Zeitschrift für Sozialismus und Frieden 01/07

Herausgeber: Verein zur Förderung demokratischer Publizistik (e.V.)

Spendenempfehlung: 3,00 €


Ausgabe Januar / Februar 2007


Inhalt


Freundeskreis „offen-siv“

 „Freundeskreis der Zeitschrift offen-siv“ – Aufruf zur Gründung

Die Zeitschrift „offen-siv“ veröffentlicht unverzichtbare historische Analysen und wichtige Dokumente. Sie macht diese für die aktuelle Situation nutzbar und verbreitet zum gleichen Zweck wichtige internationale Berichte, Aufrufe und Fakten. Die Zeitschrift „offen-siv“ deckt bedingungslos die aktuelle Entwicklung des Imperialismus auf und sie analysiert ebenso bedingungslos den Zustand der aktuellen linken und kommunistischen Bewegung. Sie führt die Debatte über das sozialistische Ziel vor allem auf der bisher sehr vernachlässigten Ebene der Ökonomie. Sie lässt sich bei all ihren Aktivitäten vom Marxismus-Leninismus leiten und verteidigt ihn sowohl gegen seine traditionellen wie auch gegen seine aktuellen, modisch getarnten Gegner. In diesem Sinne organisiert die Zeitschrift „offen-siv“ eine systematische, marxistisch-leninistische Grundlagenbildung in Form eines Fernstudiums.

Mit all dem leistet sie einen unverzichtbaren Beitrag zur Entwicklung der Einheit der Kommunisten auf marxistisch-leninistischer Grundlage.

Möglich ist das alles nur, weil „offen-siv“ von revisionistischen und/oder opportunistischen Kräften unabhängig und von diesen nicht erpressbar ist. Soll diese Unabhängigkeit und damit die Qualität der Arbeit auch in Zukunft erhalten bleiben, ist eine solidere finanzielle Absicherung notwendig als bisher.

Deshalb rufen wir dazu auf, den „Freundeskreis der Zeitschrift offen-siv“ zu gründen!

Es unterzeichnen diesen Aufruf und bitten Euch um Mithilfe:

Prof. Dr. Zbigniew Wiktor, Hochschullehrer, Wroclaw, Polen // Ph.Dr. Josef Skála, Mitglied der KSCM (Kommunistische Partei Böhmens und Mährens), Prag, Tschechische Republik // Lisl Rizy, Herausgeberin der österreichischen „Neuen Volksstimme (nvs)“ Mitbegründerin der „Kommunistischen Initiative“, Wien, Österreich // Dr. Eva Ruppert, Pädagogin, Bad Homburg, Bundesrepublik Deutschland // Manik Mukherjee, Mitglied des Socialist Unity Center of India, Calcutta, Indien // Robert Medernach, Luxemburg in Luxemburg // Michael Lucas, Chefredakteur von „Northstar Compass“, Präsident des „Council for friendship with the soviet people“, Toronto, Kanada // Dr. Günther Lange, Mediziner, Klinikleiter a.D., Neuenhagen, Bundesrepublik Deutschland // Milan Krajca, Vorsitzender des verbotenen kommunistischen Jugendverbandes der Tschechischen Republik, Prag, Tschechische Republik // Mohammed Khalequzzaman, Mitglied der Socialist Party of Bangladesh, Dakka, Bangladesh // Prof. Dr. Ulrich Huar, Hochschullehrer a.D., Publizist, Berlin, Bundesrepublik Deutschland // Dr. Kurt Gossweiler, Historiker, Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR, Faschismus- und Revisionismusforscher, Berlin, Bundesrepublik Deutschland // Thanassis Georgiou, Mitglied der KKE, Berlin und Athen, Bundesrepublik Deutschland/Griechenland // Prof. Dr. Hans Fischer, Fregattenkapitän a.D., Träger des Nationalpreises für Wissenschaft und Technik und der Gauss-Medaille der DDR, Aktivist der Cuba-Solidaritätsbewegung, Berlin, Bundesrepublik Deutschland // „Etudes Marxistes“, Zeitschrift des Instituts für marxistische Bildung, Brüssel, Belgien // Prof. Dr. Erich Buchholz, Rechtswissenschaftler und Rechtsanwalt, Berlin, Bundesrepublik Deutschland.

Kontakt:
Andrea Vogt,
Tel u. Fax: 0351 – 41 79 87 91,
Mail: freundeskreis@offen-siv.net

Treuhandkonto:
Frank Flegel,
Nr.: 39 00 94 99 64,
Sparkasse Hannover,
BLZ 250 501 80

Redaktionsnotiz

Wir legen Euch zum Jahresbeginn ein prall gefülltes Heft vor.

Es geht an viele Schauplätze des Klassenkampfes. Wir bemühen uns um Hintergründe und Analysen zu Nicaragua, Venezuela und Mexiko, zeigen Tendenzen des deutschen Imperialismus auf, machen uns selbstverständlich auch wieder Gedanken über den Zustand der Linken in Deutschland, diesmal am Beispiel der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin mit ihrem neuen Gedenkstein „Den Opfern des Stalinismus“, wir bringen die Analyse des Niedergangs der Volksrepublik Polen zum Abschluss, haben interessante „Gedanken zur Zeit“ ins Heft aufgenommen – und wollen doch einen Artikel ganz besonders hervorheben: Andreas Reichel über die Rohstoffbasis der DDR und, das ist das besonders Interessante, das Nicht-Funktionieren des RGW. Wenn man den Artikel und vor allem die Anlagen, nämlich den Brief von Ulbricht an Chruschtschow und diejenigen zwischen Honecker und Breschnew liest, kommt man aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. In der Erforschung der ökonomischen Verwerfungen im RGW und in der Aufdeckung ihrer Ursachen liegt ein bisher sehr wenig erschlossenes Erkenntnisfeld für die Bestimmung der Ursachen unserer Niederlage 1989/90, dem wir dringend mehr Aufmerksamkeit widmen müssen.

Aber weiter im Heft: In Österreich gibt es interessante Entwicklungen, über die wir berichten, ebenso freut uns, dass wir von dort einen sehr guten Artikel zum Thema Faschismus, vor allem auch zu seinen aktuellen Formen, bekommen haben.

Die Rubrik „Resonanz“ beginnen wir mit einer Antwort von Hans Heinz Holz auf unser Heft „Analysen zum neuen DKP-Programm“, welche wir aus der von ihm mit herausgegebenen Zeitschrift „Theorie und Praxis“ übernommen haben und die eine neue Kategorie in die Debatte um den Revisionismus einführt – den Mittelweg! Darauf folgen dann mehrere kritische Zuschriften – sowohl zu Hans Heinz Holz als auch zu unserer publizistischen Arbeit.

Und wie in jedem ersten Heft des Jahres bringen wir natürlich den Rechenschaftsbericht. Auch an dieser Stelle soll darauf hingewiesen sein, dass wir einen „Freundeskreis der Zeitschrift ´offen-siv´“ gründen wollen, um die finanzielle Basis unserer Zeitschrift zu stärken. Ihr findet alles Notwendige dazu im Heft.

Zum Schluss bitten wir Euch um zweierlei: um Eure Unterschrift unter den Aufruf der DKP-Berlin zur Erhaltung der Gedenkstätte der Sozialisten (hinten im Heft) – und um Spenden für „offen-siv“. Nicht vergessen: wir leben allein von Euch!

Spendenkonto Offensiv:

Inland:
Konto Frank Flegel,
Kt.Nr.: 30 90 180 146
Sparkasse Hannover,
BLZ 250 501 80,
Kennwort: Offensiv

Ausland:
Konto Frank Flegel,
Internat. Kontonummer(IBAN): DE 10 2505 0180 0021 8272 49,
Bankidentifikation (BIC): SPKHDE2HXXX; Kennwort: „Offensiv“.

Redaktion Offensiv,
Hannover

Rechenschaftsbericht und Jahresrückblick 2006

Die Zeitschrift „offen-siv“ im Jahr 2006

Gestartet sind wir mit einem schweren finanziellen Handicap in einer nicht gerade leichten politischen Situation (Stichworte: DKP-Programmdebatte, nicht gewünschte Kooperation seitens des RotFuchs, verstärkte Illusionen in die Linkspartei.PDS wegen des möglichen Zusammenschlusses mit der WASG, Spaltung der KPD in KPD und KPD(B), Erstarken des Trotzkismus und direktes Hofieren desselben durch unterschiedliche Gremien der DKP, Eroberung von Machtpositionen desselben innerhalb der WASG - und so weiter.

Natürlich war dass alles wenig angenehm. Aber wir gingen schon Ende 2005 mit einer großartigen politischen Idee schwanger: dem marxistisch-leninistischen Fernstudium. Und mitten in die eben beschriebenen eher trüben Aussichten flatterte dann Anfang des Jahres eine Anmeldung nach der anderen – und das von vorwiegend jungen bis ganz jungen Leuten. Wir bekamen wirklich zwei Lerngruppen voll und erlebten dann im Februar in Strausberg ein Startseminar, so intensiv und gut, wie wir es uns nicht haben träumen lassen. Die Zwischenseminare im Sommer und im Herbst verliefen ähnlich, wir sind weit gekommen, es gibt gute Kontakte und von der Seiten der Teilnehmer/innen inzwischen schon erste Überlegungen, wie denn der Zusammenhang über die Zeit der zwei „Lehrjahre“ hinaus aufrecht erhalten werden könnte, was man gemeinsam politisch tun kann und muss und wie Schritte zu einer größeren Einheit der kommunistischen Bewegung in Deutschland gemacht werden könnten. Das Fernstudium ist eine politisch absolut notwendige und sehr konstruktive, positive und vorwärts weisende Angelegenheit. Hier haben wir wirklich das Richtige getan.

An anderen “Baustellen“ war es schwieriger. Die Spaltung der KPD berührte auch unsere Kreise. Und da wir uns nicht ausschließlich auf eine Seite stellen konnten und wollten, verließ ein wichtiges Mitglied wegen unseres Kontaktes auch zur anderen Seite unser Herausgebergremium. Das war sehr schade. Ähnliches erlebten wir auch im Hinblick auf die DKP-Debatte. Auch hier verließ uns ein guter Genosse. Leider hat sich dadurch die Gefährdung unseres Publikationsprojektes „Lehrbuch der politischen Ökonomie“ entwickelt. Zur Zeit können wir nicht sagen, ob die geplanten Arbeiten für und bei uns zu Ende geführt werden. Die Programmdebatte der DKP selbst führte – wie zu erwarten war – zur Annahme eines unsäglichen Programmes. Interessant war in dem Prozess nicht das Verhalten der offen revisionistisch bis fast schon sozialdemokratisch auftretenden Leute vor allem aus den Leitungsgremien der DKP, denn das war man ja schon gewöhnt, interessant war vielmehr, dass für die vermeintlich „links“ orientierten, aber schon länger zentristisch handelnden Personen der Spielraum immer geringer wurde und sie dadurch in die Situation gerieten, sich entscheiden zu müssen – und sie entschieden sich dafür, ein im Grunde pluralistisches, weil sich innerlich widersprechendes und somit nicht marxistisch-leninistisches Programm zu unterstützen, sie entschieden sich also nach rechts. Das brachte nicht bei vielen, aber doch bei einigen Genossinnen und Genossen mehr Klarheit über die Verhältnisse. Allerdings, das soll hier auch angemerkt sein: es war alles unendlich mühsam.

Die Hypothek unseres erheblichen Fehlbetrages aus 2005 drückte uns weiterhin und so kam es zu unterschiedlichen Überlegungen, wie denn die Finanzierung der Zeitschrift auf eine solidere Grundlage gestellt werden könnte. Schließlich entstand die Idee, zusätzlich zu unserem vor allem politisch und juristisch wichtigen Herausgebergremium, dem „Verein zur Förderung demokratischer Publizistik e.V.“, einen „Freundeskreis der Zeitschrift ´offen-siv´“ zu gründen, in dem sich Genossinnen und Genossen zusammenfinden, die es wertschätzen, dass es die Zeitschrift „offen-siv“ gibt und die bereit sind, dafür einen regelmäßigen Beitrag aufzubringen, wie hoch er auch sei. Wenn dadurch ein finanzieller Hintergrund entstehen könnte, der helfen kann, über akute Notlagen hinweg zu kommen oder sonst eventuell unmögliche, aber interessante politische Projekte (Konferenzen, Buchproduktionen, Forschungsarbeit u.a.m.) zu ermöglichen, wäre das Ziel erreicht. Wir bitten Euch alle, darüber nachzudenken, ob und wie Ihr dieses Vorhaben unterstützen könntet: Kennt Ihr jemanden, der Mitglied im „Freundeskreis“ werden könnte, wärt Ihr selbst bereit, in den „Freundeskreis“ einzutreten (was – nebenbei bemerkt – zu keinerlei öffentlicher Präsentation der Namen führen wird), kann eine Gruppe sich vorstellen, einen regelmäßigen Beitrag zu entrichten, könnt Ihr Euch vorstellen, einmal im Jahr einen Stand durchzuführen, dessen Erlös an den Freundeskreis geht…? Der Möglichkeiten gibt es viele. Wir hoffen auf Euch, denn  wir brauchen Euch.

Freundeskreis Offensiv:

Andrea Vogt,
Tel u. Fax: 0351 – 41 79 87 91,
Mail: freundeskreis@offen-siv.net

Redaktion und Geschäftsführung Offensiv,
Hannover


Realisierte Hefte in 2006

Januar-Februar 2006: Geschichte des Sozialismus, Treffen kommunistischer und Arbeiterparteien in Athen, Solidarität mit dem Kommunistischen Jugendverband der Tschechischen Republik (KSM), Rechenschaftsbericht u.a.m. 60 Seiten.

März-April 2006: Schwerpunkt Geschichte und Klassenkampf. Fernstudium, Cuba, Europäischer Imperialismus, Beiträge zur Geschichte und zur politischen Ökonomie des Sozialismus, Solidarität mit dem KSM, Diskussionen und Leserbriefe u.a.m. 116 Seiten

Mai-Juni 2006: Grundgesetz der BRD, Diskussion über die politische Ökonomie des Sozialismus zwischen K. Gossweiler und E. Rosznyai, kommunistische Bewegung in Österreich, Resonanz u.a.m. 60 Seiten.

Juli-August 2006: Zur israelischen Aggression im Libanon, Cuba, Faschismus und Antifaschismus, Geschichte des Sozialismus, Fragen der Übergangsperiode, Fernstudium, Leitsätze des RotFuchs, Resonanz u.a.m. 60 Seiten.

September-Oktober 2006: Kirche, Faschismus und Konterrevolution, KKE zur internationalen Lage, Geschichte Volkspolens 1. Teil, 50 Jahre KPD-Verbot, DKP nach dem Programmparteitag, Gerhard Feldbauers Austritt aus dem RotFuchs-Förderverein, Resonanz u.a.m. 60 Seiten.

November-Dezember 2006: Cuba im Vergleich mit der BRD, Lateinamerika, Probleme der Einheit, Trotzkismus, Antideutsche, Mexiko, Österreich, Geschichte Volkspolens 2. Teil, konterrevolutionärer Putsch in Ungarn 1956, KKE zur Frage der Partei, politische Ökonomie des Sozialismus, Fernstudium u.a.m. 100 Seiten.

Sonderheft: Ulrich Huar, Marx und Engels über koloniale Befreiungskriege und den Emanzipationskampf der Arbeiterbewegung; Lenin über die sozialistische Revolution in Russland und die Völker des Ostens. 56 Seiten.

Sonderheft: Hermann Jacobs, Über den Sozialismus und die DKP. Aus Anlass des neuen Programmentwurfs der DKP. 52 Seiten.

Sonderheft: Ulrich Huar, Wider die Reinkarnation der faschistischen Präventivkriegslüge. Literaturstudie und Dokumente. 84 Seiten.

Sonderheft: Kurt Gossweiler, Brief an Robert Steigerwald. Inclusive vorhergehender und nachfolgender Korrespondenz zwischen Kurt Gossweiler und Robert Steigerwald. 96 Seiten.

Sonderheft: Fritz Dittmar, Frank Flegel, Kurt Gossweiler, Hermann Jacobs, Andrea Schön, Arne Taube: Analysen zum neuen DKP-Programm. Protokollband der außerordentlichen Sitzung des Herausgebergremiums von „offen-siv“ zum Thema: „Das neue Programm der DKP“. Referate und Diskussionen. 60 Seiten.

11 Hefte mit insgesamt 804 Seiten.


Von wem es was zu lesen gab in der „offen-siv“ 2006

Daniel Antonini, Brandenburger Anzeiger, Otto Bruckner, Erich Buchholz, Claudio, Bischof Coch, „Das Blatt“-Hannoversche Internet-Zeitung, Dr. Dibelius, Fritz Dittmar, Edith Dökmeci, H. Eildermann, Gerhard Feldbauer, Helmut Fellner, Hans Fischer, Frank Flegel, Freundschaftsgesellschaft BRD-Cuba, Eduardo Galeano, Kurt Gossweiler, Heinz W. Hammer, Ronny Hirsch, Gerd Höhne, Heinz Hoffmann, Wolfgang Herrmann, Hans Heinz Holz, Ulrich Huar, Hermann Jacobs, Kommunistische Initiative Österreich, Kommunistische Partei Griechenlands (KKE), Kommunistische Partei des Libanon, Kommunistische Partei Syriens, KSM, Michael Kubi, Günther Lange, Klaus-Dieter Lange, Klaus Müller, Ingo Niebel, Hansi Oehme, Özgürlük Dünyasi, Redaktion Offensiv, Michael Opperskalski, Werner Pirker, Lisl Rizy, Werner Roß, RotFuchs-Förderverein, Ervin Roznyai, Ulrich Sander, Dr. Schneider, Horst Schneider, Andrea Schön, Werner Seppmann, Sekretariat des Politbüros der SED, Franz Siklosi, Socialist Unity Center of India, Sozialistische Linke Hamburg, Robert Steigerwald, Waltraud Stiefsohn, Hartwig Strohschein, Arne Taube, Roland Turba, André Vogt, Andrea Vogt, Hans Georg Vogl, Ingo Wagner, Hans-Jürgen Westphal, Ron Wiesner, Zbigniew Wiktor, Werner Wild, Tibor Zenker.


