Zeitschrift für Sozialismus und Frieden                                                                                   7/2004

Herausgeber: Verein zur Förderung demokratischer Publizistik (e.V.)

Spendenempfehlung: 1,60 Euro

 

Ausgabe

September-Oktober 2004

 

Es thun die Herrschenden selbst, daß der kleine Mann ihnen feindt wird


 

Inhalt:

 

Redaktionsnotiz

Presseerklärung von Verteidigern der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte

Prozesse des Eigentümers des Sporthauses Ziegenhals gegen Verteidiger der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte

Nicaragua

Wolfgang Herrmann: Vor 25 Jahren siegte die Sandinistische Volksrevolution in Nicaragua

Probleme in der KP Luxemburgs

Jean-Marie Jacoby, Robert Medernach, Ali San: Offener Brief ans Zentralkomitee der KPL vom 28. Juli 2004

Zur politischen Ökonomie des Sozialismus

Kurt Gossweiler: Bemerkungen zur Diskussion über die politische Ökonomie des Sozialismus, insbesondere zu den Beiträgen von Hermann Jacobs

Erinnerung an Max Sievers

Gernot Bandur: Freidenker und Sozialist; Max Sievers zum 60. Todestag

Resonanz

Max: Die Offensiv-Hefte leisten zusätzlich einen wertvollen Beitrag

Heinz W. Hammer: Zur Zuschrift von Samy Yildirim »Zum Revisionismusheft« in »offen-siv« Nr. 06/2004

Hansi Oehme: Zum Revisionismusheft; bissige Antwort auf Genossen Yildirim

Gerald Hoffmann: Antwort auf Samy Yildirim

Wolfgang Herrmann: Mit Interesse lese ich „offen-siv“!

Hans Schröter: Mehr als nur problematisch

Ronny Hirsch: Probleme im Osten

Andrea und André Vogt: Vorbehaltlos und offen

Hansi Oehme: An Familie Lewander

 


Redaktionsnotiz

Ab und zu zitieren wir gern einmal alte, kluge Sätze, so wie z.B. den auf dem Titelblatt. Er stammt aus der Zeit der Bauernkriege in Deutschland, ist also fast 500 Jahre alt – und wenn man sich heute umschaut, muss man feststellen, dass er nicht weniger aktuell ist als zu seiner Entstehungszeit. Ähnlich verhält es sich mit der Forderung von damals: „Die Gewalt soll gegeben werden dem gemeinen Volke“. Dazwischen gehört – sozusagen als Vermittlungsschritt – folgendes Gedicht von Adolf Glasbrenner (1810 – 1876):

                                                  Der Reichtum und die Not

Es war’n einmal Bruder und Schwester                             Er fluchte und trat sie mit Füßen,

der Reichtum und die Not;                                                  er schlug ihr in’s sanfte Gesicht;

er schwelgte in tausend Genüssen,                                     sie fiel auf die Erde und flehte:

sie hatte kaum trocken Brot.                                               „Hilfst Du, oh Gott, mir nicht?“

Die Schwester diente beim Bruder                                    Das ist das Ende vom Liede,

viel hundert Jahre lang;                                                        vom Reichtum und der Not;

ihn rührt’ es nicht, wenn sie weinte                                    an einem schönen Morgen

noch wenn sie ihr Leiden besang.                                       schlug die Not ihren Bruder tot.

Es scheint, als wären solche oder ähnliche Gedanken und Gefühle bei recht vielen Menschen inzwischen vorhanden. Leider ist die Einsicht, dass jetzt erst das Wichtige, weil das Notwendige, kommen muss, weniger weit verbreitet. Doch nichts ist gewonnen, wenn es zwar dumpfen Unmut gibt, der sich in solchen Phantasien äußert wie: „...schlug die Not ihren Bruder tot“, die weiterführenden Fragen aber, wie man denn konkret die Not „totschlagen“,also aus der Welt schaffen kann, wie man die heute Herrschaft, also den Kapitalismus, überwindet und erst recht: was man dann tut, was danach kommt, wie die zukünftige Gesellschaft gestaltet werden soll – wenn all diese Fragen unklar und strittig, oder noch viel schlimmer, ungestellt bleiben oder gar bewusst vernebelt werden.

Wir erinnern in diesem Heft an die Volksrevolution in Nikaragua, die vor 25 Jahren den Sieg errang, führen die Ökonomiedebatte weiter (es lohnt sich wirklich, sich der Mühe zu unterziehen!), denken an Max Sievers, wie wir schon öfter Beiträge gegen das Vergessen gebracht haben, berichten über unschöne Vorgänge in der KP Luxemburgs und haben einen recht umfangreichen Teil „Resonanz“ ins Heft genommen, weil es viele inhaltliche Briefe gab. Man könnte diesen Teil des Heftes eigentlich schon mit dem Titel „Debatte“ überschreiben. Zu den Leserbriefen hier eine kurze Bemerkung: wir können nicht alle Briefe unserer Leserinnen und Leser bringen, denn dann wäre zu wenig Raum im Heft für die redaktionellen Beiträge. Deshalb müssen wir auswählen. Wir bitten all diejenigen, die mit ihren Leserbriefen nicht zur Veröffentlichung kamen, um Verständnis dafür! Und wir bitten Euch darum, uns trotzdem weiterhin zu schreiben, denn wir freuen uns über jede Art von Resonanz.

Den Verlauf der Spendenkampagnen für die Offensiv und die geplanten Publikationsprojekte dokumentieren wir am Schluss des Heftes. Ebenso dokumentieren wir dort die Kampagne „Pressefreiheit“. Zu diesem Thema findet Ihr auch gleich zu Beginn des Heftes eine Presseerklärung bisher Geschädigter. Redaktion Offensiv, Hannover


Presseerklärung von Verteidigern der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte

Prozesse des Eigentümers des Sporthauses Ziegenhals gegen Verteidiger der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte

Der derzeitige Eigentümer des Sporthauses Ziegenhals, der vor über einem Jahr die Ernst-Thälmann-Gedenkstätte widerrechtlich verschlossen hat, versucht mit kostenpflichtigen Abmahnungen, einstweiligen Verfügungen und Unterlassungsklagen Antifaschisten, die die Schließung der Gedenkstätte anprangern und ihn beim Namen nennen, mundtot zu machen. Ein Richter hat beim Prozess gegen die „junge Welt“ festgestellt, dass dieser Herr „flächendeckend gegen eine Vielzahl von Veröffentlichungen vorgegangen ist“, in denen sein Name im Zusammenhang mit der Schließung der Gedenkstätte genannt ist. Mit Hilfe der Gerichte will dieser hohe brandenburgische Ministerialbeamte die Meinungsfreiheit für Antifaschisten außer Kraft setzen, und die Pressefreiheit aushebeln. Und das ist ihm teilweise schon gelungen – auch wenn die Richter nicht allen seinen Darstellungen folgen konnten. Immerhin hat das Landgericht Berlin im Zuge der einstweiligen Verfügung gegen den Freundeskreis „Ernst-Thälmann-Gedenkstätte Ziegenhals“ im März 2004 die Aussage nicht verbieten können, „dass viele Beobachter geäußert hätten, dass eine abgekartete Aktion einflussreicher rechter Kreise zur Beseitigung der Gedenkstätte im Gange gewesen sei“.

Solidarität ist notwendig! Die Prozesse müssen von einer demokratischen Öffentlichkeit beobachtet werden!

Prof. Dr. theol. Heinrich Fink; Frank Flegel/Zeitschrift „Offensiv“; Dr. sc. Dr. h.c. Kurt Gossweiler; Dietmar Koschmieder/junge Welt; PDS Kreis Dahme-Spreewald; PDS Landkreisfraktion Dahme-Spreewald; Rolf Priemer/Zeitung der DKP „unsere Zeit“; Dr. Eva Ruppert; Egon Schansker; Horst Singer/Heimatspiegel (Dahme-Spreewald); Dr. Hans-Günter Szalkiewicz/DKP (Berliner Anstoß); Hans Wauer/KPD (Rote Fahne); Erika Wehling-Pangerl; Dr. Klaus Weidner/“Links der Dahme“

Die Unterzeichner sind alle selbst von kostenpflichtigen Abmahnungen, sonstigen Geldfor-derungen, einstweiligen Verfügungen oder Unterlassungsklagen betroffen.

Spendenkonto der Unterzeichner: J. Oehme, Kontonr.: 2083218202, BLZ: 250 206 00 (Allbank),  Kennwort: Ziegenhals.

Kontakt: Erika Wehling-Pangerl, Lilli-Henoch-Str. 17, 10405 Berlin, Tel. 030/7067562, Fax: 030/ 70206912, E-Mail: erikawp@gmx.de

P.S.: Am 5. Oktober 2004 haben stattgefunden die Prozesse gegen Erika Wehling-Pangerl (Unterlassungsklage), das Neue Deutschland (Hauptsacheverfahren gegen einstw.Verfügung) und den Freundeskreis „Ernst-Thälmann-Gedenkstätte Ziegenhals“ e.V. (Widerspruch gegen einstweilige Verfügung). Alle endeten mit dem Verbot, den Namen des Käufers zu nennen. Am 26.Oktober 2004 wird um 11.30 Uhr über die KPD/Hans Wauer (Unterlassungsklage) verhandelt.

 

Nicaragua

Wolfgang Herrmann: Vor 25 Jahren siegte die Sandinistische Volksrevolution in Nicaragua

Rückblick und Heute

Und Sandino sagte zu den Bauern: Eines Tages werden wir siegen. Und wenn ich es nicht mehr erlebe, kommen die Ameisen zu mir und werden es mir erzählen. Ernesto Cardenal

Der lange Weg zum Triumph

1961 gründete sich die FSLN als Guerillaorganisation. 1967, nach der Niederlage von Pancasán, ordnete sie ihre Kräfte neu. Der Guerillakampf sollte mit politischer Aufklärung im Volk verbunden werden. Dieser Prozeß ist eng mit dem Namen Carlos Fonseca verbunden. 1969 gab sich die FSLN das Historische Programm. Ein Gemeinwesen soll errichtet werden, wo Milch und Honig fließen. In den Jahren des Kampfes entstanden in der Frente drei Tendenzen: Die des langen Volkskrieges, die proletarische Tendenz und die der Aufständischen (Terceria).

Im Dezember 1974 schlossen sich auf Initiative des Zeitungsverlegers Pedro J. Chamorro kleine und mittlere Unternehmer, Gewerkschaften und die Sozialistische Partei Nicaraguas zur Nationalen Befreiungsunion (UDEL) zusammen. Sie gab sich ein Minimalprogramm. Es orientierte auf friedliche Aktivitäten zur Beseitigung der Somoza-Diktatur, verzichtete jedoch auf eine radikale Umwälzung der Gesellschaft.

Im Oktober 1977 bildeten führende Intellektuelle, Priester und Unternehmer eine Arbeitsgruppe, aus der die „Gruppe der Zwölf“ hervorging. Ihr gehörten unter anderem Sergio Ramírez, Ernesto und Fernando Cardenal an. Die Gruppe suchte eine Alternative zum Diktaturregime. Als zur gleichen Zeit die katholische Kirchenführung Nicaraguas und die UDEL zum Dialog aller oppositionellen Kräfte mit dem Diktator und zur friedliche Lösung der Probleme aufrief, konstituierte sich die „Gruppe der Zwölf“ öffentlich. Als einzige bürgerliche Opposition trat sie für die Beteiligung der FSLN an Gesprächen über die Zukunft Nicaraguas ein und bezeichnete den bewaffneten Kampf der Sandinisten als bedeutende patriotische Tat. In den folgenden Monaten wurde die „Gruppe der Zwölf“ offizieller Sprecher der FSLN und vertrat deren Interessen in der bürgerlichen Oppositionsbewegung.

Im Juli 1978 gründeten 22 Parteien und Organisationen die Volkseinheitsbewegung (MPU). Sie erklärten die einheitliche Aktion im ökonomischen, politischen und sozialen Kampf aller Schichten des Volkes. Das bürgerliche Lager reagierte. Seine Parteien und Gruppierungen bildeten die Breite Oppositionsfront (FAO). Zunächst waren in der FAO auch die Sozialistische Partei Nicaraguas, die Gewerkschaften und die „Gruppe der Zwölf“ präsent. Sie verließen diese aber als klar wurde, daß es der FAO um die Rettung des kapitalistischen Systems nach dem von der US-Administration entworfenen Konzept des „Kapitalismus ohne Somoza“ ging. Im Herbst 1978 hatte Humberto Ortega von der Terceria, später Mitglied der Nationalleitung der FSLN und Verteidigungsminister, den Plan der Endoffensive ausgearbeitet. Ende 1978 vereinigten sich die drei Tendenzen der FSLN unter einer gemeinsamen Nationalleitung. Im Februar 1979 organisierten die Mitglieder der MPU sowie die aus der FAO ausgetretenen politischen Kräfte, Parteien und Einzelpersönlichkeiten die Nationale Patriotische Front (FPN). Die Gründung der FPN bedeutete die Verwirklichung der von der FSLN seit 1977 angestrebten breiten Antidiktaturfront, in der sich Vertreter unterschiedlicher sozialer Stellungen und weltanschaulicher Ansichten im Kampf gegen die Diktatur vereinten.

Die Endoffensive

Anfang 1979 verfügte die FSLN über ein beachtliches militärisches Potential. Die nordöstlichen Berg-regionen von Bocay und Pancasán, Zinica und Cuscawás hatte sie bereits im Griff. Dort operierte die Front “Pablo Ubeda“. Es formierten sich die Westfront „Rigoberto López“, die Ostfront „Roberto Huembes“, die Front „Nueva Guinea“, die Südfront „Benjamin Zeledon“ und die Zentralfront „Camilo Ortega“.

Im Mai wurden die Angriffe der Frente vom bewaffneten Volksaufstand und vom Generalstreik begleitet. Große Bedeutung für die Endoffensive besaß die immer stärker werdende internationale Solidarität mit dem kämpfenden Nicaragua. Außerdem geriet die Somoza-Diktatut mehr und mehr in die internationale Isolierung.

Mitte Juni 1979 bildeten in San José (Costa Rica) auf Initiative der FSLN alle in Opposition zum Somoza-Clan stehenden politischen Kräfte den Regierungsrat der Nationalen Erneuerung (JGRN). Seine fünf Mitglieder brachten ihre Entschlossenheit zum Ausdruck, nach dem Sturz der Diktatur einen Prozeß umfassender gesellschaftlicher Umwälzungen einzuleiten. Die bürgerlichen Vertreter brachen dann später das Abkommen und stellten sich diesem Prozeß entgegen.

Im Juni erhob sich das Volk von Managua und León. Die Aufstände dehnten sich auf Chinandega und Rivas aus. Als erste größere Städte wurden León und Chichigalpa genommen. In den strategisch bedeutsamen Orten Estelí, Nueva Segovia, El Naranjo und Jinotega kontrollierte die FSLN das Geschehen. Die Städte Matagalpa, Ocotal, Masaya und Granada fielen in ihre Hand. Im Süden eroberten die Aufständigen die Orte Miraflor, Cardenas und San Emilio. Damit wurde der Weg in die Hauptstadt Managua frei.

Am 19. Juli 1979 war es soweit. Kommandos der Frente Sandinista de la Liberación Nacionál (FSLN) zogen in Managua ein. Sie wurden von den Hauptstädtern gefeiert. Im „Canto Epico“ werden die Ameisen besungen. Sie kamen zu Agusto Cesar Sadino, dem legendären Volksgeneral, und meldeten ihm: „General! Befehl erfüllt! Nicaragua ist frei!“.

Nationale Erneuerung und Konterrevolution

Der Regierungsrat der Nationalen Erneuerung (JGRN) nahm seine Arbeit auf. In ihm waren die Nationalleitung der FSLN mit Daniel Ortega, die Verbündeten der FSLN mit Sergio Ramirez und Moises Hassan sowie das bürgerliche Lager mit Violeta Chamorro und Alfonso Robelo vertreten.

Eines der ersten Dekrete war das Gesetz über die entschädigungslose Enteignung der Güter der Familie Somoza und ihrer Helfershelfer. Dieses Gesetz und seine Vollstreckung sorgte für die späteren Spannungen zwischen Sandinistischer Regierung und bürgerlicher Opposition. Es war von den bürgerliche Vertretern der JGRN mit unterschrieben worden. Das konfiszierte Eigentum wurde an neu gegründete staatliche Betriebe oder Landgüter beziehungsweise an besitzlose Landarbeiter übergeben. Das widersprach den Interessen der nationalen Bourgeoisie. Die bürgerlichen Vertreter verließen dann auch 1980 den Regierungsrat. Es begann zunächst die schleichende Konterrevolution, die nach dem Antritt Reagans als USA-Präsident in die offene überging.

Trotzdem initiierte die Sandinistische Regierung ein weitreichendes Reformprogramm. Sie verstaatlichte die Banken, gründete die Sandinistische Volksarmee und die Sandinistische Polizei und organisierte die nationale Alphabetisierungskampagne. Der freie Zugang zur medizinischen Versorgung, der kostenlose Unterricht in den Schulen und Universitäten wurden eingeführt. Das Land sollte nach drei Prinzipien regiert werden: Gemischte Wirtschaft, Blockfreiheit und politischer Pluralismus.

Contra-Banden begannen das Land, vor allem den Norden, unsicher zu machen. Die Brigadisten der Alphabetisierung und die Gesundheitshelfer waren ihre ersten Opfer. 1984 verminten Kommandos des CIA die Häfen des Landes. Nicaragua protestierte vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag. Die USA mußte die Verminung der Häfen aufheben.

Im gleichen Jahr fand in Nicaragua die Wahl zur Nationalversammlung statt. Die FSLN gewann die Wahl. Daniel Ortega, der Vorsitzende des bisherigen Regierungsrates und Koordinator der Nationalleitung der FSLN wurde Nicaraguas Präsident. Der Regierungsrat stellte seine Arbeit ein. Bis dahin war er das höchste Organ der Legislative und Exekutive gewesen.

1985 verhängte Reagan das Wirtschaftsembargo gegen Nicaragua und ließ den Kongreß weitere 120 Millionen Dollar für die Unterstützung der Contra beschließen. Die Sandinistische Regierung mußte strenge Maßnahmen zur wirtschaftlichen Anpassung im Lande verkünden. Die Bevölkerung litt unter der erheblichen Rationalisierung. Die Inflation erreichte astronomische Höhen. Um den Contras zu begegnen, rekrutierte die FSLN Tausende Jugendliche, Hunderte von ihnen fielen in den  Kämpfen.

In dieser komplizierten Situation organisierte die FSLN den Verfassungsprozeß. Am 9. Januar 1987 setzte Präsident Daniel Ortega mit seiner Unterschrift die Carta Magna in Kraft.

Weltweite Sympathie und Solidarität

Die Sandinistische Volksrevolution genoß weltweite Sympathie und Solidarität. Im Verlauf der 80er Jahre wurde diese jedoch differenzierter. Die von der US-Administration ausgehende Verteufelung des von den Sandinisten regierten Nicaragua als Teil des „Reiches des Bösen“ verfehlte ihre Wirkung nicht. Die westlichen Länder zogen sich von der wirtschaftlichen Unterstützung zurück. Trotzdem halfen Tausende „Brigadistas“ dem Land. Unter ihnen der junge deutsche Kommunist Berndt Koberstein, der am 28. Juli 1986 von Contras bei Wiwili ermordet wurde. (Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof in Matagalpa. In der Stadt gibt es eine Berndt-Koberstein-Schule. Sie wird von der DKP unterstützt. In der nächsten Zeit sind Renovierungsarbeiten in einem Wertumfang von 30 000 Dollar notwendig.)

Die sozialistische Staatengemeinschaft unterstützte Nicaragua am nachhaltigsten. Dabei nahm die Solidarität der DDR für Nicaragua einen bemerkenswerten Platz ein. Sie zeigte sich in solchen Projekten wie das Hospital „Carlos Marx“ und das Ausbildungszentrum „Ernesto Thälmann“. Die LKW-Typen W 50 und Robur gehörten zum Straßenbild in Nicaragua. Hunderte von Spezialisten waren in der Industrie, der Landwirtschaft und dem Bildungswesen tätig.

Ende 1987 setzte der Prozeß von „Escipulas II“ ein. Die Regierungen der zentralamerikanischen Länder wollten Frieden in der Region. Die USA-Administration sorgte dafür, daß dieser Prozeß in die von ihr gewünschte Richtung lief. In Sapoá begannen die Verhandlungen der Nationalleitung der FSLN mit der Leitung der Contras über die Einstellung des Krieges.

Über die Sandinistische Volksrevolution und die Sandinistische Front der Nationalen Befreiung sind viele Legenden gewoben worden. Oft wurden ihnen eine andere Bedeutung gegeben als sie hatten. Die Sandinistische Volksrevolution war keine sozialistische. Die Sowjetunion und die sozialistischen Länder wurden zwar als strategische Verbündete betrachtet, man orientierte jedoch nicht auf den Sozialismus. Die FSLN war und ist keine sozialistische Partei. Sie hatte auch nicht die Absicht, eine zu werden. Die Ideologie der FSLN war und ist der Sandinismus. Darunter versteht sie ein Ideengut aus Christentum und Marxismus.

Die FSLN war zur Zeit des Sieges eine politisch-militärische Organisation. In ihrer Regierungszeit ging sie daran, die politischen und militärischen Strukturen zu trennen. Die politische Organisation sollte sich zur Sandinistischen Volksfront entwickeln. Die Geschichte gab der Frente nicht die erforderliche Zeit, ihr Historisches Programm von 1969 einzulösen und die dafür von ihr gedachten Strukturen aufzubauen.

Die Wahl 1990

Die nationale Bourgeoisie unterstützte 1979 die FSLN, um den Diktator los zu werden. Elf Jahre später schmiedete sie die Allianz, um die Sandinisten von der Macht zu verdrängen. Die FSLN verlor 1990 die Wahl nach der Verfassung, die sie selbst ins Leben rief. Sie mußte gegen eine Allianz bestehend aus 18 Parteien antreten. In der Allianz „vereinigten“ sich Konservative, Christdemokraten, Liberale, Sozialdemokraten, Anhänger Zentralamerikas, Sozialisten, Kommunisten und Trotzkisten. Die Schirmherrin der Allianz, Violeta Chamorro, wurde Präsidentin Nicaraguas. Nach der Wahl zerfiel die Allianz.

Die neue Regierung verkündete, daß für Nicaragua ein neues Zeitalter beginnen würde. Man sprach von der Befreiung des Volkes von zwei Diktaturen und zwei Bürgerkriegen. Die bürgerlichen Parteien glaubten den von der US-Administration und der Regierungen der westlichen Ländern abgegebenen Versprechen auf Unterstützung. 1991 besuchte Präsidentin Violeta Chamorro die Bundesrepublik Deutschland. Bundeskanzler Helmut Kohl lobte die demokratische Erneuerung des Landes als einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung Zentralamerikas und sagte wirtschaftliche Hilfe zu. Diese verband er aber mit der Forderung, die Verschuldung abzubauen. Er soll 780 Millionen Dollar eingefordert haben. Davon stammten 730 Millionen aus Krediten und Schenkungen der DDR. So wurde aus der „staatlich verordneten Solidarität“ der DDR für Nicaragua eine freiheitlich-demokratische Spende für die Bundesrepublik Deutschland.

Nach der Wahlniederlage ging die FSLN daran, sich als Partei zu konstituieren. Sie wurde die größte Oppositionskraft. Im Mai 1991 fand der I. Ordentliche FSLN-Kongreß statt. Er erarbeitete Linien für die „Transformation der Frente Sandinista unter den neuen Bedingungen“. Die Frente mußte entscheiden, ob sie den Weg einer revolutionären oder traditionellen Partei geht. Die Mehrheit verständigte sich darauf, daß die neoliberale Hegemonie eine revolutionäre Antwort verlangt. Der Kongreß war eine Veranstaltung der taktischen Einheit. Er stoppte die Meinungsvielfalt, privilegierte aber die Ortega-Strömung. Die Mehrheit der Delegierten wählten Daniel Ortega zum Generalsekretär. Die Nationalleitung hatte aufgehört zu existieren. Sie besaß eine außerordentliche Quellefunktion und war ein Beispiel für Konsens.

1994 fand der I. Außerordentlicher Kongreß der FSLN statt. Er beschloß, das Statut und das Programm den Gegebenheiten anzupassen, „um die Einheit der Prinzipien und historischen Grundlagen der Frente Sandinista zu gewährleisten“.

In der Zeit zwischen I. Ordentlichen und I. Außerordentlichen Kongreß spielten sich in der FSLN Machtkämpfe ab. Es entstanden Fraktionen und politische Gruppierungen. Die Frente verlor gute Leute. Sergio Ramirez, unter Daniel Ortega Vizepräsident, verließ 1994 die FSLN und gründete die Sandinistische Erneuerungsbewegung. Ihm gleich tat es Dora Maria Tellez, Gesundheitsministerin im Ortega-Kabinett. Sie wurde Vorsitzende dieser Bewegung. Die Priesterbrüder Ernesto und Fernando Cardenal, Minister in der Sandinistischen Regierung, zogen sich ebenfalls aus der FSLN zurück. Henry Ruiz, Jaime Wheelock und Luis Carrión, alle früher Mitglied der Nationalleitung, gingen auf Distanz. Die FSLN vollzog eine Wandlung. Sie ist heute nicht mehr die der revolutionären Zeit. 1992 beantragte die FSLN die Aufnahme in die Sozialistische Internationale. Die Aufnahme zog sich in die Länge. Die Frente mußte erst nachweisen, daß sie die Wandlung zu einer Partei sozialdemokratischer Prägung vorgenommen hatte. 1996 befand man sie für „würdig“ und nahm sie auf.

Für die Präsidenschaftswahlen 1996 schickten die Liberalen Arnoldo Alemán und die Sandinisten Daniel Ortega ins Rennen. Der II. Außerordentlicher Kongreß der FSLN 1996 beschloß die Kandidatenliste, die Wahlplattform und eine Politik der Allianz. Die FSLN nahm erneut Gespräche mit Führern der Ex-Contra auf. Sie wollte einer Rekrutierung durch nordamerikanische Werber im Falle eines erneuten Machtantritts der Frente vorbeugen. Es grassierten Drohungen der USA-Administration, bei einem Wahlsieg der FSLN einzugreifen. Im Wahlkampf waren den Liberalen alle Mittel recht. Sie erfanden Massengräber mit Opfern, die auf das Konto der Frente gehen sollten. Die Liberalen gewannen die Wahlen. Alemán wurde Präsident. 1997 handelte Daniel Ortega einen Kompromiß mit Alemán aus. Die Aktion war umstritten, ihr eigentlicher Sinn unklar. Es wurde davon gesprochen, daß sie damit zu tun gehabt hätte, den Vorwurf des Wahlbetruges der Liberalen zu entkräften.

1998 verwüstete der Hurrikan Mitsch weite Teile des Landes. Millionen an Spendengeldern sollen in die Taschen Alemáns geflossen sein. Die Korruption bekam ihre Blütezeit. Bankdirektoren wurden die größten Schuldner der von ihnen geleiteten Banken, bei der Privatisierung der verstaatlichten Betriebe standen die Verwandten und Freunde der Herrschenden an erster Stelle der Begünstigten. Die knappen Agrarkredite gingen nicht an die Kleinbauern, die nachweislich die besseren Zahler waren, sondern an die Latifundisten, die ihre Schulden nicht zurückzahlten.

