Zeitschrift für Sozialismus und Frieden 9/06

Herausgeber: Verein zur Förderung demokratischer Publizistik (e.V.)

Spendenempfehlung: 1,60 €


Analysen zum neuen DKP-Programm

Protokollband der außerordentlichen Sitzung
des Herausgebergremiums von „offen-siv“zum Thema:
„Das neue Programm der DKP“


Referate:
Fritz Dittmar, Frank Flegel, Kurt Gossweiler, Hermann Jacobs, Andrea Schön und Arne Taube

Diskussionsbeiträge:
Frank Flegel, Kurt Gossweiler, Ronny Hirsch, Günther Lange, Michael Opperskalski, Andrea Schön, Arne Taube,  Hans-Jürgen Westphal

Anhang:
Texte von Wolfgang Herrmann und Hans Heinz Holz


Inhalt


Redaktionsnotiz

Die DKP hat auf der 2. Tagung ihres 17. Parteitages am 8. April 2006 ein neues Parteiprogramm beschlossen. Da die DKP die größte der bundesdeutschen Organisationen ist, die sich dem kommunistischen Spektrum zurechnen, widmen wir ihr und ihrem neuen Programm dies Sonderheft.

Unser Herausgebergremium, der „Verein zur Förderung demokratischer Publizistik“, hat sich am 6. Juni 2006 zu einer außerordentlichen Sitzung getroffen, um das neue Programm der DKP zu analysieren und zu bewerten. Wir haben uns von unterschiedlichen Themenstellungen aus dem DKP-Programm genähert und es gemäß der zu diesen Themenstellungen gehörenden Anforderungen analysiert. Diese thematischen Blöcke waren: 1. die Einschätzung der DKP zur Situation des Imperialismus heute und dabei speziell des BRD-Imperialismus, 2. die Überlegungen der DKP zu den Ursachen unserer Niederlage 1989/90 in Europa, 3. die Vorstellungen der DKP für einen künftigen Sozialismus, 4. die Frage nach der Wissenschaftlichkeit der im DKP-Programm enthaltenen grundsätzlichen Aussagen, 5. die im neuen Programm enthaltenen Angaben der DKP über kommunistische Strategie und Taktik heute, 6. die Art der innerparteilichen Diskussion und der Auseinandersetzung vor der Verabschiedung des neuen Programms.

Dazu haben gute Genossinnen und Genossen Referate vorbereitet, die wir abschließend und schlussfolgernd diskutiert haben. Die Resultate legen wir nun ungeschönt vor. Wir bitten Euch, die nicht immer glatte Sprache und das manchmal auftretende thematische „Springen“ zu entschuldigen. Wir wollten hier nicht nachträglich glätten, weil darunter die Authentizität der Texte und der Diskussionen gelitten hätte, was wir nicht wollten, denn hier sollte es darum gehen, ein arbeitendes Gremium zu dokumentieren.

Im Anhang dokumentieren wir zwei Texte: Wolfgang Herrmanns „Brief aus Dreesch“, den er uns schon vor unserer Sitzung zusandte, weil er persönlich nicht kommen konnte, und „Das neue Programm der DKP“ von Hans Heinz Holz aus „Theorie und Praxis“ August 2006. Wir hatten Hans Heinz Holz zu unserer Sitzung eingeladen. Leider aber konnte er aus terminlichen und gesundheitlichen Gründen nicht daran teilnehmen, empfahl uns aber, uns mit seinen Positionen aus den einschlägigen Veröffentlichungen vertraut zu machen. Wir haben uns für die hier abgedruckte entschieden. Wie Ihr bemerken werdet, unterscheidet sich seine Analyse stark von der unsrigen. Aber entscheidet selbst!

Unsere Finanzen sind erschöpft, die Rücklagen aufgebraucht. Wir bitten Euch dringend um Hilfe!

Spendenkonto Offensiv: Konto Frank Flegel, 30 90 180 146 bei der Sparkasse Hannover, BLZ 250 501 80; Kennwort „Offensiv“

Aus dem Ausland: Konto Frank Flegel, Internat. Kontonummer (IBAN): DE10 2505 0180 0021 8272 49, Bankidentifikation (BIC): SPKHDE2HXXX; Kennwort „Offensiv“

                                                                                                                     Redaktion Offensiv, Hannover

Die Referate

Kurt Gossweiler:

Analyse der Teile I „Imperialismus heute“
und II „Der deutsche Imperialismus“ des Programms der DKP

I. Zur Gliederung der beiden Teile

Gliederung von Teil I, Imperialismus heute:

  1. Die Grundlagen des Kapitalismus
  2. Entwicklungsstadien des Kapitalismus
  3. In welchem Kapitalismus leben wir?
  4. Kapitalismus und Staat
  5. Tendenz zur Aggression
  6. Die Europäische Union
  7. Ein anderes Europa ist möglich - ein sozialistisches Europa ist nötig

Gliederung von Teil II, Der deutsche Imperialismus:

Dieser Teil hat nur zwei Abschnitte. Der Hauptabschnitt ist ohne Überschrift. Im Entwurf gab es eine Überschrift: “Militärische Gewalt und Krieg sind wieder Mittel deutscher Außenpolitik“. In der Endfassung wurde diese Überschrift nach unten geholt und zum ersten Anfangssatz des nun überschriftslosen ersten Abschnittes gemacht.

Zweiter Abschnitt: „Zivilisatorischer Rückschritt.“

Bemerkungen zur Gliederung:

Die Gliederung von Teil I hat für mich einen großen Mangel: sie läßt nicht erkennen, dass der Imperialismus im XX. Jahrhundert vor allem mit Einem beschäftigt war: mit der Sorge um seine Behauptung im Kampf „Wer –Wen“ mit der proletarischen Revolution und mit dem Sozialismus.

Das gilt auch für Teil II „Der deutsche Imperialismus“ für die zweite Hälfte des XX. Jahrhunderts, für den Kampf der BRD zur Liquidierung der DDR.

Aus der Gliederung müßte auch zu ersehen sein, dass der Kampf „Wer –wen“ auch und erst recht im XXI. Jahrhundert die Zentral- und Schicksalsfrage des Imperialismus, seine Hauptsorge, bleibt, auch wenn es zur Zeit aus der deutschen Perspektive nicht danach aussieht.

In diesem Mangel schon in der Gliederung dieser Teile des Programms kommt für mich eine Geringschätzung dessen zum Ausdruck, was der untergegangene Sozialismus, was die Sowjetunion und die sozialistische Staatengemeinschaft im Weltmaßstabe, und die DDR im Maßstabe Deutschlands und Europas bedeuteten und geleistet haben.

Diese Geringschätzung scheint mir zum einen ein noch nicht abgeworfenes Erbe des Chruschtschow- und Gorbatschow-Revisionismus und seiner Anschwärzung der Geschichte der Sowjetunion vor 1953 zu sein, zum anderen - wohl als Nachwirkung unserer Niederlage - die Folge einer Überschätzung der Stärke des Imperialismus und einer Unterschätzung der potentiellen Stärke der antiimperialistischen Volksbewegungen.

Aber: wir stehen doch gerade erst am Beginn dieses XXI. Jahrhunderts, und wie viele und brisante Widersprüche haben sich schon angehäuft, die nach Lösungen drängen, die umso explosiver sein werden, je länger sie hinausgeschoben werden!

II. Versuch einer Gesamteinschätzung der beiden Teile zum Imperialismus:

Der Teil I „Imperialismus heute“ ist dort am besten, wo er auf den Erkenntnissen von Marx, Engels und Lenin aufbaut und sie wiedergibt – das sind die Abschnitt „Grundlagen des Kapitalismus“ und „Entwicklungsstadien des Kapitalismus“. Das heißt aber nicht, dass zu diesen Teilen nicht auch kritische Anmerkungen zu machen sind.

Der Teil I ist uneinheitlich und manchmal in sich widersprüchlich in den Abschnitten, in denen versucht wird, den „Kapitalismus, in dem wir leben“, zu analysieren. In diesen Abschnitten finden sich auch Einschätzungen, die nach meiner Ansicht im Widerspruch stehen zu Erkenntnissen der marxistischen Kapitalismus- und Imperialismus-Analyse. Das Gleiche lässt sich auch zu einigen Formulierungen in Teil II: „Der deutsche Imperialismus“, sagen.

Die Hauptschwäche in beiden Teilen sehe ich darin:

1. Die Bedeutung des Sieges der Oktoberrevolution und der Existenz und des Aufstiegs der Sowjetunion zur zweiten Weltmacht, der Herausbildung eines sozialistischen Weltsystems neben dem des Imperialismus, die Bedeutung all dessen für die Entwicklung und die Politik des Imperialismus bleibt ebenso unterbelichtet wie die Auswirkungen des Unterganges der sozialistischen Staaten Europas auf  seine Innen-, Wirtschaft- und Sozial- Politik sowie auf seine Außenpolitik.

2. Das Programm übernimmt die das Wesen der Dinge verschleiernden Begriffe der bürgerlichen Politikwissenschaft, wie „Globalisierung“ und „Neoliberalismus“, statt die damit verschleierten Sachverhalte und Prozesse bei ihrem richtigen Namen zu benennen, also mit unseren, das Wesen der Sache zum Ausdruck bringenden Begriffen.

III. Bemerkungen zu den einzelnen Abschnitte von Teil I: Imperialismus heute.

Zu den ersten beiden Abschnitten habe ich nur wenige Bemerkungen zu machen.

Abschnitt 1 - Grundlagen des Kapitalismus - gibt einen zutreffenden knappen Überblick über die Grundlagen des Kapitalismus. Richtig wird gesagt, dass es zwischen Arbeiterklasse und Kapitalistenklasse keine Partnerschaft geben kann. Für die Kennzeichnung des Klassengegensatzes beider wird aber dann statt des gewohnten und treffenden Eigenschaftswortes „antagonistisch“ ein abgemildertes Adjektiv eingesetzt: „Ihre Interessen sind gegensätzlich.“ Diesem Wörtchen fehlt das für den Klassengegensatz zwischen Arbeiterklasse und Kapitalistenklasse Kennzeichnende, ihre Unversöhnbarkeit. Das wird aber mit dem nächsten Satz nachgeholt: „Der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit ist der unversöhnliche Klassenwiderspruch der kapitalistischen Gesellschaft.“

Das ist im Programm der letzte Satz zu diesem Widerspruch. Es hätte dem Programm aber gut getan, wenn ihm noch ein Satz gefolgt wäre, der zum Ausdruck bringt, dass dieser Widerspruch  nur gelöst werden kann durch den „Sturz der Bourgeoisieherrschaft und die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat“, wie es im Kommunistischen Manifest heißt, oder, wenn man diese Formulierung vermeiden will, mit anderen Worten, etwa “ durch Überwindung des Kapitalismus und die Übernahme der Macht durch die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten.“

Auch zum Abschnitt 2 - Entwicklungsstadien des Kapitalismus - ist zu dem, was ausgeführt wird, überwiegend Zustimmendes zu sagen. Sein Hauptmangel besteht indessen in dem, was fehlt.

Zunächst zu dem, was ausgeführt wird: Geschildert wird der Übergang vom Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Monopolkapitalismus. Bemerkenswert ist vielleicht eine kleine Verän-derung gegenüber dem Entwurf. Dort, im Entwurf, war zu lesen: „Es entstand der monopolistische Kapitalismus (Imperialismus)“, im Programm dagegen: “Es entstand der monopolistische Kapitalismus als ökonomischer Kern des Imperialismus“. Das Wesen des Imperialismus wird mit Lenins Worten aus seinem Werk über den Imperialismus wiedergegeben.

In diesem Zusammenhang werden „die beiden imperialistischen Weltkriege und der Faschismus“ als „schlimmster Ausdruck“ der Tendenz zur Aggression und zur Reaktion nach innen gekennzeichnet. Das klingt so, als könnte nicht noch Schlimmeres kommen. Um diesen Eindruck zu vermeiden, wäre es besser gewesen, zu formulieren, dies seien „die bisher schlimmsten Ausdrücke gewesen; denn was wir mit Hiroshima und Nagasaki und seit der Proklamierung des „Krieges gegen den Terror“ bisher erlebten, läßt Steigerungen gegenüber den bisherigen Weltkriegen und dem bisherigen Faschismus durchaus als möglich erscheinen.

Festzuhalten ist, dass in diesem Abschnitt die Entwicklungsprozesse aufgezeigt werden, die zur Herausbildung des staatsmonopolistischen Kapitalismus geführt haben, und dass dessen Wesen hier richtig dargestellt wird als „Vereinigung der Macht der Monopole und der Macht des Staates“. (Im Abschnitt „Kapitalismus und Staat“ werden wir eine andere Erklärung kennenlernen.)

Schließlich scheint mir aus diesem Abschnitt noch erwähnenswert der letzte Absatz über die „Grundrichtung der kapitalistischen Internationalisierung.“ Zum einen deshalb, weil mit „kapitalistische bzw. imperialistische Internationalisierung“ das bürgerliche Schlagwort von der „Globalisierung“ auf den marxistischen Begriff gebracht ist. Zum anderen, weil mit dem angeführten Zitat aus dem „Kommunistischen Manifest“ nachgewiesen ist, dass die sogenannte Globalisierung keineswegs eine „qualitativ neue Stufe“ der Entwicklung des Imperialismus darstellt, wie das im folgenden Abschnitt „In welchem Kapitalismus leben wir?“ angedeutet wird.

Beim Lesen des Manifest-Zitats hatte ich aber das Gefühl: Das fehlt doch was, bei Marx-Engels ist doch diese Entwicklung mit noch viel frappierenderem prophetischem Blick geschildert worden? Also schaute ich nach, und wirklich, die Verfasser des Programms haben folgende Sätze weggelassen, die unbedingt auch hineingehören: „Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen.“ Danach folgt dann, was im Programm zitiert wird. Aber nicht nur am Anfang, auch am Ende des Zitats fehlt etwas, nämlich diese Voraussicht von Marx und Engels: „Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterten Kommunikationen (!) alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation. Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt, mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhass der Barbaren zur Kapitulation zwingt. Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen; sie zwingt sie, die sogenannte Zivilisation bei sich einzuführen, d.h. Bourgeois zu werden. Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bild.“

Zu ergänzen wäre nur noch: Wo die schwere Artillerie der wohlfeilen Preise nicht ausreicht, helfen dann im Zeitalter des Imperialismus die Geschosse der schweren Geschütze und die Bomben und Raketen nach.

Nun zu dem, was in diesem Abschnitt fehlt: Der Einfluss des Klassenkampfes in Gestalt des Kampfes Wer-Wen mit der aufsteigenden Welt des Sozialismus. auf die Entwicklung und die Strategie und Taktik des Imperialismus in diesem Kampf. Es genügt nicht, später, im Sozialismus-Teil, auf die feindlichen Aktionen der äußeren Konterrevolution hinzuweisen. In den Abschnitt über den Imperialismus gehört eine Feststellung über die Auswirkungen des Enstehens und Wachsens des Sozialismus auf den Imperialismus. Der Imperialismus kann nach Errichtung des Sozialismus auf einem Sechstel der Erde nicht mehr der gleiche bleiben wie vorher.

Sogar schon der erste Weltkrieg zeigte an, dass der Imperialismus ein Entwicklungsstadium des Kapitalismus ist, in dem sich seine Widersprüche in für ihn gefährlicher Weise zuspitzen. In seiner noch vor dem Sieg der Oktoberrevolution geschriebenen Arbeit über den Imperialismus schrieb Lenin im letztem Kapitel: „Der Platz des Imperialismus in der Geschichte“, der Imperialismus sei „parasitärer oder in Fäulnis begriffener Kapitalismus“, und: er sei ein „Übergangs-kapitalismus oder richtiger: sterbender Kapitalismus.“ Diese Feststellungen Lenins werden vom Programm nicht übernommen, schlimmer noch, sie werden nicht einmal erwähnt.:

Die Kommunistische Internationale stellte in ihren Dokumenten bei der Untersuchung der Entwicklung des Imperialismus im XX. Jahrhundert fest, dass der Kapitalismus mit dem ersten Weltkrieg in das Stadium seiner allgemeinen, d.h. allseitigen Krise eingetreten sei, ein Stadium, das eine relativ lange Periode bis zum Sieg des Sozialismus im Weltmaßstabe umfassen werde. Dass dies so sei, dass sich der Kapitalismus in der Phase seiner allgemeinen Krise befinde, stand für die Kommunisten in der ganzen Welt bis zum Sieg der Konterrevolution 1989/90 zweifelsfrei fest; jetzt jedoch anscheinend nur noch für eine Minderheit unter ihnen. Für die Verfasser des DKP-Programms jedenfalls nicht mehr. Eine Erwähnung der allgemeinen Krise des Kapitalismus habe ich im Teil „Imperialismus heute“  nicht entdeckten können.

Ich komme zum Abschnitt 3 : „In welchem Kapitalismus leben wir?“

Dieser und der folgende Abschnitt über “Kapitalismus und Staat“ sind jene, in denen sich die meisten Feststellungen finden, von denen ich meine, dass sie quer stehen zu marxistischen Er-kenntnissen. Wer die jahrelange Diskussion um das Programm verfolgt hat, der weiß, dass in der Frage nach dem Charakter des heutigen Kapitalismus zwei Auffassungen schroff gegeneinander standen: zum einen die Auffassung, die Grundzüge der von Lenin erarbeiteten Wesens-bestimmung des Imperialismus seien nach wie vor zutreffend und müssten einer Analyse des Kapitalismus von heute zugrunde gelegt werden. Zum anderen die vor allem von Leo Mayer vertretene Ansicht, Lenins Theorie sei veraltet, in der Welt von heute gäbe es nicht mehr verschiedene nationale Imperialismen, die gegeneinander konkurrieren. Der Imperialismus sei in ein neues Stadium eingetreten, charakteristisch seien nicht mehr die Konkurrenz der ver-schiedenen nationalen Monopolkapitale, sondern die Transnationalen Konzerne und Trans-nationalen Finanzgruppen. Das neue Stadium des Imperialismus sei durch die Globalisierung gekennzeichnet. Das Ende der Systemkonkurrenz sei auch das Ende der nationalen Imperia-lismen; Die Entwicklung der Produktivkräfte sprenge die nationalen Grenzen und bewirke durch die Globalisierung, dass wir es nicht mehr mit Konkurrenzverhältnissen sondern mit interna-tionaler Arbeitsteilung zu tun haben. EU und USA seien nicht Konkurrenten, sondern stellten ein einzige Produktionssystem dar.[1]

In der Programmkommission waren mit Hans Heinz Holz und Leo Mayer Vertreter beider Rich-tungen vertreten. Vor allem in den Abschnitten 3 – In welchem Kapitalismus leben wir?, 4 – Kapitalismus und Staat - , und 6 - Die Europäische Union - des Imperialismus-Teiles ist deutlich zu spüren, dass man in der Kommission nach Kompromissen gesucht und sie darin gefunden hat, dass jeder ein bißchen von seiner Auffassung in den Text einbringen durfte. 

Einige Beispiele dafür aus Abschnitt 3: „Diese ökonomischen Prozesse und die damit verbundenen politischen wie kulturellen Entwicklungen werden Globalisierung genannt. Sie kennzeichnen die Erscheinungsform des Imperialismus am Beginn des 21. Jahrhunderts ...“ Bis dahin ist Leo Mayer federführend, angedeutet ist hier seine Auffassung der „Globalisierung“ als neues Stadium des Imperialismus. Aber der Satz ist noch nicht zu Ende, er geht weiter: „ohne sein Wesen zu verändern.“ Damit kommt die andere Seite zum Zuge, die an der Gültigkeit der Leninschen Imperialismustheorie festhält.

Betrachten wir die folgende Passage, dann sieht es so aus, als trage sie ganz und gar Leo Mayers  Handschrift: „Zu den beherrschenden Kapitalien auf dem Weltmarkt und zu einer struktur-bestimmenden Form des Kapitalverhältnisses in der gegenwärtigen Entwicklungsetappe des monopolistischen Kapitalismus wurden die Transnationalen Konzerne und Transnationalen Finanzgruppen“. Vergleichen wir aber, wie diese Passage im Entwurf aussah, dann sehen wir: auch hier wurde kompromisselt. Denn dort stand zu lesen: „Zu den beherrschenden Kapitalien auf dem Weltmarkt und zum bestimmenden Eigentumsverhältnis ...wurden die transnationalen Konzerne.“ Aus Leo Mayers Text wurde also gestrichen, dass die transnationalen Konzerne zum bestimmenden Eigentumsverhältnis geworden seien; sie wurden degradiert zu einer „struktur-bestimmenden Form des Kapitalverhältnisses“. Aber als Entschädigung durfte Mayer im Programm anders als im Entwurf seine transnationalen Konzerne nun mit einem großen T statt nur mit einem kleinen t schreiben...

Es gäbe noch zu verschiedenen Aussagen dieses Abschnittes Kritisches zu sagen, aber dafür reicht die mir zur Verfügung stehende Zeit nicht. mehr. Ich greife deshalb nur eine einzige heraus, deren Richtigkeit mir sehr zweifelhaft ist.

Als neue Tendenz des Kapitalexportes wird behauptet: „Der überwältigende Teil der weltweit angelegten Auslandsinvestitionen von Großunternehmen der ‚Triade‘ – USA, EU und Japan – geht heute nicht mehr in ‚rückständige‘ Länder, sondern wird überwiegend in diesen imperia-listischen Metropolen selbst getätigt. Der ‚Rest der Welt‘ wird – wenn auch in unter-schiedlichem Maße – in der wirtschaftlichen Entwicklung, insbesondere hinsichtlich der modernen Technologien, immer mehr abgehängt. Das gilt vor allem für die Länder Afrikas.“

Nicht berücksichtigt ist hier der wachsende Trend der Verlagerung von Unternehmen aus den imperialistischen Zentren in die peripheren „Billig-Lohn-Länder“, was auf Dauer zu einer beschleunigten Industrialisierung dort und zu einer schleichenden De-Industrialisierung in den Metropolen führt..

Noch einige Bemerkungen zum Abschnitt  4  - „:Kapitalimus und Staat“. In diesem Abschnitt finden wir eine andere Auffassung vom staatsmonopolistischen Kapita-lismus als im zweiten Abschnitt. Dessen Entstehung und Wesen wird jetzt so erklärt: “Mehr und mehr konnte sich das Monopolkapital nur mit Hilfe ständiger direkter wirtschaftlicher Tätigkeit des Staates reproduzieren. Der staatsmonopolistische Kapitalismus wurde zur Existenz-notwendigkeit des Kapitalismus.“ Nach dieser Erklärung liegt das Wesen des staats-monopolistischen Kapitalismus nicht im Zusammenwachsen der Macht der Monopole und der Macht des Staates, sondern in der „direkten wirtschaftlichen Tätigkeit des Staates“, in seiner Tätigkeit als Unternehmer. 

Im Programm wird dann weiter festgestellt: „In den letzten Jahrzehnten hat es auch im Instrumentarium des staatsmonopolistischen Kapitalismus Veränderungen gegeben. Die direkte Unternehmertätigkeit des Staates wurde durch Privatisierungen des Staatseigentums zurück-genommen. Dies wird jedoch durch andere Formen der Staatsintervention wettgemacht.“ Es ist also nach dieser Auslegung die Wirtschaftstätigkeit des Staates, die den staatsmonopolistischen Kapitalismus ausmacht: Wird seine direkte Unternehmertätigkeit eingeschränkt, muß das durch anderweitige Wirtschaftstätigkeiten „wettgemacht“ werden..

Wie erklärt dagegen Lenin den staatsmonopolistischen Kapitalismus? In seiner Arbeit über den Imperialismus (LW, Bd.22, S.241) lesen wir: „Die ‚Personalunion‘ der Banken mit der Industrie findet ihre Ergänzung in der ‚Personalunion‘ der einen wie der anderen Gesellschaften mit der Regierung.“  Und auf S. 241: „Ist das Monopol einmal zustande gekommen und schaltet und waltet es mit Milliarden, so durchdringt es mit absoluter Unvermeidlichkeit alle Gebiete des öffentlichen Lebens, ganz unabhängig von der politischen Struktur und beliebigen anderen ‚Details‘“ Der staatsmonopolistische Kapitalismus ist also einfach das Ergebnis dessen, dass der Staat vom Staat der gesamten herrschenden Kapitalistenklasse zum Staat des Monopolkapitals, der imperialistischen Bourgeoisie, geworden ist.

Die Verfasser des Programms bekommen es aber fertig, in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen zwei sich widersprechende Aussagen über den Staat zu treffen:

„Der Staat wird zum Verwalter einer Politik, die weitgehend außerhalb seiner Souveränität beschlossen wird. Als Machtinstrument der Monopolbourgeoisie setzt er immer unverblümter eine Politik gegen die Interessen der Bevölkerungsmehrheit durch.“ Was ist er denn nun? „Verwalter einer fremdbeschlossenen Politik“ – oder „Machtinstrument der Monopol-bourgeoisie“, deren Politik er durchsetzt?

In diesem Abschnitt wird auch zum Neoliberalismus Stellung genommen. Er wird definiert als „die Ideologie und Politik, mit der die Umwälzung der Arbeits- und Lebensweise, der Pro-duktionsverhältnisse vorangetrieben wird, um diese dem neuen Stand der Produktivkräfte unter kapitalistischen Bedingungen anzupassen und dem Kapital verbesserte Verwertungs-bedingungen zu verschaffen.“

Das läuft ja fast darauf hinaus, die Kapitalsoffensive auf den Lebensstandard der Mehrheit der Bevölkerung als eine unter kapitalistischen Bedingungen unvermeidliche Folge der Steigerung der Produktivität zu erklären, statt klarzustellen, dass der sog. Neoliberalismus die Ideologie der siegreichen Monopolbourgeoisie ist, mit der sie ihren Feldzug zur Liquidierung aller dank der Existenz des Sozialismus ihr seinerzeit abgerungenen sozialen Errungenschaften als alternativ-los, weil durch die Sachzwänge der Globalisierung unvermeidlich geworden hinstellt und über alle Medien in die Köpfe der Massen hämmern lässt.

Abschließend zu diesem Abschnitt nur noch ein Hinweis auf einen Satz, der meine Feststellung der Geringschätzung der Leistungen des Sozialismus im von mir besprochenen Programmteil belegt. Wir lesen da: „Nach dem 2. Weltkrieg zwangen die Existenz starker Gewerkschaften und der Druck der Systemkonkurrenz auch bürgerlich-konservative Kräfte zur Einsicht, dass ...sozialer Kompromiss zum Erhalt der inneren Stabilität erforderlich seien.“

Man sollte es nicht glauben: die Verfasser des Programmes sagen uns allen Ernstes, dass die Westzonen-Bourgeoisie 1945 von der Stärke der dortigen Gewerkschaften stärker beeindruckt gewesen sei, als von der Existenz der Roten Armee auf deutschem Boden und der Sowjetunion als Besatzungsmacht eine Drittels von Deutschland!