Verbreitung

Die 185 Orte in Deutschland, in denen die Papierausgabe von „Offensiv“ gelesen wird

Altlandsberg, Alt Zauc, Amtzell, Angermünde, Augsburg, Bad Bentheim, Bad Homburg, Bad Langensalza, Bad Oeynhausen, Bergen, Berlin, Bessenbach, Bischofrode, Blumberg, Bodolz, Börnersdorf, Bonn, Brandenburg, Braunschweig, Bremen, Brüssow, Buchholz, Burgdorf, Celle, Cieren, Clausthal-Zellerfeld, Cottbus, Crailsheim, Dahlen, Darmstadt, Dorfen, Dortmund, Dresden, Düsseldorf, Duisburg, Eberswalde, Edemissen, Eggersdorf, Eichwalde, Eisenach, Erfurt, Erkelenz, Essen, Estorf, Ferdinandshof, Fernwald, Frankfurt/M, Frankfurt/O, Fraureuth, Frechen, Freiburg, Friedrichsdorf, Friederichshafen, Frohburg, Gelsenkirchen, Gera, Gersdorf, Gießen, Göttingen, Goslar, Greiz, Großlehna, GroßUmstadt, Grünow, Gütersloh, Halberstadt, Halle, Hamburg, Hameln, Hamm, Han.Münden, Hannover, Hatten, Hattingen, Havelberg, Heidenheim, Heppenheim, Hermsdorf, Hess.Oldendorf, Hirschberg, Hohenahlsdorf, Hoyerswerda, Ilmenau, Jena, Kamen, Karlsbad, Kassel, Kehl-Neumühl, Kiel, Kleinmachnow, Koblenz, Köln, KönigsWusterhausen, Krefeld, Langenfeld, Leipzig, Leun, Lichtenau, Lindhorst, Lübeck, Ludwigsburg, Lüneburg, Magdeburg, Mahlow, Mainz, Marburg, Merseburg, Mönchengladbach, Möttingen, Moosburg, Mühldorf, Müncheberg, München, Münster, Neubrandenburg, Neuenhagen, Neuruppin, Neuss, Niedersayn, Nürnberg, Oberhausen, Oldenburg, Osnabrück, Paderborn, Palingen, Pforzheim, Pötenitz, Poppenhausen, Potsdam, Prötzel, Radebeul, Raesfeld, Raunheim, Ravensburg, Rechen, Recklinghausen, Reichenbach, Reut, Röschitz, Röthenbach, Ronnenberg, Rosenthal, Rossau, Rostock, Rudolstadt, Rüdersdorf, Rüsselsheim, Saarbrücken, Schlangenbad, Schönkirchen, Schwäbisch-Hall, Schwaig, Schwanebeck, Schwedt, Schwerin, Stelle-Wittenwurth, Strausberg, Stuttgart, Suhl, Thorgau, Tostedt, Trier, Tübingen, Türkenfeld, Ubstadt, Uelzen, Urnshausen, Vilsbiburg, Wächtersbach, Wandsdorf, Warin, Wedel, Weissenburg, Wernding, Wernsdorf, Wiesbaden, Wilhelmshaven, Wilkau, Winsen/Luhe, Wismar, Wittenau, Wollin, Woltersdorf, Wuppertal, Zarrentin, Zwickau.

Die 39 Länder, in denen 'Offensiv' gelesen wird:

Australien, Belgien, Brasilien, Cuba, Dänemark, Deutschland, England, Finnland, Frankreich, Griechenland, Indien, Italien, Japan, Kanada, Kongo, Litauen, Luxembourg, Marokko, Mexiko, Neuseeland, Niederlande, Nikaragua, Norwegen, Österreich, Polen, Rußland, Schweden, Schweiz, Slowakische Republik, Spanien, Südafrika, Syrien, Tonga, Tschechische Republik, Türkei, Ukraine, Ungarn, USA, Vietnam.


„offen-siv“-online – auch 2006 eine Erfolgsgeschichte

Obwohl wir aus technischen Gründen (interne Serverumstellung) den Internet-Auftritt von „offen-siv“ erst seit dem 1. Mai 2006 statistisch auswerten können, sind die ausgegebenen Daten jedoch so eindeutig, dass der Internet-Auftriit von „offen-siv“ als Erfolgsgeschichte eingeschätzt werden kann.

Sehen wir uns vor diesem Hintergrund einmal die „harten Fakten an“. Insgesamt haben seit dem 1.5.2006 (bis zum 31.12.2006 einschließlich) ca. 45.000 Menschen die Internetseiten von „offen-siv“ besucht. Monatlich konnte eine stetige, deutliche Steigerung festgestellt werden; von ca. 3.300 Besuchern im Mai bis auf ca. 7.800 Besucher im Dezember.

Sicherlich ist es logisch, dass die zahlenmäßig größte Zahl der Internet-Besucher aus Europa und vor allem dem deutschsprachigen Raum kommt. Etwas mehr als ein Drittel der Besucher sind aus technischen Gründen geographisch nicht einzuordnen.

Die „Hit-Liste“ der Besucher sieht in der Rangfolge bis zur Position 25 wie folgt aus: 1) BRD, 2) Österreich, 3) Schweiz, 4) Polen, 5) Griechenland, 6) Niederlande, 7) Belgien, 8) Luxemburg, 9) Europäische Universitäten, 10) Russland, 11) Italien, 12) Frankreich, 13) England, 14) Dänemark, 15) Finnland, 16) Tschechische Republik, 17) Ungarn, 18) Japan, 19) Norwegen, 20) Kanada, 21) Australien, 22) Schweden, 23) Brasilien, 24) Türkei, 25) Litauen. Aus diesen genannten Ländern sind mehrere und häufigere Besucher dokumentiert. Internetaufrufe gab es allerdings unter anderem – wenn auch nicht in der gleichen Häufigkeit – aus: Nikaragua, Mexiko, Neuseeland, Marokko, Kuba, Tonga, Vietnam oder Südafrika. Sogar ein Rechner des US-Militärs hat sich einmal ganz offen eingeklinkt.

Die weitere Auswertung des Internetauftritts bringt außerdem zu Tage: Die Zahl der gezielten Anwahlen steigt ständig, während sich die Besucher der „offen-siv“-Homepage, die über Suchmaschinen dort gelandet sind, reduzieren. Damit wird auch verständlich, dass immer mehr Besucher immer mehr Hefte oder Materialien von der Webseite herunterladen, immer öfter sogar ganze Ausgaben komplett, trotzdem hat es keinen Einbruch beim Vertrieb der gedruckten Ausgabe gegeben – ganz im Gegenteil.

Die Zahl der Besucher, die über feste Links auf anderen Webseiten zu uns gelangt ist, hat sich nur unwesentlich erhöht; dies hängt im Wesentlichen damit zusammen, dass die Zahl der Links, die auf „offen-siv“ verweisen, nicht nennenswert gestiegen ist.

Trotz der Tatsache, dass „offen-siv“ auch im Internet ausschließlich in deutscher Sprache erscheint, ist die internationale Verbreitung weiter gestiegen, obwohl bekanntermaßen Deutsch nicht gerade zu den international sehr kommunikativen Sprachen zählt.

Der Internetauftritt wurde 2006 auch immer aktueller, da die neuen Hefte sehr zeitnah ins Netz gestellt wurden. Zudem wurde das Angebot durch die Erweiterung der Homepage mit wichtigen Büchern breiter gefächert, was auch von den Internetbesuchern positiv angenommen wird und die Homepage daher ganz offensichtlich auch politisch attraktiver gemacht hat.

Bemängelt wird allerdings, dass es auf der Homepage (noch) keine gesondert und detailliert aufzurufenden Informationen zum Fernstudium gibt.


 Finanzen

Spendenaufkommen Offensiv 2006: 13.570,55 (im Vorjahr: 8.295,63 €)

Ausgaben Offensiv 2006:

Porto 3.319,55 € (im Vorjahr:   2.866,60 €)
Druck 7.725,60 € (im Vorjahr:   6.834,72 €)
Büro 340,63 € (im Vorjahr:      316,79 €)
Werbung 522,00 € (im Vorjahr:      800,40 €)
Sonstiges 189,40 € (im Vorjahr:          0,00 €)
Summe Ausgaben 12.097,18 € (im Vorjahr: 10.818,51 €)

SALDO: PLUS 1.473,37 € (im Vorjahr: MINUS  2.522,88 €)

Das Spendenaufkommen von 13.570,55 € ist zweifellos ein großer Erfolg. Nachdem wir im Jahr 2005 ein Minus von etwas mehr als 2.500,- € zu verkraften hatten, sind wir in 2006 mit knapp 1.500,- € im Plus! Gut, unter’m Strich bleiben immer noch 1.000,- € Verlust. Aber der Trend geht nach oben und das macht Mut.

Trotzdem müssen wir realistisch bleiben. So gut, wie es auf den ersten Blick aussieht, ist das Ergebnis nicht, denn es kann sich um eine so genannte „Eintagsfliege“ handeln.

Wir haben uns die Zusammensetzung der Spenden angesehen und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die 20 Personen, die die größten Zuwendungen an uns aufgebracht haben, mehr als die Hälfte der gesamten Einnahmen bestritten haben.

Die 20 größten Jahresspenden von Personen bzw. Institutionen im Jahr 2006:

Leo Kever, Köln 2.000,00 € M.O. aus K. 691,24 €
K.G. aus B. 600,00 € H.J. aus B. 570,00 €
F.W. aus R. 550,00 € U.S. aus P. 525,00 €
A.A.V. aus D. 500,00 € D.F. aus B. 300,00 €
U.H.aus B. 266,00 € Eu-V. aus B. 232,91 €
F.S. aus H. 214,80 € T.R. aus W. 200,00 €
H.L. aus N. 200,00 € K.B. aus B. 194,90 €
H.M. aus P. 188.00 € K.P. aus E. 180,00 €
R.H. aus H. 140,00 € H.S. aus M. 125,00 €
H.M. aus T. 120,00 € M.K. aus A. 110,00 €

Das sind 7.901,85 € oder 58 Prozent der gesamten Spendensumme. Zunächst: herzlichen Dank dafür. Und ganz besonders hervorgehoben werden muss Leo Kever aus Köln:

Leo, ohne Dich wäre auch dieses Jahr mit einem Minus ausgegangen. Wir danken Dir von ganzem Herzen!

Man muss es wirklich so sagen, ohne Euch „Großspender“ ginge es nicht, ohne Euch wären wir verloren. So groß der Dank an Euch ist, so bitter ist diese Erkenntnis leider auch.

Die Grundlage unserer Finanzierung ist nicht sehr breit, das macht Prognosen schwierig, und der Blick in die Zukunft bleibt unsicher. Gut, das ist nun schon 13 Jahre so – und es gibt uns immer noch. Und Finanznot ist bei linken Projekten allgegenwärtig. Aber schön ist das trotzdem nicht.

Deshalb gründen wir den „Freundeskreis der Zeitschrift ´offen-siv´“ - siehe oben. Wir bitten Euch alle um Mithilfe. Nur so wird es gehen – und wir sind überzeugt davon, dass es geht.

Freundeskreis Offensiv:

Andrea Vogt,
Tel u. Fax: 0351 – 41 79 87 91,
Mail: freundeskreis@offen-siv.net

Redaktion und Geschäftsführung Offensiv,
Hannover

Lateinamerika

Claudio:
Brief aus Oaxaca, Mexiko

Hallo Genossin Erika! Verzeih mir, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe. Doch ich musste abtauchen, um mich zu schützen. Nach dem 25.11.06 war eine regelrechte “Hexenjagd” im Gange, speziell auch gegen ausländische Aktivisten. Deshalb habe ich es vorgezogen, in einem sicheren Versteck in den Bergen etwas Zeit verstreichen zu lassen.

Der jetzige Zustand der Bewegung ist sehr stark geschwächt. Grund dafür ist:

Sowohl Rueda Pacheco, Generalsekretär der Sektion 22, als auch Marco Villanueva, Generalsekretär der Angestellten im Gesundheitssektor, haben hinter dem Rücken und geheim Verhandlungen mit der Regierung geführt, die das Streikende zum Ziel hatten. Wieder einmal hat sich bestätigt, dass der Verrat aus den eigenen Reihen kommt – von Gewerkschaftsbonzen, die am Volk vorbei nur ihre eigenen gremialen und egoistischen Interessen vertreten. Durch diese Spaltung innerhalb der Bewegung war es ein einfaches Spiel für den Staatsterror, zuzuschlagen.

Die Lehrerbasis ist nun auch untereinander tief zerstritten, denn viele von den bewussten Lehrern sehen das Streikende als großen Verrat am eigenen Volk an. Die Lehrer haben für eine jämmerlich geringe Lohnerhöhung die übergeordneten Interessen ihrer eigenen Klasse verraten. Und einigen von ihnen ist auch der politiche Preis bewusst, den sie in der Zukunft zahlen müssen, falls sie wieder Hilfe brauchen wie nach dem 14. Juni, als Tausende aus der Bevölkerung den Lehrern beistanden.

Nun haben die Lehrer eine Gehaltserhöhung und das Volk nichts als Prügel und Tote.

Das Flugblatt und die Aktion, die Ihr in Gießen organisiert habt, ist toll.

Die APPO ist momentan nur mit Aktionen beschäftigt, um die Inhaftierten zu befreien. Der faschistoide Gouverneur Ruiz und seine Mafiacamarillia trauen sich wieder, in der Innenstadt spazieren zu gehen. Fast sieben Monate lang hatten sie Angst davor, nun tun sie so, als wenn nichts passiert wäre und spielen sich als die großen Versöhner auf.

Natürlich hat sich an den ganzen sozialen Gegensätzen, die zu diesem Volksaufstand führten, nichts geändert; und deshalb ist es nur eine Frage der Zeit, wann es wieder brodelt, dann aber hoffentlich mit anderen “Gewerkschaftsführern”.

Solidarische Grüße, Claudio

(mit herzlichem Dank übernommen aus:
“Gießener Echo”,
DKP Gießen, E. Belz, Postfach 110226, 35347 Gießen,
www.dkp-giessen.de)


Ingo Höhmann:
Roja roquita - Venezuela ist rot

Caracas, 26.11.06:

„Uh-ah-Chavez no se va“ (Chavez geht nicht) und „la marea roja“ (die rote Flut) - aus hunderttausenden Mündern erklang dieser Kampfruf immer wieder an diesem Sonntag in den Strassen der Hauptstadt. Fast zwei Millionen Anhänger der Regierung konnten zu dieser letzten großen Manifestation vor dem Wahlsonntag mobilisiert werden. Mittendrin 17 Deutsche, Teilnehmer der vierten jw-Leserreise nach Venezuela. Rote T-Shirts, rote Mützen, gekleidet wie alle Demonstranten. Trotzdem, bald als Ausländer erkannt ,müssen Fragen nach dem woher und warum beantwortet werden. Die Reaktionen der Venezolaner sind meistens gleich. Händeschütteln, Schulterklopfen, Getränkeangebote und Erklärungen über die Wichtigkeit der kommenden Wahl. Die Gruppe ist noch keine 24 Stunden im Land, hat aber schon bleibende Eindrücke erhalten, die sich im Verlaufe der Reise vertiefen und bestätigen werden.

Bei der anschließenden Rundreise durch das Land konnte sich die Gruppe umfangreiche Kenntnisse über den in Venezuela ablaufenden revolutionären Prozess verschaffen. Wie funktioniert die staatliche Verwaltung? Wie wird mit öffentliche Geldern umgegangen? Besuche in einer Volksbank, einer Frauenbank, in medizinischen Einrichtungen, einer Agrargenossenschaft, auf einer Baustelle, in einer Einrichtung des Umweltschutzes schließen sich an. Alle Gesprächsteilnehmer, ob Funktionäre, Arbeiter, Bauern, Militärs, die Bewohner der Barrios, beantworten geduldig die Fragen der Reiseteilnehmer. Beeindruckend immer wieder ihre persönliche Hingabe zur Revolution. Eine praxisnahe Bestätigung der Worte Lenins: "Ideen werden zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreifen!"

Jeder dieser einzelne Begegnungen wäre ein eigener Artikel wert. 

Welche Möglichkeiten sozialistische Politik hat, wird der Gruppe beim Besuch der "Lateinamerikanischen Kardiologischen Kinderklinik" deutlich. Die Klinik ist drei Monate alt und auf das modernste Niveau eingerichtet. 1000 herzkranke Kinder sollen dort bis Ende 2007 operiert werden. Ein kleines Mädchen aus Bolivien gewinnt in sekundenschnelle die Herzen der Gruppe. Sie hat gerade Schulschluss, sie ist die einzige Schülerin in ihrer Klasse und schließt sich der Gruppe bei den weiteren Besichtigungen an. Es wird angestrebt, dass zumindest ein Elternteil während der gesamten Behandlungszeit des Kindes anwesend ist. Eine anwesende Mutter erklärt, dass Unterbringung und Versorgung für sie genauso kostenfrei ist wie die Behandlung des Kindes. Aber nach Kosten fragt die Gruppe schon lange nicht mehr. Auf einem Parkplatz Ambulanzwagen mit der Aufschrift: "Die Gesundheit ist keine Ware, sie ist Menschenrecht für alle!"

Bissige Bemerkungen zur "BRD-Gesundheitsreform" aber auch:" Wir hatten das auch schon mal."

