende“ erfunden wurde, um die Verantwortung für die Niederlage von den deutschen Generalen auf die „vaterlandslosen Gesellen“ im Innern abzuwälzen, mußten nach dem zweiten Weltkrieg für den Sieg der Sowjetunion das Versagen Hitlers, die US-Lieferungen herhalten, oder auch die Erfolge der anglo-amerikanischen Truppen in Nordafrika und Süditalien, wodurch angeblich die deutsche Ostfront geschwächt wurde. Auf gar keinen Fall darf die Sowjetunion, die sozialistische Gesellschaftsordnung, die Kommunisten oder gar noch der Genosse Stalin als Sieger über die deutschen Generale anerkannt werden. Dies käme in der Tat ihrer historischen, politischen und letztendlich militärtheoretischen Selbstaufgabe gleich und hätte unübersehbare Auswirkungen auf das Traditionsbewußtsein der Bundeswehr.

Nach Shukow haben die angloamerikanischen Lieferungen in bestimmtem Maße geholfen, waren aber zu gering, um eine große Rolle zu spielen.27) Wie im Sommer 1942, als Churchill „mit dem größten Bedauern“ die Seetransporte auf der Nordroute einstellte, als die Rote Armee Waffen und Ausrüstungen am nötigsten brauchte28), reduzierte Churchill seit Beginn des Jahres 1943 erneut die Lieferungen auf ein Minimum, vom Januar bis August 240.000 Tonnen. Etwa zeitgleich lieferten die USA auf dem Seeweg nach Großbritannien 11,7 Millionen Tonnen an Gütern unter relativ geringen Verlusten durch deutsche U-Boote.

Es ist zumindest seltsam, daß, wenn an der deutsch-sowjetischen Front besonders schwere und für die sowjetischen Truppen verlustreiche Kämpfe von kriegsentscheidender Bedeutung stattfanden, die britische Admiralität „Schwierigkeiten“ hatte, Seetransporte nach Murmansk auslaufen zu lassen.

Die Begründung für die geringen Lieferungen an die Sowjetunion auf der Nordroute, der wichtigsten, daß die Verluste an Schiffsraum durch deutsche U-Boote zu hoch seien, war nicht stichhaltig. Unter Anerkennung des Sachverhalts, daß der Schiffsraum für den Transport von US-Streikräften nach Nordafrika und Großbritannien eine große Rolle spielte, bildet er keine seriöse Begründung für die faktische Einstellung der Lieferungen an die Sowjetunion.

Es ist richtig, daß in den ersten zwanzig Tagen im März 1943 die deutschen U-Boote im Nordatlantik eine hohe Versenkungsziffer erreichten. Aus vier in Richtung Murmansk fahrenden Geleitzügen (HX 228 und 229 sowie SC 121 und 122) versenkten deutsche U-Boote 39 von insgesamt 200 Handelsschiffen, gleich 20 Prozent, und einen britischen Zerstörer.

Diese Verluste, vor allem an Menschenleben, sollten keineswegs bagatellisiert werden. Dennoch reichen sie nicht aus, um die starke Einschränkung des Geleitzugverkehrs auf der Nordroute in die sowjetischen Häfen zu begründen. Den Versenkungsziffern der U-Boote standen die Neubauten, vor allem auf den amerikanischen Werften, gegenüber, die die Verluste durch sämtliche U-Boote  der Achsenmächte um mehr als das Doppelte übertrafen.

 

1943                   Schiffsverluste                                         BRT (Bruttoregistertonnen)

                                                                                                                                                                       

Januar                    37                                                               203.128                                                       

Februar                 63                                                               359.328                                                       

März                    108                                                               627.377                                                       

April                      56                                                               327.943                                                       

 

Gesamt               264                                                            1.517.776                                                               

29)

 

1943                   Schiffsneubauten                                     BRT

                           

Januar                  106                                                               647.000                                                       

Februar               132                                                               792.000                                                       

März                    149                                                            1.005.000                                                       

April                    159                                                            1.076.000                                                       

 

Gesamt               546                                                            3.520.000                                                               

30)

Des weiteren sind die Verluste der deutschen U-Boote zu berücksichtigen: Januar 12, Februar 8, März 15, April 31 Boote. Insgesamt gingen 66 Boote, 26 Prozent der U-Boot-Flotte, verloren.31)

Der März 1943 war der letzte Höhepunkt im U-Boot-Krieg. Mit der Einführung neuer U-Boot-Abwehrtechnik (Radar u.a. Techniken), der Verstärkung der U-Boot-Abwehr  durch  Flugzeuge  und  Geleitschutzschiffe  war  der U-Boot-Krieg gescheitert. Allein vom 10. April bis 21. September 1943 wurden weitere 30 U-Boote versenkt, 19 Boote beschädigt.31 a)

Im damals geheimen, aber Churchill wohlbekannten „Monthly Anti-Submarine Report“ der britischen Admiralität vom März 1943 hieß es: „Berücksichtigt man, wie sich die Angriffe schwerpunktmäßig entwickelt haben, dann kamen die Konvois zum größten Teil bemerkenswert gut durch.“32)

Im Januar und Februar 1943 fuhren nur zwei Geleitzüge nach Murmansk. Der am 17. Januar aus Low Ewe (Nordschottland) aus 14 Handelsschiffen bestehende auslaufende Geleitzug JW 52 traf bis auf ein Schiff, das die Fahrt abbrach, sicher in sowjetischen Häfen ein. Der am 26. Januar zurücklaufende Geleitzug RA 52 erreichte unter Verlust eines 7.460 BRT US-Liberty-Schiffs unbeschadet Low Ewe. Am 28. Februar lief Geleitzug JW 53, 28 Handelsschiffe mit starker Sicherung, aus Low Ewe aus. Durch arktische orkanartige Stürme wurden sechs Handelsschiffe und zwei Geleitschiffe schwer beschädigt. Sie waren zum Abbruch der Fahrt gezwungen. Die anderen 22 Schiffe liefen unter Abwehr planloser Angriffe deutscher Flugzeuge und U-Boote ohne Verluste in sowjetischen Häfen ein. Von dem zurücklaufenden Geleitzug RA 53, bestehend aus 30 Handelsschiffen, erreichten 26 britische Häfen. Von U-Booten versenkt wurden zwei Schiffe, eins durch Torpedotreffer beschädigt, ein Schiff brach in dem arktischen Sturm auseinander.33)

Im März 1943, als die deutschen U-Boote das dritthöchste Monatsergebnis an Versenkungen während des ganzen Krieges nach Juni und November 1942 erzielten, betrugen die Verluste aller auf der Nordatlantikroute sowjetische Häfen ansteuernden beladenen Handelsschiffen lediglich 8,5 Prozent, d.h., 91,5 Prozent der Schiffe erreichten ihren Bestimmungshafen.34)

Desgleichen war eine andere „Begründung“ Churchills für die Einstellung des Geleitzugverkehrs auf der Nordroute wenig überzeugend. Wie er am 30. März an Stalin schrieb, hätten die Deutschen in Narvik „eine mächtige Schlachtflotte konzentriert“, die aus der „Tirpitz“, der „Scharn-horst“, der „Lützow“, einem mit 15 cm Geschützen bestückten Kreuzer und acht Zerstörern bestehe. Churchill äußerte Bedenken, daß wenn „ein oder zwei unserer modernsten Schlachtschiffe der Homefleet verloren gingen oder auch nur ernstlich beschädigt würden, während die ‘Tirpitz` und andere große Einheiten der deutschen Schlachtflotte gefechtsfähig blieben, unsere ungeteilte Herrschaft im Atlantik in Frage gestellt wäre, was schreckliche Folgen für unsere gemeinsame Sache hätte.“35)

Es ist schon erstaunlich, was Churchill Stalin an „Begründung“ zumutete. Man stelle sich einmal vor, Stalin hätte an Churchill geantwortet, daß die Rote Armee ihre Offensiven gegen die deutsche Wehrmacht einstellen müsse, da die Deutschen starke Panzer hätten, „Tiger”, „Panther“, „Ferdinand“, die die sowjetischen Panzer kaputtschießen oder beschädigen könnten, während die deutschen Panzer „gefechtsfähig“ blieben, was „schreckliche Folgen für unsere gemeinsame Sache“ haben würde!

Was war denn das für eine „ungeteilte Herrschaft“ auf dem Atlantik, wenn sie angeblich von einem Schlachtschiff, zwei Schlachtkreuzern nebst einigen kleineren Einheiten „bedroht“ war?

Nach dem Kräfteverhältnis auf dem Atlantik vom 1. April 1943 konnte von einer „Gefährdung“ der „ungeteilten Seeherrschaft“ durch die deutschen Einheiten keine Rede sein, auch nicht durch die „Tirpitz“.

 

Stärke der auf dem atlantischen Kriegsschauplatz am 1.April 1943 insgesamt verfügbaren Flottenkräfte Großbritanniens, der USA und Deutschlands

 

 

Schiffsklasse                                            Großbritannien       USA                         Deutschland              

 

Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer         6                               4                             3                               

Flugzeugträger                                           15                               5                           -                                 

Kreuzer                                                       19                             11                             8                               

Zerstörer, Geleittorpedoboote

und Torpedoboote                                   122                          104                          51 

U-Boote                                                     57                             48                           etwa 400                   

36)

(Die geringere Anzahl von US-Schiffen erklärt sich aus dem starken Engagement der US-Kriegsmarine im Pazifik gegen Japan.)

Zu den US- und britischen Seestreitkräften kam noch die sowjetische Nordflotte, bestehend aus 21 U-Booten, l Großzerstörer, 8 Zerstörern, 186 Schiffen anderer Klassen, einschließlich Kampfboote. Die Seefliegerkräfte der Nordfront verfügte über 347 Flugzeuge, davon 191 einsatzbereite Kampfflugzeuge.37)

Die sowjetische Nordflotte unter Befehl von Vizeadmiral Golowko hatte unter anderem die Aufgabe, den Geleitzugverkehr auf der Nordroute ostwärts 20° 00‘ östlicher Länge zu sichern. Im Sommer 1943 hatten die sowjetischen Fliegerkräfte die Luftherrschaft über den Seeverbindungen östlich des genannten Längengrades sowie über Nordkarelien errungen.38) Ein Angriff deutscher schwerer Überwasserschiffe auf einen Geleitzug am 20. Dezember 1943 endete mit der Versenkung der „Scharnhorst“. Danach erfolgten keine Angriffe großer Überwassereinheiten auf Geleitzüge auf der Nordroute.39)

Über das Kräfteverhältnis auf der Nordroute war Stalin von der sowjetischen Admiralität genau informiert. So erklärte er in seiner Antwort vom 2. April an Churchill in lakonischer Form, daß er diese „unerwartete Maßnahme“ als eine „katastrophale Kürzung der Lieferungen von kriegswichtigen Rohstoffen und militärischer Ausrüstung an die Sowjetunion“ betrachte, daß „sich dieser Umstand auf die Lage der sowjetischen Truppen auswirken muß.“40)

Stalin hatte Herrn Churchill verstanden, worauf noch zurückzukommen sein wird.

Diese ausführliche Dokumentation beweist, erstens, daß die Entscheidung Churchills, den Geleitzugverkehr über die Nordatlantikroute einzuschränken, nicht aus militärischen, sondern aus politischen Erwägungen erfolgte. Mochte die Rote Armee nur die Blutopfer bringen, je mehr sie geschwächt wurde, um so besser für die Zeit nach dem Kriege. Zweitens, die Lieferungen an Kriegsmaterial an die UdSSR waren keineswegs entscheidend für die Siege der Roten Armee, weder bei Stalingrad noch bei Kursk oder später. Die Lieferungen an die Sowjetunion machten insgesamt vier Prozent der sowjetischen Rüstungen aus40a), eine durchaus zu vernachlässigende Größe. Aber diese These von der „entscheidenden Rolle“ der angloamerikanischen Lieferungen spukt noch heute in der bürgerlichen Militärgeschichtsschreibung herum. Im Unterschied zu Tippelskirch und anderen bürgerlichen Militärhistorikern bleibt der US-amerikanische Marinehistoriker Clay Blair bei den Tatsachen wenn er die sowjetische Rüstungsindustrie beschreibt: „Die bevorstehende Schlacht um Kursk war Hitlers letztes großes Vabanquespiel. Wenn die Deutschen die Schlacht gewannen, dann hielt er es für möglich, die Rote Armee durch eine Folge von Hammerschlägen zu vernichten. Eine Niederlage der Deutschen würde dagegen katastrophale Folgen haben: Die verachtete Rote Armee würde erneut triumphieren, die Wehrmacht nur noch ein Trümmerhaufen sein und Hitler wäre gedemütigt und vielleicht sogar von Sturz oder Ermordung bedroht.

Bei der Vorbereitung der Schlacht übersahen Hitler und seine Generale die in aller Stille, aber sehr real gewachsene Kampfkraft der Roten Armee, die etwa sechs Millionen Männer und Frauen zählte. Sowjetische Zivilisten arbeiteten wie besessen in drei Schichten in den Rüstungsfabriken, die nach Osten hinter den Ural verlegt worden waren, und produzierten in erstaunlichen Stückzahlen schwere T-34-Panzer, selbstfahrende nachgezogene Artilleriegeschütze, Jagdflugzeuge und Jagdbomber, Gewehr-Munition und andere Rüstungsgüter. (Die sowjetische Panzerproduktion betrug auf ihrem Höhepunkt 4.000 Stück pro Monat.) Stalin wußte genau, wie wichtig es war, Kursk und die Frontausbuchtung zu halten, und er zog Hunderttausende Rotarmisten dort zusammen, die er mit ungeheuren Mengen des neuen Kriegsmaterials ausrüstete.“40b) Die von Blair erwähnten „ungeheuren Mengen neuen Kriegsmaterials“ gab es tatsächlich. Sie dient bürgerlichen Militärhistorikern zu einem weiteren „Argument“, warum die Rote Armee in der Kursker Schlacht gesiegt hat.

Angeblich hätte die Sowjetunion 90 Prozent ihrer Kräfte gegen die deutschen Truppen einsetzen können, während das OKW in den Jahren 1943/44 35 bis 45 Prozent seiner Militärmacht auf anderen Kriegsschauplätzen einsetzen mußte.41) Wie diese Rechnung zustande kam, bleibt schleierhaft.

Im Fernen Osten hatte Japan starke Truppen-Kontigente an den Grenzen zur UdSSR konzentriert, die Kwantung-Armee, etwa eine Millionen Mann stark.

Am 1. April 1943 unterhielt das HQ in Fernost und im Süden Truppen mit einer Personalstärke von 1.955.000 Mann, 18.800 Geschützen und Granatwerfern, 3.200 Panzern und Selbstfahrlafetten, 4.500 Kampfflugzeugen. Das war etwa ein Drittel des Personalbestandes der Roten Armee, mehr als ein Viertel der Geschütze und Granatwerfer, zwei Drittel der Panzer und Flugzeuge.42)

An der gesamten deutsch-sowjetischen Front, vom Schwarzen Meer bis Nordkarelien sah das Kräfteverhältnis Anfang Juli 1943 wie folgt aus:

 

Kräfte und Mittel                                         Sowjetarmee                Wehrmacht             Verhältnis

 

Personalbestand der

Fronttruppen und der

Flottenkräfte in 1000                                   6612                             5325                        1,2:1

Geschütze und Granatwerfer*

in 1000                                                          105                               54,3                         1,9:1

Panzer und SFL (Sturmgeschütze)              10199                           5850                        1,7:1

Kampfflugzeuge                                           10252                           2980                        3,4:1

Kampfschiffe der Hauptklassen                  123                               69**                        1,8:1 

 

*Ohne 50-mm-Granatwerfer und reaktive Artillerie.

** Ohne U-Boote in der Ostsee.   43)

Das allgemeine Kräfteverhältnis am Kursker Bogen Anfang Juli 1943

 

Kräfte und Mittel                  Zentralfront                           9. und 2. Armee der              Verhältnis der

                                               und                                         Heeresgruppe Mitte             Kräfte und       

                                               Woronesher                          4. Panzerarmee und              Mittel

                                               Front                                      Armeeabteilung Kempf

                                                                                               der Heeresgruppe Süd

Truppen in 1000*                 1336                                      über 900                                1,4:1

Geschütze und Granat-

werfer** in 1000                 19,1                                        etwa 10                                  1,9:1

Panzer und SFL bzw.

Sturmgeschütze                    3444***                                fast 2700                               1,2:1

Flugzeuge                              2172****                             etwa 2050                              1:1

*Einschließlich der rückwärtigen Truppenteile und Einrichtungen.

**Ohne reaktive und Flakartillerie sowie ohne 50-mm-  Granatwerfer

***Darunter über 900 leichte Panzer.

****Bei der Berechnung wurden die Flugzeuge der Fernfliegerkräfte und der 17. Luftarmee der Südwestfront sowie die Nachtbombenflugzeuge Po-2 nicht berücksichtigt. Einschließlich dieser zählten die sowjetischen Fliegerkräfte 2900 Flugzeuge.43 a)

Wie aus den Tabellen ersichtlich, hatte das HQ allerdings überlegene Kräfte an den Fronten des Kursker Bogens konzentriert, aber es konnte zu keiner Zeit etwa die anderen Fronten vernachlässigen. Die Behauptung, daß die Sowjetunion 90 Prozent ihrer Kräfte am Kursker Bogen hätte einsetzen können, erweist sich als unhaltbar.

Die Landung angloamerikanischer Verbände auf Sizilien in der Nacht zum 10. Juli stellte für die sowjetischen Truppen im Kursker Bogen keine Entlastung dar, hatte keinen Einfluß auf deren Sieg.

Im Juni 1943 befanden sich in Italien und auf den italienischen Inseln an deutschen Truppen zwei Panzer- und vier Panzergrenadierdivisionen, eine SS-Sturm-Brigade, fünf Festungsbataillone, die Luftflotte 2 mit 932 Flugzeugen, davon 563 einsatzbereiten Maschinen.44)

Auf Sizilien befanden sich zur Zeit der Landung deutsche Truppen in einer Personalstärke von 60.000 und italienische Truppen von 195.000 Mann, insgesamt eine Mannschaftsstärke von 255.000 Mann.45)

Die Invasion in Sizilien hatte keinen Einfluß auf die Entscheidungen des OKW an der Kursker Front. Im Lagebericht des OKW vom 10. Juli hieß es: „Das Unternehmen ‘Zitadelle` wird fortgesetzt.“46)

In einer Besprechung im Führerhauptquartier am 26. Juli, also vier Tage vor der Invasion, forderte Hitler, mehrere Divisionen von der Heeresgruppe Mitte abzuziehen und an die italienische Front zu verlegen, wogegen Generalfeldmarschall v. Kluge darauf aufmerksam machte, daß „augenblicklich ... nichts herauszuziehen“ sei. „Das ist völlig ausgeschlossen im gegenwärtigen Moment.“47)

Nicht die Landung der angloamerikanischen Truppen in Süditalien hat den sowjetischen Sieg von Kursk ermöglicht, umgekehrt, die Fesselung der Hauptkräfte des deutschen Heeres und der Luftwaffe an der deutsch-sowjetischen Front, besonders am Kursker Bogen, hat die Invasion erleichtert. Mit dieser Feststellung soll die Leistung großer Truppenlandungen in Italien nicht abgewertet werden. Unter militärstrategischen Aspekt war sie ein bedeutendes Unternehmen, wenn sie auch keine Entlastung für die sowjetischen Truppen darstellte.