Zum Abschnitt 5 – „Tendenz zur Aggression“ nur eine kurze Anmerkung. In diesem Abschnitt ist wieder ein besonders schönes Beispiel für die Kompromisse, von denen dieses Programm lebt, vorzuzeigen. Zuerst kommen die Vertreter der Leninschen Imperialismus-Theorie zu Wort, danach Leo Mayer, danach wieder die ersteren: „Nach der Niederlage des Sozialismus in der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern in Europa treten sie (die zwischen-imperialistischen Widersprüche) wieder deutlicher hervor. Aber nach wie vor gibt es verbin-dende Interessen. So besteht für die imperialistischen Metropolen heute eine gemeinsame Hauptaufgabe darin, die letzten Schranken für die totale Beherrschung des Weltmarktes durch die Transnationalen Konzerne aus dem Weg zu räumen. ...Zugleich entfalten sich die Rivalitäten zwischen den imperialistischen Metropolen und Blöcken.“

Beachtlich ist, dass in diesem Abschnitt gegen Schluß eine klare Absage an Leo Mayers Thesen erfolgt, indem auf die Möglichkeit hingewiesen wird, in der weiteren Perspektive könnte der Kampf um Rohstoffquellen und die Vorherrschaft in der Welt die Gefahr kriegerischer Ausein-andersetzungen zwischen imperialistischen Metropolen wieder akut werden lassen.

Zum Abschnitt 6 – „Die Europäische Union“ Der Abschnitt beginnt sofort mit der Tatsache der Existenz der Europäischen Union, ohne Erklärung der Triebkräfte., die zu ihrer Bildung geführt haben. Aber es wäre schon gut, in aller Kürze voranzustellen, dass Pläne, die europäische Klein-staaterei zu überwinden sowohl aus ökonomischen als auch politischen Gründen gleich nach dem ersten Weltkrieg entstanden; zum einen aus dem Wunsch heraus nach Überwindung der engen nationalen Märkte und Schaffung eines großen europäischen Marktes, zum anderen, um aus dem zersplitterten und zwischen den beiden riesigen Machtblöcken USA und Sowjetunion eingeklemmten Europa einen diesen beiden gleichwertigen europäischen Machtblock zu bilden. Aber die Rivalität zwischen dem besiegten Deutschland und der Siegermacht Frankreich war viel zu groß, um sich auf ein gemeinsames Projekt einigen zu können. So entstanden neben-einander zwei Projekte: in Deutschland ein Projekt „Vereinigte Staaten von Europa“, ein anderes Projekt „Pan-Europa“, erfunden von dem in Tokio geborenen aber in Wien lebenden Schriftsteller Coudenhove-Kalergiund und propagiert von einer von ihm geschaffenen Pan-Europa-Bewegung.

Zu den Vorläufern der EU gehört auch der von Nazi-Deutschland propagierte „Großraum Europa“ unter deutscher Führung.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde immer mehr klar, dass sich die europäischen Staaten gegenüber vor allem den USA ihre Unabhängigkeit nur bewahren konnten, wenn sie ihre Klein-staaterei überwanden und sich zumindest wirtschaftlich zusammenschlossen. Dazu mussten aber vor allem Frankreich und Deutschland ihre „Erbfeindschaft“ überwinden und zu Vorreitern einer zunächst wirtschaftlichen, später aber auch politischen Zusammenarbeit bis zur Bildung einer Gemeinschaft gelangen.

Jedenfalls ist die Europäische Union, ihr Klassencharakter, ihre organisatorische Gestalt, ihre Probleme und ihre politische Rolle ohne einen kurzen Blick auf die Triebkräfte ihrer Entstehung nicht zu verstehen, und ist auch ein klarer Standpunkt, wie sich Kommunisten zu ihr zu ver-halten haben, nicht zu gewinnen.

Den lässt das Programm aber vermissen. Es ist zwar bemerkenswert und zu begrüßen, daß die Überschrift des anschließenden Abschnittes, die in dem Entwurf nur aus der Zeile bestand: „Ein anderes Europa ist möglich“ im Programm eine zweite Zeile erhielt: „Ein sozialistisches Europa ist nötig“; aber was das Programm dazu sagt, wie sich Kommunisten zur bestehenden EU stellen sollen und wie es zu einem sozialistischen Europa kommen soll, das bleibt hinter einer konse-quent antiimperialistischen Position ebenso weit zurück, wie die Haltung der DKP zur Europä-ischen Linkspartei. Es wird nicht gesagt- wie es z. B. die KP Griechenlands tut: „Wir sind gegen die Europäische Union und für ihre Auflösung.“ Sondern im Programm ist zu lesen: „Die weitere Entwicklung der Europäischen Union wird davon abhängen, wie es der gewerk-schaftlichen und politischen Arbeiterbewegung....gelingt,...die Beherrschung der EU-Institu-tionen durch das Monopolkapital einzuschränken, diese Institutionen zu demokratisieren und selbst Einfluß auf deren Entscheidungen zu gewinnen.“ Das hätte auch einen Gysi oder Brie zum Autor haben können. Dann aber geht es so weiter: „Der imperialistische Charakter der EU-Konstruktion macht jedoch die Erwartungen illusorisch, diese Europäische Union könnte ohne einen grundlegenden Umbruch in ihren gesellschaftlichen Verhältnissen zu einem demo-kratischen, zivilen und solidarischen Gegenpol zum US-Imperialismus werden.“

Was haben wir unter einem „Umbruch“ in den gesellschaftlichen Verhältnissen der Euro-päischen Union  - also der Institution EU! zu verstehen ? Wie soll der vor sich gehen - und durch wen bewirkt werden? Darüber schweigt das Programm. Dafür sagt es etwas darüber, wie es zu einem Europa, „das gegen den Neoliberalismus und für den Frieden in der Welt arbeitet“ – es bleibt allerdings offen, ob damit ein sozialistische Europa gemeint ist -, kommen kann: „Dazu muss die Macht der Transnationalen Konzerne gebrochen und müssen die Kämpfe auf natio-naler und europäischer Ebene miteinander verbunden werden.“

Aha! Die Macht der Transnationalen Konzerne “muss gebrochen werden“! Davon, dass dazu in jedem Land Europas die Macht der jeweils dort herrschenden Klasse gebrochen werden muss, schweigt das Programm an dieser Stelle, an der es darüber aber nicht schweigen dürfte, um ein durchgängig marxistisches Programm zu sein.

Als solches kann es leider - das ergibt das Studium der Teile, über die ich referiert habe - nicht bezeichnet werden.

Kurt Gossweiler,
Berlin


Fritz Dittmar:

Zur Niederlagen- und Fehleranalyse sowie zur Würdigung der DDR im neuen Programm der DKP

Bei der Wertung möchte ich an die bekannte Aussage über Programme erinnern, die Marx und Engels in der Kritik des Gothaer Programms formulierten. „Ein Programm ist so etwas wie eine Fahne, die man aufrichtet, um die Höhe der Bewegung anzuzeigen.“ Um in diesem Bild zu bleiben: Es genügt nicht, nur zu erörtern, ob die rote Fahne am „richtigen“ Mast hängt, man muss auch prüfen, wie hoch sie hängt, man muss die Geschichte der Programmatik reflektieren.

Es ist hier wohl allen klar, dass der XX. Parteitag der KPdSU vor 50 Jahren einen Bruch in der theoretischen Diskussion bedeutete. Die regierenden kommunistischen Parteien Europas, mit Ausnahme Albaniens, folgten damals, mehr oder weniger widerstrebend oder auch überzeugt, der Linie Chruschtschows. Die KPD in Westdeutschland, in deren Nachfolge die DKP zu sehen ist, übernahm Chruschtschows Kritik an Stalins „Fehlern und Verbrechen“. Das lag zum einen an der erheblichen Zahl von deutschen Opfern der „Säuberung“ im sowjetischen Exil, deren Rehabilitierung nun möglich wurde. Zum anderen beruhte diese Haltung darauf, dass die KPD sich nicht isolieren wollte, insbesondere von der SED, und zum dritten stand die KPD damals schon unter dem Druck drohender Illegalisierung. Das Verbot ein halbes Jahr später machte es unmöglich, die Diskussion über die Vergangenheit zu vertiefen. Nach der Neukonstituierung der DKP war der Umgang mit der Vergangenheit des Sozialismus etwa so, dass die meisten Genossen Stalin als ein Mann mit Fehlern und Verdiensten sahen, dass die Fehler nicht die großartigen Leistungen des Volks verhindert haben und dass dem Realsozialismus die Zukunft gehört.

Der letzte Punkt ist nun durch Gorbatschow widerlegt, und vor der DKP stand die theoretische Aufgabe, das Scheitern des Realsozialismus und die Chruschtschowsche Kritik an Stalin in das richtige Verhältnis zu setzen. Zunächst galt es aber, in der Konterrevolution den eigenen Laden zusammenzuhalten, den parteiinternen, als „Neuerer“ bezeichneten Liquidatoren und Kapitu-lanten zu widerstehen und auf der historischen Überlegenheit des Sozialismus mitten im Zusammenbruch zu beharren. Mehr war damals von den standhaft gebliebenen Genossen nicht zu erwarten, und als einer, der damals aus der DKP ausgetreten ist und erst 10 Jahre danach den Weg zurück gefunden hat, will ich hier nicht versäumen, die Haltung dieser Genossen zu rühmen.

Jetzt, mehr als 15 Jahre später, ist aber offensichtlich, dass der Kapitalismus nach seinem vorläufigen Sieg noch der alte ist, und es war an der Zeit, die Ursachen der Niederlage zu analysieren, wenn neue Anläufe mehr Erfolg bringen sollen. Ist das mit dem neuen Programm gelungen? Meine Antwort ist ein klares Nein.

Dennoch will ich hervorheben, dass in dem ersten Teil des Abschnitts die Errungenschaften des Realsozialismus für das tägliche Leben der Menschen deutlich hervorgehoben wurden. Noch besser wäre dieser Abschnitt gewesen, wenn er auch die direkt politischen Aspekte des Lebens mit in das Lob einbezogen hätte, zum Beispiel die Freiheit von der im Kapitalismus üblichen Verdummung durch Reklame, pfäffisches Geschwätz, „Bild“ und Christiansen.

Danach betont das Programm zurecht die äußerst schwierigen Bedingungen für den Realsozialismus von 1917 bis 90. Das Handeln der KPdSU unter diesen schwierigen Bedin-gungen wird aber eher entschuldigt denn als notwendig, richtig und revolutionär dargestellt. Ärgerlich ist hierbei die Allgemeinheit und fehlende Präzision der Kritik:

„Die führende Rolle der Arbeiterklasse wurde…durch die führende Rolle der kommunistischen Partei ersetzt.“  Was sollte denn einen Arbeiter, Bauern oder Soldaten in den Jahren nach 1917 daran hindern, sich innerhalb der Partei für den Sozialismus zu engagieren, wenn er mehr tun wollte als seine tägliche Arbeit? Sollten neben der Partei andere politische Organe der Macht-ausübung bestehen, und was sollte der Inhalt ihrer Arbeit sein?

„An die Stelle wirklicher Vergesellschaftung trat…bloße Verstaatlichung.“ Bei der „wirklichen Vergesellschaftung“ kann sich jeder seins denken, sei es genossenschaftliches Eigentum, sei es Eigentum der Belegschaft an den Betrieben in Form von Belegschaftsaktien, sei es ein Betrieb, in dem die Belegschaft ihre Produktion unabhängig plant, wer weiß? All diese Formen stehen tiefer, sind noch stärker von der Warenproduktion bestimmt als das Staatseigentum. Klar ist nur, dass sich in der Formulierung im Programm ein tiefer Unglaube an die Entwicklung sozialistischen Bewusstseins verbirgt: Dass nämlich die Arbeiter im Sozialismus begreifen können, dass sie als Kollektiv, als herrschende Klasse die Produktion zu ihrem Nutzen organisieren. Ich erinnere an das Lied von Majakowski über den Subotnik, das damals in der Sowjetunion populär war und Massenstimmung ausdrückte:

Die Arbeit ist schwer. Die Arbeit ist schier
zermürbend und ganz unentgeltlich,
doch arbeiten wir und schaffen hier
ein Werk human und ganz weltlich.
Und diesen Schweiß, ihn heischt kein Geheiß
Wir spenden ihn gerne und stolz.
In unsren Waggons, auf unserem Gleis
Verladen wir unser Holz.

Ich glaube, dass die Arbeiter den primitiven Standpunkt überwinden können: „Und welcher Meter vom Fließband gehört nun mir?“

Die fehlende Präzision des Gedankens drückt sich in der Folgerung aus: „Die Folge war eine zunehmende Entfremdung vom sozialistischen Eigentum.“ Diese Aussagen beziehen sich nicht auf die Zeit Chruschtschows oder Breschnews, sondern auf die dreißiger Jahre („Das administrativ-zentralistische `Sozialismusmodell` wurde nach dem zweiten Weltkrieg auf die Länder übertragen usw.“, war also schon vorher vorhanden.) Hier wird nicht einmal mehr die Notwehr–Situation gesehen, der Umstand, dass in dieser Zeit die SU am Vorabend und in konzentrierter Vorbereitung auf den Weltkrieg alle Kräfte anspannen musste und keine Zeit hatte für Gorbatschowsche Experimente mit Perestroika und ähnlichen nicht–administrativen Sozialismusmodellen. Dabei hat der damalige Sozialismus diese Entschuldigung nicht einmal nötig. Die im Programm behauptete Entfremdung ist nämlich nicht eingetreten. Sonst soll mal jemand erklären, woher das angeblich vom sozialistischen Eigentum entfremdete Volk die Kraft nahm, unter unglaublichen Opfern den Faschismus zu besiegen und das sozialistische Eigentum zu verteidigen.

Der Bezug auf die Notwehr–Situation fehlt im folgenden Absatz über die Verbrechen und Verletzungen der sozialistischen Demokratie. Hier wäre er in der Tat nötig gewesen. Ich verweise hierzu auf meinen Artikel in der letzten Offensiv.

Ähnlich unpräzise geht es weiter: Staatliche Durchdringung aller Bereiche, gehemmte Eigeninitiative, keine streitbare gesellschaftliche Debatte, Verlust an Glaubwürdigkeit, und, und und. Als Zusammenfassung: Verlust der Hegemonie. Das soll unter Stalin passiert sein? Und Verlust an wen denn? Um die KPdSU zu stürzen, reichten nicht irgendwelche orangenen Konterrevolutionäre, es bedurfte dafür selbst nach 20 Jahren der Stagnation noch eines Mannes, der sich auf die Hegemonie oder Autorität des Amtes als 1. Sekretär stützen konnte. Dieser Fisch musste vom Kopf her zu stinken beginnen.

Im Programm folgt der Versuch einer ökonomischen Analyse: Zunächst wurden mit diesem (sowjetischen) Typ des Sozialismus bedeutende wirtschaftliche Erfolge erzielt, aber später erwies er sich nicht mehr in der Lage, flexibel auf neue Anforderungen zu reagieren. Nun gut, aber was war zwischen „zunächst“ und „später“ geschehen?

Für das DKP-Programm waren es die Anforderungen der wissenschaftlich–technischen Revolution. Eine Ökonomie, die den ersten Satelliten und den ersten Menschen ins All gebracht hatte, sollte nicht in der Lage sein, die Elektronik zu meistern? Wie wäre es mit einer schlichteren Erklärung: Solange das Schwergewicht der Investitionen auf den Investitionsgütern lag, wurden alle Anforderungen erfüllt, vom besten Panzer, der besten Maschinenpistole und dem besten Raketenwerfer im Weltkrieg über den ersten Atomeisbrecher bis hin zu den Interkontinentalraketen wurden alle Anforderungen der ökonomischen und militärischen Entwicklung erfüllt. Als Chruschtschow den Schwerpunkt änderte und den Sowjetbürgern einen Lebensstandard wie in den USA versprach, setzte die Stagnation ein und entfaltete sich, zumal keiner der späteren Führer es wagte, das Ruder in der Ökonomie wieder herum zu werfen. Ein kleines Beispiel: Als die Arbeiter in der DDR über die langen Lieferfristen und die niedrigen technischen Standards der Trabbis murrten, machte Honecker mehrere hundert Millionen der knappen  DM-Devisen locker. Damit hätte man allerhand Verbesserungen in der Trabbi–Produktion finanzieren können. Er ließ stattdessen 10.000 VW-Golf im Westen kaufen, um die Arbeiter zu beschwichtigen. So funktioniert Stagnation im Realsozialismus!

Weiter heißt es im Programm: „Auch konnten sich sozialistische Wertvorstellungen nicht dauerhaft und umfassend durchsetzen“. In der Tat: Die Arbeiter konnten aus dem Beispiel dieses „Golfstroms“ nur eines lernen: Unsere Forderung nach besseren Autos war berechtigt und war zu erfüllen, nur weiter gemault und gefordert, dann kommen die schönen Waren aus dem Westen, und am besten gehört man gleich ganz zu diesem glorreichen System. Wenn die Führung etwas anderes predigt und gleichzeitig so handelt, verstehen wir, was von ihrer Predigt zu halten ist.

Nachdem im Programm die wirklichen und angeblichen Fehler des Realsozialismus angeführt wurden, kommt im Sinne des programmatischen Pluralismus zum Schluss eine Aussage, die zu den vorigen im krassen Widerspruch steht: „Die Niederlage des Sozialismus ist zugleich das Ergebnis der äußeren und inneren Konterrevolution.“ Konterrevolution heißt eine aktive Um-wälzung der Macht– und Eigentumsverhältnisse. Der Untergang war also ein langsames Dahin-siechen an Altersschwäche und zugleich ein Mord!

Offensichtlich ein Zugeständnis an Hans Heinz Holz, nachdem er bei der diffusen Fehlerliste sicher viele Kröten geschluckt hat. Aber nur ein kleines Zugeständnis: Die Akteure dieser Konterrevolution, Klassen, Gruppen oder Individuen werden nicht benannt. Das wäre aber für die innere Konterrevolution sehr wichtig zu klären. Wir müssen schließlich wissen, vor wem wir uns bei künftigen Anläufen in Acht nehmen müssen.

Hierzu möchte ich auf Kurt Gossweilers Artikel zu Pirker und Gorbatschow in der letzten Offensiv verweisen. In diesem Zusammenhang möchte ich den Genossen in der DKP, denen die sozialistische Gesetzlichkeit so am Herzen liegt, zurufen: „Was wollt ihr noch? Die Tat und die Leiche liegen vor, die Täterschaft ist unstrittig, sogar ein umfassendes Geständnis liegt vor, keineswegs erfoltert, sondern freiwillig und in prahlerischem Ton vorgetragen. Was hindert euch, das Urteil zu sprechen: Schuldig!“ Schuldig der Konterrevolution ist Gorbatschow mit seinen Anhängern und Vorläufern, schuldig des Revisionismus.

Ich möchte meine Genossen deshalb auch aufrufen, über die Frage des Terrors angesichts der erlebten Konterrevolution neu nachzudenken. Die grundsätzliche Ablehnung von Terror ist moralisierend und unmarxistisch. Und auch für die sozialistische Gesetzlichkeit gilt, dass sie in der Situation von „Sein oder Nichtsein“ des Sozialismus nicht das einzige Prinzip sein kann. Ein „fiat justitia, pereat mundus !“ (Möge die Gerechtigkeit ihren Lauf nehmen, und wenn darüber die Welt (oder der Sozialismus) untergeht!), passt nicht zu Kommunisten. Gestalten wie Gorbatschow und Co. rechtzeitig auszuschalten, hätte der Menschheit eine ganze Periode neuer blutiger Kämpfe um die Wiedererlangung des bereits Erreichten erspart.

Summa Summarum: Mit dem Programm hängt die DKP in Bezug auf die Würdigung der DDR ihre rote Fahne schon an den richtigen Mast. Im Zusammenhang mit dem Ausscheiden des Rotfuchs gab es seinerzeit die bekannten 11 Forderungen zur ehemaligen DDR. Damals war der wichtigste Streitpunkt die Formulierung des Rotfuchs, dass die DDR die größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterklasse war. Dieser Satz ist jetzt in das Programm eingegangen. Auch die Würdigung der Errungenschaften für die Menschen der DDR ist klar und eindeutig.

Dennoch hängt die Fahne nicht hoch genug. Die Fehleranalyse hat nicht die für revolutionäre Politik nötige Höhe erreicht. Hier steht Richtiges neben Grundfalschem. Die angeblichen Fehler sind so allgemein und unpräzise formuliert, dass ein wohlmeinender Leser höchstens zu dem Ergebnis kommen kann, dass in der DKP über die Ursachen der Niederlage eher Unklarheit und Verwirrung herrscht.

In Kenntnis der Entstehungsgeschichte des Programms würde ich eher sagen, dass die einzelnen Autoren der diversen Vorbereitungsgruppen schon klare Vorstellungen haben, dass diese aber miteinander in vielen Aspekten unvereinbar sind. Der Versuch, sie dennoch in einem einzigen Programm zusammen zu fassen, musste zu einem Dokument wie dem vorliegenden führen. Es gibt mindestens zwei Linien in der DKP, und die von Hans Heinz Holz repräsentierte ist die einer linken Minderheit.

Es bleibt abzuwarten, bzw. daran zu arbeiten, dass diese Linie die Hegemonie erreicht und dann ein Programm möglich wird, das marxistischer Kritik standhält.

Fritz Dittmar,
Hamburg


Hermann Jacobs:

Über die Sozialismusvorstellungen im neuen DKP-Programm

Wie weiter nach dem "Programm"? - Mit dem Programm!

Das Programm ist also angenommen - und wie steht es nun mit der Sozialismusauffassung der DKP, mit der wir uns so kritisch beschäftigt haben (siehe "Sonderheft" usw. und, das ist wohl sicher, weiterhin beschäftigen werden)? - Ich will es rundheraus sagen: Es gibt gar keine (mehr). Das erkennt man weniger an den Bekenntnissen, die die DKP dennoch ablegt - die sind die alten -, sondern an der Kritik am Sozialismus, wie er real war. Es muß als einander ausschließender Widerspruch betrachtet werden, dass man sich einerseits zum Sozialismus bekennt, aber andererseits sich von dem Sozialismus, wie er real bestand, trennt. Das ist ein Bekenntnis zu einer Unbekannten, nicht zu einer Bekannten. Es ist letztlich ein Bekenntnis zu einer Kritik.

Was die DKP am realen Sozialismus kritisiert, damit für sich ausschließt, also auch für kommenden Sozialismus, für ihre Kommunismusvorstellung ausschließt, drückt ihre Auffassung vom Sozialismus aus. Nicht, wofür, sondern wogegen sie sich bekennt, ist ihr Bekenntnis. Und ihre Kritik richtet sich gegen den Zentralismus des Sozialismus, d.h. gegen das Fassen, Leiten der Wirtschaft von einem Zentrum aus, worin eine Einheit der Gesellschaft erscheint, nicht ein "Oben", sondern eine Gemeinschaft als Gesellschaft. Von der Entwicklung zum zentral (einheitlich) geleiteten Sozialismus spricht sie, dass er die Menschen vom Kommunismus entfremdet hätte, was heißt, dieser "zentralistische Kommunismus" sei der Kommunismus nicht. Kommunismus sei ein anderer.

Schon im Verhalten zu einem einzigen Merkmal des realen Sozialismus zeigt sich, wie man in Wahrheit zum Kommunismus steht. Von dieser Frage, wie man es beantwortet, hängt alles ab. Auch die historische Position der DKP.

Es reicht einfach für ein historisches Bekenntnis der DKP zum realen Sozialismus/Kommunismus nicht, sich zu sozialen Seiten/Verhältnissen dieser Gesellschaft zu bekennen, und den Produktionsverhältnissen gegenüber Unverständnis und Entfremdung zu demonstrieren. Da kommt eben kein Bekenntnis heraus, weil es nicht das Eigentliche meint, zu dem sich eine kommunistische Partei zu bekennen hat: Zur ersten Erscheinungsform des Kommunismus in der Geschichte der Menschheit, die Gleichheit Aller vor dem gesellschaftlichen Charakter der Arbeit zu sichern.

Was wird die nahe Zukunft der DKP werden?

Die DKP wird sich in Zukunft im theoretischen Vorfeld des Sozialismus herumtummeln, worin die Identität zu Marx - also den Klassikern - gewahrt ist, aber sich von der Praxis des realen Sozialismus mehr oder weniger fernhalten. Ihr Sozialismus-Verhältnis wird ein theoretisches sein, das sich dem praktischen Vormarsch der Arbeiterbewegung im 20. Jahrhundert, sofern er in den realen Sozialismus mündete (!), verweigert; damit ist die Kontinuität der Arbeiterbewegung abgebrochen. (Die DKP kann maximal in Konkurrenz zur PDS - die ja mit dem Realsozialismus, bei ihr "Stalinismus", gebrochen hat - stehen, worin aber die PDS das Maß, die höhere Vorgabe für die Richtung der Bewegung liefert.) Statt sich über die PDS zu stellen, stellt sie sich hinter sie - zwar nicht ganz, aber im wesentlichen doch. Die Richtung ist dieselbe.

Wie antworten?

Praktisch! Es geht nur mit einer richtigen Erklärung der Praxis des Realsozialismus. Die DKP muß für die Praxis des realen Sozialismus zurückgewonnen werden, dies gilt allerdings für alle antikapitalistischen Parteien in der Welt.

Ist der allgemeine geschichtliche Stand im Programm der DKP gegenüber der sozialistischen Revolution der eines Bekenntnisses zur politischen Form der Macht, so das fehlende Element das eines Bekenntnisses zu den ökonomischen Mechanismen der Macht. In diesem Unterschied ist ja die reale innere Entwicklung des bisherigen Sozialismus/Kommunismus erfasst. Die Lage auf dem Gebiet der Programmatik ist so, dass die Entwicklung der kommunistischen Praxis (Realsozialismus)historisch weiter war als die heutigen Programme erfassen oder als die neuen Theorien zu erfassen bereit sind. Das wichtigste für die DKP ist daher, die ökonomischen Mechanismen der ersten Phase des Kommunismus deuten zu lernen. Was für die DKP, gilt für alle Arbeiterparteien dieser Welt, zuallererst die russische.

Auf zwei Hauptfragen konzentrieren: 1. Zurückweisung der Selbstschuldfrage ("der reale Sozialismus ist selber Schuld an seiner Niederlage") in allen ihren Erscheinungsformen, bis hin zur These vom Zusammenbruch des Sozialismus - es gab eine Politik, die ihn "zusammenbrechen" ließ, aber nicht den objektiven, substantiellen, zwangsweisen Zusammenbruch des Sozialismus, sondern nur den seiner revisionistischen Entartung. 2. Zurückweisung der Leninismus-Kritik in ideologisch-theoretischer Form, d.h. Zurückweisung der Kritik an der revolutionären Entwicklung des Marxismus-Leninismus.