Caracas, 03.12.06, Wahlsonntag:

Seit 03.00 ist Bewegung in der Stadt. Die Wahllokale öffnen um 06.00. Lange vor dieser Zeit stehen die Menschen geduldig und diszipliniert in den Warteschlangen.

Alle sind sich der Bedeutung dieser Wahl bewusst. Die Reisegruppe fährt am Vormittag mehrere Wahllokale ab. Laut Anordnung des Wahlrates darf an diesen Tag kein Wahlkampf mehr geführt werden. Das schließt das Tragen vom Symbolik einer Partei mit ein. Die Gruppe hält sich auch dran. In jedem Wahllokal wird ein organisierter und ruhiger Ablauf der Wahl registriert. Trotz "neutraler Tarnkleidung" wird der Charakter der Gruppe von Freund und Feind erkannt. Lächeln, die geballte Faust und die beiden gespreizten Hände (10 Millionen für Chavez) verstohlen gezeigt von den Freunden, wird ebenso durch die Gruppe beantwortet. Den Hass der rechten Opposition bekommt die Reiseleiterin zu spüren: "Ihr seid Chavistas, ihr habt ja keine Ahnung was hier vorgeht!" Er irrt. Die Gruppe hat mehr als eine Ahnung.

Am Nachmittag ändert sich das Bild in der Stadt. Die Opposition hatte von vornherein angekündigt, gegen den zu erwartenden Wahlsieg von Chavez vorzugehen. Entsprechende Pläne wurden bekannt. Die Chavistas konzentrieren ihre Kräfte an wichtigen Punkten in der Stadt. Die Anzugsordnung ändert sich auch. Rot dominiert wieder. Eins ist klar, eine "bunte" Konterrevolution wird es hier nicht geben. Die Revolution beherrscht die Straße und diese Revolution ist rot. Die Anspannung löst sich gegen 21.00 als der Wahlrat das Ergebnis verkündet und die Opposition dieses anerkennt. (s.u.: Analyse Rainer Schulze)

Die Massenmobilisierungen werden ein einziges Volksfest, Feuerwerk über den Armenvierteln, Musik und Tanz auf den Straßen. Die Reisegruppe feiert mit. Die Deutschen fallen nur durch ihre ungelenken Bewegungen auf, ansonsten gehören sie dazu. Chavez spricht vom Präsidentenpalast Miraflores aus. Die Massen hören nicht gerade andächtig zu. Wenn Worte fallen wie Venezuela, Revolution, Sozialismus, verdoppelt sich der Lärmpegel. Auch einsetzender Regen vertreibt die Menschen nicht von den Sraßen. Sie feiern den Sieg. Es gibt noch viel zu tun.

Die Frage: Wer-Wen? ist noch nicht entschieden. Ein wichtiges Zwischenziel wurde erreicht.

Übrigens, der anfangs erwähnte Kampfruf hat eine Fortsetzung: „Uh-ah-ih-Chavez es aqui“ (Chavez ist hier), „Uh-ah-uh-Chavez eres tu“ (Chavez, das bist du). Über 60% der Venezolaner haben das begriffen. Soviel zum Thema "Populismus" und "Personenkult".

Ingo Höhmann,
Berlin


Rainer Schulze:
Mehr als 7 Millionen Venezolaner unterstützen den Präsidenten - Eine Analyse des Wahlergebnisses der Wahlen vom 3.12.2006 in Venezuela

Venezuela hat momentan eine Bevölkerung von 26,025 Millionen Einwohnern. (lt. Botschaft der Republik Venezuela) Wahlberechtigt waren 16,026 Millionen Venezolaner. Davon machten 11,777 Millionen von Ihrem Wahlrecht Gebrauch, 25,94% der Wahlberechtigten blieben der Wahl fern. Gegenüber dem Referendum zur Amtsenthebung von Hugo Chavez (25.8.2004) erhöhte sich die Wahlbeteiligung von 69,92% auf 74,06% und damit auf den höchsten Wert der letzten 14 Jahre. (El Mundo, 4.12.2006)

Laut dem amtlichen Endergebnis des Nationalen Wahlrates (Consejo Nacional Electoral – CNE) haben für Hugo Chavez 7,3 Millionen Wähler oder 62,84% gestimmt, gut 3 Millionen mehr als für seinen größten Herausforderer Manuel Rosales. Gegenüber dem Abwahl-Referendum von 2004 konnten die Parteien, die Chavez unterstützen, 1,5 Millionen Stimmen mehr auf sich vereinigen (2004: 5,8 Millionen).

Absolut betrachtet wuchs auch die Zahl der Oppositionsanhänger: von 3,98 Millionen im Jahr 2004 auf 4,287 Millionen. Prozentual musste die Opposition jedoch Verluste hinnehmen: von 40,63% (2004) auf nur noch 36,9%.

Bemerkenswert an dem Triumph von Chavez ist, dass der Stimmenzuwachs in allen 24 Bundesstaaten erfolgte und er damit erstmals auch in allen Bundesstaaten gewinnen konnte. Selbst in Zulia, dem Bundesstaat, in dem sein Herausforderer Rosales amtierender Gouverneur ist, lag Chavez vorn.

Die Spannweite der Resultate reichte dabei von 77,05% (zu 22,66% für Rosales) im Bundesstaat Portuguesa bis zu 51,38% in Zulia (48,46% für Rosales).

Dennoch bleibt zu konstatieren: die Anti-Chavez-Opposition hat nach wie vor ihre Bastionen. Dies betrifft sowohl das Landesinnere als auch die Hauptstadt Caracas selbst. Zu nennen wären die größeren Städte Merida, San Cristobal oder Maracaibo, die Hauptstadt von Zulia. Hier ist der Opposition nicht nur ein absoluter Stimmenzuwachs gelungen, sondern auch ein relativer: von 51,22% in 2004 auf 52,88%.

In Caracas ist es vor allem der Osten, in dem ganz deutlich konservativ und anti-chavistisch gewählt wurde. Ein Beispiel ist der Vorort El Cafetal, in dem Chavez nur 10,95% der Stimmen erhielt, sein Gegner Rosales jedoch 88,9%.

Hier wohnen große Teile der Ober- und Mittelschicht. Obwohl beide ebenfalls vom ökonomischen Wachstum in Venezuela speziell in den letzten zwei Jahren profitierten, hat sich in ihrem Denken und Handeln nichts verändert.

Zusammenfassung:

Rainer Schulze


Wolfgang Herrmann:
Daniel Ortega hat es geschafft

Am 5. November stimmten 38 Prozent der Wahlbeteiligten in Nicaragua für Daniel Ortega von der FSLN. Von den bürgerlichen Parteien holte die Nicaraguanische Liberal-Konservative Allianz (ALN) mit Eduardo Montealegre 28,3 Prozent und die Liberal-Konstitutionalistische Partei (PLC) mit José Rizo 27,1 Prozent. Für die Sandinistische Erneuerungsbewegung (MRS) mit Edmundo Jarquín entschieden sich 6,3 Prozent. Die Frente gewann in den Departements Nueva Segovia, Madriz, Estelí, Chinandega, León, Managua, Carazo, Matagalpa und in der Autonomen Nordatlantik-Region. Die ALN eroberte Masaya, Granada und Rivas. Die PLC siegte in Boaco, Chontales, Jinotega und in der Autonomen Südatlantik-Region. Als der Oberste Wahlrat am 7. November das Ergebnis verkündete, war die Hauptstadt Managua voll von rotschwarzen Fahnen der FSLN. Die Anhänger Ortegas feierten ihren Präsident.

Es war ein langer Weg Daniel Ortegas und der FSLN zurück an die Macht, die sie 1990 bei der Wahl verloren hatten. Noch dreimal stellte sich Daniel Ortega der Wahl. Er und die FSLN wollten die Lüge der inneren und äußeren Reaktion widerlegen, daß die FSLN nur mit Waffengewalt an die Macht kommen und diese halten könne. Dafür ist er immer wieder angetreten und er hat es nun geschafft. Ein Teil des Volkes gab ihm noch einmal die Chance. Er hat mit seiner Partei das glaubhafte Projekt der Einheit Nicaraguas entworfen.

Das neoliberale Zeitalter

Als die FSLN 1990 nach der von ihr initiierten Verfassung abgewählt wurde, schien der Traum der sandinistischen Volksrevolution zu Ende gegangen zu sein. Nach 11jährigem Kampf gegen das USA-Imperium, das Nicaragua mit Contrakrieg und Wirtschaftsblockade überzog, war das nicaraguanische Volk müde geworden und die FSLN fast verbraucht. Bei den Wahlen erreichte sie zwar 41 Prozent, das langte aber nicht, um gegen die von Frau Violeta Barrios de Chamorro angeführte Nationale Oppositionsunion (UNO), eine antisandinistische Allianz, zu bestehen. Die neue Regierung versprach dem Volk den Beginn eines neuen Zeitalters. Es brachte dem Volk zwar den Frieden, aber auch unermeßliche Armut. Die volkseigenen und staatseigenen Betriebe wurden für geringfügige Geldsummen an die neuen Unternehmer verschleudert, die mit der UNO auftauchten.

Für die FSLN begann eine schwere Zeit. Hetze, Verleumdung und Rufmord jagten sie. Sie wurde als zweite Diktatur nach Somoza verteufelt. Nach der Methode „Haltet den Dieb!“, erfand die Reaktion die Piñata, den engeblichen Selbstbedienungsladen der Sandinisten. Konzentrationslager und Massengräber wurden erfunden. Der Krieg, die Wirtschaftskrise verwandelten sich in Folgen der Gewaltherrschaft der Sandnisten. Den Ostdeutschen, und nicht nur ihnen, wird das alles bekannt vorkommen.

1996 verlor Daniel Ortega und die FSLN erneut. Sie erreichte 38 Prozent gegenüber 56 der liberalen Allianz von Arnoldo Alemán. Frau Violeta Barrios de Chamorro hatte öffentlich dazu aufgerufen, den Bürgermeister von Managua, der Hauptstadt Nicaraguas, zu wählen. Alemán bedeutete fünf weitere Jahre des Elends für die Nicaraguaner. Er gestattete nicht nur den Erhalt des Systems. Vom ersten Tag seiner Regierung an begann er, die Beute unter seinen ihm am nächsten stehenden Gesinnungsgenossen zu verteilen.

An die Regierung gekommen, liefen Alemán und der PLC ein Teil der Mitglieder und Abgeordneten weg. Um in der Nationalversammlung die Mehrheit zu sichern, bot die PLC der FSLN einen Vertrag an. Die FSLN ging darauf ein und sicherte auf diesem Wege die Ergebnisse der Agrarreform, das Wahlgesetz, ihre Plätze im Obersten Wahlrat und ihre Richter. Sicherlich kann man sich bessere Konstellationen vorstellen.

Man kann das Verhalten der FSLN in dieser Zeit kritisieren, keine Frage. Wer keine Verantwortung hat und keine übernehmen will, wird immer klüger sein. Der Vertrag wurde später als „Pakt zweier Caudillos“, Alemán und Ortega, verteufelt.

2001 erhielt die FSLN 42 Prozent der Stimmen. Es reichte wieder nicht. Nach dem 11. September hatte das Weiße Haus den Wahlkampf der bürgerlichen Parteien übernommen. Sie verordneten dem liberal-konservativen Lager einen Kandidaten, Enrique Bolaños, drohten mit Krieg und Wirtschaftsblockade, falls die FSLN die Wahl gewinnen sollte. Das Volk war eingeschüchtert. Mit der FSLN ging damals die Sandinistische Erneuerungsbewegung MRS, die Organisation der früheren Sandinisten, die sich von der FSLN abgewandt hatten oder aus ihr ausgeschlossen worden waren.

Die Regierung Bolaños setzte den Raubzug am Volk fort. Eine weitere Periode der Korruption begann, nur das sie dezenter, dafür hinterhältiger war. Letzte Beispiele: Die Abendgabe von 500 Millionen Dollar an eine Ingenieurgesellschaft und die Wertpapiere der bankrotten Banken, die sie zu aufgeweichten Preisen an die Ministranten der Regierung verkaufte. Oder das Geschäft mit dem Nicaraguasee. Mit NICANOR entstand ein norwegisch-nicaraguanischer Konzern, der in Fischfarmen drei Millionen Kilogramm Tilapias, eine afrikanische Barschart, züchtet. Alle Warnungen vor der Verschmutzung des Trinkwasser-Reservoires stießen auf taube Ohren. Gegründet wurde das Unternehmen vom Neffen des Ex-Präsidenten Bolaños.

2002 kam es zu einer schweren politischen Krise. Bolaños wollte sich der Forderung des Weißen Hauses fügen, die Sandinisten aus allen Ämtern zu vertreiben. Das war jedoch nicht im Sinne eines Tils der PLC, der widerspenstig gegenüber der USA-Administration auftrat. Dieser Flügel versagte Bolaños die Gefolgschaft. Es kam zu einem Machtvakuum. Das Land wurde unregierbar. Gerüchte über einen Staatsstreich lagen in der Luft. In diesem Moment handelte die FSLN und erneuerte den Vertrag. Bolaños fing seine Anhänger in der APRE, der Patriotischen Allianz für die Republik, auf. Daraus entwickelte sich die liberal-konservative Allianz Nicaraguas ALN.

Der lange Weg der FSLN zurück an die Macht

Am 5. November 2006 bewahrheiteten sich die Prognosen für die FSLN. Der lange Weg Daniel Ortegas und der FSLN zurück an die Macht war möglich geworden. Warum?

Erstens hat das nicaraguanische Volk genug von 16 Jahren liberaler Regierungen. Diese hatten jedesmal geschworen, mit und für das Volk zu arbeiten. Das angekündigte neue Zeitalter wurde eins mit fatalen Folgen. Die Kennziffern der Armut wuchsen: 82 Prozent der Bevölkerung lebt in Armut, 54 Prozent in Bedürftigkeit, zusammen 4,2 Millionen Arme. Das ist der Beitrag der Liberalen Nicaraguas an den 200 Millionen Armen in Lateinamerika und an seinen 62 Millionen Bedürftigen. Ungefähr 50 Prozent sind Arbeitslos. Einige verdienen monatlich zwischen 4 000 und 20 000 Dollar, während in anderen Bereichen, wie im Gesundheitswesen, im Bildungswesen, bei der Polizei und in der Armee nicht mehr als 500 bis 1 000 Cordoba gezahlt werden, das heißt 28 bis 56 Dollar.

Der Analphabetismus betrug 1990 12 Prozent. Er wuchs auf 35 Prozent. Er hat die höchste Rate in der Region. Unter den Frauen auf dem Lande beträgt er 40 Prozent. 20 Prozent der Bevölkerung im schulfähigen Alter hat keinen Zugang zur ersten Bildungsstufe und 77 Prozent der Kinder, die in der ersten Bildungsstufe begannen, beenden sie nicht. 1998 gab es 313 öffentliche Schulen zweiten Stufe entgegen 436 private Schulen der zweiten Stufe. 253 057 Kinder (das ist die offizielle Angabe, real sind es mit Sicherheit mehr) sind dazu verdammt, für die Familie zu sorgen.

Costa Rica hat einen Analphabetismus von 4,4 Prozent. Auf Kuba ist er faktisch Null. Die Kindersterblichkeit wuchs in Nicaragua auf 35 tote auf 1 000 lebend geborene Kinder. Damit steht das Land auf einem Niveau mit El Salvador, Brasilien und Guatemala. Auf dem Gebiet der Kindersterblichkeit befindet sich Nicaragua unter den 36 Ländern der Erde mit den schlechtesten Werten. 1998 schickte Arnoldo Alemán die kubanischen Ärzte nach Hause, was dazu führte, das die ländlichen Gebiete ohne nennenswerte ärztlich Betreuung sind. Seit 1990 erfuhr Nicaragua einen noch nie dagewesenen Exodus, massive Immigrationen nach Costa Rica und in die Vereinigten Staaten, auf der Suche nach besseren Perspektiven. Rund 20 Prozent der Bevölkerung verließ in den vergangenen 16 Jahren das Land. Nicaragua exportiert die billigsten Arbeitskräfte. Es gibt mehr als 1 Million Immigranten: 600 000 in Costa Rica, 350 000 in den Vereinigten Staaten und 100 000 in El Salvador. Die Überweisungen an die Familien beliefen sich 1993 auf 50 Millionen Dollar. Heute sind es 1 Milliarde Dollar. Deshalb überlebte Nicaragua und erlitt keinen Kollaps.

Die Nicaraguaner ertrugen drei Regierungen, die in Friedenszeiten regierten, ohne Krieg, ohne Blockaden, mit einer enormen finanziellen Unterstützung. Am 5. November 2006 wählten sie das liberale Lager ab. Wie zerfressen dieses ist, beweist schon die Tatsache, daß es selbst der USA-Regierung nicht gelang, es diesmal zusammenzuhalten und auf einen Kandidaten einzuschwören.

Zweitens hat es die FSLN geschafft, Vertrauen im Volk zurück zu gewinnen. Dafür sprechen die Ergebnisse der Wahlen in den Departements, in den Munizipien und in den Autonomen Atlantikregionen. Nach 1990 hatte die Frente in den Departements und Munizipien empfindliche Wahlniederlagen einstecken müssen. Selbst historische Einflußgebiete gingen ihr verloren. Noch bei den Munizipalwahlen 2000 hatten die Liberalen Regionen in ihrer Hand, in denen Sandino erfolgreich kämpfte und später die FSLN im Kampf gegen Somoza "ihre Quartiere" hatte. Am schmerzlichsten mußten für sie die Verluste von Pancasán, Villa Sandino und Villa Carlos Fonseca gewesen sein. 2000 gewann die PLC 90, die FSLN nur 36 Munizipien.