Tippelskirch hat nicht unrecht, wenn er meint, daß sich Churchill „nicht zuletzt“ mit dem „nur andeutungsweise ausgesprochenen Gedanken“ trug, mit der Landung auf Sizilien „auf eine Invasion in Frankreich ganz zu verzichten und den Krieg durch weitere Angriffe in Süd- und Südosteuropa zum Abschluß zu bringen. Die Tradition der englischen Mittelmeerpolitik... drängten ihn dazu, die Russen von Südosteuropa möglichst weit fernzuhalten. Er hoffte wohl, daß sich aus der Landung in Sizilien zwangsweise weitere Operationen im südosteuropäischen Raum ergeben würden.“ So sei „vom militärischen Standpunkt“ die Landung in Sizilien „eine politisch bedingte Kompromißlösung.“48)

Es ist der im bürgerlichen Denken tief verwurzelte paranoide Antikommunismus, insbesondere der Anti-Stalin-Komplex, verbunden mit einer alten Russophobie, daß die Mehrheit der Historiker der kapitalistischen Gesellschaft selbst heute noch daran hindert, die Realität der sozialistischen Gesellschaft und die objektiv existierenden Kräfteverhältnisse zu begreifen, die den Sieg der von der KPdSU(B) geführten Roten Armee über die faschistische deutsche Wehrmacht verbürgte. Rückblickend auf die großen, kriegsentscheidenden Schlachten bei Stalingrad und bei Kursk erklärte Stalin in seinem Bericht anläßlich des 26. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution am 6. November 1943: „Bei Stalingrad ging der Stern der faschistischen deutschen Armee unter. Nach der blutigen Schlacht von Stalingrad konnten sich die Deutschen bekanntlich nicht mehr erholen.

Was die Schlacht bei Kursk betrifft, so endete diese mit der Zerschmetterung der zwei angreifenden Hauptgruppen der faschistischen deutschen Armee und mit dem Übergang unserer Truppen zu einer Gegenoffensive, die sich dann zur mächtigen Sommeroffensive der Roten Armee auswuchs. Die Schlacht bei Kursk begann mit der Offensive der Deutschen gegen Kursk vom Norden und Süden her. Das war der letzte Versuch der Deutschen, eine große Sommeroffensive durchzuführen und im Falle ihres Erfolges das Verlorene wieder einzubringen. Die Offensive endete bekanntlich mit einem Fiasko. Die Rote Armee schlug nicht nur die Offensive der Deutschen zurück, sondern ging selbst zur Offensive über und warf im Lauf des Sommers in einer Reihe von aufeinanderfolgenden Schlägen die faschistischen deutschen Truppen über den Dnepr zurück.

War die Schlacht bei Stalingrad ein Vorbote des Untergangs der faschistischen deutschen Armee, so führte die Schlacht bei Kursk sie vor die Katastrophe.“49)

Von alledem erfuhren die Volksmassen in Deutschland von den faschistischen Medien nichts.

Die faschistische Propaganda hatte von Anfang an die Aufgabe, die von der Führung verfolgten Ziele des Unternehmens „Zitadelle“ zu verschleiern. Die Anweisungen an die Presse ergingen vom Chef des Wehrmachtsführungsstabes (WFST) persönlich über den Chef der Wehrmachtspresse am 5. Juli 1943: „Die Berichterstattung müsse zwar der Angriffskraft und Leistung unserer Truppen gerecht werden, aber unsere diesjährigen Ziele im Osten verschleiern und damit der allgemeinen Kriegslage Rechnung tragen. Unsere eigentliche Absicht, eine Offensive nur mit begrenztem Ziel zu führen, dürfte nicht bekannt gegeben werden. Es sei aber zweckmäßig, dem Russen eine Offensive zuzuschieben, die, unmittelbar bevorstehend, teilweise schon begonnen hatte, aber an unserer Abwehr scheiterte und im sofortigen Gegenangriff zu einer großen Vernichtungsschlacht erweitert werden konnte, bei der außerdem noch erheblicher Geländegewinn und eine bedeutende Frontbegradigung erzielt wurde

Eine solche Darstellung würde die Angriffskraft des Feindes herabsetzen und die Stärke unserer Abwehr und unsere Reserven im Osten betonen. Damit könne der Entschluß zu einer Entlastungsoffensive der Westmächte durch eine Großlandung möglicherweise bis zum Abschluß der derzeitigen Kämpfe im Osten hinausgezögert werden. Um von der Berichterstattung ‘Zitadelle‘ abzulenken, wäre gleichzeitig im ‘Internationalen Informationsdienst‘ eine Untersuchung über feindliche Invasionsmöglichkeiten einzuleiten, die eine abschreckende Wirkung erzielen soll.”50)

Da die faschistische Presse keine deutsche Offensive zugab, brauchte sie auch keine Niederlage einzugestehen. Die Kursker Schlacht wurde in eine ”Abwehrschlacht” verwandelt, in eine ”präventive Zermürbungsschlacht”, die ”vor allem der Zerschlagung” der ”stark angesammelten Kräfte” des Gegners galt. ”In diesem Sinne kann die Schlacht im Raum von Bjelgorod als eine präventive Zermürbungsschlacht angesehen werden.”

”Angesichts der zu erwartenden Großoffensive im Osten wie im Süden Europas konnte uns also nichts daran liegen, wieder in die östliche Weite vorzustoßen, sondern in erster Linie die feindlichen Truppenmassen zu treffen und ihr Kriegsmaterial zu dezimieren. Das ist dann auch bei Bjelgorod in großem Umfange gelungen....”51)

So wurde denn aus der katastrophalen Niederlage ”bei begrenzten eigenen Verlusten” ein grandioser Abwehrerfolg der deutschen Wehrmacht.52)

Wahrhafte Informationen konnten die Menschen in Deutschland nur aus der antifaschistischen Gegenpropaganda erhalten, partiell auch aus den Westsendern, vor allem Radio London und Beromünster. Eine hervorragende Rolle in der antifaschistischen Propaganda spielte das am 12./13. Juli in Krasnogorsk bei Moskau von deutschen Kommunisten, deutschen Soldaten und Offizieren gegründete Nationalkomitee ”Freies Deutschland” (NKFD). In seinem Gründungsmanifest orientierte es auf den Sturz des Hitlerregimes und die Errichtung eines freien demokratischen Deutschlands.53)

Ab 19. Juli erschien als Organ des NKFD die Wochenzeitung ”Freies Deutschland”. Bis zum 1. September 1943 wurden insgesamt 6.628.000 Exemplare des Manifests des NKFD und 5.354.000 Druckschriften unter den Kriegsgefangenen, an der Front unter den deutschen Soldaten, in Deutschland und im Ausland verteilt.

Am 18. Juli nahm der Sender „Freies Deutschland“ seine Tätigkeit auf. Seine täglichen Kurzwellensendungen waren ein wichtiges Informationsmittel für die Volksmassen in Deutschland, für den antifaschistischen Widerstandskampf und für die Soldaten der Wehrmacht. Für letztere wurden über Lautsprecheranlagen im Schützengraben, durch Flugblätter Informationen des NKFD verbreitet. Die Wirksamkeit der Propaganda des NKFD war allerdings begrenzt. Die von der antisowjetischen Propaganda erzeugten Vorbehalte unter den deutschen Soldaten waren nicht kurzfristig zu überwinden. Erich Weinert, Präsident des NKFD, hat später über den Erfolg der Frontarbeit geurteilt: „Will man diesen Erfolg an der Zahl der deutschen Soldaten und Offiziere messen, die sich freiwillig gefangen gaben, so scheint dieser Erfolg in keinem Verhältnis zur aufgewandten Arbeit zu stehen. Gewiß traten nicht nur einzelne Soldaten, sondern auch Gruppen und später größere Einheiten zum Nationalkomitee über. Doch schrieben die Bevollmächtigten (des NKWD, die an der Front mit der Propaganda für die deutschen Soldaten beauftragt waren, UH) in Berichten selbst, daß die Zahl der Überläufer in keinem Verhältnis zu den Erwartungen und der geleisteten Arbeit stand. Aber die Geneigtheit der in Gefangenschaft Geratenen für die Ideen des Nationalkomitees wuchs stetig. Auch viele gefangengenommene Offiziere konnten in kurzer Zeit für die Bewegung ‘Freies Deutschland’ gewonnen werden.“54)

Über die anfängliche Zurückhaltung der meisten in Gefangenschaft befindlichen Offiziere, sich dem NKWD anzuschließen, erklärte Generalmajor Dr. Otto Korfes: „Nicht etwa der Glaube an den deutschen Sieg, der nur bei wenigen sich noch aufrecht erhielt, hatte sie zurückgehalten, auch nicht der Einfluß faschistischer oder in der Tradition allzusehr gebundener Kameraden, obwohl in einigen Lagern ihre Gegenwirkung stark zu spüren war. Auch das Unbehagen, mit den deutschen Kommunisten gemeinsame Sache zu machen, das zweifellos den und jenen schrecken mochte, war nicht entscheidend. Weit stärker als solche Hemmungen wirkten die Beziehungen zu Heer und Wehrmacht, all die tausend Fasern menschlichen und gesellschaftlichen Wachstums, die den einzelnen an seine Kameraden, an sein Regiment, an das Offizierskorps, an all die Begriffe von Ruhm und Ehre fesselten, die die deutsche Armee seit Jahrhunderten charakterisierten. Diese Dinge waren weit lebendiger als die Gefolgschaftstreue zu Hitler, als Gesetz, als Gehorsam, Disziplin und sogar als der Eid, weil sie nicht staatlich-politischen, sondern sozialen Ursprung hatten.“55)

Die Tätigkeit des NKWD veranlaßte das faschistische OKW, im Oktober 1943 eine vier Seiten starke Sondernummer der „Mitteilungen für das Offizierskorps“ herauszugeben, die sich vor allem mit dem am 11./12. September 1943 in Lunjowo gegründeten „Bund Deutscher Offiziere“ (BDO) auseinandersetzte.56) Immerhin hatten die 95 Delegierten im Auftrage von über 9.000 kriegsgefangenen deutschen Offizieren General der Artillerie Walter von Seydlitz zum Präsidenten des Bundes gewählt, Generalleutnant Alexander Edler von Daniels, die Obersten Günther von Hooven und Luitpold Steidle zu seinen Stellvertretern. Der Ausstrahlungskraft des NKWD und des BDO mußte entgegengetreten werden. So behauptete die faschistische Führung, daß die Mitglieder des NKFD und des BDO „unter Zwang“ handelten. Noch im Juli 1944 erklärte Generaloberst Guderian in einem Aufruf, daß im NKFD mitwirkende Kriegsgefangene „...durch Gifteinspritzungen so weit gebracht sind, daß sie keinen eigenen Willen haben.“57)

Ratlosigkeit und Unschlüssigkeit, wie die faschistische Führung mit der Propaganda des NKFD zu begegnen habe, demonstrieren Äußerungen Hitlers auf  der Lagebesprechung am 7. Januar 1944: „Das Gefährlichste, was momentan an der Front stattfindet,...sind ohne Zweifel die Aufrufe, die von General Seydlitz kommen. Das kommt unter schwarz-weiß-roter Flagge, und der Mann weiß nicht: ist es wahr oder nicht? Es kommt von Offizieren, und der Mann war bisher der Meinung, Offiziere seien Ehrenmänner.... Es ist kein Zweifel, daß es sich hier nicht mehr um Leute handelt, die unter Druck handeln, und daß diese Leute nicht nur vorgeschoben werden, sondern daß diese Leute selber das machen....“

„Ich überlege mir noch: Entweder halten wir die Taktik ein, daß die Leute unter Zwang handeln - dann können wir natürlich einmal sehr unangenehm desavouiert werden, wenn sie hergehen und im Rundfunk immer schärfer sprechen, dann glaubt kein Mensch mehr, daß sie unter Zwang handeln -, oder wir sagen: das sind ein paar charakterlose Schweine, die sich einfach kaufen lassen. Im anderen Falle kann man einfach desavouiert werden. Was will man machen, wenn sie hergehen und im Rundfunk sprechen. Sie reden sowieso schon dauernd im Rundfunk.“58)

Das Nationalkomitee “Freies Deutschland” gehört zu den besten demokratischen Traditionen des revolutionären deutschen Militärwesens, das in der Nationalen Volksarmee weitergeführt wurde. Es war kein Zufall, daß der Mitbegründer des Nationalkomitees, Heinz Kessler, verantwortliche Funktionen in der DDR ausübte. In den letzten Jahren war er als Armeegeneral Minister für Nationale  Verteidigung. Wenn heute, wo diese Zeilen geschrieben werden, von Politikern der etablierten Bundestagparteien der Ruf nach einem „neuen Patriotismus“ erschallt, das NKFD war lebendiger Ausdruck eines echten demokratischen Patriotismus, der im Sturz des faschistischen deutschen Imperialismus und der Errichtung eines demokratischen und friedliebenden Deutschlands, in der Bewahrung der Nation vor ihren Verderbern, seinen Auftrag sah.

3. Zwischen Kursk und Teheran

Nach dem Sieg der Roten Armee am Kursker Bogen war der Umschwung des Krieges an der deutsch-sowjetischen Front endgültig zugunsten der Sowjetunion entschieden. Den deutschen Armeen gelang es auch nicht mehr, ein „Remis“ oder wenigsten eine „Erschöpfung der Angriffskraft der Sowjets“ zu erzwingen, meinte resümierend Generalfeldmarschall Erich von Manstein, wobei er in üblicher Weise die Schuld dafür ausschließlich Hitler anlastet.1)  Dieser Sieg hatte Auswirkungen auch auf die anderen Fronten des zweiten Weltkrieges, im Fernen Osten/Pazifik, im Mittelmeerraum, und in Italien. Das Kräfteverhältnis hatte sich endgültig zugunsten der Antihitlerkoalition verändert.

Kräfteverhältnis zum 1. Januar 1944

UdSSR

Personalstärke                                                                     8.562.000

(ohne Militärbezirke im Landesinnern)

                                 Heer                                                     7.337.000

                                 Luftstreitkräfte                                   536.000

                                 Seekriegsflotte                                   391.000

                                 Luftverteidigung des Landes              298.000

                                 Handelnde Armee                               6.354.000

                                 Reserve des HQ                                  ca.  488.000

                                                                                               6.842.000

Rüstungsindustrie

Jahresproduktion 1943                                                      

                                 Flugzeuge                                            34.900

                                 Panzer und SFL                                   24.100

                                 Geschütze aller Art                             130.300

                                 Granatwerfer                                       69.400

                                 Kriegsschiffe der Hauptklassen        14

Verbündete Verbände                                                          1. Polnisches Armeekorps,

                                                                                               eine selbständige tschechoslowakische

                                                                                               Brigade.

                                                                                               In Aufstellung: eine rumänische

                                                                                               Freiwilligendivision

                                                                                               „Tudor Vladimirescu“;

                                                                                               ein jugoslawischer Truppenteil

 

Deutschland

Personalstärke

                                 Feldheer im Einsatz                            6.682.000

                                 Ersatzheer                                            3.487.000

                                                                                               10.169.000

Verteilung nach Waffengattung

                                 Heer                                                     7.090.000

                                 Luftwaffe                                             1.919.000

                                 Kriegsmarine                                      726.000

                                 Waffen-SS                                           434.000

davon zwei Drittel an der

deutsch-sowjetischen Front, ca.                                         4.454.000

Gliederung:                                                                          198 Divisionen, 6 Brigaden

Satelliten                                                                              38 Divisionen,12 Brigaden

an anderen Fronten                                                              116 deutsche Divisionen, 2 Brigaden

Norwegen:                                                                            13 Divisionen

Dänemark:                                                                            6 Divisionen

Frankreich, Niederlande, Belgien:                                     47 Divisionen

Italien:                                                                                   21 Divisionen

Albanien, Griechenland, Jugoslawien:                               21 Divisionen und 1 Brigade

Reserve des OKW in Deutschland,

Österreich, Tschechische Gebiete,

Slovakei, Polen:                                                                   8 Divisionen und l Brigade.

 

Rüstungindustrie

Jahresproduktion 1943

                                 Flugzeuge                                            25.200

                                 Panzer und SFL                                   10.700

                                 Geschütze aller Art                             73.500

                                 Granatwerfer                                       23.000

                                 Kriegsschiffe der Hauptklassen        298

 

USA

Personalstärke                                                                     10.440.000

Land- und Luftstreitkräfte                                                   7.482.000

Marine und Marineinfanterie                                              2.958.000

Verteilung

in den USA                                                                           3.480.000

Von 90 Divisionen der US-Armee 31 Divisionen auf Kriegsschauplätzen:

Europa incl. Italien:                                                             16 Divisionen

Nordafrika:                                                                           2 Divisionen

Pazifik/Asien:                                                                      13 Divisionen

Der größte Teil der Flotte war im Pazifik eingesetzt.

Rüstungsindustrie

Jahresproduktion 1943

                                 Flugzeuge                                            85.900

                                 Panzer und SFL                                   38.500

                                 Geschütze aller Art                             220.900

                                 Granatwerfer                                       25.800

                                 Kriegsschiffe der  Hauptklassen       262

 

Großbritannien

Personalstärke                                                                     4.435.000

Landstreitkräfte                                                                   2.680.000

Luftstreitkräfte                                                                    999.000

Marine                                                                                  756.000

Dazu unter britischem Oberkommando

aus den Dominien   und Kolonien:                                     insgesamt: ca. 4.000.000

                                 Kanada                                                 680.000

                                 Australien                                            695.000

                                 Neuseeland                                          130.000

                                 Südafrikanische Union                       300.000

                                 Indien                                                   2.023.000

Verteilung

                                 Auf den britischen Inseln                   24 Divisionen und 6 Brigaden,                                                                                                                                                                                                                      über die Hälfte der britischen                                                                                                                                                                                                                                                                           Streitkräfte, ca.2.217.000

                                 Mittelmeerraum/Italien                      12 Divisionen und 12 Brigaden

                                 Indien                                                   l Division und 3 Brigaden.

Eine polnische Armee, die sogenannte “Anders-Armee” und zwei französische Brigaden waren vorwiegend in Afrika und Italien eingesetzt.