Wenn wir dagegen auftreten und auftreten wollen ist umgekehrt zu entwickeln, was der bürgerlichen Restauration im Innern des Sozialismus in die Hände gearbeitet hat - und das sind in der ersten Erscheinung die Reformen in wert- und warenökonomischer Hinsicht ab den 50er- und 60er Jahren, und das würde in der zweiten Erscheinung des Anti-Leninismus die Aufhebung der Imperialismus-Theorie sein. Sowohl der Inhalt/Gegenstand des inneren Revisionismus im Sozialismus als auch die Formen der Leninismus-Liquidation im Gesamten sind zu thematisieren. Das geht nicht, ohne dass wir auch Neuland betreten, d.h. das Bewußtsein dieser beiden Eingriffe in den Marxismus im Großen, dass es solche Eingriffe sind, muß erst geweckt werden. (Heute fungieren beide Kritiken am Leninismus immer noch unter dem Begriff Erneuerung, sind also teilweise in der Arbeiterbewegung anerkannt.)

Der Prozess der Restauration, des Rückbaus des Marxismus und die Überleitung zu einer reinen Reformen-Theorie ist noch nicht beendet. Wir befinden uns mitten in der zweiten Etappe der bürgerlichen Restauration der Arbeiterbewegung, in der Form, die die Arbeiterbewegung direkt betrifft (ihren geschichtlichen Werdegang auch ohne Revolution, noch vor der Oktoberrevolution). Der Prozess hat sowieso eine praktische und eine theoretische Seite. Erst  die praktische Form der Liquidation (der staatliche und soziale Verfall der Sowjetunion) - sie ist die Voraussetzung der theoretischen Liquidation. Mitten in der letzten befinden wir uns, sie greift weit in die kapitalistische Vergangenheit der Arbeiterbewegung zurück, d.h. was nun als falsch, fehlerhaft und irreleitend charakterisiert wird, ist nahezu alles, was den revolutionären Teil der Arbeiterbewegung ausgezeichnet hat. (Und das soll Selbstkritik sein?) Dabei gibt es eine innere Form der Liquidation, bei der revolutionäre durch reformistische Erklärungen der Geschichte ersetzt werden - und es den Anschein hat, dass das Bekenntnis zum Sozialismus ... na ja, auch fortgesetzt wird, und es gibt die direkt bürgerliche Form, deren wichtigste die ist, den Kommunismus an sich zu einem Verbrechen zu erklären.

Das Ziel der Umdeutung ist nicht, dem Marxismus seine äußere Form, gewissermaßen die Wortform zu nehmen, sondern seinen revolutionären Inhalt. In Bezug auf die kapitalistische Gesellschaft ist das also die Theorie der Periode des Kapitalismus, die dem Kommunismus unmittelbar vorhergeht, das heißt die Periode der höchsten Widersprüchlichkeit des Kapitalismus (Imperialismustheorie), und in Bezug auf den Kommunismus ist das die Theorie der ersten Periode des Kommunismus, die unmittelbar auf den Kapitalismus folgt und in der die Formen der Lösung der kapitalistischen Widersprüche beginnen; zugleich auch eine Periode höchster "Widersprüchlichkeit" des Kommunismus (Sozialismustheorie oder Theorie der ersten Phase des Kommunismus).

Wir betrachten den Leninismus und alle Erweiterungen des Leninismus nur als die Umsetzung der Theorie des Kommunismus in eine Praxis des Kommunismus, historisch als die Bestimmung der Formen und geschichtlichen Wege, die eine Praxis beschreiten muß, um die Theorie der Arbeiterbewegung umzusetzen.

Hierbei ist das Wichtigste (beim "Aufbau einer Gegenmacht"), den Praxisbegriff in den Marxismus einzuführen und zu behaupten. Leninismus ist praktischer Marxismus. Weil das Wesen des Leninismus angewandter Marxismus ist, kann die Umdeutung des Leninismus nur seine Aufhebung als praktischer Marxismus bedeuten bzw. kann die Umdeutung des Leninismus nur die Reduktion des Marxismus auf einen reinen Theoriebegriff bedeuten.

Ihm, dem Leninismus, den Praxisbezug des Marxismus zu nehmen, d.h. der Praxis den gesellschaftlichen Bezug (zu dem er gediehen war) zu nehmen, bedeutet quasi eine Form der Aufhebung der Theorie. Ist der Leninismus erst einmal diffamiert, kann alles und jedes Marxismus sein und an die Stelle des Leninismus treten. Die Aufhebung des Leninismus als Praxisbegriff des Marxismus gilt an sich, für den gesamten Leninismus und im besonderen für die weiterentwickelten Formen des Leninismus/Kommunismus. Also insbesondere für die Übergangsperiode, für die Periode des Beginns der Planwirtschaft und deren Theorien.

Wie liquidiert man den Leninismus? Indem man ihn (zunächst) auf Lenin selbst eingrenzt ("Lenin - das ist der Leninismus", "der Leninismus - das ist Lenin"), und alle sich fortsetzende Gesellschaftlichkeit nicht mehr mit seinem Namen verbindet[2]). Dann wird unter dem neuen Namen der Bruch mit dem Inhalt des alten Namens vollzogen; der Inhalt des Neuen entspricht nicht mehr dem Inhalt des Alten. Er ist also neu, auch im Sinne des Leninismus neu. Unter dem Begriff Stalin/Stalinismus z.B. wird der Praxisbezug von der Gesellschaft genommen bzw. dem Leninismus als dem Praxisbegriff des Marxismus wird die Anerkennung verweigert, weil in der höchsten praktischen Form verweigert. Auch der Leninismus ist nur Theorie, ist nur auf Theorie - maximal noch Politik - reduziert. (Dagegen ist Stalin falsche, nichtmarxistische Praxis). Ohne den gesellschaftlichen Praxisbezug des Marxismus aber, ist dieser erst einmal gegeben, ist Marxismus ein Begriff, der seinen Kommunismusgehalt verloren hat.

Wie also liquidiert man den Marxismus? Indem man seine Fortsetzung ab/seit Marx liquidiert, immer seine Fortsetzung, immer das neueste Stück. Immer die Weiter- und Höherentwicklung. Dass jeder neue Schritt historisch falsch ist oder das historisch Falsche des Marxismus immer am Neuen abgehandelt wird, ist die Voraussetzung dafür, dass die Sache selbst falsch ist. Das Falsche immer des Neuen herauszukehren dient nur dazu, das Falsche des Beginns von Anfang an herauszukehren.

Nächster Punkt ist die territoriale Eingrenzung des Leninismus, er soll bezogen sein nur noch auf Rußland. D.h. es müsste dann für uns einen neuen „Leninismus“ geben, der auf Westeuropa Bezug nimmt. Indem Rußland auf Rußland zurückgedrängt wird, wird nach einem anderen Wesen des Westens Europas gefragt, nach einem anderen Praxisbezug des Marxismus als den durch Lenin und die Bolschewiki in Rußland.

Das DKP-Programm nun nimmt diese Seite des gegenwärtigen Kampfes bzw. seine Entwicklung gar nicht wahr, und ist so nicht das Programm, das als revolutionäre Antwort - auf diese doch unübersehbare Entwicklung - zu erwarten gewesen wäre. Es stoppt nicht die Umdeutung der Geschichte des 20. Jahrhunderts bzw. baut nicht die Gegenmeinung/Gegenmacht auf, von der im Programm und von H. H. Holz in "Junge Welt" vom 20. 4. gesprochen wird. (Das Programm ist auch nicht durch breite Diskussion zustande gekommen, nicht durch breite Diskussion verabschiedet. Keine Diskussion in den "Marxistischen Blättern" in den letzten Jahren.)

Das DKP-Programm geht nicht auf die Fortsetzung der Umdeutung der Geschichte des 20. Jahrhunderts in der Form der Degradierung des Leninismus ein. Eine revolutionäre Praxis der Geschichte ist nie völlig beseitigt, wenn nicht auch ihre revolutionäre Theorie, ihre Voraussetzung beseitigt ist. (D.h. Stalin nicht vollständig, wenn nicht auch Lenin.)Wir werden sehen, ob, wenn sich der Kommunismus nicht gegen seine praktische, gesellschaftliche Aufhebung so recht zur Wehr zu setzen vermochte, er wenigstens seine revolutionäre Theorie zu verteidigen versteht, vielleicht gar um so besser, da die besondere Bedeutung der Theorie gegenüber dem Reformismus nun hervortritt. Im Moment sieht es nicht so aus. Es sieht eher so aus, dass, nachdem das Erste den geschichtlichen Bach herunter geflossen ist, die Theorie, das Zweite, folgen wird. Womit wir dann in der Arbeiterbewegung geschichtlich wieder an einem Punkt vor dem Leninismus gelandet wären - wenn das dann noch ginge.

Ich will noch einmal auf einzelne Punkte unserer Kritik am Programm der DKP zu sprechen kommen

Es hat einige Umformulierungen gegeben, die nicht der Vorgabe des Antrages des Parteivorstandes entsprechen; wichtig ist der bisherige Punkt "Bloßer Verstaatlichung und wirklicher Vergesellschaftung":

1. Hier neuer Satz im Programm: "Der Prozess der Vergesellschaftung blieb vielfach auf der Stufe der Verstaatlichung stecken". Damit erfolgt seitens der DKP die Anerkennung, dass Verstaatlichung Vergesellschaftung ist, was die DKP bisher so nicht gesagt hat, sie stellte bisher der "bloßen Verstaatlichung" die "wirkliche Vergesellschaftung" gegenüber (was offensichtlich falsch war).

Der Satz, dass zunächst mit Verstaatlichung begonnen werden müßte, führt auf Engels zurück, der von Verstaatlichung sprach, aber als historisch erste (beginnende) Form der Vergesellschaftung im Kommunismus verstand. Dazu noch folgendes: In der Tat - wenn der revolutionäre Staat noch nicht zur Planwirtschaft übergeht, geht er auch nicht zur Leitung der Wirtschaft über, dann muß sich diese selbst leiten - das ist dann das bisherige bürgerliche allgemeine Prinzip, das Wertprinzip. Dann ist die Vergesellschaftung bloße Verstaatlichung (Zusammenfassung des Privateigentums, Privateigentum in allgemeiner Hand = Staat), d.h. dann ist der Staat nur soweit gesellschaftlich, als er gesellschaftlicher, und das heißt politischer Kontrolle unterworfen ist. Entspricht - nach der Revolution - der unmittelbaren Periode nach der Übernahme der Macht. Und soweit diese nicht historisch verlassen wird.

Aber kommt es zu Planwirtschaft, dann tritt dieser Wandel ein, und dann verwandelt sich die bloße Verstaatlichung in wirkliche Vergesellschaftung. Planung der Arbeit ist wirkliche Vergesellschaftung, ist daher Umwandlung/Veränderung der bloßen Verstaatlichung. Die DKP macht den Fehler, die wirkliche Vergesellschaftung nicht mit der Planung zu verbinden, sondern formuliert die Forderung nach der wirklichen Vergesellschaftung im Gegensatz zu dem Staat, der sich zur Planungsform der Wirtschaft entwickelt hat. Damit ignoriert sie die wirkliche Vergesellschaftung auf der einen Seite und erhebt den Ruf nach einer anderen Form der Vergesellschaftung gegen die wirkliche Form der Vergesellschaftung auf der anderen Seite; d.h. sie ruft nach einer anderen Form der Leitung der Wirtschaft. Welche aber ist diese, welche kann diese sein? Nur die alte, bisherige. Also die Warenproduktion. Und die Erbauer des Sozialismus müssten dann die kleinbürgerlichen Warenproduzenten sein!

Überhaupt: "Staatliche Durchdringung" der Gesellschaft. Wo ist das Problem? Woher die plötzliche Staatsangst der DKP)? Der Staat ist doch im Sozialismus durchdrungen von der Gesellschaft. Die Durchdringung geht anders herum, ein neues, anderes Subjekt ergreift eine Institution - das Volk den Staat. Der Staat muß allgemein werden. Wie idiotisch, in der Partei, die den Staat als erste übernimmt, etwas anderes zu sehen als das Proletariat! (Das wäre die Selbstabschaffung (Ausgrenzung) der Partei - und desjenigen, den sie ... nicht vertritt, sondern: verkörpert). Gerade das, was man vorgibt zu wollen: Vergesellschaften, darunter den Staat, das erhebt man zum Problem - wenn die Durchdringung erscheint. Das bedeutet, den Sozialismus, den man soeben geschaffen, aufheben zu wollen in seinem Schaffen. Als sei der Staat - als Instrument, Institution - ein etwas an sich Fremdes zum Volks-Schaffen, Als sei nur etwas, was spontan, ungestaltet, also Rohes ist, "volkseigen", Volk. So stellt sich der Bourgeois das Volk vor.

Nächster Punkt Pluralismus:

Es wird im Programm der Eindruck erweckt, es könne so etwas wie einen "pluralen Sozialismus" geben. Wie steht es nun mit dem Pluralismus im/des Sozialismus, in dem Formen realen Sozialismus gemeint sind? (Theorie vom pluralen Sozialismus; also nicht, dass es in einem einzigen Sozialismus pluralistisch zuzugehen habe, sondern dass es viele Formen des Sozialismus geben werde. (Entspricht auch Ingo Wagner, Festschrift aus Anlass seines 80. Geburtsjahres "Hefte des Marxistisches Forums", Nr. 51)).

Es gibt nur die drei Möglichkeiten des historischen Verhaltens nach der Revolution: 1. das Verharren bei den politisch-ökonomischen Verhältnissen, wie sie unmittelbar nach der Revolution noch bestehen (Mischökonomie, teils schon volkseigen, teils noch privat - aber noch ohne Planwirtschaft, eventuell erst Wirtschaftsplanung), 2. den Übergang zur Planwirtschaft, 3. den Übergang zur ökonomischen Selbstverwaltung der Betriebe, also "sozialistischen Warenproduktion/Marktwirtschaft".

Die Existenz dieser drei Möglichkeiten ist gegeben (gegeben gewesen) in a) China, b) Sowjetunion, c) Jugoslawien. D.h. der historische Spielraum einer Geschichte nach dem Kapitalismus ist längst ausgereizt. Und wer das "sowjetische Modell" kritisiert, muß sich zum "chinesischen" resp. "jugoslawischen Modell" erklären (aber nicht zu irgendeinem historischen Neutrum). Wir wissen, dass b) und c) parallel laufen können (Sowjetunion und Jugoslawien); der eine (nach der Machtnahme) macht es so, der andere so. Beide Varianten drücken kein Nacheinander der Geschichte aus. Sollen sie aber im Nacheinander erfolgen ("Jugoslawien" nach der "Sowjetunion", also die Selbstverwaltungsreform nach der Planwirtschafts-Revolution), so muß die Planwirtschaft, also das "sowjetische Modell", ihr Vorgänger sein (d.h. die Aufhebung des Privateigentümers muß immer die Voraussetzung sein) und muß diese Planwirtschaft zur selbstverwaltenden Ökonomie (Warenproduktion) reformiert werden, d.h. in eine Selbstverwaltungswirtschaft kollektiven Privateigentums (Werteigentums) übergeführt werden. Variante drei ist - wenn Planwirtschaft vorausgesetzt wird - Revision des Sozialismus, ist Revisionismus. Während umgekehrt Übergang zur Selbstverwaltung, der nur der Kapitalismus vorausgesetzt ist oder einfach die politische Machtnahme, Entwicklung des Reformismus ist - seine ökonomische Entwicklung. Fall A (China) ist immer erst noch eine politisch kommunistisch geleitete Mischökonomie, es ist keine klare Planwirtschaft. China ist aber auch keine Selbstverwaltungsökonomie bekannten (jugoslawischen) Status. China ist der historisch längste Versuch, nach der Revolution bei einer Mischökonomie - teils volkseigener und teils privater Betriebe - zu verbleiben. Das "chinesische Modell" drückt ein Primat der Quantität aus. Man vertraut der kommunistischen Macht; man sieht sie umkämpft, aber nicht gefährdet. Warten wir die kapitalistische Gegenpolitik ab die sich auf China einschießt, die immer gewaltiger, großräumiger und ... diffiziler wird. D.h. "eine große Chance" begreift.

Weiterer Punkt: "Was ist Realsozialismus?"; Definition: Realsozialismus ist - und das ist neudefiniert im DKP-Programm, ein "frühes Entwicklungsstadium des Sozialismus"! Sehr wichtig. Denn das ist die These vom Frühsozialismus, die hier von der DKP übernommen ist. - Phasen in einer ersten Phase zu entdecken ist an sich sensationell und müßte gewürdigt werden - wenn es stimmt. Aber der reale Sozialismus war kein frühes Entwicklungsstadium der ersten Phase des Kommunismus. Die Periodisierung ist viel dialektischer zu sehen. Man kann in jeden beginnenden Sozialismus (jede erste Phase) nur die ersten Elemente des Kommunismus aufnehmen[3], aber keine noch früheren als diese frühen/sozialistischen (wenn es noch frühere sozialistische gäbe, wären diese die frühesten).

Noch kurz die Frage „Reformsozialismus“: Das neue Programm enthält keine Kritik an der Reformierungsthese des Realsozialismus. Die These im Programm, der Kommunismus erst der 2. Phase "hebe die Warenform der Produkte auf" ist ein Programm für sich - für den Charakter aller vorhergehenden Phasen. Es werden a) keine Übergänge der Aufhebung der Warenform markiert, so dass b) bis weit in die erste Phase hinein Warenproduktion durch die DKP zugesichert ist. Warum aber? Was ist der Sinn 1. der Aufhebung (der Warenform) in der fernen Zukunft, 2. der Nichtaufhebung in der ersten kommunistischen Gegenwart? Die DKP nähert sich dem Gedanken der Reform des realen Sozialismus - hin zu einer sozialistischen Marktwirtschaft - in der allervorsichtigsten Weise. (Bei der Frage der Warenproduktion ist das Leistungsprinzip zu behandeln - Peter Feist und Ingo Wagner = "Marxistisches Forum" Nr. 51, Festschrift zum 80. Geburtstag von Ingo Wagner; Leistungsprinzip bedinge Warenproduktion).

Die DKP geht - als Letztes - nicht auf die Stalinfrage ein. (Es bietet sich für die "Stalinsche Periode" die Definition an: "Der Stalinismus ist (als positiver Begriff) der Marxismus in der Epoche des Aufbaus des Kommunismus als Planwirtschaft und der Zurückweisung der äußeren und inneren Restauration/Konterrevolution des Sozialismus". Das erste heißt hierbei Zurückweisung wertökonomischer Reformierung der Planwirtschaft, und das zweite heißt Verteidigung der Politik der friedlichen Koexistenz von Staaten unterschiedlicher sozialer Ordnung. (Koexistenz, die nicht schleichende Form der Unterwerfung ist.) Man muß nicht von Stalin/Stalinismus sprechen, obwohl beide Punkte (Aufbau der Planwirtschaft und kämpferische Form der Koexistenz) in der Politik seit/durch Stalin gesetzt/entwickelt sind, aber man muß von dem bestimmenden Gehalt des Kampfes der Arbeiterbewegung in dieser historischen Periode des Kommunismus und des Kapitalismus sprechen resp. ausgehen. Wir brauchen eine Theorie der Konterrevolution im Kommunismus.

Alles in Allem:

Wir brauchen eine Positionsbestimmung des Kommunismus für Deutschland (Europas und darüber hinaus), wie sie sich aus der Russischen Wende ergibt. Man muß hier sehen, dass die Russische Revolution im ideellen Bild der europäischen Arbeiterbewegung die gerade, direkte Fortsetzung des Marxschen Revolutionsgedankens ist, also als seine Umsetzung gilt resp. galt. Die Aufgabe der Revolution - "durch die Revolutionäre" - verlangt eine Überprüfung der Verhältnisse resp. eine Stellungnahme zu der gesamten Periode der europäischen Geschichte, die hier erfasst ist. Dabei ist für uns die Gesamtbewegung in Deutschland, ist die Gesamtreaktion in Deutschland zu bedenken. Man nimmt im allgemeinen die PDS als die Reaktion der SED - was ich aber zu bedenken gebe. Dann wäre aus der revolutionärsten Form in Deutschland die Rückkehr zur Sozialdemokratie erfolgt. Bei Bruch, also Verwerfung der Revolution, ist nur die Rückkehr zur SPD möglich - die dadurch eine andere Bedeutung in der Arbeiterbewegung zugesprochen kriegt; wobei sich jetzt ein Unterschied in der Arbeiterbewegung nur noch als ein Unterschied in der Sozialdemokratie selbst anböte. Das ist auch - in dieser gewissen Reaktion - offensichtlich gemeint, beabsichtigt. Die PDS trifft sich mit der linken Sozialdemokratie, was wiederum unterstellt - gibt es eine SPD-Linke -, dass sich in der SPD eine Rechtsentwicklung, d.h. eine direkt/offen bürgerliche Form durchgesetzt hat. (Auch eine Form der Reaktion?)

Nicht an sich die PDS, sondern ein intellektuelles Umfeld der PDS geht politisch den Weg zur Sozialdemokratie, hält ökonomisch aber an der ökonomischen Reform des realen Sozialismus fest, womit sie - perspektivisch - ein doppelt politisches Gesicht trägt. - Was allerdings die originäre SED anbetrifft, so hat sie, weil sie als Partei verschwunden, und dies dürfte die richtige Definition sein, überhaupt keine Reaktion entwickelt; innerhalb der PDS erscheint das in der Position der Kommunistischen Plattform, die in der PDS mit einer antikapitalistischen Position und einem dezidiert positiv geprägten Verhältnis zum realen Sozialismus auftritt, also auch der Sozialdemokratisierung der PDS nicht folgt - aber Anknüpfungspunkte an die linke Sozialdemokratie pflegt; und außerhalb erscheint das am ehesten in der politischen Klientel, die sich um den "RotFuchs" schart. Tatsächlich erscheint die SED als Nichtpartei, d.h. als eine politische Strömung Nichtparteicharakters (als eine Gesinnung). Ohne Partei zu sein, ist der Kulturverein "RotFuchs" am ehesten noch ein Widerschein der Tradition DDR. Was die KPD anbetrifft, so ist sie in Bezug auf die SED zu sehr Rückfall in den Ausgangspunkt - die Thälmannsche KPD, verantwortet also zu wenig deren Entwicklung zur SED, was sich aber ändern kann. - Bleibt als einzige Partei, die als Partei noch das Erbe der SED/DDR antreten kann, die Schwesterpartei der SED, die DKP - wenn sie denn wollte. Was sie aber nicht will. Das ist das Problem.

Damit scheint der Reigen der Politik-Darstellung als Reaktion auf den zweiten Russischen Februar beendet, abgeschlossen. Alle Spektren sind wahrgenommen - bis auf eines: Die Zeitschrift "Offen-siv". Man kann die Sache drehen und wenden wie man will, aber die "Offen-siv" ist am ehesten noch geneigt, auf die Verteidigung der Revolution auch gegenüber der Revolution wie sie war, zu setzen. Sie ist von innerer Kritik am realen Sozialismus, indem sie als einzige die Revisionismusfrage inmitten des Kommunismus thematisiert. Wer macht das sonst noch? Sie ist Verteidigung und Kritik der Revolution zugleich. Deshalb erscheint sie links von Allem - was selbst für die Guten des Guten zuviel ist. Was, die Revolution verteidigen und sie zugleich kritisieren? Das geht doch gar nicht, das kann doch nur der Rückfall in den Linksradikalismus, die Kinderkrankheit des Kommunismus sein. Um das zu verstehen, ist aber nur ein innerer Historismus beim Aufbau des Kommunismus zu Ende zu denken. Dass wir es schon mit richtigem Kommunismus zu tun hatten - und den wir verteidigen -, schließt ja nicht aus, dass er um weitere Elemente seines Wesens zu erweitern war - und wo wir kritisieren, dass das nicht geschehen ist.

"Offen-siv" thematisiert den Revisionismus inmitten des Sozialismus und belegt ihn - soweit es ökonomischer Revisionismus ist - mit der kritischen Analyse der Reformen wertökonomischer Art. Gerade da, wo von anderen von Reform gesprochen wird, sprechen wir von Revisionismus.

Was erscheint als Problem der von "offensiv" veröffentlichten Arbeiten und Polemiken? Dass auch mit ihnen ein Moment der Kritik in den Beginn und in die fortgesetzte Praxis der Revolution eingeführt worden ist. Was aber ist das Wesen dieser Kritik? Dass sie der realisierten Praxis, d.h. dem realen Kommunismus eine andere, höhere Form der Theorie abverlangt, als der reale Kommunismus eine hatte und gebar. Die Theorie muß angesichts des real werdenden Kommunismus beginnen, der Praxis des Kommunismus einmal zu folgen, andermal voranzugehen. D.h. die Theorie muß schneller zum Kommunismus voranschreiten als die Praxis voranschreitet. Was bedeutet, in den Momenten des Realen das Höhere, das Kommunistische schon zu entdecken. Das löst nicht von der Praxis, sondern ist eine höhere Sicht, eine Sicht aus dem Höheren heraus auf den dann real werdenden Kommunismus.

Allen, die sich für das neue Programm der Deutschen Kommunistischen Partei interessieren, es gar für das Programm nun der deutschen Kommunisten nehmen, sei gesagt: Es gibt eine andere kommunistische Auffassung vom Aufbau des Kommunismus in der Sowjetunion und im weiteren Osten Europas bzw. in Deutschland selbst (DDR) als die in diesem Programm vorgestellte. Diese sieht sich weder aufgehoben im neuen Programm der DKP, noch in allen bisherigen von der PDS geprägten Auffassungen, worin einfach vom "Bruch" (mit dem Stalinismus) gesprochen ist. Das heißt: Wir machen darauf aufmerksam, dass es in Deutschland mindestens drei Arten des Herangehens an die bisherige Geschichte des Kommunismus gibt. Nimmt man es genau, so sortieren sich diese heutigen Auffassungen aber grundsätzlich in die zwei konträren Auffassungen vom Kampf der arbeitenden Klassen, mit denen wir es schon immer zu tun gehabt haben - einer solchen, die einen inneren Konsens zwischen der arbeitenden Bevölkerung und dem Kapital gesucht hat und einer anderen, zweiten, die sich in ihren Kämpfen auf eine eigene Gesellschaft orientiert hat. Und dies auch heute noch tut, angesichts der Liquidation des ersten geschichtlichen Beginns einer kommunistischen Gesellschaftsordnung.