Bei den Munizipalwahlen 2004 wandte sich das Blatt. Die FSLN gewann 87 der 152 Munizipien, die PLC Alemáns 59, die Indigenenpartei YATAMA und die APRE Bolaños je drei. Die FSLN gewann die Hauptstadt Managua mit 44 Prozent der Stimmen gegenüber 35 Prozent der PLC. Sie gewann ebenfalls in den Regionen Nueva Segovia, Madriz, Estelí, Chinandega, León, Managua, Masaya, Carazo, Granada und Rivas.

Bei den Wahlen in den Autonomen Atlantikregionen 2006 verbesserte das Bündnis aus FSLN und der YATAMA seine Positionen gegenüber 2002. Im Norden behielt es 9 Verwaltungsbezirke gegenüber 6 Verwaltungsbezirke der Liberalen. Im Süden verloren die Liberalen von 13 Verwaltungsbezirken fünf, während das Bündnis FSLN-YATAMA fünf zu den vorher zwei hinzu gewann. Die Frente nutzte die gewonnen Positionen. So hat sie mit einer Alphabetisierungskampagne in den 87 von ihr regierten Regionen begonnen. Nach einem Pilotplan werden 300 000 Personen lesen und schreiben lernen. Der beharrliche Kampf der FSLN, die nicaraguanischen Menschen durch konstruktive Arbeit in den Kommunen zurück zu gewinnen, zahlt sich endlich aus.

Die Frente hat es in den Jahren geschafft, neue Bündnispartner zu finden. Dabei hat sie zweifellos taktiert. Bei den diesjährigen Wahlen führte die FSLN das Wahlbündnis Unida Nicaragua Triunfa an. Zu ihm gehört YATAMA, christliche Parteien, traditionelle Bewegungen, Teile der früheren Contra, sowie Liberale, die der PLC den Rücken kehrten. Mit der Verbindung zur YATAMA und anderen Parteien der Autonomie wurde ein Durchbruch unter der indigenen Bevölkerung erreicht. Zur Zeit der Sandinistischen Regierung waren die Beziehungen zu ihr keine fruchtbaren.

Die FSLN und ihre Verbündeten sind für die unteren Schichten der Bevölkerung eine Alternative geworden. Auch die Aussöhnung mit der katholischen Kirche und Teilen der früheren Contra scheint Früchte zu tragen. Besonders Letzteres war umstritten. Wer denkt noch daran, daß die FSLN 1988, als die sowjetische Führung Gorbatschows sie im Regen stehen ließ, an den Verhandlungstisch mit der Contra mußte? Damals schloß sie ein Abkommen. Die Demobilisierten der Armee und der Contra sollten Land erhalten und sich ansässig machen. Die Sandinisten konnten das Abkommen nicht mehr erfüllen und die folgenden liberalen Regierungen taten es nicht. Ist es so abwegig, daß die FSLN um Daniel Ortega es wieder aufnehmen und realisieren will?

Nicht aufrecht erhalten blieb für die FSLN die Zusammenarbeit mit der MRS. Noch auf dem III. Kongreß der FSLN hatte diese ihre Bereitschaft dazu erklärt, rückte aber 2005 mit der eigenen Kandidatur davon ab. Ihre Auftritte gegen die FSLN und Daniel Ortega nutzten dem liberal-konservativen Lager. Anläßlich einer Beratung im Mai diesen Jahres, zu der das State Department die drei Präsidentschaftskandidaten Rizo, Montealegre und Lewites nach Miamia eingeladen hatte, schloß letzterer einen Pakt, daß er und seine Allianz im Falle einer Stichwahl auf eine eigene Kandidatur verzichten würden und dem von der USA-Administration favorisierten Montealegre die Stimmen gäben. Das Volk hat das Manöver durchschaut. Nicht so einige Linke in der Bundesrepublik Deutschland. Abgeordnete der Linkspartei.PDS ergriffen Partei für die MRS. In einem Internetbericht stellten sie die „Retter des Sandinismus“ als linke Alternative zur FSLN vor.

Drittens hat die FSLN hat einen schweren Entwicklungsprozeß durchgemacht. Sie behielt aber immer ihre sandinistische Identität bei. Nach dem Vorbild Sandinos kämpft sie für die nationale Unabhängigkeit Nicaraguas und gegen die nordamerikanische Intervention. Bis zu ihrer Wahlniederlage 1990 war die FSLN keine Partei. Als solche konstituierte sie sich auf dem I. Kongreß im Juli 1991. Auf diesem Kongreß nahm sie strategische Linien an. Zwei Richtungen bestimmten die Debatte. Die eine wollte auf dem Weg von Reformen die Gesellschaft verbessern. Die andere verlangte, der neoliberalen Politik eine revolutionäre Antwort zu geben. Ihr Wortführer war Daniel Ortega. Der Kongreß war eine Veranstaltung der taktischen Einheit. Er stoppte die Meinungsvielfalt und privilegierte die Ortega-Strömung. Die Mehrheit der Delegierten wählten Daniel Ortega zum Generalsekretär.

Vor den Präsidenschaftswahlen 1996 fand im Mai der II. Kongreß der FSLN statt. Er beschloß die Wahlplattform und eine Politik der Allianz. Die FSLN nahm erneut Gespräche mit Führern der Ex-Contra auf. Sie wollte einer Rekrutierung durch nordamerikanische Werber im Falle eines erneuten Machtantritts der Frente vorbeugen. Nach der Wahlniederlage brachen Machtkämpfe innerhalb der FSLN offen aus. Es entstanden Fraktionen und politische Gruppierungen. Die Frente verlor angesehene Leute. Sergio Ramirez, unter Daniel Ortega Vizepräsident, verließ die FSLN und gründete die Sandinistische Erneuerungsbewegung. Ihm gleich tat es Dora Maria Tellez, Gesundheitsministerin im Ortega-Kabinett. Sie wurde Vorsitzende dieser Bewegung. Die Priesterbrüder Ernesto und Fernando Cardenal, Minister in der Sandinistischen Regierung, zogen sich ebenfalls aus der FSLN zurück. Henry Ruiz, Victor Tirado, Jaime Wheelock und Luis Carrión, alle früher Mitglied der Nationalleitung, gingen auf Distanz. Einige von ihnen gehören heute der MRS an.

Auf ihrem III. Kongreß 2002 beschloß die FSLN ein neues Programm. Darin formuliert sie zum ersten mal in ihrer Geschichte, daß sie eine revolutionäre sozialistische Partei sein will, die sich den Sozialismus zum Ziel stellt. 2005 unternahm die MRS den Versuch, das Heft des Handelns in die Hand zu bekommen. Sie baute Herty Lewites als Präsidentschaftskandidat der FSLN gegen Daniel Ortega auf. Der Kongreß der FSLN entschied anders. Ortega blieb der Präsidentschaftskandidat. Einzelne FSLN-Mitglieder, darunter das Mitglied des Nationalrates der FSLN, Victor Hugo Tinoco und Monica Baltodano lehnten sich dagegen auf. Sie wurden aus der FSLN ausgeschlossen beziehungsweise verließen diese und gingen zur MRS. Auch Herty Lewites.

Wer war Herty Lewites? Zur Zeit der Sandinistischen Regierung war er Tourismusminister im Ortega-Kabinett und Direktor des größten Tourismusunternehmens Nicaraguas NICATUR. Das Unternehmen behielt er nach der Wahlniederlage 1990. 2000 gewann er für die FSLN das Bürgermeisteramt der Hauptstadt Managua. 2004 trat er noch einmal dafür an, jedoch als Unabhängiger. Daraufhin stellte die FSLN Dionisio Marenco als Bürgermeisterkandidaten auf, der dann auch prompt die Wahl gewann. Herty Lewites hat diese Niederlage nicht überwunden. Er verstarb im Sommer diesen Jahres. Als Präsidentschaftskandidat beerbte ihn Edmundo Jarquin, der Schwiegersohn von Ex-Präsidentin Violeta Barrios de Chamorro. Es wird erzählt, daß er COSEP, dem reaktionären Unternehmerverband, nahe stehe. Die MRS ist eine Minderheit von Leuten, die sich von der FSLN trennten.

Die heute zur MRS gehörenden Henry Ruiz, Luis Carrión und Victor Tirado, Dora Maria Téllez, Ernesto Cardenal, Hugo Torres, Mónica Baltodano, Sergio Ramirez und Victor Hugo Tinoco, waren in der Zeit der Sandinistischen Regierung dabei: als Vizepräsident, als Mitglieder der Nationalleitung, als Minister und als Abgeordnete der Nationalversammlung. Damals war Daniel Ortega für sie kein Caudillo, kein Kuppler und kein Diktator. Damals war er ihr Bruder. Und er war bereit, nach der Wahlniederlage 1990 den ganzen Schmutz, der über die FSLN ausgeschüttet worden ist, auf sich zu nehmen. Hat er das getan, um sich heute ihren Verrat abzuholen? Toni Solo, ein freier Journalist Mittelamerikas, schrieb dazu: „Die Führungskräfte der MRS und Herty Lewites schafften es nicht, in der FSLN zu überzeugen. Sie wurden geschlagen und sie gingen.“

In der FSLN haben sich also die Kräfte durchgesetzt, die ihr heutiges Profil bestimmen. An der Spitze dieser Kräfte steht Daniel Ortega. Der Formierungsprozeß der FSLN ist mit seinem Namen verbunden. Deshalb setzt die Frente immer wieder auf ihn. Er ist der Mann der Frente mit den größten Erfahrungen, sowohl als Guerillaführer, wie als Präsident und auch als Oppositionsführer. In seiner Person vereinigt sich viel aus der kämpferischen und schwierigen Geschichte der FSLN. Er hat die FSLN durch die schweren Zeiten nach der Wahlniederlage 1990 geführt.

Viertens haben sich die äußeren Bedingungen für die FSLN verbessert. Die Existenz des sozialistischen Kuba, die Bolivarianische Revolution in Venezuela, die Wahlergebnisse in anderen lateinamerikanischen Ländern, zeigen auch auf Nicaragua Wirkung. Vor einiger Zeit schloß die FSLN mit der Bolivarianischen Regierung ein Abkommen ab, wonach 53 der von ihr regierten Regionen mit Erdöl aus Venezuela zu Vorzugspreisen beliefert werden.

In den Glückwünschen der fortschrittlichen Präsidenten Lateinamerikas kam die Freude über den Erfolg Ortegas zum Ausdruck. Fídel Castro gratulierte Daniel Ortega vom Krankenbett aus zum „grandiosen Sieg“. Hugo Chávez lud ihn ein, sich Venezuela beim „Aufbau der zukünftigen sozialistischen Bruderschaft des 21. Jahrhunderts“ anzuschließen. Das Weiße Haus hat offensichtlich eine abwartende Haltung eingenommen. Man gab bekannt, mit Ortega zusammenzuarbeiten, wenn dieser sein Versprechen, sich für eine "demokratische Zukunft" Nicaraguas einzusetzen, hält. In den USA sprach man bereits von einem „Linksruck in Lateinamerika“, mit dem „besonnen“ umzugehen sei. Gegenüber Nicaragua müsse „Reife“ gezeigt werden, damit das Land nicht in den „venezolanischen Orbit“ eintrete.

Unida Nicaragua Triunfa

Die FSLN führte das Wahlbündnis Unida Nicaragua Triunfa (das vereinte Nicaragua siegt) zum Wahlerfolg. Dieses legte ein Regierungsprogramm mit acht Verpflichtungen vor. Es geht um Arbeit für das ganze Volk. Auf dem Lande soll sofort der Wandel der Monokulturen in Multikulturen veranlaßt werden. Man will die landwirtschaftlichen und industriellen Quellen des Exports erweitern. Im Gesundheitswesen sind mehr Krankenhäuser und Gesundheitszentren, bessere Apotheken und mehr Medikamente vorgesehen. Der Bedarf soll langfristig aus dem Gewinn des günstigen Erdölkaufs aus Venezuela finanziert werden. Die Alphabetisierungskampagne wird im ganzen Land fortgesetzt. Für die Universitäten sind sechs Prozent des Budgets vorgesehen. Jede Gemeinde soll frei vom Analphabetismus werden. Nicaragua will sich an der von der UNESCO initiierten Wissensära des 21. Jahrhundert beteiligen. Es soll ein langfristiger Prozeß der Gleichstellung der Infrastruktur der Autonomen Atlantikregionen mit der des Pazifik beginnen. Zehn Prozent des Budgets sind zukünftig für die Gemeinden gedacht. Man will den Verbrauch an Naturreichtümern einschränken. Produzenten, die aus CAFTA austreten wollen, werden Möglichkeiten des Zutritte zu ALBA, dem alternativen Markt der Länder Südamerikas und der Karibik, angeboten.

Die unterlegenen Kandidaten der liberalen Parteien gratulierten Daniel Ortega zum Wahlsieg. Dieser nannte den Auftritt Montealegres "würdevoll und tapfer". Ortega wies darauf hin, daß seine Politik auf Versöhnung und Frieden orientiere. Er sagte: „Wir haben noch einmal die Chance, Nicaragua zu regieren, dieses Mal in Frieden und Ruhe. Wir glauben, daß die Bedingungen in Nicaragua günstig sind, um eine neue politische Kultur zu praktizieren. Wir alle müssen zusammenarbeiten für unser einiges Nicaragua. Unsere große Aufgabe wird sein, unser Volk aus der Armut zu befreien.“ Die FSLN und ihre Bündnispartner haben keinen einfachen Weg vor sich. Zunächst muß es gelingen,  die Mehrheit in der Nationalversammlung zu finden. Dazu benötigen sie 56 Stimmen. Sie haben aber nur 37 Sitze (vorher 38). Die MRS, die mit 6 Abgeordneten vertreten sein wird, hat bereits jegliche Zusammenarbeit ausgeschlossen. Von der ALN, die 27 Sitze besetzt, wird man wenig erwarten können. Bleibt die PLC, die der größte Verlierer der Wahlen war und nur noch 22 Abgeordnete statt vorher 53 hat. Der „berüchtigte Pakt“ zwischen Ortega und Alemán, der in Wirklichkeit ein Vertrag zwischen FSLN und PLC ist, kann neue Bedeutung erlangen. Und es wird die Zeit kommen, in der nicht mehr vom „Pakt“, sondern von einem vernünftigen Vertrag gesprochen werden wird.

Die innere Reaktion und vor allem die USA-Administration werden dem neuen Präsidenten und seiner Regierung das Leben schwer machen. Die Sandinisten beschreiten mit dem Projekt Unida Nicaragua Triunfa Neuland. Sie können sich der Solidarität des revolutionären Lateinamerika sicher sein, das wiederum einen erfahrenen Partner zurückbekommen hat.Wir schließen uns der Solidarität an: Salud Comandante, saludos!

Wolfgang Herrmann,
Dreesch


FG Essen:
»O-Ton Cuba« - Informationen aus 1.Hand!

Welche Position vertritt Cuba zum US-geführten »Krieg gegen den Terror«?

Zu Guantánamo, der Entwicklung in Asien und zu anderen internationalen Fragen?

Zu globalen ökologischen Problemen wie Wüstenbildung und Dürre, zu Rassismus und Nationalismus?

Zu den Prinzipien der Internationalen Sportbewegung, Olympia, Doping?

Diese und viele andere Themen werden behandelt in einer Sammlung von über 70 Reden und Beiträgen des cubanischen Präsidenten Fidel Castro Ruz von 1999 – 2006, übersichtlich chronologisch geordnet, einheitlich formatiert, mit über 600 Druckseiten: http://www.cubafreundschaft.de/Fidel-Reden/Fidel-Reden.html

Außerdem viele weitere Informationen zum offenen und geheimen Krieg gegen Cuba, zur Solidarität mit den Miami 5, Mumia Abu-Jamal, Antifa, Koch- und Cocktailrezepten aus Cuba u.v.a.m.: www.cubafreundschaft.de

Letzte Meldung: Wir freuen uns, einen authorisierten Vorabdruck aus dem Buch »Mit einem Ziel vor den Augen – Gelebtes und Erlebtes 1939 bis 1989« von HERBERT MIES vorstellen zu können: http://www.cubafreundschaft.de/Fidel-Reden/Fidel-Reden.html

[Herbert Mies (*23.Februar 1929 in Mannheim) war von 1949 – 1953 Mitglied des Zentralkomitees, seit 1963 Kandidat und Sekretär des Politbüros der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und von 1973 bis 1990 Vorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Er wurde 1987 mit dem Internationalen Leninpreis ausgezeichnet, arbeitete bis 1997 als Vorsitzender des »Mannheimer Gesprächskreises Geschichte und Politik« und seit 1995 als Vorsitzender der Arbeiterwohlfahrt Mannheim-Schönau.«]

Mit internationalistischem Gruß,
i.A. Heinz-W. Hammer,
Essen

Der Imperialismus der BRD

Andrea Schön:
Deutsche Interessen in Indien – Agenda einer strategischen Allianz

Indien gilt neben China als "aufstrebende Wirtschaft", wie es in bürgerlichen Blättern so klassenneutral heißt. Für sie sind natürlich nur jene ökonomischen Kennziffern von Belang, mit denen die Bourgeoisien der imperialistischen Kernstaaten ihre Kapitalverwertungsstrategien planen können: Konsummärkte, die sich erschließen, Direktinvestitionen (= Kapitalexport), die sich lohnen etc. ... Aber auch die Frage der Konkurrenz ist von Belang, die sich zum einen im Run auf neue Märkte zwischen den imperialistischen Bourgeoisien verschärft und die ihnen zum anderen erwächst aus der sprunghaft steigenden Produktivkraftentwicklung von Ländern wie China und Indien.