Im Mai 1998 fand der II. Ordentliche FSLN-Kongreß statt. Er bestätigte ein politisches Programm, das auf die sandinistische Einheit orientierte: „Die Menschen wollen einen vereinten Sandinismus. Sie wollen kämpfen und sich wehren gegen den Neoliberalismus.“ Das Programm ist nicht die Fortsetzung des Historischen Programms von 1969. Die FSLN Daniel Ortegas verabschiedete sich vorläufig von ihrem früheren revolutionären Projekt. Im November 2000 gewann die FSLN Kommunalwahlen in Hochburgen des Landes. Auch die Hauptstadt Managua bekam wieder einen sandinistischen Bürgermeister.

Der III. Außerordentlicher Kongreß der FSLN im Februar 2001 beschloß die Kampagne „Die Nicaraguaner auf ein hohes Niveau des Fortschritts und des Wohlstandes durch die Mitarbeit aller zu führen“. Mit dieser Orientierung ging die FSLN in die Wahlen. Obwohl sie in den Meinungsumfragen bis September 2001 immer vorn lag, verlor sie zum dritten Mal in Folge. Die taz schätzte dazu ein: Bolaños‘ drei „Wahlhelfer“ waren stärker. Als erste griffen ihm die USA unter die Arme. Als es im Juli so aussah, als könnte Ortega einen lockeren Sieg einfahren, weil sich die rechten Stimmen auf Bolaños und den konservativen Kandidaten Noel Vidaurre verteilten, schickte Washington einen Abgesandten. Der drängte Vidaurre zum Rückzug. Auch danach blieben die USA präsent. Mehrfach warnte der US-Botschafter, man sehe in Washington einen sandinistischen Wahlsieg nicht gern. Die Anschläge vom 11. September gaben ihm Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß sich Ortega im Kreis von „Terroristenfreunden“ wie Muammar al-Gaddafi oder Saddam Hussein bewege. Was es bedeutet, wenn die USA Jagd auf Terroristen und ihre Freunde machen, wissen die Nicaraguaner nicht erst seit dem Afghanistankrieg. Der Contrakrieg der 80er Jahre gab ihnen eine konkrete Vorstellung davon. Viele hatten also Angst. Sie wurde der zweite Helfer von Bolaños. Die Hilfe seines dritten Verbündeten wäre da schon fast nicht mehr nötig gewesen. Miguel Obando y Bravo, der rechte Erzbischof von Managua. In seiner letzten Messe vor der Wahl rief er dazu auf, das Kreuz unter dem Namen Bolaños zu machen. Weiter urteilte taz, daß die Wahlniederlage der Sandinisten auch ein erster Erfolg der neuen Lateinamerika-Riege des US-Präsidenten Bush gewesen sei. Die FSLN hätte ihre Symbolik und Programmatik seit dem Ende der revolutionären Regierung 1990 bis zur Unkenntlichkeit verändert.

Nicht so in Washington. Hier schien die Zentralamerika-Politik das Ende des Kalten Krieges nicht mitbekommen zu haben. Offen wurden für den Fall eines sandinistischen Wahlsieges negative Konsequenzen angedroht.

Die FSLN hatte es nicht geschafft, sich als glaubwürdige Alternative aufzubauen, deren Regentschaft das Los der Nicaraguaner verbessern würde.

Der III. Ordentliche Kongreß der FSLN tagte am 16. und 17. März 2002. Daniel Ortega gelang ohne große Überraschungen die Wiederwahl als Generalsekretär. Die 560 Kongreßteilnehmer nahmen alle von Ortega vorgeschlagenen Änderungen des Statuts, der Strategie und des Programms an. Statt der Nationalleitung wurde ein Sandinistischer Nationalrat gewählt. 14 der 15 von Ortega vorgeschlagenen Mitglieder der neuen Parteiführung wurden bestätigt. Der Kongreß beschloß eine neue Zusammensetzung der Sandinistischen Versammlung. Der Kongreß entschied, den Dialog mit den kritischen Sandinisten zu führen.

Das neue Zeitalter

Die Politik der Allianz und der Liberalen bekam dem nicaraguanischen Volk nicht gut. Nach den Indikatoren der Vereinten Nationen für menschenwürdige Entwicklung nahm Nicaragua 1990 den 85. Rang unter den beobachteten Ländern ein. 1999 lag es auf Rang 126. Nicaragua ist heute eines der ärmsten Länder Lateinamerikas. Nur jeder vierte Nicaraguaner hat Arbeit, jeder zweite ist wieder Analphabet.

Am 22. Juli 2002 berichtete Channel 4 TV und Radio La Primerísima darüber, daß Allen Claire Duncan, einer der Führer der indigenen Gemeinde in Monkey Point in der Autonomen Südatlantikregion (RAAS), Plan-Puebla-Panamá-Treffen in Managua genutzt hätte, um das illegale Verhalten örtlicher Mitglieder der nicaraguanischen Armee lautstark anzuprangern. Sie würde bewaffnete Banden organisieren, die Drogen auftrieben, die an den Stränden der Atlantikküste auftauchten. Drogenhändler, die zwischen den USA und Kolumbien ihren Geschäften nachgingen, benutzten nicaraguanische Gewässer und küstennahe Inseln als Zwischenstationen für ihren Handel. Viele Küstengemeinden hingen zunehmend von Drogen ab, um ihren Lebensunterhalt zu fristen. Bayardo Izabá vom Nicaraguanischen Menschenrechtszentrum (CENIDH) erklärte dazu, daß "viele Gemeinden, so wie die in Monkey Point, an solche Vorfälle gewöhnt sind. Im allgemeinen beschließt die Gemeinde dann, die Schmuggelware zu verkaufen und das Geld für alle möglichen Gemeinde-Projekte zu benutzen, von Schenkungen an Kirche und Staat bis zum Bau von Schulen. Auch wenn wir es nicht billigen können, derartiges ist zu einem ganz normalen Vorgang geworden."

Tage später, am 28. Juli 2002, war in La Prensa zu lesen daß 45 Mitglieder des Regionalrats der Autonomen Nordatlantik-Region (RAAN) beschlossen hätten, die Bolaños-Regierung aufzufordern, die kürzlich erteilte Erlaubnis für Öl-Probebohrungen in der Meeres-Biosphäre von Miskito Keys sofort zu stoppen. Ratspräsident Juan Saballos Osorno sagte: „Präsident Bolaños hat uns bei seiner Vorankündigung vollständig übergangen. Dabei haben wir in dieser autonomen Region das Sagen. Entweder sie respektieren das, oder wir lassen hier keinen herein." Die Ratsmitglieder erklärten das Vorgehen des Präsidenten für verfassungswidrig und beriefen sich dabei auf Artikel 181 der "Magna Carta" Nicaraguas, die "die Regionalregierungen allein ermächtigt, Konzessionen für die Nutzung der Naturressourcen an der Atlantikküste zu erteilen."

Im Februar 2003 bekam Nicaragua Ärger mit dem Weltwährungsfonds (IWF). Streitpunkt war der vom Parlament verabschiedete Haushalt für das laufende Jahr. Der Etat überschritt die Grenzen, die in einem Abkommen mit dem IWF festgelegt wurden. Auch im Bereich der Schuldenzahlung wurden "unzulässige Modifikationen" vorgenommen, die Nicaragua mit einem Stopp der Finanzhilfe drohten. Außerdem konnte das Land die Vorzüge verlieren, die ihm im Rahmen der Initiative für höchst verschuldete Länder zustehen.

Nicaragua ist einer der vier Staaten der Region, der in diese Kategorie fällt. Laut einem Beschluß der G-7 von 1999 sollen diesen Ländern Schulden in Höhe von 100 Milliarden Dollar erlassen werden. Im Dezember 2002 hatte die Nationalversammlung einen Staatshaushalt von 936,8 Millionen Dollar bewilligt. Aus dem von Präsident Enrique Bolaños vorgelegten Etat wurde unter anderem der Posten zur Bezahlung der 24,5 Millionen US-Dollar Zinsen für die 1,69 Milliarden Dollar Inlandsschulden gestrichen.

Nicaragua hatte mit dem IWF am 4. Dezember 2002 ein Abkommen über 1,2 Milliarden Dollar Finanzhilfe für drei Jahre unterschrieben. Der Chef der Nicaragua-Mission des IWF, Ken Yagi, erklärte dazu, daß diese Zahlungen nur eingehalten würden, wenn Nicaragua die Übereinkunft "wortwörtlich" einhalte. Er verwies darauf, daß die Regierung bis zur vereinbarten Kontrolle im März 2003 Zeit habe, den Haushalt zu prüfen.

Der Nicaragua-Verein informierte, daß im November und Dezember 2003 Nicaragua eine beispiellose Krise erlebte. Präsident Bolaños will das Land der US-Administration unterwerfen. Sein wegen Korruption verurteilter Vorgänger Alemán will die ergaunerten Reichtümer behalten. Daniel Ortega manövriert dazwischen, um seine immer noch große Macht nicht zu verlieren. Die FSLN unterstützte die Regierung Bolaños lange Zeit im Parlament. Bolaños brauchte diese Unterstützung, weil er aus der Parlamentsfraktion seiner Partei PLC nur eine kleine Gruppe hinter sich sammeln konnte. Die große Mehrheit seiner Fraktion stand hinter Alemán.

Im November 2003 besuchte US-Außenminister Colin Powell Nicaragua. Er forderte die PLC auf, sich zusammenzuschließen und gemeinsam gegen die FSLN vorgehen, die staatlichen Institutionen von Sandinisten zu säubern, Alemán außer Landes zu bringen, die Armee zu entwaffnen und abzubauen. In dieser turbulenten Lage wachsenden Druckes aus Washington, eines politischen Überlebenskampfes von Bolaños, von Gerüchten über einen Staatsstreich einerseits und Aufforderungen zum Eingreifen der Armee andererseits, vor allem aber einer unglaublichen Welle der Empörung immer breiterer Sektoren des Volkes gegen diese Machenschaften verhandelten Alemán und Ortega hinter dem Rücken der Öffentlichkeit, um für sich einen Ausweg zu finden. Für sie ging es jetzt um Alles: neue Wahltermine, neue Zusammensetzung des Obersten Gerichtshofes, Neuwahl des Parlamentspräsidiums, Freispruch von Alemán, Änderung der Verfassung.

In einem Manifest, das unter anderem Henry Ruiz, Monica Baltodano und Victor Hugo Tinoco unterzeichneten, heißt es über Arnoldo Alemán und Daniel Ortega: "Beide Caudillos mißbrauchen den Willen der Mehrheit unter dem Deckmantel ihrer gewählten Vertreter, um einen neuen Typ von Diktatur zu errichten, und sie schaffen so die objektiven Voraussetzungen für eine neue Spirale der Gewalt im Lande."

Am 4. Dezember 2003 gab Bolaños eine Erklärung ab, in der er sich auf die Seite der Massen stellte. Er kündigte eine Gesetzesvorlage zur Reform der Justiz und der Wahlgesetze an. Daniel Ortega hatte der Sache der FSLN keinen guten Dienst geleistet. An der Basis haben sich inzwischen viele Organisationen zur Verteidigung der grundlegendsten Bedürfnisse der Menschen gegründet.

Am 25. März 2004 erschütterte ein Überfall von etwa 300 Anhängern Alemáns auf mehrere Richter die Nationalversammlung in Managua. Im Parlament sollte an diesem Tag ein Gesetzentwurf beraten werden, mit dem die rechte Parlamentsmehrheit die während der Revolutionszeit eingestellten Richter loswerden wollte. Zwei Wochen vorher war Ex-Präsident Alemán aus seiner Ranch "El Chile" auf Anordnung der Richterin Dr. Ileana Pérez in ein staatliches Gefängnis verlegt worden. Pérez und mehrere ihrer Kollegen wurden von der Alemán-Schlägertruppe auf den Zuschauerrängen des Parlaments angegriffen und verletzt. Studierende der Zentralamerikanischen Universität verteidigten die Richter. Aufstands-bekämpfungseinheiten umstellten daraufhin die Universität.

Die Vorfälle geschahen, als in Managua der 6. Tuxtla-Gipfel stattfand, ein seit 1991 stattfindender Dialogprozeß zwischen den fünf Staaten des Zentralamerikanischen Integrationssystems (SICA), Mexiko, der Dominikanischen Republik und Belize. Die Teilnehmer berieten über eine Vertiefung der Integration und Infrastrukturmaßnahmen im Rahmen des "Puebla-Panama"-Plans. Dieser sieht die gegenseitige Hilfe bei Korruptionsfällen und die Flexibilisierung von Krediten im Rahmen des "Abkommens von San José" vor, die Mexiko und Venezuela den ärmeren Staaten der Region anbieten. Mexikos Präsident Fox drängt auf eine engere Kooperation der Region, ohne auf eine von den USA unabhängige Entwicklung zu setzen.

Im Mai 2004 berichtete unsere zeit, daß Nicaragua mit der Vernichtung von 350 seiner 2.174 Flugabwehrraketen des sowjetischen Typs SAM-7 beginnt. Das entschied Präsident Enrique Bolaños. Vorausgegangen war ein Parlamentsbeschluß ohne Beteiligung der FSLN. Insgesamt könnten in absehbarer Zeit 30 Prozent des Arsenals eliminiert werden. Nach offizieller Lesart soll dieser "Akt des guten Willens" die Nachbarstaaten Honduras, El Salvador und Guatemala zu einer ausgewogenen Abrüstung im Rahmen des Zentralamerikanischen Integrationssystems (SICA) anregen.

Auf der 13. Tagung der Konferenz der Streitkräfte Zentralamerikas (CFAC) in Managua freuten sich die anderen Länder zwar über Nicaraguas Abrüstung, taten aber selbst nichts dafür. Außer Nicaragua waren die Armeen der zentralamerikanischen Länder stets Verbündete der USA, besonders im Krieg gegen die Befreiungsbewegungen der FMLN und URNG sowie im Contrakrieg gegen die in Nicaragua regierende FSLN. Aus der stammen noch immer die führenden Offiziere, weshalb die USA den ihr hörigen Bolaños in die Konfrontation mit der Armee trieb. Dazu kam eigens US-Außenminister Colin Powell vor sechs Monaten nach Managua. Er warnte, die SAM-7 könnten in Terroristenhand gelangen. Zum Empfang Powells für die Parlamentsparteien waren die Sandinisten nicht eingeladen. Bereitwillig plapperte wenige Tage später der Armeechef Kolumbiens General Carlos Alberto Ospina aus, die FARC wollten die SAM-7 kaufen. Der Gag der Geschichte ist, daß der letzte große Waffenschmuggel aus Nicaragua, eine Ladung Kalaschnikows samt Munition aus Polizeibesitz, vor wenigen Jahren nicht in die Hände linker Organisationen oder Washington feindlich gesinnter Terroristen fiel, sondern bei den faschistischen Paramilitärs der AUC in Kolumbien ankam.

Armee und Sandinisten verwiesen auf die alleinige Verfügung des Parlaments über Staatseigentum, also auch die SAM-7. Aber nachdem Anfang des Jahres die Rechtsparteien im Schulterschluß mit US-Botschafterin Barbara Moore die Mitglieder des Parlamentspräsidiums benannt hatten, konnten nun die US-hörigen Abgeordneten der liberalen PLC und der evangelischen CCN den Beschluß zum politischen Abschuß der SAM-7 und der Souveränität Nicaraguas auf die Tagesordnung setzen und verabschieden.

Von Waffenbrüderschaft mit Managua wollen die USA also nichts wissen. Ganz im Gegenteil. Sie wollen die volle Kontrolle über die Armee Nicaraguas. Im Prozeß der politischen Restauration in Nicaragua gab das Land seine Souveränität an Washington ab. Moderne Waffen scheinen nur im Rahmen einer von den USA beherrschten Militärkonzeption für ganz Zentralamerika erhältlich zu sein. Die USA lassen die Interessenten noch zappeln. Erst müssen sie zeigen, wie weit sie sich unterordnen.

Junge Welt berichtet am 26.05.2004 darüber, daß Studenten in Nicaragua gegen die Kürzung des Bildungsetats demonstrierten. „Während die Bevölkerung auf den Straßen ihr Recht einfordert, reist unser Präsident nach Spanien, um irgendwelchen Hochzeiten beizuwohnen“, erregt sich der Vorsitzende des Studentenverbandes UNEN in Nicaragua, Yasser Martínez. Studierende und Lehrpersonal hatten gegen die immer weiter schwindenden Bildungsausgaben protestiert. Zwar wurden die Forderungen der Universitäten von umgerechnet 59,6 Millionen US-Dollar um gut fünf Millionen US-Dollar reduziert. Die Bolaños-Regierung aber beharrte weiter auf einem weit niedrigeren Haushaltsposten. Nach ihren Angaben werden für Schulen und Universitäten im laufenden Haushaltsjahr 46,6 Millionen US-Dollar verwandt. Der Nationale Universitätsrat (CNU) jedoch sprach von 33,2 Millionen US-Dollar.

Vorausgegangen waren die schwersten Unruhen in Nicaragua seit Jahren. Bei Zusammenstößen zwischen Studierenden und der Polizei wurden 40 Menschen auf beiden Seiten zum Teil schwer verletzt, ein Polizist starb. Während Regierung und Polizeiführung die Demonstranten für die Gewalt verantwortlich machen wollten, sprachen schon die Pressemeldungen gegen eine solche einseitige Schuldzuweisung. Die verheerenden Ergebnisse der vergangenen Bildungskürzungen belegte zuletzt eine Studie der privaten lateinamerikanischen Stiftung „Eduquemos“. Nach einer Untersuchung aus dem Jahr 2002 erreichten über 60 Prozent der Grundschüler in Nicaragua das niedrigste Bewertungsniveau, in Mathematik waren es fast 90 Prozent. „Was aber bringt einem Land eine Bevölkerung mit einem solchen Bildungsniveau, wenn Nicaragua bald Teil des Freihandels mit den USA sein wird?“, kommentierte eine Sprecherin der Stiftung dieses Ergebnis zu Wochenbeginn.

Was ist von der Sandinistischen Volksrevolution geblieben?

Ernesto Cardenal: Die Revolution war das größte historische und kulturelle Ereignis in Nicaragua, das Ende einer Diktatur von 50 Jahren. Zum ersten Mal gab es Freiheit und Demokratie. Das Volk fühlte das erste Mal so etwas wie nationale Identität, Kameradschaft, Brüderlichkeit, großen Idealismus und Liebe, aber auch Großzügigkeit und Opferbereitschaft. Davon ist viel geblieben, wenngleich ein großer Teil der Errungenschaften des Sandinismus verlorengingen. Geblieben ist jedenfalls die Agrarreform. Wirklich ernste Fehler der Sandinisten gab es nicht, die wir begangen hätten. Es gab Irrtümer, wie jedes menschliche Werk von Irrtümern begleitet ist. Aber grundsätzliche Fehler kann ich nicht erkennen. Es hat viel Selbstkritik gegeben. Von Überheblichkeit war die Rede, Entfernung vom Volk, Bürokratie, und so weiter. Aber meiner Ansicht nach hat davon nichts zur Wahlniederlage geführt, sondern die Einmischung der US-Regierung mit einen achtjährigen Krieg und der Wirtschaftsblockade, was die Wirtschaftskrise verursachte und viele junge Leute in den Tod führte.

Sergio Ramírez: Zwei wichtige Dinge sind für mich geblieben in Nicaragua. Zum einen das Gefühl demokratischer Teilnahme, das freie Recht der Meinungsäußerung, seine Meinung frei und ohne Angst äußern zu können. Das ist der Zement für eine Basis der Demokratie, bis heute. Und zum zweiten die Agrarreform, die tief ging und nicht rückgängig zu machen ist. Für mich gibt es einen fundamentalen Irrtum der Revolution. Das politische Projekt stützte sich auf eine Ein-Parteien-Bewegung. Die Demokratie war zweitrangig. Die Hegemonie einer Partei wurde nie vom Volk akzeptiert. Der Krieg hat wesentlich zur Niederlage der Sandinisten beigetragen, aber auch der grundsätzliche Irrtum des politischen Projekts.

Henry Ruiz: Wir hatten die Arbeitslosenrate auf 12, 7 Prozent reduziert. Das zweite ist die Umschichtung des Landbesitzes. Die Konzentration des Landbesitzes in wenigen Händen bremst den Fortschritt. Und das Dritte ist die nationale Würde, die nationale Unabhängigkeit. Beides gab es in der Sandinistischen Revolution. Uns ist es nicht gelungen Kapital zu akkumulieren. Unsere Investitionen waren sehr teuer und brachten wenig. Die Leute mußten einen höheren Lebensstandard bekommen, was nicht gelang. Wir haben das Vorhandene gerechter verteilt, da gab es Fortschritte. Aber insgesamt ging das Angebot von Gütern und Dienstleistungen zurück.

Das Sandinistische Projekt wurde unterbrochen. Inwieweit die FSLN eine neue Chance erhält, bleibt abzuwarten. Die größte politische Herausforderung wird darin bestehen, daß die sandinistischen Kräfte, die innerhalb oder außerhalb der FSLN ihren Idealen von Freiheit und Gerechtigkeit treu geblieben sind, wieder zusammen finden und sich gemeinsam auf die verarmten Massen Nicaraguas orientieren.

                                                                                                                     Wolfgang Herrmann, Dreesch

Probleme in der KP Luxemburgs

Jean-Marie Jacoby, Robert Medernach, Ali San: Offener Brief ans Zentralkomitee der KPL vom 28. Juli 2004

Der führende Familienclan innerhalb der KPL befindet sich in argem argumentativen Notstand, umso mehr ihnen Präsident und Sekretär der Kontrollkommission absolute Statutenwidrigkeit bei ihrem Ausschluß-Vorgehen in einem Schreiben vom 26. Juli 2004 vorhalten. Schließlich kann es nicht wirklich unsere Weigerung gewesen sein, den nicht wahlberechtigten Mitbürgern der Hauptstadt den Briefkasten mit Wahlsondernummern sinnlos zu füllen, oder jene, populistische Rote-Karte-Plakate zu kleben, die den Ausschlag gaben. Schließlich nahmen nicht mehr als 57 Parteimitglieder laut offiziellen Zahlen am Wahlkampf teil. Warum also nicht den ganzen Rest auch ausschließen? Die Ursache war in Wirklichkeit auch nicht ein unbotmäßiger Revisionismusvorwurf durch jene, die maßgeblich am Wahlprogramm mitgeschrieben hatten. Revisionismus zeichnet sich erst neuerdings mit der Ankündigung von einem Bildungswochenende über den „Zusammenbruch der Sowjetunion“, alldieweil zuvor während Jahren von der Restaurierung des Kapitalismus bzw. von einer Konterrevolution die Rede ging. Unser Vorwurf in Bezug auf die Wahlplakate war der des Populismus und der der völligen Bezuglosigkeit zum Programm.

Neuerdings wird uns per Leitartikel vorgeworfen, gegen die Parteiführung „gestänkert“ zu haben, als ob der Vorwurf der undemokratischen Vorgangsweise durch Vorlage fertiger Beschlüsse seitens der Exekutive im Zentralkomitee, das zu einer Ja-Sager-Maschine degradiert wird (deshalb unsere Bezeichnung „zentrales Schlafkomitee“), unpolitische Stänkerei sei. So ist es denn auch nicht verwunderlich, daß auch die Vorwürfe gegen uns im internen Mitteilungsblatt allesamt so nicht stimmen. Zwar sind wir dafür eingetreten, nicht nur eine Einheitsgewerkschaft zu fordern, sondern eine solche mit demokratischem Fraktionsrecht wie in Österreich, was etwas anderes ist als die Forderung, eine kommunistische Fraktion in der Gewerkschaft zu bilden. Aus unserer Forderung, an einer vom belgischen PTB gemeinsam mit der KP Kubas in Brüssel organisierten europäischen Konferenz zur Unterstützung Kubas teilzunehmen, wird der Vorwurf, wir seien dafür gewesen, Beziehungen zu linksextremen Sekten aufzunehmen. Ebenso wollten wir nicht die Allianz zu anderen Friedenskräften sprengen, sondern hatten vorgeschlagen, mit diesen über symbolische Blockaden der Militärlager bei Beginn einer US-Invasion im Irak zu sprechen – Blockaden, wie die Friedensbewegung sie in ganz Europa durchgeführt hat.

Dies allerdings hätte den persönlichen Einsatz der KPL-Mitglieder vorausgesetzt, was von der Führung keineswegs erwünscht ist, wie ersichtlich bei der Ablehnung politischer Informationsstände selbst kurz vor dem Wahltag. In Wirklichkeit störte es die Chefdiktatoren der KPL, die mit unserem Rausschmiß jede Glaubwürdigkeit beim Eintreten für wirkliche Freiheit in der Gesellschaft und für eine demokratisch für die Menschen organisierte Wirtschaft verloren hat, daß wir nicht einfach nur zu allem Ja und Amen sagten, was sie sich im innersten Familienkreis ausgeklüngelt hatten.

So bleibt uns nichts anderes übrig, alle Interessierten für Mittwoch, 4. August 2004, 20 Uhr ins Casino Syndical in Luxemburg-Bonneweg einzuladen, um den ersten Schritt zu einer wirklich demokratischen, offen diskutierenden glaubwürdigen kommunistischen Organisation in Luxemburg zu setzen. Jean-Marie Jacoby, Robert Medernach, Ali San, Luxemburg

P.S.: Bei der von den drei aus der KPL statutenwidrig von der diktatorischen Parteiführung Ausgeschlossenen Jean-Marie Jacoby, Robert Medernach und Ali San einberufenen Versammlung vom vergangenen Mittwoch erweiterte sich der Kreis der Interessierten an einer demokratischen, offen diskutierenden kommunistischen Organisation in Luxemburg. Es wurde angesichts des Fehlens jeden Anzeichens von Einlenkens seitens einer KPL-Führung auf diktatorischen und populistischen Abwegen beschlossen, zur Gründung sowohl der politischen Partei „Roude Fiisschen – Marxisten-Leninisten zu Lëtzebuerg“ zu schreiten als auch zur Gründung eines Trägervereins zur materiellen Absicherung des Projekts. An eine Arbeitsgruppe erging der Auftrag, echt demokratische Statuten als Diskussionsvorschlag auszuarbeiten. Diese werden nicht nur das Recht zur internen Kritik an Beschlüssen enthalten, sondern auch das Recht, Fraktionen zu bilden und öffentlich Stellung gegen Mehrheitsbeschlüsse zu beziehen. Die neue Partei wird sich als erstes mit einer Grundlagenschulung an Jüngere wenden, die seit der Invasion des Irak durch die USA begonnen haben, die bestehende Gesellschaftsunordnung kritisch zu hinterfragen. Gleichzeitig wird die neue Partei in Zusammenarbeit mit kämpferischen GewerkschafterInnen aus der Großregion Aufklärung gegen soziale Abbaupläne beginnen. Auf Gewerkschaftsebene soll die Idee einer Einheitsgewerkschaft befördert werden, in der es das Recht gibt, politische Strömungen zu bilden, die entsprechend ihrer Stärke auch finanzielle Unterstützung erhalten, wie dies etwa im Österreichischen Gewerkschaftsbund oder in zahlreichen lateinamerikanischen Gewerkschaften der Fall ist.