Wir gehen also davon aus a), dass es eine kommunistische Ordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse geben muß als die wirkliche Lösung der Widersprüche, die zwischen einer privaten Eigentumsform an der Arbeit und dem gesellschaftlich gewordenen Charakter der Arbeit mit dem Kapitalismus entstanden sind; b), dass diese Gesellschaft in ihren grundsätzlichen Konturen in der Sowjetunion und den weiteren Ländern Osteuropas entstanden war, dass sie praktisch wie theoretisch als die erste Phase bereits des Kommunismus verstanden werden muß, dass c) ihre Liquidation ein gesellschaftshistorischer Fehler war, dass sich d) die sich fortsetzende und wieder formierende Arbeiterbewegung nur dann im kommunistischen Sinne richtig verhält, wenn sie sich weiterhin zu den Gesellschaftsordnungen, die der Liquidation anheim gefallen sind, als den ihren, ureigenen verhält. D.h. eine Wiederholung der sozialen Revolution führt und muß führen zur Wiederholung dieser sozialen Praxis. Jeder weitere, neue Weg des Kommunismus führt nur über den gewesenen Kommunismus, er ist in diesem Sinne kein weiterer, kein neuer Weg. Wir brauchen in diesem Sinne keine neue Sozialismus- oder Kommunismus-Auffassung, sondern nur die Wiederholung der alten. Die kommunistische Bewegung ist nicht konstituiert, wenn sie erneuert, sondern wenn sie bewahrt. Alle theoretischen Initiativen der kommunistischen Bewegung müssen in die Richtung gehen, sich die Praxis des realen Kommunismus noch besser, noch richtiger, mit einem Wort: bewußt/bewußter zu erarbeiten als wir es bisher schon getan haben. An jeder gesellschaftlichen Ordnung kann gearbeitet werden, auch an der kommunistischen. Wir verweigern uns der Kritik, darunter auch der der DKP, die von der Vorstellung der Erstarrung des Kommunismus, der Reformunfähigkeit des realen Sozialismus ausgeht, weil sie mit der grundsätzlichen Kritik am realen Kommunismus einhergeht, dieser müsse ersetzt, durch eine andere Vorstellung vom Sozialismus bzw. Kommunismus abgelöst werden. Wir arbeiten mit der selben Kommunismus-Auffassung - und weiter, immer weiter, während die andere Auffassung - von einem neuen Sozialismus - sich nun der Beweispflicht aussetzt, und die kann nur eine praktische sein. Ihr erster Praxisbeweis – Gorbatschow – ging gründlich daneben und stürzte die Welt in den heutigen barbarischen Zustand. Weiteres geschichtliches Material fehlt.

Allgemeine Wertung des neuen Programms der DKP: Das Programm wird nicht die endgültige resp. gültige Auffassung der deutschen revolutionären Arbeiterbewegung werden. Das betrifft sowohl die Wertung des realen Sozialismus, die ich im Grundsätzlichen für falsch halte - der reale Sozialismus ist nicht als erste Form des Kommunismus, nicht als der beginnende Kommunismus erkannt -, als auch den im Programm erscheinenden Versuch der DKP, Merkmale eines neuen Sozialismus zu kreieren, ausgehend von der Kritik am realen Sozialismus, auch dies ist falsch, ist ein falscher Ansatz.

*

Wenn es richtig wäre - wie die DKP sagt -, dass es immer einen historischen Bezug der sozialistischen Revolution gibt, dann gilt das aber auch für den Realsozialismus. D.h. auch er wäre dann historisch begründet. Das müßte sich dann in seiner Bewertung niederschlagen. Man müßte, wenn es eine historische Begründung für den Realsozialismus gäbe, das Falsche (das man kritisiert) als richtig anerkennen, d.h. als ebenfalls historisch für begründet erklären; man könnte den Realsozialismus dann nur bis zur Form des historischen Überholtseins kritisieren, aber nicht bis zur Verwerfung; neue Situation, neuer Kommunismus, basta. Aber nicht: Unser Sozialismus (der der DKP) wird historisch sein und daher richtig sein, aber der reale ist historisch und dennoch falsch.

Man hebt den historischen Gesichtspunkt, den man für sich beansprucht, auf, wenn man ihm dem realen Vorläufer oder Erstlingswerk des Sozialismus verweigert - indem man ihn der Kritik aussetzt (denn die Kritik besagt ja, dass er historisch nicht gerechtfertigt ist).

Was ist falsch an dieser Theorie? Wer schafft denn die besonderen historischen Situationen für den Sozialismus? Der Kapitalismus. Am Beginn seiner Existenz kann der Sozialismus nicht aus einer eigenen, sondern nur aus einer Situation einer anderen Gesellschaft entstehen, die er nicht zu verantworten hat, die für ihn nur Bedingung ist. Kommunismus kann nur sein, was man aus einer kapitalistischen Voraussetzung macht. Also der Kapitalismus, seine historische Entwicklung, ist für die Besonderheiten des Sozialismus verantwortlich. Die Erfindung/Findung immer neuer Formen des Sozialismus hat zur Voraussetzung die Erfindung/Findung immer neuer Formen des Kapitalismus. Der Sozialismus im Plural = der Kapitalismus im Plural. Insofern beruft sich eine Pluralität in der Entwicklung des Sozialismus auf eine Pluralität in der Entwicklung des Kapitalismus. (Wie "einfach" dagegen die andere Theorie: Immer der selbe Kapitalismus (im Allgemeinen) = immer der selbe Kommunismus (auch im Allgemeinen).

Und was ist dann der Sozialismus in Bezug auf die Widersprüche des Kapitalismus? Sind sie allgemein und an sich, in jeder besonderen geschichtlichen Situation des Kapitalismus, historisch gegeben? Ist nicht der Kapitalismus in seinen begründenden Widersprüchen immer gegeben? Kann er diese im Prinzip nur variieren, auf die Spitze treiben, so ist auch die Lösung dieser Widersprüche, der Kommunismus als derselbe immer gegeben und die Lösung nur auf die Spitze zu treiben. Kommunismus kann man - und da ist die Ableitung eine aus dem Kapitalismus - nur mit mehr oder weniger Konsequenz angehen, aber nie an sich inkonsequent. Das führte nur zur Wahrsagerei in der Gesellschaftsprognostik.

Vielleicht erschreckt es nun doch so manches DKP-Mitglied, dass ihr so mühevoll errungenes neues Parteiprogramm eine solche Abwertung erfährt: Auftakt ja, Text aber nicht tauglich.[4] Das heißt ja, die ganze Mühe hat sich nicht gelohnt.

Die ganze reformistische/revisionistische Kritik geht 1. dahin, in die bürgerliche Gesellschaftsordnung zurückzukehren, und dazu dient die Behauptung, der reale Sozialismus habe sich gesellschaftlich nicht als lebensfähig erwiesen, d.h. seine Verhältnisse stünden im Widerspruch zur Entwicklung der Produktivkräfte (der Kapitalismus könne ihn mühelos abhängen), 2. aber geht sie dahin, von der selben Prämisse auszugehen, d.h. den Sozialismus nicht als lebensfähig zu erklären, aber dennoch nicht zum Kapitalismus zurückzukehren, sondern zu einem ... neuen Sozialismus. Ist das nun (wieder, erst) revolutionär oder (nur, erst) eine versteckte Kröte des Reformismus? Sie tröstet über die Niederlage, die man erlitten, "mit neuem Mut" hinweg. Es gäbe dann zwei Wege/Arten, sich vom Sozialismus zurückzuziehen: 1. die bürgerliche, die des Rückzugs in die bürgerliche Klasse, der man wieder die Gesellschaft überantwortet (das wäre die "absolute" Reaktion) und 2. die scheinbar "proletarische", die des Rückzugs der Arbeiterbewegung, der man zu diesem Zwecke eine neue Sozialismus-Diskussion aufbürdet (das wäre die "revisionistische" Reaktion).

Keine von beiden wollen wir, denn keine von beiden bringt den geschichtlichen Prozess der Menschheit voran.

Hermann Jacobs,
Berlin


Frank Flegel:

Polemik gegen die Verballhornung der marxistischen Wissenschaftstheorie im neuen Programm der DKP

Es geht mir um die grundsätzlichen Fundamente unserer Weltanschauung, vor allem um die Fragen des Materialismus und des Systemdenkens – und was man davon im neuen DKP-Programm wiederfindet oder nicht bzw. was daran verdreht wird.

Kurz vorweg: Materialistische Gesellschaftsauffassung bedeutet – das kennt Ihr alle – als wesentliches Moment das Basis-Überbau-Modell, d.h. beispielsweise, dass kein Kommunist auf die Idee käme zu sagen: das Recht kommt vom lieben Gott oder von der Natur oder woher auch immer und ist einfach da, sondern wir würden immer darauf bestehen, das geltende Recht aus der jeweiligen Gesellschaftsformation abzuleiten, weil ja jede Gesellschaftsformation die Rechtsformen ausbildet, die zu ihr und ihren Eigentumsverhältnissen gehören. Recht ist so historisch wie die Gesellschaftsformation, die ihm zu Grunde liegt.

Ähnlich verhält es sich mit dem Staat. Es gab Gesellschaftsformationen, die brauchten kein Staatswesen und es gab und gibt Gesellschaftsformationen, die eine staatliche Organisation brauchten und brauchen. Wir vergessen bei der Analyse der unterschiedlichen Staatsformen nie, dass es sich dabei grundsätzlich um die organisierte Macht der einen Klasse zur Unterdrückung der anderen handelt. Wir haben also immer im Kopf, aus der ökonomischen Grundlage und der Frage der Produktion des Mehrprodukts und dessen Aneignung, also aus der jeweiligen Klassenstruktur der Gesellschaft die politische Herrschaftsform abzuleiten – und niemals anders herum aus der staatlichen Struktur die ökonomischen Verhältnisse erklären zu wollen. Und wenn man das jetzt weiterführt, gilt der Materialismus natürlich auch bei noch höher angesiedelten Überbauphänomenen wie etwa der Moral, der Pädagogik, der Kunst, der Ästhetik usw.

Und unverzichtbar für die materialistische Analyse einer Gesellschaftsformation ist die Klassen-analyse. Wenn man verkehrt herum, also idealistisch, an die Analyse von Gesellschaften heran-geht, verliert man die Klassenstruktur sofort aus dem Blick.

Der Revisionismus setzt häufig an diesen Grundlagen an. Meistens ist das erste, was kommt: man ist gegen streng wissenschaftliche Gesellschaftsanalyse überhaupt, und derjenige, der sie betreiben will, wird dann als einer hingestellt, der so tue, als habe er die „ewige Wahrheit gepachtet“. Demgegenüber wird dann behauptet, dass es in der Gesellschaft sowieso keine Wahrheiten - oder mindestens keine „einfachen“ Wahrheiten - gäbe, stattdessen wird in die Erkenntnis der Begriff „Pluralismus“ eingeführt. Das ist auch viel schöner und praktischer, denn dann kann jeder von der Gesellschaft halten, was er will, dann natürlich auch denken, reden, tun und lassen, was er will bzw. was ihm gerade in den Kopf kommt. Das alles kennen wir von der PDS.

Das nächste, was dann kommt, ist, genau die oben dargelegte Erkenntnis aufzuweichen, die besagt: die Rechtsformen und die Formen der politischen Herrschaft sind abhängig von der zu Grunde liegenden Gesellschaftsformation. Es wird dann so getan, als könne man mittels bestimmter Rechtsformen und bestimmter politischer Organe der alten Gesellschaft in einer Weise gesellschaftsverändernd wirken, dass die neue Gesellschaft, der Sozialismus, daraus entsteht. D.h. es wird behauptet, dass die aktuellen Rechts- und Staatsformen nicht nur zur Regulation des Kapitalismus/Imperialismus da sind, sondern dass man mit ihnen die Grundlage des Systems selbst verändern und die Gesellschaft grundsätzlich umstrukturieren könnte. Das ist ungefähr genauso, als hätte man mittels des Römischen Rechts, welches die Rechte der freien Römer und den rechtlosen Status der Sklaven regelt, die Sklaverei abschaffen wollen.

Hier muss ich den Begriff Fetisch bzw. Fetischismus einführen. Ein Fetisch ist ein Ding, was für ein soziales Verhältnis steht. Das, was die Revisionisten mit dem Recht und mit dem Staat veranstalten, kann man getrost Rechtsfetischismus bzw. Staatsfetischismus nennen, denn sie nehmen das Recht bzw. den Staat und tun so, als wenn das den revolutionären Kampf ersetzen könnte. Die Rechtsformen und die Herrschaftsformen der bürgerlichen Gesellschaft sind aber nicht dazu da, den Kapitalismus abzuschaffen, sondern vielmehr dazu, ihn am Funktionieren zu halten. Darüber muss man sich grundsätzlich klar sein. Revisionisten aber behaupten sehr schnell das Gegenteil, denn sie wollen ja über die Parlamente die schönen Dinge, die - in ihren Worten - für „die Menschen“ (die Arbeiterklasse verschwindet hier meistens sofort aus dem Vokabular) irgendwie gut sind, durchsetzten; wohlgemerkt: mittels bürgerlicher Macht-instrumente.

So weit die Vorrede. Nun gucken wir mal, was das neue Programm der DKP dazu sagt. Dabei werde ich mich auf eine in gewisser Weise einseitige Zitateauswahl stützen. Das mache ich bewusst. Ich mache den Sport nämlich nicht mit, mittels gegenteiliger Formulierungen, die man durchaus auch im neuen Programm finden kann, die Probleme zu bagatellisieren nach dem Motto: „aber auf Seite 5 steht es doch viel richtiger…“.

Zunächst zu Fragen des Rechts: Da finden wir im DKP-Programm die Aussage, ich zitiere: „Das Grundrecht auf existenzsichernde, menschenwürde Arbeit könnte verwirklicht werden.“ Von was für einem „Grundrecht“ phantasiert man hier? Im Kapitalismus gibt es dieses Grundrecht nicht. Wenn man es haben will, muss man zuvor die kapitalistische Ökonomie in eine sozialistische umwandeln, dazu muss man die Bourgeoisie entmachten und die Macht der Arbeiterklasse errichten. Und um das tun zu können, braucht man eine Partei, die genau diesen Weg anzeigt.

Aber sehen wir weiter: „Die Durchsetzung der elementaren Menschenrechte für alle Bewohner dieser Erde ist nur in einer Gesellschaft zu verwirklichen, die auf dem Gemeineigentum an Produktionsmittel beruht…“ Ich wiederhole nochmal: „…elementare Menschenrechte für alle Bewohner dieser Erde!“ Darin ist ja alles verschwunden. Wo kommt denn das Menschenrecht her? Hat es irgend etwas mit den Klassen zu tun? Und welcher Klasse gehören die genannten „Bewohner diese Erde“ an? Nichts davon steht im DKP-Programm.

Nun geht es um die Frage, wie man denn im Sozialismus das Recht des Kapitalismus aufheben will. Da steht im DKP-Programm: „Der Sozialismus (wird) den demokratischen Rechten und Freiheiten, die bereits im Kapitalismus erkämpft worden sind, (…) eine reale soziale Grundlage geben“. Sprich: das, was wir als bürgerliche Demokratie und so genannte demokratische Verfassung heute hier bei uns vorfinden, sind nach Auffassung der DKP Rechte, die „bereits im Kapitalismus erkämpft worden sind“, die die DKP, ihrem neuen Programm nach zu urteilen, beibehalten will, allerdings inklusive realer Grundlage. Wenn ich richtig informiert bin, hat die demokratische Verfassung der bürgerlichen Herrschaft, also die Formulierung der allgemeinen Freiheits- und Menschenrechte, etwas zu tun mit dem Kampf der noch jungen Bourgeoisie gegen die Feudalherrschaft, ist von ihr als Kampfprogramm gegen den Feudaladel formuliert worden, stammt also aus einer ganz anderen historischen Epoche und diente dort nicht der Emanzipation der Arbeiterklasse, sondern der der Bourgeoisie. Natürlich kann die Arbeiter-klasse diese Rechte nutzen. Aber es ist schließlich nicht so, dass die Menschenrechte zum Wohl die Arbeiterklasse formuliert worden wären, - nein, es sind die Menschenrechte der Bourgeoisie. 

Das Problem ist nun, dass gemäß des neuen Programms der DKP die bürgerlichen Rechtsverhältnisse, denen die DKP mit ihrer Formulierung „demokratische Rechte und Freiheiten, die bereits erkämpft wurden“, einen grundsätzlich fortschrittlich Charakter zubilligt, unbesehen in den Sozialismus verlängert werden sollen – nur mit einer veränderten materiellen Grundlage versehen, so als existierten die „guten“, eigentlich schon sozialistischen Freiheits- und Menschenrechte bereits im Kapitalismus und müssten im Sozialismus nur noch gesichert werden. Eine abenteuerliche Konstruktion!

So weit, so schlecht. Auf Grundlage dieses ganzen Konglomerat von Rechtsfetischismen formuliert die DKP in ihrem neuen Programm: „Sie (die DKP, d.Red,) tritt dafür ein, die UNO und das Völkerrecht zu stärken“. Nun, hätte das Erfolg, wird dagegen niemand etwas haben. Nur: wer wird das denn durchsetzen können? Recht ist unter Klassenverhältnissen eine Machtfrage. Und Recht ohne Macht führt nur zu verdummenden Illusionen. Kein Wort bei der DKP, wer der Träger der Macht sein könnte. Man will eben nur „das Völkerrecht stärken“ – durch welches Subjekt, bleibt unklar. Ich komme auf diese Passage später noch einmal zu sprechen, weil diese Vorstellungen mit der Rolle der UNO, wie sie sich die DKP erträumt, etwas zu tun hat.

Was die Rolle des Staates angeht, gibt es leider ähnliche Probleme im neuen Programm, einen Staatsfetischismus ähnlich dem eben aufgezeigten Rechtsfetischismus. Über den Staat, über zwischenstaatliche bzw. staatsähnliche Institutionen wie der EU oder der UNO will man Einfluss nehmen auf den Lauf der Dinge und sie zum Fortschritt bewegen. Wir alle wissen: der Staat ist die organisierte Macht der einen Klasse zur Unterdrückung der anderen. Was ist er bei der DKP? Da ist er „Herrschaftsinstrument und Feld des Klassenkampfes zugleich“. Wie bitte? Was ist der Staat den nun? Wenn der Staat ein „Feld des Klassenkampfes“ ist, dann ist er – bildlich gesprochen – ein leere Raum, und es kommt darauf an, wer sich darin breit machen kann, die Bourgeoisie oder die Arbeiterklasse. Die Frage ist: Ist der Staat das Feld des Klassenkampfes, also ein an sich klassenneutrales Etwas, oder ist er die organisierte Macht der Bourgeoisie? Hier muss man sich entscheiden, denn beides gleichzeitig, so wie es im DKP-Programm zum Ausdruck kommt, kann er nicht sein. Da lohnt es sich doch, bei den Klassikern über die Staatstheorie nachzulesen.

Und weiter geht’s: „Der Staat wird zum Verwalter einer Politik, die weitgehend außerhalb seiner Souveränität beschlossen wird“. Nun wird auch noch eine „Souveränität“ des Staates postuliert, wobei unklar bleibt, wo die Souveränität herkommt und wem gegenüber der Staat souverän sein soll: Jedenfalls kommen nun – in der Vorstellung des DKP-Programms - die bösen Monopol-kapitalisten bzw. die transnationalen Konzerne daher und sagen zum Staat: „Du machst jetzt aber, was ich will“. Und das greife die Souveränität des Staates an, schreibt die DKP in ihr Programm. Satirisch zugespitzt formuliert verhält es sich nach Ansicht der DKP etwa so: Der arme kleine Staat, der sonst gar nichts dafür kann, wird bösartig von der Bourgeoisie für deren Zwecke instrumentalisiert. So ein wirres Zeug steht in diesem Programm, das muss man sich mal vorstellen!

Genau so geht es dem armen kleinen Europa. Das wird nämlich „den Profit- und Macht-interessen des transnationalen Kapitals unterworfen…“. Als wären EU-Institutionen nicht originäre Bourgeoisinstitutionen, sondern eigentlich wertfrei und klassenneutral. Aber das will ich jetzt nicht weiter kommentieren, das ist der gleiche Quatsch wie der, den die DKP in ihrem Programm über den Staat fabriziert hat – nur auf der Ebene der EU.

Ich komme jetzt zur politischen Perspektive. Schauen wir uns an, wie es nach Auffassung der, DKP besser werden könnte: Es müsse um „…die demokratische Einflussnahme auf den staatsmonopolistischen Regulierungsmechanismus im nationalen Rahmen wie im Rahmen der Europäischen Union… (gehen)“. „Staatsmonopolistischer Regulierungsmechanismus“, und der soll (obwohl „staatsmonopolitisch“!!!) offen für „demokratische Einflussnahme“ sein, „demokratische“ wohlgemerkt, nicht etwas gezwungen werden, auf klassenkämpferischen, auf Streik gestützten, außerparlamentarischen Druck zu reagieren.  Früher nannte man so etwas: „Parlamentarismusillusion“. Denn es ist die alte Frage: kann ein Herrschaftsapparat der Bourgeoisie benutzt werden, um mit ihm Schritte in Richtung Sozialismus zu gehen? Marx und Engels waren dieser Meinung nicht.

Und mit dem Staatsfetischismus geht es munter weiter so im Programm der DKP. Da steht dann zum Beispiel: „Die weitere Entwicklung der Europäischen Union wird davon abhängen, inwieweit es … gelingt, im gemeinsamen Handeln die Beherrschung der EU-Institutionen durch das Monopolkapital einzuschränken, diese Institutionen zu demokratisieren und selbst Einfluss auf deren Entscheidungen zu gewinnen.“ Auch hier also wieder das gleiche Bild: Es gibt die mehr oder weniger inhaltslose und richtungsfreie Institution (der EU) und dann den Kampf darum, wer diese Institution benutzen kann, um seine Interessen durchzusetzen.

Wer A sagt, muss auch B sagen. Deshalb tritt die DKP auch dafür ein, „die UNO zu demokratisieren“, ähnlich, wie sie ja auch das „Völkerrecht stärken“ wollte. Auch hier wieder die Frage: wo soll die Macht herkommen, die das durchsetzen könnte? Aber genau diese Frage stellt sich für die DKP nicht, denn für sie ist ja die UNO, die EU-Institution, der Staat eben diejenige Macht, die, wäre sie von der DKP demokratisiert, unsere Interessen durchsetzen würde. Und die Tatsache, dass die UNO nur Ausdruck der klassenbedingten Kräfteverhältnisse dieser Welt ist, kommt in einer solchen Konstruktion nicht vor.

So weit zu den Rechts- und Staatsfragen. Was die Ökonomie angeht, will ich mich so kurz wie möglich fassen, allerdings sind einige Punkte dringend anzusprechen.

Da gibt es im DKP-Programm beispielsweise die Rede vom „kapitalistische(n) Profitprinzip“. Das ist der Abschied vom Systemgedanken, denn nun muss man nicht mehr den Kapitalismus bekämpfen, sondern nur dessen „Profitprinzip“. Wenn man von der Wissenschaftlichkeit der Analyse weg will, ist eine solche Formulierung natürlich notwendig. Wenn man nicht mehr vom Kapitalismus als System, als Gesellschaftsformation reden will, dann redet man eben von solchem Unsinn wie dem „Profitprinzip“ oder dem „neoliberale(n) Konzept…“, also nicht vom Kapitalismus, sondern von falschen Prinzipien und Konzepten.

Aber schauen wir genauer hin, und zwar auf das, was „zerstört“ wird durch das „neoliberale Konzept“ nämlich: „der humane Charakter von Arbeit“. Ich hatte immer gedacht, dass es im Kapitalismus um Lohnarbeit geht – und Lohnarbeit ist grundsätzlich inhuman. Oder soll an dieser Stelle der allgemein-philosophischen Begriff der Arbeit als menschliche Potenz bemüht werden? Aber warum? Wir (und das DKP-Programm) reden doch gerade vom Kapitalismus und damit von Lohnarbeit, oder? Aber egal: gesagt wird jedenfalls, dass dieser humane Charakter der Arbeit (worin er im Kapitalismus auch immer bestehen möge) vom bösen „neoliberalen Konzept“ zerstört werde. Als hätte es im Kapitalismus vor dem Entstehen seines „neoliberalen Konzeptes“ einen „humanen Charakter von Arbeit“ gegeben!?

Noch viel schlimmer wird es in diesem Zusammenhang aber, wenn das DKP-Programm konkrete Schritte angibt, wie das Problem denn zu lösen sei. Man stellt sich Reformen vor, die die Tür zum Sozialismus öffnen bzw. den Weg zum Sozialismus möglich machen (unter: „Unser Weg zum Sozialismus“) – was an sich schon eine durchaus diskussionswürdige These ist. Im DKP-Programm wird dann als Reform vorgestellt, die Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen. „Ohne real erscheinenden Alternativen wird kein gesellschaftlich wirksamer Widerstand entstehen … Deshalb muss mit den Ansätzen von Widerstand die Perspektive von Verän-derungen und Reformen verknüpft werden: Reformen, die sich … auf die Beseitigung von Massenarbeitslosigkeit, die Eindämmung prekärer Beschäftigung … ausrichten“.

Wer behauptet, dass man mittels Reformen im Kapitalismus die Massenarbeitslosigkeit be-seitigen kann, der ist im günstigsten Falle ein Idiot oder ein Schwätzer, wahrscheinlich aber ein bewusster Lügner. Solche Äußerungen, getätigt durch eine kommunistische Partei, vernebeln das Bewusstsein in einem unerträglichen Ausmaß und nehmen uns einen der wichtigsten Hebel der Propaganda. Statt zu vernebeln müssen wir herausstellen, dass Kapitalismus zwangsläufig und systembedingt zur Herausbildung von Massenarbeitslosigkeit führt, und dann folgern: wer ein realisiertes Recht auf Arbeit, soziale Sicherheit und eine gesicherte Zukunftsperspektive für alle will, der braucht den Sozialismus, denn innerhalb des Kapitalismus gibt es keine Lösung für dieses Problem! Wer etwas anderes erzählt, lügt – und betrügt die Menschen. Es ist unerträglich, dass eine kommunistische Partei so etwas in ihr Programm schreibt!