Es ist daher sehr wichtig für die Bourgeoisie zu beobachten, mit welchen ihrer Konkurrenten sich diese Länder einlassen, Abkommen schließen und sich ihnen gar politisch-strategisch verpflichten. So finden in der deutschen Presse in Bezug auf Indien dessen Abkommen mit China und Russland (Stichwort "Achse Moskau-Delhi-Peking") große Beachtung und noch größere Beachtung die Abkommen mit den USA, dem größten imperialistischen Konkurrenten. Wenig offengelegt werden dabei, wen wundert es, die Interessen des deutschen Imperialismus.[1]

Das ist die vornehmliche Aufgabe deutscher Kommunisten, die den Kampf gegen die eigene Bourgeoisie zu organisieren und zu leisten haben. Dazu müssen sie die Strategien ihrer Bourgeoisie bei der derzeitigen Neuaufteilung der Welt kennen. Schließlich zeichnen sich an diesen die Frontlinien neuer Kriege ab, die es zu verhindern gilt – möglichst bevor sie ausbrechen.

Strategische Ziele

Im August 2005 veröffentlichte die Stiftung Wissenschaft und Politik/Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit eine Studie mit dem Titel "Indien in der deutschen Außenpolitik[2], gefolgt von einem Nachklapp mit dem Titel "Indien als strategischer Partner der USA[3] als Reaktion auf das US-indische Abkommen.

Mit großer Offenheit werden die Perspektiven der deutsch-indischen "Zusammenarbeit" benannt, die bereits in der "Agenda für die deutsch-indische Partnerschaft im 21. Jahrhundert" im Mai 2000 anvisiert wurden. Dazu gehören vor allem die "Ausweitung der bilateralen Beziehungen ... auf sicherheits- und militärpolitische Bereiche" (ebd., 2005, S. 5), d.h. zusätzlich zu den deutsch-indischen Vereinbarungen vom Oktober 2004 zur Intensivierung der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit sowie den Anstrengungen, den Umfang der bilateralen Handelsbeziehungen auf 10 Mrd. € jährlich zu steigern. Um die Ambitioniertheit allein der letzteren zu verdeutlichen: Ein derartiger Handelsumfang wäre mehr als die Hälfte des US-indischen in Höhe von derzeit 18 Mrd. US$ - von einer "Volkswirtschaft", die ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts im Vergleich zu den USA aufbringt (2,71 Bio. gegenüber 11,67 Bio. US$). Frappierend dabei ist vor allem die Begründung, mit der man die deutschen Expansionsansprüche – durchaus in offener Konkurrenz gegen die USA – begründet. So heißt es in der Studie auf Seite 7:

"Indien und Deutschland sind für eine dauerhafte Partnerschaft prädestiniert, da sie eine Reihe von gemeinsamen Interessen und Grundwerten haben. Politisch wurden in beiden Staaten trotz extrem unterschiedlicher Voraussetzungen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs[4] demokratische Systeme etabliert. Wirtschaftspolitisch teilen sie das Bekenntnis zu marktwirtschaftlichen Reformen, dem Indien auch Taten folgen ließ: innenpolitisch durch eine Liberalisierung nach 1991 und außenpolitisch durch seine Gründungsmitgliedschaft in der World Trade Organization (WTO) 1995. Sicherheitspolitisch unterstützen beide Staaten seit Jahren die Blauhelm-Einsätze der VN und verfolgen gemeinsame Interessen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Außenpolitisch haben sie bereits mehrfach ihren Anspruch auf eine stärkere Rolle im internationalen System des 21. Jahrhunderts bekundet. Sie gelten als Kandidaten für einen ständigen Sitz in einem reformierten Sicherheitsrat der VN und arbeiten zur Erreichung dieses Ziels auch mit Japan und Brasilien zusammen. Trotz unterschiedlicher kultureller und historischer Voraussetzungen verbindet Indien und Deutschland das grundlegende gemeinsame Bekenntnis zu Menschenrechten westlicher Prägung, auch wenn die Praxis in Indien noch mit zahlreichen Mängeln behaftet ist."

Indien eignet sich also als "Partner" wegen seiner wirtschaftlichen Öffnungspolitik[5] (Zielland für Warenabsatz und Kapitalexport), wegen seiner Unterstützung im Kampf gegen die vom Imperialismus definierten Feinde ("Anti-Terror"-Einsätze), was im übrigen einen Bruch darstellt mit Indiens ehemaliger Politik der Nichtpaktgebundenheit; weiterhin wegen seiner Unterstützung für Deutschland beim Beseitigen der Reste der Nachkriegsordnung (Sitz im UN-Sicherheitsrat) und – wie an anderer Stelle im Zusammenhang mit Indiens Nichtbeteiligung am Krieg gegen den Irak hervorgehoben wird – wegen seiner, zumindest damaligen, Positionierung gegen die USA. Das kürzlich mit den USA abgeschlossene Militär-Abkommen und die daraufhin vorgenommene (offizielle) Kehrtwende gegenüber Irans Atomwaffenprogramm werden dabei nicht sonderlich hoch bewertet: "Angesichts der zu erwartenden innenpolitischen Widerstände ist es allerdings schwer vorstellbar, dass Indien künftig stets an der Seite der USA zu finden sein wird. Multilaterale Konfliktlösungsstrategien, an denen auch Neu-Delhi interessiert ist, könnten insofern zu einem Anknüpfungspunkt der deutschen und europäischen Indienpolitik werden."[6] Und an anderer Stelle: "Aufgrund der historischen Erfahrungen mit den USA und des eigenen außenpolitischen Selbstverständnisses spricht vieles dafür, dass Indien sich nicht uneingeschränkt an die Vereinigten Staaten binden wird ..."[7]

Wirtschaftliche Begehrlichkeiten

Betrachtet man die bereits bis heute bestehende wirtschaftliche und militärpolitische Durchdringung Indiens von deutscher Seite, kann dieser "Optimismus" als durchaus begründet gelten:

Mitte der achtziger Jahre hatte die Anzahl der deutsch-indischen Joint Ventures die stattliche Anzahl von 1.000 Unternehmen erreicht. Bis 1999 waren es dann 4.468 deutsch-indische Kooperationen, und zwar in den Schwerpunktbranchen Maschinen- und Anlagenbau, Elektrotechnik, Werkzeugmaschinenindustrie, Chemie und Pharmazie, d.h. Platz zwei hinter den USA.[8] Des weiteren ist Indien nach wie vor größter Empfänger deutscher "Entwicklungshilfe". Wichtigste Institution dabei ist die 1962 gegründete KfW-Tochter Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG), die zugleich als Koppelstelle deutscher "Entwicklungshilfe" an die Expansionsinteressen deutscher Unternehmen fungiert.[9] Die DEG untersteht unmittelbar der deutschen Regierung, in ihrem Aufsichtsrat sind Staatssekretäre des Finanz- und Wirtschaftsministeriums sowie des Auswärtigen Amts vertreten. Die Gesellschaft verfügt über ein eigenes Außenbüro in Neu-Delhi und betreibt 29 indische Projektunternehmen. Bedeutsam dabei ist ihr "Zugang zu lokalen Regierungsstellen und Behörden"[10], die der deutschen Wirtschaft "über diese politische Geländerfunktion vielfältige Kontakte zur Verfügung stellen"[11] kann.

Auch deutsche Großkonzerne wie BASF (Bombay) und ThyssenKrupp Industries (Pimpri) sind mit eigenen bzw. Industrieanlagen in Mehrheitsbesitz in Indien vertreten. Bosch, Siemens, Lufthansa und SAP haben bereits Teile ihrer Produktion und Dienstleitungen nach Indien verlegt, um von der hochqualifizierten "billigen" wissenschaftlich-technischen Intelligenz Indiens zu profitieren. Der Allianz-Konzern hat seinerseits den indischen "Mittelstand" (ca. 150 Mio. Menschen) entdeckt, um seine Versicherungspolicen an Mann und Frau zu bringen. Im asiatischen Raum verzinst sich für den deutschen Konzern 41% des eingesetzten Kapitals mit mehr als 15%, 48% mit mindestens 8%. Beim Absatz von sogenannten "Mikro"versicherungen im großen Stil ist ihr dabei die deutsche Entwicklungsorganisation GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit) behilflich.[12]

In der am 23. April dieses Jahres veröffentlichten "Gemeinsamen deutsch-indischen Erklärung" soll der bilaterale Handel noch vor 2010 einen zweistelligen Milliardenumfang erreichen.[13] Schließlich ist Indien "(g)emessen an den Kaufkraftparitäten ... bereits heute die viertgrößte Volkswirtschaft"[14]...

Auf EU-Ebene, auf der Deutschland – wie wir wissen – die "treibende Kraft"[15] darstellt, werden ähnliche Abkommen mit Indien getroffen. So fand am 13.10.2006 in Helsinki das 7. EU-Indien Gipfeltreffen statt, das die Zusammenarbeit auf zahlreichen Feldern der Wirtschafts- und "Sicherheits"politik, des Kulturaustausches etc. bekräftigt hat. Herzstück ist ein in Verhandlung befindliches Investitionsabkommen, das umfangreiche Maßnahmen zur Öffnung des indischen Marktes, Investitionsanreize seitens der indischen Regierung etc. vorsieht. Ideologisch "gecovert" wird diese Allianzpolitik in der "Gemeinsamen Erklärung" vom 13.10. mit dem Statement, dass es sich bei der EU und Indien um die "zwei größten Demokratien in der Welt" handele, die "globale Akteure in einer multipolaren Welt" seien[16]. Übersetzt man die diplomatische Sprache ins Alltagsdeutsche, heißt das: "Wir sind die wichtigsten, weil die größten und zugleich fortschrittlichsten Regionen der Erde und stellen daher die Weichen in einer nicht mehr von den USA beherrschten/beherrschbaren ("multipolaren") Welt." Flankiert wird diese Politik vom Asiatisch-Europäischen Dialog (ASEM) und den durch Indien unterstützten künftigen Beobachterstatus bei der südasiatischen Vereinigung für regionale Kooperation SAARC[17], die vom 1.-4. April 2007 in Neu Delhi stattfindet.

Waffenbrüderschaft

Mit dem am 6. September 2006 unterzeichneten Verteidigungsabkommen zwischen Berlin und Neu Delhi wurden neben militärischer Zusammenarbeit umfangreiche Rüstungsexporte vereinbart. Bereits im August ebnete die Bundesregierung der deutschen Rüstungsindustrie den Weg nach Indien, als Rüstungskonzerne wie EADS, Rheinmetall und Atlas Elektronik im Schlepptau von Wirtschaftsminister Glos Neu-Delhi und Bombay bereisten. Neben 18 U-Booten geht es vor allem um die Lieferung von Eurofighter-Kampfflugzeugen. "'In Indien merkt man, dass Deutschland eine Rolle spielt', sagte ein Sprecher des Luft- und Raumfahrtskonzerns EADS, der den Eurofighter anbietet und Aufträge für Armeehubschrauber in Aussicht hat." [18] Der bisherige Rüstungsexport hatte sich in der Vergangenheit hauptsächlich auf Marinebedarf konzentriert: U-Boote und Bordwaffensteuersysteme. In den neunziger Jahren durfte Indien unter anderem Seepatrouillenflugzeuge des Typs Dornier Do-228-200 MP in Lizenz bauen. Außerdem besteht eine Kooperation zwischen dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrtforschung und der Indian Space Research Organisation (ISRO). Im Oktober 2001 wurde der deutsche BIRD[19]-Satellit mit einer indischen Trägerrakete in den Weltraum gebracht.

Als wirtschafts- wie militärpolitisch ebenfalls von Belang kann die Übernahme von 74% der Anteile am zweitgrößten indischen Flughafen in Neu-Delhi durch ein von der deutschen Fraport geführtes Konsortium gelten.

Last not least geht es bei der militärpolitischen Einbindung Indiens um eine Frontstellung gegen China bzw. die Verhinderung einer zu engen Einbindung Indiens in maßgeblich von China mitbestimmte Kooperationen wie etwa die "Shanghai 5/6" (SCO), bei der Indien und Iran (!) Beobachterstatus haben ...

Kontinuitäten deutscher Außenpolitik

Die deutsch-indischen Beziehungen haben eine lange Tradition in der deutschen Außenpolitik. Als zu kurz und zu spät gekommener Imperialismus konnte Deutschland seine wachsenden Weltmachtambitionen immer nur auf Kosten der imperialistischen Konkurrenz verfolgen, d.h. im Einflussgebiet der Kolonialmächte "grasen". Für Indien schuf man bereits im Kaiserreich 1915 ein an das Auswärtige Amt angebundenes "Indienkomitee", das gezielt antibritische Aufstandsbewegungen in Indien unterstützte. Die Tradition wurde im Faschismus fortgesetzt, als gemeinsam mit dem militanten Unabhängigkeitskämpfer Subhas Chandra Bose ein "Sonderreferat Indien" gebildet wurde, das für seine Diversionsaktivitäten 1942 die Deutsch-Indische Gesellschaft gründete. Dazu zählte u.a. eine "Indische Legion" aus 3.000 indischen Kriegsgefangenen, die an der Westfront gegen die Alliierten (britische, amerikanische und kanadische Soldaten) eingesetzt wurde. Nach dem Krieg wurde die Deutsch-Indische Gesellschaft neu gegründet mit heute rund 30 Zweigstellen und ca. 4.000 Mitgliedern. Vorsitzender ist Hans-Georg Wieck, ehemals BND Chef sowie deutscher Botschafter in Indien, der bei seinen Aktivitäten im Rahmen der OSZE beim Aufbau einer Opposition gegen Lukaschenko in Weißrussland bereits ein gewisses Renommee erlangt hat. Von 1993-1999 war er außerdem Präsident des Deutschen Indien-Instituts in München, das 1946 auf der Basis von NS-Netzwerken wiedergegründet worden war und eng mit dem Indien-Ressort des BND kooperiert.[20]

Insgesamt gibt es also genügend Hinweise, dass der deutsche Imperialismus sich beim Run auf neue Märkte und Einfluss auf insbesondere ökonomisch - noch - abhängige Staaten nicht die Butter vom Brot nehmen lässt. Die Strategie ist dabei traditionsgemäß, den Einfluss der imperialistischen Konkurrenz durch entsprechende "Partnerschaften" zurück zu drängen und dabei ganz un-aggressiv zu wirken. Das darf uns aber nicht über die Erkenntnis hinwegtäuschen, dass es sich hier um den dritten Anlauf des deutschen Imperialismus handelt, ökonomisch, politisch und militärisch Weltgeltung zu erreichen – auf Kosten der Konkurrenz, die sich das nicht bieten lassen wird. Statt diese von deutschem Boden aus zu bekämpfen (vornehmlich die USA) und damit unserer eigenen Bourgeoisie einen Gefallen zu tun, sollten wir die Machenschaften des deutschen Imperialismus entlarven und vor allem deren Kosten für die Arbeiter hierzulande, die heute mit materiellen Einschränkungen und morgen mit ihrem Leben für diese Abenteuer zu bezahlen haben ...

Andrea Schön,
Essen


Andrea Schön:
Deutsche Befriedungsstrategien im Nahen Osten

Mit dem Libanon-Einsatz der Bundeswehr gelang es dem deutschen Imperialismus, die letzte Hürde zur "Normalität" zu nehmen: Nun gibt es keinen Flecken der Erde mehr, auf den Deutschland nicht irgendeinen Anspruch erheben könnte, "nur" weil es dort im Zuge zweier Weltkriege besonders unangenehm aufgefallen wäre. Der erste Einsatz im Nahen Osten war zunächst erstaunlich umstritten in der hiesigen Bevölkerung. Viele meinten bei Medienbefragungen, nach dem Holocaust stünde es Deutschland besser an, sich in dieser Region nicht einzumischen – schon gar nicht militärisch.

Nun ist es sicherlich bedenkenswert genug, dass es sechs Millionen vergaster Juden bedarf, um eine deutsche Einmischung im Nahen Osten für fragwürdig zu halten, während etwa zwei Millionen abgeschlachteter Serben nicht ausreichen, um eine derartige Hemmschwelle zu errichten, wie wir aus dem Jugoslawienkrieg wissen. Aber dort sollte ja ein Holocaust "verhindert" werden ...

Dies macht eben nur - erneut - deutlich, dass imperialistische Interventionen grundsätzlich nichts mit Wiedergutmachung von Massakern, Verhinderung von Massakern etc. zu tun haben, sondern eben ausschließlich mit imperialistischen Interessen: Beherrschung und Unterdrückung abhängiger bzw. abhängig zu machender Länder, Verdrängung des Konkurrenten ...

Und um nichts anderes geht es dem deutschen Imperialismus im Nahen Osten: endlich dort die US-amerikanische Dominanz aufzurollen, Kapital zu schlagen aus dem massiven Einflussverlust der USA. Während in CNN letzterer offen beklagt wird und hochrangige Politiker (Brzezinski, Kissinger) über geeignete Gegenmaßnahmen sinnieren (z.B. einen Abzug von US-Truppen aus dem Irak), liest sich das in der bundesdeutschen Bürgerpresse etwa so:

Die Financial Times Deutschland titelte am 1.September 2006: "EU soll zentrale Rolle in Nahost spielen" und zitiert Finnlands Außenminister Erkki Tuomioja: "'Die EU ist die einzige Partei, die direkt und offen mit jedem, der relevant ist, reden kann'" ... Europa habe "inzwischen sowohl die militärische Führung als auch die Führung beim Wiederaufbau des Libanon übernommen ... Die Erwartungen an die EU seien sehr hoch. ... Teilweise sei das auch darauf zurückzuführen, dass die USA ihre vormals dominante Rolle nicht mehr ausfüllen könnten."