 

Rüstungsindustrie

Jahresproduktion 1943

                                 Flugzeuge                                            26.300

                                 Panzer und SFL                                   7.500

                                 Geschütze aller Arten                         118.200

                                 Granatwerfer                                       17.100

                                 Kriegsschiffe der Hauptklassen        86

 

Japan

Personalstärke                                                                     3.800.000

                                 Armee                                                  3.100.000

                                 Marine                                                 700.000

Verteilung 

                                 Landstreikräfte                                    70 Divisionen, 3 Panzerdivisionen

                                                                                               2.000 Flugzeuge

                                 Auf den japanischen Inseln                11 Divisionen 

                                 Korea und Mandschurei                     16 Divisionen

                                 Besetzte Gebiete Chinas,

                                 inclusive Kwantung-Armee

                                 an der Grenze zur UdSSR.                  27 Divisionen

                                 Südostasien/pazifische Inseln            19 Divisionen

 

                                 Marine                                                 203 Kriegsschiffe der Hauptklassen

                                                                                               3.000 Flugzeuge

Rüstungsindustrie

Jahresproduktion 1943

                                 Flugzeuge                                            16.700

                                 Panzer und SFL                                   800

                                 Geschütze aller Arten                         27.700

                                 Granatwerfer                                       1.700

                                 Kriegsschiffe der Hauptklassen        54

2)

Die Überlegenheit der drei Hauptmächte der Antihitlerkoaliton ist gegenüber der faschistischen Koalition - nach der Kapitulation Italiens noch sieben Staaten - unübersehbar: bei Flugzeugen um das 3,5fache, bei Panzern und SFL um das 6fache, Geschützen und Granatwerfern um das 4,6fache, bei der Personalstärke (ohne Dominien) und Kolonien um das Doppelte.

Bei dieser Kräfteüberlegenheit der drei Hauptmächte der Antihitlerkoalition muß man die Frage stellen, warum die westlichen Bündnispartner die Invasion in Frankreich erneut auf 1944 verschoben haben. Unter militärischem Aspekt war sie möglich, selbst unter Berücksichtigung, daß eine Anlandung an der französischen Kanalküste ein schwieriges Unternehmen war. Eine Invasion einer ganzen Armee über den Kanal war auch nicht ohne Risko. Aber in welchem Krieg, in welcher Schlacht gab und gibt es kein Risiko? Es mußten auch Verluste bei einer Invasion berücksichtigt werden. Als ob die sowjetischen Truppen keine Verluste erlitten hätten. Der Blutpreis, den die Völker der Sowjetunion für ihre siegreichen Offensiven zu zahlen hatte, war sehr hoch. Aber gerade darum ging es! Mochten die Sowjetvölker bluten, wenn nur die eigenen Kräfte geschont werden. Die Entscheidung, die Invasion zu verschieben, hatte keine militärischen, sondern ausgemacht politische Gründe. Bei Konzentration der Kräfte auf die Invasion war ein Erfolg sicher. Die von Churchill vorgebrachten Ausflüchte hatte Stalin natürlich durchschaut. Wie er in seinem Brief an Churchill vom 24. Juni 1943 schrieb, könne sich „die Sowjetregierung mit einer solchen Mißachtung der lebenswichtigen Interessen der Sowjetunion im Krieg gegen den gemeinsamen Feind nicht abfinden...“ Das Vertrauen zu den Verbündeten werde auf „eine schwere Probe gestellt...“ Man dürfe nicht vergessen, „daß es darum geht, Millionen von Menschenleben in den besetzten Gebieten Westeuropas und Rußlands zu retten und die gewaltigen Opfer der sowjetischen Armeen zu verringern, im Vergleich zu denen die Opfer der anglo-amerikanischen Truppen unbedeutend sind.“3)

War für Churchill - nicht für das englische Volk! - das faschistische Deutschland denn noch der „gemeinsame Feind?“ War Churchill - nicht das englische Volk! - daran interessiert, die „gewaltigen Opfer“ der Roten Armee zu verringern? Diese Fragen haben im Denken Stalins und der sowjetischen Generale schon einen bedeutenden Platz eingenommen. Nach den Erinnerungen von Shukow, vertraute Stalin damals „den Informationen Eisenhowers“. Desgleichen hätte „völlige Klarheit über die Verwirklichung der Abkommen zwischen der UdSSR und den USA“ bestanden, wie aus der Korrespondenz Stalins mit Roosevelt ersichtlich sei. „Aus dem Briefwechsel mit Churchill wird das Gegenteil deutlich. Churchills Briefe waren nicht offen. Man spürte irgendwelche geheimen Absichten und das beharrliche Streben, die zentralen deutschen Gebiete zu besetzen. Das zwang natürlich die Sowjetregierung zu größerer Vorsicht.4)

Der Sieg von Kursk, die Forcierung des Dneprs (September/Oktober 1943), das Vorrücken der Roten Armee auf die Grenzen Polens, Rumäniens, Ungarns und der Slovakei hatte Auswirkungen auf die Politik und Militärstrategie der UdSSR, der USA und Großbritanniens.

Die wichtigste Folge dieses Sieges war, daß die Sowjetunion in der Lage war, auch bei Ausbleiben der zweiten Front in Frankreich allein die deutschen Armeen zu zerschlagen, die von den Faschisten besetzten Länder allein zu befreien. Dieser Sachverhalt war nicht nur Stalin bewußt, sondern auch Roosevelt und Churchill. Eine Befreiung Europas allein von der Sowjetunion mußte politische und soziale Auswirkungen auf die Werktätigen Europas haben, die den Interessen der herrschenden Kapitalistenklasse gefährlich werden könnten. Die Klassenfrage, durch den Krieg bisher in den Hintergrund gedrängt, wurde wieder akut. „Hinter dem Donner der russischen Kampffront erhob der Kommunismus sein Haupt“, schrieb Churchill. „Rußland war der Befreier, und Kommunismus das Credo, das er brachte.“5)  „Hitler und Hitlerismus waren zum Untergang verurteilt; aber nach Hitler was?“ fragte Churchill.6) Valentin Falin zitierte aus einem Memorandum von William Donovan, Chef des OSS (Office for Strategic Service), dem Vorläufer der CIA, vom 20. August 1943: „Die Sowjetregierung kann darauf hoffen, Deutschland vor allem mit eigenen Kräften zu besiegen und danach bei der Neugestaltung Deutschlands und Europas die Hauptrolle zu spielen.“7) Donovan hatte mit seinem Memorandum eine ausführliche Studie des OSS Roosevelt und Churchill vorgelegt.8)

Sowohl Churchill als auch Roosevelt wußten nach dem Sieg am Kursker Bogen, daß die Rote Armee das faschistische Deutschland auch ohne ihre Hilfe zerschlagen würde. Valentin Falin, der nicht gerade zu den Freunden Stalins gehört, ist zuzustimmen, wenn er rückblickend schreibt: „Zu einem Zeitpunkt, da die Sowjetunion in schwersten Kämpfen stand, um die Hitlersche Zitadelle aufzubrechen, wogen die  Westmächte ab, wie sie der UdSSR das Leben erschweren und im Kampf gegen die Aggressoren weitere Lasten über jedes Maß aufbürden könnten.“9)

Haben Churchill und Roosevelt, besonders Churchill, bisher die Errichtung der zweiten Front in Frankreich unter wenig überzeugenden Vorwänden verhindert, um die Sowjetunion die Hauptlast tragen zu lassen und sie zu schwächen, ohne sich selbst zu gefährden, so war die Lage jetzt eine andere. Die Westmächte wollten mit allen Mitteln verhindern, daß die Befreiung Europas vom Faschismus allein von der Roten Armee erfolgte. Waren klassenmäßige Erwägungen zwischen den Koalitionspartnern bisher dem antifaschistischen Befreiungskrieg gegen den Hitlerfaschismus untergeordnet worden - verschwunden waren sie nie - so traten sie nunmehr wieder stärker in Erscheinung, gewannen sie für die Entscheidungen der drei Hauptmächte auf ihre Militärstrategie zunehmend an Gewicht. Die USA-Administration und die britische Regierung führten nach Kursk faktisch zwei Kriege, den Krieg gegen die faschistische Koalition, und den hinter Phrasen verdeckten Krieg gegen die Sowjetunion, den letzteren mit dem Ziel, ein Vordringen der Roten Armee nach Mittel- und Südosteuropa zu verhindern, die alten Machtverhältnisse zu restaurieren, antifaschistisch-demokratische Umwälzungen durch die Volksbefreiungsbewegungen, in denen die Kommunisten führend waren, mit allen Mitteln zu unterbinden.

Innerhalb dieses dialektisch widersprüchlichen Beziehungsgeflechts vollzogen sich die militärischen und politischen Aktivitäten der Mächte der Antihitlerkoalition, in denen die Nachkriegsfragen je stärker in den Vordergrund traten, als sich das faschistische Deutschland seiner Niederlage näherte. Italien hatte bereits am 8. September 1943 kapituliert. Die japanischen Militaristen konnten ihre Niederlage nur noch hinauszögern, verhindern konnten sie sie nicht mehr. Noch waren die Hauptmächte der Antihitlerkoalition gemeinsam an der Niederlage des faschistischen Deutschlands interessiert, wobei die politische Motivation unterschiedlich bis entgegengesetzt war. Die Sowjetregierung unter Führung Stalins wollte ein antifaschistisch-demokratisches, friedliebendes Deutschland, ohne Forderungen bezüglich der Gesellschaftsordnung zu stellen, was sie als innere Angelegenheit der Deutschen betrachtete. Die Sowjetregierung wollte Frieden an ihren Westgrenzen für einen historisch langen Zeitraum. Die  US-Administration und die britische Regierung wollten einen Konkurrenten ausschalten, dabei die alten Eigentums- und Machtverhältnisse in Deutschland erhalten, ohne Hitler, ohne Nazipartei. In diesem Kontext ist zugleich auf Widersprüche zwischen den USA und Großbritannien hinzuweisen, die sich vor allem auf Entscheidungen ihrer militärischen Strategie auswirkten. Beide, Roosevelt und Churchill, waren sich in ihrer antikommunistischen Grundhaltung einig, die Sowjetunion aus Europa rauszuhalten, aber auf verschiedenen Wegen. Roosevelt sah den kürzesten und erfolgreichsten Weg über die Invasion in Frankreich, um rasch in östlicher Richtung vorzustoßen, Deutschland zu besetzen, wenn möglich auch Polen, wobei er damit rechnete, daß der deutsche Widerstand im Westen schwach, im Osten gegen die Rote Armee jedoch stark sein würde, was für die Verwirklichung dieser Strategie günstige Bedingungen schaffen würde. Neben dem Plan „Overlord“, Deckname für die Invasion in Nordfrankreich, sahen die US-amerikanischen Strategen einen neuen Plan „Rankin“ vor, nachdem Deutschland eher von angloamerikanischen als von russischen Truppen zu besetzen sei. Dieser Plan wurde von Roosevelt und Churchill auf der Konferenz in Quebec im August 1943 diskutiert.10) „Nach Plan ‘Rankin` war die Errichtung einer gemeinsamen anglo-amerikanischen Zivilverwaltung für Deutschland und alle zu befreienden Länder vorgesehen.“11) Eine weitere Variante zu Plan „Rankin“ vom 8. November 1943 orientierte darauf, “daß Truppen der USA und Großbritanniens folgende Punkte unverzüglich zu besetzen hatten: in Nordwestdeutschland-Bremen, Lübeck und Hamburg, in Westdeutschland - das Ruhrgebiet und Köln, in Mitteldeutschland - Berlin und Dresden, in Süddeutschland - die Ge­gend um Stuttgart und München, in Italien - die Städte Turin, Mailand, Rom, Neapel und Triest mit ihrer Umgebung, in Südosteuropa schließ­lich Budapest, Bukarest und Sofia.

»Symbolische Kräfte« sollten in Den Haag, Brüssel, Lyon, Prag, War­schau, Belgrad und Zagreb abgesetzt werden. In einer dritten Etappe wollte man Dänemark, den Raum Kiel, in Griechenland Saloniki und die Insel Rhodos unter Kontrolle nehmen. Das Leitmotiv lautete überall: »den Russen zuvorkommen«. Kein koordiniertes Vorgehen mit der UdSSR, sondern Gegenmaßnahmen. Bedingungslose Kapitulation Deutschlands nicht vor der Anti-Hitler-Koalition, der auch die Sowjet­union angehörte, sondern vor den USA und Großbritannien.”12)

Von all dem wurde Stalin keine Mitteilung gegeben. Die Mitteilungen an Stalin über die  Gespräche  in  Quebec  gingen  über  allgemeine  Hinweise  zur beabsichtigten Strategie nicht hinaus.13)

Nach einer Studie von Maurice Matloff habe sich Präsident Roosevelt nach der Moskauer Außenministerkonferenz (19.-30. Oktober 1943) in Beratungen  mit  Militärs dahingehend geäußert, gegebenenfalls amerikanische Truppen in jedem Stadium während der Invasion Truppen abzuziehen, um die im Plan „Rankin“ vorgesehenen Territorien zu besetzen. „Wir müssen alles daran setzen“, erklärte Roosevelt, „daß amerikanische Divisionen so schnell wie möglich in Berlin sind.“14)

Als Besatzungszone schwebte Roosevelt Nordwestdeutschland bis zur Linie Berlin - Stettin vor, die Briten sollten die Gebiete südlich und westlich der US-Zone erhalten.15)

Nach Falin sah das amerikanische Komitee der Stabschefs bereits seit 1943 eine „entpolitisierte“ Kapitulation vor, nur vor den USA und Großbritannien, nicht aber vor der UdSSR. Deutschland sollte als Großmacht erhalten bleiben.16)

Churchills strategische Vorstellungen unterschieden sich von der Roosevelts bezüglich der Hauptstoßrichtung. Churchill bevorzugte den Balkan. Er wollte im Mittelmeer stark bleiben, in Italien auf die Linie Padua - Rimini vorrücken und auf dem Balkan aktiv werden, um vor dem Erscheinen der Roten Armee Rumänien und Ungarn zur Kapitulation vor angloamerikanischen Truppen zu veranlassen und nach Österreich und Süddeutschland vorzurücken.

In Polen sollte ein von der Londoner Exilregierung und der inneren Untergrundarmee, die von London aus angeleitet wurde, geführter Aufstand die deutschen Truppen vertreiben und die Befreiung Polens durch die Rote Armee verhindern, mit anderen Worten, auch hier die alte reaktionäre Herrschaft der Pans restaurieren und die Errichtung eines demokratischen Polens blockieren.

Die Strategien der US-Administration und der britischen Regierung wurden von Stalin durchschaut. Unter diesem doppelten Aspekt ging es ihm darum, das faschistische Regime in Deutschland endgültig zu vernichten, die vom Faschismus gepeinigten Völker zu befreien, einschließlich des deutschen Volkes, zugleich die hinterhältigen, reaktionären Pläne der Westmächte zu durchkreuzen. Dominierten bis Kursk die militärstrategischen Erfordernisse über die politischen im Denken Stalins, so erfolgte nach Kursk eine Akzentverschiebung zugunsten des Politischen. Militärische Entscheidungen, vor allem der Zeitfaktor in Offensiven, wurden zunehmend unter politischen Aspekten getroffen. Stalin hatte es verstanden, die politische mit der militärischen Strategie zu einer Einheit zu verbinden und gemeinsam mit den sowjetischen Generalen und Mitgliedern des Politbüros erfolgreich durchzusetzen.

Die marxistisch-leninistische Militär-, Staats- und Revolutionstheorie und -politik erfuhren unter den konkreten Bedingungen des Jahres 1943 ihre weitere Bereicherung, an der Stalin einen bedeutenden Anteil hatte.

Dazu gehörte auch die Auflösung der Kommunistischen Internationale (KI) mit Wirkung vom 10. Juni 1943.

Die KI wurde nicht von Stalin aufgelöst, wie verschiedentlich behauptet. Das hätte er gar nicht gekonnt. Bereits auf dem VII . Weltkongreß der KI (25. Juli bis 21. August 1935) hatten die Teilnehmer im Zusammenhang mit der Begründung der Volksfront- und Einheitsfronttaktik auf größere Selbständigkeit der Kommunistischen Parteien in den einzelnen Ländern orientiert. Die konkret-historischen Bedingungen in den einzelnen Ländern, die Klassenkräfteverhältnisse, Reife und Einfluß der Kommunistischen Parteien waren so unterschiedlich, daß es immer schwieriger wurde, sie von einem Zentrum aus zu leiten. Unter den Bedingungen des zweiten Weltkrieges war die Leitung der einzelnen Kommunistischen Parteien von einem Zentrum aus nicht mehr möglich, im Gegenteil, die KI war eher zu einem Hemmschuh für den antifaschistischen Widerstandskampf geworden, behinderte den Einfluß der Kommunistischen Parteien  in  den  antifaschistischen  und  demo-kratischen  Bewegungen. Der Beschluß zur Auflösung der KI war also kein plötzlicher Einfall, sondern war aus den Erfahrungen des antifaschistischen Kampfes im Weltmaßstab allmählich herangereift.

Wahrscheinlich ging die Initiative für die Auflösung der KI im Frühjahr 1943 von Stalin aus. Bewiesen ist es nicht. Allerdings hätte sie nicht ohne seine Zustimmung erfolgen können. Das ergab sich schon daraus, daß die KPdSU(B) die führende Kraft in der KI war.

Im Tagebuch von Dimitroff findet sich folgende Eintragung vom 8. 5. 1943: „Nachts mit Manuilski bei Molotow. Haben uns über die Zukunft der Komintern unterhalten. Sind zu dem  Schluß  gekommen,  daß  die  Komintern  als Führungszentrum für die kommunistischen Parteien unter den gegenwärtigen Bedingungen ein Hindernis für ihre selbständige Entwicklung und die Erfüllung ihrer speziellen Aufgaben ist. Ein Schriftstück zur Auflösung dieses Zentrums wird erarbeitet.“17)

Aus der Notiz vom 11. 5. geht hervor, daß der Entwurf des Beschlusses zur Auflösung der KI an Stalin und Molotow geschickt wurde. Abends waren Dimitroff und Manuilski bei Stalin, der den Entwurf gebilligt habe. Stalin habe sich wie folgt geäußert: „Die Erfahrung hat gezeigt, daß man kein internationales Führungszentrum für alle Staaten haben kann. Das ist zu Zeiten von Marx, zu Zeiten Lenins und auch in der Gegenwart deutlich geworden. Vielleicht muß man zu regionalen Vereinigungen übergehen - z.B. für Südamerika, die Vereinigten Staaten und Kanada, einige europäische Staaten usw., aber auch dies sollte man nicht überstürzen...“18)

Aus den folgenden Eintragungen geht hervor, daß der Beschluß den Leitern der Sektionen zur Stellungnahme übergeben wurde. Genannt wurden: Marty, Thorez und Dolores (Ibarruri) - Pieck, Ulbricht, Koplening - Rakosi und Sverma – Pauker, Lehtinen, Wlassow - Kolarow, Wolf. Die Genannten hielten den Entwurf „prinzipiell und politisch“ für richtig.19)

Auf der geschlossenen Sitzung des Präsidiums des EKKI (Exekutivkomitee der KI) am 13. 5. wurde nach dem Referat von Dimitroff, zu dem „alle Teilnehmer der Präsidiumssitzung der Reihe nach“ sprachen, einstimmig angenommen. Bis zum 17. 5. hatten die Präsidiumsmitglieder Zeit, um den Beschluß „gründlich zu überdenken und eventuell Korrekturen, Änderungen und Zusätze vorbringen zu können.“20)

Vor der Präsidiumssitzung hatte Dimitroff von Stalin noch eine Mitteilung erhalten:

„1. Überstürzen Sie in dieser Angelegenheit nichts. Stellen Sie den Entwurf zur Diskussion, geben Sie den Mitgliedern des Präsidiums des EKKI die Möglichkeit, zwei bis drei Tage darüber nachzudenken und Änderungen vorzunehmen. Auch er werde einige Korrekturen anbringen.