Zur politischen Ökonomie des Sozialismus

Kurt Gossweiler: Bemerkungen zur Diskussion über die politische Ökonomie des Sozialismus, insbesondere zu den Beiträgen von Hermann Jacobs

Bei der Durchsicht des letzten Heftes stolperte ich über die beiden Artikel der Rubrik „Politische Ökonomie des Sozialismus“ und bekam ein schlechtes Gewissen darüber, dass ich diese Rubrik bislang so wenig beachtet habe. Das lag vor allem daran, dass ich mehrfach Artikel von Hermann Jacobs in offensiv angefangen, zum Teil mich sogar durch alle Seiten hindurch gequält habe, aber immer zu dem Ergebnis kam, dass man nichts versäumt, wenn man sich diese Tortur nicht antut. Ob ich damit richtig lag – darüber geriet ich Anfang des Jahres ernsthaft in Zweifel, als mir Gerald Hoffman versicherte, Hermann Jacobs habe in seinem Artikel „Die ökonomischen Formen des Revisionismus“ in der Jubiläumsausgabe 15/03 eine treffende Analyse der Wurzeln des Revisionismus geliefert. Also holte ich nach, was ich versäumt hatte, und las der Reihe nach: zuerst Ingeborg Böttchers „Hallo Andrea und Gerald...“,(H.4/04), als zweites Andrea Schöns und Gerald Hoffmanns „Die Crux mit dem Wertgesetz..“ (H.13/03), und dann in dieser Reihenfolge die Artikel von Hermann Jacobs: „Ökonomische Form des Revisionismus“ im Jubiläumsheft 15/03 und seinen letzten Artikel: „Die Crux mit dem Wertgesetz. Zu den bisher erschienen Positionen“( Heft 4/04).

Das alles war sehr Kraft und Zeit kostend. Und mich hat dann sehr die Frage beschäftigt, welchen Nutzen diese Diskussion den Lesern bisher gebracht hat. Dazu möchte ich euch etwas aus meiner Sicht mitteilen.

I. Kurze Bemerkungen zu den Beiträgen von I. Böttcher und A. Schön und G. Hoffmann

Zunächst einmal finde ich es bedauerlich dass nicht alle Beiträge sich in ihrer Polemik im Rahmen eines Meinungsstreites zwischen Genossen bewegten. Aber darauf will ich nicht näher eingehen.

Wie gesagt, las ich zuerst die Antwort der Genossin Böttcher auf die Kritik von Andrea und Gerald an ihrem vorhergehenden Artikel in offensiv 5/03. Andrea und Gerald stellen fest, bei Jacobs und Böttcher seien einige Kardinalfehler bei der Bestimmung von Grundkategorien der politischen Ökonomie aufgetaucht, die grundsätzlich zu klären seien.

I. Böttcher schrieb in ihrem Artikel „Die Crux mit dem Wertgesetz“ (5/03, S.18/19): „Waren-produktion ist ein Austauschverhältnis in Folge von Arbeitsteilung und ich bin daher zu der Überzeugung gelangt, dass wegen der immer weiter fortschreitenden Arbeitsteilung in der gesellschaftlichen Produktion das Wertgesetz auch nach Abschaffung der Warenwirtschaft nicht verschwinden wird.“  Dagegen wandten sich völlig zu Recht Andrea Schön und Gerald Hoffman mit dem Einwand, nicht die Arbeitsteilung, sondern das Privateigentum an Produktionsmitteln sei das wesentliche, konstitutive Element der Warenproduktion. (13/03, S.57). Überraschenderweise reagierte I. Böttcher auf die Feststellung von Schön/Hoffmann „In Abwesenheit von Privateigentum bringt die gesellschaftliche Arbeitsteilung keine Warenproduktion hervor“ mit der Bemerkung, dies sei eine „nicht hinreichend bewiesene Behauptung (4/04, S.26).

Andrea und Gerald erklären ferner zu einem Kardinalfehler von I. Böttcher deren Behauptung, „der ‚Wert der Arbeit‘ (gemeint ist wohl die in Waren wertvergegenständlichte Arbeitszeit) müsse immer gemessen werden“ (13/03, S.58). Auf diese Kritik antwortete I. Böttcher mit folgender Erklärung: „Innerhalb jener Erfahrung, die ich in über vierzig Jahren Berufstätigkeit in nur zwei VEB verschiedener Branchen (Konfektion und Elektronik) gewinnen konnte, wurde jener Terminus, für den mich sicher unsere Klassiker auch gerügt hätten, zum Leitprinzip, nämlich alle wirtschaftlichen Proportionen nach dem Wert der Arbeit, also der Gesamtheit der eingesetzten gesellschaftliche  Arbeitszeit pro Gebrauchswert, berechnen zu müssen, weil Rentabilitätsfrage. Unbestreitbar ist, wenn auch der Zungenschlag falsch, der Gedanke richtig. Karl Marx hätte einfach festgestellt: Gleich viel Arbeit in einer Form gegen gleich viel Arbeit in einer anderen ausgetauscht = dasselbe Prinzip wie beim Austausch von Warenäquivalenten.“ Zur Bekräftigung dieser Feststellung führt sie sehr wichtige und diese ihre Auffassung  bestätigende  Ausführungen von Karl Marx aus dem Kapital an. (4/04, S.32)

Sie wiederholt nun nicht mehr ihre falsche Ansicht aus dem ersten Artikel, das Wertgesetz werde auch nach Abschaffung der Warenwirtschaft nicht verschwinden, aber sie nimmt sie auch nicht ausdrücklich zurück. Deutlich wird damit, dass sie zumindest zeitweise unzulässigerweise ein Gleichheitszeichen setzte zwischen „Wertgesetz“ und „Austausch von gleicher Arbeitsquantität“ im Sozialismus. Immerhin geht aus ihrem zweiten Artikel hervor: es geht ihr nicht darum, den Wertbegriff zu verewigen, sondern darum, dass mit dem Wegfall der Warenproduktion nicht auch die Berechnung von Aufwand und Ergebnis aufhören darf und wird. Auch dafür zitiert sie - und dafür verdient sie ein Dankeschön - Ausführungen von Marx im „Kapital“: „Zweitens bleibt nach Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise, aber mit Beibehaltung gesellschaftlicher Produktion, die Wertbestimmung vorherrschend in dem Sinn,  (meine Unterstreichung, K.G.), dass die Regelung der Arbeitszeit und die Verteilung  der gesellschaftlichen Arbeit unter die verschiedenen Produktionsgruppen, endlich die Buchführung hierüber, wesentlicher denn je wird.“ (4/04, S.26).

In seinen Randglossen zum Gothaer Programm  fasste Marx den gleichen Gedanken in die Worte: In der ersten Phase des Kommunismus, (also in seiner sozialistischen Phase), „erhält der einzelne Produzent – nach den Abzügen – exakt zurück, was er ihr gibt.... Er erhält von der Gesellschaft einen Schein, dass er soundso viel Arbeit geliefert  (nach Abzug seiner Arbeit für die gemeinschaftlichen Fonds) und zieht mit diesem Schein aus dem gesellschaftlichen Vorrat von Konsumtionsmitteln so viel heraus, als gleich viel Arbeit kostet. Dasselbe Quantum Arbeit, das er der Gesellschaft in einer Form gegeben hat, erhält er in der anderen zurück.“ (MEW, Bd. 19, S.20)

Das heißt: das Geld fungierte bei uns und fungiert in allen sozialistischen Ländern in dieser ersten Phase in einer doppelten Funktion: zum einen noch immer als Geldausdruck des Wertes der Waren, soweit noch Warenaustausch stattfindet; zum anderen aber als jener „Schein“, den der Produzent als Äquivalent für die von ihm gelieferte Arbeit erhält, (also nicht  für den „Wert seiner Arbeitskraft“, die ja keine Ware mehr ist!), um damit ein gleiches Quantum Arbeit  - nach Abzügen - in Gestalt von Konsumgütern aller Art aus dem gesellschaftlichen Vorrat entnehmen zu können. Daher wird es einen solchen „Schein“ - sei es in der jetzigen Geldform oder vielleicht später einmal direkt als Bescheinigung für die Leistung eines bestimmten Arbeitsquantums - so lange geben, wie der Grundsatz gilt: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung.“ (Anders Andrea und Gerald; sie meinen: „Der ‚Arbeitslohn‘... liegt nur so lange in Geldform vor, solange es noch Konsumgüter in Warenform gibt.“ – 13/03, S.65)

So berechtigt meiner Ansicht nach viele Einwände von Schön/Hoffmann zu Böttchers Ausführungen sind, - mich hat doch deren Einseitigkeit gestört. Dabei handelt es sich um eine doppelte Einseitigkeit: Obwohl eingangs von ihnen auf beide Diskussionsbeiträge, den von Hermann Jacobs und den von Ingeborg Böttcher verwiesen wird, bleibt Böttcher alleiniges Objekt ihrer kritischen Bemerkungen. Zweite Einseitigkeit: ich vermisse, dass auch die positive Leistung von Ingeborg Böttcher wenigstens erwähnt, wenn schon nicht gewürdigt wird. Und die liegt vor allem in ihrer sehr notwendigen kritischen Auseinandersetzung mit den Ansichten von Hermann Jacob.

Eine solche Auseinandersetzung ist schon deshalb außerordentlich verdienstvoll, weil das ein sehr mühseliges Unterfangen ist. Dies nicht etwa, weil sich H. Jakobs Ausführungen durch eine besondere Gedankentiefe auszeichnen, sondern weil sie in einer Sprache dargeboten werden, die mehr zur Unkenntlichmachung der gemeinten Gedanken als zu deren Offenbarung geeignet ist. Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen mit seinen Texten kann ich die Richtigkeit der Bemerkung von I. Böttcher  (H.5/03, S.22, Fn.12) nur dick unterstreichen: „...die Arbeit von Hermann Jacobs  (ist) sehr schwer verständlich und vieles ebenso schwer richtigzustellen bzw. zu beantworten“.

Umso bewundernswerter fand ich es, dass sie sich die ungeheure Mühe machte und den Text von H. Jacobs  Punkt für Punkt – insgesamt nicht weniger als 30 Punkte! –  einer in den meisten Fällen treffenden kritischen Analyse unterzog. Und ich kann – ebenfalls aus eigener Erfahrung – bezeugen, dass sie kein bisschen übertrieben hat, wenn sie am Schluß ihres Artikels schrieb, dass es eine „Wahnsinnsarbeit“ war, „das Fragment von Hermann Jacobs zu entwirren.“

Das wäre durchaus eine Anerkennung durch A. Schön und G. Hoffmann wert gewesen.

II. Zu Hermann Jacobs‘  „Sozialismus-Kritik und –Reform von links“

1.Vorab einige Bemerkungen zu Besonderheiten von Texten von Hermann Jacobs.

Bevor ich auf die erstmals im Heft 4/04 deutlich offenbarte Jacobssche „Weiter – und Höherentwicklung“ der marxistischen Sozialismus-Theorie zu sprechen komme, stelle ich einige Beispiele aus seinem Text „Die ökonomischen Formen des Revisionismus“ (H. 15/03) vor, die zum einen  Proben von der von  I. Böttcher konstatierten schweren Verständlichkeit der Jacobs-Texte geben, zum anderen aber davon Zeugnis ablegen, mit welcher Kühnheit er Thesen verkündet, die ganz offenkundig im Widerspruch stehen zu erprobten marxistischen Erkenntnissen.

Eine Planwirtschaft ,die meint, sie könne mit zwei ökonomischen Systemen arbeiten - (dem sowjetischen Zentralismus und der jugoslawischen ‚Selbstverwaltung‘, K.G.) – hat kein originales, wirkt unbestimmt, für Bestimmung offen. Als also diese Spaltung im Bewußtsein erschien, war das Erkennen, folglich das Bekennen zu einem originären ökonomischen System den Formen nach moralisch, politisch enthauptet, mußte das politische Subjekt des Sozialismus, vorrangig die Partei, in einen inneren Gegensatz geraten, mußten  hier  Reformer, Erneuerer  und dort Konservative, Dogmatiker erscheinen. In der Tat sind wir, ist der Marxismus außerstande, die Frage des Revisionismus ökonomischer Form in einer anderen als politischen Form, also als gegensätzliche Auffassung im Recht und in der Rolle der Partei und des Staates der Arbeiter aufzuwerfen, würde es nicht dieses Schwanken im Verhältnis zu den ökonomischen Mechanismen der Warenproduktion  gegeben haben, würde es nicht die Reform gegeben haben, den ersten, neuen Mechanismus wieder gegen den zweiten, alten auszutauschen.“  (H.15/03, S.48). Dies als Beispiel für viele ähnliche Aussagen, zu deren Verständnis man sich recht mühevoll vorarbeiten muss.

Als Beispiele für allzu kühne, allzu wenig an der Praxis überprüfte, aber quasi als Axiome hingestellte Urteile nur diese: Gleiches Heft, S.36, Fußnote 21: „Der Sozialismus/Kommunismus hat keine Außenpolitik; dass er eine hat, weist auf die kapitalistische Umkreisung dieses Sozialismus/Kommunismus hin...“  Fußnote 22, S.37: „Der Revisionismus in der Außenpolitik sozialistischer Staaten besteht darin, dass er kein Verhältnis zu den äußeren (aus seiner Sicht äußeren) revolutionären Kräften in den kapitalistischen Ländern herstellt...“

H. Jacobs folgert also aus der Formationsgleichheit sozialistischer Staaten kurzschlüssig, dass es zwischen ihnen nur ein Innen- , aber kein Außenverhältnis geben könne, und somit auch keine Außenpolitik. Dieses Beispiel zeigt mit besonderer Deutlichkeit, dass er seine Erkenntnisse nicht aus der Analyse des tatsächlichen Geschehens, in diesem Falle also der 40jährigen Geschichte der Außenpolitik der sozialistischen Staaten zueinander, gewinnt, sondern  dass sie pure Kopfprodukte sind, deren Ausgangspunkt nicht  das wirkliche Geschehen ist, sondern seine ganz besondere Vorstellung  davon, was Sozialismus/Kommunismus  zu sein hat.

Dafür gleich noch ein Beispiel, diesmal aus dem Artikel in Heft4/04, S. 8, in dem er sein Fazit der bisherigen Diskussion darlegt: „Noch einmal zu meiner Position: Zu keiner Zeit von sozialistischer Realität nach der Oktoberrevolution – je später nach ihr desto weniger – hat es in der Sowjetunion eine  Warenproduktion, deren ‚besondere Form‘, gegeben; weder wirkte der Wert, das Wertgesetz, noch regulierten diese die Produktion, auch nicht eingeschränkt, bezüglich bestimmter Gebiete oder Seiten der Produktion und Verteilung, d.h. auch nicht im Verhältnis von Volkseigentum und Genossenschaften.“

Und schließlich noch dieses Beispiel: im gleichen Heft, S.11, Fußnote 6, belehrt Jacobs I.Böttcher: „Als Planwirtschaft ist der Sozialismus entwickelter Sozialismus! Von Sozialismus (gleich einer Gesellschaftsordnung – nur nicht einer besonderen, gegen den Kommunismus abgeschotteten, liebe Genossen von der einstigen SED) muss man sprechen, sobald er seine ökonomische Form gewonnen. Da ist es bereits falsch (!), von der Errichtung  nur der Grundlagen des Sozialismus (ab der Planwirtschaft) zu sprechen und sich vorzunehmen, an den ‚Aufbau des entwickelten Sozialismus‘ heranzugehen .Das sind einerseits zuviel  Perioden, andererseits zu wenig PERIODE.“

Mit diesem axiomatischen Dictum im Stile eines selbsternannten „Klassikers des Marxismus“  wischt Jacobs die wichtige Erkenntniss Walter Ulbrichts beiseite, die dieser im September 1967 in einer bedeutsamen Rede als Erfahrung der bisherigen Geschichte des Aufbaus des Sozialismus ausgesprochen hatte. Er sagte in dieser Rede, der Sozialismus sei keine kurzfristige Übergangsphase, sondern werde einen längeren Zeitraum einnehmen. In der DDR habe man bisher eine erste Entwicklungsphase des Sozialismus durchlaufen, in der die sozialistischen Produktionsverhältnisse zum Siege geführt wurden. Damit sei man in eine zweite Phase eingetreten, in der es darum ginge, „das entwickelte System des Sozialismus“ zu gestalten.[1]

Damit genug der Beispiele zu Besonderheiten von H. Jacobs Ausdrucksweise und Argumentation. In seinem Artikel in Heft 4/04 legt Hermann Jacobs erstmals seine Sozialismus-Theorie unverschlüsselt dar. Das gibt endlich die Möglichkeit, sich nicht nur mit einzelnen seiner Thesen, sondern mit seiner Grundposition kritisch zu beschäftigen.

 

 

2. Hauptbestandteile  von Hermann Jacobs Sozialismus-Kritik

Die Möglichkeit, ja die Unvermeidlichkeit des ökonomischen Revisionismus im Sozialismus liegt nach Ansicht von H. Jacobs darin, dass die „offizielle“ Theorie des Sozialismus  in einem Punkt falsch ist und korrigiert werden muss. Diese Korrektur hat er – so meint er -  mit seiner Theorie geleistet. Ihre allgemeine Übernahme  in die Theorie des Sozialismus betrachtet er als Voraussetzung für den Erfolg eines neuen sozialistischen Anlaufes. „Das also ist meine Position, von der ich gerne sähe, dass sie die allgemein anerkannte, auch im Rahmen dieser Diskussion, würde; ich bitte zu berücksichtigen, dass ich keine Meinung von den Dingen äußere, denen nur andere Meinungen entgegenzustellen wären, sondern versuche, mit einem möglichst  klaren Bild den realen Mechanismus einzufangen, der im Sozialismus gewirkt hat.“ Na dann:  „Schaun‘ wir mal !“

2a ) Der Grundfehler der offiziellen Sozialismus-Theorie: Warenproduktion im Sozialisms

Der Fehler der „offiziellen Theorie“ liegt nach H. Jacobs darin, dass sie im System des Sozialismus von einem Neben-und Miteinander von Warenproduktion und Planwirtschaft, vom Wirken des Wertgesetzes und von der Existenz von Waren auch noch im Sozialismus ausgeht.

Jacobs: „Um die Realität des Sozialismus zu erkennen, muss in der Theorie der Anteil/Ein-fluß/Rolle der Warenproduktion zurückgebaut und muss der Aufbau einer Planwirtschaft in den Vordergrund gerückt werden. Von dieser Position sage ich auch, dass sie die  für die Arbeiterbewegung zukünftig zu entwickelnde ist. Damit ist auch die offizielle Theorie, worin der reale Sozialismus als eine Symbiose von Planwirtschaft und Warenproduktion erklärt wie verteidigt worden ist, überholungsbedürftig. Ihr rationaler (planwirtschaftlicher) Kern ist dadurch hervorzuheben, dass ihr Teil Warenproduktion über Bord geworfen wird.

Das ist das Neue an meiner Position, sie sieht die Praxis des Sozialismus anders, weiter in Bezug auf  den Kommunismus hin entwickelt; gegen sie anzugehen, entlarvte die warenökonomischen Reformen von vornherein als Revisionismus, und an ihr haben gestandene Marxisten am meisten zu knabbern, weil sie sich eben in der Theorie auf eine Symbiose von Plan und Warenproduktion eingelassen haben und dadurch – ob sie das schon begreifen oder nicht -  ein offenes Ohr für Reformen gewinnen: im Sinne einer langsameren  Trennung von der Warenproduktion, daher ihrer ‚größeren Rolle‘, und eines nicht so schnellen Übergangs zum Kommunismus.“( S.8/9)

Die Partei – so Jacobs - hat diesen Fehler der Theorie nicht erkannt, sondern die Theorie der Warenproduktion im Sozialismus verteidigt. „Die Reform des Sozialismus ist die wichtigste Herausforderung des Sozialismus. Und hier war der Wunsch der Reform auf eine andere Praxis die Pflicht der Partei zu einer anderen Theorie, also entweder erweiterten oder direkt anderen Theorie. Aber ... aber die Partei in der SU, also die KPdSU, in der DDR die SED usw., behandelten ihre Ökonomie, deren Kategorien, als solche der Warenökonomie; die Partei hätte sie  - meine Meinung – als Kategorien der Nichtwarenökonomie, einer Bedarfsökonomie oder unmittelbar gesellschaftlichen Ökonomie behandeln müssen, dann hätte sie sich ökonomisch  über die „Warenproduktion“ gestellt, d.h. auf den Boden einer anderen Ökonomie gestellt.... Dann hätte es eine revidierende Reform geben können, aber nur als Gegensatz; die andere Theorie der Praxis hätte die andere Reform sofort als Gegensatz erkannt. Aber die selbst als Warenproduktion bestimmte Theorie konnte nur einen Unterschied, keinen Widerspruch erkennen. Mehr wollte sie nicht sein, sie wollte ihre Unterschiede nicht zu ihrem Gegensatz entwickeln.“  (S. 12).

2b) Geld und Preise im Sozialismus

Aus dem erstgenannten Fehler ergibt sich nach Jacobs auch eine falsche Sicht der offiziellen Theorie auf die Funktion des Geldes im Sozialismus. Nach ihr ist der Preis auch im Sozialismus beim Warenaustausch  der Geldausdruck des Wertes, beim Produkenaustausch Geldausdruck geleisteter Arbeit, gemessen an der für die Herstellung des Produkts (gesellschaftlich notwendigen) Arbeitszeit. Das ist nach Jacobs grundfalsch. Nach ihm ist  das Geld  nur deshalb fähig, in der Planwirtschaft zu fungieren, weil es von der Bindung an  Wert und Zeit losgetrennt werden kann.

Jacobs (S.8): „Die Planwirtschaft (kann) nicht beginnen, wenn der Wert noch die Aneignung beherrscht., d.h. hier herrscht ein gegenseitiger Ausschluß: entweder diese Form oder jene Form, beide zur gleichen Zeit geht  nicht. Diese Auffassung ist nun an die Bedingung geknüpft, - und hier wieder anhand der Praxis – (? K.G.) - , dass das Geld im Sozialismus (also nicht das Geld schlechthin, sondern das Geld ab einer bewußten Einflußnahme der herrschenden Arbeiterklasse auf die Geld-und Preispolitik )[2] getrennt vom Wert erklärt wird, d.h. es muss das Geld existieren können, ohne dass es auf Wert von Produktionsgütern Bezug nimmt oder umgekehrt, Produktionsgüter in Bezug auf das Geld den Wert wahrnehmen. Die Trennbarkeit des Geldes vom Wert ist die erste Bedingung einer Trennbarkeit der Menschheit von der Warenproduktion überhaupt.“    

Seite 10: „Nur weil im Geld nicht mehr der Wert ausgedrückt wurde, konnte das Geld in die Planwirtschaft oder kann es weiter in den Kommunismus hineingenommen werden.“

Und auf S. 15, Fußnote 11: „Die direkt den Sozialismus betreffenden Auffassungen von Andrea Schön und Gerald Hoffmann, dass wir es ‚im Sozialismus als erste Phase des Kommunismus noch mit einem Neben- und Ineinander von Warenproduktion und –austausch auf der einen Seite und Produktion von Gebrauchsgütern auf Basis des Staatseigentums und deren Verteilung auf der anderen Seite zu tun haben‘, teile ich nicht. Wegen der anderen Funktion des Geldes und der Preise findet tatsächlich eine Ablösung der einen durch die andere Produktionsweise statt, nicht erfolgt deren ‚Ineinander‘...  Auch sonst gibt es in diesem Beitrag noch eine Fülle von Überlegungen, die nichts als Zugeständnisse an den alten Adam sind, z.B. Tausch (!) ‚mit sozusagen direkt gesellschaftlichen Arbeitszeiten‘.    Die gesellschaftlichen Verhältnisse sollen aber nicht mehr über die Arbeitszeiten, egal von welcher Form, vermittelt sein. Zeit ist ihre Entfremdung vom Gebrauchswert.“

Wieso denn das? Wo ist denn der Gebrauchswert, für dessen Produktion keine Zeit gebraucht würde?

Ist sich Jacobs eigentlich bewußt, dass er uns nun erklären muss, wieso Geld überhaupt noch ein brauchbares Instrument der Planwirtschaft sein kann, wenn es infolge der von ihm postulierten Trennung des Geldes von Wert und Zeit nichts mehr gibt, wodurch die Relation der umlaufenden Geldmenge zur vorhandenen  -  und über das Geld auf die Produzenten im Maße der von ihnen geleisteten Arbeit  zu verteilenden - Produktenmenge bestimmt wird?

Aber ein solches Verhältnis – nämlich ein Gleichgewicht zwischen der Geldmenge und der Menge der mit dieser Geldmenge auszutauschenden (oder, wenn Jacobs das besser gefällt: der mit ihr anzueignenden) Produkte muß bestehen, wenn das Geld seine Funktion als „Berechtigungsschein“ für die Entnahme von Produkten im Umfange der von seinem Inhaber für die Gesellschaft geleisteten Arbeit erfüllen soll.

Diese Bestimmung ist nach Ansicht aller Marxisten seit Marx gegeben durch die Funktion des Geldes als Maßstab des Wertes bzw. der geleisteten Arbeit, gemessen in (gesellschaftlich notwendiger) Arbeitszeit. Die Summe der Preise aller Produkte entspricht der Summe des Wertes aller dieser Produkte,  bzw. der Summe der in ihnen geronnenen Arbeitszeit-Einheiten.  Es hat den Anschein, als ob Jacobs  sich dessen bewußt ist, dass da er da eine Lücke aufgetan hat, die er schließen muss, formuliert er doch: „Für eine Existenz des Geldes ohne seine Funktion als Ware des Wertmaßes muss die theoretische Erklärung gefunden werden.“  (S. 8) Dabei bleibt es aber.  Die von ihm selbst als erforderlich bezeichnete Erklärung bleibt er schuldig. Und die musste er auch schuldig bleiben, weil er die bereits seit Marx  vorhandene, die  Wirklichkeit exakt beschreibende Erklärung verwirft, er sich aber eine andere - trotz wahrscheinlich großem Bemühen - nicht auszudenken vermochte. Sein oben zitierter Satz: „Nur weil im Geld nicht mehr der Wert ausgedrückt wurde, konnte das Geld in die Planwirtschaft oder kann es weiter in den Kommunismus hineingenommen werden“ muss, um etwas Richtiges auszusagen, umformuliert werden, etwa so: „Nur, weil im Geld nicht nur der Wert einer Ware, sondern auch die zu ihrer Herstellung gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit ausgedrückt ist, kann es auch  im Sozialismus weiterhin  in einer doppelten  Eigenschaft fungieren: beim Warenaustausch als Äquivalent des Wertes der Ware, beim Produktenaustausch als Äquivalent für geleistete Arbeit, gemessen in Arbeitszeit.  Ohnedem wäre das Geld unbrauchbar für die Planwirtschaft.“

H. Jacobs wird allerdings der Feststellung, er habe die von ihm selbst geforderte theoretische Erklärung „für eine Existenz des Geldes ohne seine Funktion als Ware des Wertmaßes“ nicht gegeben, für falsch erklären und darauf verweisen, dass er doch schon in seinem Anhang : „Die zwei Formen der Aneignung“ zu seinem Artikel „Die ökonomische Form des Revisionismus“ in Heft 15/03 diese Erklärung gegeben habe. (Auf diesen Anhang komme ich weiter unten zu sprechen). Und im Artikel in Heft 4/04 sei diese Erklärung ja doch auch mit den folgenden Sätzen gegeben worden: „Der einzige ‚Widerspruch‘, das nicht von vornherein zu Verstehende, in ‚meiner‘ Auffassung scheint zu sein, dass die Planwirtschaft mit Hilfe des Geldes begonnen wurde, dass der gesellschaftliche Händewechsel der Produkte über einen Rückkauf in der Geldform vonstatten ging, d. h.  Planwirtschaft mit einer Geldwirtschaft einherging. Warum muss man dennoch von einer Planwirtschaft sprechen, aber mit einer Geldwirtschaft?   Hier steht die neue Theorie vor ihrer Bewährung, denn die alte macht es sich einfach, folgert sie im Sozialismus  die Warenproduktion doch formell aus dem Geld; und hier wird nun das Gegenteil behauptet. Geld im Sozialismus drückt nicht ein Neben- oder Ineinander,sondern ein Nach- und Gegeneinander von Plan- und Warenwirtschaft aus. Warum ein Gegeneinander? Weil die Geldwirtschaft 1. auf  keinem Preissystem beruhte, in dem die Preise beständig und systematisch auf den Wert zurückgeführt wurden,  so dass  2. Geld in seiner Menge auf der Vermehrung der Warenmenge beruhte, womit der Wert der Ware nicht mehr meßbar ist, denn ein Wert läuft nicht kongruent mit der Menge der Waren, sondern dieser entgegengesetzt. Nur wenn das Geld eine zur Warenmenge entgegengesetzte Bewegung ausführt, kann die der Warenmenge entgegengesetzte Bewegung der Ware, deren Bewegung als Warenmenge, gemessen werden, sonst nicht. (Alle Verhältnisse des Wertes der Ware müssen entgegengesetzt zur Menge der Waren ausgedrückt werden, sonst findet der Doppelcharakter der Arbeit nicht mehr zu seiner Erscheinung.) Sonst wird Geld ein Analog der Warenmenge (oder Arbeitsproduktivität). Und damit ein anderes Geld, d. h. kein Geld. Bei Parallelität von Ware und Geld wird der Wert unmessbar, weil unerscheinbar. (Dass der Wert von 20 Ellen Leinewand gleich 20 Ellen Leinewand wäre, also in seinem eigenen Gebrauchskörper gemessen würde, nannte Marx eine Tautologie.) D. h. das sozialistische Preissystem war ein Nichtwert-Peissystem und das Geld  keine eigene Ware. Nur deshalb kann man trotz der Geldwirtschaft vom Sozialismus als keiner Warenproduktion mehr sprechen, sondern als einer dieser entgegengesetzten Gesellschaft.(Sonst bliebe ja nur die Abschaffung des Geldes, aber das begreift dann auch ein ‚Schulkind‘)“ (S. 9/10)

Ich glaube kaum, dass Jacobs einen Menschen finden wird, der ihm diesen undurchdringlichen Sprachverhau als eine „neue Theorie“ abnimmt, die einleuchtend erklärt, warum das Geld im Sozialismus nicht mehr als Wert- bzw. Arbeitszeitmaß fungiert. Es ist wohl keine unbillige Forderung an Jacobs, sich doch zu bemühen, was er hier meint, weniger verschwommen und gedanklich wie begrifflich eindeutig formuliert zum Ausdruck zu bringen.  