Und noch widerliches wird es – und das ist das letzte, was ich heute noch zur Ökonomie sage – wenn die DKP in ihrem Programm  formuliert: „Obwohl heute die Arbeitsproduktivität so stark wie nie zunimmt, wird der gesellschaftliche Reichtum immer mehr dem Verteilungskampf entzogen.“ Gestattet mir, den Begriff „Verteilungskampf“ kurz zu erläutern. In der BRD-Volkswirtschaftslehre gab es in den 50er und 60er Jahren die so genannte „Produktions-faktorentheorie“. Ich weiß nicht, ob Ihr diesen damals verbreiteten Unsinn kennt, deshalb hier ein ganz kurzer Abriss: die Produktionsfaktorentheorie besagt, dass zur Herstellung von Gütern Kapital, Arbeit und Boden zusammenkommen müssen. Die drei braucht man nun mal. Es gibt keine weiteren Strukturen, Verhältnisse, Abhängigkeiten oder ähnliches zwischen diesen drei „Produktionsfaktoren“. Dann produzieren sie ein Produkt. Und das verkaufen sie  – und das ergibt einen Gewinn. Und jetzt kommt der Verteilungskampf: die Produktionsfaktoren streiten sich um den jeweiligen Anteil am „Kuchen“. Natürlich spielen Eigentums- und Machtverhältnisse keine Rolle. Das ist – kurz karikiert – diese „Produktionsfaktorentheorie“. Da kommt der Begriff „Verteilungskampf“ her, und auf den rekurriert nun die DKP in ihrem neuen Programm. Man muss es sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: so etwas steht im Programm einer sich kommunistisch nennenden Partei!

Genauso wird dann nach Ansicht der DKP „der wissenschaftlich-technische Fortschritt … missbraucht, um immer größere Profite…zu erzielen“. Die DKP tut so, als gebe es den wissenschaftlich-technischen Fortschritt „an sich“, (wie es in ihrem Programm ja auch schon das Recht „an sich“ und den Staat „an sich“ gibt), also ohne gesellschaftliche Klassenbindung und Funktion, und da es ihn nun einmal gibt, könne man ihn unterschiedlich gebrauchen. Hier und heute „missbraucht“ ihn das Großkapital. Dass der wissenschaftlich-technische Fortschritt im Kapitalismus nur dem Erlangen von Extraprofiten dient und allein zu diesem Zweck stattfindet, scheint den Autoren des DKP-Programmes leider unbekannt zu sein.

Wenn man (als Kommunist!!!) so weit ist, die Welt in isolierte, unabhängige Kategorien zu zerteilen (Staat, Recht, EU-Institutionen, UNO, wissenschaftlich-technischer Fortschritt usw.)  und dies alles als eigenständige Institutionen fasst, statt das Ganze als System zu begreifen und dessen „inneres Band“ (Marx) herauszuarbeiten, dann ist man auch schnell bei der Moral. Die kommt dementsprechend im DKP-Programm auch zum Zuge: „Effektivität der Wirtschaft darf nicht in der Rentabilität des Kapitals und in den Kennziffern der internationalen Konkurrenz-fähigkeit gemessen werden, sondern muss sich auch an der Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Mehrheit der Bevölkerung orientieren.“ Es „darf nicht nur“, sondern „muss auch“. Wer muss, wer darf, wem gehört was, wer muss enteignet werden, wie sieht die Lösung aus, was hat sie mit Klassen zu tun? Nichts, nur Nebel. Was ist das für eine Argumentation?!

Und noch eine weitere Anmerkung zum Moralisieren: Bei den „Verbrechen“ (wessen wohl: natürlich Stalins, obwohl er namentlich nicht genannt – und nebenbei: die Gorbatschows kommen nicht vor) heißt es dann, das hätte dem „humanistischen Wesen des Sozialismus“ bzw. „dem humanistischen Anspruch unserer Idee und Weltanschauung“ widersprochen. Auch hier wieder das übliche Problem des DKP-Programms: es schwebt etwas sozusagen über den Wassern, ist „an sich“ da, hier jetzt das „humanistische Wesen unserer Idee“, das ist ein ideeller Anspruch, den wir haben, und – ich wiederhole mich - ökonomische Grundlagen, Klassenkampf, Kräfteverhältnisse, alles das spielt keine Rolle mehr. Es stellt sich die Frage: ist die ökonomische und gesellschaftliche Wirklichkeit Motor der Prozesse – oder irgendeine „Idee“ mit einem ganz bestimmten „Wesen“? Und diese Frage ist die grundsätzliche Frage nach Materialismus oder Idealismus!

Natürlich ist es für die rechten Kräfte in der DKP noch nicht möglich, offiziell vom Marxismus Abschied zu nehmen, man sieht das Bemühen aber an den genannten (kleinen) Beispielen. Sie weichen den Materialismus auf, sie weichen die Wissenschaftlichkeit auf und - das zeige ich im folgenden - sie verwischen den Unterschied zwischen Wesen und Erscheinung, d.h. sie zerstören die Marxsche Methode.

 „Die DKP gründet … auf den wissenschaftlichen Sozialismus, der von Marx, Engels und Lenin begründet wurde und ständig weiterentwickelt werden muss, damit er nicht hinter den Realitäten zurückbleibt.“ (Hervorhebung: F.F.) Jetzt wird es interessant, denn die Frage ist: Was sind denn die „Realitäten“? Und was an den „Realitäten“ ist Wesen, was ist Erscheinung? Diese Debatte wird leider nicht ausreichend geführt, so dass beispielsweise Leo Mayer neue Erschei-nungsweisen des gleichen Wesens als eine Veränderung des Wesens selbst ausgeben kann.

 „…hinter den Realitäten zurückbleibt.“ Man muss sich wirklich genauer überlegen, was das bedeuten soll. Irgendwelche Realitäten entwickeln sich – und unsere Theorie bleibt hinter denen zurück. Welche Realitäten gemeint sind, könne wir nur erraten, denn sie werden ja nicht genannt. Nehmen wir (wegen Leo Mayer) mal den Imperialismus: demnach ist die Globalisierung etwas Neues, hinter dem wir, also Lenins Imperialismustheorie zurückbleibt, also müssen wir Lenin über Bord werfen (Leo Mayer:„Wir müssen weg von Lenin“) und eine Theorie der Globalisierung entwerfen. Auch hierzu noch ein Beispiel aus der Volkswirtschafslehre der 50er und 60er Jahre in der BRD. Während des so genannten „Wirtschaftswunders“ in der BRD kam die Theorie vom „Kapitalismus ohne Krisen“ auf, der Vollbeschäftigung garantiere und keine zyklischen Krisen mehr zeitige. Die Ursache dafür sei die keynesianische Wirtschaftslenkung durch den bürgerlichen Staat. Das ist ein typischer Fall der Verwechselung von Wesen (Kapitalismus) und Erscheinung (Sonderperiode im Nachkriegsdeutschland). Mit dem Kapitalismus ohne Krisen hat es sich dann ziemlich bald gehabt, und nach dem Ende der DDR fielen Erscheinung und Wesen des bundesdeutschen Kapitalismus dann auch unangenehmer Weise wieder zusammen. Aber solcher wissen-schaftlicher Unsinn wie der „Kapitalismus ohne Krisen“ oder die „neoliberale Globalisierung“ droht, wenn man meint, dass jede kleine neue Erscheinung an der Oberfläche des Kapitals das Wesen der Marxschen Kapitalanalyse und der Leninschen Imperialismustheorie ungültig mache. Es reden ganz aktuell ja manche „Theoretiker“ der DKP davon, dass die Theorie vom tendenziellen Fall der Profitrate, die Marx im 3. Band des Kapitals entwickelt hat, nicht mehr gelte, weil das Monopolkapital weltweit in den letzten 10 Jahren steigende Profite zu verbuchen konnte. Nicht die konkret Frage gestellt, warum das so ist (Arbeitszeitverlängerung, Lohnsenkung, Steuerlastsenkung, sinkende Umverteilung), sondern flugs die kurzfristige neue Erscheinung genommen und damit das Wesen (und den Marxismus) totgeschlagen – das ist der Revisionismus in Aktion! Und gerade die Tatsache, dass die „Realitäten“, hinter denen unsere Theorie droht zurückzubleiben, im DKP-Programm ausgesprochen unscharf formuliert werden, dass nicht genannt wird, was sich wie und wo und weshalb in welche Richtung weiter entwickelt und was das für unsere Theorie (oder die Einschätzung der Realität) bedeutet, sollte uns sehr misstrauisch machen, denn dadurch ist die Tür für alles offen.

Aus meiner mittlerweile mehr als 35-jährigen Erfahrung in der kommunistischen Bewegung kann ich nur sagen, dass ich all diejenigen, die meinten, sie müssten den Marxismus „weiter-entwickeln“, früher oder später im Revisionismus habe untergehen sehen, und das Ende war dann sozialdemokratischer Reformismus und - Antikommunismus.

Frank Flegel,
Hannover


Andrea Schön:

Strategie und Taktik im Parteiprogramm der DKP

Einen Abschnitt über "Strategie und Taktik in der gegenwärtigen Kampfepoche" (o.ä.) sucht man im Parteiprogramm der DKP vergeblich.

In die Richtung einer (strategischen) Zielbestimmung geht Abschnitt IV, in die Richtung einer (taktischen) Bestimmung der Bündnispartner Abschnitt V. Das heißt man kann diese beiden Abschnitte im Sinne von "Strategie und Taktik" interpretieren.

Zur Zielbestimmung des "Sozialismus" in Abschnitt IV ("Unser Weg zum Sozialismus") wird festgestellt, dass zur Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse eine Gegenmacht aufgebaut werden müsse, bestehend aus kampffähigen Gewerkschaften, demokratischen und sozialen Bewegungen. "Je mehr es dabei gelingt, Veränderungen im Sinne von Selbstbestimmung am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft, von demokratischer Kontrolle, von Entmilitarisierung und Demokratisierung in Staat und Gesellschaft zu erreichen, je größer der Einfluss der demokratischen und sozialistischen Kräfte überall dort ist, wo Meinungsbildung stattfindet, desto besser sind die Chancen im Kampf um die Zurückdrängung der Macht des Monopolkapitals und für die Öffnung des Weges zum Sozialismus."

Dieser Satz könnte aus den siebziger Jahren stammen, als es - selbstverständlich zur Sicherung kapitalistischer Hegemonie in der größten Nachkriegskrise - einen Schub demokratischer Reformen auf allen gesellschaftlichen Ebenen, teilweise sogar im Betrieb, gegeben hat.

Heutzutage, in Zeiten schwärzester Reaktion, klingt ein solcher Satz – gelinde gesagt – idealistisch und weltfremd. Es wird aus ihm auch deutlich, dass das DKP Parteiprogramm nicht unterscheidet zwischen

  • revolutionärem Kampf
  • demokratischem Kampf
  • antifaschistischem Kampf

Das ist aber das 1x1 eines kommunistischen Parteiprogramms, das klare Vorgaben für alle drei Kampfformen machen muss, insbesondere im Hinblick auf die jeweiligen Bündnispartner, mit denen der jeweilige Kampf zu führen ist!

Im darauf folgenden Unterabschnitt "Für eine Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt" spricht das Programm von diversen Verteidigungskämpfen, die es zu führen gilt. Demokratische Kampfinhalte bilden auch in diesem Abschnitt eine bunte Mischung mit antifaschistischen auf der einen und sozialistischen auf der anderen Seite bzw. mit schlichtem Wunschdenken ..., z.B. die Forderung:

- Friedenssicherung, Abrüstung, internationale Kooperation und eine gerechte Weltwirtschaftsordnung.

Man könnte sich lange an dieser "Einzel"forderung aufhalten ... - z.B. wer möge hier welchen Frieden sichern, ganz aktuell zur Zeit gefragt im Libanon?! ("Ihr Friede ist aus dem selben Stoff wie ihr Krieg"/Brecht); "Internationale Kooperation" - wer/welche Institution/Klasse soll hier mit wem/.../... kooperieren? Wie sieht eine "gerechte Weltwirtschaftsordnung" unter kapitalistisch/imperialistischen Bedingungen aus ?? Ist klar, dass eine solche Ordnung die Revolution zumindest in den imperialistischen Hauptländern voraussetzt?

Eine weitere Forderung:

- gegen den Einsatz der Bundeswehr im Innern, gegen die Militarisierung der Gesellschaft, gegen die Militarisierung der Gesellschaft, gegen rassistische Ideologien, Organisationen und Parteien.

Es handelt sich hier im Kern um den antifaschistischen Kampf. Statt einer Aufzählung in Wunschzettelform wäre eine Bestimmung dieses Kampfes angebracht.

Als Fazit aus den diversen Forderungen ist zu lesen:

"In der vor uns liegenden Etappe kommt es darauf an, gesellschaftliche Kräfte weit über die Linke hinaus im Widerstand gegen die neoliberale Politik zu bündeln. Allianzen verschiedener sozialer und gesellschaftlicher Kräfte ... sind die Voraussetzung, um die Rechtsentwicklung und den neoliberalen Umbau der Gesellschaft zu stoppen. Wenn aus diesen Allianzen stabile Bündnisbeziehungen und ein fester gesellschaftlicher und politischer Block gegen den Neoliberalismus entwickelt wird, dann können die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse so verändert werden, dass der Kampf um gesellschaftliche Alternativen eine reale Perspektive bekommt. ... Die DKP hält es für möglich und notwendig, dass im Ergebnis des antimonopolistischen Kampfes und andere antimonopolistisch-demokratische Umgestaltungen durchgesetzt werden, die zur Zurückdrängung der Allmacht des Monopolkapitals und zur Erweiterung der Einflussnahme der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten führen und so dazu beitragen können, den Weg für den weiteren Kampf um den Sozialismus freizumachen."

Die Idee, die hier zum Vorschein kommt, ist, dass sich diverse Allianzen im antifaschistischen und demokratischen Kampf derart zusammenschieben, dass sie in der Lage sind, das Monopolkapital zu isolieren, und in der Folge den Übergang zum Sozialismus schaffen. ("Antimonopolistische Umwälzung bedeutet eine Periode des revolutionären Kampfes, in der noch Elemente des Kapitalismus und schon Keimformen des Sozialismus vorhanden sind.")

Eine ziemliche Verballhornung des Marxismus-Leninismus; Marx, Engels und Lenin würden Kübel bitterster Ironie über solche Sätze/Gedanken kippen. Wir maßen uns an dieser Stelle nicht an, uns derart über unsere verwirrten Genossen zu erheben, gestatten uns aber dennoch die erschrockene Frage: Seid ihr noch bei Trost ??

Heißt es nicht, Illusionen und Verwirrung in die Arbeiterklasse zu tragen, wenn man ihr weismacht, sie könne durch das Bündnis mit allen möglichen kleinbürgerlichen Schichten das Monopolkapital isolieren und es anschließend durch schiere Quantität der Bewegungen in die Knie zwingen? Genossen, das kann nicht Euer Ernst sein!?

Es ist offensichtlich der Ernst des Parteiprogramms, denn im Abschnitt V "Die Kräfte des Widerstands und des Fortschritts" stehen sich "auf der einen Seite (...) eine kleine Gruppe von Konzernherren, Bankchefs und Multimillionären" und "auf der anderen Seite (...) die überwältigende Mehrheit der Arbeiter, Angestellten und Beamten, der in der Landwirtschaft Beschäftigten, der Intelligenz, der Freiberufler und auch kleine und mittlere Unternehmer, die alle der ökonomischen und politischen Herrschaft des Monopolkapitals unterworfen sind."

Bei dieser gesellschaftlichen Zweiteilung ist auch die Frage der Bündnispolitik schnell gelöst: Um die revolutionäre Hauptkraft, die Arbeiterklasse, schließt man alle anderen demokratischen, antifaschistischen, globalisierungskritischen etc. (= "sozialen") Bewegungen zusammen, möglichst international – und schon hat man die monopolistischen Bösewichter isoliert.

"Ja wie denn dann, wenn nicht so?", mag der zur Selbstkritik fähige und willige Genosse fragen. Nun Genosse, es ist sicherlich nicht so, dass wir auf alle Fragen eine Antwort haben, aber, wir müssen sie zumindest entwickeln, müssen in allen Fragen als kommunistische Partei, als Avantgarde (d.h. bewusstester Teil der Arbeiterklasse) in ALLEN Fragen die fortschrittlichste Antwort haben bzw. zumindest sichtbar entwickeln.

Das können wir natürlich nur auf der Basis des 1x1 des Marxismus-Leninismus, so wie wir es alle irgendwann einmal in irgendeiner Schulung gelernt haben – z.B. in puncto Strategie und Taktik:

Die Strategie gibt uns die nächste größere Kampfetappe vor auf dem Weg zur Beseitigung des Kapitalismus (in unserem Falle die imperialistische deutsche Bourgeoisie), die Taktik die jeweiligen Bündnispartner innerhalb einer Kampfetappe.

Die derzeitige Kampfetappe ist die der Defensive, hervorgerufen durch die Konterrevolution, d.h. "schwärzeste Reaktion" seit dem Zweiten Weltkrieg mit Kräfteverhältnissen, die auf Seiten der Bourgeoisien der imperialistischen Länder in ihrem Kampf um Weltmacht/Weltmarktanteile jenen vor dem Ersten Weltkrieg ähneln und auf Seiten der Arbeiterklasse in diesen Ländern jenen Mitte des 19. Jahrhunderts - mit vielen kleinen Parteien und Splittergruppen, die sich kommunistisch wähnen, aber eher Propagandazirkeln gleichen als der "Partei der Arbeiterklasse".

Der wichtigste Kampf in der Defensive ist

- der antifaschistische Kampf, d.h. die Verhinderung der Terrorherrschaft der aggressivsten Kräfte des Finanzkapitals, die eine aktuell erwogene Option der (deutschen) Bourgeoisie ist zur Absicherung ihrer Hegemonieansprüche und Kriegsabenteuer! Dieser Kampf ist tatsächlich breit zu führen, mit allen kleinbürgerlich-demokratischen Kräften und – sogar! – unter Ausnutzung der Widersprüche innerhalb der Fraktionen des Monopolkapitals (die man natürlich dazu kennen und genau studieren muss!).

Gleichermaßen bedeutsam ist

- der demokratische Kampf, der die Rechte und Lebensbedingungen der Arbeiterklasse sichert und stärkt. Dieser Kampf wird im Bündnis mit dem eigentumslosen (!) Kleinbürgertum, d.h. vor allem der demokratischen Intelligenz, geführt.

Der revolutionäre Kampf wird hingegen derzeit vor allem propagandistisch geführt und wendet sich an die fortschrittlichsten, bewusstesten Kräfte innerhalb der Arbeiterklasse (vor allem ihres Kerns in den Großbetrieben/Monopolen).

Bei all diesen Kämpfen ist zu berücksichtigen, dass das Monopolkapital über starke Reserven innerhalb der Arbeiterklasse bzw. bei unseren Bündnispartnern verfügt:

Innerhalb der Arbeiterklasse ist dies die Sozialdemokratie, deren Träger insbesondere die Arbeiteraristokratie (Spitzen der Arbeitervertreter in Betrieben und Gewerkschaften) ist. Innerhalb des Kleinbürgertums (Landwirte, Kleineigentümer) sind es rassistische bzw. faschistische Ideologien, da sich diese Schicht aufgrund ihres Eigentums nicht zur Arbeiterklasse zählt, dieser tendenziell feindlich gesonnen ist und zugleich immer darauf aus ist, die Konkurrenz zu vernichten (ohne das Eigentum an sich zu beseitigen).

Es gilt also, im revolutionären Kampf den auf Klassenkollaboration ausgerichteten Sozialdemokratismus in der Arbeiterklasse zu überwinden und im demokratischen und antifaschistischen Kampf rassistisches, arbeiterfeindliches, faschistisches Gedankengut bei den kleinbürgerlichen Schichten (sowie natürlich in der Arbeiterklasse, in die mit kleinbürgerlichen Ideologien auch faschistisches Gedankengut dringt, um sie zu spalten).

Entsprechend sortieren sich die Kampffelder und die jeweiligen Bündnispartner.

Die Revolution und Errichtung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung erreicht man allerdings nur durch die Arbeiterklasse, ihre "Speerspitze", die Partei der klassenbewusstesten Kräfte, und ihre unmittelbaren eigentumslosen Bündnispartner! Das prinzipiell schwankende Kleinbürgertum wird in einer solchen Situation versuchen, in "Deckung" zu gehen (hinter verschlossenen Fensterläden hindurch lugen) oder auf die Seite des jeweils Stärkeren schlagen. Die restlichen gesellschaftlichen Klassen, einschließlich des bürgerlichen Staatsapparates – werden sich auf die Seite der Konterrevolution schlagen und jeden Umsturzversuch zu vereiteln suchen. Nix mit antimonopolistischer Demokratie ...

Strategie und Taktik im Umgang mit der DKP

Eine kommunistische Partei, die nicht in der Lage ist, ihre Kampfaufgaben strategisch und taktisch zu bestimmen, kann natürlich auch nicht die Avantgarde der Arbeiterklasse sein. Sie ist damit nicht kommunistisch, allenfalls sozialistisch (d.h. kommunistisch in der Idee und Zielsetzung, nicht in der Praxis, d.h. in den Kampfformen).

Für Kommunisten ist es daher bedeutsam, eine Position zu dieser Partei zu entwickeln, die sich kommunistisch nennt, ohne im eigentlichen Sinne (= Wesen) kommunistisch zu sein.

Grundsätzlich müssen Kommunisten davon ausgehen, dass

- die DKP mit diesem Programm nicht in der Lage ist, den revolutionären Kampf angemessen zu führen (ungeachtet verschiedener Gliederungen der Partei, die dies aufgrund langjähriger Tradition und Erfahrung durchaus können und in dieser Frage das Parteiprogramm erst gar nicht zu Rate ziehen!);

- die DKP mit diesem Programm nur bedingt in der Lage ist, den demokratischen Kampf jederzeit konsequent zu führen (ungeachtet verschiedener Gliederungen ...).

Hier haben Kommunisten die Aufgabe, die Partei im demokratischen Kampf zu unterstützen, zugleich aber antidemokratische, antirevolutionäre Positionen aufzuzeigen und offen zu kritisieren. (Das gilt zum Beispiel für die Positionierung der DKP im Irakkrieg! Das gilt aber ebenso für alle verleumderischen Attacken gegen Kritiker des Parteiprogramms bzw. des politisch-ideologischen Kurses der Partei!)

Schließlich und letztendlich führt natürlich kein Weg daran vorbei, in Deutschland eine kommunistische Partei (dem Wesen nach) zu entwickeln. Hierbei kann die DKP eine durchaus noch unersetzliche Rolle spielen. An uns Kommunisten soll es jedenfalls nicht liegen ...

Andrea Schön,
Essen


Arne Taube:

Zur letzten Etappe der Programmdiskussion und zum Verlauf des Parteitags der DKP

Frühjahr letzten Jahres gab der Parteivorstand der DKP einen von vier Autoren - H. H. Holz, Nina Hager, Leo Mayer und Willi Gerns - erarbeiteten Text in die Partei, der als Diskussionsgrundlage für ein neues Parteiprogramm dienen sollte. Es wurde gefordert, diesen Text in allen Parteigliederungen zu diskutieren, um nach Belieben Änderungsanträge zu formulieren und bis spätestens Anfang dieses Jahres einzusenden, damit sie von der Autorengruppe nach Möglichkeit eingearbeitet werden könnten.

Recht unvermittelt erschien dann im Laufe des (verflossenen) Jahres ein Antrag des Parteivorstandes (PV) an den anstehenden (im April abgehaltenen) Parteitag, fordernd, nicht als Entwurf, sondern gleich als fertiges Programm solle die Diskussionsgrundlage verabschiedet werden. Eigentlich war nämlich vorgesehen, nur einen Entwurf abzustimmen, der als Basismaterial für die weitere Diskussion genutzt werden sollte - denn es hing das Diskutieren im dauernden Durchkreuzen und wieder Verwerfen diverser Papiere gewissermaßen unbeweglich in der Luft und bedurfte eines verbindlicheren Dokumentes, um nicht alle Kontur zu verlieren; auch schien es unwahrscheinlich, die disparaten Positionen in einem Programm vereinen zu können. Geplant war also, die Diskussionsgrundlage vorerst unter Mitarbeit der gesamten Partei zu einem Entwurf zu profilieren, aus dem später das eigentliche Programm gestrickt werden sollte.

Einfach besehen könnte sich so der Verdacht ergeben, der Parteivorstand habe mit seinem Vorgehen die Partei übereilt, wenn nicht überrumpelt, und in einem Hauruck-Verfahren ein Programm vom Zaun gebrochen. Betrachtet man die Diskussion jedoch näher, bietet sich eine andere Situation.

Die letzten Schritte

Wie gesagt wurde von Seiten des PV darauf gedrungen, die Diskussionsgrundlage in allen Gliederungen zu diskutieren, um kritische oder ergänzende Anträge einzubringen. Kritik sollte dabei nicht in die Parteizellen eingeschlossen bleiben, vielmehr wurde gewünscht, diese auch parteiöffentlich vorzutragen, wozu die UZ eine Diskussionstribüne einrichtete. Jedoch verlief die Diskussion in den Gliederungen - soweit meine vielleicht subjektive Wahrnehmung reicht - relativ schleppend: der Verschleiß eines vieljährigen Ventilierens immer wieder vorgebrachter programmatischer Aussagen und Gegenaussage[5] machte sich auf der letzten, entscheidenden Wegstrecke bemerkbar. Alle Argumente waren schon zig mal getauscht, und wenig Lust war mehr vorhanden, für oder gegen die altbekannten Positionen - Überraschendes war in der Diskussionsgrundlage ja nicht enthalten - immer wieder bereits tausendmal Vernommenes vorzubringen.

Dies spiegelte sich darin wider, daß gerade einmal drei UZ-Diskussionstribünen im Zeitraum eines dreiviertel Jahres eingerichtet werden mußten. Dort geäußerte Kritik blieb häufig an der Oberfläche (schlechter Stil etc.), war teils richtig, hielt sich aber auch im Richtigen häufig an den Nebensachen auf. Eine Kritik, in der gebotenen Entschiedenheit gegen die Teile zum Imperialismus und Sozialismus gerichtet, fehlte - wobei unwahrscheinlich ist, daß die Redaktion hier Eingesandtes unterdrückte.

Insgesamt ist es den ‚orthodoxen’ Kritikern der programmatischen Linie des Parteivorstands nicht gelungen, ein koordiniertes und konzentriertes Handeln zu entwickeln, um bestimmend in die Diskussion - die mithin zu einer im Wesentlichen akzeptierenden, um Nebensachen gelagerten wurde - einzugreifen; derlei zeichnete sich nie ab und schien auch nirgends wirklich angestrebt worden zu sein. Zwar gab es teils prätentiöse Gegenentwürfe zu ganzen Abschnitten, aber sie wurden eben unabgesprochen und durcheinander, mal von Einzelpersonen, mal von Landesorganisationen vorgebracht, waren von teils recht durchwachsener Qualität und widersprachen sich mitunter gegenseitig in ihren vorgebrachten Theoremen. In desperatem Aktionismus vereinzelt und unabgestimmt, bei welch gutem Willen auch immer vorgebracht, waren sie verurteilt, zur Wirkungslosigkeit zu verpuffen.[6]

Bis zum Endtermin zu Jahresanfang waren dennoch 270 Anträge eingelaufen, die - soweit sie freilich ins Grundkonzept paßten - von der Autorengruppe bis Anfang Februar in die Diskussionsgrundlage eingearbeitet wurden. Zu diesem erneuerten Text nun konnte die Parteibasis Änderungsanträge an den Parteitag stellen, die auf diesem abgestimmt werden sollten, um das Ganze dann als fertiges Programm zu verabschieden. Insgesamt gingen hierzu - bei recht knapper Frist - 345 Anträge ein: zum Abschluß kam also doch noch Bewegung in die Partei.