2. Den Entwurf vorerst nicht ins Ausland schicken. Das werden wir später entscheiden.

3. Nicht den Eindruck vermitteln, daß wir die führenden ausländischen Genossen einfach davonjagen wollen. Sie werden für Zeitungen arbeiten. Es sollen vier Zeitungen gegründet werden (in deutscher, rumänischer,  italienischer und ungarischer Sprache), ebenso können einzelne antifaschistische Komitees der Deutschen ins Leben gerufen werden usw.“21)

Aus der Eintragung vom 17.5. geht hervor, daß der Beschlußentwurf an alle Sektionen zur Diskussion geschickt wurde, „...sobald ihre Zustimmung vorliegt, wird er als Dokument  aller  Parteien, die Mitglieder der KI  sind, veröffentlicht.“22)

Der Beschluß zur Auflösung der KI ist also auf demokratischem Wege zustande gekommen. Das ist dokumentarisch belegt. Es ist richtig, daß Stalin starken Einfluß auf die Ausarbeitung dieses Beschlusses ausgeübt hat, was bei einer so wichtigen Entscheidung verständlich sein sollte. Die Begründung für diesen historischen Beschluß gab Stalin auf der Sitzung des Politbüros am 21. 5..

“Stalin erklärte, die Erfahrung habe sowohl zu Zeiten von Marx und Lenin als auch in der Gegenwart gezeigt, daß es unmöglich sei, die Arbeiterbewegung aller Länder von einem internationalen Zentrum aus zu leiten. Dies vor allem heute, unter Bedingungen des Krieges, da die kommunistischen Parteien in Deutschland, Italien und in an­deren Ländern die Aufgabe hätten, ihre Regierungen zu stürzen und eine Taktik des Defätismus zu verfolgen, während die kommunistischen Parteien in der UdSSR, in England, Amerika und in anderen Staaten hingegen die Aufgabe hätten, ihre Regierungen zu unter­stützen, damit der Feind baldmöglichst zerschlagen werden kann. Wir hätten unsere Kräfte überschätzt, als wir die KI gründeten und davon ausgingen, daß wir die Bewegung in allen Staaten leiten könn­ten. Dies sei unser Fehler gewesen. Die weitere Existenz der KI wäre eine Diskreditierung der Idee der Internationale, was wir nicht wollten.

Es gäbe jedoch noch ein anderes Motiv für die Auflösung der KI, von dem im Beschluß nicht die Rede sei. Es handle sich darum, daß die kommunistischen Parteien, die der KI angehörten, in verleumde­rischer Weise beschuldigt würden, sie seien Agenten eines fremdes Staates, und dies erschwere ihre Arbeit unter den breiten Massen. Mit der Auflösung der KI werde den Feinden diese Trumpfkarte aus den Händen geschlagen. Der eingeleitete Schritt werde zweifellos die kommunistischen Parteien als nationale Arbeiterparteien stärken und zugleich den Internationalismus der Volksmassen festigen, des­sen Basis die Sowjetunion sei.”23)

Am 22. 5. 1943 wurde der Beschluß in der “Prawda” veröffentlicht.

Die KI als politisch-ideologisches Zentrum und Organisation der Kommunistischen Weltbewegung darf nicht mit der letzteren gleichgesetzt werden. Die Kommunistische Weltbewegung bestand nach Auflösung der KI natürlich weiter, sie hatte an Stärke, Reife und Einfluß während des Krieges, besonders nach Stalingrad und Kursk, gewonnen. Die Auflösung der KI bedeutete eine Änderung in der Organisation der Kommunistischen Weltbewegung, der Verlagerung der Verantwortung für die Politik der Kommunistischen Weltbewegung auf die nationalen Kommunistischen Parteien in den einzelnen Ländern. Die Kommunistischen  Parteien  waren  in  ihrer  nationalen  Politik  zugleich verantwortlich vor der Kommunistischen Weltbewegung. Die Auflösung der KI bedeutete keinen Verzicht auf   das Prinzip des proletarischen Internationalismus. Im Gegenteil, dieses Prinzip blieb - und bleibt! - unverzichtbarer Bestandteil kommunistischer Politik und stellt höhere Anforderungen an die Führungstätigkeit und Verantwortung der Kommunistischen Parteien.

Kursk hatte auch Auswirkungen auf deutsche Generale, hohe Beamte, Repräsentanten des Bank- und  Industriekapitals, selbst auf hohe Offiziere der Waffen-SS. Sie erkannten aus ihrer Sicht, daß der Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Die Niederlage von Stalingrad und die sowjetische Winteroffensive 1942/43 habe nach Tippelskirch zu einer „Vertrauenskrise“ geführt. Er meint, daß sie weniger die Volksmassen ergriffen hätte, da sie durch eine geschickte Propaganda von Goebbels abgefangen werden konnte.24) Das mag teilweise zutreffen. Im Stimmungsbericht des Sicherheitsdienstes der SS vom 13. September 1943 hieß es: „Das Vertrauen des Volkes in seine eigene Kraft, das vorübergehend erschüttert war, ist wiedergekehrt. Das Vertrauen zum Führer ist erneut gestärkt worden.“25) Desgleichen bescheinigte der Bericht der NSDAP-Gauleitung Mecklenburg vom September 1943: „Das Vertrauen zum Führer und somit zur Führung im weiteren Sinne ist in jeder Hinsicht fest und vertrauensvoll.“26) Solche Berichte sollten nicht zu wörtlich genommen werden. Die unteren Abteilungen der Gauleitungen, Sicherheitsdiensten haben auch nach oben berichtet, was man gerne hören wollte. Neben diesen „positiven“ Berichten gab es auch andere. Goebbels sah sich veranlaßt, sich gegen einen vermeintlichen „Objektivitätsfimmel“ des deutschen Volkes zu wenden: „Wir wissen alle, daß bestimmte Deutsche in ihrem Objektivitätsfimmel den Feind  auch im Kriege zu ihrer persönlichen Meinungsbildung zu Worte kommen lassen und sich im gegebenen Falle vorbehalten, ihm sogar gegen ihre eigenen elementaren Interessen beizupflichten. Es gehört bei gewissen Außenseitern unseres Volkes zu den Gepflogenheiten, den Weltereignissen und auch den Fragen und Belangen des eigenen Landes rein objektiv und kritisch beobachtend entgegenzutreten.“27) So beklagte sich Goebbels auch über „übelwollende Kritiker“: „Es ist ja so billig, für alles, was der Krieg nun einmal an Unannehmlichkeiten mit sich zu bringen pflegt, eine übergeordnete Autorität verantwortlich zu machen. Und da es gottlob eine Regierung gibt, die den Krieg verantwortlich führt, bietet sie sich für den übelwollenden Kritiker als Zielscheibe des Widerspruchs geradezu an.“28)

Im Stimmungsbericht der Gauleitung der NSDAP Baden-Elsaß vom Oktober 1943 hieß es, daß breite Volkskreise damit rechnen, „ daß wir den Krieg verlieren und daß mit einem Sieg des Bolschewismus zu rechnen ist. Aber wider alles Erwarten nehmen solche Kreise diese Aussicht gar nicht tragisch. Sie reden vielmehr davon, daß es nicht so schlimm sein kann, unter Stalins Herrschaft zu kommen... In vorderster Linie scheint sich der Arbeiter auf einen Sieg des Bolschewismus einzustellen und findet sich damit ab, indem er sagt, die Bolschewisten können dem Arbeiter keine schlechte Zeit bringen.... So leichtfertig rechnen heute die Kreise der Bevölkerung mit dem Sieg des Bolschewismus. Was geradezu unverständlich ist, ist die Tatsache, daß auch der Bauer einen Sieg des Bolschewismus nicht als einen namenlosen Schrecken empfindet...“29)

Die Vertrauenskrise ist zumindest in breiteren Kreisen der Volksmassen nachweisbar und ließ sich auch nicht mehr durch die Propaganda Goebbels überwinden. Nach Tippelskirch mußten die Niederlagen im Herbst und Winter 1942/43 „zu schwersten Sorgen und Befürchtungen für die Zukunft“ führen, wobei er die Führungstätigkeit Hitlers dafür verantwortlich macht. „Diese Besorgnis erfüllte nicht nur die höchsten Stellen des Ostheeres. Sie griff auf viele über, die auf Grund ihrer Verwendung einen Einblick in die größeren Zusammenhänge hatten und die personellen und materiellen Auswirkungen der verflossenen Katastrophen übersehen konnten. Damals keimte in den jüngeren Offizieren der Zentralstellen und der höheren Stäbe die Verzweiflung, die am 20. Juli 1944 zur Explosion führte...“ so „enstand eine Vertrauenskrise, die weite Kreise des Führungsapparates ergriff.“30) Trotz der Kritik an Hitler, den er sicher jetzt auch ganz gerne los geworden wäre, nachdem der Krieg sich nunmehr gegen ihre Anstifter gewendet hatte, meinte er: „Über jeden Zweifel erhaben blieb die Verpflichtung, der anvertrauten Truppe in ihrem schweren Ringen jede nur denkbare Unterstützung und Hilfe zukommen zu lassen und sie vor jedem Zweifel zu bewahren, die jeder sorgfältig in der eigenen Brust verbarg und höchstens im vertrauten, engsten Kreise über die Zunge brachte.“

Die unterstellten Verbände sollten „notfalls auf eigene Verantwortung vor sinnlosen Opfern“ bewahrt werden. Sie seien „nur dann und dort zu fordern, wo die militärische Lage letztes Ausharren im Sinne des Ganzen gebieterisch erheischte.“31) General Tippelskirch war demnach also bereit, weiterhin Millionen Soldaten in einem verbrecherischen und sinnlosen Krieg in den Tod „im Sinne des Ganzen“ zu treiben!

Den Ausweg aus der unvermeidlichen Niederlage suchte die Mehrheit der Führungskräfte in Wehrmacht und Regierungsstellen in einem Separatfrieden mit den Westmächten, um den Krieg gegen die Sowjetunion fortsetzen zu können.

Eine Minderheit unter den Hitler-Kritikern war auch zu einem Separatfrieden mit der Sowjetunion bereit, um sich gegen die angloamerikanischen Truppen den Rücken frei zu machen, eine Invasion abzuschlagen und auch an der Westfront zu einer Verständigung zu gelangen. Allen diesen „Verschwörern“ war klar, mit Hitler und der Nazipartei konnte keine der Mächte Frieden schließen. Obwohl es im Westen Kräfte gab, die auch mit einer solchen Lösung geliebäugelt haben, angesichts der antifaschistischen Stimmung und Haltung der Volksmassen in Großbritannien und den USA war ein Separatfrieden mit dem faschistischen Deutschland unmöglich.

Wie also Hitler und seine engsten Gefolgsleute loswerden und gleichzeitig die bestehenden Macht- und Eigentumsverhältnisse aufrecht erhalten, nur ohne Hitler? Auf jeden Fall sollten Kommunisten und andere demokratische Kräfte, auch aus dem Bürgertum, ausgeschlossen werden. Es gab allerdings auch einige Ausnahmen, die zu einem Bündnis mit der KPD bereit waren. Die sich seit 1943 entfaltenden Aktivitäten, Verschwörungen, Kungeleien mit den Westmächten waren äußerst vielfältig. Sie sind zu unterscheiden vom antifaschistischen Widerstand, der seit 1933 existierte und nach Stalingrad und Kursk einen bedeutenden Aufschwung erreichte.32)

Diese Verschwörungen und Kungeleien waren illusionär. Der beabsichtigte Sturz Hitlers durch eine Militärrevolte ohne Einbeziehung der Volksmassen war von Anfang an zum Scheitern verurteilt, auch wenn ihre Akteure persönlichen Mut zeigten und ihr Leben einsetzten.

Seit 1943 sind Kungeleien diverser Dienststellen des faschistischen Herrschaftsapparates mit den Westmächten nachweisbar. Admiral Wilhelm Canaris soll nach Falin „nicht später als Dezember 1940 direkte Verbindungen“ zum britischen Geheimdienst MI -5 gehabt haben.33)

Aussagen über solche Absprachen werden in der Literatur, auch bei Falin,  oftmals  nach Indizien getroffen, da Akten von MI-5 und OSS nicht   vollständig zugänglich sind.34) Nach Meinung von Falin „kann als erwiesen gelten, daß William Donovan und Wilhelm Canaris mindestens zweieinhalb bis drei Jahre lang in persönlichem Kontakt standen.“35)

SS-General Walter Schellenberg, der letzte Geheimdienstchef Hitlers, berichtete, daß er schon ab August 1942 in Übereinstimmung mit Himmler Kontakte zu englischen Diensten aufgenommen habe, um einen Separatfrieden mit den Westmächten abzuschließen. Solche Kontakte wurden bis Ende des Krieges nicht abgebrochen.35a)

Kontakte gab es zwischen Papen und Himmler zum OSS zumindest seit 1944, von Papen über die Türkei, von Himmler über Mittelsmänner in Schweden. Nach dem US-Außenminister Cordell Hull habe Himmler im Dezember 1943 über Schweden eine Mitteilung nach London und Washington übermittelt, worin er ersuchte, einen Wehrmachtsoffizier und einen Funktionär der NSDAP zu Gesprächen mit Vertretern der USA und Großbritannien zu empfangen.36)

Roosevelt soll solche Kontakte nicht gebilligt haben, was Donovan nicht daran gehindert habe, sie dennoch fortzusetzen, wobei das Weiße Haus, das State Department und der britische Verbündete nur noch wenige Informationen erhielten. Besonders sei darauf geachtet worden, „daß ‘die Russen' ja nichts von alledem erfahren.“37)

Falin weist darauf hin, daß die USA bereits im Jahre 1943 „mit dem Aufbau eines weltumspannenden Netzes von Militärstützpunkten“ begonnen haben. Die USA starteten das Programm „zur Schaffung einer global operierenden Flotte und strategischer Luftstreitkräfte, setzte ... den supergeheimen Plan ‘Murray Hill Area1’ in Kraft“, der „vorsah, alle Vorräte und Quellen spaltbaren Materials in der Welt zu ermitteln und in den Besitz der USA zu überführen, um ihnen das Atommonopol zu garantieren. Ende 1943 legte General Donovan dem Komitee der Stabschefs einen Dokumentenentwurf mit dem Titel ‘Aufbau einer ständigen Behörde für strategische Aufklärung zu Friedenszeiten im Militärapparat der USA' vor. Die USA beabsichtigten, die Kontrolle über die Haupterdölquellen im Ausland an sich zu reißen. Zur selben Zeit wurde auch an Plänen gearbeitet, um den Vereinigten Staaten die Vormachtstellung in den Weltfinanzen, in der internationalen Zivilluftfahrt und im Schiffstransport zu sichern.“37a)

Natürlich blieben Stalin diese Kungeleien nicht verborgen. So hatte die „Prawda“ vom 17. Januar 1944 über Kontakte Rippentrops mit führenden politischen Vertretern Großbritanniens berichtet. Die Anführung Rippentrops, so Falin, sei dabei zwar eine „bewußte oder spontane Übertreibung“ gewesen, die an der Richtigkeit des Sachverhalts jedoch nichts änderte.38)

Churchill beschwerte sich in bitter-bösen Worten bei Stalin, daß er doch wissen müsse, “daß ich niemals separat mit den Deutschen verhandeln würde und daß wir ihnen, ...jeden Vorschlag mitteilen, den sie uns machen.” Natürlich, als Premierminister konnte Churchill nicht mit deutschen Emissären verhandeln, weder offiziell noch heimlich, das ließ er andere besorgen. Diese Kungeleien waren Churchill auch bekannt.Stalin wurde darüber eben nicht informiert. Stalin antwortete sehr hoflich, aber auch sehr bestimmt. Es gäbe keinen Grund, “das Recht einer Zeitung zu bestreiten, Meldungen über Gerüchte zu drucken, die sie von bewährten und zuverlässigen Korrespondenzen erhalten hat. Wir Russen haben niemals auf eine derartige Einmischung in die Angelegenheiten der britischen Presse Anspruch erhoben, obwohl wir dazu unvergleichlich mehr Anlaß hatten und haben.“38a)

Hitler und seine Gefolgsleute hofften auf eine Spaltung der Antihitlerkoalition, einen Separatfrieden mit den Westmächten und Fortsetzung des Krieges gegen die Sowjetunion.

Aber auch einen Separatfrieden mit der Sowjetunion schloß Hitler nicht aus. Nach von Goebbels aufgezeichneten Gesprächen zwischen ihm und Hitler im September 1943 wurden die Möglichkeiten einer Verständigung mit der Sowjetunion oder mit Großbritannien mehrfach ernsthaft erörtert.39) Beide waren sich völlig darüber im klaren, daß sie einen Zweifrontenkrieg „auf die Dauer nicht verkraften“ können.40) Obwohl sie keinen Weg sahen, wie sie ihre Absichten realisieren könnten, hielt Hitler beharrlich an seiner Illusion des Zerfalls der Antihitlerkoalition fest. Nach seiner Auffassung waren „Koalitionen ... in der Weltgeschichte noch immer einmal zugrunde gegangen“41), wobei er außer acht ließ, daß es gerade die faschistische Koalition war, die unter den Schlägen der Roten Armee auseinanderfiel. Hitler spekulierte auf die objektiv existierenden Widersprüche innerhalb der Antihitlerkoalition, wobei er hoffte, daß die reaktionären, antisowjetischen Kräfte in den USA und Großbritannien an politischen Einfluß gewinnen und einen Frontwechsel gegen die Sowjetunion durchsetzen würden. In einer Ansprache vor Divisionskommandeuren am 12. Dezember 1944 beschwor Hitler das „Mirakel” des Hauses Brandenburg: „Es wird das eintreten, was Friedrich der Große im siebenten Jahr seines Krieges als (größten Erfolg seines Lebens buchen konnte). Man wende hinterher nicht ein: Ja, damals (war die Lage eine andere. Sie war nicht eine andere), meine Herren, sondern damals haben seine sämtlichen Generale, darunter der eigene Bruder..., fast verzweifelt an einem möglichen Erfolg. Seine Regierungspräsidenten, seine Minister aus Berlin sind in Deputationen erschienen und haben ihn gebeten, er möchte den Krieg sofort beenden, er sei nicht mehr zu gewinnen. Die Standhaftigkeit eines Mannes hat es ermöglicht, daß dieser Kampf durchgeführt worden war und doch am Ende das Wunder einer Wende eintrat...“

„...(Es gab in der Weltgeschichte niemals) Koalitionen, die wie die unserer Gegner aus so heterogenen Elementen mit so völlig auseinanderstrebenden Zielsetzungen zusammengesetzt sind. Was wir an Gegnern heute besitzen, sind die größten Extreme, die überhaupt auf der Erde heute denkbar sind; ultrakapitalistische Staaten auf der einen Seite und ultramarxistische Staaten auf der anderen Seite, auf der einen Seite ein absterbendes Weltreich, Britannien, auf der anderen Seite eine auf Erbschaft ausgehende Kolonie, die USA. Es sind Staaten, die in ihrer Zielsetzung schon jetzt Tag für Tag aneinandergeraten. Und wer, so wie eine Spinne, möchte ich sagen, im Netz sitzend, diese Entwicklung verfolgt, der kann sehen, wie von Stunde zu Stunde sich diese Gegensätze mehr und mehr entwickeln. Wenn hier noch ein paar ganz schwere Schläge erfolgen, so kann es jeden Augenblick passieren, daß diese künstlich aufrechterhaltene gemeinsame Front plötzlich mit einem riesigen Donnerschlag zusammenfällt.“ 42)

Hitler sah zwar die Widersprüche innerhalb der Antihitlerkoalition, aber er sah nicht, daß die gemeinsamen Interessen der Staaten dieser Koalition an der Zerschlagung des faschistischen Deutschlands die bestimmenden waren. Desgleichen konnte er nicht die Rolle der Volksmassen im Geschichtsprozeß begreifen. Eine Regierung, ob eine amerikanische oder britische, die versucht hätte, mit Hitler zupaktieren, wäre von den Volksmassen in kurzer Zeit hinweggefegt worden.