2c) Wann begann der Revisionismus in der Sowjetunion? Eine linke Sozialismuskritik tut not!

Als einen weiteren Fehler der Anhänger der „offiziellen Theorie“ hat Jacobs ausgemacht deren Ansicht, der Revisionismus in der Sowjetunion habe seinen Anfang nach dem Tode Stalins unter Chruschtschows Regime gefunden. In seiner Kritik  an den Positionen von Schön/Hoffmann sagt Jacobs: „Nicht ‚nach Stalin‘ fing die revisionistische Praxis an, sondern mit Stalin bereits hing die Theorie des Sozialismus hinter der Praxis zurück! Und war deshalb im Sinne einer falschen Entwicklung (= Reform) auszudeuten. Um diesen Mut -  zur Selbstkritik – bei der Verteidigung des Sozialismus wird gebeten.“ (S. 16).

Die vermisst er bei Schön/Hoffmann vor allem deshalb, weil sie keine  Kritik an der Position der „offiziellen Theorie“ üben: „Im Gegenteil, diese Position verteidigen Andrea Schön und Gerald Hoffmann im Großen und Ganzen als die in der Theorie wie Praxis richtige Position, d.h. Plan und Ware sind auch bei ihnen weitgehend berechtigt. Nur die Reform ist bei ihnen eben unberechtigt.“ (S.16)

Wer die „offizielle Theorie“ verteidigt, hat nach Jacobs das Problem des „realen Sozialismus“ nicht erkannt.  Dieses sei, „in einem Satz ausgedrückt, dass der Gegensatz zur Warenproduktion politisch betont wurde, aber nicht ökonomisch erkannt;...Die Ökonomie wurde so der Boden für zwei Theorien, d. h.  der Boden der Partei wurde so der Boden für die Antipartei. Die Reform des Sozialismus konnte sich konstituieren – pro Bekenntnis und gegen die Bedenken. So wurde die Reform die bessere, die konsequentere Partei, wurde die Reform  führend und die Revolution ‚konservativ‘. Stalins, oder der Parteien, Triumph, den Sozialismus aufgebaut zu haben, kann nicht verdecken, dass er nicht hinreichend als Bruch verstanden wurde. ‘Stalin‘ vorzuwerfen, dass er ‚brach‘, kann vom Marxismus nur so beantwortet werden, dass er nicht genug brach. Der Beginn des Sozialismus war von vornherein mit einem ungenügenden Bewußtsein vom Sozialismus belastet.“ (S.13)

Wie sehr diese Erklärung konstruiert ist und blind gegenüber der Wirklichkeit, ist noch zu zeigen.

Was er jedoch glaubt, mit dieser Kritik geleistet zu haben, geht aus diesen seinen Ausführungen hervor: „Wir brauchen ... eine Kritik an der Reform, in der die ungenügende Analyse des Sozialismus durch die Linken oder durch die Revolution selbst – als der theoretischen Voraussetzung der Kritik des Sozialismus durch die Rechten – mit einbezogen, also nicht ausgeschlossen ist. Der Sozialismus darf nicht so tun, als bedürfe er keiner Kritik, als bedürfe der Kritik nur die Reform. Es gibt nicht nur eine rechte Kritik wie rechte Reform am Sozialismus, sondern auch eine linke Kritik (und Reform) am Sozialismus (oder meinetwegen ‚an Stalin‘....).   Es gibt keine Entwicklung des Sozialismus oder Marxismus (‚zu neuen Höhen‘), ohne dass die linke Kritik am Sozialismus konstituiert wird (was im übrigen nichts mit ‚linker‘ Kritik am Sozialismus zu tun hat, Trotzkismus etwa.... Aber bei uns geht es um Verständnis des Zentralismus, das Fassen der Gesellschaft als Gesamtheit.“ (S.17)

III. Versuch einer Darstellung der Jacobs’schen Sozialismus-Theorie als System

Ich habe bisher versucht, mit den angeführten Zitaten in etwa die Hauptgedanken dessen wiederzugeben, was Jacobs als die von ihm geschaffene „neue Theorie des Sozialismus“ bezeichnet.

Es war aber ein sehr mühsames Geschäft, die einzelnen Elemente dieser „neuen Theorie“ zusammenzutragen. Normalerweise ist der Entdecker oder Erfinder einer neuen Theorie, - aus dem Wunsch heraus,  diese seine Theorie möge allgemeine Anerkennung finden -, bemüht, sie in einer möglichst verständlichen Sprache und  so vorzutragen, dass  ihr Ausgangspunkt klar ist und ihre innere Folgerichtigkeit den Leser von ihrer Richtigkeit überzeugt. Nichts davon bei H. Jacobs. Er hat die Bestandteile seiner neuen Theorie in Bruchstücken über die vielen Seiten seines Artikels, zu einem nicht geringen Teil sogar in die Fußnoten, verstreut. Jacobs mutet dem Leser zu, aus diesen verstreuten Bruchstücken seine Theorie zu rekonstruieren, eine Mühe, der sich mit vollem Recht kaum einer unterziehen wird; das Mißverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag ist gar zu groß. Ich habe es dennoch unternommen und lasse das Ergebnis meines Versuches folgen, indem ich in Thesenform die einzelnen Bausteine seiner ‚neuen Theorie‘  vorführe und die entsprechenden Stellen seines Textes zitiere bzw., soweit dies schon geschehen, auf die entsprechende Seite verweise.

1. Nochmals zur Warenproduktion im Sozialismus. Jacobs korrigiert Stalin

1. Im Sozialismus gibt es nur Planwirtschaft, keine Warenproduktion. (S.8 und andere).

2. Stalins Begründung für die Existenz der Warenproduktion im Sozialismus – die Existenz zweier Eigentumsformen, des staatlichen und des Gruppeneigentums,  - ist falsch. Jacobs Begründung: „Die Genossenschaften wandten das selbe Preis- und Geldsystem an wie die volkseigene Wirtschaft oder „staatliche Eigentum.“ Und  wenn vom ‚staatlichen‘ gesagt werden muss, es sei kein wertökonomisches mehr, hat das auch für das ‚genossenschaftliche‘ zu gelten. Wenn hier aber von Übereinstimmung gesprochen werden muss, worauf bezieht sich dann die These, das genossenschaftliche Gruppeneigentum erfordere die Warenproduktion? Umgekehrt: Würde trotz des besonderen Preis-  und Geldsystems Warenproduktion bestehen, würde das auch für das Volkseigentum gelten und dann haben wir – Warenproduktion, solange das Geld besteht.“ (S.16, Fn. 13).

Jacobs Argumentation zeugt davon, dass er  Stalins Begründung schlecht gelesen oder aber nicht verstanden hat. Denn in den „Ökonomischen Problem des Sozialismus in der UdSSR“ schreibt Stalin:

„In den staatlichen Betrieben sind die Produktionsmittel und die Erzeugnisse der Produktion allgemeines Volkseigentum. In den kollektivwirtschaftlichen Betrieben hingegen sind, obwohl die Produktionsmittel (Boden, Maschinen) auch dem Staat gehören, die Erzeugnisse der Produktion jedoch Eigentum der einzelnen Kollektivwirtschaften, da es sich in den Kollektivwirtschaften sowohl um eigene Arbeit als auch um eigenes Saatgut handelt, während die Kollektivwirtschaften über den Boden, der ihnen zur unbefristeten Nutzung übergeben worden ist, faktisch wie über ihr Eigentum verfügen, obwohl sie ihn weder verkaufen noch kaufen, weder verpachten noch verpfänden dürfen.

Aber die Kollektivwirtschaften wollen ihre Produkte nicht anders als in Form von Waren veräußern, für die sie im Austausch die von ihnen benötigten Waren erhalten wollen. Andere ökonomische Verbindungen mit der Stadt als Warenbeziehungen, als Austausch durch Kauf und Verkauf sind für die Kollektivwirtschaften gegenwärtig  (Unterstreichung von mir, K.G.) nicht annehmbar. Darum sind Warenproduktion und Warenumlauf bei uns gegenwärtig  (Unterstreichung K.G.) eine ebensolche Notwendigkeit, wie sie es beispielsweise vor dreißig Jahren waren, als Lenin die Notwendigkeit der allseitigen Entfaltung des Warenumlaufs verkündete. Wenn an die Stelle der zwei grundlegenden Produktionssektoren, des staatlichen und des kollektivwirtschaftlichen, ein allumfassender Produktionssektor mit dem Verfügungsrecht über alle Konsumgüter des Landes getreten sein wird, dann wird natürlich die Warenzirkulation mit ihrer ‚Geldwirtschaft‘ als unnötiges Element unserer Volkswirtschaft verschwinden“.  (S.16/17). 

2. Nochmals zu Geld und Preis im Sozialismus. 

Jacobs: Die alte Theorie folgert die Warenproduktion im Sozialismus formell aus dem Geld. Das Gegenteil ist richtig: das Geld drückt im Sozialismus nicht ein Neben-oder Ineinander aus, sondern ein Nach- und Gegeneinander von Plan und Warenwirtschaft.  (S.9).

Jacobs: Das Preissystem im Sozialismus ist ein anderes als das in der Warenproduktion. “Preissystem der Planwirtschaft und Preissystem der Warenproduktion sind entgegengesetzte Systeme.“  (S.11)

In der Warenproduktion ist der Preis ein Wertpreis, in der Planwirtschaft ist er ein Festpreis.

Nähere Ausführungen dazu finden wir in Jacobs Arbeit „Die ökonomische Form des Revisionismus“, in Heft15/03 von „offensiv“, S. 49, Fußnoten 48 und 49.

Fußnote 48: „Aber kann mit Geld, mit überhaupt einem Preis geplant werden? Aber selbstverständlich, das ist bewiesen worden. Festpreis ist die einzige Form für den Preis, in der nicht auf den Wert reagiert werden kann! Also kann mit ihm geplant werden.“

Fußnote 49: „Festpreis heißt – in der Planwirtschaft – nur fest gegen den Wert, also nicht zu verändern durch diesen. Ansonsten kann er verändert werden, wenn dies ein Interesse ist, das sich aus der Aneignung dem Gebrauchswert nach ergibt.“ ( Meine Unterstreichung, K.G.)

Damit wird deutlich: Jacobs schließt seine These der Trennung des Geldes vom Wert aus der Tatsache, dass im Sozialismus viele Konsumgüter zu einem Preis verkauft werden, der unter ihren Kosten liegt: Mieten, bestimmte Lebensmittel, Kinderkleidung, usw.

Er lässt dabei aber völlig außer acht, dass dies nur möglich war und prinzipiell nur möglich ist, weil der nicht durch den Preis gedeckte Teil der Produktionskosten vom Staat durch Subventionen bezahlt wird. Was  der Staat aber als Subventionen verausgabt, kann nicht ein zweites Mal, z. B. für den Erhalt der Altsubstanz an Wohnungen oder für Investitionen ausgegeben werden. Und: was der Staat bei subventionierten Konsumgütern zusetzt, muss er – soll eine Inflation verhindert werden -  bei anderen Produkten, die nicht lebenswichtig sind – hochwertige Industriegüter, Autos etc., - durch erheblich über den Produktionskosten liegenden Preisen wieder hereinholen. Wenn Jacobs nicht so vernarrt wäre in sein Steckenpferd, nämlich seine  Entdeckung der „neuen Theorie des Sozialismus“, dann hätte er diese einfache Lösung  des Wesens seines „Festpreises“ schon in Stalins „Ökonomischen Problemen“ finden können.  Zum Beispiel, wenn er  die folgenden dort zu findenden Ausführungen, 

- die er sicher gelesen, aber , weil sie nicht in sein Schema passen,  zu seinem und unserem Schaden, die wir uns nun mit seinen halbgaren Theorien herumplagen müssen - als unrichtig verworfen hat -  gründlich durchdacht hätte:

„Manche Genossen ziehen daraus den Schluß, dass das Gesetz der planmäßigen Entwicklung der Volkswirtschaft und die Planung der Volkswirtschaft das Prinzip der Rentabilität der Produktion aufheben. Das ist völlig  falsch. Die Sache verhält sich gerade umgekehrt. Wenn man die Rentabilität nicht vom Standpunkt einzelner Betriebe oder Produktionszweige betrachtet und nicht den Maßstab eines Jahres anlegt, sondern sie vom Standpunkt der gesamten Volkswirtschaft betrachtet und den Maßstab von etwa 10 bis 15 Jahren anlegt, was die einzig richtige Fragestellung wäre, dann steht die zeitweilige und labile Rentabilität einzelner Betriebe oder Produktionszweige in gar keinem Vergleich zu der höheren Form der sicheren und ständigen Rentabilität, die uns die Wirkung des Gesetzes der planmäßigen Entwicklung der Volkswirtschaft und die Planung der Volkswirtschaft gewährleisten, indem sie uns vor den periodischen Wirtschaftskrisen, die die Volkswirtschaft zerrütten und der Gesellschaft gewaltigen materiellen Schaden zufügen, bewahren und uns das ununterbrochene außerordentlich schnelle Wachstum der Volkswirtschaft sichern.“  (S. 25).

3. Das Jacobs’sche „neue ökonomische Recht auf Aneignung“

Diese im Rahmen der objektiven ökonomischen Gesetze bleibende Erklärung reicht Jacobs nicht aus, weil er meint, entdeckt zu haben, dass der „Wertpreis“ fallen musste, um einem „neuen ökonomischen Recht der Aneignung“  zum Durchbruch zu verhelfen. Seine  von mir unterbrochene Fußnote 49 geht nämlich so weiter:

„Die Aufhebung des Preises als Wertpreis kommt nicht daher, dass es in der Planwirtschaft ein Desinteresse am Arbeitsaufwand gibt, sondern weil es darum geht, ein neues ökonomisches Recht der Aneignung durchzusetzen, also das Gesetz der Aneignung des Sozialismus zur Geltung zu bringen, und das kollidiert mit dem Wertpreis, weil dieser ein entgegengesetztes Recht auf Aneignung realisiert. Festpreis ist also ein notwendiger Kompromiss zwischen neuem Inhalt und alter Form, nur Festpreis, nicht mehr auf den Wert mehr reagierender Preis ist dieser Kompromiss.“

Wie erklärt  Jacobs die Frage, was unter dem alten und was unter dem „neuen ökonomischen Recht der Aneignung“ , unter dem „Gesetz der Aneignung des Sozialismus“  zu verstehen ist? Die Antwort bleibt dunkel:

Jacobs spricht davon, dass „die Planwirtschaft mit ihrem anderen Prinzip der Aneignung als dem des Wertes beginnt; sie kann wiederum nicht beginnen, wenn der Wert noch die Aneignung beherrscht.“  (S.8).

Eine Erläuterung diese dunklen Satzes, die aber das Verständnis kaum fördert, wird in einer Fußnote gegeben: „Aneignung ist entweder von der Konsumtion her oder von der Produktion her bestimmt. Nun ist Konsumtion Aneignung. Daher ist eine von der Produktion her bestimmte Aneignung immer als deren Widerspruch zu erkennen, d. h. die Warenproduktion, die eine Aneignung von der Produktion her bestimmt, ist mit einem genetischen Makel behaftet. (S. 8, Fn.2)

Schließlich bringt  Jacobs auf  Seite 20 noch die Begriffe „allgemeine“ und „exklusive“ Form der Aneignung“ ins Spiel: „Im Kommunismus geht es von Anfang an... um allgemeine Aneignung des Produzierten, nie um exklusive.“

Ich muss offen gestehen: mein Intelligenz-Quotient reicht nicht aus, den Sinn dieser  Ausführungen zu kapieren. Ich führe sie dennoch an, um anderen, deren IQ höher ist, ein möglichst vollständiges Bild von  Jacobs Theorie zu geben. Mir persönlich will aber scheinen, dass die zitierten Ausführungen  für die „allgemeine“ und gegen die „exklusive“ Aneignung  im Widerspruch stehen zu folgender Aussage von Jacobs:  „Ansonsten (also wollte der Sozialismus auf das Geld verzichten) müsste, solange Knappheit herrscht, die Verteilung über ein Kartensystem erfolgen, womit die  Verteilung der Form nach gesellschaftlich statt individuell bestimmt würde. Die Verteilung nach dem Bedarf soll im Kommunismus aber individuell bestimmt werden, das Individuum soll von sich sagen, wessen es bedarf und dies als Auftrag an die Produktion weiterleiten.“ (S.10, Fn.4). Frage: Ist nicht die Entgegennahme des individuell Verteilten eine individuelle, damit exklusive Aneignung? Wenn nicht, was ist dann z.B. der Kauf eines Laib  Brotes? Verteilung  oder Aneignung?

4. Hermann Jacobs Korrektur der  Marx- Thesen über den Sozialismus

Mit der zitierten Fußnote 4 kommen wir zu einer weiteren Besonderheit der Entdeckung  H. Jacobs‘. Aus dem von mir zitierten ist wohl hinreichend deutlich geworden, dass die von ihm geforderte und vorgeführte „linke Kritik an der offiziellen Sozialismustheorie“ sich ausdrücklich gegen Stalinsche Thesen in den „Ökonomischen Problemen des Sozialismus in der UdSSR  richtet. In anderen Passagen stellt er sich ausdrücklich als Marxist und als Verteidiger des Marxismus gegen jene vor, die Marx revidieren:

„Es kommt darauf an, die Reform, d. h. die „Theorie der sozialistischen Warenproduktion“, wieder aus dem Sozialismusverständnis der Arbeiterbewegung zu verdrängen; sie ist bürgerliche Revision des Sozialismus.“  (S. 11). Zu diesem Satz gehört die Fußnote 5 auf der gleichen Seite. Sie beginnt so:

„Diese Marx revidierende Theorie begann ja, wie bekannt, in Deutschland mit Eugen Dühring...“

Was also ist Stalin? Ein Nachfahre des Marx-Revidierers Eugen Dühring!

Es bleibt aber nicht dabei. Das wirklich Böse ist, dass Jacobs, der sich hier als Verteidiger von Marx gegen dessen Revidierer gibt, an anderen Stellen - aber anders als bei seiner Kritik an Stalin, nun nicht offen, sondern gewissermaßen heimlich und verkappt, ohne direkten Bezug auf Marx, – einige von Marxens Thesen über die Ökonomie des Sozialismus ebenfalls als Bestandteile der „alten Theorie“ behandelt, die über Bord geworfen werden müssen.  So hält er nichts von der Marx‘schen Kennzeichnung der zwei Phasen des Kommunismus, in deren erster nach Marx das Verteilungsprinzip gilt: ‚Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung‘ und erst in deren zweiter Phase, - nachdem die Produktivkräfte erlauben, soviel zu produzieren, dass jedes (vernünftige) Bedürfnis befriedigt werden kann -, nach dem Prinzip verteilt werden wird: ‚Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.‘ (Siehe „Kritik des Gothaer Programms, MEW Bd. 19, S. 21).

Nein, Jacobs neue Sozialismustheorie besagt, daß schon im Sozialismus das Prinzip der Verteilung nach Bedarf - (warum wohl benutzt Jacobs hier nicht das von Marx gebrauchte Wort „Bedürfnis“?) - gilt, und dass die Verteilung nach Bedarf nicht von dem Entwicklungsgrad der Produktivkräfte abhängt. Die Fußnote 4, deren Beginn wir oben zitierten, geht so weiter: „Die Verteilung nach dem Bedarf soll im Kommunismus aber individuell bestimmt werden...Diese Form der Freiheit kann aber die Produktion noch nicht garantieren (der Kommunismus bestimmt die Freiheit als ein Moment der Bindung an eine Gesellschaft wie deren Entwicklung) so dass die Konsumtion noch einer Beschränkung unterliegen muss – und hier geht das über eine begrenzende Geldmenge besser als über ein direkt Gütermengen zuweisendes Kartensystem (nur in Kriegszeiten ist das unumgänglich). Die begrenzte Geldmenge (Lohnmenge etc.) ist nur eine allgemeine Mengenbegrenzung, in deren Rahmen sich das bestimmte Individuum frei, also bereits nach eigenem Bedarf  (meine Unterstreichung, K.G.) bewegen, d.h. kaufen kann .Wir haben also bereits eine Umsetzung der Aneignung nach dem Bedarfsprinzip,  (meine Unterstreichungen, K.G.) wenn auch das Geldsystem, in welchem es wirksam wird, wegen seines begrenzenden Charakters als sein Gegenteil erscheint.“

So also „ersetzt“ die neue Jacobssche Sozialismustheorie Marxens  Thesen aus seinen „Randglossen“ zur Kritik des Gothaer Programms!

Ebenfalls nicht gegen irgendwen, sondern gegen Marx‘ Thesen aus der Kritik des Gothaer Programms  gerichtet, sind auch unverkennbar Jacobs folgende Auslassungen: „Das Zögern der Kommunisten vor einem theoretischen Paukenschlag hat seine Ursache in der Furcht, den Kommunismus vor dem allgemeinen Wohlstand zu deklarieren. Das hat zur Folge, dass wir die qualitativen Faktoren beim Aufbau des Kommunismus unter- und die quantitativen überbewerten, der Kommunismus wird auf die Entwicklung der Produktivkräfte reduziert. Bevor diese entwickelt sind – kein Kommunismus. Falsch daran ist,  dass  (was Jacobs hier sagen will, ist:  Das ist deshalb falsch, weil) es im Kommunismus von Anfang an, mit jedem Schritt in eine höhere gesellschaftliche Produktivität, um allgemeine Aneignung des Produzierten geht, nie um exklusive. Und diese allgemeine Form der Aneignung, die der exklusiven in Eigentumsgesellschaften diametral entgegensteht, hat der Kommunismus von seinen Verhältnissen her, nicht seinen Produktivkräften. Deshalb ist es richtig, von kommunistischen Verhältnissen des Sozialismus von Anfang an zu sprechen, und nicht erst von jenen Produktivkräften als kommunistisch,  auf die er noch eine Weile hin zu arbeiten hat.“  (S.19/20)

Muss man es noch extra sagen, dass Jacobs hier Marx belehrt hat? Dass er mit diesen Worten  die bekannte, immer wieder zitierte Feststellung von Marx im der Programmkritik für korrekturbedürftig erklärt, an der die Kommunisten so hartnäckig festhalten, statt endlich dem von Jacobs geführten „theoretischen Paukenschlag“ Beifall zu klatschen und auf seine Seite überzugehen? Nämlich diese Marx-Worte: „In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, ... nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftliche Reichtums voller fließen – erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahnen schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ (MEW, Bd. 19, S.21). Nein, sagt Jacobs, eben nicht erst dann, sondern im Sozialismus von Anfang an! Wer das nicht anerkennt,  der hat den Kommunismus noch nicht richtig begriffen!

Und schließlich sei noch einmal an Jacobs „ehernes Dictum“ erinnert und dieses mit Marxens Aussage konfrontiert:

Jacobs: Zu keiner Zeit von sozialistischer Realität nach der Oktoberrevolution ... hat es in der Sowjetunion eine Warenproduktion gegeben, ; weder wirkte der Wert, das Wertgesetz.“ (S. 8).

Marx: „Dasselbe Quantum Arbeit, das er (der einzelne Produzent) der Gesellschaft in einer Form gegeben hat, erhält er in der anderen zurück. Es herrscht hier offenbar dasselbe Prinzip, das den Warenaustausch regelt, soweit er Austausch Gleichwertiger ist. Inhalt und Form sind verändert, weil unter den veränderten Umständen niemand etwas geben kann außer seiner Arbeit und weil andererseits nichts in das Eigentum der einzelnen übergehen kann außer individuellen Konsumtionsmitteln. Was aber die Verteilung der letzteren unter die einzelnen Produzenten betrifft, herrscht dasselbe Prinzip wie beim Austausch von Warenäquivalenten, es wird gleich viel Arbeit in einer anderen ausgetauscht.“  (MEW, Bd. 19, S.20).

Genau zur Widerlegung dieser Feststellungen von Marx hat Jacobs seinen oben erwähnten Exkurs: „Die zwei Formen der Aneignung“ als Anhang zu seinem Artikel „Die ökonomische Form des Revisionismus“ geschrieben, wiederum, ohne dies direkt zu sagen. In  diesem Anhang versucht er ebenso wortreich wie kaum verständlich seine eigene Theorie der Marx’schen entgegenzustellen. Im Wesentlichen geht es ihm darum – wenn ich wirklich zum Kern seines Anliegens durchgedrungen bin -, zu begründen, dass Aneignung im Sozialismus schon kommunistische Aneignung ist und sein muß.  Das bedeutet, dass der gesellschaftlich produzierende Einzelne schon im Sozialismus nicht nur Anspruch darauf hat, aus dem gesellschaftlichen Güterfonds  quantitativ  soviel  für sich zu entnehmen, wie dem entspricht, was er selbst  zu diesem Fonds beigesteuert hat, sondern   dass er das Recht hat, soviel zu entnehmen, wie er zur Deckung seines Bedarfes braucht. Der Wechsel des Gutes von einer Hand in die andere wird aber noch vermittelt durch das Geld. Das Geld ist aber nicht mehr Maßstab für Wert oder Arbeitszeit, sondern „vom Wert getrennt“.