Der Entwurf, der in Reaktion auf jene 270 Anträge Anfang Februar in die Partei gegeben wurde, war teils gravierend umgearbeitet, verfügte über einen halbwegs akzeptablen Stil - obgleich in weiten Teilen immer noch in einem unglaublich schwerfälligen Beamtendeutsch geschrieben - und erwies sich mitunter als deutlich qualifizierter. Doch blieb der Imperialismusteil weiterhin ein Kompromiß - allerdings ein falscher, da mit deutlicher Schlagseite nach Kautsky[7] hin. Auch problematische Thesen, die man problemlos hätte streichen können, ohne dem Kautsky was zu vergeben, schienen mit einer Hartnäckigkeit sich festgekrallt zu haben, daß kein Antrag daran etwas ändern konnte: so wurde noch immer eine neue Qualität der Spekulation ausgemacht, sie sei „zum zentralen Instrument der Kapitalverwertung“[8] geworden; noch immer wurde der kapitalistische Staat als ein Klassenneutrum vorgestellt, in dessen Souveränität erst im jetzigen „Neoliberalismus“ die Kapitalisten sich einmischten, und noch immer existierte unverändert ein ganzer Abschnitt zur Europäischen Union, in dem ein eurokommunistischer Ton dominierend ist: kaum ein theoretischer Notstand ist auszumachen, der gegenüber der Diskussionsgrundlage beglichen worden wäre (und auch im verabschiedeten Programm blieb all dies unangetastet). Es ist allerdings davon auszugehen, daß Anträge nur ignoriert wurden, wenn zum selben Punkt nur Vereinzeltes vorlag, man also von keinen Mehrheiten ausgehen konnte, im Gegenteil vorhandene, im Schweigen zustimmende verletzen mußte, wenn man Vereinzeltem zuliebe änderte. Zwar weiß ich von einzelnen Anträgen, die begründet die Streichung der benannten Stellen verlangten, aber auch, daß in Diskussionsveranstaltungen, in denen dem Programm kritisch gegenüberstehende Genossen mehrheitlich zugegen waren, diese Stellen mitunter keine Beachtung oder umgekehrt Zustimmung fanden: die Kritiker waren eben in Vielem sich uneins, wodurch die kritische Linie zersplitterte.

An Nebenschauplätzen und Detailformulierungen wurde im Abschnitt zum Imperialismus aber derart gefeilt, daß hierzu reichlich Anträge eingegangen sein müssen, denen auch Beachtung geschenkt wurde. Da sprang dann schon ins Auge, daß zum Sozialismus überhaupt nichts überarbeitet, nur ein Satz eingefügt wurde, welcher einzelne Opfergruppen des Terrors aufzählt. Nicht einmal stilistische Abwandlungen waren hier merklich. Ergo: hierzu konnten Anträge nur in verschwindender Zahl eingegangen sein, was bedeutet, daß die Parteibasis mit diesem Teil wenigstens im Groben übereinstimmt oder sich zumindest unentschlossen zustimmend verhält. Das ist eine Katastrophe, heißt dies doch, der Partei in ihrer Breite und Tiefe ist der Begriff des Kommunismus abhanden gekommen. Genauer ging auch hier wiederum mindestens ein Antrag ein, der auf Streichung und Ersetzung des gesamten Abschnittes abzielte, dem unsicheren Reformsozialismus mit seinen offenen Eigentumsformen einen gediegneren Kommunismusbegriff auf Grundlage des „Anti-Dührings“ und der „Kritik am Gothaer Programm“ von Marx entgegenzustellen suchte und zum Parteitag wieder eingebracht wurde. Seine Nichtbeachtung ist durch die offenbare Vereinzelung und die allgemeine Rückhaltlosigkeit solchen Unternehmens in der Partei allerdings legitimiert.

Der Parteitag

Mit dem Wiedereinbringen zum Parteitag war längst keine Hoffnung auf einen Erfolg mehr verbunden, jedoch sollte ein Anstoß gegeben werden, nach dem Parteitag in diese Richtung die Diskussion zu forcieren. Überhaupt konnten grundlegende Änderungsanträge jetzt nur noch diese strategische Funktion haben, da vorweg klar war, wie die Mehrheiten in der Partei aussehen. Eine weitere Diskussion müßte dabei eben wesentlich den Sozialismusteil kritisch sprengen, denn in letzter Instanz, bei aller sonstigen Kritik am Abschnitt zum Imperialismus, ist hier das Entscheidende gegeben, worin die DKP ihr Profil als kommunistische Partei verliert und zu einer Partei (klein-)bürgerlichen Reformsozialismus zu verfallen droht, indem das „zentralistisch administrative Sozialismusmodell“, wie es im Programm heißt, also der Zentralismus des Kommunismus als auf Basis des Gemeineigentums an den Produktionsmitteln gesellschaftlich geplante, bewußt durchdrungene Organisation gesellschaftlicher Arbeit, verworfen ist als zu überwindender Historismus[9]. Damit wird Grundlegendes, was durch Marx in der „Kritik des Gothaer-Programms“, durch Engels im „Anti-Dühring“ erfaßt, verlassen; damit ist verlassen, was durch Marx Kapitalanalyse als die Gesellschaft hindurchscheint, die der Arbeit entspricht, die in der Maschinerie der großen Industrie in ihrem gesellschaftlichen Charakter entfaltet ist: der Kommunismus. All dies wird verlassen und durch einen utopischen Sozialismus ersetzt.

Welche Änderungen zum Sozialismus-Abschnitt beschloß nun der Parteitag? Nichts wurde verändert, außer daß nun die Länder des realen Sozialismus als frühsozialistische charakterisiert werden, die es nicht über ein nur erst „frühes Entwicklungsstadium des Sozialismus“ herausgebracht haben[10]. Es scheint also hier doch noch einer mehr als der besagte Antrag eingegangen zu sein und Mehrheiten gefunden zu haben. Das Wenige, was geändert, ist gleich wieder ein Sprung in eine katastrophale Richtung. Das ist Bruch mit dem Gewesenen, das wesentlich bereits die Realisierung der ersten Phase des Kommunismus war, auch wenn die damalige Theorie ihre Schwierigkeiten hatte, dies in den verwirklichten Verhältnissen zu erkennen. Das ist Bruch, der trügerische Freiräume schafft, in denen nichts als künftiger Bankrott haust und die fahrig und bestimmungslos schon jetzt nur lähmend wirken.

Die Abstimmungsverhältnisse auf dem Parteitag waren eindeutig: Dreiviertel der Delegierten votierten für die Verabschiedung des Programms, die übrigen stimmten dagegen oder enthielten sich. Daß - was ja einzig zu hoffen war - auf dem Parteitag sich Positionen kristallisierten, an denen ein Fortgang der Diskussion abzulesen gewesen wäre, trat nicht ein: zu inhaltlichen Diskussionen einzelner Anträge kam es überhaupt nicht mehr. Diese wurden in Blöcken abgestimmt und waren bereits mit einer Empfehlung auf Annahme oder Ablehnung versehen, der stets gefolgt wurde, sonst hätte auch die Gefahr der Sprengung des Parteitags bestanden und der Wille der Parteimehrheit, gleich was es koste endlich ein Programm zu beschließen, war eindeutig. Aus all dem - daß Anträge in Blöcken abzustimmen, kein Raum für inhaltliche Diskussionen blieb, sowie Gäste und nicht delegierte Genossen, was sonst nicht die Norm, vom Parteitag ausgeschlossen waren - könnte geschlossen werden, es habe sich um formal fragwürdige Überrumpelungsaktionen des Parteivorstands gegenüber kritischen Teilen der Basis gehandelt. Aber der Ablauf war nichts anderes als Ausdruck der Bewußtseinslage und der Mehrheitsverhältnisse in der Partei. Hätte man noch ein Jahr länger diskutiert, Gäste zugelassen, jeden Antrag einzeln, auch inhaltlich diskutiert: nichts Wesentliches hätte sich geändert. Zwar lehnten etliche Delegierte den Entwurf mit der Begründung ab, es sei ja vorgesehen gewesen, kein neues Programm, sondern eben erst einen Entwurf zu verabschieden, der erst weiter zu qualifizieren sei. Bei der ersichtlichen Mehrheitslage in der Partei wäre dies aber nur ein Aufschub mit gleichem Resultat gewesen: es war kein Wille mehr vorhanden, schon längst Ausgemachtes noch einmal durchzukauen, die Mehrheit zur Akzeptanz des Textes als Programm entschieden.

Die Kräfteverhältnisse erwiesen sich als derart eindeutig, daß dem PV sogar eine zugeständige Gutwilligkeit gegenüber ihm eigentlich mißliebigen Positionen einzuräumen ist, denn angesichts des Verlaufs der Diskussion ist kaum anzunehmen, daß die Verhältnisse auf dem Parteitag bedeutend zuungunsten der durch den PV vertretenen Linie ins Rutschen geraten wären, hätte man die wenigen gegenüber den ‚Orthodoxen’ zugeständigen Passagen im Entwurf gänzlich eliminiert. Mag der PV ideologisch mit diesen Genossen auch nicht im Einvernehmen stehen, scheint er sie doch nicht vergraulen, gar aus der Partei haben zu wollen. Und sicherlich war die - wenn auch zerstreute - Mühsal der Parteilinken zuletzt doch nicht gänzlich umsonst.

Konsequenzen

Ich selbst, als Mitglied der DKP, respektiere das Programm zunächst als in überragender demokratischer Mehrheit zustandegekommen. Diese, nicht dunkle Ränke des Parteivorstands, stehen wesentlich dahinter. Inhaltlich aber ist mir als Kommunist die Akzeptanz des Programms durch seinen Gehalt selbst verwehrt. Heißt dies nun, die DKP habe von der Mission der Arbeiterklasse sich abgelöst und es sei für einen Kommunisten an der Zeit, auszutreten? Mitnichten. Angesichts der verwesenden gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse der BRD, diesem hinter allem Menschenrechtsgefrömmel zu allen Verbrechen aufgelegten, banalsten, erbärmlichsten und hinterhältig feig gemeinsten aller imperialistischen Länder, das sich geistverlassenen Behagens grunzend suhlt in schwärzester Reaktion[11], ist das Programm noch immer ein revolutionäres. Den Grund des strengen Kommunismus hat es in seinem Sozialismusteil zwar vorerst verlassen, ist nur noch eines der extrem linken Sozialdemokratie im guten alten Sinne, mehr USPD als KPD. Aber darin Enthaltenes bedeutet in seiner Durchsetzung tatsächlich proletarische Revolution, auch wenn man, nach Programm, danach beginnt mit etwelchen phantastischen Eigentumsformen herumzuexperimentieren und sich an basisdemokratischen Marginalien aufhält, der eigentliche Kommunismus in der Ökonomie nicht mehr erfaßt ist.

Aber es ist eben im Programm der Antagonismus von Bourgeoisie und Proletariat deutlich enthalten, die Notwendigkeit, daß die Kapitalisten zu enteignen sind, kein Ausgleich mit ihnen zu haben und ihre anarchische Produktion durch eine gesamtgesellschaftlich geplante zu ersetzen ist - was freilich durch die Abschnitte zum Sozialismus wieder konterkariert wird. Es ist enthalten, daß dies nicht auf parlamentarischem Weg, nur revolutionär und nur zentral organisiert durch eine kommunistische Partei zu erreichen ist - wenngleich die Avantgarderolle tendenziell dementiert ist und selbst noch für den Sozialismus behauptet wird, die Partei stehe im freien Wettbewerb mit anderen gesellschaftlichen Kräften um die besten Initiativen. Und nicht zuletzt ist enthalten, das in der Revolution Erreichte sei mit allen Mitteln, selbstredend also auch reaktiver Gewalt, gegen Anschläge der Bourgeoisie zu verteidigen. Die DKP ist also von einem Zustand des ideologischen Zerfalls, in dem sich die kommunistischen Parteien der übrigen imperialistischen Staaten befinden, noch immer unendlich entfernt, was nicht bedeutet, daß sie in Zukunft davor gefeit ist, nicht auch in solchen überzugehen - der Verlauf der Diskussion zeigt, daß auch jetzt schon Raum für ein bedeutend schlechteres Programm gewesen wäre. Jedoch markieren noch immer das errungene Programm wie die Partei als Organisation eine Position, die nur urteilen läßt, daß die Arbeiterklasse in der BRD heute de facto über keine Organisation verfügt, die so entschieden wie die DKP ihre Interessen vertritt: sie ist die größte Organisation der revolutionären Linken, besitzt vorerst eine in den Rudimenten noch immer revolutionäre Programmatik - wie mangelhaft sie gemessen an den Forderungen der Klassiker auch erscheint - und ist auf dem Gebiet der alten BRD zumindest teilweise recht gut gewerkschaftlich verbunden. Hieraus folgt, daß auch mit dem neuen Programm jedem Kommunisten weiterhin zu raten ist, in die DKP einzutreten (oder zumindest die Nähe zu suchen), sich dabei jedoch ihrer organisatorischen und programmatischen Schwächen bewußt zu sein.

Kritik an der DKP kann keine zerschlagende, sie muß eine aufhelfende sein, auch wenn die Partei in der Regel solche „Anmaßung“ verärgert ablehnen wird. Prinzip der Kritik muß sein, zur Rückgewinnung kommunistischen Begreifens in der DKP zu wirken. Eine Reorganisation entschieden kommunistischen Kampfes kann nach derzeitigem Stand nicht ohne und nicht gegen, nur in solidarischer Verzahnung mit den Genossen der DKP und aus dieser heraus erfolgen. Angesichts der Kräfteverhältnisse in der Partei und der ideologischen Zersplittertheit selbst noch der Parteilinken kann dies nahezu aussichtslos erscheinen, aber die Verhältnisse diktieren dies.

Perspektive

In der nächsten Zeit, vielleicht sogar in den nächsten Jahren wird programmatisch in der Partei wenig zu bewegen sein - obgleich alle Gelegenheiten, am Programm zu bessern, genutzt werden müssen. Die Mehrheiten sind eindeutig, die Mitglieder auf noch nicht absehbare Zeit nicht willens, fundamental in Fundamentalem wie den Abschnitten zum Imperialismus und Sozialismus zu ändern. Daher wohl auch die Stille, die seit dem Parteitag über die Partei ausgebreitet ist und in einem seltsamen Mißverhältnis steht zur vorigen, in vielen Dokumenten belegbaren, schon ans Hysterische reichenden Nervosität des Parteivorstands gegenüber der Diskussion, sowie zum Eifer, mit dem von der Parteilinken Papiere vorbereitet und Initiativen ausgerufen (und oft auf halbem Wege mutlos eingestellt) wurden, so daß zuletzt aller Hader und Aufruhr ein Sturm im Wasserglas gewesen zu sein scheint, der jedoch in den besseren Stellen des Programms seine Spuren hinterlassen hat.

So wird sich nun die orthodoxe Richtung weniger durch und sei es auch noch so bündige Argumentation durchsetzen können als vielmehr - was bliebe denn auch sonst noch? - durch konkrete Praxis, was bedeutet, das labyrinthische Reformgeflecht, in welches das Programm in seinen auf die gegenwärtige Politik abzielenden Teilen sich verstrickt, mit wirklich revolutionären Losungen und Aktionen lichten zu müssen. Denn es ist ja schleierhaft, wie man die werktätigen Massen für etwas ihrer unmittelbaren Lebenslage derart Entlegenes wie die „demokratische Einflußnahme auf den staatsmonopolistischen Regulierungsmechanismus“, die „Heranbildung kritisch denkender mündiger Staatsbürger“[12] oder die „demokratische Kontrolle über die Entwicklung und Anwendung von Wissenschaft und Technik“ zum Kampf mobilisieren will, zumal es zuvor ja schon in opportunistischem Tonfall bremsend hieß, daß die „Spielräume“ für Reformen der „enormen Staatsverschuldung“ wegen „außerordentlich eng geworden sind.“ Daß man Banken enteignen und Schulden, die nichts als imaginäre Anspruchstitel auf überhaupt noch nicht geleistete Arbeit sind, annullieren kann, ohne daß davon ein Sack Reis irgendwo umfällt, höchstens ein paar Kapitalisten in Tränen und Deklamieren ausbrechen, was niemanden zu interessieren braucht, sei hier nur nebenher erwähnt. Es bleibt der Parteilinken nun wenig mehr, als diesen Programmpunkten, die unmittelbar ein wirkungslos verpuffendes Handeln anlegen, wirklich revolutionär mobilisierende Aktionen entgegenzusetzen - die um so schwerer Resonanz erwarten können, als noch immer die Kernteile der Arbeiterklasse in der BRD durch die Zerstörung des Kommunismus, die eigene Gewerkschaftsführung, Reihenhaus und Kulturindustrie konformistisch narkotisiert sind. Gelingt ihnen die Entwicklung einer solchen wirklichen Arbeiterpolitik in der Partei, dann erst können die Parteilinken, mit einer ganz neuen Autorität versehen, einen wesentlich ändernden Einfluß auf das Programm erlangen, wohingegen jetzt noch der Mehrheit der Basis jedes theoretische Argumentieren gegen die Abschnitte zum Imperialismus und Sozialismus - zu Unrecht freilich - als abgehoben scholastisch erscheinen wird. Es wäre so auch für die offen-siv bedenkenswert, jene Entwicklung nach Möglichkeit ebenso solidarisch wie kritisch zu unterstützen.

Arne Taube,
Mahlow

Aus der Diskussion

Andrea Schön:

Wir stehen vor einem ziemlichen Drahtseilakt. Auf der einen Seite dürfen wir, was die DKP angeht, nichts schönreden, wir müssen sie so charakterisieren, wie sie ist – aber zugleich natürlich in den historischen Zusammenhang stellen: schwärzeste Reaktion, imperialistische Macht, rundrum sieht es auch nicht viel besser aus; also: nicht einfach denunziatorisch vorgehen und sagen: Du taugst sowieso nichts mehr, Du bist nicht mehr kommunistisch, Du bis revisionistisch - und Pech gehabt - sondern sagen: es ist nun mal so, die DKP ist nicht marxistisch-leninistisch, sie ist nicht revolutionär, was aber nicht heißt, dass es nicht viele einzelne Genossinnen und Genossen in ihr gibt, die es sind und vor allem: die sich so fühlen. Und man muss auch den Emotionen in irgend einer Form Rechnung tragen. Dieser Zusammenhang sollte immer gewahrt bleiben, so dass die Genossinnen und Genossen in der Partei sich nicht unnötig vor den Kopf gestoßen fühlen und die Kommunikation nicht unmöglich wird. Aber dabei muss man auch wieder sehen: sich beleidigt fühlen kann man aus sehr unterschiedlichen Gründen. Wenn sich jemand aus purer Eitelkeit beleidigt fühlt, ist das nicht unser Thema. Aber wem wir Rechnung tragen müssen, das sind die Leute, die seit 20 oder 30 Jahren in dieser Partei ackern und ackern, der Zugang zu diesen Genossen darf nicht versperrt sein.

Es ist eben ein Drahtseilakt. Wir müssen einerseits sagen, was ist, nämlich dass die DKP ein revisionistisches Programm angenommen hat, dass die Partei nicht mehr als marxistisch-leninistische Partei gelten kann, dass sie keine revolutionäre Partei ist, aber wir müssen auch sagen, dass sie noch immer eine sehr wichtige Funktion erfüllt, dass ihre Existenz damit nicht angezweifelt wird. Auch eine revisionistische Partei hat heute eine gewisse Existenz-berechtigung, nicht als kommunistische Partei, sondern als eine Partei im Spektrum des Linkssozialismus, der linken Sozialdemokratie, wo halt der fortschrittliche demokratische Kampf geführt wird und geführt werden muss. Und noch mal zum Verdi-Streik. Da war die Partei vor Ort und hat Kaffee gekocht, aber sie hat auch Flugblätter verteilt. Auf den Flugblättern stand, dass es Übergriffe gegeben hat von der Polizei auf die Streikenden und andere Aufklärung über die konkreten Vorfälle. Das ist zwar auf der einen Seite nichts Kommunistisches, aber es ist demokratisch, es ist richtig, es ist gut, weil da die Streikenden merken, dass da jemand mit ihnen solidarisch ist und das Geschehen in einen gesellschaftlichen Zusammenhang stellt. Das ist – von heute aus gesehen – fortschrittlich.

Kurt Gossweiler:

Ich fürchte, dass ich irgendwann mal von diesem Kreis hier als so etwas wie ein Versöhnler betrachtet werden. Aber wir leiden alle darunter, dass das fehlt, von dem wir wissen, dass es dringend nötig ist. Und wir beraten schon seit langer Zeit darüber: wie kann man dazu jetzt kommen? Aber es darf nicht sein, dass wir denken: damit wir die nötige marxistisch-leninistische Partei kriegen, werden wir den DKP-Mitgliedern sagen, in was für einem ganz miserablen Verein sie sind, damit sie da raus gehen. Das würde ich für sehr falsch halten. Es ist kein Geheimnis, dass ich der Einschätzung der DKP als einer nicht konsequent marxistischen Partei zustimme. Ich würde aber nicht sagen, dass man sie in einen Topf werfen muss mit den wirklich abschreckenden Beispielen dessen, was mit Kommunisten passiert ist nach der Niederlage, also mit der französischen Partei oder der KP Österreichs. Also für mich ist die DKP in der Führung ganz klar revisionistisch, ich würde aber nicht sagen, dass man zwischen den Mitgliedern und der Führung keinen Unterschied machen muss. Also, ich kenne sehr viele DKP-Mitglieder in Berlin, ich kenne sie in der alten Bundesrepublik, und die würde ich einfach beleidigen, wenn ich ihnen sagte: „Ihr seit ja nicht besser als Eure Führung“.

Man soll nicht glauben, dass man von jedem, der jetzt diesem Programm zustimmt, sagen kann, dass das ein Erzrevisionist sei.

Wie sieht denn die Schulungsaktivität der Partei und das theoretische Gerüst der Genossen aus!? Ich würde gern eine Umfrage machen unter den Genossen, die Ihr als gute Kommunisten ansehen würdet: Bitte, was steckt denn hier in diesem Programm drin an wirklichem Revisionismus? Das würde doch wahrscheinlich kein sehr gutes und sehr erfreuliches Ergebnis sein.

Also: einer Gleichsetzung von Führung und Mitgliedern kann ich nicht zustimmen und ich würde es auch für sehr falsch halten, wenn so etwas in „offen-siv“ hineinkäme. Ich möchte nicht, dass „offen-siv“ (wie es leider manchmal schon ist), bei Genossen der DKP, die ich eigentlich schätze, obwohl ich ihre ideologischen Schwächen kenne, ein bisschen ein „rotes Tuch“ ist. Ich meine, dass diejenigen, die sich unter diesen heutigen Bedingungen, unter diesem heutigen Staat, leisten, in der DKP, in einer kommunistischen Partei zu sein, eine kommunistische Zeitung zu abonnieren und wissen, dass sie damit nun unter eine gewisse Beobachtung fallen, durchaus noch Kommunisten sind, die diesen Staat ablehnen und einen sozialistischen Staat wollen. Und ich möchte, dass bei ihnen „offen-siv“ als Hilfe betrachtet wird dafür, als Kommunist noch besser zu arbeiten als bisher, aber nicht als ein Organ, das ihre Partei bekämpft und deshalb von ihnen schon gar nicht mehr angefasst wird.

Ich bin für die Auseinandersetzung – ganz prinzipiell – wo gesagt wird, was zu sagen ist. Ich habe zum Beispiel vor kurzem einen Brief an Steigerwald geschrieben. Aber ich muss dem anderen trotzdem noch die Möglichkeit geben, mit mir weiter zu sprechen und seine Argumente zu bringen.

Das ist es, was ich meine mit dem Unterschied zwischen Einschätzung und Umgang. Ich bin für einen Umgang, der Bereitschaft erzeugt, unsere Einschätzung überhaupt anzuhören.

Michael Opperskalski:

Um Klarheit zu schaffen: Es geht nicht darum, alle Mitglieder in einen Topf zu werfen. Worum es mir geht ist folgender Unterschied: Wir haben früher in der „offen-siv“ immer Wert darauf gelegt zu sagen: „Die Führung der DKP hat die und die und die Tendenz.“ Damit haben wir den Eindruck erweckt, dass es da eine Führung gäbe, die in gewisser Weise die Mitgliedschaft usurpiert. Diese Linie konnten wir lange Zeit durchhalten. Nun gibt es ein neues Programm, und dieses Programm ist ein revisionistisches Programm, das kann man nicht als etwas anderes bezeichnen. Und die Mehrheitsverhältnisse haben sich ganz klar gezeigt. Das heißt doch aber, dass wir es nun mit einer revisionistischen Partei zu tun haben, nicht nur mit einer revisionistischen Führung,- mit einer revisionistischen Partei, in der es sehr viele ehrliche und gute Kommunisten gibt. Das ist die Tatsache. Und nun können wir die alte Sprachregelung nicht mehr aufrecht erhalten, damit schaffen wir Illusionen.

Zweiter Punkt: was hat denn die „offen-siv“ ausgemacht? Ich erinnere mich noch ganz genau, als, Kurt, Deine „berühmt-berüchtigte“ Rede 1994 in Brüssel gehalten hast zur Rolle des Antistalinismus. Als wir dann den Text auf dem Hand-Kopierer kopiert und an die Genossen verteilt haben, hätten sie uns am liebsten aus dem Fenster geworfen. Dogmatiker, Sektierer Blutsäufer waren noch die harmlosesten Bezeichnungen, die da fielen. Die „offen-siv“ ist trotzdem bei ihrer Linie geblieben, es gab keine opportunistischen Schwenks. Und wie ist es inzwischen? Unsere Positionen werden ernst genommen und diskutiert, natürlich gibt es noch Versuche, uns auszugrenzen, aber das ist schwieriger geworden. Und immer wieder ist zu beobachten, dass inzwischen die Revisionisten in die Lage kommen, sich rechtfertigen zu müssen und beweisen zu müssen, dass sie Kommunisten und nicht Rechtsabweichler sind. Dass das so ist, daran hat die „offen-siv“ einen großen Anteil. Und, Genossinnen und Genossen, nur wenn das so ist, haben wir eine Chance, den Geschichtslügen wirksam entgegenzutreten.