Solche Fantasien, Spekulationen auf einen Bruch der Antihitlerkoalition und/oder einen Separatfrieden mit der einen oder anderen Seite, sind Ausdruck einer politischen Unfähigkeit, die Lage des faschistischen Deutschlands realistisch einzuschätzen. Von diesem Wunschdenken waren nicht nur Hitler, Goebbels, Himmler u.a. befallen, sondern auch nicht wenige Generale der faschistischen Wehrmacht.

Der Zielstellung der faschistischen Führung entsprechend entfachte Goebbels eine Pressekampagne über die „Verteidigung“ der „Festung Europa“ gegen den Bolschewismus. Der Wehrmacht wurde der Nimbus verliehen, einen „Verteidigungskrieg“ zum Schutze Europas zu führen, europäische Interessen zu verteidigen. Die Wortschöpfung „Festung Europa“ war vorwiegend ein militärpolitischer Begriff, der die neue strategische Konzeption des deutschen Generalstabs umfaßte, nachdem sich die Einsicht durchgesetzt hatte, daß keine Möglichkeit mehr bestand, den Krieg durch militärische Offensivoperationen zu gewinnen. Nach den umfangreichen Gebietsverlusten in der Sowjetunion sollten die bis dahin noch besetzten Gebiete unbedingt gehalten werden, um deren Rohstoffvorkommen für die Rüstungsproduktion weiterhin ausbeuten zu können. Hauptziel blieb die Stabilisierung der deutsch-sowjetischen Front, um den Vormarsch der Roten Armee aufzuhalten, die sich ihren Westgrenzen näherte. Die Strategie der „Festung Europa“ war von Anfang an illusionär. Selbst der militärstrategische Vorteil der sogenannten inneren Linie, schnell Truppen von einem weniger an einen stark gefährdeten Frontabschnitt transportieren zu können, kam auf Grund der starken Überlegenheit der Streitkräfte der Antihitlerkoalition nicht zum Tragen.

Der Terminus „Festung Europa“ hatte auch eine ideologische Seite. Er war auf die Zersetzung, Spaltung der Antihitlerkoalition gerichtet. Die Propagierung der „Festung Europa“ vollzog sich vor allem über die Auslandspropaganda. Ihr stand ein von der faschistischen Führung eigens geschaffenes Instrumentarium zur Verfügung. Das wichtigste Medium war der Rundfunk. Schon vor dem Kriege hatten die Faschisten einen starken Sender in, Zeesen bei Königswusterhausen errichten lassen. In den besetzten Gebieten nahmen Geheimsender ihre Tätigkeit auf. Die Auslandssender wurden vom Auswärtigen Amt und vom Propagandaministerium geleitet, wobei es auch zu Streitigkeiten zwischen beiden kam.43)

Desgleichen wurde auch die Inlandspresse für die Auslandspropaganda genutzt, nicht zuletzt der „Völkische Beobachter“. Greuelmärchen über die Bolschewiki, die einen „Durchhaltewillen“ der Volksmassen erzeugen sollten, dienten zugleich der Auslandspropaganda, indem den Völkern Westeuropas in düsteren Farben ausgemalt wurde, was ihnen blühen würde, wenn es der Roten Armee gelänge, die deutsche Wehrmacht zu überrennen. Goebbels erteilte auf der Ministerkonferenz vom 28. März 1943 die Weisung an die Presse, aus ausländischen Zeitungen zu zitieren, um ihrer eigenen Propaganda Glaubwürdigkeit zu verleihen.44) Dabei wurden natürlich die ausgewählten Artikel skrupellos verfälscht. Ein besonders krasses Musterbeispiel der  verlogenen antisowjetischen Propaganda, die den Europäern das Gruseln lehren sollte, sei hier dokumentiert.

Im „Völkischen Beobachter“ vom 13. April 1943 erschien ein Artikel unter der Überschrift: „Europa muß verschwinden.“

“In einem Buch, das in England und Nordamerika unter dem Titel ‘Trust für die Zerstörung Europas‘ erschienen ist, malt Stalins Leibjude in perverser Phantasie breit aus, wie er sich die Apokalypse der alten Welt vorstellt. Ganz Europa wird eine einzige Wüste. Berlin, Wien und Paris, Stockholm und Rom sollen in Schutt und Asche gelegt, verheert und zerstört werde, so daß auch nicht eine Spur der alten Kultur mehr übrigbleibt. Denn so schreibt Ehrenburg: ‘Europa muß verschwinden... Zehn Meter hohe Panzer walzen unbarmherzig Berlin nieder und zermalmen Häuser, Männer, Frauen und Kinder… In Kopenhagen gibt es keinen Überlebenden. In Stockholm wird es so still wie im Paradies. Während die Gaswolken sich  auf  Paris  senken,  flieht  die  Bevölkerung  in  die Untergrundbahnen. Aber alles umsonst! Der Bolschewismus schlägt zu. Paris und ganz Frankreich krepieren.’“

Zum Schluß hieß es:

„Ein Jahr genügt, um den Kontinent mit seinen 350 Millionen Menschen zu vernichten. Die Reste der europäischen Völker, die unseren Tanks, unserem Gas (!) und unseren Flammenwerfern entkommen sind - und nicht nur die Deutschen - werden nach Sibirien geschickt als Sklaven in die Bergwerke...“

Die unkorrekte Angabe des Buchtitels im „Völkischen Beobachter” erschwerte die Auffindung des gemeinten Werkes. Es handelt sich um den Roman von IIja Ehrenburg mit dem Titel: “Trust D.E. Die Geschichte der Zerstörung Europas”. Welt-Verlag, Berlin (1925), aus dem Russischen von Lia Calman.

Konzeption und Inhalt des Romans waren das genaue Gegenteil von dem, was der „Völkische Beobachter“ daraus gemacht hatte. Der Trust D.E. war ein amerikanisches Unternehmen, das Europa zerstörte, weil es der Herd der revolutionären Arbeiterbewegung war. Es wurde nicht nur Westeuropa, sondern Europa bis zum Ural zerstört, einschließlich Warschaus und Moskaus, was im „Völkischen Beobachter“ verschwiegen wurde. Die „zehn Meter hohen Panzer“, die Berlin niederwalzten, waren keine sowjetischen, sondern französische Panzer.

Gegenstand in Ehrenburgs Roman war eine imperialistische Verbrecherbande, die im Auftrage des US-Monopolkapitals Europa zerstörte. In seinem Roman enthüllte Ehrenburg die Aggressivität des Imperialismus, dessen Menschenfeindlichkeit und Brutalität. Er warnte vor dem Imperialismus, der nicht davor zurückschrecke, Europa um der Aufrechterhaltung seines System willen in eine Wüste zu verwandeln.

Die im „Völkischen Beobachter“ zitierten Sätze stehen tatsächlich in diesem Roman, aber nicht in der zusammengefaßten, einen falschen Sinn ergebenden Form, sondern in einem ganz anderen Zusammenhang. Man kann Goebbels und seiner Pressemeute bescheinigen, daß es ihnen nicht an „perverser Phantasie“ mangelte, die sie IIja Ehrenburg unterstellten. Wer von den Werktätigen, ob im Land oder als Soldaten an der Front, konnte sich den Roman von Ehrenburg beschaffen und ihn mit dem Artikel des „Völkischen Beobachters“ konfrontieren?

Diese antisowjetische Greuelpropaganda hatte verheerende Auswirkungen auf das Denken, Fühlen und Handeln der Volksmassen - und sicher auch Auswirkungen auf das westliche Ausland. Das war nicht nur ein Resultat der faschistischen Propaganda. Die seit 1917 von der Monopolpresse und diversen „linken“ und „liberalen“ Publizisten, auch von nicht wenigen Universitätsprofessoren  und anderen hochgebildeten Vertretern des gehobenen Bürgertums betriebene antisowjetische Propaganda hatte im Bewußtsein breiter Schichten des Volkes starke antikommunistische Vorurteile erzeugt, an die die Nazipropaganda anknüpfen konnte. Es ist in diesem Zusammenhang nicht uninteressant, auf die bemerkenswerte Prozeßführung vor dem amerikanischen Militärgericht im sogenannten Wilhelmstraßenprozeß hinzuweisen.

Der Verteidiger des angeklagten ehemaligen Reichspressechefs, Dr. Otto Dietrich, Rechtsanwalt Dr. Bergold, führte zur Entlastung seines Klienten aus dem „Völkischen Beobachter“ dort zitierte Artikel aus englischen und amerikanischen Zeitungen in der von den  faschistischen  Journalisten entstellten Form an, darunter auch den im „Völkischen Beobachter“ vom 13. April 1943 verfälschten Artikel über den Roman Ehrenburgs.44a) Damit wurden die antisowjetischen Tiraden der Goebbelspropaganda mit in die Nachkriegszeit hinübergerettet, um auch nachkommende Generationen im antisowjetischen und antikommunistischen Sinne zu indoktrinieren.

Neben Illusionen über einen Zerfall der Antihitlerkoalition, einen separaten Waffenstillstand mit den angloamerikanischen Streitkräften setzte die faschistische Führung auf ihre „Wunderwaffen“, unbemannte Kleinflugzeuge und Raketen, VI und V2 genannt, mit denen sie London vernichten und Großbritannien zum Ausscheiden aus dem Krieg zwingen zu können glaubte. Damit würde auch die ins Kalkül gezogene Invasion der anglo-amerikanischen Armeen in Frankreich nicht stattfinden können.

Diese Pläne blieben weder der britischen noch der sowjetischen Aufklärung verborgen. Am 17. August 1943 erfolgte ein für die faschistische Führung unerwarteter Luftangriff von 571 schweren Bombern der britischen Luftwaffe auf Peenemünde, wodurch das Raketenprogramm Hitlers ernsthaft verzögert wurde. Auch die Verlagerung von Teilen der Produktion in den Harz konnte daran noch etwas Wesentliches ändern. Wenn die Raketenangriffe auf London ab Juni 1944 ernste materielle Schäden und den Tod von Hunderten Zivilisten forderten, so konnte die „Wunderwaffe“ die Niederlage des faschistischen Deutschlands nicht verhindern. Die Entscheidungen fielen nun mal an der deutsch-sowjetischen Front und nicht an der französischen Kanalküste.

Der britischen Luftwaffe gelang es allerdings nicht, die V-2-Raketen wirkunsvoll abzuwehren. Noch im März 1945 brachten zwei detonierende Raketengeschosse auf dem Farringdoner Markt in London 380 Menschen und in einen Wohnblock in Stepney 130 Frauen, Kindern und Greisen den Tod. Sowjetische Kriegsgefangene, französische Widerstandskämpfer, polnische Partisanen, deutsche Kommunisten, antifaschistisch eingestellte Angestellte und Wissenschaftler, Hunderte unter jenen 30.000 todgeweihten KZ-Häftlingen des berüchtigten Lagers „Dora“ bei Nordhausen haben durch geschickte Sabotage diese gefährliche Waffe der Faschisten abgestumpft und unter Einsatz ihres Lebens Tausenden von Menschen in England, Belgien und Holland das Leben gerettet. Dieses Heldentum an der „stillen Raketenfront“ sollte nicht vergessen werden.45)

Die faschistische Presse blieb bezüglich der „Wunderwaffen“ zurückhaltend. „Äußerungen darüber blieben der faschistischen Prominenz vorbehalten. In einer Proklamation an die Soldaten der Heeresgruppe Süd und der Luftflotte 4 vom 14. Februar 1943 verkündete Hitler geheimnistuerisch: „Unbekannte, einzigartig dastehende Waffen befinden sich auf dem Wege zu euren Fronten.“46) Das mochte sich auch auf die neuen Panzertypen beziehen. Im Zusammenhang mit dem Luftkrieg kündigte Hitler in seiner Rede vom 10. September 1943 an: „Allein auch hier sind die technischen und organisatorischen Voraussetzungen im Entstehen, um nicht nur seine Terrorangriffe endgültig zu brechen, sondern durch andere und wirkungsvollere Maßnahmen zu vergelten.“47)

Der Begriff der „Wunderwaffe“ sollte nach Goebbels nicht durch zu häufige Erwähnung abgenutzt werden. Er setzte vorwiegend auf den irrationalen Bereich, unter anderem durch Ausstreuen von Gerüchten,48) die sich jeder rationalen Kontrolle entzogen. So kursierten Gerüchte über „Strato-sphärengeschütze“, „Raketengeschosse“, „neuartige Bomben“, „sechs-motorige Bomber“, „tausend japanische Todesflieger“, „Gaskrieg“ u.a.49) Die Auswirkungen solcher irrationalen Propaganda auf Teile der Volksmassen sollte nicht unterschätzt werden.


4. Teheran, 28. November - 1. Dezember 1943

Zäsuren werden meistens willkürlich getroffen nach besonders gravierenden historischen Ereignissen, die eine wesentliche Veränderung, einen Umbruch im Geschichtsprozeß markieren. So wird als Beginn des „Kalten Krieges“ der US-amerikanische Abwurf von Atombomben auf Hiroshima (6. August 1945) und Nagasaki (9. August 1945) genannt. Andere bestimmen die Fulton-Rede Churchills vom 5. März 1946 oder die Verkündung der Truman-Doktrin am 12. März 1947 als Beginn des „Kalten Krieges.“ Wenn Zäsuren als „Umschlagspunkte“ von einer alten in eine neue Qualität in der Entwicklung des Geschichtsprozesses verstanden werden, dann kann die Konferenz von Teheran als Zäsur für den Beginn des kalten Krieges genommen werden. Im Mittelpunkt ihrer Beratungen und Beschlüsse standen  nicht  nur militärstrategische Fragen, deren wichtigste die Eröffnung der zweiten Front in Nordfrankreich war, sondern auch Probleme der Gestaltung  der Nachkriegszeit, die Behandlung Deutschlands und die Frage der Grenze Polens als die wichtigsten.

Am ersten Verhandlungstag, 28. November, ging es um die Frage: Invasion angloamerikanischer  Armeen  an  der  französischen  Kanalküste, Operation „Overlord“, oder die sogenannte  „Balkanvariante“ Churchills.  Auch wenn Roosevelt einleitend  erwartete,  sich  auf  der  Konferenz  „wie  Freunde zueinander“ zu verhalten1), kam es am ersten Konferenztag bereits zu einem ersten Schlagabtausch zwischen Stalin und Churchill bezüglich der Eröffnung der zweiten Front...

Nach einer gegenseitigen Darstellung der bestehenden Kräfteverhältnisse an der deutsch-sowjetischen Front, der Front in Italien und auf dem pazifischen Kriegsschauplatz begann der Streit um Ort und Zeit der zweiten Front, der natürlich in höflichen Formulierungen der Diplomatensprache ausgetragen wurde. Stalin erklärte, „daß der italienische Kriegsschauplatz nur in soweit von Bedeutung ist, als er die freie Schiffahrt der Alliierten im Mittelmeer sichern muß. Nur in diesem Sinne ist der italienische Kriegsschauplatz wichtig.“ Der italienische Kriegsschauplatz eigene sich nicht zu einer Nutzung für einen direkten Angriff auf Deutschland. Für „weitere Operationen gegen Deutschland hat er keinerlei Bedeutung, weil die Alpen den Weg versperren und ein Vordringen nach Deutschland verhindern.“ Am erfolgreichsten sei „ein Schlag gegen den Feind in Nord - oder Nordwestfrankreich… Sogar Operationen in Südfrankreich wären besser als Operationen in Italien.... Es wäre gut, wenn die Türkei den Weg für die Alliierten freigäbe. Vom Balkan her ist es immerhin näher zum Herzen Deutschlands. Dort wird der Weg weder von den Alpen noch vom Kanal versperrt. Die schwächste Stelle Deutschlands aber ist Frankreich. Diese Operation ist natürlich schwierig, und die Deutschen werden sich in Frankreich wütend verteidigen; trotzdem ist das die beste Lösung…“2)

Stalin bezweifelte allerdings, daß die Türkei „in den Krieg eintreten wird“. „Welchen Druck wir auch auf sie ausüben, sie wird nicht in den Krieg eintreten.“3) Bezüglich der Türkei behielt Stalin recht, womit die  „Balkanvariante“ Churchills zwar höflich, aber faktisch vom Tisch war. Churchill versicherte, daß er mit den Vereinigten Staaten schon „seit langem   übereingekommen“ wäre, „Deutschland über Nord- oder Nordwestfrankreich anzugreifen.“4)

Im weiteren hat er diese „Versicherung“ jedoch gleich wieder relativiert. So fragte er, ob für die Sowjetregierung „Aktionen im östlichen Mittelmeer von Interesse“ wären, „die möglichweise zu einer gewissen Aufschiebung der Operation über den Kanal führen könnten?“5)

Stalin stellte bezüglich Italien und der Adria noch einige sehr konkrete Fragen, um zusammenfassend zu erklären, daß es besser wäre, „allen Operationen im Jahre 1944 die Operation ‘Overlord’ zugrunde zu legen. Wenn bei Durchführung dieser Operation gleichzeitig in Südfrankreich gelandet wird, könnten sich beide Gruppen in Frankreich vereinigen. Deshalb wären zwei Operationen vorteilhaft: Die Operation ‘Overlord’ und zu ihrer Unterstützung eine Landung in Südfrankreich. Gleichzeitig wäre eine Operation im Bereich von Rom ein Ablenkungsmanöver. Durch eine Vereinigung der in Nord- und Südfrankreich gelandeten Truppen könnte eine Steigerung der Kräfte erreicht werden. Frankreich ist eine schwache Stelle für Deutschland.“6)

Churchill betonte wiederholt die Dringlichkeit von Operationen in Italien, besonders der Einnahme Roms. Sie könnten in Italien nicht „untätig bleiben“ und „keinen Druck auf den Feind ausüben.“ Er befürchte, „daß mir daß Parlament in diesem Falle vorwerfen würde, ich leiste den Russen keinerlei Hilfe.“7)

Churchill war offenbar sehr um das Schicksal „der Russen“ besorgt. Stalin präzisierte seinen Standpunkt: „Overlord“ sei „eine große Ope-ration….Sie würde erheblich erleichtert werden und bestimmt effektiv sein, wenn sie von Südfrankreich her unterstützt würde. Ich würde den äußersten Weg beschreiten/ in Italien zur Verteidigung übergehen, auf eine Eroberung Roms verzichten, eine Operation in Südfrankreich beginnen und damit deutsche Kräfte aus Nordfrankreich abziehen. Nach zwei bis drei Monaten würde ich dann die Operationen in Nordfrankreich beginnen. Dieser Plan würde der Operation `Overlord` Erfolg sichern. Beide Armeen könnten sich vereinigen, und das ergäbe einen Kraftzuwachs.“8)

Schließlich erklärte Churchill unumwunden, daß die angloamerikanischen Armeen im Mittelmeerraum nicht „untätig“ verweilen könnten. „Deshalb können wir nicht garantieren, daß ein für den 1. Mai festgelegter Termin genau eingehalten wird. Die Festsetzung eines solchen Termins wäre ein großer Fehler. Ich kann die Operationen im Mittelmeer nicht opfern, nur um den Termin vom 1. Mai zu halten.“9)

Es ging hier gar nicht um den 1. Mai. Eine solche Operation wie die Anlandung ganzer Armeen über den Kanal kann nicht auf Tag und Stunde schon fünf Monate voraus festgelegt werden. Es ging Churchill schlicht und einfach darum, die Invasion in Frankreich zugunsten seiner Balkanvariante auf den St. Nimmerleinstag zu verschieben, und das hatte Stalin sehr gut verstanden. Wenn Churchill später in seinen Memoiren schrieb, daß Stalin „keinen korrekten Eindruck von der britischen Haltung bekommen habe“, daß sich in „seinem Denken... die falsche Vorstellung“ geformt habe, daß „Churchill und der britische Stab ‘Overlord’ torpedieren wollen, um statt dessen eine  Balkaninvasion zu unternehmen“, so sei es seine Pflicht gewesen, „dieses in doppelter Hinsicht falsche Bild zu beseitigen.“10)

Stalin  hatte  demnach  die  ‘lauteren‘  Absichten  Churchills völlig mißverstanden. Dieses „in doppelter Hinsicht falsche Bild“ konnte Churchill zu seinem Bedauern allerdings nicht beseitigen. Churchill bekräftigte noch: „Wir alle hegen freundschaftliche Gefühle füreinander,...“11) doch schien Stalin von diesen Beteuerungen nicht so ganz überzeugt zu sein. Es war schon eine Zumutung, Stalin mit derartigen demagogischen Floskeln zu kommen und zu erwarten, daß diese auch noch honoriert werden. 