Man fragt sich, warum das Geld überhaupt noch nötig ist, wenn doch schon das Prinzip der Aneignung nach Bedarf gilt und nicht – wie bei Marx – das Prinzip der Aneignung entsprechend dem eigenen Beitrag, der eigenen Leistung.

Das beantwortet Jacobs, wie wir schon gesehen haben, (S.14/15) damit, dass noch Knappheit herrscht und deshalb der Aneignung Grenzen gesetzt werden müsse. Das könne entweder durch ein Kartensystem geschehen, oder durch Geld. Die Begrenzung durch das Geld sei aber vorzuziehen, weil sie individuell und nicht gesellschaftlich sei, und die Verteilung im Kommunismus solle nun einmal individuell sein.

Es ist schon höchst kurios, dass sich Jacobs anscheinend überhaupt nicht die Frage stellt: wenn noch Geld zur Aneignung (also zum Kauf) von Gebrauchsgütern nötig ist, und die Menge Geld, die auf jeden Einzelnen entfällt,  nicht mehr – wie bei Marx  - durch das Maß an Arbeit bestimmt ist, das er  zur Gesamtarbeit beisteuert, also durch seine Leistung, - nach welchem Kriterium soll denn dann die Aufteilung der Geldmenge auf die einzelnen Produzenten erfolgen? Diese Frage existiert offenbar nicht für ihn, folglich erfordert sie auch keine Antwort. Bei Jacobs ist sie jedenfalls nirgends zu finden. Es sei denn, man gibt sich mit einer solchen Feststellung wie der folgenden als ausreichende Erklärung zufrieden: „An die Stelle des Individuums (individuellen oder privaten Produzenten), der Geld konsumtiv quantitativ anders einsetzt als er es produktiv erwirbt, tritt nun die Gesellschaft, deren Glied man mit der Aufhebung des privaten Eigentums wird. Man muss allerdings die individuelle durch eine gesellschaftliche, die „anarchische“ durch eine geplante Geldpolitik ersetzen, das Inbesitznehmen von Geld ist dann eine Umsetzung der Planung der Arbeit.“ ( H.15/03, S.53/54, Fn. 56)  

Aber damit kann man sich natürlich nicht zufrieden geben, denn es gibt auf die Frage, wovon der Anteil von Geld bestimmt wird, der laut Plan von jedem Einzelnen „in Besitz genommen“ werden darf, keine Antwort. Wie argumentiert Jacobs im erwähnten „Anhang“? Er beginnt seinen Anhang so: „Allgemein zum Verständnis der beiden Prinzipien der Aneignung, worin gewechselt werden soll: Das Selbst, also das Private, das Eigentum regulierende Prinzip der Ökonomie – die an eine Gesellschaft der Arbeit gerät/geraten, - ist das Wertprinzip. Inhaltlich heißt Wertform, dass eigene Arbeit – oder die Arbeit individuell – angeeignet wird, nicht andere, nicht gesellschaftliche Arbeit, die für die eigene Arbeit ‚für mich‘ geleistet wird. Aber eigene Arbeit wird in einer allgemeinen Form angeeignet, die damit der Darstellung bedarf und die, wenn sich jeder, der arbeitet, so darstellt, Aneignung der eigenen Arbeit als eines Teils  der Arbeit aller als einer eigenen ist, die eigene Arbeit ist gesellschaftlich gleichgesetzt, ist gesellschaftlich gleiche Arbeit (dies ist mit der Theorie der abstrakten Arbeit von Marx erklärt worden).“ (H.15/03, S.52).

Mit dem, was darauf folgt, wird der „salto mortale“ oder auch das „simsala bim“ eingeleitet, mit dem anstelle der Marx‘schen Aneignung von Äquivalenten die allgemeine Aneignung von Mehr-als- Äquivalenten  möglich werden soll: „In dieser Form der Aneignung der eigenen Arbeit in einer allgemeinen Form, worin der gesellschaftliche Zugang gegeben, sind alle Momente einer höheren Form der Aneignung der Arbeit enthalten, nämlich auch ihre Umkehrung, dass man gesellschaftliche Arbeit, die Arbeit aller oder anderer, als eigene aneignet. Die Voraussetzung, erst muß eigene Arbeit in die Gesellschaft eingespeist werden, dann kann andere Arbeit angeeignet werden, kann gebrochen worden[3]  (d.h. Arbeit kann auch unmittelbar gesellschaftlich angeeignet werden, es bedarf nicht der Wertform oder der eigenen Arbeit in der Voraussetzung.)“

Dazu gibt es eine Fußnote 53, in der u.a. gesagt wird: „Wie unsinnig, ist die Arbeit erst mal gesellschaftlichen Charakters geworden, alle Aufmerksamkeit weiterhin auf das Individuum, die ‚private  Aneignung‘ zu richten. Aber diese Wende darf nicht wieder verunglimpft und dem Zweifel ausgesetzt werden, wenn es z. B. heißt: ‚Niemand darf auf Kosten anderer leben.‘ Dann ist der Kommunismus, der in der Arbeit seine Grundlage hat, (nicht in Philantropie) noch immer unbegriffen.“

Denn was ist „kommunistische Aneignung der Arbeit“, die auch schon im Sozialismus zu gelten hat? „Unter kommunistischer Aneignung der Arbeit verstehen wir nicht die Aneignung der eigenen Arbeit, in einer gesellschaftlichen Form, sondern die Aneignung der gesellschaftlichen Arbeit – für den eigenen Bedarf.“  (S.55)

Nun müßte doch auch Jacobs klar sein, dass der Satz: „Niemand soll auf Kosten anderer leben“  mit anderen Worten das Gleiche sagt, wie Marxens Formulierung des Verteilungsprinzips im Sozialismus: „Jedem nach seiner Leistung.“ Nach Jakobs ist Marx also kein kommunistischer Ökonom, sondern –  ein Philantrop, der den Kommunismus nicht begriffen hat.

Ist das nicht ein klein wenig zuviel der Selbsterhöhung?

Das ist aber noch nicht alles, was Jacobs bei Marx an fehlerhaften Thesen entdeckt hat und nun „richtigstellt“; nein dazu gehört auch die schon einmal zitierte Feststellung von Marx in der Gothaer- Programm-Kritik, dass erst in der zweiten Phase des Kommunismus, „der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahnen schreiben (kann): Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“

Nein, sagt Jacobs, diese kommunistische Aneignung der Arbeit beginnt bereits im Sozialismus,  mit der Planwirtschaft, und damit „ist die bürgerliche Rechtslage völlig aufgehoben, in ihr Gegenteil gekehrt. Sozialismus ist ein neues Rechtsverständnis in der Ökonomie. Es ist ein neues Rechtsverständnis, keineswegs ein neues Ökonomieverständnis.“ (S.55).

Warum sprach ich oben von „salto mortale“ oder „simsalabim“ der Jacobs’schen Theoriebildung? Weil nach dieser Theorie im Sozialismus bereits nach dem Bedarfsprinzip verteilt werden kann, und weil sogar jeder Einzelne sich nach Bedarf aneignen kann, ohne selbst einen Beitrag geleistet zu haben.  („Die Voraussetzung, erst muß eigene Arbeit in die Gesellschaft eingespeist werden, kann gebrochen werden“; ferner die Polemik gegen den Grundsatz „Niemand darf auf Kosten anderer leben“.) Das bedeutet ja in der Konsequenz nichts anderes als dass im Sozialismus von der Gesellschaft mehr genommen werden kann, als ihr insgesamt gegeben wird. Jacobs wird diese Konsequenz heftig bestreiten, aber sie ergibt sich nun einmal aus dem Gedankengebäude, das er so mühevoll errichtet und dessen Struktur und Inhalt noch mühevoller zu erschließen ist, wie im Nachfolgenden weiter zu sehen ist.

Im Anhang geht es weiter mit der Erklärung, was unter den „zwei Formen der Aneignung“ zu verstehen ist: „Es sind ja zwei verschiedene gesellschaftliche Bestimmungen. Einmal tritt man als Produzent auf und eignet an, was man selbst produziert hat – dies gesellschaftlich die Wertform, und andermal tritt man als Konsument auf und eignet an, was andere für einen...produziert haben – dies  gesellschaftlich die Güterform.“ (S.52.

Was für ein Produzent ist hier gemeint? Offensichtlich ein Privatunternehmer, denn der Produzent in einem der ganzen Gesellschaft gehörenden Betrieb ist nicht Eigentümer der von ihm produzierten Produkte – sie sind von Anfang an Eigentum der ganzen Gesellschaft. Er selbst bekommt nur eine Bescheinigung über geleistete Arbeit in Gestalt des Arbeitslohnes. Deshalb kann von einer Aneignung  seiner eigenen Arbeit als Produzent gar keine Rede sein, sondern nur von einer  Aneignung von Konsumgütern durch ihn als Konsument. Deshalb  wären die Betrachtungen über  „Zwei Formen der Aneignung“ nur sinnvoll, wenn entweder von privaten Unternehmern oder von Genossenschaften in Landwirtschaft, Gewerbe oder Handel die Rede ist. Und deshalb fehlt auch allen nachfolgenden Betrachtungen über die Unterschiede von „produktiver“ und „konsumtiver“ Aneignung eine Entsprechung in der Wirklichkeit. Ich führe sie dennoch an, damit sich der Leser gerade davon überzeugen kann.

Die „zwei verschiedenen gesellschaftlichen Bestimmungen“ der Aneignung sind also einmal „die produktive“, d.h., jene die man als Produzent tätigt, und die zweite „die konsumtive“, d.h. jene, die man als Konsument tätigt. Jacobs fährt fort: „Auch die konsumtive Bestimmung ist eine quantitative Bestimmung der Arbeit, sie ist kein maßloses, sondern auch ein begrenztes wie ökonomisch begründetes Recht.“ Das soll wohl ein Hinweis auf die Begrenzung der „Bedarfsbefriedigung“ durch Knappheit sein, ( wie  schon weiter oben einmal erwähnt.)

Doch weiter im Jacobs-Text: „Obwohl beide Formen der Aneignung die Bedingung erfüllen, quantitativ bestimmt, also rational zu sein (Zugriff auch auf Arbeitszeit zu sein, hier nur vermittelt über das Produkt – bei Wertform ist es genau umgekehrt, ist Zugriff auf das Arbeitsgut vermittelt über die Wertform), ist diese nicht von gleicher Größe.“ (Soll heissen: Was ich als Produzent aneigne, ist quantitativ unterschieden von dem, was ich als Konsument aneigne.) „Quantitativ gleich ist die Konsumtion der Produktion nur dann, wenn die Konsumtion eine Umsetzung nur der eigenen Produktion ist, ihr Maß in dieser findet (was dann allerdings den Wert als Gegenstand der Aneignung unterstellt.)“  (Meine Unterstreichung).

Das ist absoluter Unsinn. Der Wert kann nicht Gegenstand der Aneignung sein, denn der Wert ist eine Eigenschaft des angeeigneten Produkts, nicht das Produkt selbst. Er ist lediglich das Maß für den Austausch mit anderen Produkten. Aber solcher Unsinn kommt heraus, wenn man sich darauf versteift, eine neue  Sozialismustheorie zu erfinden, in der bereits im Sozialismus ein ökonomisches Recht  auf und die Wirklichkeit  des Konsums nicht entsprechend der Leistung, sondern entsprechend dem Bedarf  besteht, wie Jacobs im folgenden Satz erneut postuliert: „Sie (die Konsumtion) ist aber ungleich, d.h. Konsumtion  kann/muss  ein Mehr oder Weniger als die eigene Produktion sein, wenn die eigene Konsumtion die Produktion anderer, gesellschaftlicher Produzenten zur Grundlage oder zum Maß hat; d.h. wenn die ‚eigene Produktion‘ konsumtiv von der Gesellschaft, vom Bedürfnis der Gesellschaft auf die eigene Produktion bestimmt ist.“

Eine Erklärung für dieses „Kann/Muss“ bleibt uns Jacob schuldig. Sollte er aber damit meinen, dass nicht bei jedem einzelnen Kauf (Geld-Ware-Wechsel) Äquivalente ausgetauscht werden, hat er nur eine Banalität ausgesprochen, deren Erklärung längst bei Marx zu finden ist.

IV. Abschließende Bemerkungen zu den Beiträgen von Hermann Jacobs zur Diskussion über Fragen der politischen Ökonomie des Sozialismus

Gegen Schluß seines Artikels in Heft 4/04 gibt H. Jacobs folgende Einschätzung der bisherigen Debatte: „Der eigentliche Fortschritt der bisherigen Debatte besteht nicht darin, dass nun offen von der Reform als Revisionismus gesprochen wird – obwohl darin auch ein Fortschritt ist: der zweite -, sondern dass von einer höheren, kommunistischeren Praxis – und deshalb Theorie – der Planwirtschaft gesprochen wird, ihrer eigentlichen.“ Der Fortschritt besteht – heißt das – darin, dass in die Debatte nun endlich auch seine Theorie des Sozialismus ohne Warenproduktion eingeführt wurde.  „Bevor es wieder zum Sozialismus kommt, müssen wir per Theorie – die auf der Praxis des Sozialismus beruht – die Frage der Warenproduktion, des Abschieds von ihr (oder des Nichtabschieds von ihr) klären. Wir müssen heute debattieren, um den künftigen Sozialismus frei von dieser Debatte zu machen. Experimente sind einmal gut – auch falsche, aber nicht zweimal gut. Es handelt sich um eine theoretische programmatischen Diskussion für eine Praxis von morgen.“  (S.21).

Ich habe Verständnis für diese Sicht von Hermann Jacobs. Schließlich hat er nun schon viele Jahrzehnte mit diesem Problem gerungen, und die „neue Theorie“, die er in unserer Debatte erstmals in Heft 4/04 als eine Gegentheorie zur „offiziellen“ Theorie offenbart und vorgestellt hat, ist für ihn so etwas wie sein Lebenswerk. Um die allgemeine Anerkennung seiner – wie er es sieht – fundamentalen, für einen künftigen Sozialismus lebenswichtigen Erkenntnisse hat er sich schon in der DDR bemüht, aber natürlich ohne Erfolg. Nach dem Untergang der DDR schien die Situation günstig zu sein dafür, seinen in der DDR abgelehnten Ansichten endlich Gehör zu verschaffen. (Wenn ich mich richtig erinnere, wurde auch ein von ihm verfasstes, aber in der DDR zum Druck abgelehntes Buch nach der sogenannten „Wende“ im Dietz-Verlag veröffentlicht und lobend im ND rezensiert.)

Nach alledem wäre er, wenn es ihm nicht um die Anerkennung der von ihm als für den Sozialismus lebenswichtig betrachteten Erkenntnisse, sondern nur um seine persönliche Anerkennung gegangen wäre, nach 1989 in den Reihen der viel zu vielen Wendehälse zu finden gewesen, die eifrig daran arbeiteten und noch daran arbeiten, den Auftrag der „Sieger“ zur Delegitimierung der DDR zu erfüllen und überzuerfüllen. Die aber verabscheut er und hat nie darin geschwankt, die DDR, den Sozialismus, zu verteidigen.

Aus diesem Grunde schätze und achte ich Hermann Jacobs als Genossen und Mitkämpfer. Mir wäre deshalb auch viel wohler, wenn ich mich zu seinen Beiträgen kurz und uneingeschränkt zustimmend hätte äußern können. Warum das nicht geht, dürfte aus dem bisher Gesagten schon deutlich geworden sein, soll aber noch umfassender begründet werden.

Sein Beitrag zur Debatte über den Revisionismus und dessen Wurzeln hat nicht Klärung bewirkt, sondern die Debatte auf Abwege geführt. Für ihn liegt die Ursache für den Revisionismus im Bereich der Ökonomie, in einer falschen Theorie über die Ökonomie des Sozialismus, in der Theorie von dem „Mit- und Nebeneinander von Warenproduktion und Planwirtschaft.“ In Wahrheit steckt, - wie schon Marx, Engels und Lenin aufgezeigt haben -, die Wurzel des Revisionismus (wie des Reformismus und Opportunismus), im Politischen, in den Interessen von Schichten der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums an der Klassenversöhnung anstelle des Klassenkampfes, an der Reformierung des Kapitalismus anstelle seiner revolutionären Beseitigung, und in der Sowjetunion und in sozialistischen Ländern: im Interesse bestimmter Schichten und Gruppen in der sozialistischen Gesellschaft am dauerhaften „friedlichen Zusammenleben“ mit dem Imperialismus anstelle des Kampfes um seine Liquidierung, anstelle der Weltrevolution. Kurzum: Der Revisionismus ist ein Produkt des Klassenkampfes und von Klasseninteressen, nicht aber von falschen Theorien. Am Anfang stehen die Interessen, nicht Theorien. Theorien sind immer Ausdruck von Interessen.

Dies zum ersten.

Zum zweiten: Jakobs Erklärung der Wurzeln des Revisionismus ist ökonomistisch, geht von einer ökonomistischen Vorstellung vom Verhältnis von Ökonomie und Politik aus, kennt nicht  oder mißachtet, was  Lenin über das Primat der Politik ausgesagt hat. Als Trotzki und Bucharin Lenin in der Diskussion über die Gewerkschaften 1921 vorwarfen, er, Lenin, gehe politisch an die Frage heran, sie aber „wirtschaftlich“, führte er aus: „Politik ist der konzentrierte Ausdruck der Ökonomie... Die Politik hat notwendigerweise das Primat gegenüber der Ökonomik. Anders argumentieren heißt das ABC des Marxismus vergessen.... Die Frage steht lediglich so  (und kann marxistisch auch nur so stehen): Ohne politisch richtig an die Sache heranzugehen ,wird die betreffende Klasse ihre Herrschaft nicht behaupten und folglich auch ihre  Produktionsaufgabe nicht lösen können.“ (Lenin, Werke, Bd. 32, S.73/74).

Jacobs enge Fixierung auf die Ökonomie bei der Erklärung der Ursachen für den Revisionismus ist umso erstaunlicher, als er ja beansprucht, bei ihm ginge es „um das Fassen der Gesellschaft als Gesamtheit.“ (S.17). Aber in seiner Argumentation herrscht das Gegenteil vor: er hat nicht einmal die Gesamtheit der ökonomischen Probleme im Auge, geschweige denn die der gesamten Gesellschaft. Den Revisionismus in der Ökonomie sieht er erstens nur in der Theorie, und hier wiederum nur in dem Ausschnitt „Warenproduktion oder Planwirtschaft“. 

Mit die schlimmste Verwirrung richtet er damit an, dass er den Revisionismus und die Revisionisten verharmlost, indem er meint, der Revisionismus sei auf den Bereich der Theorie beschränkt geblieben, die Praxis sei davon nicht betroffen worden. Und zu dieser Ansicht gelangt er, weil sein Blick unentwegt nur fixiert ist auf das eine Problem: Warenproduktion im Sozialismus.  Diese doppelte Einengung der Sicht wird besonders deutlich bei seiner Kritik am Beitrag von Andrea Schön und Gerald Hoffmann. Die beiden werden von ihm dafür gelobt, dass sie klar Kritik üben an den Reformen in der Sowjetunion und anderen sozialistischen Ländern, welche die Warenproduktion ausdehnen wollen; dann aber stellt er kritisch fest: „Beide Autoren übertreiben nach meiner Meinung  in der Frage der praktischen Durchsetzung der Reform. Sie erheben, was nur  Widerspruch, nicht Bruch war, schon zum Bruch  (des Sozialismus mit sich selbst). Der Sozialismus war rein seiner Praxis nach nicht so weit revidiert, wie sie ihn revidiert wähnen. (S.15). ... Die Praxis der Reform, des Revisionismus in der Frage der Warenproduktion (oder rein des wertökonomischen Preissystems...) hat nicht stattgefunden. ... Der Revisionismus der Reform ist wesentlich über seine theoretische Form ... nicht hinausgegangen.“ (S.17).

Er hat also nicht bemerkt, dass der Revisionismus in die Wirtschaftspolitik, also in die Praxis, der Sowjetunion und anderer sozialistischer Staaten , schon kräftig Eingang gefunden hatte. Für ihn ist es offenbar kein ökonomischer Revisionismus, wenn gegen das Gesetz der vorrangigen Entwicklung der Abteilung I (Produktionsgüter) vor der Abteilung II (Konsumgüter) verstoßen wird, indem die Abteilung II auf Kosten der Abteilung I bevorzugt wird. Für ihn ist es auch kein ökonomischer Revisionismus, wenn in der Sowjetunion an die Stelle realistischer Wirtschaftspläne ein fantastischer, alle objektiven Bedingungen außer acht lassender „Wirtschaftsplan“ verkündet , wie auf dem 21. Parteitag der KPdSU 1959, und beschlossen wird, wie auf dem 22. Parteitag 1961. („Im nächsten Jahrzehnt (1961-1970) wird die Sowjetunion beim Aufbau der materiell-technischen Basis des Kommunismus die USA – das mächtigste und reichste Land des Kapitalismus – in der Pro-Kopf-Produktion überflügeln; ... Als Ergebnis des zweiten Jahrzehnts (1971-1980) wird die materiell-technische Basis des Kommunismus errichtet, die einen Überfluß an materiellen und kulturellen Gütern für die gesamte Bevölkerung sichert.“ (Programm und Statut der kommunistischen Partei der Sowjetunion, Berlin 1961, S.62). Für ihn ist auch die Auflösung der MTS und der Verkauf ihrer Maschinen an die Kolchosen, also die Erweiterung des Bereiches des Warenaustausches, keine der Reformen, die er als revisionistisch für bekämpfenswert hält. Für ihn ist es auch nicht Revisionismus, wenn an die Stelle der immer weitergehenden Verflechtung der Volkswirtschaften der sozialistischen Länder durch Koordinierung ihrer Pläne innerhalb des RGW ein bürgerlich-nationalistisches Prinzip der nationalen „Selbstbestimmung“ gesetzt wird: „Fragen des Unterschiedes in den konkreten Formen der Entwicklung des Sozialismus sind ausschließlich Sache der Völker der einzelnen Länder“.  ( Jugoslawisch-sowjetische „Belgrader Deklaration“ v. 2. Juni 1955).

Es ließen sich noch viele Beispiele des praktizierten ökonomischen Revisionismus aufzählen, die ihm offenbar entgangen sind.

Das ist umso merkwürdiger, als in „offensiv“ nicht wenige Artikel erschienen sind, in denen Beispiele von praktiziertem Revisionismus in Politik und Ökonomie der Sowjetunion und anderer sozialistischer Länder angeführt wurden. Jacobs hat sie einfach nicht zur Kenntnis genommen, auf jeden Fall nicht für notwendig gehalten, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Eine solche Blindheit oder auch einfache Nichtbeachtung von Fakten, die der eigenen Theorie widersprechen, das sture Behaupten der eigenen Position ohne jede Bereitschaft, sie immer wieder in Frage zu stellen und zu überprüfen, führt auf einen Weg, auf dem aus  ursprünglich wissenschaftlichem Forschen zur Gewinnung von neuen Erkenntnissen rechthaberische Steckenpferd-Reiterei werden kann.  

Es verwundert ferner auch sehr, daß bei Jacobs nur vom vergangenen und vom künftigen Sozialismus die Rede ist, er aber mit keinem Wort auch nur erwähnt, dass es  auch in der Gegenwart sozialistische Staaten gibt. (Doch, ich muss mich korrigieren: es gibt – wenn ich nichts übersehen habe – eine einzige Ausnahme: zweimal nimmt er Bezug auf China, einmal im „Anhang“ in Heft 15/03, S.55, Fn.60, zum anderen in Heft 4/04 auf  S.19, Fn 14. Im ersten Falle sagt er, China befinde sich noch in einer Übergangsphase zum Sozialismus. Die Fußnote 14 in Heft 4/04 bleibt mir allerdings unverständlich. Im Zusammenhang mit folgender Feststellung: „Unter der Bedingung, dass noch von keiner kommunistischen Praxis die Rede sein kann, kann auch das Gegenteil des Kommunismus Kommunismus sein“ folgt die Fußnote: „Man muß ja auch China ein Recht zubilligen, denn es ist doch ...möglich.“) Es kommt also heraus, dass er offenbar meint, seine Theorie hatte nur für die Vergangenheit und  für die Zukunft Bedeutung, nicht jedoch für die gegenwärtigen Probleme der sozialistischen Staaten. 

Um dem Ganzen einen versöhnlichen Abschluß zu geben, gebe ich noch einmal Ingeborg Böttcher das Wort, die zum Abschluss ihrer Kritik an Jacobs (in Heft 6/03, S.46) schrieb: „Dafür, dass ich hierbei – ( bei der ‚Wahnsinnsarbeit der Entwirrung und Entschärfung des Fragments von Hermann Jacobs über die Ökonomie des Sozialismus‘) Vieles neu hinzu gelernt und erkannt habe, möchte ich mich bei Hermann Jacobs wie auch bei der Redaktion von Offensiv herzlich bedanken.“

Damit sollte es aber in „Offensiv“ nun genug damit sein, noch weiteren Platz für Thesen zur Verfügung zu stellen, die denjenigen, der sie zu verstehen versucht, zu einer „Wahnsinnsarbeit“ der „Entwirrung“ von vielfach Verwirrtem zwingt. Der Platz wird dringend gebraucht für Beiträge zur Erforschungen der Ursachen des Niederganges des Sozialismus in Europa und der Krise der kommunistischen Bewegung anhand von umfassenden konkreten Analysen von Politik und Ökonomie der sozialistischen Staaten, aus denen wir die Lehren ziehen können für den Erfolg des zweiten Anlaufs zur sozialistischen Umgestaltung Europas und der Länder der ehemaligen Sowjetunion.

                                                                                                                               Kurt Gossweiler, Berlin

Erinnerung an Max Sievers

Gernot Bandur: Freidenker und Sozialist; Max Sievers zum 60. Todestag[4]

Am 17. Januar 1944 wurde Max Sievers im Zuchthaus Brandenburg von den Hitlerfaschisten hingerichtet.

Wenn wir, die Mitglieder des DFV, die ganze freigeistig - humanistische Bewegung, ja alle Demokraten Deutschlands und darüber hinaus, seiner gedenken, so ehren wir ihn nicht nur als den langjährigen Vorsitzenden einer der größten Weltanschauungsgemeinschaften und Kulturorganisationen der Weimarer Republik (nicht zuletzt ca. 1/2 Mio. Mitgliedern) sondern zugleich als einen der konsequentesten Streiter gegen Rassismus, Faschismus und Krieg sowie kapitalistische Ausbeutung, gedenken eines entschiedenen Vorkämpfers für den Sozialismus. Dessen Kompass  im ganzen bewussten Leben der Marxismus war.

1. Jugendjahre und erste Bewährung als proletarischer Führer

Max Wilhelm Georg Sievers wurde am 11.Juli 1887 in Tempelhof, Kreis Teltow (dem späteren Berlin -Tempelhof) als uneheliches Kind geboren. Seine Mutter Emma war Handarbeiterin und lebte im Haushalt ihrer Eltern. 1888 heiratete sie den Mecklenburger Tischler Max Schmidt, zog zu ihm in den Nachbarort Rixdorf (dem späteren Berlin Neukölln) einem typischen Proletarierbezirk. Damals wurde dort überwiegend sozialdemokratisch gewählt.