Entsprechend wurde Libanon für einen deutschen Einsatz unter Druck gesetzt und Israel schmackhaft gemacht ("Hisbollah entwaffnen"), aber zugleich deutlich gemacht, dass Deutschland "eigenständig" bleibt. So "eigenständig", dass es sich weder vom Libanon vorschreiben lassen will, wann deutsche Kriegsschiffe wo einzugreifen haben, noch gar zulässt, dass dieselben von Israel beschossen werden. (Spätestens an dieser Stelle könnte sich der "unvoreingenommene" Beobachter fragen, was denn die deutsche Bundeswehr eigentlich dort treibt, wo sie offensichtlich niemand haben will ...)

Bei allen Querelen um die "Robustheit" des deutschen Mandats und die Diskussionen um die angebliche Überforderung der Bundeswehr aufgrund der Vielzahl der derzeitigen Auslandseinsätze wird deutlich, dass der deutsche Imperialismus ein neues Kapitel aufgeschlagen hat: seine Wirtschaftsinteressen zunehmend auch militärisch abzusichern, mit und ohne (zweifellos bald auch: gegen) den Hauptkonkurrenten USA. Klar, dass dabei auch immer wieder die Effektivität und gesellschaftliche Akzeptanz solcher Einsätze überprüft werden müssen – allerdings keineswegs, um diese "Politik" zurückzunehmen, sondern im Gegenteil: um den Umbau der Bundeswehr von einer Verteidigungs- zu einer Angriffsarmee zu forcieren und den "neuen Soldaten" entsprechend zuzurichten.

Deutsche Interessen im Nahen Osten

Mit dem "Barcelona-Prozess" schlossen die 15 "alten" EU-Mitglieder eine sogenannte Euro-mediterrane Partnerschaft (EMP) mit zwölf "Partnern" ab[21]. Bis 2010 soll danach eine Euro-mediterrane Freihandelszone geschaffen werden. Was nichts anderes heißt, als dass die ökonomisch weitaus stärkeren EU-Staaten, allen voran Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien ungehinderten Zugang zu den Märkten im Nahen Osten und damit den Ausbau entsprechend marktbeherrschender Stellungen erhalten.[22]

Für Deutschland sind die Länder des Nahen Ostens[23] wichtige Exportgebiete, insbesondere in arbeitsintensiven Sektoren wie der Bauindustrie, Industrieausrüstungen, Autoindustrie und Maschinenbau sowie Elektronik und Telekommunikation. Für einige dieser Länder ist Deutschland der wichtigste Handelspartner: Der Iran importiert vor allem aus Deutschland (rund 10% aller Importe), ebenso Jordanien (ebenfalls 10%). Bei Libyen steht Deutschland mit ebenfalls 10% an zweiter Stelle, bei Ägypten mit 7,5%. Nummer 3 bei den Importen ist Deutschland für Tunesien (9,5%), Libanon (8,3%), Syrien (7,2%) und Algerien (6%). In absoluten Zahlen ist Israel nach der Türkei (Exporte von 7,6 Mrd. US$) der wichtigste Handelspartner mit Exporten in Höhe von 2,6 Mrd. US$ (7,3% aller israelischen Importe)[24]. Mit dem explodierenden Ölpreis sind insbesondere die Exporte in die OPEC-Staaten gestiegen. Die bürgerlichen Blätter hierzulande machen keinen Hehl daraus, dass ein hoher Ölpreis "unsere" Exportwirtschaft ankurbelt. Im Gegenzug hat sich Deutschland vom OPEC-Öl weitgehend unabhängig gemacht: Wurden 1973 noch rund 94% Öl von der OPEC bezogen, sind es heute nur noch 23% (mit Libyen als wichtigster Quelle).[25]

Um die Region wirtschaftlich noch stärker an sich zu binden, hat Deutschland ein starkes Interesse an einer Befriedung des Israel-Palästina-Konflikts. Ein Autorenkollektiv hat dazu eine Stellungnahme verfasst mit dem Titel "Ausgewogen, aber nicht neutral: Eckpunkte einer deutschen Nahostpolitik"[26], herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung in Kooperation mit der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), einer der wichtigsten "Denkfabriken" der deutschen Außenpolitik. Dort wird unmissverständlich die deutsche Positionierung bestimmt: Deutschland soll – als wichtigste finanzielle Unterstützerin der palästinensischen Autonomiebehörde - "Geburtshelferin und Patin" (S. 15) eines palästinensischen Staates sein; allerdings mit entsprechenden Auflagen: Ein solcher Staat hat "demokratisch" zu sein, "Menschenrechte zu respektieren" und die Bereitschaft zur "friedlichen Kooperation mit seinen Nachbarn" zu haben. Eine weitere Priorität in diesem Zusammenhang sei das Existenzrecht Israels, vorausgesetzt, es nimmt seine Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten zurück (S. 17). Außerdem seien im Rahmen der GASP[27] auch EU-Eingreiftruppen in der Region vorzusehen, so wie sie heute schon im Rahmen von UN-Missionen auf dem Sinai, in Libanon und auf den Golanhöhen vertreten seien (!).

Das sind also die Aussichten im Nahen Osten: Einem von den USA unterstützten Israel steht ein Palästinenserstaat von deutschen Gnaden gegenüber! Man darf davon ausgehen, dass das Thema "Gerechtigkeit" und "Sicherheit" für welche Seite auch immer damit vom Tisch ist. Hier baut sich satt dessen eine der Nahtstellen für den nächsten Weltkrieg auf ...

Aufgaben linker Kräfte in Deutschland

Statt sich hierzulande gegenseitig die Augen auszukratzen (pro-palästinensische gegen pro-israelische Fraktion), sollte die "Linke" sich auf ihre vornehmlichste Aufgabe besinnen, nämlich die Bekämpfung der eigenen Bourgeoisie, des deutschen Imperialismus. Der mordet derzeit nicht nur im Nahen Osten, sondern u.a. – seit einigen Jahren – ganz massiv im Kongo mit. Die Bevölkerung verliert dort im Durchschnitt eine Million Menschen pro Jahr, die mittelbar und unmittelbar auf das Konto imperialistischer Intervention gehen.

Das zeigt uns, dass "proletarischer Internationalismus" heute, in Zeiten schwärzester Reaktion, in Zeiten einer extrem geschwächten kommunistischen Weltbewegung, die Konzentration auf den eigenen Klassenfeind bedeutet. Bereits das erfordert eine riesige Kraftanstrengung, die (eigentlich) keine Zersplitterung der Kräfte erlaubt. Es geht schließlich darum, die hiesige Arbeiterklasse in Bewegung zu setzen, sie kampfbereit zu machen und sie in den Kampf zu führen. Derzeit ist unsere deutsche Bourgeoisie allerdings weit erfolgreicher, gerade in den Fragen Krieg und Frieden große Teile der Arbeiterklasse um sich zu scharen: Im sogenannten "Kampf gegen den Terror" werden, verkleidet als "Kampf der Kulturen", anti-islamische Ressentiments geschürt. Aber auch der Antisemitismus ist seit der Konterrevolution beliebtes Element, wenn es um die "Befreiung" des deutschen Imperialismus von allen antifaschistischen Auflagen aus der Nachkriegsordnung (Potsdamer Abkommen) geht. Die Reden der Jenninger, Walser und Hohmann haben die ideologischen Weichen gestellt: Der Holocaust darf endlich relativiert werden, was nichts anderes heißt, als Deutschland "imperialistische Normalität" zuzugestehen. "Wir" sind schließlich nicht schlechter als die USA, Frankreich oder Großbritannien ... mit geschändeten jüdischen Friedhöfen, beschmierten oder angezündeten Synagogen etc. als den üblichen Begleiterscheinungen, die nun nicht mehr erklärungsbedürftig sind – es passiert ja woanders auch...[28]

Der heutige Antisemitismus hat in der Gegenwart wieder eine wichtige Funktion: Nicht so sehr als "Antikapitalismus" des Kleinbürgers, der damit die lästige Konkurrenz loswerden möchte und gegen das Monopolkapital ziehen, ohne den Kapitalismus selbst zu bekämpfen ... Der heutige Antisemitismus hat vor allem zum Ziel, Deutschland von seinem größten Schandfleck, dem Holocaust, zu befreien. Wie sich gerade im Libanon-Krieg gezeigt hat, besteht ja seinetwegen immer noch die größte Hemmschwelle in der Bevölkerung, uneingeschränkt und überall Kriege zu führen bzw. führen zu lassen. Außerdem ist der Antisemitismus ein wichtiges Instrument, gegen den wichtigsten Konkurrenten, die USA, wo "die jüdische Lobby" sitzt und Israels antipalästinensische Politik unterstützt wird, zu mobilisieren, möglichst noch unter dem Vorwand des Schutzes palästinensischer Interessen ... Last not least ist der Antisemitismus ein gefundenes Fressen für Querfrontstrategen: Wenn es um die Volksgemeinschaft geht, das Hoffähigmachen rechter Positionen bei den Linken, eignen sich zwei Themen ganz besonders: die USA wegen ihrer "Weltgendarm"-Rolle im Allgemeinen und Israel (wiederum als Ziehkind der USA) im Besonderen. Wurden bei Hartz IV-Demonstrationen Faschisten noch isoliert, konnten sie sich durchaus ungestraft unter Pro-Libanon Demonstranten mischen.[29]

Die Linke sollte hier tatsächlich aufmerksam sein, denn dem deutschen Imperialismus gilt es schließlich, zwei Feinde gleichzeitig zu bekriegen - möglichst mit Unterstützung oder wenigstens Billigung/Stillhalten der Arbeiterklasse: zusammen mit der USA und/oder anderen imperialistischen Verbündeten gegen jede anti-imperialistische Gegenwehr (das betrifft alle sozialistischen Staaten, alle nach Selbständigkeit strebenden oder sie gar praktizierenden Staaten wie China, Venezuela etc.). Dazu zählt auch der "Kampf gegen den Terror", denn wie immer dieser motiviert sein mag, er ist gerichtet gegen die Bastionen der Ersten Welt. Und daher gilt es auch, diesen Terror zu identifizieren mit "religiösem Fanatismus", "Rückständigkeit", "Frauenfeindlichkeit" etc., womit man große Teile des demokratischen Kleinbürgertums einfangen kann.

Zum anderen geht es gegen die imperialistischen Konkurrenten, allen voran gegen die USA bei der Neuaufteilung der Welt. Hierzu dient wie geschildert der Antisemitismus.

Während der größte Teil der Linken (vor allem der ohne Klassenstandpunkt!) nur einen Teil, eine der beiden ideologischen Waffen des deutschen Imperialismus wahrnimmt und entsprechend auf den anderen Teil mit dem Nimbus moralischer Überlegenheit einschlägt (die Gremlizas[30] gegen die Elsässers[31] v.v.), zerbröselt die Linke, während Antiislamismus und Antisemitismus[32] in der Arbeiterklasse zunehmend auf fruchtbaren Boden fallen. Dort hat sich nämlich keiner sonderlich für den Libanon-Krieg interessiert. Allenfalls waren Kommentare in der chauvinistischen Preislage zu hören: "Ja, ja, der Jude mit dem Ami gegen die Bekloppten..."

Wer schafft "Gerechtigkeit" im Nahen Osten?

Noch ein Wort zur Israel-Palästina-Frage: Mit der Gründung des Staates Israel hatte man damals alle Beteiligten im Nahen Osten betrogen (was wiederum nur angesichts der Monstrosität des Holocaust möglich war). Das jüdische Volk hat man mit dem UN-Beschluss zur Teilung Palästinas im Glauben gelassen, es könne als Wiedergutmachung für den Holocaust auf Kosten eines anderen Volkes eine "sichere Heimstatt" aufbauen, einen geschützten Apartheitstaat inmitten einer darob feindseligen Umgebung, ein Stück Erste Welt inmitten der Dritten[33]. Die ansässige Bevölkerung Palästinas wurde mit Billigung nicht nur der imperialistischen Mächte vertrieben, sondern für dieses Unrecht wurde bis heute keine "Heilung" geschaffen, im Gegenteil: Die palästinensische Bevölkerung lebt immer noch zum größten Teil in Flüchtlingslagern, im Niemandsland, grottenarm und ohne Perspektiven – und ohne Rückhalt durch eine Sowjetunion insouveräner und rechtloser denn je.

Ein separater palästinensischer Staat, der absehbar lebensunfähig ist, oder – wie sich zunehmend zeigt – ausschließlich von imperialistischen Gnaden abhängig ist, ist daher auch nur eine Scheinperspektive. Sehr deutlich wurde dies angesichts der EU-Politik gegenüber der palästinensischen Hamas-Regierung. Indem man ihr den Geldhahn abdrehte, provozierte man Lohnausfälle bei der Polizei und Verwaltung und in der Folge eine Meuterei von Fatah-Angestellten, einen innerpalästinensischen Bürgerkrieg. Die Frage der "Souveränität" eines palästinensischen Staates ist offensichtlich in festen Händen, nämlich Deutschlands und der EU.

Israel hingegen hat als mit Abstand entwickeltster Industriestaat der Region noch am ehesten die Chance, die "Flucht nach vorne" anzutreten: eine südafrikanische Lösung mit einer Öffnung des Staates unter Beteiligung der palästinensischen Bourgeoisie. Damit träte Israel aus der Apartheit in einen "normalen" Klassenstaat – was wiederum eine wichtige Voraussetzung wäre für eine gegenüber dem Imperialismus eigenständige Entwicklung der Staaten im Nahen Osten, etwa vergleichbar mit der derzeitigen ökonomischen Integration lateinamerikanischer Staaten ... Offensichtlich gibt es in Israel Kräfte im progressiven Kleinbürgertum, u.a. die sogenannte Neue Historische Schule, die einer solchen Lösung den Boden zu bereiten scheinen: Man spricht u.a. vom "Mythos der Selbstverteidigung" als Gründungsmythos des israelischen Staates, als Mythos vom israelischen David, der sich gegen den angeblich überlegenen Goliath der arabischen Welt zur Wehr setzen muss[34]. Es gelte, diesen Mythos zu überwinden und auf diese Weise zu einer Politik der friedlichen Nachbarschaft und Verständigung mit den arabischen Staaten zu gelangen.

Wie dem auch sei, die Aufgaben für uns Kommunisten in Deutschland sind historisch vorgegeben, ob uns das gefällt oder nicht:

- Wir haben hierzulande den Klassenkampf zu organisieren, um überhaupt die Voraussetzung für eine revolutionär-internationalistische Bewegung zu schaffen.

- Unsere internationalistische Pflicht heute besteht in erster Linie darin, vom deutschen Imperialismus betroffene und bedrängte Völker zu unterstützen (so wie sich Kommunisten anderer imperialistischer Länder um die Unterdrückten ihres Landes zu kümmern haben) – eine Arbeitsteilung, die nicht nur logisch aus Lenins Imperialismustheorie folgt, sondern die uns derzeit vor allem auch unsere begrenzten Kräfte gebietet![35]

Andrea Schön,
Essen

Gedenkstein: „Den Opfern des Stalinismus“

Redaktion Offensiv:
Vorbemerkung

Während der Rosa-Luxemburg-Veranstaltung der „jungen Welt“ haben wir mit dem Aufruf der DKP-Berlin Unterschriften gesammelt gegen den in der Gedenkstätte der Sozialisten aufgestellten Stein „Den Opfern des Stalinismus“. Die dabei angestoßenen Diskussionen waren so interessant wie kontrovers. Die Anhänger des Reformismus und Revisionismus waren nur äußerst selten in der Lage, die Funktion dieses Gedenksteines im Zusammenhang mit der grundsätzlichen Klassenauseinandersetzung zu sehen, sie bewegten sich vielmehr innerhalb einer klassen-neutralen, allgemeinen Opferrhetorik (die den Nazigeneral des Unternehmens „Barbarossa“ dann auch mit einschließt – was sie selbstverständlich nicht hören wollten). Genossinnen und Genossen der DKP, der SDAJ, der Roten Hilfe und viele andere dagegen hatten kein Problem, die Klassenfunktion dieses „Gedenkens“ zu erkennen und haben dementsprechend gegen den Gedenkstein unterschrieben.

Zwischen den Stühlen sitzen, Eiertänze aufführen, jeden verstehen und mit jedem auskommen, Licht und Schatten sehen, die ausgewogene Balance suchen – all das können gedankenschwere Zentristen genau wie wendefreudige Reformisten nur, so lange sie lavieren können und es nicht „Spitz auf Knopf“ kommt. Deshalb sind solche Situationen wie diese, in der man entweder unterschreiben oder aber die Unterschrift verweigern muss (denn halb unterschreiben geht nun mal nicht), sehr vielsagend.

Besonders interessant erschien uns in diesem Zusammenhang ein Vorgang, in den die Tageszeitung „Neues Deutschland“ und die „Kommunistische Plattform der Linkspartei.PDS“ eingebunden waren. Das „Neue Deutschland“ hatte eine Diskussionsseite geplant – pro und kontra Gedenkstein für die „Opfern des Stalinismus“. Jürgen Hofmann sollte den Stein verteidigen, Kurt Gossweiler war gebeten worden, dagegen zu argumentieren. Kurt Gossweiler hatte aus gesundheitlichen Gründen abgesagt und Eva Ruppert als Ersatz vorgeschlagen. Eva Ruppert reichte ihre Argumentation beim „ND“ ein, ihr Artikel wurde angenommen, die Seite wurde gesetzt (die Druckfahne liegt uns vor), da schritt der Chefredakteur ein und untersagte den Abdruck mit der Begründung, dass es sich bei dem Artikel von Eva Ruppert um eine Verherrlichung Stalins handele.

Wir dokumentieren im folgenden zu diesem gesamten Vorgang den Leserbrief von Eva Ruppert, den die „junge Welt“ am 11. Januar 2007 brachte, einen Artikel aus den „Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Linkspartei.PDS“, Ausgabe 1-2007, von K.J. Goldstein, E. Brombacher, R. Farha, H. Karl und S. Wagenknecht sowie einen Leserbrief von Ellen Brombacher in der „jungen Welt“ vom 15. Januar des Jahres. Und danach drucken wir natürlich den im „ND“ nicht veröffentlichten Artikel von Eva Ruppert.