Nicht nur Stalin hatte offenbar ein „falsches Bild“ von den Absichten Churchills. In einem Gespräch in einer Konferenzpause mit seinem Sohn Elliot äußerte sich Roosevelt: „Wann immer der P.M. (Premierminister, gemeint war Churchill, UH) von einer Invasion auf dem Balkan sprach, wußte jeder im Saal, was er wirklich meinte. Nämlich, daß es ihm vor allem darauf ankommt, nach Mitteleuropa vorzustoßen, um die Rote Armee von Österreich und Rumänien, wenn möglich sogar von Ungarn fernzuhalten. Stalin wußte es, ich wußte es, jedermann wußte es.“ Churchill „möchte die Russen nicht zu stark werden lassen.“11a)

Ergänzende Argumente zu den zwischen Stalin, Churchill und Roosevelt erörterten Problemen gab es auf der Beratung der Militärvertreter am 29. November. Der britische General Brooke meinte bezüglich des wünschenswerten Kriegseintritts der Türkei, daß dies aus „rein militärischen Gesichtspunkten“ „große Vorteile“ böte, „wenn man rein politische Erwägungen beiseite“ ließe. Neben der Öffnung des Seeweges durch die Dardanellen hätte dies „große Bedeutung in Bezug auf den möglichen Kriegsaustritt Rumäniens und Bulgariens.“ Es könnte eine „Verbindung zu den Russen über das Schwarze Meer hergestellt und auf diesem Wege Versorgungsgüter nach Rußland gebracht werden.“ Schließlich könnten auch „Luftstützpunkte der Alliierten“ in der Türkei geschaffen werden. Man müsse nur einige Inseln längs der türkischen Küste erobern, angefangen mit der Insel Rhodos. Allerdings erfordere eine solche Operation, „die Operation ‘Overlord`um den Zeitraum zu verschieben“, der für den Einsatz der Landungsboote im Mittelmeer erforderlich sei. Desgleichen wies Brooke darauf hin, „daß es sehr wichtig sei, Flugplätze in Italien zu sichern.“12)

Läßt man die verschönernden Floskeln wie die Lieferungen für Rußland beiseite, so ergibt sich aus dem Kontext der Argumentation von Brooke eine präzisierte und „erweiterte“ Darstellung von Churchills Balkanvariante: 1. Kapitulation Rumäniens und Bulgariens vor angloamerikanischen Truppen, wie in Italien. 2. Zugang zum Schwarzen Meer, damit auch an die Küsten Rumäniens und Bulgariens  und,  perspektivisch,  die  sowjetischen Schwarzmeerküsten, Blickpunkt Kaukasus und Mittelost. 3. Luftstützpunkte der Alliierten in der Türkei und in Italien, was „sehr wichtig!“ wäre. Es dürfte klar sein, daß bei Marschall Woroschilow die Alarmglocken klingelten.

US-General Marshall betonte den „Vorzug der Operation ‘Overlord’“. Er bestehe darin, daß es „sich dabei um die kürzeste Entfernung“ handele. Bezüglich des Mittelmeeres seien noch „keine bestimmten Beschlüsse“ gefaßt. Nach Erwägung einer Landungsoperation in Südfrankreich meinte er, daß sie „zwei bis drei Wochen vor der Operation ‘Overlord`“ erfolgen müsse.13)

Woroschilow schloß aus dem Vortrag von Marshall, daß die Amerikaner „Overlord“ als Hauptoperation betrachten und wünschte sich nun auch von Brooke eine klare und eindeutige Antwort darauf.14)

Brooke antwortete mit Phrasen und Ausflüchten: „Overlord“ habe „große Bedeutung“, sei ein „wesentlicher Teil“ des Krieges, „aber“ es „müßten bestimmte Voraussetzungen bestehen“, „Schwierigkeiten“ ergäben sich bei den Landungsbooten. Es dürfe nicht zu einem „Stillstand der Operationen in Italien“ kommen, letztendlich seien „unter bestimmten Bedingungen - diese Operationen (Overlord, UH) jedoch zum Scheitern verurteilt.“15)

Schließlich erklärte Brooke, „auch die Anglo-Amerikaner betrachteten die Operationen im Mittelmeer als Operationen von zweitrangiger Bedeutung...“ seien jedoch „mit der gesamten Kriegführung und insbesondere mit dem Gelingen der Operation in Nordfrankreich aufs engste verbunden.“16)

Am gleichen Tag gab es eine Unterredung zwischen Stalin und Roosevelt. Es ging in erster Linie um die Schaffung einer Weltorganisation für die Erhaltung des Friedens17), um die Gestaltung der Organisation der Vereinten Nationen.

Aus diesem Gespräch wurden Äußerungen von Roosevelt aufgezeichnet, die nicht uninteressant sind. Er erklärte: „Wenn Japan 1941 nicht die USA angegriffen hätte, so hätte er, Roosevelt, niemals den Kongreß bewegen können, amerikanische Truppen nach Europa zu entsenden.“18)

Man kann diese überlieferte Äußerung von Roosevelt als ein Indiz verstehen, daß er über den bevorstehenden Überfall der Japaner auf Pearl Habor informiert war, aber diese Informationen zurückgehalten habe, um die Amerikaner zum Kriegseintritt zu motivieren. Solche Behauptungen gibt es.18a) Noch eine andere Äußerung Roosevelts gibt zum Nachdenken Anlaß: „Wenn die Gefahr einer Revolution oder Aggression oder eine andere Gefahr für den Frieden entstehe, so könne das betreffende Land isoliert werden, damit sich der Brand von hier aus nicht auf andere Territorien ausdehnen könne. Nach der zweiten Methode könnten die vier dem Komitee angehörenden Nationen (Gemeint waren USA, Großbritannien, UdSSR, China, UH) das betreffende Land durch ein Ultimatum auffordern, die den Frieden bedrohende Aktion einzustellen, da dieses Land andernfalls bombardiert oder sogar besetzt werden würde.“19)

Stalin hat sich zu dieser zumindest zwiespältigen Aussage nach dem Protokoll nicht geäußert. Ich halte es für unwahrscheinlich, daß er sie überhört haben sollte.

Roosevelt hat hier die Revolution mit einer Aggression oder „einer anderen Gefahr für den Frieden“! (Welcher?! UH) gleichgesetzt. Für einen solchen Fall, also auch einer Revolution(!), könne ein solches Land nach einem Ultimatum „bombardiert“ oder auch „besetzt“ werden. Damit wäre einer Intervention im Falle einer Revolution eine völkerrechtliche Legitimation erteilt! Die Bindung einer solchen Aktion an den Beschluß des Komitees der Vier - den späteren fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen - hat sich in der Praxis der US-Administration spätestens im 21. Jahrhundert als wirkungslos erwiesen.

Ob Roosevelt soweit gehen wollte, mag hier offen bleiben.

Bezüglich der Operation „Overlord“ hatte die zweite Sitzung der Konferenz am 29. November entscheidende Bedeutung. Stalin und Churchill ließen es an Deutlichkeit nicht fehlen. Stalin stellte die Frage, „wer die Operation ‘Overlord’ befehligen wird.“20) Nach der Erklärung Roosevelts, daß diese Frage „noch nicht entschieden“ sei, antwortete Stalin: „Dann wird aus der Operation ‘Overlord’ nichts werden. Wer trägt denn die moralische und militärische Verantwortung für die Vorbereitung und die Durchführung der Operation ‘Overlord’? Wenn das nicht bekannt ist, ist die Operation ‘Overlord’ nur Gerede.“21)

Churchill machte dazu die üblichen Ausflüchte, ohne etwas Konkretes zu sagen. Er stellte drei Fragen: ‘1. wie man die Operation ‘Overlord’ „unter Einsatz der im Mittelmeer stationierten Kräfte unterstützen“ könne; 2. sah er eine Möglichkeit, die Insel Rhodos zu besetzen, falls die Türkei in den Krieg eintrete; 3. hielt er „eine Verzögerung der Operation ‘Overlord’“ unter bestimmten Bedingungen für unvermeidlich.

Zugleich versicherte Churchill, daß die „Kriegserfahrungen“ der russischen Verbündeten sie „mit Begeisterung“ erfüllten und „inspirierten“.

 Als nächstes stellte er seine bekannte Balkanvariante erneut vor, den Kriegseintritt der Türkei, deren mögliche Auswirkungen auf Bulgarien und meinte, daß „Rumänien schon jetzt ein Land“ suche, „vor dem es kapitulieren könnte.“ „In Ungarn herrscht ebenfalls Verwirrung. Für uns ist es Zeit, zu ernten.“

Es war für Stalin nicht schwierig zu verstehen, daß Churchill auf eine Kapitulation Rumäniens und Ungarns vor den angloamerikanischen Truppen unter Ausschluß der Sowjetunion aus war, trotz seiner „Begeisterung“, die er für den russischen Verbündeten empfand.

Die Frage „Overlord“ wollte Churchill in einer Militärkommission der drei Mächte begraben.22)

Stalin entgegnete kurz, daß die Operation „Overlord“ für die Sowjetunion „die wichtigste und entscheidende Frage“ sei. Die Landung in Südfrankreich wäre eine Hilfsaktion für „Overlord“, die Einnahme Roms „ein Ablenkungsmanöver“. Der Oberbefehlshaber für „Overlord“ müsse so schnell wie möglich ernannt werden. Stalin betonte, daß sie nicht den Anspruch erheben, darüber mitzubestimmen, sie wollten aber informiert werden. „Solange der Oberbefehlshaber nicht ernannt ist, verspricht die Operation ‘Overlord` unserer Meinung nach keinen Erfolg.“23)

Zur Frage des Termins meinte Stalin, „‘Overlord` im Mai, sagen wir am 10., 15., oder 20. Mai“ durchzuführen. Darauf Churchill: „Diese Verpflichtung kann ich nicht übernehmen.“24)

Das Tauziehen um Overlord oder Balkan ging weiter, bis Stalin die Frage an Churchill direkt stellte, ob die Engländer „an die Operation ‘Overlord’ glauben oder nur davon reden, um die Russen zu beruhigen,“25) worauf er keine Antwort von Churchill bekam, was ja auch eine Antwort war.

Roosevelt betonte im Gegensatz zu Churchill, daß er gegen eine Verzögerung von „Overlord“ sei und erklärte, daß er nunmehr „großen Hunger“ verspüre und eine Unterbrechung der Sitzung vorschlug.

Aus der Aufzeichnung einer Unterredung Stalins mit Churchill am 30. November geht hervor, daß die Standpunkte unverändert blieben. Stalin wollte „den Termin für den Beginn der Operation ‘Overlord’ von Churchill erfahren.“ Churchill antwortete, „daß er gegenwärtig keine Antwort darauf geben könne.“ Dafür übergab er Stalin eine Karte, die die Lage in Jugoslawien veranschaulichte.26) Dies wird Stalin sicher sehr erfreut haben.

Am 30. November, bei einer Unterredung während des Frühstücks erklärte Roosevelt, daß nunmehr mit Churchill geklärt sei, „Overlord“ etwa im Zeitraum vom 15. bis 20. Mai 1944 durchzuführen. Dem Einwand Churchills, daß der „genaue Termin“ von der „Mondphase“ abhängen werde, ist als eine der üblichen Floskeln keine Bedeutung beizumessen.27)

Stalin äußerte sich zufrieden über diesen Beschluß und versicherte seinerseits, „daß die Russen bei Beginn der Landungsoperationen in Frankreich einen mächtigen Schlag gegen die Deutschen vorbereiten werden.“ Auf der dritten Sitzung präzisierte Stalin seine Erklärung: „Um den Deutschen nicht die Möglichkeit zum Manövrieren zu geben und um zu verhindern, daß sie mehr oder weniger bedeutende Kräfte von der Ostfront nach Westen werfen, verpflichten sich die Russen, Anfang Mai an einigen Stellen eine Großoffensive gegen die Deutschen zu organisieren, um die deutschen Divisionen an der Ostfront zu binden und es den Deutschen unmöglich zu machen, die Operation ‘Overlord’ irgendwie zu erschweren.“29) Roosevelt und auch Churchill bestätigten nunmehr „Overlord“ als Beschluß. Roosevelt versicherte, daß der Oberbefehlshaber „in den nächsten drei oder vier Tagen...“ ernannt werde.30) Damit war die Debatte um die Eröffnung der zweiten Front in Nordfrankreich endgültig beendet.

Auf der vierten Sitzung am 1. Dezember wurden Fragen Nachkriegspolens und Fragen der Aufteilung Deutschlands erörtert.

Roosevelt wünschte zunächst über Polen zu sprechen. Er gab der „Hoffnung“ Ausdruck, daß „die Sowjetregierung die Verhandlungen beginnen und ihre Beziehungen mit der polnischen Regierung wiederaufnehmen möge.“31) Churchill erklärte langatmig, Großbritannien habe „wegen Polen“ Deutschland den Krieg erklärt. Ihm sei der historische Unterschied zwischen dem britischen und russischen Standpunkt hinsichtlich Polens klar. Zur Illustration bediente er sich seiner „Theorie“ der „drei Streichhölzer“, von denen „eins Deutschland, das andere Polen und das dritte die Sowjetunion“ darstelle. „Diese drei Streichhölzer sollen nach Westen vorgeschoben werden, um eine der Hauptaufgaben der Alliierten, die Sicherung der Westgrenzen der Sowjetunion, zu lösen.“32)

 Ob die komplizierten Grenzfragen anhand eines solchen banalen Schemas exakt reflektiert werden können, bleibe dahingestellt. So fragte Stalin denn auch, was das bedeuten solle.33)

Stalin ging ausführlich auf die Wünsche Roosevelts bezüglich der Wiederaufnahme der Beziehungen der Sowjetregierung zur polnischen Exilregierung in London ein: „Gestern war nicht von Verhandlungen mit der polnischen Regierung die Rede. Gestern sprachen wir davon, daß wir der polnischen Regierung dieses und jenes vorschreiben müßten. Ich möchte sagen, daß Rußland an guten Beziehungen mit Polen nicht weniger, sondern mehr als die anderen Großmächte interessiert ist, da Polen zu den Nachbarländern Rußlands gehört. Wir sind für eine Wiederherstellung, für eine Stärkung Polens. Aber wir unterscheiden zwischen Polen und der polnischen Emigrantenregierung in London. Wir haben die Beziehungen zu dieser Regierung nicht aus irgendeiner Laune heraus abgebrochen, sondern deshalb, weil die polnische Regierung in Hitlers Fußtapfen tritt und die Sowjetunion verleumdet. Die Presse hat darüber berichtet. Welche Garantien aber haben wir, daß die polnische Emigrantenregierung in London nicht wieder dasselbe tun wird? Wir möchten die Zusicherung haben, daß die Agenten der polnischen Regierung keine Partisanen ermorden, daß die polnische Emigrantenregierung tatsächlich zum Kampf gegen die Deutschen aufrufen und nicht irgendwelche Machenschaften in die Wege leiten wird. Zu einer Regierung, die zum aktiven Kampf gegen die Deutschen auffordert, werden wir gute Beziehungen unterhalten. Ich bin jedoch nicht überzeugt, daß die jetzige polnische Emigrantenregierung in London so ist, wie sie sein müßte. Wir wären zu Verhandlungen mit ihr bereit, wenn wir die Garantie hätten, daß ihre Agenten nicht mit den Deutschen in Polen in Verbindung stehen werden.“34)

Das Problem der sowjetisch-polnischen Beziehungen, einschließlich der Grenzfragen, gehörte zu den kompliziertesten der Nachkriegsgestaltung sowie der Verhandlungen zwischen den drei Großmächten der Antihitlerkoalition.

Abgesehen von den weit in die Geschichte zurückreichenden russisch-polnischen Animositäten waren die Beziehungen zwischen der polnischen Regierung und der Sowjetregierung seit Wiederherstellung der polnischen Staatlichkeit gespannt bis feindselig. Auf der Pariser Botschafterkonferenz am 8. Dezember 1919 hatte der britische Außenminister Lord G.N. Curzon vorgeschlagen, als Ostgrenze Polens die Linie westlich der Ukraine und Belorußlands festzulegen, die nach ihm benannte Curzon-Linie.

Diese Linie verlief westlich von Grodno bis an den Bug bei Brest-Litowsk; beide Städte an die UdSSR, Bialystok an Polen; von Brest aus entlang dem Bug bis an die Grenze Galiziens in der Nähe von Sokal (UdSSR); von dort aus östlich von Przemysl, letzteres an Polen.34a)

Die Sowjetregierung hat sich an diese Grenze gehalten. Nicht so die reaktionäre Regierung unter Pilsudski, die es verstand, beträchtliche Teile der Volksmassen, vor allem der Bauernschaft, mit nationalistischen und antisowjetischen Parolen für den Krieg gegen Sowjetrußland zu mobilisieren.