Nach Abschluss der Gemeindeschule 1901 musste Max Sievers für seinen Lebensunterhalt selbst aufkommen, denn sehr schnell gehörten zur Familie weitere 6 Kinder. Als Gelegenheitsarbeiter, Glaser und Kutscher schlug er sich durch. Dank großer Energie besuchte er aber noch nebenher eine Abendschule, was es ihm ermöglichte nach Abschluss derselben ( ab ca.1907) als kaufmännischer Angestellter bei den Zeitungsverlagen Scherl und Ullstein zu arbeiten. Gerade hier kam M.Sievers dann auch in unmittelbaren Kontakt mit progressiven Arbeitern. Sie gewannen ihn für die freien Gewerkschaften, die SPD und die freigeistige Bewegung.

1913 heiratete Max Sievers erstmals. Seine Ehefrau Maria kam aus einer katholischen Familie, die in Neuköllns Umgebung ein kleines Anwesen besaß. Sie kränkelte sehr und starb schon 1916. So wuchsen die 2 Kinder, Tochter Margarethe und Sohn Kurt, während des 1. Weltkriegs zum Teil  bei Verwandten auf, denn seit Januar 1915 war Max Sievers Soldat. Bald schwer verwundet, wurde er nach „Genesung“ im Sanitätsdienst eingesetzt. Hier lernte er auch seine 2. Ehefrau, (1920) die belgische Krankenschwester Denise Wauquier kennen.

Schon lange Gegner von Militarismus, Krieg sowie der „Burgfriedenspolitik“ der rechten sozialdemokratischen Führer, radikalisierten ihm seine eigenen Kriegserfahrungen. Er sympathisierte mit der von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg geführten Spartakusgruppe, trat der USPD bei, gehörte zu ihrem linken proletarischen Flügel. Während der Novemberrevolution 1918/19 nahm er als Mitglied des Neuköllner Soldatenrates an vielen Demonstrationen und den bewaffneten Kämpfen teil. Er unterstützte die Forderung „ Alle Macht den Räten! Gegen die Nationalver- sammlung!“. Besonders eng war sein Verhältnis zu dem Mitglied des Vollzugsrates der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte, einem theoretischen Kopf der Freireligiösen und der USPD,  Ernst Däumig. Er war sein politischer Ziehvater.

Seit Januar 1919 war M.S. Stadtverordneter in Neukölln und vom Sommer 1919 bis zum Spätherbst 1920 verantwortlicher Redakteur des „Arbeiter-Rat“. Entschieden verteidigte er die durch die Novemberrevolution errungenen demokratischen Freiheiten, einschließlich der Trennung von Staat und Kirche. Als Delegierter des außerordentlichen USPD - Parteitags in Leipzig (30. Nov.-6.Dez.1919) schon aktiver Unterstützer eines von Walter Stoecker u. a. linken Delegierten eingebrachten Resolutionsentwurf, der den sofortigen Ausschluss an die im März 1919 gegründete Kommunistische Internationale vorsah, setzte er sich besonders nach dem Kapp – Putsch 1920 für die Vereinigung von USPD und KPD ein.

Mit dem Vereinigungsparteitag der USPD (Linke) und der KPD im Dezember 1920 wurde Max Sievers Mitglied der VKPD. Er arbeitete hauptamtlich in deren zentralem Parteiapparat, wurde einer der Redakteure des Zentralorgans, „die Rote Fahne“, er redigierte zeitweilig hauptverantwortlich die seit dem 1. Januar 1921 erschienene Abendausgabe.

Im Februar 1921 war er einer der Kandidaten der VKPD für den preußischen Landtag, wirkte von Ende Februar bis Mai 1921 als gewähltes Mitglied der Zentrale (dem höchsten Leitungsorgan). Wenn auch zögerlich, trat er für die zwecks Unterstützung der bewaffneten Kämpfe in Mitteldeutschland (Mansfelder Gebiet) im März 1921 ausgegebene Forderung nach Ausrufung eines Generalstreiks ein. Nach Niederschlagung der Kämpfe wurde auch Max Sievers wie viele andere verfolgt und eingekerkert.

Nach dem Ausschluss des ehemaligen Vorsitzenden der VKPD, Paul Levi, aus der Partei, den Max Sievers wie viele andere ablehnte, trat er aus der Kommunistischen Partei aus. Er schloss sich der von Levi, Adolph Hoffmann, Ernst Däumig u. a.  gegründeten Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft (KAG) an, wurde deren hauptamtlicher Sekretär, gleichzeitig auch Redakteur der Zeitschrift „Unser Weg“ und Geschäftsführer der dazu gehörigen Internationalen Verlagsanstalt. Bald kam es jedoch zwischen Max Sievers u. a. Mitgliedern der KAG zu persönlichen und vor allem politisch–ideologischen Differenzen, denn er lehnte die Rückkehr zur USPD (Rechte) ab. So legte er alle Funktionen nieder und beendete mit dem  31. März 1922 sein Arbeitsverhältnis. Bis 1927 blieb er parteimäßig ungebunden.

Erst dann trat er wieder der SPD bei, übte aber keine Parteifunktion mehr aus.

2. An der Spitze der Freidenkerbewegung

Am 1. Oktober 1922, nachdem Max Sievers kurzfristig arbeitslos war, übernahm er die ausgeschriebene Stelle eines Geschäftsführers des 1905 in Berlin gegründeten Vereins der Freidenker für Feuerbestattung (VdFfF), trat dem Verein auch selbst bei. Sehr schnell reorganisierte er ihn, schloss ihm einmal eigne für die Bestattung notwendige Gewerke an, verwandelte  ihn nach und nach vom reinen Bestattungsverein zur politisch – weltanschaulichen Kultur- und Weltanschauungsorganisation. Besondere Bedeutung hatte dabei seine 1923 erschienene Schrift „Warum Feuerbestattung“ („2.Aufl.1925) und das seit 1925 erscheinende Zentralorgan „Der Freidenker“.  Enger gestaltete er auch die Zusammenarbeit mit der seit 1922 existierenden Reichsarbeitsgemeinschaft freigeistiger Verbände. 1924 trat der VdFfF ihr bei und von 1926 bis 1928 war M.S selbst Mitglied von dessen geschäftsführen-den Ausschuss. 1927 gelang ihm auch die zeitweilige Vereinigung mit der Gemeinschaft Proletarischer Freidenker. Nunmehr hieß die Gesamtorganisation „Verband der Freidenker für Feuerbestattung“, Sektion der Internationale Proletarischer Freidenker mit Sitz in Wien, geführt vom österreichischen Sozialdemokraten Prof. Dr. Theodor Hartwig.

Nach der Vereinigung verschiedener Freidenkerorganisationen 1930 wurde M.S. zum Vorsitzenden der nunmehr genannten Organisation DFV gewählt, war gleichzeitig für die Geschäftsführung der Feuerbestattung verantwortlich. Mit Gründung der Internationalen Freidenker – Union wurde er Präsidiumsmitglied und einer der Sekretäre, 1933/34 gar deren Generalsekretär.

Konsequent lehnte er die von der rechten SPD–Führung betriebene Politik der Großen  Koalition ab, wandte sich vor allem gegen deren Inkonsequenz in Religionsfragen. Ebenso entschieden trat er gegen die von der KPD vertretene „Sozialfaschismustheorie“ auf. Noch rechtzeitig brachte er einen Teil des Vermögens des DFV vor dem heraufziehenden Faschismus durch Transaktionen in die Schweiz in Sicherheit.

3. Während der faschistischen Diktatur

Nach dem 30. Januar 1933 versuchte Max Sievers zunächst die Arbeit des DFV als Feuerbestattungsverein weiterzuführen. Das misslang, denn der Verein wurde unter Zwangsverwaltung gestellt, also faktisch verboten. M.S. wurde wie viele andere, nach dem Reichtagsbrand in „Schutzhaft“ genommen, in einer der berüchtigten SA - Lokale in die General – Pape - Straße, verbracht, und dort schwer misshandelt. Als er im April wieder Erwarten freigelassen wurde nutzte er dies zur sofortige Emigration. Am 23. August 1933 wurde M.S. mit vielen anderen bekannten Persönlichkeiten ausgebürgert. Über das Saargebiet organisierte er bis zu dessen Anschluss ans „Reichsgebiet“ 1935 weiterhin die Herausgabe des „Freidenkers" und dessen illegalen Vertrieb nach Deutschland. Da er die von den deutschen und internationalen Freidenkern proklamierte politische Neutralität strickt ablehnte, zog er sich seit 1935 nach und nach von der Freidenkerarbeit, zurück. In der bereits 1934 gegründeten und vom ehemaligen DFV – Geschäftsführer Hermann Graul vertriebenen „ Sievers – Korrespondeur“ (Siko) wandte er sich sowohl gegen die Politik des Emigrationsvorstandes der SPD als auch gegen die der KPD, lehnte insbesondere deren Volksfrontpolitik ab, denn er hielt bürgerliche Kräfte für politisch unzuverlässig. Im Kampf gegen den Faschismus erstrebte er die Wiedergeburt der deutschen Arbeiterbewegung, aber ohne die „alten“ Parteien, vor allem ohne deren Führer. Nur die Mitglieder sollten zusammengefasst werden, möglichst in einer Ruforganisation wie in der Novemberrevolution. Seit 1937 gab Max Sievers zunächst in Antwerpen, dann in Paris die Wochenzeitung „Das freie Deutschland“ heraus.

Sehr eng arbeitete er mit Heinz Kulis (Ministerpräsident in Nordrhein – Westfalen), von 1966 bis 1978 und Otto Buchwitz zusammen, der den Vertrieb mit organisierte. 1939 publizierte M.S. in deutscher Sprache in Stockholm die Schrift „Unser Kampf gegen das Dritte Reich“. Da er den Imperialismus und Faschismus gleichsetzte, sah er den Sturz der faschistischen Diktatur nur durch soziale Revolutionen als gegeben an. Dabei sollten die Arbeiter im Bündnis mit den Bauern und den sozialistisch orientierten Intellektuellen die führenden Kräfte sein. Wenn es gelänge, die Revolution siegreich zu gestalten, so meinte er, könnte ein II. Weltkrieg verhindert werden. Und als Ausgleich zu Polen, USA und UDSSR sollte ein geeintes Europa geschaffen werden. Grundlage eines sozialistischen Deutschlands sollte, allgemeines Volks- und genossenschaftliches Eigentum sein, eine geplante Wirtschaft, die dem Gemeinwohl dient, ohne Bürokratie und soziale Privilegien, insgesamt müsse eine höhere kulturelle Stufe gegenüber der kapitalistischen Gesellschaft erreicht werden. Parteien seien Ergebnis, des Parlamentarismus und müssten bestehen bleiben. Mehrheitsbeschlüsse sollten nach ausgiebiger Diskussion für alle bindend sein, müssten also von der Minderheit mit durchgesetzt werden.

Im Mai 1940 wurde Max Sievers in Belgien verhaftet konnte aber durch Glücksumstände nach Frankreich fliehen und dort als Illegaler leben mit gefälschten Papieren. Im Juni 1943 wurde er aber enttarnt und nach Berlin in das berüchtigte Gestapogefängnis in der Prinz–Albrecht–Straße verbracht, später ins Untersuchungsgefängnis Berlin– Plötzensee. Am 17. November 1943 wurde Max Sievers vom 1. Senat des so genannten Volksgerichtshofs unter Roland Freisler wegen „Vorbereitung zum Hochverrat mit Feindbegünstigung“ zum Tode verurteilt. Bis zum Schluss blieb er seiner sozialistischen Überzeugung treu, wie aus der faschistischen Prozessakte hervorgeht.

Erst im Februar 1946 konnten die sterblichen Überreste auf dem Urnenfriedhof in Berlin – Wedding, Gerichtsstrasse, beigesetzt werden, nachdem Verwandte und Bekannte ermittelt hatten, dass die Urne noch im Brandenburger Krematorium stand.

Nachdem sich in der BRD und Westberlin der DEV 1951 neu konstituiert hatte, wurde am Grabe von Max Sievers in Gegenwart von Verwandten und vielen alten Kampfgefährten am 10. Februar 1952 ein würdiges Denkmal eingeweiht. Seit dem 40. Todestag erinnert am letzten Sitz des DFV vor 1933 in der Gneisenaustraße 41 in Berlin–Kreuzberg an Max Sievers.

Nunmehr ringen wir darum, anlässlich des 60. Todestages die Grabstelle zum Ehrengrab Berlins zu machen.

                                                                                                                                  Gernot Bandur, Berlin

Resonanz

Max: Die Offensiv-Hefte leisten zusätzlich einen wertvollen Beitrag

Hallo Frank Flegel, ich bin kürzlich auf die Publikationen in den OffensivHeften im Internet gestoßen. D.h. gestoßen bin ich nicht, denn ich habe danach gesucht. Ich  interessiere mich für den Marxismus-Leninismus und suche nach Informationen und Orientierung. Bei den vielen unterschedlichen kommunistischen Gruppierungen und Parteien ist das ja nicht einfach.

Dabei sympathisiere ich mit der KPD, weil diese den Marxismus-Leninismus zu seiner Grundlage gemacht hat und den kompromißlisen Kampf gegen den Revisionismus und Opportunismus führt. Revisionismus und Opportunismus waren meiner Meinung nach auch Schuld am Scheitern des Sozialismus in Osteuropa. Außerdem finde ich in keinem anderen Parteiprogramm ein so klares Bekenntnis zu folgendenzentralen Punkten:

-- der Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse und ihre  Verbündeten; – der Errichtung der Diktatur des Proletariats; – der Aufhebung des kapitalistischen Eigentums an Produktionsmitteln und seine Überführung in Volkes Hand; -- der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen; -- der Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft in Deutschland und die Schaffung eines Arbeiter-und-Bauernstaates.

Ich habe auch das Parteiprogramm der SED vom Mai 1976 studiert und sehe mich hier in meiner Meinung für den Sozialismus voll bestätigt. Die sozialistische Gesellschft und Lebensweise, die hier beschrieben wird, ist genau das wonach ich mich sehne.

Die Offensiv-Hefte leisten zusätzlich einen wertvollen Beitrag zur Information und Aufklärung über den Sozialismus. Für mich gibt es noch viel zu lernen und ich finde in Euren Heften eine gute Orientierung.

                                                                                                                Mit sozialistischen Grüßen, Max

Heinz W. Hammer: Zur Zuschrift von Samy Yildirim »Zum Revisionismusheft« in »offen-siv« Nr. 06/2004

»Alles Revisionisten außer Papi...« - Zu diesem unwissenschaftlichen Ergebnis muss man wohl kommen, wenn man sich bemüht, die Realität so lange zurechtzukneten, bis sie den eigenen theoretischen Vorgaben gerecht wird.

So behauptet Samy Yildirim, die DKP sei 1968 gegründet worden »... als Teil eines besonders gegen die DDR gerichteten Kuhhandels zwischen der BRD und der bereits gewendeten UdSSR, war also von Beginn an ein Geschöpf der unter dem Label „Entspannungspolitik“ firmierenden Zusammenarbeit von Imperialisten (West) und Revisionisten (Ost), welche sich eben sehr wohl gegen die sog. „Dritte Welt“ richtete – aber auch gegen die Ende der 60er Jahre noch sozialistische DDR.«

Diesen Unsinn kenne ich noch sehr gut aus den Flugblättern der diversen maoistischen Sekten aus jener Zeit. Beantwortet wird jedoch ausdrücklich nicht die Frage, ob der Autor meint, dass die Illegalität für eine Kommunistische Partei der erstrebenswerte Zustand sei. Bereits seit Marx und Engels wurde diese Position theoretisch und praktisch immer wieder abschlägig beschieden. Die Geschichte hat bewiesen, dass die Legalität der KP im Kapitalismus immer und überall angestrebt werden muss, um bspw. unter ungleich verbesserten Kampfbedingungen den notwendigen Zugang zum Proletariat als dem Träger der zukünftigen Revolutionen überhaupt erst zu erlangen! Ende der sechziger Jahre, in einer Phase nicht nur intensiver studentischer Proteste, sondern auch großer Kämpfe der Arbeiterklasse (insbesondere in deren Kerntruppen der stahlerzeugenden und –verarbeitenden Industrie) war es geradezu ein Gebot der Stunde, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die 1956 verbotene Kommunistische Partei wieder zu legalisieren und damit offensiv in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, in den Klassenkampf eingreifen zu können.

Diese, zuvörderst national begründete, objektive Entwicklung als einen »Kuhhandel zwischen der BRD und der UdSSR« zu bezeichnen, zeugt zunächst von einem Unverständnis solcher geschichtlichen Prozesse. Ganz abgesehen davon, dass nicht etwa konkrete Klassenkräfte benannt werden, sondern schlicht »die BRD« ins Feld geführt wird. Die Nonchalance, mit der mal so nebenbei festgelegt wird, ab wann die DDR und ab wann die Sowjetunion dem allgegenwärtigen Revisionismus anheim fiel, mag ja noch amüsant sein.

Nicht mehr hinzunehmen ist allerdings, wenn der Autor behauptet, die Gründung der DKP sei gegen die DDR und gegen die Dritte Welt gerichtet gewesen. Absurder geht’s nimmer.

Zunächst sei daran erinnert, wer denn die handelnden Personen waren. Das waren zunächst Männer und Frauen, die die faschistische Hölle, die Barbarei der Konzentrationslager überlebt hatten. Das waren weiterhin Männer und Frauen, die nach der neuerlichen Illegalisierung 1956 wieder oder erstmals in den Knast geworfen, aus den Gewerkschaften und aus den Betrieben »gesäubert«, also ihrer Arbeit beraubt wurden. Das waren auch führende Kommunistinnen und Kommunisten, die in die DDR emigrieren mussten, um langjährigen Haftstrafen in der BRD zu entgehen. Und diesen Handelnden zu unterstellen, sie hätten mit Gründung der Deutschen Kommunistischen Partei »gegen die DDR« agiert, ist so absurd wie ehrabschneidend und somit nicht hinnehmbar.

Ebenso völlig absurd und zutiefst beleidigend die Behauptung, die DKP-Gründung sei »gegen die sog. „Dritte Welt“ gerichtet«! Die oben skizzierten Handelnden haben als Widerstandskämpfer beispielsweise in der französischen Résistance oder im spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Republik mit der Waffe in der Hand gekämpft. Der Internationalismus war – neben den programmatischen Aussagen - ein geradezu konstitutionelles Selbstverständnis nicht nur der Gründergeneration, sondern aller Phasen der DKP-Entwicklung. Dies ist belegbar, angefangen von der Solidarität mit den unter dem Joch der damals noch existierenden faschistischen (europäischen!) Systeme in Spanien, Griechenland und Portugal leidenden Klassenbrüdern und – schwestern über die konkreten Solidaritätsprojekte mit den Völkern Südafrikas, Guinea-Bissaos, Mocambiques, Vietnams, Laos’ und Kambodschas, Cubas, Nicaraguas, um nur einige Schwerpunkte zu nennen.

In der Tat schmerzt es mich zutiefst, dass die derzeitige Führung der DKP mit ihrer unsäglichen Unterstützung des mit dem US-Imperialismus kollaborierenden Teils der KP Iraks und mit ihrer durch nichts zu rechtfertigenden politisch-ideologischen Annäherung an die Trotzkisten einen Großteil unserer politischen Reputation verspielt. DAS allerdings ist eine ganz andere Ebene einer Debatte, die in der »offen-siv« weitgehend sachlich und solidarisch geführt wird (so bspw. in dem in der selben Ausgabe erschienenen Beitrag »Zuspitzungen« von Opperskalski/Heinrich/Flegel).

Die Zuschrift von S. Yildirim sei hiermit allerdings mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen!

                                                                          Mit kommunistischem Gruß, Heinz-W. Hammer, Essen

Hansi Oehme: Zum Revisionismusheft; bissige Antwort auf Genossen Yildirim

Politische und ökonomische Tatsachen auseinanderzuhalten, erstere aus zweiteren zu erklären und somit das politische Wirken der Menschen auf ihre materiellen, ökonomischen Verhältnisse zu analysieren, das ist eine wissenschaftliche Leistung, die unbestritten nur von Marxisten-Leninisten bewältigt werden kann. Nicht marxistisch-leninistisch hingegen ist eine Kritik des Revisionismus an sozialistischen Staaten und ihren Parteien, die sich marxistischer Begriffe bedient, einzig um in überbaufetischisierender Manier das kleinbürgerliche Element im Marxismus, das nicht-revolutionäre Bewußtsein bestimmter, besonderer Parteileute zur Realität zu machen, revisionistische Politik für ein revisionstisches Produktionsverhältnis auszugeben. Es gibt nie "revisionistische Produktionsverhältnisse", sondern in der jetzigen Epoche dominieren solche, die sich durch kapitalistische Privataneignung der gesellschaftlichen Erzeugung und insbesondere ihres Mehrwerts (Mehr-als-zur-Arbeiterklasse-Reproduktion-erfordert-Werts) zu parasitärer Konsumtion auszeichnen, sowie solche, die sich durch gesamtgesellschaftliche Aneignung der gesellschaftlichen Produktion auszeichnen. Es gibt ökonomisch Kapitalismus und Sozialismus, beides je mehr oder weniger, je nach dem Grad der Vergesellschaftung der Produktion und Aneignung. Dies und nur dies macht die Bestimmung der Sowjetunion und der DDR als Sozialismus, als Produktion auf Basis der Planökonomie, wissenschaftlich, und zwar von 1917 (45-49) bis 1990! Es gibt ideologisch reaktionäre, offen proimperialistische Anschauungen, revolutionäre, kapitalismusaufhebende Anschauungen sowie den "dritten Weg", die verschmitzte Imperialismusapologie und Stützung auf die am wenigsten entwickelten Elemente der Produktion zur Restauration des Kapitalismus innerhalb des Sozialismus oder Stabilisierung des Kapitalismus durch Affirmation der Reproduktion des Kleineigentums im Imperialismus, kurz: es gibt auch die kleinbürgerliche Ideologie.

Dies allenfalls eine verkürzte Darstellung der Ausführungen Gerald Hoffmanns, welche ich als marxistisch-leninistisch kennzeichnen würde: aufgrund des dialektisch-materialistischen Herangehens an die gesellschaftlichen Verhältnisse und ihre Widerspiegelung in der Ideologie.

In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts bemächtigte sich ein kleinbürgerlicher Bureaukrat und Ausbeuter der Macht in der Sowjetunion und wandelte mit seinen irreführenden Kommunismusphrasen, also mit Worten, die sozialistischen Fundamente der Sowejtunion vom einen Tag auf den anderen in kapitalistische, ja imperialistische Fundamente seiner bureaukratischen Ausbeuterherrschaft mit Privataneignung und parasitärer Konsumtion (und imperialistischen Aggressionskriegen und so weiter die Leier), wie man ja auch an der Außenpolitik des Sowjet-Chruschtschow sehen kann. Dies allenfalls eine verkürzte Darstellung der Ausführungen Samy Yildirims, welche ich als kleinbürgerlich-hypersozialistisch kennzeichnen würde: aufgrund des subjektiv-idealistischen Herangehens an die gesellschaftlichen Verhältnisse und aufgrund der objektiv-idealistischen Herangehensweise an die Widerspiegelung im chruschtschowschen Bewußtsein.

Sozialimperialismus-"Theoretiker" vergöttern den Überbau und deklarieren die Produktionsverhältnisse der Sowjetunion, über die sie aufgrund ihres nichtmarxistischen Bewußtseins und ihrer antimarxistischen Methode kein Wort verlieren, zu "revisionistischen Produktionsverhältnissen", "weil ja der Chruschtschow was Revisionistisches gesagt" und sich sicher auch revisionistischer, den Sozialismus nicht vorwärtsbringender Handlungen schuldig gemacht hat. Diese großartigen Klassenkämpfer sehen überall Klassenkampf, außer wenn ein Kleinbürger an die Spitze der KPdSU gelangt, denn dann sehen sie nur noch den uneingeschränkt herrschenden Revisionismus, der, wenn kein Sozialismus mehr sein kann und darf, nur noch Imperialismus sein darf und muß.

Wahr ist: In der Sowjetunion der 50er Jahre bemächtigte sich ein Kleinbürger in Klassenkämpfen, die in der Partei immer tobten, der Parteiführung und ersetzte revolutionäre, Warenbeziehungen kontinuierlich zugunsten sozialistischer Planproduktion auflösende Politik durch nichtrevolutionäre Politik, die in ihrer Vielförmigkeit etwas genauer zu untersuchen ist, als die hypersozialistischen Schreihälse vom Schlage der Sozialimperialismus-"Theoretiker" es den Kommunisten vorschlagen. Nicht-revolutionäre Politik, begründet durch revisionistische Ideologie, zeichnete sich seitdem aus durch direkt konterrevolutionäre Maßnahmen wie die Reprivatisierung der Maschinen-Traktoren-Stationen sowohl als auch durch resignierend-konserviernd-stagnative Maßnahmen wie die zu geringe Entwicklung des sozialistischen Industriesektors; es gab während dieser Periode auch Fortschritte in der Entwicklung sozialistischer Produktionsverhältnisse, jedoch wurden sie unwesentlich und wurde Stagnation und Rückschritt wesentlich. Das drückt Gerald sehr präzise aus, indem er die Praxiswirksamkeit der jeweiligen revisionistischen TENDENZEN untersucht, indem er Inhalt liefert, statt Tendenz zu sagen und Herrschaft (von "Bureaukraten") zu meinen.

Schreihälse, die sich heute als opportunistische Stalinfreunde gerieren, ohne seine Politik zu begreifen, und die prompt nach Stalins Tod dem revisionistischen Imperialismus in den Rücken fallen zu müssen meinen, ob ideologisch wie die meisten Maoisten oder tatsächlich, wie etwa die Chinesen mit ihrem Bündnis mit den USA, sind keine Stalinfreunde, sondern etwas unentschiedene Kleinbürger, die erst lang mitmachen und dann in einer bestimmten Etappe des Sozialismus, nämlich in der Etappe des letzten Aufbäumens des Imperialismus gegen die vollständige Erfassung der Produktion im gesamtgesellschaftlichen Plan, vom Zug der Geschichte abspringen, auf dem sie gerade noch so bequem und von der KPdSU lokomotiviert saßen.

Revisionismus ist der politische Prozeß der probourgeoisen Bemächtigung der Organe der Arbeiterklasse (in der Übergangsphase von Kapitalismus zu Kommunismus), wenn sie denn welche hat: ihrer Partei, ihrer Exekutivorgane, ihrer Armee, ihrer Polizei, so daß revolutionäre Machtorgane in Agenturen der Bourgeoisie umgewandelt werden können, was sich nie reibungslos, sondern immer in Form schärfster Klassenkämpfe vollzieht, von denen Parteisäuberungen nur den konzentrierten Ausdruck bilden. Wollen die Kommunisten in der BRD bei der Fundierung ihrer Theorie, die der Schaffung wenigstens des wichtigsten Organs der Arbeiterklasse, der kommunistischen Kampfpartei, dienen soll, schon vor der Schaffung dieser Partei zulassen, daß ein objektiv-idealistischer Ideologiebegriff die fortschrittlichsten Arbeiterklassevertreter daran hindert, marxistisch-leninistisch Kleinbürgerphrasen von entweder kapitalistischer oder sozialistischer Realität zu unterscheiden? Wollen wir jetzt schon auf Chruschtschows und Maos Phrasen reinfallen? Das wäre nicht nur nicht gut; auf solcher ideologischer Grundlage wäre die Existenz einer Kommunistischen Partei schlicht nicht möglich.