Diesen ganzen Aufwand betreiben wir, weil diese kleine Episode die Probleme der antikapitalistischen Linken exemplarisch und sehr deutlich aufzeigt: Die „demokratischen“ Sozialisten vom „ND“ üben Zensur aus, die „Kommunistische Plattform der Linkspartei.PDS“ hält das (in Person von Ellen Brombacher) im Resultat für „etwas Vernünftiges[36]“ und in ebensolchen Kreisen wird tatsächlich darüber diskutiert, ob man den antistalinistischen Stein nicht doch gegen eventuelle Provokationen schützen müsste.

Da gehen die Koordinaten des Klassenkampfes verloren. Und ein nicht geringer Teil der Menschen, die „eine andere Welt“ wollen, hält ein solches Verhalten für das Gebot der Stunde. So werden sie daran gewöhnt, im Sinne einer höheren „Vernunft“ (bloß keine Provokation – das wäre „mehr als schädlich“) anderen Interesse als ihren eigenen zu dienen.

Das Aufstellen dieses „Gedenksteins“ bewirkte und bewirkt mehr an Zerstörung, als es jeder noch so brutale Polizeieinsatz gegen die LLL-Demo je vermocht hätte. Und die Ursache für diese Zerstörung liegt  nicht nur in der Klugheit der Bourgeoisie und ihrer Lakeien.

Redaktion Offensiv,
Hannover

P.S.: Wir bitten Euch, den Aufruf der DKP Berlin, den Ihr am Schluss des Heftes findet, zu unterschreiben und Eure Unterschriften zu schicken an: DKP Berlin, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin!


Eva Ruppert:
Stein des Anstoßes – Leserbrief in „jW“, 11.1.07

Kurz vor Weihnachten wurde ich von der Redaktion des „ND“ gebeten, zu der Debatte um den Stein „Den Opfern des Stalinismus“ in Friedrichsfelde die Contra-Argumentation zu schreiben, die zusammen mit der Pro-Stellungnahme am 5.1.07 auf der Debatten-Seite erscheinen sollte. Nach Absprache mit der zuständigen Redakteurin lieferte ich den etwas gekürzten Beitrag pünktlich am 3.1.07 in der Redaktion ab. Am Nachmittag des 4.1.07 erhielt ich vom zuständigen Redakteur den Anruf, mein Beitrag könne nicht veröffentlicht werden. Begründung: Ich verherrliche in dem Artikel Stalin, die Zeitung wolle eine „sozialistische“ Zeitung sein, sie vertrete den „demokratischen Sozialismus“. Und da passe eben meine Stellungnahme nicht.

Mein Beitrag enthielt nach einem kurzen auf die Gedenkstätte der Sozialisten eine Auseinandersetzung mit dem begriff „Stalinismus“. Die z.T. unschuldigen Opfer der sog. Säuberungen der dreißiger Jahre in der SU wurden nicht geleugnet: „Leider führten die notwendigen Maßnahmen gegen einen faschistischen Überfall und die Bildung einer fünften Kolonne dazu, dass auch Unschuldige betroffen waren. Selbst von Antikommunisten wird die Rechtmäßigkeit der Prozesse nicht bestritten…Der ´Antistalinismus´ ist komprimierter Antikommunismus und damit Anti-Marxismus und Anti-Leninismus…Antikommunismus ist nicht nur ´Grundtorheit unseres Jahrhunderts´, wie Thomas Mann sagte, sondern Grundverbrechen, um der Arbeiterklasse ihre stärkste Waffe, den Kampf um die Eigentums- und Klassenverhältnisse, zu nehmen…Ohne ´Ent-Stalinisierung´ wäre die Restauration des Kapitalismus nicht möglich gewesen…Ein Gedenkstein mit der Inschrift ´Den Opfern des Stalinismus´ ist eine Beleidigung nicht nur der revolutionären Kämpfer Liebknecht und Luxemburg, sondern aller, die mit ihrem Blut für den Sozialismus, gegen Krieg und Faschismus ihr Leben gelassen haben und derer, die heute für eine sozialistische Gesellschaft kämpfen… Der Stein des Anstoßes, der Schandstein, der für Antikommunismus und Revisionismus steht, muss beseitigt werden. Im Gedenken an Karl und Rosa.“

Das sind Auszüge aus meinem inkriminierten Beitrag, in dem allerdings auch die Verdienste der Sowjetunion (unter Stalin) am Sieg über den Hitlerfaschismus und eine Würdigung der Persönlichkeit Stalins durch Winston Churchill genannt wurden.

Kann eine Zeitung, die daran Anstoß nimmt, „sozialistisch“ genannt werden?

Eva Ruppert,
Bad Homburg


Kurt Julius Goldstein, Ellen Brombacher, Rim Farha, Heinz Karl, Sahra Wagenknecht:
Nicht provozieren lassen – Auseinandersetzen!

Am 11. Dezember 2006 wird auf dem Friedhof der Sozialisten ein Gedenkstein eingeweiht. Wer in Zukunft nach ehrendem Gedenken an Rosa und Karl, an deutsche Sozialisten und Kommunisten das Friedhofsrondell wieder verlässt, wird – die Treppen hinuntersteigend – diesen vergleichsweise kleinen Gedenkstein vor Augen haben. Auf dem Stein stehen nicht, wie es vorstellbar wäre, Namen von Kommunisten und Sozialisten, die in der Sowjetunion unter Stalin umkamen – nicht selten vertraute Gefährten derer, die im Rondell begraben liegen. In diesen Stein ist ein Kampfbegriff eingemeißelt: „Opfer des Stalinismus“. Das sind in den Augen der Gegner jedes sozialistischen Gedankens inzwischen all jene, die irgendwann, zum Beispiel mit der DDR, in Konflikt gerieten, ob zurecht oder zu unrecht. Nicht zuletzt das assoziiert dieser Stein, und er ist somit zuvörderst eine Provokation für viele Sozialisten und Kommunisten. Provokationen sollen in der Regel die Provozierten zu Dummheiten verleiten, dazu, etwas zu tun, was ihnen schadet. Es wäre mehr als schädlich, käme die Gedenkstätte der Sozialisten zukünftig dadurch in die Medien, dass der besagte Stein in irgendeiner Weise besudelt würde. Deshalb bitten wir alle sich zu den Provozierten Zählenden, niemandem einen Vorwand zu liefern, letztlich jene in Verruf zu bringen, die sich dem Vermächtnis von Rosa und Karl und ebenso von Hugo und Werner Eberlein verpflichtet fühlen. Springen wir nicht über den Stock, der uns hingehalten wird.

K. J. Goldstein,
E. Brombacher,
R. Farha,
H. Karl,
S. Wagenknecht,

Mitteilungen der KPF,1-2007, S. 1


Ellen Brombacher:
Gestörte Planung? – Leserbrief in „jW“ vom 15.1.07

In  einem am 11. Januar 2007 in der jungen Welt veröffentlichten Leserbrief informierte Genossin Ruppert, sie sei von der ND-Redaktion gebeten worden, im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um den Friedrichsfelder Stein „Den Opfern des Stalinismus“ ihre Position darzustellen. Eva Ruppert hatte den Beitrag pünktlich geliefert. Unmittel vor dem geplanten Erscheinen – am 4. Januar – erfuhr sie, ihr Beitrag würde nicht veröffentlicht. Sie habe Stalin verherrlicht. Tags darauf erschien dann die Debattenseite mit einer den Stein befürwortenden Stellungnahme von Prof. Jürgen Hofmann und diversen Leserbriefen anstelle der sonst üblichen Gegenposition.

Dies veranlasst mich, über einen Vorgang zu informieren, der im Zusammenhang mit dem geschilderten Tatbestand stehen dürfte. Am 3. Januar 2007 fand bei der Lichtenberger Bezirksbürgermeisterin Genossin Christina Emmrich ein Gespräch mit Kritikern des Steins statt. Seitens der Kritik nahmen neun Genossinnen und Genossen daran teil, darunter Heinrich Fink, Kurt Goldstein, Andrej Reder und Friedrich Wolff. Genossin Emmrich wurde von Prof. Hofmann begleitet. An deutlichen Worten unsererseits fehlte es nicht. Am Schluss stellte Genossin Emmrich die Frage, wie es mit der Diskussion weitergehen solle. Ich schlug vor, die Genossen des ND zu bitten, das Thema auf der Debattenseite zu behandeln. Daraufhin teilte Prof. Hofmann mit, die Sache mit der Debattenseite sei gegessen. Da wir das nicht verstehen konnten, baten wir um Aufklärung. Eine Debattenseite zu dieser Problematik erschiene bereits am 5. Januar, hieß es. Nun interessierte uns natürlich, wer die Kontrahenten sein würden – zumal keiner der Unterzeichner des im ND vom 15. 12. 2006 veröffentlichten offenen Briefes zum Friedrichsfelder Stein gefragt worden war.

Kurt Gossweiler sei gebeten worden, erfuhren wir, und dass Jürgen Hofmann schreiben würde. Kurt Gossweiler habe aus gesundheitlichen Gründen statt seiner Eva Ruppert vorgeschlagen. Ich bat ums Wort und sagte, ich würde Kurt Gossweiler sehr achten und stimmte mit ihm in vielem überein. Worin wir nicht übereinstimmten, sei seine Bewertung Stalins. Kurt Gossweiler oder auch eine sich mit seiner Stalinposition vermutlich identifizierenden Genossin zu bitten, sich zum Stein zu äußern, bedeute natürlich, dass die Stalin betreffenden Positionen nicht verschwiegen würden.  Diese allerdings seien mit denen einer Vielzahl von Stein-Kritikern nicht identisch. Würde nun Kurt Gossweiler bzw. Eva Ruppert zum Kronzeugen der Stein-Gegner gemacht, so ermögliche dies eine Art Umkehrschluss – nämlich den Stein-Kritikern eine Pro-Stalin-Haltung zu unterstellen. Es gehöre wenig Phantasie dazu, sich die dann daraus resultierende Debatte vorzustellen. Das sei eine perfide Vorgehensweise, die ich als Provokation empfände. Diese Position wurde von Friedrich Wolff bekräftigt. Am 5. Januar erschien dann eine merkwürdig anmutende, weil debattenbefreite Debattenseite. Der jW-Leserbrief von Eva Ruppert ist durchaus aufhellend. Dass ihre Stalin-Darstellung der Grund für das Nichterscheinen des Artikels sein könnte, ist eher unwahrscheinlich. Man wusste doch um die Positionen. Man stelle sich vor, Lucy Redler würde gebeten, etwas über die rot-rote Koalition in Berlin zu schreiben, und dann würde ihr Artikel nicht abgedruckt, weil sich in diesem keine positiven Bewertungen derselben fänden.

Wie auch immer: Es ist gut, dass der Partei, noch dazu im Rahmen der programmatischen Debatte, keine Diskussion aufgehalst wurde, die an die Zeiten vor der 1. Tagung des 4. Parteitages im Januar 1995 erinnert hätte. Manchmal bewirkt die Störung mutmaßlicher Planungen etwas Vernünftiges.                           

Ellen Brombacher,
Berlin


Eva Ruppert:
Stein des Anstoßes – Der im ND nicht gedruckte Artikel

(Anmerkung: Zum richtigen Verständnis des Artikels ist es unbedingt notwendig, die dazugehörigen Fußnoten zu lesen.)

Ein zweiter Gedenkstein in Friedrichsfelde? „Die Toten mahnen uns!“ Was bedeutet uns dieses Denkmal auf dem Sozialistenfriedhof in Berlin? Jedes Jahr im Januar gehen Zehntausende dorthin, um die Kämpfer der Revolution zu ehren. Was treibt so viele Menschen immer wieder an diese historische Stätte. Weil sie gerade heute, da der Kapitalismus immer wütender um sich schlägt, erkennen, wie wahr die Gedanken der revolutionären Kämpfer sind, derer dort gedacht wird.

Karl Liebknecht, der einzige Reichstagsabgeordnete, der 1914 den Mut hatte, gegen die Kriegskredite zu stimmen und der sich an die Beschlüsse der internationalen Sozialdemokratie hielt; Rosa Luxemburg, die kluge und mutige Frau, die an seiner Seite gegen Militarismus kämpfte und nach dem Verrat der Sozialdemokratie für eine neue marxistische Partei eintrat; Rudolf Breitscheid, sozialistischer Reichstagsabgeordneter und Antifaschist, Sondergefangener Hitlers, sowie Ernst Thälmann, der in Buchenwald ermordet wurde und der mit unvergleichlichem Weitblick auf dem 12. Parteitag der KPD 1929 den Zusammenhang zwischen Faschismus, Imperialismus und Krieg erkannte: „Damit wird immer klarer, dass die deutsche Bourgeoisie ihre Kapitaloffensive nur durchführen kann, wenn sie eine scharfe Wendung in der Richtung der faschistischen Herrschaftsmethoden vollzieht.“ Eine Warnung auch an uns Heutige.

„Den toten Helden der Revolution“ war als ehrenvolle und mahnende Inschrift auf dem Revolutionsdenkmal in Friedrichsfelde angebracht, das am 11. Juni 1926 von Wilhelm Pieck, der damals die Berliner Parteiorganisation leitete, in Anwesenheit von Ernst Thälmann und unter Beteiligung Zehntausender eingeweiht worden ist. Jahrelang hatten[37] Berliner Arbeiter unter großen Anstrengungen für das Denkmal gesammelt, das vom berühmten Architekten, Bauhaus-Direktor von Dessau, Mies van der Rohe, entworfen worden war.[38]

Nach dem von Hitlerfaschisten organisierten Reichstagsbrand und der Massenverfolgung von Kommunisten, Sozialdemokraten und anderen Demokraten entfernten die Nazis den Sowjetstern vom Revolutionsdenkmal. Besucher wurden festgenommen. Trotzdem nutzen Antifaschisten immer wieder auch kirchliche Gedenktage, um Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und andere Revolutionsopfer zu ehren.

Im Januar 1935 wurde das imposante Monument von den Faschisten dem Erdboden gleichgemacht. Die Grabsteine für Liebknecht, Luxemburg und andere Revolutionsopfer konnten aber gerettet werden.  Es gibt Fotos von der barbarischen Grabschändung. Im „Neuen Deutschland“ vom 5./6. Juli 1975 wurden sie veröffentlicht. Der japanische Antifaschist Prof. Dr. Etsuji Sumiyo, der in den 30er Jahren als junger Journalist in Deutschland war, hat sie dem Historiker Dr. Kurt Gossweiler zukommen lassen. Das ND schrieb damals: „Dieses Geschenk aus dem fernen Japan symbolisiert auf seine Weise, wie vergeblich die Anstrengungen aller Reaktionäre von gestern und heute waren und sind, das Andenken an solche Helden wie Karl und Rosa aus dem Gedächtnis der Menschen auszulöschen.“ Ich denke, diese Worte gelten auch und gerade für die heutige Zeit, in der nicht nur die Gegner der proletarischen Revolution und der DDR, sondern auch Genossen aus der PDS die revolutionäre Bedeutung des Mahnmals verfälschen wollen.[39]

Am 14. Januar 1951 konnte die neue Gedenkstätte eingeweiht werde. In seiner Gedenkansprache sagte der damalige Staatspräsident der DDR, Wilhelm Pieck: „Wir ehren mit dieser Gedenkstätte die Toten aus fünf Jahrzehnten deutscher Arbeiterbewegung. Wir wollen mit der gemeinsamen Ehrung der alten Sozialisten und der in der Weimarer Republik und unter dem Hitlerfaschismus gefallenen und ermordeten Kämpfer unsere unverbrüchliche Treue zur großen sozialistischen Idee zum Ausdruck bringen und geloben, die Einheit der Arbeiterklasse als das teuerste Gut der sozialistischen Bewegung zu hüten. Wir erfüllen damit das Vermächtnis des besten Arbeiterführers in der Zeit der Weimarer Republik, unseres Ernst Thälmann.“[40]

Am 10. November 2006 wurde still und leise, kurz vor der diesjährigen L.-L.-Demonstration, ein neuer Stein mit der Inschrift „Den Opfern des Stalinismus“ in Berlin-Friedrichsfelde aufgestellt. Was aber ist „Stalinismus“? Erich Honecker schrieb 1992[41]: „Es gilt heute als `modern`, aufrechte Kommunisten als Stalinisten abzustempeln. … Unter der Flagge des Kampfes gegen den `Stalinismus` wird der Kampf gegen den Sozialismus geführt wie ehemals der Kampf gegen den Kommunismus unter der Flagge des Bolschewismus geführt wurde. Der `Stalinist` Dimitroff hat aber über den Bolschewistenfresser und Judenschlächter Göring im Kampf um die Wahrheit gesiegt.“

Auf dem Sonderparteitag der SED/PDS im Dezember 1989 hat Gregor Gysi erklärt, dessen wichtigstes Ergebnis sei die Zerschlagung des Stalinismus gewesen. Stalin zum Schöpfer einer eigenen Theorie zu machen ist Geschichtsfälschung. Stalin war stets Leninist. Und hat nie den Anspruch erhoben, eine eigene Theorie zu haben. Ohne ihn wäre die sozialistische Sowjetunion wahrscheinlich schon in den 30er Jahren durch Diversion und Spionage zerstört worden. Und es nicht aus der Geschichte zu streichen, dass die Völker der Sowjetunion als erste eine neue Gesellschaft aufbauten, in der es keinen Faschismus gab und keinen Krieg geben sollte. Ohne Stalin hätte 1945 nicht die rote Fahne auf dem Reichstag in Berlin gehisst werden können.[42] Selbst der Antikommunist Churchill musste dies[43] anerkennen. Er sagte nach dem Zweiten Weltkrieg: „Stalins Kraft war so groß, dass er unter den Führern aller Völker und Zeiten nicht seinesgleichen kennt.“[44] Zu erinnern ist auch, dass es Stalin war, der den Westmächten und beiden deutschen Regierungen wenige Jahre nach dem Krieg einen Vorschlag für einen Friedensvertrag unterbreitet hat auf Grundlage des Potsdamer Abkommens.[45] Ist das „Stalinismus“?