Die rund 200jährige zaristische Fremdherrschaft hatte unter beträchtlichen Teilen des polnischen Volkes zu langfristig wirkenden antirussischen Gefühlen beigetragen, die von Pilsudski  für seine antisowjetische Kriegspolitik bedenkenlos ausgenutzt und geschürt wurden. Bei Völkern, die lange Zeit eine Fremdherrschaft ertragen mussten, kann ein berechtigtes Nationalbewußtsein leicht in Nationalismus umschlagen. Lenin hatte darauf hingewiesen, daß die „jahrhundertelange Unterdrückung“ kolonialer und schwacher Völker durch imperialistische Mächte bei den werktätigen Massen „nicht nur Erbitterung, sondern auch Mißtrauen gegen die Unterdrückernationen überhaupt und auch gegen das Proletariat dieser Nationen hinterlassen.“ Das Absterben solcher Vorurteile gehe „notwendigerweise nur sehr langsam vor sich.“34b)

Das polnische Volk verdankte die Wiederherstellung seiner Staatlichkeit nicht zuletzt dem Roten Oktober. Bereits am 27. März 1917, nach der Februarrevolution, erkannte der Petrograder Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten als erster das Recht Polens auf staatliche Unabhängigkeit an. Am 8. November 1917 verkündete der II. Gesamtrussische Sowjetkongreß in seiner historischen „Deklaration der Rechte der Völker Rußlands“ auch für Polen das Recht auf Unabhängigkeit an. Die Regierung Pilsudski stand von Anfang an auf antisowjetischen Positionen. Sie beteiligte sich 1920 am Interventionskrieg der Ententemächte gegen Sowjetrußland. Polnische Truppen stießen bis Kiew vor, bevor sie von der Roten Armee zurückgeschlagen werden konnten. Die durch Weltkrieg,  Interventions- und Bürgerkrieg geschwächte Sowjetrepublik konnte nicht verhindern, daß die polnische Regierung nach dem Friedensvertrag von Riga am 18. März 1921 die Westukraine und Westbelorußland behielt. Dem Sachverhalt nach war dies eine durch „Vertrag“ „legalisierte“ Annexion nichtpolnischer Gebiete mit einer vorwiegend ukrainischen bzw. belorussischen Bevölkerung.35)

Von den dort lebenden vier Millionen Einwohnern waren nach dem polnischen Zensus von 1921 1.250.000 polnisch sprechende Bürger.35a)

Die Sowjetregierung hat bekanntlich 1939 diese Gebiete wieder zurückgeholt und in die Ukrainische bzw. Belorussische SSR eingegliedert. An der Curzon-Linie als sowjetisch-polnischer Grenze hielt die Sowjetregierung fest. Diesen Standpunkt vertrat Stalin auf der Konferenz eindeutig: „Es geht darum, das die ukrainischen Gebiete zur Ukraine und die belorussischen zu Belorußland kommen müssen, d.h. daß die Grenzen zwischen der UdSSR und Polen der Grenze von 1939 entsprechen muß, die durch die sowjetische Verfassung festgelegt ist. Das ist der Standpunkt der Sowjetregierung zu dieser Grenze, den sie auch für richtig hält.“36) Die Curzon-Linie als polnische Ostgrenze (außer kleinen, zugunsten Polens erfolgter Korrekturen) war auch kein Gegenstand mehr auf der Konferenz, auch nicht mehr auf den Konferenzen von Jalta und Potsdam.

Die Probleme Nachkriegspolens waren primär Klassenfragen, Wiederherstellung der alten Macht- und Eigentumsverhältnisse mit Speerspitze gegen die UdSSR oder ein demokratisches Polen, das mit der Sowjetunion freundschaftlich verbunden, zumindest friedfertig war und sich nicht erneut für feindliche Aktionen gegen die Sowjetunion mißbrauchen lassen würde. Das Minimum waren normale, erträgliche nachbarliche Beziehungen.

Die polnische Exilregierung ließ sich jedoch von extrem sowjetfeindlichen Ambitionen leiten. Sie führte faktisch zwei Kriege, einen gegen die faschistischen Okkupanten und einen zweiten gegen die demokratischen Kräfte im eigenen Volk, nicht nur gegen die polnischen Kommunisten, sowie gegen die von der Roten Armee unterstützten Partisanen, worauf Stalin auf der Konferenz hinwies, wie w.o. erwähnt. Aus den Handlungen der polnischen Exilregierung unter Ministerpräsident General Sikorski kann gefolgert werden, daß ihr der Krieg gegen die Rote Armee und die Partisanen zunehmend wichtiger war als der Krieg gegen die faschistischen Okkupanten.

Das britische Auswärtige Amt hatte mehrfach bei der polnischen Exilregierung gegen die „provokatorischen Angriffe“ (provocative attacks) der polnischen Presse gegen die UdSSR protestiert. Am 22. Januar 1943 protestierte der britische Außenminister, Anthony Eden, nach einer Mitteilung vom Grafen Raczynski bei General Sikorski gegen die Absicht, den von Großbritannien an die polnische Marine übergebenen Kreuzer „Dragon“ in „Lwow“ umzutaufen. Erst auf entschiedenen Einspruch von britischer Seite wurde der Kreuzer auf den Namen „Gdansk“ getauft.36a)

Die Frage der polnischen Westgrenze wurde im Zusammenhang mit Fragen der Aufteilung Deutschlands in mehrere Staaten diskutiert.

Churchill meinte, daß ihm die polnische Frage „dringender zu sein scheint“ als die Aufteilung Deutschlands, „da die Polen viel Staub aufwirbeln können.“ Churchill skizzierte eine mögliche Grenze Polens „von der Curzon-Linie bis zur Oder, einschließlich Ostpreußens und der Provinz Oppeln.“  Eine endgültige Festlegung erfordere jedoch „eine genaue Prüfung und eine mögliche Auseinandersiedlung der Bevölkerung an einigen Orten...“37)

Churchill hatte so unrecht nicht, wenn er meinte, daß die Polen „viel Staub aufwirbeln“ könnten. Er hätte jedoch besser von der polnischen Exilregierung gesprochen bezüglich des Staubaufwirbelns. Deren Forderungen bezüglich der Grenzen Polens während der Jahre 1942/43 kann man schon so bezeichnen. Über die Ambitionen der polnischen Exilregierung bezüglich der Genzen finden sich in der Studie „Die territoriale Deutschlandplanung des amerikanischen Außenministeriums 1941-1943“ von Ilse Dorothee Pautsch dokumentarisch belegte Aussagen, die für das Verständnis der Konferenz von Teheran und der Nachfolgekonferenzen von Bedeutung sind. Sie können im Rahmen meines Themas hier nur kurz skizziert werden.38)

Außer Ostpreußen forderte die polnische Exilregierung das oberschlesische Industriegebiet, zunächst bis an die Glatzer Neiße. Dies war eine „Hauptforderung“ der polnischen Exilregierung.39)

Es sollte aber nicht dabei bleiben. Der Ministerpräsident der polnischen Exilregierung, General Sikorski, formulierte seine Forderungen bei seinem Besuch in den USA in Gesprächen mit Roosevelt im Dezember 1942 und Januar 1943. Nach Sikorski sollte die polnische Westgrenze von westlich der Insel Rügen, einen  schmalen  Küstentreifen  Mecklenburg/Vorpommerns umfassend bis  zur Odermündung verlaufen, im Süden entlang der Lausitzer (oder Görlitzer) Neiße, einschließlich nördlicher Gebiete der Tschechoslowakei. Die Curzon-Linie lehnte Sikorski rundweg ab. Er forderte weiterhin Militärstützpunkte auf den Inseln Bornholm, Rügen, Fehrmarn sowie am Nordostseekanal.40) Sikorski träumte offenbar von einem Großpolen in den Grenzen von 1772. Schon Pilsudski hatte am 13. März 1920 den westlichen Alliierten erklärt, daß er „keine andere Grenzen zu Rußland anerkennen“ werde als die von 1772.40a)

Es ging Sikorski nicht nur um berechtigte Garantien der Sicherheit Polens vor einer neuen Aggression, um Entschädigung für die von den Faschisten zugefügten Schäden und Verbrechen, sondern darüber hinaus um die Realisierung nationalistischer Ambitionen der reaktionären Großgrundbesitzer und Kapitalisten, für deren volksfeindliche Politik in den 20er und 30er Jahren die Werktätigen Polens zu bluten hatten. Die Pilsudskis und Becks trugen mit ihrer antisowjetischen Politik eine hohe Mitverantwortung für die Verluste des polnischen Volkes. In den Forderungen Sikorskis fand diese verhängnisvolle, reaktionäre Politik ihre Fortsetzung.

Sikorskis Vorstellungen fanden weder bei Roosevelt noch im State Departement (Außenministerium) Zustimmung. Das hatte Gründe. Bei Unterschieden in der Motivation der Ablehnung der Pläne Sikorskis bestand bei den amerikanischen Politikern und Militärs Übereinstimmung darin, Deutschland als Bollwerk gegen die UdSSR „möglichst stark und möglichst weit im Osten zu belassen.“ Dieser Gedanke habe „in ähnlicher Form schon bei den Planungen für die Zerstückelung Deutschlands sowie die deutsch-tschechoslowakische Grenze im Raum Sachsen und Schlesiens eine Rolle gespielt...“41)

In diesem Zusammenhang ist auf die Teilungspläne Roosevelts für Deutschland einzugehen. Es gab Politiker und Militärs in den Planungsgremien der USA, die eine Aufteilung Deutschlands ablehnten, um Deutschland als Großmacht gegen die Sowjetunion zu erhalten. Bezüglich Nachkriegsdeutschlands bildeten sich in den USA zwei Gruppierungen heraus, einmal die sogenannte „rußlandfreundliche“, zu denen Präsident Roosevelt, sowie Harry Hopkins, Finanzminister Morgenthau, Unterstaatssekretär Summner Welles u.a. gehörten, zum anderen die sowjetfeindlichen Politiker und Militärs, zu denen Roosevelts Nachfolger Harry Truman sowie der einflußreiche William Bullitt - sogar ein persönlicher Freund Roosevelts! - gehörten. Auch in der sogenannten rußlandfreundlichen Fraktion um Roosevelt fehlte es nicht an antisowjetischen und antikommunistischen Vorbehalten, die immer wieder zu Schwankungen in ihren außenpolitischen Handlungen führten. Die beiden Gruppierungen waren keineswegs homogen. Zwischen und innerhalb dieser beiden Gruppierungen gab es Reibereien, Intrigen und Wechsel, die auf die Politik Roosevelts einwirkten.

Obwohl in den Gremien, in denen über die territoriale Aufteilung Deutschlands beraten wurde, strengste Geheimhaltung galt, so gab es doch Indiskretionen, die wohl nicht zu vermeiden waren. Im Sommer 1943 erschienen in der Presse und im Rundfunk Berichte, nach denen Außenminister Cordell Hull und einigen seiner Mitarbeiter vorgeworfen wurde, „sie beabsichtigten, Rußland in diesem Krieg ausbluten zu lassen und wollten überdies nach Kriegsende einen Ring antikommunistischer Pufferstaaten um die Sowjetunion legen.“42)

Die publizierten Auffassungen dieser Art reflektierten die Absichten des sowjetfeindlichen Lagers durchaus richtig, wobei es zweitrangig ist, ob derartige Äußerungen von Cordell Hull oder anderen hochrangigen Politikern gemacht wurden.

Über solche Pressemeldungen bzw. Rundfunksendungen war Stalin natürlich informiert.

Außer den beiden genannten Gruppierungen muß noch eine dritte beachtet werden. Neben einem „Mißtrauen“ gegenüber der Sowjetunion hofften einige Politiker, Ilse Pautsch nennt Adolf Berle und Myron C. Taylor, auf einen „Wandel des sowjetischen Systems, der keinesfalls durch eine Abschottung Rußlands vom Westen verhindert werden dürfte.“ Rußland sollte nach Taylor nicht isoliert werden von der Welt der „besseren Völkern“ (!) zu der wir gehören, sondern man müsse versuchen, Rußland zu einem Mitglied unserer Gemeinschaft von Nationen werden zu lassen.43) Mit dieser freundlich herablassenden, wohlmeinenden und rassistisch getönten Haltung gegenüber der Sowjetunion hat Taylor die spätere Politik des „Wandel durch Annäherung“  vorweggenommen.

Entsprechend der skizzierten Haltung Roosevelts stellte er in Teheran die Schwächung und Verkleinerung Preußens, die Zersplitterung Deutschlands in fünf Teilstaaten zu Diskussion: Teil 1: das verkleinerte Preußen; Teil 2: Hannover und die nordwestlichen Gebiete Deutschlands; Teil 3: Sachsen und das Gebiet um Leipzig; Teil 4: Provinz Hessen (Darmstadt, Kassel) und die Gebiete südlich des Rheins sowie die alten westfälischen Städte; Teil 5: Bayern, Baden und Württemberg. Die Gebiete um den Nordostseekanal und Hamburg, Ruhr- und Saargebiet sollten herausgelöst und unter die eine oder andere internationale Verwaltung gestellt werden.44)

Churchill wollte Preußen isolieren und schwächen. Preußen sollten „harte Bedingungen“ auferlegt werden. Die Südprovinzen sollten in eine „Donauföderation“, mit Österreich und Ungarn, eingegliedert werden.45) Stalin wandte sich gegen die Teilungspläne: „Der Plan, neue Vereinigungen von Staaten zu schaffen, gefällt mir nicht. Sollte die Aufteilung Deutschlands beschlossen werden, so braucht man keine neuen Vereinigungen zu schaffen. Ob es nun 5 oder 6 Staaten und zwei Gebiete sein sollen, wie Roosevelt die Aufteilung Deutschlands vorschlägt - diesen Plan Roosevelts zur Schwächung Deutschlands könnte man erörtern. Churchill wird es bald mit großen Massen von Deutschen zu tun haben, genau wie wir. Dann wird er sehen, daß in der deutschen Armee nicht nur Preußen, sondern auch Deutsche aus den anderen deutschen Provinzen kämpfen. Nur die Österreicher, die sich gefangen geben, schreien: Ich bin Österreicher, und unsere Soldaten nehmen sie auf. Was die Deutschen aus den übrigen deutschen Provinzen betrifft, so kämpfen sie alle mit der gleichen Verbissenheit. Wie wir auch immer an die Frage der Aufteilung Deutschlands herangehen werden, wir brauchen keine neue lebensunfähige Vereinigung der Donaustaaten. Ungarn und Österreich müssen voneinander getrennt bestehen. Österreich ist, solange es nicht angetastet wurde, ein selbständiger Staat gewesen.“46) Damit waren die Grundhaltungen der drei Staatschefs bezüglich der territorialen Gestaltung Deutschlands vorläufig abgesteckt. Stalin argumentierte, daß es „keine Maßnahmen“ gibt, „die die Möglichkeit einer Vereinigung ausschließen würde.“47) Der Meinungs-bildungsprozeß über die territoriale Struktur Deutschlands war bei Stalin noch nicht ganz abgeschlossen. Er stand offenbar einer Zerstückelung Deutschlands kritisch gegenüber, legte sich aber noch nicht fest. Die Frage der Sicherheit vor einer neuen Aggression von deutscher Seite sah er nicht in der Zersplitterung, sondern in der Demokratisierung Deutschlands, in der Vernichtung von Faschismus und Militarismus. Diese im Ansatz erkennbare Haltung Stalins nahm in der Folgezeit bei ihm feste Gestalt an, die in der bekannten kategorischen Forderung nach Erhaltung der staatlichen Einheit Deutschlands ihren prägnanten Ausdruck fand.

 Bezüglich der Abtretung Ostpreußens an Polen waren sich Stalin, Roosevelt und Churchill einig. Stalin erhob jedoch Anspruch auf Königsberg und Memel: „Die Russen haben in der Ostsee keine eisfreien Häfen. Deshalb brauchen die Russen die eisfreien Häfen Königsberg und Memel sowie einen entsprechenden Teil des ostpreußischen Territoriums. Um so mehr, als das historisch gesehen slawischer  Boden ist.“48) Die Berufung auf „slawischen Boden“ ist im Kontext einer sehr weit zurückliegenden Geschichtsepoche sachlich richtig. (Die feudale deutsche Ostexpansion fand vom 10. bis 14. Jahrhundert statt, der Staat des Deutschen Ordens bestand vom 13. bis 15. Jahrhundert, Ostpreußen kam nach der Schlacht bei Grunwald (1410) unter polnische Oberhoheit (1446))

 Die Gebietsverluste Deutschlands sind in erster Linie der Preis für den vom faschistischen Deutschland geführten Eroberungskrieg, für die unmenschliche, rassistische Unterdrückungs- und Ausrottungspolitik gegenüber den slawischen Völkern. 20 Millionen Russen und Angehörige nichtrussischer Sowjetbürger, 6 Millionen Polen“ - 20 Prozent der polnischen Bevölkerung! - wurden Opfer dieser faschistischen Aggression.

Die Allianz der drei Mächte war zu keiner Zeit frei von antisowjetischen Ressentiments auf Seiten der amerikanischen und britischen Regierung. Im Jahre 1943, nach Stalingrad und Kursk, nahmen sie zunehmend offenen Charakter an. Während sowjetische Truppen unter hohen Blutopfern noch um die Forcierung des Dneprs kämpften, fanden in den Stäben der USA und Großbritanniens schon Überlegungen statt, wie die Sowjetunion nicht nur daran gehindert werden kann, weiter nach Westen vorzustoßen, sondern sie womöglich noch hinter den Ural zurückzudrängen. Wenn nunmehr die Eröffnung der zweiten Front in Nordfrankreich im Mai 1944 beschlossen wurde, so nicht, um die UdSSR zu entlasten, sondern um ihr zuvorzukommen. Unter diesen heute dokumentarisch nachweisbaren Bestrebungen der herrschenden Klassen der USA und Großbritanniens ist es berechtigt, das Jahr 1943, im engeren Sinne Teheran als Zäsur für den Beginn des „Kalten Krieges“ zu bestimmen, 14 Monate vor der Beendigung des Krieges in Europa.

Stalin hat die Klassengegensätze zu keiner Zeit in der Antihitlerkoalition übersehen. Sie konnten zeitweilig in den Hintergrund gedrängt werden, blieben aber stets akut. In dem Maße, wie das gemeinsame Interesse an der Niederlage des faschistischen Deutschlands der Realisierung zugeführt wurde, traten die „Gemeinsamkeiten“ zurück, drängte sich der Klassengegensatz wieder in den Vordergrund. Die Klassengegensätze sind unversöhnbar. Sie lassen sich nicht dauerhaft ausschalten, auch wenn zeitweilig gemeinsame Interessen von Klassengegnern, die beide in ihrer Existenz von einer dritten Macht bedroht sind, in ihrer Politik in den Hintergrund gedrängt werden.

Stalin gebührt das Verdienst, diese Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze in der Antihitlerkoalition zu keiner Zeit übersehen zu haben. Das Jahr 1943 hat sie mit unübersehbarer Deutlichkeit sichtbar gemacht. Die Erfahrungen des Krieges und der Beziehungen innerhalb der Antihitlerkoalition ließen ihn theoretische Erkenntnisse über die Dialektik von Klassenkampf und Zusammenarbeit auf einzelnen Gebieten mit imperialistischen Mächten, von Krieg und Politik innerhalb der Koalition gewinnen, die Lenin noch nicht haben konnte. Lenins Thesen von der Möglichkeit der Zusammenarbeit Sowjetrußlands mit imperialistischen Mächten zu seiner Zeit gingen nicht über die Frage der  Konzessionen und des Rapallo-Vertrags hinaus, d.h., die innerimperialistischen Widersprüche auszunutzen. Eine vergleichbare Zusammenarbeit mit imperialistischen Staaten wie in der Antihitlerkoalition gab es zu Lenins Zeiten noch nicht. Insofern stellen die Erfahrungen Stalins aus der Antihitlerkoalition und deren Verallgemeinerung eine Weiterentwicklung der marxistisch-leninistischen Militärtheorie dar.