Deswegen waren Gerald Hoffmanns Ausführung zum Ideologiebegriff so wichtig und nahmen soviel Raum ein. Ich muß Samy Yildirim bitten, sich diesen marxistisch-leninistischen Ideologiebegriff anzueignen, damit er in der weiteren Debatte endlich revisionistische, ultrarevolutionäre Phrasen und außenpolitisches Geplänkel zweifellos arg und bösartig revisionistischer Banditen vom Schlage eines Chruschtschow unterscheiden kann von auf festem Stahl gegründeten sozialistischen Produktionsverhältnissen, die (frei nach Kurt Gossweiler) selbst von solchen Agenten des Imperialismus wie Chruschtschow und Gorbatschow in 48 Jahren RELATIV ungehinderter revisionistischer, ZIEMLICH (also zu quantifizierend, noch zu ermessend) revisionistischer Politik nicht beseitigt werden konnten. Jedes andere Herangehen als dieses dialektische, welches die historischen Möglichkeiten marxistischer Kräfte je zu Zeiten Stalins und Chruschtschows und Gorbatschows genau untersucht, um dann erst ihre Verfehlungen genau benennen und von historischen Notwendigkeiten und praktischen Konzession des Sozialismus unterscheiden zu können und nicht alles auf den Teufel in Person Chruschtschow abzuschieben, jedes andere Herangehen ist ein ideologischer Schlag in das Gesicht der Sowjetmenschen und des fulminanten Aufbauwerkes der Sowjetunion, ist ein ideologisches Zugehen auf die Kleinbürgerpfaffen, die Stalin und "Stalinismus" nur erfunden haben, um "leninistisch" gegen die Sowjetunion hetzen zu können oder die heute im Namen Stalins gegen die sozialistische Realität auch nach 1953 in Asien und Europa zu Felde ziehen und so genau die politische Position beziehen, die Marxisten-Leninisten weder aus propagandistischen und taktischen Erwägungen, noch selbst aus wissenschaftlichen Erkenntnissen heraus beziehen können, wenn sie nicht in das proimperialistische Lager überwechseln und kommunistische Politik mit kommunistischem Etikett durch imperialismusstabilisierende Politik mit kommunistischer Phrase und kommunistischem Etikett austauschen wollen.

In der Methode Samy Yildirims fällt mir die die Arbeiterklasse desorientierende Überbau-Fetischisierung besonders auf in der Verabsolutierung einiger außenpolitischer Fragen, die nichts mit marxistischer Klassenanalyse gemein haben und arg nach (verzeih, ich weiß, es ist hart, aber ich muß ehrlich sein) prostalinsch angestrichenem Trotzkismus riechen. Gerald wirft den maoistischen Verlautbarungen "fehlende ökonomische Analyse" vor. Samy ereifert sich daraufhin über die Kappung der Beziehungen mit China, über die Kuba-Krise, über die etwas ominöse "Ausbeutung der Dritten Welt" "gemeinsam mit dem Westen" etc. Eklektisch werden "Fakten" ins Feld geführt, die durch ihre Zusammenhanglosigkeit gerade keine Erklärung und schon gar keinen "Beweis" für revisionistische Politik liefern, denn für alle diese Maßnahmen ließen sich auch Erklärungen und Rechtfertigungen im Sinne der internationalen Arbeiterklasse finden, und die hat die Führung der KPdSU auch gefunden. Auf der ganze Welt führt uns Samy herum und zeigt uns hier eine Rakete, dort einen US-Diplomaten, dort ein hungerndes Afrika-Kind, ergeht sich in militärspezialistischen Andeutungen, um am Ende mit 6 Kilo "Beweisen" für den "sozialimperialistischen Charakter der ganzen Sowjetunion" unter dem Arm in die trotzkistische Umarmung zu flüchten. Ich möchte ihm aber nicht auf die ganze Welt folgen, weil dieses Gebiet 100 mio. Quadratkilometer weit ist, ohne an sich einen Beweis für Sozialimperialismus-"Theorien" zu liefern. Ich möchte Samy nur auf das methodische Handwerkszeug hinweisen, das (nicht nur dort, aber wenn Samy schon mal am Revisionismusheft sitzt, dann eben dort) in Geralds Artikel zu finden ist. Da ist die Rede vom Rückgang gesellschaftlicher und politischer Erscheinungen in den Grund, der in Klassengesellschaften ein Klassengrund ist; also sind klassenmäßige Grundlagen revisionistischer Politik zu suchen. Dann kann man auch die Außenpolitik als Phänomenologie der Staatsräson analysieren, ohne eines kalten Morgens an den Biertischen der Vereinslokale des Trotzkismus aufzuwachen.

Klammern sind oft (auch bei mir) Ausdruck der Unsicherheit eines Schreibers. In Samys Klammern habe ich die abstrusesten Äußerungen gefunden, das heißt, ich kann sie mir (ohne Freudianismus) erklären: im mangelnden Klassenbewußtsein des Genossen Samy, und ich erkläre sie zu abstrusen Kleinbürgervorstellungen, halb richtige Erkenntnisse bei Gossweiler abgaffend, halb den übelriechenden Dünnpfiff der 4tausendsten Internationale auftischend. Wenn der imperialistische Demokrat Simon Wiesenthal dahergekleckert kommt und antisowjetische Strategiepapiere unter dem Mantel des Antifaschismus auspackt, ist das ein verdammter Unterschied nicht nur zur Braunbuch-Herausgabe durch Albert Norden, sondern auch zur aktuellen Arbeit des Wiesenthal, der löblicherweise und propagandistisch auszuschlachtenderweise in der BRD den Nazis kräftig einheizt auf seine Manier.

Ich zitiere bei dieser Gelegenheit aus Semjonows Protokoll der Tagung ZK-KPdSU und ZK-SED vom 31.3.1947.

"Stalin: Die Nazis befürchten, daß wir sie vernichten werden. Doch man hat sie schon genügend vernichtet. Man soll denjenigen Erleichterung bieten, die sich nicht verkauft haben und die man in eine Koalition lenken kann. Man darf nicht vergessen, daß die Elemente des Nazismus nicht nur in bourgeoisen Schichten lebendig sind, sondern auch innerhalb der Arbeiterklasse und im Kleinbürgertum.

Pieck äußert Zweifel, wie die sowjetische Militärverwaltung in Deutschland eine solche Partei erlauben kann.

Gen. Stalin lächelt. Er, Gen. Stalin, bemüht sich, damit eine solche Partei erlaubt werde. Sie könnte man "National-demokratische Partei" oder irgendwie anders nennen. Es geht nicht um den Namen. Doch den alten Namen zu geben lohnt nicht. So könnte man das Lager spalten, daß sich um die Amerikaner und Engländer schart. Jetzt flößen sie allen Furcht ein, als würden in der sowjetischen Zone alle sitzen und vernichtet werden. Wir aber sagen, das ist die Unwahrheit. Sie haben sogar ihre eigene Partei organisiert! Möglicherweise könnte man das einrichten. Hierbei ist nichts Unzulässiges. Gen. Stalin sagt weiter, daß nicht von Reaktionären die Rede ist. Reaktionäre darf man nicht in die neue Partei lassen, sondern nur Patrioten und nichtaktive Faschisten. Die Rede ist von Arbeitern, Intellektuellen, Bauern. Dann kommen sie wieder zu sich und fassen Mut. Es ist notwendig, daß die ehemaligen Faschisten keinen anderen Weg gehen. Diese Frage ist zu lösen. Die Frage ist interessant. In der faschistischen Partei befanden sich viele Leute aus dem Volk."

Samy kann mir angesichts dieser Position leidlich gestohlen bleiben mit seinen 39 Nazis und seinem Verbalantifaschismus, oder möchte er etwa auch noch der NDPD Verbreitung von Nazitum oder gleich dem marxistischen Genossen Stalin Revisionismus vorwerfen?

Bei der DDR-Frage zeigt sich besonders die Verrührung von Gossweilerismus und wahrem Sozialismus. Richtig ist: Honecker wurde von Moskau installiert, später gab es die Verschuldung beim Klassenfeind; schön (oder Scheiße, aber wenigstens wahr). Falsch ist: Die sozialistische Akkumulation wurde untergraben, denn sie gab es bis Mitte 1990, nur mit unterschiedlichem Erfolg, der aber gerade zu untersuchen und nicht metaphysisch-fix wegzuquatschen ist. Bei Samys Bewußtseinsstand wird auch die historische Parabel Honecker-Bucharin entwertet, die sonst vielleicht ihren Reiz hätte. Genosse Samy: Alles kann man vergleichen, auch die von Leninisten in die Revolution geführte Sowjetunion und die durch die Rote Armee vom Faschismus befreite und von der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung in den Sozialismus gewachsene DDR. Man kann auch trotzkistische Parteiprogramme mit Krämers Bauchladen vergleichen, und man wird dort vielleicht mehr Parallelen finden als beim derart unprofund-gleichmacherischen, leider schon wieder nicht marxistisch gelungenen Vergleich von SU und DDR.

Jedenfalls ist Genosse Samy Yildirim nicht denkfaul, sondern ganz fleißig, hat sich aber von Gorbatschow und auch von Chruschtschow das U für ein X vormachen lassen. Chruschtschow redet vom U des Kommunismus, Realität ist aber das X des Sozialismus. Chruschtschow probiert die Klassenkollaboration, aber der sozialistische Sektor der Sowjetunion steht stählern da. Nur sehr kontinuierliches revisionistisches Geplapper konnte den Sozialismus wegwirtschaften. Leicht hatte es der Revisionismus nie, auch nicht in der DDR, wo revolutionäres Bewußtsein, von der Parteispitze vertrieben, mal in die Akademie, mal eher zum Institut für Gesellschaftswissenschaften oder für ML, dann wieder weit von beiden weg und in die warmen Redaktionen von Dietz und Reclam kroch, bis 1989 jedoch Ausdrucksmöglichkeiten fand, die selten politikbestimmend waren und dadurch Nischenprodukt, aber doch revolutionär, die der Revolutionsbegriff ohne Herrschaft waren, der Weltgeist im Hinterstübchen der DDR. Da gilt es viel aufzuheben und nicht dem Schematismus zu verfallen, der Ulbricht zu Gott und Honecker zum Teufel macht, denn Ulbricht hat die Aufstiegszeit der DDR mit mehr und mehr Antistalinismus auch in praxi begleiten müssen, und unter Honecker gab es zeitweilig Tendenzen der Restalinisierung, die zwar in den späten 70ern weggewischt wurden, die aber von Honecker in den Glasnost-Tagen wieder aus dem Giftschrank geholt wurden, so daß er am Ende ein sehr löblicher und begriffsfester Dogmatiker (Lob) war.

Die Sozialimperialismus-"Theoretiker" haben kaum ein ökonomisches Sätzchen zur Bestimmung des "Sowjetimperialismus" geliefert und sind schon darum Idealisten. Nur die wenigsten von ihnen waren 1990 etwas stutzig, als sie sahen, daß nicht ein beliebiger imperialistischer Konkurrent den anderen beseitigte, sondern daß der Imperialismus die sozialistische Staatengemeinschaft liquidierte und unter seine tödlichen Rattenfittiche nahm; zu ihnen gehört Ludo Martens, dessen Bewußtseinswerdegang sehr schön in den Büchern "Die UdSSR und die samtene Konterrevolution" sowie "Stalin – anders betrachtet" sichtbar wird; beide lesen, Genosse Yildirim! Wenn die Sozialimperialismus-"Theoretiker" dann aber mit ihrer Äußerlichkeit der Außenpolitik aufwarten, wird offensichtlich, daß sie neben der Unbegriffenheit des Sozialismus sogar die Unbegriffenheit des Imperialismus plagt, den sie für eine Art Militärdiktatur zu halten scheinen. Aber sie sitzen durch ihr Pro-Stalin-Gerede schon so nah an den Tischen des in der BRD und anderswo organisierten Kommunismus, daß sie in mühsamer ideologischer Arbeit überzeugt und von trotzkistischem Schwachsinn gereinigt werden müssen, anders als bekennende Trotzkisten. Darin sehe ich auch die Gelegenheit der Marxisten-Leninisten, sich über Vertreter der Sozialimperialismus-"Theorie" und ihr Wirken in der Geschichte klarzuwerden.

Bei Samy sind übrigens, darauf möchte ich noch hinweisen, für Revisionismus "letztlich psychologische Motive als Ursache zu nennen". Samy merkt, was Samy da verzapft, denn sowas habe doch nicht mit Freudianismus zu tun, so die etwas krampfig nachgelieferte Versicherung. Tja, Samy, dann ist es eben ein anderer Idealismus, jedenfalls schon ein krasser, der "psychologische Motive" zu "letztendlichen Ursachen" von irgendeiner Handlung in Klassengesellschaften macht.

Deswegen und wegen der Erhaltung der kommunistischen Parteidisziplin: Hier haben alle Marxisten-Leninisten der BRD und der besetzten DDR mein Bekenntnis zur Fußnote von Gerald Hoffmann, daß DER letzte Grund für Revisionismus das Unverständnis von 13 Seiten des "Kapital" ist, nämlich des Abschnittes "Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis". In seiner gereizten Humorlosigkeit verkennt Samy hier leider die Stilebene, denn die Fußnote ist keineswegs bloß aphoristisch, sondern süßestes Konzentrat des Theoriekonzentrats der materiellen Grundlage für Kleinbürgervorstellungen, der besagten 13 Seiten nämlich. Ich fühle mich von Gerald bestätigt und werde jetzt diese 13 Seiten noch mal genau studieren, daß wir keine Fehler wiederholen mögen, und bleibe mit revolutionärem Gruß und über Antwort von Samy oder auch Gerald (dem ich hier vielleicht nur einen Bärendienst, aber dafür einen liebgemeinten, erwiesen habe) erfreut,

                      Johannes Oehme, Berlin, Hauptstadt der vom deutschen Imperialismus besetzten DDR

Gerald Hoffmann: Antwort auf Samy Yildirim

In offensiv 2/04 versuche ich anhand der Analyse des Revisionismus die „ideologischen, politischen und ökonomischen Bedingungen“ aufzuweisen, die trotz Fortbestehen des sozialistischen Staates wie auch des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln den Sozialismus innerlich so schwächten, dass er dem Imperialismus nicht mehr stand hielt. In seiner Reaktion offensiv 6/04 nennt Samy Yildrim meine Auffassung, der Sozialismus habe 1989 eine Konterrevolution erlitten, „kontraproduktiv“ (S. 55). Er hält daran fest: nicht der Sozialismus und die Planwirtschaft wurden zerstört, sondern der Revisionismus habe die Maske fallen gelassen und sei zum Klassenfeind übergelaufen. Der Revisionismus scheint für Yildrim „seit Ende der 50er Jahre“ (S. 56) überhaupt das Wesen der sozialistischen Staaten auszumachen – u.a. weil in der DDR „zahlreiche hochrangige NS-Funktionäre“ (S. 57) beschäftigt waren.[5] Über den Charakter der Produktionsverhältnisse in der DDR sagt das nichts aus, diese bestimmen aber den Inhalt nicht nur jeglicher Staatsfunktionen, sondern das Wesen der Gesellschaft überhaupt.

Der historische Materialismus leitet daher die Gesetzmäßigkeiten gesellschaftlicher Entwicklung ab aus der materiellen Basis, nicht aus dem Überbau der Gesellschaft. Man muss zur ökonomischen Grundlage vordringen, worauf der Revisionismus basiert und zugleich abzielt und (gewollt oder nicht) den Sozialismus sturmreif macht für den Imperialismus. Dieser Vorgang kann nicht aus dem Revisionismus selbst erklärt werden, der in verschiedenen Formen seit Ende des 19. Jahrhunderts existiert. Revisionismus zählt als ideologisch-politische Erscheinung zum gesellschaftlichen Überbau und hat ein spezifisches Verhältnis zur ökonomischen Basis. Beherrscht der Revisionismus die im Imperialismus kämpfende Arbeiterbewegung, ist diese unfähig jenen zu stürzen und die Diktatur des Proletariats zu errichten. So verteidigt der Revisionismus das Privateigentum. Erlangt er innerhalb des Sozialismus die Oberhand, ist dieser systematisch daran gehindert, zum Kommunismus fortzuschreiten. Die Konservierung des Privateigentums im Sozialismus ist daher die ökonomische Hauptfunktion des ›modernen Revisionismus‹. Folglich ist hinsichtlich des Sozialismus als Form des Klassenkampfes danach zu fragen, welche ökonomischen Formen des sozialistischen Aufbaus eine innere Basis, einen materiellen Resonanzboden der Konterrevolution schufen, so dass diese 1989 im Gegensatz zu allen vorherigen imperialistischen Restaurationsversuchen gelingen konnte.

Dies habe ich mit dem opportunistischen Verhalten zur Warenproduktion im Sozialismus zu zeigen versucht. Die auf das Verhältnis von Ideologie und Ökonomie abzielende Fragestellung meiner Arbeit interessiert Yildrim leider nicht. Es geht aber gerade darum zu verstehen, dass der Revisionismus im Sozialismus wesentlich darin besteht, ideologisch und politisch „Frieden“ mit der Vergangenheit, mit dem Privateigentum und der Warenproduktion zu schließen und so das höhere Prinzip der Planökonomie im Sozialismus zu schwächen. „Sozialistische Warenproduktion“, d.h. der Versuch, die Warenproduktion zu planen, heißt letztlich, die Entwicklung der Produktionsverhältnisse auf dem Stand einzufrieren, wo noch partielle Verselbstständigung der produzierenden Einheiten, teilweise auch noch Privateigentum und Warenproduktion (als „Muttermale“ des Kapitalismus) bestehen. Somit bleibt die Tür zur bürgerlichen Gesellschaft offen bzw. die Nabelschnur zum Kapital wird nicht durchgetrennt. Dies bedeutet letztlich, den Übergang des Sozialismus zum Kommunismus zu vereiteln, d.h. die im Sozialismus eigentlich notwendige Angleichung aller Eigentumsformen ans Staatseigentum dem Selbstlauf zu überlassen. Stalin hat in „Ökonomische Probleme...“ darauf hingewiesen, dass die stetige Weiterentwicklung der Produktionsverhältnisse auch und gerade für den Sozialismus eine Notwendigkeit ist. Statt dessen wurde vom Erreichen des Kommunismus in zehn Jahren zu schwärmen begonnen, zugleich aber die für das wirkliche Erreichen des Kommunismus notwendige Vereinheitlichung der Produktionsverhältnisse trotz gegebener Möglichkeit vernachlässigt.

Entgegen der (klein)bürgerlichen Sozialismus-„Kritik“, der Sozialismus hätte in der „Systemkonkurrenz“ den „Anschluss“ an die wissenschaftlich-technische Revolution „verpasst“ und keine „ökonomische Überlegenheit“ erzielt, ist festzuhalten: die tatsächliche Stagnation lag nicht primär in der Produktivkraftentwicklung, sondern in der Entwicklung der Produktionsverhältnisse. Auch wenn die Produktivkräfte des Sozialismus etwa gegenüber der vom Imperialismus forcierten Entwicklung der Militärtechnik zurückbleiben, repräsentiert der Sozialismus ein höheres Prinzip der Gesellschaftlichkeit und ist dem Imperialismus überlegen, so lange die politisch-moralische Einheit der Gesellschaft, d.h. die unbedingte Bereitschaft besteht, alle Kräfte zur Verteidigung des gesellschaftlichen Eigentums einzusetzen. Anders wäre es nicht erklärbar, dass die technisch und materiell zunächst unterlegene Sowjetarmee die faschistische Wehrmacht aufs Haupt schlug oder dass heute Kuba trotz Unterlegenheit in der Produktivkraftentwicklung dem US-Imperialismus zu trotzen vermag.

Die politisch-moralische Einheit ist der Ausdruck neuer Produktionsverhältnisse und verwirklicht sich durch die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei in einem breiten Bündnis mit den anderen werktätigen Schichten der Gesellschaft. Maßgebend ist darin die Führungsrolle der Arbeiterklasse, ökonomisch gesprochen, des Gemeineigentums als dem Prinzip des Kommunismus. So weit die gesellschaftliche Entwicklung dieser Tendenz folgte, das Klassenbündnis von Arbeitern und Bauern also der Aufhebung der Klassen diente, war die politisch-moralische Einheit in der Sowjetunion wie auch den volksdemokratischen Ländern vorhanden und gelang dem Imperialismus trotz technischer Überlegenheit keine Restauration. Nach dem Scheitern des ›roll back‹ und dem Fiasko in Vietnam wagte der Imperialismus schon keinen Frontalangriff gegen den Sozialismus mehr. Als letzte Chance blieb ihm eine langfristige Unterwanderungsstrategie. Dafür nutzte er die 1956 einsetzende „Abrechnung“ mit der Stalin-Zeit aus, denn diese bedeutete, die heroischste Phase des Sozialismus den Kommunisten und den Werktätigen im Sozialismus zu verübeln und demgegenüber neue Wege in der Systemauseinandersetzung zu beschreiten, welche letztlich die Niederlage ermöglichten.

Was bei Chruschtschow & Co. an psychologischen Motiven vorlag für die „undogmatische“ Neuinterpretation der SU-Geschichte, bzw. Stalins Wirken darin, ist leidlich uninteressant (weil untergeordnet für den geschichtlichen Gegenstand); für Freudianer und ultra›linke‹ Kleinbürger hingegen scheint es ein Gegenstand „dauerhafter“ Auseinandersetzung (Yildrim S. 54) zu sein. Entscheidend ist indessen die objektive Funktion, die Auswirkung des „neuen Denkens“ auf die sozialistische Praxis und bliebe auch dann dieselbe, wenn nachweisbar wäre, dass allem Revisionismus ein subjektiv ehrliches Bemühen um die „Verbesserung des Sozialismus“ zugrunde gelegen hat (Vielen „ehrlichen Reformkommunisten“ hat ja erst die Konterrevolution die Augen geöffnet über den wahren Charakter der „Perestroika“.) Daher halte ich es für verfehlt, wenn Yildrim danach fragt, was die Revisionisten denn wirklich „wollen“, welche „Wünsche“ sie trieben und S. 57 „psychologische Motive“ auch noch zu „Ursachen“ erklärt.

Auf ökonomischer Ebene lässt sich zeigen, dass die Verwerfung vermeintlich „dogmatischer“ Thesen Stalins eigentlich die Aufgabe des Marxismus-Leninismus in diesen Punkten bedeutete. Dies betrifft vor allem den Übergang von der Theorie der (einzuschränkenden) Warenproduktion als Muttermal im Sozialismus zur Theorie der „sozialistischen Warenproduktion“. Diese revisionistische Theorie basiert im wesentlichen auf einer Verabsolutierung der NÖP. Der vermeintliche „Rückgang zu Lenin“ in dieser Frage leitete praktisch eine Abkehr von der eigentlichen Aufgabe ein, nämlich von der schrittweisen Aufhebung der Warenproduktion. Stattdessen geschah eine Ausweitung derselben, angefangen mit den Wirtschaftsreformen 1958 (Privatisierung der MTS in der Sowjetunion) und 1963 (NÖSPL in der DDR).[6] Es ist keineswegs so, dass Erich Honecker Mitte der 70er plötzlich eine „Politik der Verschuldung der DDR beim Klassenfeind und die Untergrabung der sozialistischen Akkumulation in der DDR einleitete“ (S. 57). Vielmehr waren mit der Einführung der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ 1970 zunächst Versuche verbunden, in der letzten Periode des NÖSPL auftretender Disproportionalität der Gesamtwirtschaft sowie deren warenförmiger Desintegration durch eine Verbesserung der Planung zu begegnen.[7] Die wirtschaftlichen Disproportionalitäten und desintegrativen Tendenzen innerhalb des RGW waren aber schon so weit gediehen, dass die zaghafte Rückwendung zu verstärkter Planökonomie nicht sofort anschlugen. Daher wurde zugleich versucht, mit einer Kreditaufnahme die Akkumulationsprobleme abzufangen. Darin besteht eben das Schwanken, und praktischer Opportunismus findet seinen theoretischen Ausdruck (seine Rechtfertigung) im Revisionismus. Aber z.B. die Auslandsverschuldung war ein – wenngleich verfehlter – Versuch, die sozialistische Grundsubstanz der DDR zu schützen (das gesellschaftliche Eigentum, ihren antiimperialistischen Charakter.) Verteidigt wurde, wenngleich in Form von Rückzugsgefechten, der Sozialismus.

Um die „Sozialimperialismus“-Argumentation zu untermauern, bezieht sich Yildrim auf Gossweiler. Letzterer steht jedoch auf den Boden einer sozialistischen und nicht „revisionistischen“ DDR. Gossweiler zeigt, dass im Sozialismus nicht über Nacht der Revisionismus siegte, sondern dass im Kampf von Revisionismus und Marxismus-Leninismus jener schrittweise die Oberhand und zunehmend Einfluss auf die Entwicklung des Sozialismus gewann. Gossweiler fasst den Revisionismus demnach als Krankheit auf, die – wie jede Krankheit – den Organismus des Sozialismus schwächte, ihn aber nicht unmittelbar umbrachte. Nur so ist die „Wende“ von 1989 überhaupt als Konterrevolution verständlich, ist es verständlich, dass der Imperialismus, um die Einverleibung vollziehen zu können, die schon geschwächte DDR noch zerschlagen musste – insbesondere ihre ökonomische Grundstruktur, ihre Staats- und Sicherheitsorgane (MfS, Kampfgruppen, Volksarmee) sowie die SED. Vor allem musste sie den Menschen mit ihrem Staat auch die sog. „Volkasko-Mentalität“ ausbrennen. Daraus wird zugleich verständlich, dass heute diejenigen, die besonders von Sozialabbau und der Verschärfung monopolkapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung betroffen sind, sich an die DDR erinnern und sich diese z.T. auch ganz offen zurückwünschen.

Es vergeht kein Tag, an dem bürgerliche Medien nicht „Kübel von Jauche“ über den Sozialismus allgemein und die DDR im besonderen auskippen und ihre Leiche fleddern. Da die DDR bis zuletzt eine Gesellschaft ohne Ausbeutung verkörperte, war ihr Hauptfeind und der Hauptgrund ihrer Zerstörung der Imperialismus. Ihrer Funktion im Klassenkampf wird nur eine solche Partei gerecht werden (d.h. nur die Partei wirklich kommunistisch sein), die das Erbe des Sozialismus verteidigt und zugleich zeigen kann, worin er verletzt wurde und worin die Fehler der kommunistischen Parteien hinsichtlich der schweren Niederlage bestehen. Dagegen ist der Hinweis, die sozialistischen Staaten seien nach 1956 „revisionistisch“, „sozialimperialistisch“ usw. gewesen, theoretisch unhaltbar, defaitistisch und daher völlig ungeeignet, um unter Bedingungen des aggressiven Antikommunismus einen wirkungsvollen Kampf um den Sozialismus zu führen.

                                                                                                                              Gerald Hoffmann, Berlin

Wolfgang Herrmann: Mit Interesse lese ich „offen-siv“!

Lieber Frank, mit Interesse lese ich "offen-siv". Mich berührt kaum, was andere über euch sagen und schreiben. Für mich ist ausschlaggebend, womit ihr euch beschäftigt. Und das betrifft - ich gehe davon aus, daß ihr es ehrlich meint - Dinge, die auch mich bewegen.

Wir sollten dafür sorgen, die menschlichste aller Ideen, die kommunistische Idee, menschlich zu vertreten. Ich habe mir angewöhnt, den anderen Standpunkt auch als anders zu bezeichnen. Ich meide in der theoretischen Debatte die kategorischen Urteile falsch und richtig, unwahr und wahr. Manche, die sich zur Diskussion melden, sagen und schreiben Dinge, die nicht unserem Geschmack entsprechen. Sind sie deswegen gleich Revisionisten oder Opportunisten? Sie meinen es aufrichtig, wissen es aber nicht besser. Dafür sollten wir sie nicht schmähen. Und nicht jede Reaktion darauf ist Ausdruck besonderer Klugheit.