Andrea Schön:

Ich möchte noch etwas sagen zum Umgang mit der DKP. Im Grunde geht es um drei Sachen: wie geht die „Offensiv“ als Zeitschrift mit der DKP um, wie gehen die Leute, die in der DKP sind, mit der DKP um und wie gehen die Leute, die nicht in der DKP sind, sondern in anderen Organisationen oder unorganisiert sind, mit der DKP um? Wir sollten nach der Programmkritik auch über diesen Aspekt diskutieren und schauen, dass wir damit heute auch gedanklich durchkommen und uns verständigen.

Arne hat vorhin etwas gesagt, was ich so nicht stehen lassen würde. Arne sagt, dass die DKP - wenn man sich umsieht, was sonst so ist in diesem Lande und in Anbetracht unserer Zeit als eine der schwärzesten Reaktion – noch irgendwie revolutionär sei. Nur: revolutionär ist sie ganz gewiss nicht. Man kann mit der DKP nicht den revolutionären Kampf führen, so wie ihn Lenin und Stalin verstanden haben. Also, als Führung der Arbeiterklasse, der bewusstesten Teile der Arbeiterklasse kann diese Partei nicht – aber auch gar nicht – gelten. Diesen Zahn müssen wir uns einfach ziehen.

Das beinhaltet aber auch, dass wir sie an diesem Maßstab nicht ständig messen bzw. messen können. Wenn wir jetzt das Abschlussurteil getroffen haben, dass man die DKP als eine revisionistische Partei ansehen muss und damit nicht mehr als eine kommunistische Partei ansehen kann, dann haben wir damit auch einen anderen Maßstab an diese Partei anzulegen. Wir müssen sie behandeln wie eine radikaldemokratische oder linkssozialistische Partei, mit der man durchaus den demokratischen Kampf führen kann und auch führen muss.

Die DKP wird zum Bündnispartner. Das klingt für viele Genossinnen und Genossen jetzt wahrscheinlich eigenartig, wahrscheinlich für beide Seiten: sowohl für diejenigen, die in der DKP noch immer die Partei der Kommunisten in Deutschland sahen oder sehen, als auch für diejenigen, die sie sowieso schon für verrottet und versumpft hielten und halten; aber man muss es jetzt umkippen und sagen: Wir weisen Euch jetzt nicht mehr ständig nach, dass Ihr nicht rechnen könnt, denn wir haben begriffen, dass Ihr die Zahlen nicht kennt.

Also für die, die „außen“ sind, z.B. für die „Offensiv“, aber auch für andere, die außen sind, würde ich ganz klar sagen: die DKP ist Bündnispartner für ganz bestimmte Fragen,  eingeschränkt natürlich, sogar in Fragen von Krieg und Frieden sind die Möglichkeiten eingeschränkt, aber es gibt sie.

Aber was machen jetzt diejenigen, die Mitglieder sind? Eigentlich gehört dass jetzt nicht hierher, aber ich sage es trotzdem. Wenn man es jetzt ganz eng leninistisch nimmt, müssen die – und ich sage jetzt „wir“, weil ich auch Mitglied bin – müssen also wir dafür sorgen, dass diese Partei kommunistisch wird, denn Lenin sagt ganz klar: Ihr müsst Euch als Parteimasse die Führung so wählen und so bestimmen und so erhalten, dass sie wirklich die Avantgarde und kommunistisch ist. Ihr seid dafür verantwortlich! Ganz einfach: die Basis ist für die Führung verantwortlich, das ist der Auftrag, den uns Lenin gibt. Nun wissen wir aber ganz genau, dass diese Führung und auch weite Teile der Parteimitgliedschaft nicht zum Kommunismus zu bewegen sind – es wäre so, als wolle man aus einem Tier ein ganz anderes machen, und das geht nun mal nicht. Aber – und da sehe ich schon eine gewisse Sondersituation – da wir ja keine einheitliche und kommunistische Partei in Deutschland haben, wäre es sinnvoll, gerade an diejenigen, die in die DKP als neue, frische, junge Leute hineinkommen, heranzukommen und dafür zu sorgen, dass die was Gescheites lesen. Viel mehr wird man nicht hinkriegen können in dieser Partei als zu versuchen, dass denjenigen, die Kommunisten werden wollen, das nicht total vermiest wird, sondern dass sie halt die entsprechende Literatur an die Hand kriegen.

Arne Taube:

Ich muss auf Andrea eingehen. Ich würde sagen, dass die Einschätzung, die ich vorhin gebracht habe, nicht unbedingt dem widerspricht, was Andrea gesagt hat. Ich habe zwar gesagt, dass die DKP noch revolutionär sei, Andrea sagt: nein. Aber ich habe das Wörtchen „revolutionär“ nicht gemessen an der Linie der leninschen und stalinschen KPdSU, sondern in der Reflexion der heutigen Verhältnisse und im Hinblick auf die Frage: was hat die Partei formuliert in ihrem Programm – wenn man es ernst nimmt.

Um nochmal ein Beispiel zu nennen: Im Abschnitt über die Reformen steht, dass die angestrebten Veränderungen auch zu gravierenden Eingriffen in die Eigentumsverhältnisse führen werden. Das Interessante daran ist doch, dass das als Politik immer „Reform“ genannt wird, dass der Inhalt doch aber tatsächlich revolutionär ist. Man muss doch daran denken, was dann los ist in unserem Staat, wenn man so etwas erreicht. Und daran messe ich die DKP halt, ich sage: sie ist nicht mehr die Avantgarde-Partei, sie will es auch nicht mehr sein,  sie genügt nicht mehr den strengen ideologischen Kriterien. Aber die Positionen der früheren USPD, der Linkssozialisten, die haben sie noch immer drauf. Und so lange das noch so ist, sind sie für mich als Kommunist eine Partei, über die ich sage: tretet lieber da ein, als dass Ihr unorganisiert seid und außen steht. Es ist nun mal die zur Zeit größte Partei in diesem Spektrum. Und sie hat mehr und bessere Kontakte in die Gewerkschaften hinein als die anderen kommunistischen Gruppierungen. Das sind die Dinge, auf die ich hinweisen möchte, und zwar ganz pragmatisch, ohne Illusionen.

Die Reorganisation einer marxistisch-leninistischen Kampfpartei ist für den gesellschaftlichen Fortschritt nötig, und die DKP ist keine solche Kampfpartei – also die Reorganisation ist nach meiner Auffassung nicht möglich gegen die DKP, vereinfacht gesagt: man nicht hingehen und die DKP bekämpfen als revisionistischen Hauptfeind – und wenn ich Andrea richtig verstanden habe, will sie das ja auch nicht -, sondern es geht nur in der Verzahnung mit der DKP und den marxistisch-leninistischen Kräften in ihr und außerhalb von ihr.

Als wir in die DKP eintraten, haben wir ganz naiv versucht, Einfluss zu nehmen. Wir haben Bildungsveranstaltungen organisiert – und da saßen dann alle möglichen Leute, der „Rote Oktober“ und so weiter, es kamen relativ viele zusammen, gingen dann aber auch ganz schnell wieder auseinander. Das Problem entsteht, wenn man die Sache zu abstrakt anfasst.

Und einige Bemerkungen zur „offen-siv“. Was mir und einigen anderen auch fehlt, ist eine Analyse der Situation der Arbeiterklasse, der Gewerkschaften – und daraus abgeleitete Vorschläge für kommunistische Politik, also: was ist am sinnvollsten als nächstes zu machen. Z.B. Kampf für Arbeitszeitverkürzung? Abwehrkämpfe? Man kann den Leuten nicht nur Abstraktes vermitteln. Ich wünsche mir neben der Diskussion der Politischen Ökonomie und neben den historischen Fragestellungen nach Möglichkeit etwas mehr zu diesen konkreten Sachen.

Ansonsten will ich noch sagen, dass mir in vielen Gesprächen in- und außerhalb der DKP immer wieder deutlich geworden ist und deutlich wird, dass die „offen-siv“ eine viel gelesene und viel zitierte Zeitschrift ist, und das in einem auch mich immer wieder erstaunenden Ausmaß, dass allerdings einzelne Texte bei den Lesern auch immer wieder für Irritation sorgen, zum Beispiel letztens von Johannes Oehme oder früher von Samy Yildirim. Da waren Viele sehr irritiert. Und es wird Euch überraschen: vielen Leuten ist die „offen-siv“ zu pluralistisch. Die Leute haben Probleme damit, zu erkennen, was die Linie der Herausgeber ist.

Ronny Hirsch:

Ich möchte auf Arne eingehen. Es ist eine große Stärke der „offen-siv“, dass sie unterschiedliche kommunistische Aspekte bringt. Dein Ausdruck dafür „Pluralismus“ wäre eigentlich auch zu kritisieren. Aber nur kurz: Es gibt immer unterschiedliche Meinungen, auch bei gleichen kommunistischen Grundlagen, und dass die auch alle abgedruckt werden und dass man sich selbst ein Bild machen kann, indem man eben alles liest, das ist völlig richtig und gut so und das muss auch so bleiben.

Michael Opperskalski:

Zwei Sachen: Wir operieren in einem sehr problematischen Feld. Tatsache ist: keine der kommunistischen oder sich kommunistische nennenden Organisationen in Deutschland hat wirklich eine enge Verbindung zur Arbeiterklasse, auch nicht die DKP. Natürlich gibt es einzelne Beispiele von einzelnen Genossen, und das sicherlich bei der DKP etwas mehr als bei anderen, aber eine wirkliche Verbindung existiert nicht. Das haben die Streiks im Ruhrgebiet gezeigt, wo die DKP sehr hilflos

Andrea Schön: Aber sie ist da! Sie ist da! Nur sie weiß nicht, wie…

Michael Opperskalski: Aber sehr hilflos. Da gab es einen ganzen Bezirk - Ruhr ist noch einer der besten Bezirke der DKP - der den Streik unterstützen wollte. Was ist dabei rausgekommen: sie haben Suppe gekocht und Brötchen verteilt. Und das war alles. Nichts Politisches! Keine politische Orientierung, nichts!

Das ist unser aller Problem. Das hat natürlich auch gesellschaftliche Ursachen, aber Tatsache ist: das, was von der kommunistischen Bewegung hier in der Bundesrepublik übrig geblieben ist, hat keine nennenswerten Bindungen zur Arbeiterklasse. Wir können jetzt weinen, aber es ist so.

Andrea Schön, Essen:

Die Einschätzung der DKP ist eine Seite und da kommen wir relativ schnell zum Konsens, der Umgang mit der DKP ist dagegen, so glaube ich, eine ziemlich komplexe Frage, auch weil bei uns hier – wie auch im kommunistischen Spektrum Deutschland – einige in der DKP sind, einige nicht, manche andernorts organisiert sind, manche parteilos.

Die Einschätzung der Partei nach ihrem Programmparteitag als eine revisionistische Partei ist die eine Seite. Sie ist revisionistisch. Sie ist an dem ideologischen Tiefpunkt ihrer Geschichte angelangt. Die DKP war in ihrem Programm ein Kompromiss von vornherein, sie hat ganz bestimmte marxistisch-leninistische Punkte ausgelassen, und damals wird man sicherlich gedacht haben, dass nicht unbedingt alles im Programm stehen muss, die Hauptsache ist doch, dass man das Wesen unserer Weltanschauung ideologisch vertritt. Aber das war sicherlich trotzdem ein Einfallstor für den Revisionismus, zumal danach halt jede Bewegung der Sowjetunion in Richtung Revisionismus mitgemacht worden ist, die DKP da also wirklich ein Anhängsel war und keine Eigenständigkeit besessen hat.

Fatal ist im Zusammenhang mit dem Revisionismus in der DKP der antistalinistische Grundkonsens, der davon ausgeht, dass Stalin furchtbar böse war, - ich habe das in jungen Jahren in der DKP dermaßen „mit der Muttermilch“ aufgesogen, dass Stalin böse ist, dass ich mich zunächst auch gar nicht darum gekümmert habe, was denn da zur Stalin-Zeit im einzelnen abgelaufen ist. Aber viel wichtiger als die Kenntnis der historischen Fakten, die natürlich auch super-wichtig ist, ist die Kenntnis der theoretischen Beiträgen Stalins. Da hat die „Offensiv“ mit den Heften von Ulrich Huar ganz Großes geleistet, weil dort ein ganz wichtiger Fundus enthalten ist zur Frage, wie man denn politisch agiert, also nicht nur, was Sozialismus ist und die Diktatur des Proletariats, sondern wie man dort überhaupt hinkommt. Das hat keiner so gut und so leicht verständlich auf den Punkt gebracht wie Stalin. Ich halte es einfach für eine Katastrophe, dass der Zugang zu diesen Schriften einfach nicht da ist, da kommt man sich vor wie in der katholischen Kirche. Und dass das von Anfang an in der DKP ein Grundkonsens war, das ist schlimm.

Genauso beschäftigt man sich auch nicht mit Mao, weil Mao ja auch von Anfang an so etwas wie ein „Schweinehund“ war, oder Enver Hoxha – nicht dass das jetzt alles vorbildlich war – aber man muss sich doch zumindest mal damit befassen können, ohne dass da gleich das Verdikt kommt: das sind die Bösen.

Das war in der DKP aber schon immer so, und was wir jetzt haben, ist auch ein Stück weit eine Vollendung, nämlich eine Vollendung eines revisionistischen Weges, der nicht erst gestern angefangen hat.

Ein Gedanke noch: die DKP befindet sich natürlich nicht allein in einer solchen Entwicklung, ganz im Gegenteil: ich halte es für keinen Zufall, dass in anderen imperialistischen Hauptländern, Italien, Frankreich, England, USA, die Entwicklung, was die kommunistischen Kräfte angeht, ähnlich problematisch verläuft. So etwas ist ja kein Zufall. Ein imperialistisches Land muss Ruhe haben im Hinterhof, da darf sich nichts bewegen, und zum anderen haben wir in den imperialistischen Ländern auch die größten Probleme mit dem Revisionismus, weil dort die Arbeiteraristokratie gefüttert worden ist. Wenn wir uns ansehen, wie es in Schweden, Portugal, Griechenland oder auch noch in der Tschechischen Republik aussieht, da gibt es starke, in der Bevölkerung verankerte marxistisch-leninistische Parteien. Den objektiven Zusammenhang dieser Entwicklung dürfen wir nicht vergessen.

Hans-Jürgen Westphal, Dresden:

Die Kritiken, die hier zu dem neuen DKP-Programm geäußert worden sind, laufen parallel zu dem, was Jugendliche – z.B. bei unserem Theaterprojekt – auch sagen, natürlich mit anderen Worten und weniger tiefgehend, aber: was sie auch sagen! Wenn Nina Hager nicht mehr weiß, dass sie zum Proletariat gehört, diese Jugendlichen wissen es noch! Und die Stimmung verändert sich.

Die Diskussion, die wir hier im Raum haben, hatten wir vor einiger Zeit mit Professoren und Doktoren beim Kommunistischen Aktionsbündnis in Dresden, und dort habe ich, um zu beweisen, dass die Stimmung im Lande sich verändert, ihnen gesagt: Also, Genossen, ich werde ein Buch schreiben, auf dem vorn drauf „Diktatur des Proletariats“ steht und davon werde ich 1000 Stück auf der Straße verkaufen. Und das habe ich dann gemacht – das Stück für drei Euro.

Wir dürfen nicht unsensibel oder leichtfertig sein und einfach einen Zeitpunkt, an dem einiges möglich ist, verpassen. Die Stimmung hat sich geändert und wird sich weiter ändern. Die Menschen werden wacher. Wir sollten Unseresgleichen doch auch ein bisschen was zutrauen.

Hans Fischer:

Ich möchte eine grundsätzliche Frage stellen: vielleicht kann man herausfinden, wie es den Kommunistischen Parteien Griechenlands, Portugals, Belgiens und Schwedens gelungen ist, so zu werden und so zu sein, wie sie sind?

Ich war noch nicht in Belgien, aber zweimal in Schweden. Die Kommunisten dort haben einen Sportclub, eine Fußballmannschaft, ein eigenes Haus, eine Druckerei, da ist das gesamte gesellschaftliche Leben, die Pioniere kommen aus ähnlichen Kreisen, will sagen: aus der Klasse, die Jugendlichen im Kommunistischen Jugendverband kommen aus denselben Kreisen, - ich weiß nicht genug, aber ich glaube, dass man da sehr viel lernen könnte. Und man hat den Eindruck, dass sich dort alle sehr wohl fühlen. Die Klassiker sind nicht nur die vier Köpfe, da gibt es noch mehr Köpfe, und das wird in Schwedisch, Englisch, Deutsch gedruckt, verteilt – auf den Parteitagen wird zu 30 Prozent gelacht.

Und deshalb denke ich, dass es ganz nützlich wäre, der Frage nachzugehen, warum diese Parteien so erfolgreich sind, warum sie zum Beispiel Generalstreiks auslösen können?

Ich wollte diese Idee einbringen, weil es doch bemerkenswert ist, dass sie eben nicht zerfallen, sondern immer stärker werden – und wenn ich mir die letzten Erklärungen der Griechen angucke: da gehen Dir ja die Augen über und das Herz auf.

Günther Lange, Neuenhagen bei Berlin:

Zur Darstellung der Diskussion innerhalb der DKP im Vorfeld des Parteitages und überhaupt zur Diskussion in der DKP muss ich zwei Dinge ergänzen: das erste ist etwas nebensächlicher: zwei Artikel hat die UZ von mir bekommen, davon ist weder etwas veröffentlicht worden, noch habe ich eine Reaktion dazu bekommen.

Die zweite Geschichte ist wichtiger: es gibt auch woanders Genossen, die sich zum beschlossenen Programm äußern, z.B. , das möchte ich herausstellen, der Genosse Hans-Günter Szalkiewicz im Berliner „Anstoß“. Hans-Günter gebraucht nicht diese klaren Definitionen wie Michael hier, aber wer seinen Artikel liest im Berliner „Anstoß“, der spürt durchaus, dass der Hans-Günter Szalkiewicz niedergeschlagen ist, dass er deprimiert ist durch die Dinge, die sich da vollzogen haben. Ich will es ein bisschen konkreter machen:

Man kann ja wohl sagen, dass Hans Heinz Holz so ein wenig eine Gallionsfigur war für die Genossinnen und Genossen, die nun wirklich ein marxistisch-leninistisches Programm  wollten. So haben das nicht nur wir Brandenburger aufgefasst. In Vorbereitung der 2. Tagung des Parteitages ist Genosse Holz hier in Berlin gewesen, um, so war mein Eindruck, hier die wirklich linke, marxistisch-leninistische Linie örtlich zu positionieren. Ich sage mal, was er erzählt hat. Am 8. 6. 05 brachte er zum Ausdruck, dass das ursprüngliche Ziel gewesen sei, einen Programmentwurf mit divergierenden Positionen bis Ende November 2004 vorzulegen. Die Tatsache, dass nun die Diskussionsgrundlage für den Entwurf zur Diskussion gestellt worden sei, sei ein Erfolg – nicht aber der Text selbst. Weiter sagte er: „Willi Gerns` Demokratievorstellungen beim Aufbau des Sozialismus waren und sind nicht konsensfähig.“ So Hans Heinz Holz am 8. 6. 05 in diesem Haus (Altes ND-Gebäude; d.Red.) einige Zimmer weiter. Weiter sagte er, dass der Teil der Genossin Nina Hager ab etwa S. 16/17 nur Versatzstücke aus früheren DKP-Dokumenten enthalte. So, wie diese hier verwendet würden, verlören sie vielfach ihren Sinn, den sie im ursprünglichen Dokument hatten. Und zu Leo Mayer: Sein „Imperialismusanteil – in Klammern Globalisierung –  ist unakzeptabel und viel zu lang.“ Er müsse auf jeden fall gekürzt werden. Und Gerns und Hager täten immer schon so, als sei das vorgelegte Dokument schon ein Programmentwurf. Dem sei aber bei weitem nicht so, denn das vorliegende Material solle nur die Programmdebatte anschieben. So Hans Heinz Holz am 8. 6. 05 auf diesem Flur.

Und deshalb waren ja viele von uns Genossinnen und Genossen in Brandenburg so verwundert, als dann plötzlich das fertig zugeschnittene Programm da war!

Aber Genosse Holz führte uns weiter in den Kampf: Am 11. 11. 05 - nicht aus Anlass des Faschings – sondern aus anderen Gründen war er wieder hier, schräg gegenüber, auf diesem Flur. Dort machte Genosse Holz klar, dass er - und man höre genau hin! -, ganz eindeutig einen konsequent marxistisch-leninistischen Programmentwurf nunmehr auch gegen jeden Widerstand anstrebt und dass er nunmehr auch selbst von unvereinbaren Standpunkten spricht! Da war vom „Ausbalancieren“, wie es noch am 20. 1. und 8. 9. 05 hieß, keine Rede mehr. Er sagte stattdessen, dass er auch mit der realen Möglichkeit rechne, dass es nicht zu einem Konsens mit den Verfechtern der „reformistischen Linie“ komme. Und schließlich verkündete er, dass er entschlossen sei, nötigenfalls einen eigenen marxistisch-leninistischen Programmentwurf vorzulegen, wozu er sich eine eigene, vom Parteivorstand unabhängige Plattform geschaffen habe. Also hier haben wir nun gedacht: jetzt geht’s los! Jetzt ist Hans Heinz Holz voll auf der Linie! Und dann erscheint „Theorie und Praxis“. Und dann muss sogar ein Patrick Köbele den Hans Heinz Holz in die Schranken weisen. Und da waren wir gebügelt.

Eine Bemerkung sei mir noch gestattet zu Rolf Priemer. Er sagt: „Wir sollten zukünftig … energischer über den Umgang mit Beschlüssen reden. … Wir müssen … das Prinzip sichern, dass Parteitags- und Parteivorstandsbeschlüsse für alle bindend sind. Einige Wenige erläutern unsere Politik vor Ort nicht im Originalton oder nur teilweise und verzerrt, interpretieren die Politik mit eigenen, subjektiven Sichtweisen und entwickeln auch Gegenpositionen zu mehrheitlich gefassten Beschlüssen.“ Der Berliner würde jetzt sagen: „Nachtigall, ick hör Dir trapsen.“ Und dann nimmt er sich den Genossen Bernd Müller aus Brandenburg vor: „Ich gehen davon aus, dass Bernd Müller das DKP-Statut kennt, denn er muss es ja bei seinem Eintritt in die DKP anerkannt haben. Wir wollen hier niemanden ungerechter Weise an den Pranger stellen, wir haben aber offen darüber zu reden, ob das DKP-Statut, ob das DKP-Programm, ob zentrale Beschlüsse für alle gelten, oder ob sich einige Wenige das Recht herausnehmen dürfen, es so zu nutzen, wie es ihnen persönlich in den Kram passt.“ Ich muss dazu sagen: Genossinnen und Genossen, es ist ja schon fast verpönt, in der DKP vom Marxismus-Leninismus zu reden. Man spürt es ja förmlich, das Unbehagen mancher kommt einem ja entgegen. Und das ist das Problem, nicht die Geltung der Parteidisziplin.

Aber da sagen dann ja einige: „Was wollt Ihr denn, es steht ja im Programm selbst, dass wir noch weiter diskutieren müssen.“ Dazu sage ich nur meine persönliche Auffassung zu dem, was kommen wird: Kritiker werden noch schärfer zurecht gewiesen werden unter noch eindeutiger, missbräuchlicher Drohung mit dem Statut. Die Schützenhilfen des Parteivorstandes in den Frontgräben und in den Basisorganisationen wird sich noch ungehemmter unter Berufung auf die Beschlusslage gegen jede marxistisch-leninistische Kritik in Stellung bringen. Und die Bewegung auf die Europäische Linkspartei zu wird nun mit Sicherheit forciert werden. Ein nicht unerheblicher Teil der Partei wird sich von der Theoriedebatte und von den Auseinandersetzungen, die damit verbunden sind, zurückziehen.

Genossinnen und Genossen, wir haben keinen Grund, uns Illusionen zu machen.

Frank Flegel, Hannover:

Ich möchte nur einen kleinen Teil von dem, was Günter Lange gesagt hat, kommentieren, und zwar die Aktion von Hans Heinz Holz, anzukündigen, dass er, wenn es „zu dicke“ kommt, einen eigenen Gegenentwurf in die Programmdebatte der DKP einzubringen bereit wäre.

Da kommt also einer wie Hans Heinz Holz und sagt (sinngemäß): „Ihr linken Kritiker, die Ihr Euch als Marxisten-Leninisten versteht, Ihr habt Recht, und wir Linken in der Partei müssen und können die Kritik zusammen entwickeln, und vielleicht können wir eine Mehrheit in der Partei finden. Ich habe da schon eine Idee und bin tatsächlich dazu bereit: ich mache, wenn nichts anderes mehr hilft, den Gegenentwurf. Ich verspreche es Euch, wenn es sein muss, mache ich das. Was heißt das? Das heißt: Ich nehme Euch das ab, ich mache das. Ihr braucht nichts tun. Und weil ich das mache, wird das der Gegenentwurf, denn der hat dann Autorität, dann vereinigen sich alle Kritiker des bisherigen revisionistischen Programmentwurfs dahinter, dann sind wir eine Macht. Lasst mich nur machen. Ihr – Ihr macht am besten nichts.

Am Ende kommt er dann an mit einem windelweichen Programm, überall in den Gruppen ist die Luft raus, kein Gegenentwurf ist entstanden, nichts Einheitliches gibt es als Gegenwehr gegen Mayer, Hager, Gerns, Täuber, Stehr und Konsorten. – und natürlich auch keinen Gegenentwurf.

Er ist durch die Lande gefahren und das Resultat ist: alles ist durchlöchert, die Wände sind eingefallen, die Energie ist paralysiert, das Programm ist geschluckt.

Und nachträglich wird es von ihm auch noch schöngeredet.

Michael Opperskalski, Köln:

Ich kann mich natürlich eine Bemerkung nicht verkneifen: als wir im Antirevisionismusheft (Sonderheft: „Der Revisionismus“) nur zwei Sätze geschrieben haben zu Hans Heinz Holz und vorsichtig nachgefragt haben, ob er nicht vielleicht zentristische Positionen vertritt, - was sind da für Kübel über uns gegossen worden. Eure Sprache ist zu hart, Ihr seid taktisch unklug! Das waren noch die geringsten Vorwürfe, ansonsten waren wir Linkssektierer, Dogmatiker, die üblichen Verdächtigen - und Stalinisten sowieso. Das war vor rund zwei Jahren, und wir haben nichts weiter gesagt als: „Vorsicht“! Mehr nicht. Wir haben gesagt, dass es zwei, drei Äußerungen gibt, die auf Bestimmtes schließen lassen. Mehr haben wir nicht gesagt – und da ist das volle Kanonenrohr abgelaufen.