 

 

Anmerkungen (Quellenverzeichnis)

1. Die Idee der allgemeinen Offensive


1) SW 14/307

2) Geschichte des Zweiten Weltkrieges 1939-1945, Bd. 6. Der grundlegende Umschwung im Krieg. Hrsg. vom Institut für Militärgeschichte des Minis-teriums der Verteidigung der UdSSR, Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU, Institut für allgemeine Geschichte der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Institut für Geschichte der UdSSR. Deutschsprachige Ausgabe vom Militärverlag der DDR, Berlin 1979, S. 154-156. (Weiterhin Ge. II. W’krieg genannt.)

3) K.K.Rokossowski: Soldatenpflicht. Erinnerungen eines Frontoberbefehlshabers, Moskau 1968 / Berlin 1971, S. 234f.

4) Ebd., S. 235

5) Ebd., S. 240-243

6) Ebd., S. 245

7) KA.Merezkow: Im Dienste des Volkes, Moskau 1968 / Berlin 1982. 3. Auflage, S. 282-284

8) Ebd., S. 291

9) Ebd., S. 292f.

10) Ebd.

11) Ebd.

12) Ebd.

13) Ebd.

14) K.S.Moskalenkow: In der Südwestrichtung. Bd.2, Moskau 1975 / Berlin 1979. S. 21. Siehe auch Ge. II. W’krieg, Bd.7, S. 169

14a) Ge. II. W’krieg, Bd. 6, S. 162

15) Ebd., S. 164

16) Ebd., S. 164-172

17) Briefwechsel Stalins mit Churchill, Attlee, Roosevelt und Truman. 1941-1945. Berlin 1961, S. 514

18) Ebd., S. 521

19) Ebd., S. 626

20) Kurt von Tippelskirch: Geschichte des Zweiten Weltkrieges. Bonn 1954, S. 283

21) SW 14/310

22) Ebd.

23) Ge. II. W’krieg, Bd.6, S. 164

2. Die Schlacht am Kursker Bogen

1) Siehe Ge. II. W’krie. Die Vollendung des grund-legenden Umschwungs, Bd. 7, S. 162-222

1a) Ebd., S. 213

1b) Walter Warlimont: Im Hauptquartier der deutschen Wehrmacht 1939-1945. Grundlagen, Formen, Gestalten. Frankfurt/M 1962, S. 318

1c) Vgl. Gerhard Förster: Zum Scheitern der stra-tegischen Konzeption der faschistischen Führung im zweiten Weltkrieg. In: Zeitschrift für Militär-geschichte, Heft 1/1965, S. 17-29

1d) Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht (Wehrmachtsführungsstab), Bd. III, 1. Januar – 31. Dezember 1943. Zusammengestellt und erläutert von Walter Hubatsch. Zwei Halbbände. Erster Halbband, Frankfurt/M 1963, Bd. III/I, S. 1425 (weiterhin: OKW-KTB genannt)

2) G.K.Shukow: Erinnerungen und Gedanken. Teil II, Moskau 1969 / Berlin 1973. 4. überarbeitete Auf-lage. S. 97

3) Ebd., S. 98

4) Ebd., S. 106

5) Ebd., S. 112. Siehe auch Ge. II. W’krieg, Bd. 7, S. 139f.

6) Ebd.

7) Ebd. Rokossowski a.a.O., S. 247. Nach Tippels-kirch standen bei Orjol (gegenüber der Zentralfront) 5 Panzerdivisionen und 8 Infanteriedivisionen, beiderseits Belgorod (gegenüber der Woronesher Front) 8 Panzerdivisionen und 7 Infanterie-divisionen. Tippelskirch, a.a.O., S. 327. Siehe auch Ge. II. W’krieg, Bd. 7, S. 162ff.

8) Rokossowski, a.a.O., S. 270f.

8a) Ge. II. W’krieg, Bd. 7, S. 186.

9) I.Ch.Bagramjan: So schritten wir zum Sieg. Wojenisdat, Moskau 1977 / Berlin 1984, S. 158f.

10) Ebd., S. 160

11) Shukow, a.a.O., S. 116

12) N.A.Antipenko: In der Hauptrichtung. Moskau 1971 / Berlin 1973, S. 110-155

13) Ebd., S. 132f.

14) Ebd., S. 133

15) Ebd., S. 140

16) K.W.Krainjukow: Vom Dnjepr zur Weichsel. Wojenisdat 1971 / Berlin 1977, S. 95f.

17) Ebd., S. 98. Über das Sprachenproblem siehe: Ulrich Huar: Stalin als Theoretiker des Marxismus-Leninismus. Beiträge zur Theorie der nationalen Frage. Zum 50. Todestags Stalins am 5.3.04, Teil I, Kapitel 3, Zum Sprachenporblem. In: Schriftenreihe der KPD, Heft Nr. 86/1. Berlin, Juni 2002, S. 39-50. (Weiterhin Schriftenreihe genannt) oder „offensiv“, Heft 5/2002, S. 35-44

18) Shukow, a.a.O., S. 118f.

19) Siehe ebd. S. 122-130f., Bagramjan, a.a.O., S. 186, Moskalenkow, a.a.O., S. 60/77f., I.S.Konew: Aufzeichnungen eines Frontoberbefehlshabers 1943/44. Nauka Moskau 1972 / Berlin 1978, S. 17, 23, 28-30, 41f.

20) N.G.Kusnezow: Auf Siegeskurs. Wojenisdat, Moskau 1975 / Berlin 1979, S. 36

20a) Ulrich Huar: Zu Inhalt und Methode der Meinungsmanipulierung im staatsmonopolistischen System des Hitlerfaschismus in der Periode des grundlegenden Umschwungs im zweiten Weltkrieg und ihre Wandlungen. Diss.A., Januar 1968, S. 150f.

21) Shukow, a.a.O., S. 125

22) Bagramjan, a.a.O., S. 214f.

23) Konew, a.a.O., S. 24

23a) Ebd., S. 46f. und 48

24) Shukow, a.a.O., S. 131.

25) Tippelskirch, a.a.O., S. 327

26) Ebd.

26a) Der „Völkische Beobachter“ war das Partei-organ der NSDAP.

26b) Goebbels Tagebücher aus den Jahren 1942-1943, mit anderen Dokumenten. Hrsg. Von Louis P. Lochner, Zürich 1948, S. 450. Eintragung vom 25. 9. 1943. (Weiterhin Goebbels Tagebücher genannt)

26c) Ge. II. W’krieg, Bd.7, S. 168

27) Shukow, a.a.O., S. 133

28) Siehe Ulrich Huar: Stalins Beiträge zur marxistisch-leninistischen Militärtheorie und –politik 1941-1942/43. Teil 2. In: Schriftenreihe, Heft Nr. 150/2. Berlin, November 2003, S. 23. Oder: „offensiv“, Heft 14/03, S. 73

29) Clay Blair: U-Boot-Krieg 1942-1945. Die Gejagten. Augsburg/München 2001, S. 263

30) Ebd., S. 264

31) Ebd.

31a) Ebd., S. 414.

32) Zitiert nach ebd., S. 265

33) Ebd., S. 362

34) Ebd., S. 412

35) Briefwechsel, a.a.O., S. 138.

36) Ge. II. W’krieg, Bd. 7, S. 508

37) Ebd., S. 337

38) Ebd., S. 338 und 339

39) Ebd., S. 341

40) Briefwechsel, a.a.O., S. 140. Siehe Dok. 5

40a) G.Deborin: The Second World War. Moscow, o.J., S. 515

40b) Clay Blair, a.a.O., S. 360f.

41) The Encyclopedia Americana, Bd. 29. New York 1971, S. 441. Zitiert nach: Ge. II. W’krieg, Bd. 7, S. 138

42) Ge. II. W’krieg, Bd. 7, S. 118

43) Ebd., S. 138

43a) Ebd., S. 173

44) Ebd., S. 440

45) Ebd., S. 446

46) OKW-KTB, Bd. III/2, S. 765

47) Hitlers Lagebesprechungen. Die Protokoll-fragmente seiner militärischen Konferenzen 1942-1945. Hrsg. Von Helmut Heiber, Stuttgart 1962, S. 374

48) Tippelskirch, a.a.O., S. 307

49) SW 14/323f.

50) OKW-KTB, Bd. III/2, S. 750

51) Völkischer Beobachter, 21. Juli 1943

52) Völkischer Beobachter, 18. Juli 1943

53) entfällt

54) Erich Weinert: Das Nationalkomitee „Fries Deutschland“ 1943-1945 und seine Auswirkungen. Berlin 1957, S. 53

55) Ulrich Huar, Diss.A., a.a.O., S. 233f.

56) Siehe Erich Weinert, a.a.O., S. 113

57) Ebd., S. 116

58) Zitiert nach Gerhard L. Weinberg: Adolf Hitler und der NS-Führungsoffizier (NSFO). In: Viertel-jahrshefte für Zeitgeschichte, Heft 4/1964, S. 443-456

 

3. Zwischen Kursk und Teheran

1) Erich von Manstein: Verlorene Siege. 12. Auflage, Bonn 1991, S. 505

2) Zahlen zusammengestellt nach Ge. II. W’krieg, Bd. 8, S. 25-30. Die Zahlen in der kriegs-geschichtlichen Literatur weichen geringfügig von-einander ab, je nach Berechnungsgrundlage. Japan hatte offenbar keine gesonderten Luftstreitkräfte, sondern sie gehörten entweder zur Armee oder zur Flotte. Bei der deutschen Luftwaffe gehörten Flak und Nachrichteneinheiten dazu. Das war nicht in allen Ländern der Fall. Insgesamt geben die Zahlen ein korrektes Bild über die Kräfteverhältnisse zwischen den beiden feindlichen Koalitionen um die Jahreswende 1943/44. Italien wurde ausgelassen, da die Regierung Bodoglio nach dem Sturz Mussolinis am 8. 9. 1943 kapitulierte.

3) Briefwechsel, a.a.O., S. 174f. Hervorhebung von mir.

4) Shukow, II, a.a.O., S. 243f.

5) W.S.Churchill: Der Zweite Weltkrieg. (Die von Churchill selbst bearbeitete einbändige Fassung seines 12-bändigen Memoirenwerkes), Frankfurt/M 2003, S. 988

6) Ebd., S. 989

7) Valentin Falin: Zweite Front. Die Interessenkonflikte in der Anti-Hitler-Koalition. München 1997, S. 371

8) National Archives of USA, File YCS, UdSSR 9-13-43. Siehe Falin, .a.a.O., S. 367-373

9) Falin, a.a.O., S. 374

10) Ebd., S. 377

11) Ebd., S. 378

12) Ebd.

13) Siehe Briefwechsel, a.a.O., S. 559.

14) Maurice Matloff: Ot Kasablanki do – „Overlorda“. Moskau 1964, S. 406 – 413. Siehe Falin, a.a.O., S. 386

15) Ebd.

16) Ilse Dorothee Pautsch: Die territoriale Deutsch-landplanung des amerikanischen Außenministeriums 1941-1943. Frankfurt/M 1990, S. 276ff

17) Georgi Dimitroff: Tagebücher 1933-1943. Hrsg. Von Bernhard Bayerlein. Berlin 2000, S. 688

18) Ebd., S. 689

19) Ebd., S. 690

20) Ebd. Hervorhebung von Dimitroff

21) Ebd., S. 690f.

22) Ebd., S. 692. Hervorhebung von mir.

23 Ebd., S. 694f. Siehe hierzu auch die Antwort Stalins an den englischen Journalisten King vom 28.5.1948,

24) Tippelskirch, a.a.O., S. 285

25) Meldungen aus dem Reich. Auswahl aus den geheimen Lageberichten des Sicherheitsdienstes der SS 1939-1944. Hrsg. von Heinz Boberach. Neuwied und Berlin 1965, S. 432

26) Deutsches Zentralarchiv (Weiterhin DZA genannt). Potsdam, Dienststelle Rosenberg, Nr. 5, Bl. 124

27) „Das Reich“, 12.9.1943

28) „Das Reich“, 29.8.1943

29) DZA Potsdam, Dienststelle Rosenberg, Nr.4, Bl. 197f.

30) Tippelskirch, a.a.O., S. 286

31) Ebd., S. 287. Hervorhebung von mir.

32) Zur Geschichte des antifaschistischen Widerstandskampfes siehe: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 5, Januar 1933 bis Mai 1945. Hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus, Berlin 1966. -- Erich Weinert: Das Nationalkomitee „Freies Deutschland“, a.a.O., -- Das Nationalkomitee „Freies Deutschland“ und seine militärische Bedeutung. Protokoll der Konferenz des Instituts für deutsche Militär-geschichte am 27. und 28.3.1963, Potsdam 1963, -- Zur Geschichte der deutschen antifaschistischen Widerstandsbewegung 1933-1945. Eine Auswahl von Materialien, Berichten und Dokumenten. Berlin 1957, -- Bruno Löwel: Die führende Rolle der KPD und ihres Zentralkomitees im antifaschistischen Widerstandskampf während des zweiten Welt-krieges. In: 1917 bis 1945. Neue Problem der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in For-schung und Lehre. Berlin 1965

33) Falin, a.a.O., S. 391

34) Ebd., S. 391f.

35) Ebd., S. 392

35a) Walter Schellenberg: Aufzeichnungen. Die Memoiren des letzten Geheimdienstchefs unter Hitler. London 1956. Deutsche Ausgabe Wiesbaden und München. München 1979, S. 274 und 281-283

36) Falin, a.a.O., S. 544

37) Ebd., S. 393

37a) R. Hilsman: Strategitshesckaja raswedka polititscheskie reschenia. Moskau 1957, S. 27 Zitiert nach Falin, a.a.O., S. 405f.

38) Falin, a.a.O., S. 400

38a) Briefwechsel, a.a.O., S. 236 und 239. Hervorhebung von mir.

39) Gobbels Tagebücher, a.a.O., S. 392, 398, 400, 433, 443-445

40) Ebd., S. 400

41) Hitlers Lagebesprechungen, a.a.O., S. 615

42) Ebd., S. 721

43) Siehe hierzu Raimund Schnabel: Mißbrauchte Mikrophone. Deutsche Rundfunkpropaganda im Zweiten Weltkrieg. Eine Dokumentation. Wien 1967

44) DZA Potsdam, Protokoll der täglichen Konferenzen des Ministers Dr. Goebbels mit den Abteilungsleitern. März 1943. Ohne Signatur, Nr. 1, 2, Bl.23

44a) DZA Potsdam, Nürnberger Prozesse, Fall XI, Nr. 561

45) Julius Mader: Geheimnisse von Hundsville. Die wahre Karriere des Raketenbarons Wernher von Braun. Berlin 1963

46) Zitiert nach Max Domarus: Hitler, Reden und Proklamationen 1932-1945. Bd. II, Untergang, Zweiter Halbband 1941-1945. S. 1989

47) DNB-Text vom 10.9.1943. Zitiert nach ebd., S. 2028

48) Siehe Walter Hagemann: Publizistik im Dritten Reich. Hamburg 1948, S. 181

49) Meldungen aus dem Reich, a.a.O., S. 414 und 416

4. Theheran, 28. November bis 1. Dezember 1943

1) Teheran-Jalta-Potsdam. Dokumentensammlung. Hrsg. Von S.P.Sanakojew und B.L.Zybulewski. Deutsche Übersetzung Verlag Progreß, Moskau 1978, S. 40. (Im Weiteren „Konferenz“ genannt.)

2) Ebd., S. 44

3) Ebd., S. 48

4) Ebd., S. 44

5) Ebd., S. 46

6) Ebd., S. 48

7) Ebd., S. 49

8) Ebd.

9) Ebd., S. 50

10) Churchill, a.a.O., S. 846

11) Konferenz, a.a.O., S. 51

11a) Elliot Roosevelt: Wie er es sah (As he saw it). 1. Auflage. Zürich, März 1947, S. 233f.

12) Konferenz, a.a.O., S. 52f.

13) Ebd., S. 54f.

14) Ebd., S. 56

15) Ebd, S. 57f. Hervorhebung von mir.

16) Ebd., S. 59f.

17) Ebd., S. 61-67

18) Ebd., S. 65

18a) Nach einem Artikel in der Zeitung „Der Tagesspiegel“ vom 22.12.03 habe der us-amerikanische Publizist Robert B. Stinnet in seinem Buch „Der Tag der Täuschung – Die Wahrheit über FDR (Franklin D. Roosevelt) und Pearl Harbor“ behauptet, dass die US-Administration den Angriff provoziert habe. Da es mir nicht möglich war, mich mit den einschlägigen Dokumenten und Publika-tionen zu beschäftigen, wobei es fraglich ist, ob alle diesbezüglichen Dokumente der Forschung zugäng-lich sind, möchte ich diese eine Äußerung nicht als „Beweis“ für eine solche Sachlage verstanden wissen. Auch die Beweisführung von Stinnet bedarf der Überprüfung.

19) Konferenz, a.a.O., S. 65. Hervorhebung von mir.

20) Ebd., S. 69

21) Ebd.

22) Ebd., S. 71-74

23) Ebd., S. 75

24) Ebd., S. 76

25) Ebd., S. 81

26) Ebd., S. 87f.

27) Ebd., S. 88

28) Ebd.

29) Ebd., S. 90

30) Ebd.

31) Ebd., S. 99

32) Ebd., S. 100

33) Ebd., S. 101

34) Ebd., S. 100f.

34a) Sir Llewellyn Woodward: British Foreign Policy in the Second World War. Her Majesty’s Stationary Office. London 1962, S. 201

34b) W.I.Lenin: Ursprünglicher Entwurf der Thesen zur nationalen und kolonialen Frage. In: W.I.Lenin Werke, Br. 31, Berlin 1959, S. 138f.

35) Siehe hierzu: Ulrich Huar: Stalins Beiträge zur marxistisch-lenistischen Militärtheorie und –politik 1918-1940. In: Schriftenreihe, a.a.O., Heft 114/1. Berlin Juli 2003, S. 39ff; oder: „offensiv“ Heft 12/03, S. 34ff.

35a) Siehe Llwellyn Woodward, a.a.O., S. 201

36) Konferenz, a.a.O., S. 101

36a) Siehe Llewellyn Woodward, a.a.O., S. 203

37) Konferenz, a.a.O., S. 103f.

38) Siehe Pautsch, a.a.O., S. 125-226

39) Ebd., S. 171f.

40) Ebd., S. 128ff und 180ff

40a) Falin, a.a.O., S. 22

41) Pautsch, a.a.O., S. 173f.

42) Radiosendung vom 29. 8. 1943. Nach Pautsch, a.a.O., S. 323

43) Zitiert nach Pautsch, a.a.O., S. 280.

44) Konferenz, a.a.O., S. 102

45) Ebd.

46) Ebd.

47) Ebd., S. 103

48) Ebd., S. 104