Für Marxisten-Leninisten ist durchaus nützlich, sich an Volksweisheiten zu erinnern. Eine davon lautet: Der Klügere gibt nach! Nachgeben bedeutet nicht Aufgeben oder Preisgeben. Es bedeutet viel-mehr, nicht über jedes Stöckchen springen, nicht in die gleiche Kerbe hauen, nicht mit gleicher Münze zahlen, nicht hinter jeden Baum einen Teufel sehen.

Wir dürfen nicht zulassen, daß die kommunistische Idee zur Hure gemacht wird. Unsere Idee verlangt zu allererst nach menschlichen Umgang mit den Menschen und dieser Umgang beginnt bei uns selbst. Wenn wir uns schon gegenseitig an die Wäsche gehen, wie wollen wir dann mit denen umge-hen, die zwar nicht unsere politischen Gegner sind, die aber auch noch nicht unsere kommunistische Überzeugung haben? Der Stil, den die Vertreter des bürgerlichen Lagers in der Auseinandersetzung mit anderen pflegen, darf nicht unserer sein.

Ich unterstütze euer Bemühen, kulturvoll mit anderen Meinungen umzugehen. Ich verstehe das Anliegen von offen-siv so, für Klarheit unter Kommunistinnen und Kommunisten zu sorgen. Diese Klarheit unter uns benötigen wir, um zunächst die Arbeiterklasse aufzuklären. Wir wirken dafür, Bündnisse zu schaffen. Bündnisse müßten aber damit beginnen, zunächst die Kommunistinnen und Kommunisten zu vereinen. Könnte offen-siv diese Aufgabe nicht in den Mittelpunkt des Bemühens stellen?

Drei Beiträge des Juli-August-Heftes erregten meine Aufmerksamkeit.

I. Venezuela,

II. Zuspitzungen,

III. Zum Entwurf der Politischen Erklärung.

I.) Die Vorgänge in Venezuela erinnern mich stark an das, was im Sandinistischen Nicaragua vor sich ging. Ich war fast vier Jahre Berater bei der FSLN. Man bedenke: Nur die SED hatte Berater unmittel-bar in den politischen Strukturen der FSLN. 10 Genossen waren im Verlauf der Jahre im Einsatz. Mich regt nicht auf, aber es wundert mich schon, daß die DKP auf diesen Erfahrungsschatz verzichtet. Im Juli dieses Jahres habe ich mit einigen Freunden anläßlich des 25. Jahrestages des Sieges über die Somoza-Diktatur ein Treffen ehemals in Nicaragua tätiger DDR-Bürgerinnen und -Bürger organisiert. Es gelang uns über 60 Leute aus dem Stand zusammen zu bringen. Anläßlich dieses Treffens habe ich eine Dokumentation verfaßt. Ich schicke sie dir als Anlage zu deiner Verwendung.

Zur Zeit arbeite ich an einer Sache, die mir nicht aus dem Kopf gehen will. Wir reden und schreiben von Sozialismusvorstellungen. In der Programmdebatte der DKP sind sie ein heißes Eisen. Für Marxisten-Leninisten dürfte es meiner Ansicht nach weniger um Sozialismus-vorstellungen, sondern vorrangig um Kommunismusvorstellungen gehen. Über den Sozialismus wird gesprochen und geschrieben als wäre er bereits der Kommunismus. Er ist aber zunächst nur die erste Phase des Kommunismus - jene Übergangsperiode, in der die Macht nichts anderes sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats. Muß man Revolutionen wie die chilenische, die Sandinistische, die Bolivarianische, die Sambesische nicht ebenfalls in eine solche Übergangsperiode einordnen?

Ich höre schon die europäischen Kommunisten sich ereifern, weil sie fürchten, entweiht zu werden. Der Marxismus-Lenininismus gehört aber uns europäischen Kommunisten nicht allein. Kommunisten anderer Kontinente sind durchaus im Stand, eigene Beiträge entsprechend ihrer nationalen Besonderheiten zu leisten.Sozialismus ist Vorstufe. Jeder Schritt aus dem bürgerlichen Joch heraus, ist Übergang, unabhängig vom Niveau der sich national unterschiedlich entwickelnden Produktivkräfte. Auf die sozialen Revolu-tionen einzelner Nationen wirkt immer auch das am höchsten entwickelte Niveau der Produktivkräfte im internationalen Maßstab.

Bei solche einer Betrachtungsweise gewönne die These, daß sich die Welt in der Phase des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus befände, aktuelle Bedeutung. Ebenso trete die Dialektik zwischen der Marxschen These von diesem Übergang im Weltmaßstab und der Leninschen These von der Möglichkeit der Sozialistischen Revolution in einem Lande hervor.

II.) Damit bin ich beim Punkt Zuspitzungen. „Junge Welt“ hat ausführlich darüber berichtet. Ich teile eure Standpunkte und Sorgen. Die Leverkusener Konferenz wirft ein Licht darauf, was in den Köpfen einiger "DKP-Vordenker" so vor sich geht und mit wem sie sich zusammen setzten. Es muß mit allen erlaubten Mitteln erreicht werden, daß diese Leute nicht ihre Programmauffassungen durchsetzen. (...)

Redebeitrag in der Arbeitsgruppe Sozialismusvorstellungen auf dem Hearing am 17.4.2004 in Hannover

Der Knackpunkt der bisherigen Programmdebatte scheint mir in der unterschiedlichen Anwendung des Marxismus-Leninismus zu liegen. Die einen verstehen darunter die Ideen von Marx, Engels und Lenin, die anderen die Weltanschauung und Wissenschaft der Arbeiterklasse sowie die erkenntnistheoretische Methode. Wollen wir also ein Programm auf der Grundlage der Ideen von Marx, Engels und Lenin oder eins auf der Grundlage des Marxissmus-Leninismus? Wir brauchen kein Programm für die Klügsten unter uns. Wir brauchen eins für die Arbeiterklasse und ihren revolutionären Kampf.

Ich möchte mich äußern zu den Darlegungen von Willi Gerns, zu den nach seiner Meinung bestehenden Differenzen in folgenden Auffassungen: Die inneren und äußeren Faktoren der Niederlage des Sozialismus in Europa, das Wirken Stalins und den Schlußfolgerungen aus der Niederlage, die Fragen des Eigentums, der Demokratie, der Gewaltenteilung und der Präsenz mehrerer Parteien, einschließlich von Oppositionsparteien.

Wir benötigen eine marxistisch-leninistische Analyse des realen Sozialismus und der Gründe seiner Niederlage. Das, was ich darüber in der Programmdebatte bisher hörte und las, befriedigt mich nicht. Warum gehen wir an diese Aufgabe nicht mit der gleichen Wissenschaftlichkeit wie Marx und Lenin heran, als sie die Lehren aus der Pariser Kommune zogen? Allzu schnell und zu eifrig sind einige dabei, Fehler und Mängel, gar Verbrechen auszumachen, anstatt sich zunächst mit dem historischen Platz des realen Sozialismus zu beschäftigen.

Die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Länder hatten mit dem Aufbau einer völlig neuen Gesellschaftsordnung begonnen und dabei Fortschritte erreicht. Sie müssen deshalb nicht unbedingt als Vorlage für die Sozialismusvorstellungen der DKP dienen. Aber bedenkenswert ist doch, daß auf einem Sechstel der Erde, dem Kapital der Einfluß entzogen worden war, daß es 40 Jahre gelang, den Weltfrieden zu erhalten, daß das Kolonialsystem zusammenbrach und die nationalen Befreiungsbewegungen einen zuverlässigen strategischen Partner besaßen.

Ich habe die Dialektik unseres Kampfes in der Vergangenheit immer so gesehen: Jeder Schritt vorwärts beim Aufbau des Sozialismus war ein Beitrag in der Klassenauseinandersetzung mit dem Imperialismus. Und jeder Erfolg im Kampf gegen den Imperialismus war ein Beitrag zum Aufbau des Sozialismus. Diesen Kampf führten SED und DKP gemeinsam. Ihre Erfolge waren gemeinsam. Ist es die Niederlage nicht auch? Deutsche Kommunisten haben einen gewaltigen Fundus. Sie verfügen sowohl über Erfahrungen im direkten Kampf gegen den Imperialismus wie beim direkten Aufbau des Sozialismus.

Ich verstehe nicht, warum mit der Betonung der Gewaltenteilung so getan wird, als hätte es diese in den sozialistischen Ländern Europas nicht gegeben. Wir hatten die Legislative, die Exekutive und die Jurisdiktion. Sie hatten jedoch einen anderen Inhalt. In der DDR gab es etwas, wovon in den bürgerlichen Gesellschaften noch nie die Rede war: Organe der gesellschaftlichen Kontrolle.

Ich kann mir eine sozialistische Parteienlandschaft mit Opposition schon vorstellen. Aber nicht als politische Konkurrenz, sondern als Antrieb. Es wird nicht gehen können, daß die sozialistische Demokratie ein Abklatsch der bürgerlichen wird. Die sozialistische Demokratie wird eine der Arbeiterklasse sein. An sie können nicht die Maßstäbe der bürgerlichen Demokratie angelegt werden.

Will man alle vier Jahre Programme wählen lassen, nach denen das Privateigentum eingeführt und wieder abgeschafft wird? Oder will man alle vier Jahre unterschiedliche Sozialismusvorstellungen zur Wahl stellen? Welche andere Partei, als die kommunistische, hat den Aufbau des Sozialismus in ihrem Programm?

Die Geschichte der sozialistischen Länder Europas lehrte, daß ihre bürgerlichen Parteien, sobald sie 1990 an die Macht gelangten, den Sozialismus nicht ausbauten, sondern den Kapitalismus restaurierten. Die „Blockpartei“ CDU der DDR hatte die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft programmiert. 1990 zog sie an der Spitze der Allianz für Deutschland mit der Losung „Nie wieder Sozialismus“ in den Kampf zur „ersten freien und geheimen Wahl“ in der DDR. Kaum gewählt, vollzog sie die Übergabe der DDR an die BRD. Soviel zur Frage des Wettbewerbes verschiedener Parteien im Sozialismus.

In jeder Revolution geht es um die Macht. In der sozialistischen Revolution ergreift sie die Arbeiterklasse. Ihr erster Akt wird darin bestehen müssen, die entscheidenden Produktionsmittel zu vergesellschaften. Mit den entscheidenden Produktionsmitteln in der Hand, wird die Arbeiterklasse eine neue, die sozialistische Demokratie entwickeln.

Über den Sozialismus kann man genauso wenig abstimmen lassen, wie die bürgerlichen Parteien das Volk über den Kapitalismus abstimmen ließe. Der Sozialismus setzt die Entmachtung des Bürgertums voraus. Und das wird sich nicht nach den von ihm aufgestellten Regeln der Demokratie von der Arbeiterklasse entmachten lassen.

III.) Ich komme zum dritten Punkt, der Entwurf der Politischen Erklärung. Auch ich sehe die Gefahr, daß damit Tatsachen für den Inhalt des zukünftigen Programms geschaffen werden sollen. Meine Hauptkritik richtet sich an den Abschnitte 6 „Die DKP stärken - einheitlich handeln!“ (...)

Ich bin gegen den Entwurf.  Meine Einwände beziehen sich vor allem auf den 6. Abschnitt: „Die DKP stärken – einheitlich handeln!“

Die Forderung nach einer starken, einheitlich handelnden DKP ist absurd, wenn wir uns statt mit dem Forcieren der Arbeit am Entwurf eines Programms mit einer Politischen Erklärung beschäftigen. Das lenkt von der Programmdebatte ab. Die DKP hätte jedoch ein aktuelles marxistisch-leninistisches Programm dringend nötig.

Damit bin ich beim springenden Punkt: Auf Seite 14, Zeilen 9 und 10, heißt es: „Gemeinsames weltanschauliches Fundament ist und bleibt der Marxismus, die Theorien von Marx, Engels und Lenin.“ Wollen wir eine Politische Erklärung auf dem 17. Parteitag verabschieden, in welcher der Leninismus vom Marxismus-Leninismus abgekoppelt wird?

Ich bin immer mehr davon überzeugt, daß der theoretische Streit innerhalb der DKP gar nicht so sehr um die unterschiedlichen Auffassungen zum Imperialismus heute, zu den Kämpfen unserer Zeit, zu den Sozialismusvorstellungen und zur kommunistischen Partei geht. Er geht um unterschiedliche Auffassungen zum Marxismus-Leninismus. Sollte der Entwurf der Politischen Erklärung der DKP so bleiben wie er vorliegt, dann wird, ob gewollt oder nicht, der Bruch mit dem Leninismus vollzogen.

Im gleichen Abschnitt ist auf Seite 14, Zeile 18, von „marxistische Partei der Arbeiterklasse“ die Rede. Wollen wir für die Arbeiterklasse keine marxistisch-leninistische Partei mehr sein? Wenn das so sein sollte, dann verstehe ich natürlich auch, warum unter „4.1 Arbeiterklasse und Gewerkschaftsbewegung“ letzterer so viel Bedeutung beigemessen wird. Genau davor aber warnte Lenin in „Was tun?“ Die Gewerkschaften sind wichtig für die Arbeiterbewegung, das wird niemand bestreiten, aber sie sind nicht deren Vorkämpfer. Der Marxismus-Leninismus ist eben nicht nur eine Sammlung der Theorien von Marx, Engels und Lenin, er ist die Weltanschauung und die Wissenschaft der Arbeiterklasse. Und Aufgabe der Kommunistischen Partei ist es, ihr diesen zu vermitteln. Gewerkschaften werden das nicht tun.

Deshalb müssen wir an unserer marxistische-leninistischen Bildung und nicht wie auf Seite 14, Zeile 50 „... an der marxistischen...“ arbeiten. Auf Seite 15, Zeile 4 wird von „Die Debatte mit anderen Marxisten...“ geschrieben. Wer sind andere Marxisten? Handelt es sich um solche, die den Leninismus bereits von der marxistisch-leninistischen Weltanschauung abgetrennt haben? Und soll mit deren Ideen, wie auf Seite 15, Zeile 6 entworfen, die marxistische Theorie bereichert werden?

Ich meine: Ohne marxistisch-leninistische Grundlage wird die DKP weder stark noch einheitlich handelnd. Und ohne diese starke und auf marxistisch-lininistischer Grundlage einheitlich handelnde DKP können wir auf die Abschnitte 1 bis 5 verzichten.

Auf Seite 1, Zeile 12, „(müssen) die neuen Gegebenheiten genau analysiert werden.“ Wie lange wollen wir noch mit der genauen Analyse zubringen?

Es würde reichen, statt einer „genauen“ eine marxistisch-leninistische Analyse vorzunehmen. Ich halte das für entscheidend, weil mit Hilfe einer solchen Analyse klarer würde, was die DKP brauchte: Ein Programm statt einer Politischen Erklärung.

Besteht nicht die Gefahr, daß mit der Formulierung im Absatz auf Seite 1, Zeile 18 bis 23, die historischen Offensive aufgegeben wird? Die Mitglieder der DKP sollen sich freiwillig in die Defensive begeben, um von dort aus beizutragen, eine außerparlamentarische gesellschaftliche Kraft zu formieren, die in der Lage ist, die Verhältnisse aufzubrechen, um dann in die Offensive zu kommen. Wird der Klassenkampf nicht so von Leuten gesehen, die ihn aufgegeben haben?

                                                                       Mit solidarischen Grüßen, Wolfgang Herrmann, Dreesch

Hans Schröter: Mehr als nur problematisch

Euren Artikel zu Mao halte ich aus den verschiedensten Gründen für mehr als nur problematisch. Er stellt den chinesischen Genossen egenüber eine direkte Provokation dar. Es ist doch einfach unmöglich für uns, uns aus den unüberprüfbaren Unterlagen des Klassengegners zu bedienen.

Meines Wissens haben die chinesischen Genossen sich nicht derartig zu Mao geäußert. Wollen wir ihnen vorsachreiben was und wie sie ihn zu bewerten haben? Ihr müßt das unbedingt klarstellen.

                                                                                                                 Herzliche Grüße, Hans Schröter

Ronny Hirsch: Probleme im Osten

Auf dem Gebiet der DDR gibt es im groben zwei wirkungsvolle kommunistische Kräfte, die KPD und die DKP. (die KPF der PDS in meinen Augen nicht, da durch den Kampf innerhalb der PDS alle Kräfte gebunden werden) Die Zusammenarbeit zwischen diesen beiden klappt zwar in einigen Regionen recht gut, aber leider kommt die gegenseitige Unterstützung viel zu kurz.

Man verliert sich lieber in Machtkämpfen, z.B. wenn es um das Antreten bei Wahlen geht, streitet sich, wer die besseren Kommunisten sind und verschwendet somit viel Zeit und Möglichkeiten im gegenseitigen Konkurrenzkampf, jeder steht allein hinter seinen Stand und die Besucher wundern sich nur, dass es zwei kommunistische Parteien gibt, die doch wohl das gleiche Ziel haben. Da sind wir schon bei der Menschen, die nicht wissen, wieso es eine DKP und eine KPD gibt und was die Unterschiede sind – ich bin davon überzeugt, dass dieses Wirrwarr eher abschreckt. (Zumal die Erklärungen - KPD Verbot, Einigungsvertrag - dafür auch Zeit wegnehmen, die besser genutzt werden könnten, um am Infostand vielleicht mit einem weiteren Besucher zu sprechen.) Dazu kommt auch noch das bekannte DKP-Problem, die Ostverbände und der Streit mit den Westvorstand, dieser Konflikt – die Gründe spielen für dieses Thema keine Rolle, daher gehe ich nicht darauf ein – kostet auch wieder Zeit, es werden sich Gedanken gemacht, Papiere verfasst und diskutiert etc. - ebenso wie die unendliche Geschichte, die Programmdebatte der DKP: nur Selbstbeschäftigung. Kurz: die Arbeit der Kommunisten ist uneffektiv!

Schon in den historischen Beschlüssen des II. Weltkongreßes der Kommunistischen Internationale zu den Anforderungen an kommunistische Parteien hieß es: „In jedem Lande darf nur eine kommunistische Partei bestehen.“(1) Ich bin der Überzeugung, dass das heute umso wichtiger ist!

Was wäre denn die Wirkung, wenn sich die Ostlandesverbände der DKP entschließen würden, zur KPD überzutreten? Der Konflikt der Ostverbände der DKP mit dem west-dominierten Vorstand wäre somit aus der Welt. Die KPD, incl. Programm, steht den meisten Ost-DKP-Genossen ohnehin näher.

Die Zeit für die Koordinierung von Terminen untereinander würde wegfallen, Veranstaltungen könnten qualitativ hochwertiger gestaltet werden, die Gefahr eines Konkurrenztermins der anderen Partei besteht nicht und die Möglichkeiten für die Mobilisierung sind größer. Das Auftreten auf Demos oder im Wahlkampf wäre stärker möglich – die ohnehin knappen Gelder können gebündelt effektiver eingesetzt werden. Gerade in Zeiten des sozialen Kahlschlags, der drohenden Massenarmut, haben Kommunisten die Chance, dass die Bevölkerung ihnen zuhört - wenn es allen gut geht, ist das nicht so. Der wachsende Protest zeigt den Willen, etwas verändern zu wollen. Jetzt müssen wir mit unseren Vorstellungen an die Bevölkerung treten, jetzt müssen wir zeigen, was schief läuft, wo das Volk verarscht wird und welche Alternative es gibt!

Aber leider beschäftigt man sich ja lieber mit sich selbst...

                                                                                                                            Ronny Hirsch, Hermsdorf

(1)    – Die Rote Fahne, August 2004

Andrea und André Vogt: Vorbehaltlos und offen

Lieber Frank, liebe Genossen, herzlichen Dank für die letzten Ausgaben der „offen-siv“; der unzweifelhaft wichtigsten Publikation von Kommunisten für Kommunisten hierzulande. Warum dieser Superlativ? Weil bei euch die Probleme unserer Bewegung vorbehaltlos und offen ausgesprochen und in einer Weise diskutiert werden, die konkrete Antworten auf die weithin unerklärten Ursachen des Niedergangs der sich zunächst stürmisch und erfolgreich entwickelnden sozialistischen Ökonomie in der UdSSR ermöglichen. Manche sich kommunistisch verstehende Publikationen und Veranstaltungen meinen, auch mit Blick auf mögliche Polarisierungen, man könne die Defensive ohne Stalin oder gar mit dem blassen Liberalismus „einerseits und andererseits“ überwinden. Diese Art „Seichtbeutelei“ (K. Marx) verhindert die notwendige Auseinandersetzung und verfestigt die Niederlage. Stalin gehört zu uns und wir lernen aus den Kämpfen und Erfahrungen seiner Zeit. Großen Dank deshalb auch an Genossen Ulrich Huar für seine fundierten, klaren und wichtigen Beiträge dazu, die keinesfalls als „Stalin-Renaissance“ verkannt werden können.

„Klarheit vor Einheit“ formulierte Gerald Hoffmann in „offen-siv“ 5/03 bezüglich der Verständigung unter Kommunisten. Diese Klarheit ist bei euch zu finden, wohltuend und unverzichtbar für die Entlarvung des Revisionismus, welcher im Gewand des Marxismus die Revolutionäre zermürbt und sie in die Irre führt.

Es war richtig, auf den „RotFuchs“ zwecks gemeinsamer Projekte zuzugehen. Die relative Zugeknöpftheit der Verantwortlichen dort weist auf ernsthafte Konstruktionsmängel im „Fuchsbau“ hin und man wird die Frage zu beantworten haben, ob nicht zu viele Zugeständnisse an die Leserschaft und die eigene Bequemlichkeit im Denken gemacht werden. Auch Kurt Gossweilers Recherchen und Analysen sind also mindestens zu widerlegen, oder man hält sich raus.

Die angebotenen Veranstaltungen (Gen. Niebel, Höhmann und Opperskalski) mit zu organisieren haben wir uns gegenüber Gen. Wolfram Triller bereit erklärt. Er wird die Möglichkeiten diesbezüglich in den nächsten Tagen erörtern.

                                                           Mit kommunistischen Grüßen, Andrea und André Vogt, Dresden

Hansi Oehme: An Familie Lewander

Die Hefte von Ulrich Huar haben mir bisher in der ideologischen Arbeit große Hilfe geleistet. Als integerer Bestandteil der Geschichte der Sowjetunion ist die Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges Gegenstand der marxistischen Analyse der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. Als integerer Bestandteil der leninistischen Theorie ist die stalinsche Militärtheorie und -taktik Gegenstand (wenn auch nicht primär momentan) der marxistischen Analyse der Entwicklung der wissenschaftlichen Weltanschauung durch Lenin und Stalin. Als integerer Bestandteil der herausgeberischen Arbeit der "offen-siv" ist das Erbe Stalins ein Gegenstand der Grundlagen zur Zusammenführung der kommunistischen Kräfte in der BRD und anderswo.

Um das Mißverständnis des Hitler-Stalin-Paktes dreht sich eine der größten ideologischen Verunsicherungskampagnen der Bourgeoisie gegen den Kommunismus. Um die defaitistischen Äußerungen zur Militärgeschichte der Sowjetunion im 2. Weltkrieg dreht sich eine der größten Verleumdungskampagnen gegenüber der Sowjetunion. Eine Geschichtsschreibung von Hitler-freunden in der Sowjetunion, Versagern an der Militärfront, sozialistischer Pfusch-Produktion von Waffen, Vergewaltigungsszenarien der Roten Armee, "imperialistischer" Machtpolitik gegenüber Polen ergreift die Massen in Deutschland und schürt den Antikommunismus in Form des Antisowjetismus. Der ideologische Klassenkampf entzündet sich um diese Fragen. Jeder objektive Wissenschaftler, der sich über die Verzerrungen der Geschichte durch die anti-kommunistischen Ideologen wundert, wird mit der Peitsche der Arbeitslosigkeit aus Amt und Würden gedroschen.

Was habe ich gerade mit den militärspezifischen Heften ("Militärreminiszenzen") von Ulrich Huar in der Hand? Es werden besserwisserische bürgerliche bzw. revisionistische Schreihälse mundtot gemacht durch Fakten und Zusammenhänge, die ich mir selbst nie hätte erarbeiten können! Was habe ich Züge der Erleichterung in die Gesichter der Genossen malen können, die sich völlig desorientiert den Hitler-Stalin-Nichtangriffsvertrag nicht hatten erklären können und die durch die sachlichen, marxistischen Ausführungen des Genossen Huar von der Last der Ungewißheit und der daraus resultierenden Übernahme bürgerlicher FAZ-Theorien befreit wurden? Die Heftreihe von Ulrich Huar ist sehr wichtig für mich und Genossen, und die Vorstellung, daß "offen-siv" nach drei Abbestellungen mit solch laxer Begründung die Heftreihe einstellt, macht mir regelrecht Angst. (Keine Angst! D. Red.)

Und die NVA und die Rote Armee waren von höherem politischen Bewußtsein geprägt als weite Teile der Arbeiterklasse und Partei. Ohne Partei im Rücken konnte der beste NVA-Offizier nicht gegen die Konterrevolution vorgehen. Viele der heutigen Kommunisten rekrutieren sich aus den Reihen der bewaffneten Organe der DDR. Wir dürfen jetzt nicht sauer auf unsere eigenen Leute sein, vor allem, wenn sie einsehen, daß die Sache von 1989/90 eine mistige Konterrevolution war, trotzdem oder gerade weil überall von Sozialismus-Reform geschrien wurde. Wir müssen unsere Leute aktivieren, und da sind "offen-siv" und "RotFuchs" bei allen Unterschieden der Ausrichtung etc. wichtige Organe für die Kommunisten.

Ich verfolge "offen-siv" weiter, mitsamt Militärtheorie!

Mit revolutionärem Gruß, Johannes Oehme, Berlin, Hauptstadt der vom deutschen Imperialismus besetzten DDR




[1] WalterUlbricht, Die Bedeutung des Werkes „Das Kapital“  von Karl Marx für die Schaffung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus in der DDR und den Kampf gegen das staatsmonopolistische Herrschaftssystem in Westdeutschland, Berlin1967.

[2] Frage: Wann beginnt die? Nicht sofort mit der Eroberung der Macht, sondern erst mit der Planwirtschaft?

[3] So bei Jacobs.

[4] Der Artikel knüpft an meine Ausführungen im Berliner „Freidenker – Report“ Nr. 1/2002 an. Er stellt das Resümee einer für 2004 vorgesehenen längeren Veröffentlichung dar. Vor allem verschiedene Archivalien und weitere Literatur habe ich gründlich ausgewertet.

[5] Wenn dieses „Argument“ überhaupt etwas aussagt, dann dass die DDR sich die Menschen, mit denen der Sozialismus aufgebaut werden musste, nicht aussuchen konnte.

[6] Das Lehrbuch „Politische Ökonomie des Sozialismus und ihre Anwendung in der DDR“ (1969) ist die erste systematische Rechtfertigung einer in zentralen Punkten schwankenden Wirtschaftspolitik. Eine Auseinandersetzung mit diesem Buch, mit der Position Ingeborg Böttchers wie auch mit den Beiträgen von Jacobs und Gossweiler folgt.

[7] vgl. Jürgen Harrer, „Zur wirtschaftspolitischen Entwicklung“, ›Das Argument‹ Nr. 76 (1972)