Andrea Schön, Essen:

Noch ein Satz zum „Holz“-Phänomen. Also zunächst: ich bin davon überzeugt, dass es in allen Ländern, wo es in Richtung Revisionismus geht, diese „Hölzer“ gibt, also die Zentristen, die in der Lage sind, viele mit grummeldem Bauch einzufangen und zu pazifizieren. Aber ich denke, dass da auch immer zwei Seiten dazu gehören. Es gehört die Seite dazu, die verwirrt und vereinnahmt – und es gehört die andere Seite dazu, die sich verwirren und vereinnahmen lässt. Und das widerspiegelt natürlich auch den Zustand in der Partei bzw. von vielen, sie geglaubt haben, sie seine links und kommunistisch in der Partei, die sich von Holz aber haben pazifizieren lassen und das gar nicht oder zu spät erst bemerkten. Deren ideologische Prinzipienfestigkeit und deren politische Klarheit wurde damit auch in Frage gestellt, das muss man einfach sehen. Insofern ist der Schaden, den Hans Heinz Holz angerichtet hat, gar nicht so sehr auf seine Person zurück zu führen, denn Holz würde nicht wirken ohne den eben beschriebenen Zustand der Partei und ihrer Mitgliedschaft. Nun ist Holz angekommen, „zu sich selbst gekommen“, um in Adornos Sprache zu sprechen. Diejenigen, die ehrlich sind und es ideologisch noch können, werden sich jetzt neu positionieren müssen.

Michael Opperskalski, Köln:

Um so wichtiger ist es, eine eindeutige, klare Sprache zu sprechen und nicht, nur damit man etwas hat, die zentralen Punkte mittels Wischi-Waschi-Erklärungen in ihren Konturen verschwimmen zu lassen. Man muss etwas haben, woran man sich wirklich orientieren kann.

Anhang

Wolfgang Herrmann:

Brief aus Dreesch

Einige Genossinnen und Genossen hatten mich gebeten, meinen Diskussionsbeitrag auf der Wochenendschulung am 7. Mai 2006 in Helenenau zur Auswertung der 2. Sitzung des 17. Parteitages der DKP in Duisburg niederzuschreiben. Ich will das gern in der Form des Briefes aus Dreesch tun.

Wie gehen wir mit dem neuen Programm der DKP um?

Das neue Programm ist nun da. Viele von uns haben daran konkret mitgearbeitet. Mit unterschiedlichem Erfolg. Egal, was wir jetzt noch sagen, es ist so, wie es vorliegt und es so zustande gekommen, wie es zustande kam. Kein Wort der weiteren Kritik ändert etwas daran.

In der Programmdebatte habe ich viel gelernt. Ich habe erfahren, wie die DKP beschaffen ist, politisch, ideologisch und organisatorisch. Ihre Verfaßtheit widerspiegelt sich im Programm. Wer also ein besseres Programm will, der muß für eine bessere DKP kämpfen. Ansonsten ist seine Kritik am Programm keinen Pfifferling wert.

Ich habe auch erfahren, wer in der Debatte Linie wahrt und wer umkippt.

Die DKP hat sich während der Programmdebatte vorwärts entwickelt. In der gesamten Partei wurde in den vergangenen Jahren intensiv über programmatische Fragen diskutiert. Es wurde viel geklärt, jedoch nicht alles und nicht das Wesentliche. Es ist gelungen, Positionen festzuschreiben, an die weder im ersten Entwurf, noch in der Diskussionsgrundlage zu denken war. Hans Heinz Holz hat in seinem Artikel „Aufbau von Gegenmacht“ darüber geschrieben. Worüber er nicht schrieb, was mir aber notwendig erscheint, darüber will ich einige Worte sagen.

Der Hauptmangel des Programms ist die unzureichende Reflexion auf den Marxismus-Leninismus, vor allem aber auf die marxistisch-leninistische Dialektik.

Im November 1977 nahm ich in Moskau an einer wissenschaftlichen Konferenz der KPdSU anläßlich des 60. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution teil. Dort sprach unter anderem der legendäre Vorsitzende der KP Uruguays, Rodney Arismendi, über die Anwendung der marxistisch-leninistischen Dialektik im aktuellen Klassenkampf.

Er meinte: „Je weiter der weltweite Kampf der Arbeiterklasse voranschreitet, desto gründlicher und exakter muß der Marxismus-Leninismus als Wissenschaft gehandhabt werden:“

Das sagte er auch an die Adresse der KPdSU, die mit Ponomarjow und Suslow vertreten war.

Aus der oberflächlichen Anwendung der marxistisch-leninistischen Dialektik auf das neue Programm der DKP folgen alle anderen Unzulänglichkeiten. Eine davon ist die mangelhafte Beachtung der Dialektik des Grundwiderspruchs, des Verhältnisses von Kapital und Arbeit. Wie oft hören wir heute, daß es keine Arbeiterklasse und demzufolge keinen Klassenkampf mehr gäbe. Wer den Klassenkampf leugnet, leugnet den Grundwiderspruch des Kapitalismus. Kapital und Arbeit haben Subjekte, die als Klassen auftreten, als antagonistische Klassen. Und ihr Kampf ist antagonistischer Klassenkampf. Wer also das Kapital zu transnationalem Kapital umfunktioniert, der verlagert den Klassenkampf in transnationale Ebenen. Er rückt ihn damit außerhalb der Ebenen, in denen er stattfindet und wo die DKP die Arbeiterklasse organisieren und mobilisieren muß.

Eine zweite Unzulänglichkeit ist die Nichtbeachtung der marxistisch-leninistischen Dialektik von Klassenkampf und Sozialismus. Der Sozialismus ist das nächste Ziel der Arbeiterklasse im Kampf für ihre Befreiung. Wenn sie den antagonistischen Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit aufheben will, dann muß sie für ihre Machtergreifung, für den Sozialismus kämpfen. Das unterscheidet ja gerade unsere Sozialismusvorstellungen von denen anderer. Sie sind wissenschaftlich begründet – wissenschaftlicher Sozialismus eben – und nicht utopisch, bürgerlich oder demokratisch verwässert.

Wer also in einem Programm seine Sozialismusvorstellungen dem realen Sozialismus – dem Sozialismus, der in Europa eine Niederlage erlitt – gegenüberstellt, der leugnet, daß der reale Sozialismus Sozialismus war. Damit wird verkündet, daß der eine Sozialismus beendet ist und der Kampf um den anderen Sozialismus – dem nach den Vorstellungen der DKP – neu beginnt. Das wiederum würde bedeuten, der Klassenkampf ist beendet und er beginnt neu. Auch die Epoche des weltweiten Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus wäre beendet und es begänne eine neue Epoche.

So ist das aber nicht. Die weltweiten Klassenauseinandersetzungen zeigen in der Praxis etwas anderes. Wer also die marxistisch-leninistische Dialektik beachtet, der kommt zu dem Schluß, daß sich Sozialismusvorstellungen einer kommunistischen Partei auch auf die Erfahrungen des realen Sozialismus gründen müssen.

Das undialektische Herangehen führt dann auch folgerichtig zu eklatanten Fehlleistungen im neuen Programm. Auf zwei will ich eingehen.

Zum einem werden dem realen Sozialismus Verbrechen angelastet. Wir verhehlen nicht, daß es Abweichungen gab.

Und dann folgt der Hammer: Diese sogenannten Verbrechen werden damit begründet, daß die erste sozialistische Revolution in einem rückständigen Land stattfand. Diese Rückständigkeit wird auf die Länder Osteuropas übertragen. Das würde im Umkehrschluß bedeuten, daß nur entwickelte kapitalistische Länder die sozialistische Revolution durchführen dürfen. Sie hätten so zu sagen das Privileg, den Sozialismus ordentlich aufzubauen. Es wäre also gesetzmäßig, daß jede sozialistische Revolution in einem rückständigen Land zu Deformationen, Fehlern und Verbrechen führte.

Wer so herangeht, der leugnet, daß Revolutionen revolutionäre Situationen vorangehen, daß die Kette zuerst an ihrem schwächsten Glied bricht, wie Lenin das begründete. Sollen die Länder Lateinamerikas erst auf die Revolutionen in den entwickelten kapitalistischen Ländern warten? Sie müßten länger warten, als sie wollen.

Eine dritte Unzulänglichkeit ist das Fehlen der Analyse der Klassenkräfte. Bei aller Notwendigkeit der Bündnisse. Der DKP muß es zuallererst um die Arbeiterklasse gehen. Kommunisten gehen in Bündnisse, um andere Kräfte für ihr Ziel und ihren Weg zu gewinnen. Sie tragen ihre Positionen in die Bündnisse. Sie holen nicht die Positionen anderer in ihre Partei. Und nun setzt wieder die Dialektik ein. Je stärker die DKP in der Arbeiterklasse verankert ist, je besser sie die Arbeiterklasse organisiert und mobilisiert, desto überzeugender werden ihre Positionen in Bündnissen.

Damit sind wir bei einer vierten Unzulänglichkeit. Es geht um die Dialektik zwischen Arbeiterklasse und Partei. Der kommunistischen Partei kommt nicht die führende Rolle zu, weil sie das gerade so will. Die führende Rolle der KP hängt mit der historischen Mission der Arbeiterklasse zusammen. Die führende Rolle der Partei ist kein Anspruch, sondern Leistung.

Die führende Rolle der KP ergibt sich aus ihrer Stellung zur Arbeiterklasse. Sie führt, weil die Arbeiterklasse die Klasse ist, die als soziale Kraft auf der einen Seite des Grundwiderspruchs des Kapitalismus – der Arbeit – auftritt. Sie führt, weil nur die Arbeiterklasse in der Lage ist, diesen Grundwiderspruch aufzulösen. Dazu muß sie die Macht der Kapitalistenklasse stürzen und ihre eigene errichten. Die Partei ist also für ihre Klasse da, nicht umgekehrt.

Was müssen wir nun tun?

Erstens können wir das Programm handhaben. Seine Schwächen müssen uns nicht hindern, politisch-ideologische Arbeit zu leisten.

Zweitens müssen wir gute politische Arbeit leisten und die Grundorganisationen stärken. Wenn wir das Programm ändern wollen, dann müssen wir die Partei ändern.

Drittens muß sich unser Landesverband weiter formieren. Vor allem muß an der Verbesserung des theoretischen Niveaus gearbeitet werden. Nach der Programmdebatte sollten wir unseren Beitrag zum Beheben der genannten Schwächen des Programms leisten, vor allem beim Aufdecken der Ursachen für die Niederlage des Sozialismus in Europa.

Wolfgang Herrmann,
Grünow


Hans Heinz Holz:

Das neue Programm der DKP

1993 wurden auf dem Mannheimer Parteitag die „Thesen zur programmatischen Orientierung der DKP“ verabschiedet. Damals war klar, dass sie der Vorbereitung eines neuen Parteiprogramms dienen sollten, das an die Stelle des 1978 in Mannheim beschlossenen Programms zu treten hatte. Die Veränderung der Weltlage durch den Zusammenbruch des Systems der sozialistischen Gesellschaften in Osteuropa erforderte eine Neuorientierung von Teilen des Programms.

Dass die Programmdiskussion in der Partei 13 Jahre dauern würde, war nicht vorherzusehen. Natürlich spiegelt sich darin die Schwierigkeit, die sich neu formierenden Widersprüche des spätkapitalistischen Gesellschaftssystems korrekt zu erfassen, spiegelt sich auch die ideologische Unsicherheit nach der Niederlage von 1989 – nach 70 Jahren machtvollem Sowjetstaat und 40 Jahren sozialistischem Aufbau in der DDR. Dennoch möchte ich die sich lang hinziehende und zuweilen mit scharfer Polemik geführte innerparteiliche Debatte mit einem positiven Vorzeichen versehen: Die DKP hat – als einzige deutsche Partei – sich mit Eifer darum bemüht, ihre Programmatik nicht aus soziologischen Allgemeinplätzen und wohlmeinenden Wunschvorstellungen zusammenzustückeln, sondern aus wissenschaftlicher Analyse der Gegenwart und den realen und denknotwendigen Möglichkeiten der Zukunft abzuleiten. Die DKP hat den Anspruch eingelöst, Politik auf dem Boden des wissenschaftlichen Sozialismus zu machen.

Richtungsgegensätze

Dass es dabei zu Verschiedenheiten in der Einschätzung des heutigen Imperialismus, in der Bewertung der Leistungen und Fehler beim Aufbau des Sozialismus, in den Erwartungen an die Verfassung eines zukünftigen Sozialismus und folglich auch in strategischen Konzeptionen des politischen Kampfes gekommen ist, liegt in der Natur der Uneinheitlichkeit der imperialistischen Expansivität. Je nachdem, ob man die eine oder andere Tendenz als vorherrschend betrachtet, ergeben sich abweichende, ja gegensätzliche Auffassungen. Dass diese im Programm nicht unberücksichtigt bleiben können, wenn die Partei zwar Richtungsdifferenzen akzeptiert, aber den Zerfall in Strömungen und Fraktionen verhindern will und muss, versteht sich von selbst.

Für die Programmautoren, für den Parteivorstand, die Programmkommission und den Parteitag war es unabdingbar, die Einheit der Partei zu erhalten und zu festigen. Für jeden Kommunisten bedeutet das, die Grundlagen der seit Marx, Engels und Lenin erarbeiteten gesellschaftspolitischen Einsichten und Ziele auch da gemeinsam festzuhalten, wo in Einzelfragen Differenzen bestehen. Ich möchte darum auch nicht davon sprechen, dass die schließlich formulierte Fassung des Programms, zu der Hunderte von Anträgen der organisatorischen Einheiten der Partei beitrugen, ein Kompromiss sei. Das Programm schreibt die unverzichtbaren Prinzipien  kommunistischer Theorie und Praxis fest und macht ungeklärte Fragen dadurch kenntlich, dass sie als Aspekte benannt werden und nebeneinander stehen bleiben. Wenn von Kritikern eingewandt wird, dass dies Widersprüche beinhalte, so muss man dem entgegnen: für den Dialektiker ist die Wirklichkeit durch Widersprüche bestimmt, und unaufgelöste Widersprüche als solche stehen zu lassen, ist realistisch. Das ist kein Kompromiss. Kompromisse gibt es nicht in Wahrheitsfragen, sondern nur in Handlungsentscheidungen.

Die Grundsätze des Programms

Klar und an mehreren Stellen heißt es: Die Partei ist „die revolutionäre Partei der Arbeiterklasse“, die „als politisch bewusster und ständig weitertreibender Teil der Bewegung“ wirkt. Sie hat ihr „wissenschaftliches Fundament in der Theorie von Marx, Engels und Lenin“. Ihr Ziel ist der Sozialismus/Kommunismus, bzw. der Sozialismus als erste Phase der kommunistischen Gesellschaftsformation. Als Voraussetzung dafür will sie „gesellschaftliches Eigentum an den Produktionsmitteln und Planung der Produktion“ herstellen.

Vom Imperialismus wird gesagt, dass es sich bei dem, was man heute Globalisierung nennt, um „einen neuen Schub imperialistischer Internationalisierung“ handelt, „ohne sein Wesen zu verändern“. Und was das Wesen des Imperialismus ist, wird mit einem ausführlichen Lenin-Zitat präzisiert.

Die mehrschichtigen Widersprüche zwischen den transnationalen Kapitalien, dem nationalen Monopolkapital und dem nichtmonopolistischen Kapital werden auseinander gehalten und auf den Grundwiderspruch von Kapital und Arbeit bezogen. Die Aggressionspotentiale der Imperialisten gemeinsam gegen die ausgebeuteten Länder und untereinander im Konkurrenzkampf um Anteile am Weltmarkt werden als charakteristisch für die Epoche geschildert (auch wenn der theoretisch umstrittene Epochenbegriff nicht vorkommt). Der deutsche Imperialismus in seinen wirtschaftlichen und militärischen Aspekten mit dem Streben nach Machtentfaltung in den Rivalitäten zwischen den imperialistischen Metropolen wird als gefährlich gekennzeichnet. Die Rolle des Staates als Herrschaftsinstrument der Bourgeoisie und zugleich als Feld des Klassenkampfes ist entsprechend den Einsichten marxistischer Staatsrechtslehrer formuliert. Der „Neoliberalismus“ wird als „Ideologie und Politik“ im Rahmen der gegenwärtigen Phase des staatsmonopolistischen Kapitalismus seines Anspruchs entkleidet, eine neue Stufe gesellschaftlicher Entwicklung zu sein.

Kommunistische Kontinuität und Identität

Ausführlich werden die Leistungen des Sozialismus in der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Staaten gewürdigt. Mehrfach wird die Verbundenheit der DKP mit der DDR und der SED hervorgehoben. Ausdrücklich wird gesagt, die DDR gehöre „zu den größten Errungenschaften der deutschen Arbeiterbewegung“ und sei „Teil des humanistischen Erbes in Deutschland“. Die Niederlage des Sozialismus wird im Zusammenhang der schwierigen Aufbaubedingungen und der daraus entspringenden objektiven Widersprüche, der äußeren Bedrohung und Subversion, der wirtschaftlichen Erpressung und der harten internationalen Klassenauseinandersetzungen und des schließlichen „Überhandnehmens revisionistischer Kräfte“ gesehen, differenziert betrachtet und nicht einseitig auf die „Fehlerdiskussion“ eingeschränkt.

Dem Reformismus wird eine klare Absage erteilt. „Die revolutionäre Überwindung kapitalistischer Eigentums- und Machtverhältnisse“ finde in „Klassenauseinandersetzungen“ statt. Es wird festgehalten, dass „die antimonopolistische und sozialistische Umwälzung miteinander verbundene Entwicklungsstadien in dem einheitlichen revolutionären Prozess des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus sind“. „Antimonopolistische Umwälzung bedeutet eine Periode des revolutionären Kampfes.“

Die Betonung der Bündnisfähigkeit und Bündnisstrategie der DKP schließt die Selbständigkeit ein: Von anderen linken Parteien und Organisationen unterscheidet sich die DKP in weltanschaulichen Positionen, ihrem Parteiverständnis, in der Programmatik, im Verständnis von Reform und Revolution und deshalb teilweise auch in der praktischen Politik.

Mehr kämpferisches Selbstbewusstsein!

Das verabschiedete Programm ist nicht mehr dasselbe wie der erste Entwurf. Die Partei hat durch die Fülle der Anträge zu dem Autorenentwurf vor dem PV-Beschluss und dann noch einmal in der kurzen Frist zwischen PV-Beschluss und Parteitag Akzente gesetzt, die den klaren Kern unserer marxistisch-leninistischen Weltanschauung herausheben. Das Programm bestimmt nun den Boden, auf dem Richtungsdifferenzen ausgetragen werden müssen; und es bestimmt ihn so, dass revisionistischen Tendenzen ein Riegel vorgeschoben wird.

Gewiss hätten manche Aussagen präziser formuliert und offensiver vorgetragen werden können. Der auch von mir in meinem Parteitagsbeschluss beklagte defensive Ton des Programms ist Ausdruck der noch nicht überwundenen Schwäche der Partei. Es besteht Einigkeit darüber, dass eine intensivierte und inhaltlich wohlgeplante Entwicklungsarbeit, unterstützt durch Anstren-gungen der Theorie-Kader, ein dringendes Bedürfnis ist und einen Schwerpunkt in der nächsten Zeit der Parteiarbeit darstellen muss.

Denn jede Schwächung birgt die Gefahr opportunistischer Anpassung an modische Theorietendenzen und verwaschene (und daher unbeständige) Proteststimmungen. Aus solcher Schwäche mögen, wie die Geschichte der kommunistischen Bewegung zeigt, auch Neigungen zu revisionistischen Positionen hervorgehen. Die Grundzüge des Programms verbürgen dagegen eine stabile Parteilinie auf der Grundlage unserer marxistisch-leninistischen Weltanschauung und Wissenschaft.

Die Partei definiert ihr politisches Ziel als revolutionären Bruch mit den kapitalistischen Eigentums- und Produktionsverhältnissen, als Errichtung einer kommunistischen Gesellschaft mit dem Sozialismus als erster Phase, als Bewältigung der im historischen Prozess auftretenden Widersprüche in Kontinuität mit der Geschichte der kommunistischen Bewegung und in ihrer kritischen Überprüfung, als Solidarität mit den Befreiungskämpfen der unterdrückten und ausgebeuteten Völker. Sie benennt die Rahmenbedingungen des Sozialismus: Gesellschaftliches Eigentum, gesellschaftliche Planung, öffentliche Kontrolle, Verteidigung des sozialistischen Aufbaus gegen die Konterrevolution, Inhalte sozialer statt formalrechtlicher Demokratie.

Einheit der Partei

In praktischen Fragen wird es auch auf dieser gemeinsamen Grundlage, die für die deutschen Kommunisten nun verbindlich ist, nach wie vor Differenzen geben. Eine der Aufgaben der Parteiführung wird es sein, zu vermeiden, dass sich nach den in der Programmdiskussion aufgerissenen Gräben nun aus den Differenzen in der alltäglichen politischen Praxis Strömungen entwickeln, die die Partei in “Lager“ auseinander treiben. Die Einheit der Partei ist absolutes Prinzip der Handlungsfähigkeit und Stärke. Einheit ist aber – das hat Lenin immer wieder betont – „Einheit der Gegensätze“. Es kommt also darauf an, die in der Programmdebatte hervorgetretenen Gegensätze nicht administrativ zu regulieren, sondern kooperativ zu integrieren. Dafür trägt das Sekretariat, das doch wesentlich aus einer Richtung dominiert ist, eine hohe Verantwortung.

Hans Heinz Holz,
dankend übernommen aus: „Theorie und Praxis“,
Ausgabe 6, August 2006


ANMERKUNGEN:

  1. Diese Aussagen Leo Mayers sind nachzulesen bei: Kurt Gossweiler, Lenin oder Kautsky? in Heft 5/2003 der Marxistischen Blätter.

  2. Es heißt ja auch, dass Lenin, der Leninismus mit der NÖP endet. Mit einer Korrektur in der Politik , was wohl eher für die NÖP stimmt, endet der Leninismus. Was war dieser noch mal? - Er war der zur Praxis gebrachte Marxismus. Also die NÖP = der angewandte Marxismus. Ein die Planung der Produktion "ersetzender" innerrussischer Praxisbezug. Na bitte, man hat doch einen praktischen Lenin.

  3. Die historische Erweiterung kann nur nach vorn, in die Zukunft gehen.

  4. Ich meine, wie schon im "Offen-siv"-Sonderheft 2/06 erklärt, den Sozialismusteil des Programms der DKP.

  5. Genauer ziehen sie sich ja schon seit beinah einem Jahrhundert eintönig durch die Arbeiterbewegung.

  6. Hervorgehoben sei allerdings die von Parteilinken initiierte Zeitschrift „Theorie und Praxis“ in der wertvolle Texte auch zur konkreten Politik zu finden sind. Auf den Parteitag scheint sie aber keine nennenswerte Wirkung gehabt zu haben. Die Notwendigkeit ihres weiteren Erscheinens bleibt hiervon unberührt.

  7. Fällt denn eigentlich keinem Vertreter dieser Ultraimperialismus-Linie auf, wie absurd die Vorstellung ist, einstmals möge ja Lenin gegen Kautsky Recht gehabt haben - denn niemand in der DKP würde dies für Lenins Zeit in Abrede stellen -, nun aber, im neuen Imperialismus, bekomme plötzlich Kautsky gegen Lenin recht? Verliefe Geschichte so, wäre sie keine dialektisch Vernunft entfaltende mehr, sondern ein sinnloser Treppenwitz, mit dem sich näher zu beschäftigen nichts taugte.

  8. Dies und alle weiteren Zitate sind dem Programm der DKP entnommen. Zur These sei bemerkt, Kapital kann nur im Produktionsprozeß, nur als produktives Kapital sich verwerten: nur hier, in der Ausbeutung der Arbeitskraft der Produzenten entsteht Mehrwert, verwertet sich Kapital. Niemals in der Spekulation, in welcher die Kapitalisten untereinander sich um schon aus den Proletariern herausgeschlagnen Mehrwert ‚erleichtern’. Sie ist kein Instrument der Kapitalverwertung, am allerwenigsten ein zentrales.

  9. Vgl. Hermann Jacobs, Über den Sozialismus und die DKP, offen-siv Nr. 3/2006

  10. Völlig rätselhaft, wie man derlei annehmen, und noch immer für etwas kämpfen kann, daß bei seiner ersten Realisierung über sieben Dekaden nicht übers bloß Embryonale sich zu erheben vermochte. Wäre ich von so etwas überzeugt, ich legte die Hände in den Schoß und wartete auf den Messias. Das wäre dann nämlich aussichtsreicher.

  11. Erinnert sei an Atomwaffen-Merkel, die Chirac zustimmte, Frankreich könne den Terrorismus unterstützende Länder nuklear und präventiv vertilgen, und die dennoch von allen geliebt wird. Erinnert sei weiterhin an den Bund der Sudetendeutschen, die jüngst unter dem Motto „Vertreibung ist Völkermord“, recht lebendig diese Behauptung prompt Lügen strafend, tagten, wobei jedes von der Presse abfotografierte Gesicht die Redewendung von der häßlichen Fratze des Imperialismus mit neuem Leben erfüllte. Erinnert sei zuletzt an die so armselige wie entsprechend omnipräsente Plapperpuppe des Antikommunismus, den unverwüstlichen Hubertus Knabe („Hohenschönhausen ist das Dachau des Kommunismus“) und die eben verflossene Fußball-WM, durch deren Stadien, wenn die Auswahl der BRD nicht spielte, es lauthals in Sprechchören schallte: „Wer ein Deutscher ist, steht auf! Wer ein Deutscher ist, steht auf! Wer ... etc“ - und die sämtlich Geistesschwachen standen auf. Angesichts dieses konzentrierten, gutgelaunt grinsenden Schwachsinns, der in keinem imperialistischen Land mit ähnlicher Unappetitlichkeit zu finden, ist das DKP-Programm eben wirklich ein revolutionärer Hort der Vernunft.

  12. Wohlgemerkt: es geht hier um Reformen innerhalb des kapitalistischen Systems. Seltsam, warum sich Kommunisten ins Programm schreiben sollten, mündig mit ihrem kapitalistischen Staat sich identifizierende Bürger heranzubilden. Als Kommunist, Antagonist aller bürgerlichen Verhältnisse, sollte man es doch eigentlich, frei nach Marx, auf die Zerschlagung der bürgerlichen Staatsmaschine, satt auf die Züchtung kritischer Patrioten abgesehen haben, die ihre einfältige Nationalhymne um so begeisterter absingen werden, je freier die kapitalistischen Verhältnisse ihnen ein Kritisieren gestatten. Jedenfalls werfen ungebildete Muschiks sich oft entschiedener in eine Revolution, als kritisch mündige Staatsbürger, die bildungsbegüterten Trottel des Mittelstands - durch die ja doch nur Privateigentum und Großkapital bauchrednern - die immer wachsam sind, daß bei allem Kritisieren die geheiligten, verfassungsmäßigen Verhältnisse nicht angetastet werden.