Nun wendet man ein, die „Säuberungen“ der 30er Jahre in der Sowjetunion unter Stalin hätten so viele unschuldige Opfer gefordert, die man doch auch ehren müsse. Dazu ist zu sagen, dass diese Opfer, die nicht in Abrede gestellt werde, ebenso wie Leid und Tod von 25 Millionen Sowjetsoldaten und Sowjetbürgern, auf das Konto der Hitlerfaschisten und ihrer Hintermänner gehen, die Deutschland aufrüsteten, um einen Stoß gegen die Sowjetunion zu führen, und die einen Keil in die Anti-Hitler-Koalition zu treiben versuchten. Leider führten die notwendigen Maßnahmen gegen einen faschistischen Überfall und die Bildung einer Fünften Kolonne dazu, dass auch Unschuldige betroffen wurden.[46]

Ohne „Ent-Stalinisierung“ wäre die Restauration des Kapitalismus nicht möglich gewesen. Der „Anti-Stalinismus“ ist komprimierter Antikommunismus und damit Antimarxismus und Antileninismus. Wer Stalin verteufelt, verurteilt gleichzeitig auch Marx und Lenin. Antikommunismus ist nicht nur die „Grundtorheit“ unserer Epoche, wie Thomas Mann sagte, sondern ein Grundverbrechen, um der Arbeiterklasse ihre stärkste Waffe, den Kampf um die Eigentums- und Klassenverhältnisse, zu nehmen.

Sind mit den neuen „Opfern“ etwa auch die Naziverbrecher gemeint, die 1945 in ehemaligen Konzentrationslagern und Zuchthäusern, übrigens nicht nur in der sowjetisch besetzten Zone, inhaftiert waren?

Ein Gedenkstein mit der Inschrift „Den Opfern des Stalinismus“ ist eine Beleidigung nicht nur der revolutionären Kämpfer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, sondern aller, die mit ihrem Blut für den Sozialismus, gegen Krieg und Faschismus ihr Leben gelassen haben und derer, die heute für eine sozialistische Gesellschaftsordnung kämpfen.[47]

Der Stein des Anstoßes, der Schandstein, der für Antikommunismus und Revisionismus steht, muss beseitigt werden. Im Gedenken an Karl und Rosa.

Eva Ruppert,
Bad Homburg

Faschismus und Antifaschismus heute

Tibor Zenker:
Faschismus und Antifaschismus heute - staatsmonopolistischer Kapitalismus und Demokratie; Teil 1

Gossweiler schreibt über den Imperialismus vor dem Auftreten des Faschismus: „Der dem Monopolkapitalismus innewohnende Drang nach Reaktion und Gewalt, nach Ergänzung des ökonomischen Monopols durch das Machtmonopol hatte sich bislang vor allem in der Entfaltung des staatsmonopolistischen Kapitalismus, im dauernden Bemühen um Stärkung der Exekutive auf Kosten des Parlaments sowie in Repressivmaßnahmen gegen die Arbeiterbewegung geäußert.“[48] – Wir haben im Abschnitt 1.2. ausführlich darüber gesprochen: dem Imperialismus wohnt per se der Drang des ökonomisch herrschende Monopolkapitals nach politischer Alleinherrschaft inne. Mit dem Eintritt des Kapitalismus ins Stadium seiner allgemeinen Krise äußert sich dieser Drang im und als Faschismus. Und auch wenn die Errichtung einer faschistischen Diktatur in West- und Mitteleuropa heute nicht unmittelbar auf der Tagesordnung des Monopolkapitals steht, so besteht auch im gegenwärtigen staatsmonopolistischen Kapitalismus (Stamokap) die grundsätzliche Tendenz zur politischen Reaktion, d.h. zur einer Entwicklung der mit den Monopolen verwachsenen Staatsmacht in eine verstärkt autoritäre und demokratiefeindliche Richtung – in Richtung des Ausbaus der (exekutiven) Staatsgewalt, der Militarisierung der Gesellschaft, der Beschneidung der Möglichkeiten des repräsentativen Parlamentarismus und der (relativ) unabhängigen Rechtssprechung. Das bedeutet, dass sich das europäische Monopolkapital gegenwärtig mit der bürgerlichen Demokratie abfindet, ohne dabei jedoch seine reaktionären Tendenzen auch nur ansatzweise abzulegen.

Betrachten wir zunächst die bürgerliche Demokratie mitsamt Parlamentarismus und allgemeinem Wahlrecht. Wie steht die revolutionäre ArbeiterInnenbewegung, wie steht der Marxismus dazu? „Die demokratische Republik ist die denkbar beste politische Hülle des Kapitalismus, und daher begründet das Kapital, nachdem es … von dieser besten Hülle Besitz ergriffen hat, seine Macht derart zuverlässig, derart sicher, dass keine Wechsel, weder der Personen noch der Institutionen noch der Parteien der bürgerlich-demokratischen Republik, diese Macht erschüttern kann“[49], schreibt Lenin. – Warum ist das so? „Die bürgerliche Demokratie“, erklärt Karl Liebknecht, „ist eine verfälschte Demokratie, da die ökonomische und soziale Abhängigkeit der arbeitenden Massen auch bei formaler politischer Gleichheit den herrschenden Klassen sachlich ein ungeheures politisches Übergewicht gibt und die ökonomische und soziale Abhängigkeit an und für sich wirkliche Demokratie ausschließt.“[50]

Man muss kein Marxist wie Lenin oder Liebknecht sein, um zu solchen Erkenntnissen zu gelangen. Albert Einstein schrieb 1949 äußerst richtig: „Privates Kapital tendiert dazu, in wenigen Händen konzentriert zu werden – teils aufgrund der Konkurrenz zwischen den Kapitalisten und teils, weil die technologische Entwicklung und die wachsende Arbeitsteilung die Entstehung von größeren Einheiten auf Kosten der kleineren vorantreiben. Das Ergebnis dieser Entwicklungen ist eine Oligarchie von privatem Kapital, dessen enorme Kraft nicht einmal von einer demokratisch organisierten politischen Gesellschaft überprüft werden kann. Dies ist so, da die Mitglieder der gesetzgebenden Organe von politischen Parteien ausgewählt sind, die im Wesentlichen von Privatkapitalisten finanziert oder anderweitig beeinflusst werden und in der Praxis die Wähler von der Legislative trennen. Die Folge ist, dass die ‚Volksvertreter’ die Interessen der unterprivilegierten Schicht der Bevölkerung nicht ausreichend schützen. Außerdem kontrollieren unter den vorhandenen Bedingungen die Privatkapitalisten zwangsläufig direkt oder indirekt die Hauptinformationsquellen (Presse, Radio, Bildung). Es ist deshalb äußerst schwierig und für den einzelnen Bürger in den meisten Fällen fast unmöglich, objektive Schlüsse zu ziehen und in intelligenter Weise Gebrauch von seinen politischen Rechten zu machen.“[51] – Trefflich, wenn auch nicht mit der exakten Terminologie des Marxismus, erklärt Einstein hier die Herausbildung des Monopolkapitals sowie ansatzweise die politische Struktur des Stamokap und leitet davon die Grenzen der bürgerlichen Demokratie unter solchen Voraussetzungen ab.

Wir haben damit schon hinlänglich die Gründe, warum Lenin in Anlehnung an Marx über den bürgerlichen Parlamentarismus feststellen kann: „Einmal in mehreren Jahren zu entscheiden, welches Mitglied der herrschenden Klasse das Volk im Parlament niederhalten und zertreten soll – das ist das wirkliche Wesen des bürgerlichen Parlamentarismus, … auch in den allerdemokratischsten Republiken. (…) Die eigentlichen ‚Staats’geschäfte werden hinter den Kulissen abgewickelt (…) In den Parlamenten wird nur geschwatzt, speziell zu dem Zweck, das ‚niedere Volk’ hinters Licht zu führen.“[52]

Unter diesen Gesichtspunkten hat das in der bürgerlichen Demokratie verwirklichte „allgemeine Wahlrecht“ natürlich nur eingeschränkte Bedeutung: „Denn bei Fortbestand des Kapitalismus“, schreibt Clara Zetkin, „ist das Wahlrecht nur zur Verwirklichung der lediglich formalen politischen, bürgerlichen Demokratie da, es besagt keineswegs tatsächliche, wirtschaftliche, proletarische Demokratie. Das allgemeine, gleiche, geheime, direkte, aktive und passive Wahlrecht für alle Erwachsenen bedeutet nur die letzte Entwicklungsstufe der bürgerlichen Demokratie und wird zur Grundlage und zum Deckmantel für die vollkommenste politische Form der Klassenherrschaft der Besitzenden und Ausbeutenden.“[53]

Welche Bedeutung haben nun also Demokratie und Parlamentarismus für die revolutionäre Bewegung? Nochmals Zetkin: „Für sie kommt der Besitz des Wahlrechtes und der Wählbarkeit nur als ein Mittel unter anderen Mitteln in Betracht, sich zu sammeln und zu schulen für Arbeit und Kampf zur Aufrichtung einer Gesellschaftsordnung, die erlöst ist von der Herrschaft des Privateigentums über die Menschen und die daher nach der Aufhebung des Klassengegensatzes zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten die Gesellschaftsordnung freier, gleichberechtigter und gleichverpflichteter Arbeitender sein kann.“[54] Und Jakob Rosner stellt dies nun im Allgemeinen in die historische Dimension, wenn er schreibt: „Das wesentlich Fortschrittliche und Vorwärtsweisende an der Demokratie … ist das durch sie ermöglichte Vorwärtsdrängen und die Förderung des Klassenkampfes, die Erleichterung des Zusammenschlusses der Arbeiterschaft und der werktätigen Menschen zu gemeinsamem Handeln, zu gemeinsamem Wirken und Kämpfen für ihre Forderungen und Ziele. Denn die Demokratie ist kein Ziel ‚an sich’, keine soziale Erscheinung, die absoluten Wert in sich selbst birgt: die Demokratie ist lediglich eine historische Kategorie, im Kampf der Klassen, im Klassenkampf geworden, der Entfaltung des Kampfes des Klassen, des Klassenkampfes dienend und mit dem Überwinden und Verschwinden des Klassenkampfes selbst verschwindend und vergehend.“[55]

So sehr die deformierte Demokratie des bürgerlichen Klassenstaates aus Sicht der revolutionären ArbeiterInnenbewegung keinen Wert an sich darstellt, so ist für sie dennoch nicht gleichgültig – das geht aus dem von Clara Zetkin Gesagten bereits hervor – in welcher Form der bürgerlichen Herrschaft sie agiert. Natürlich liegen mit der bürgerlichen Demokratie und mit dem Wahlparlamentarismus ganz andere Spielräume für die ArbeiterInnenbewegung vor als ohne sie. Und in dem Fall, wo es um die Entscheidung Demokratie oder faschistische Diktatur geht, hängt mitunter, ja zumeist auch die legale Existenz und Tätigkeit der Organisationen der ArbeiterInnenbewegung davon ab. Natürlich unterstützt die revolutionäre ArbeiterInnenbewegung alle demokratischen Forderungen und Bestrebungen. Letztlich hat gerade der Kampf gegen den Faschismus gezeigt, dass es in erster Linie die KommunistInnen sind, die am vehementesten die bürgerliche Demokratie – sei sie noch so unzulänglich – gegen alle Angriffe der Reaktion und des Faschismus verteidigen.

Dementsprechend sagte Clara Zetkin am 20. Oktober 1922 im deutsche Reichstag über das Verhältnis der KPD zur Weimarer Republik: „‚Wir haben keine Illusionen über das, was dieses bisschen Demokratie für die Arbeiterklasse wert ist, aber so wenig es bedeutet, wir unterschätzen es nicht.’ Zu den Deutschnationalen gewandt, fuhr sie fort: ‚Während Sie nur sinnen und trachten, wie Sie diesen Anfang zur Demokratie beseitigen können, stehen wir allezeit bereit und gerüstet, diese armselige Demokratie gegen Sie zu schützen und zu verteidigen, und es wird sich zeigen, dass dieser Anfang zur Demokratie keine treueren, keine kampfentschlosseneren Verteidiger hat als gerade die Kommunisten’.“[56]

Vor diesem Hintergrund gibt es wenig Schändlicheres als jene Versuche bürgerlicher und sozialdemokratischer HistorikerInnen, den KommunistInnen eine Teilschuld für das Ende der Weimarer Republik zu unterschieben: die demokratische Republik, so die Behauptung, sei dem doppelten antidemokratischen Angriff der NSDAP von rechts und der KPD von links zum Opfer gefallen. Nun, die NSDAP – und das deutsche Monopolkapital – waren in der Tat antidemokratisch eingestellt: sie wollten weniger Demokratie, ja überhaupt keine Demokratie. Den KommunistInnen hingegen ging diese Demokratie noch nicht weit genug: sie wollten mehr Demokratie. So ist denn auch der Kampf für den Sozialismus per se ein demokratischer Kampf, ein Kampf für die vollständige Demokratie. Die Diktatur des Proletariats ist die vollständige Demokratie für die Werktätigen, aber – das ist richtig – eine notwendige Diktatur gegenüber jenen gesellschaftlichen Kräften, die an sich antidemokratisch sind: das ist die Bourgeoisie im Allgemeinen, das Monopolkapital im Besonderen. Doch auch diese proletarische, sozialistische Demokratie – Rosner hat es oben schon erwähnt – dient nur dazu, schließlich mit einer klassenlosen Gesellschaft auch eine herrschaftsfreie Gesellschaft zu erreichen: den Kommunismus.

Das Verhältnis des Monopolkapitals zur Demokratie einerseits und zum Faschismus andererseits wollen wir nun als nächstes genauer betrachten. Das Verhältnis des Monopolkapitals zu Demokratie und Faschismus ist – gelinde gesagt – ein unsauberes. Wir haben bereits ausführlich besprochen, was die ökonomischen Grundlagen für diese politischen Tendenzen, für den antidemokratischen Drang des Monopolkapitals sind. Wir wollen nun exemplarischer und konkreter betrachten, wie sich dies im demokratisch-parlamentarischen Stamokap auswirkt. Drei Beispiele seien angeführt – davon ein historisches und zwei aktuelle.

Ein viel sagendes Beispiel für die Demokratiefeindlichkeit des Monopolkapitals ist sein Verhältnis zum Pinochet-Putsch und zur Errichtung der faschistischen Diktatur in Chile 1973.[57] Reinhard Kühnl stellt etwa zur damaligen Situation in der BRD fest, „dass maßgebliche Politiker und Organe der ‚gemäßigten’ Rechten – von Franz Josef Strauß bis zum CDU-Generalsekretär Bruno Heck, vom Bayernkurier bis zur Welt und zur Frankfurter Allgemeine Zeitung – die Errichtung terroristischer Diktaturen in anderen Ländern, zum Beispiel in Chile 1973, als notwendig oder sogar höchst erfreulich dargestellt und damit nicht nur diese Diktaturen gestützt, sondern grundsätzlich ihre dubiose Haltung zur Demokratie deutlich gemacht und ideologisch zur Vorbereitung diktatorischer Herrschaftsformen im eigenen Land ihr Teil beigetragen haben. Dies Lob der Diktatur wird begründet, wie es von der Rechten schon immer begründet worden ist: Die ‚kommunistische Gefahr’ müsse niedergehalten werden, und zwar aus militärstrategischen und innenpolitischen Gründen; wo es keine Arbeiterorganisationen gebe, seien die Arbeitskräfte billiger und die Investitionen lohnender; so sei also – recht verstanden – die Diktatur der Garant für die ‚Freiheit’ – nämlich, wie man hinzufügen muss, die Freiheit des Kapitals und der Ausbeutung. Es ist offensichtlich, dass alle diese Argumente aus der Sicht der herrschenden Klasse und der politischen Rechten sinnvoll sind und ihr Lob auf die Diktatur deshalb auch konsequent ist.“[58]

Die konservativen und rechten Parteien in der BRD sowie das Monopolkapital fanden also absolut nichts dabei, dass ein demokratisch gewählter Präsident durch einen faschistischen Putsch gestürzt wurde. Im Gegenteil: dieser Schritt wurde begrüßt, in Wirklichkeit aber vom internationalen Monopolkapital und vom Weltimperialismus sogar von langer Hand geplant und unterstützt. Besagter Präsident, Salvador Allende, berichtete am 4. Dezember 1972 vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen, bereits seit 1970 „gab es in Chile Terroraktionen, die außerhalb unserer Grenzen geplant und zusammen mit faschistischen Gruppen im Lande durchgeführt wurden. (…) Im März dieses Jahres wurden Dokumente an die Öffentlichkeit gebracht, die den Zusammenhang zwischen diesen finsteren Machenschaften und der ITT aufdeckten. (…) Diese Gesellschaft war erneut bei der amerikanischen Regierung vorstellig geworden und hatte um deren Hilfe dafür ersucht, meine Regierung im Verlauf von sechs Monaten zu stürzen. (…) Vorgesehen waren die wirtschaftliche Erdrosselung, die diplomatische Sabotage, die Organisierung eines sozialen Chaos, die Schaffung einer Panikstimmung unter der Bevölkerung, damit … die Streitkräfte sich veranlasst sähen, die demokratische Ordnung aufzuheben und eine Diktatur zu errichten.“[59] Ähnlich äußerte sich Luis Corvalán noch im März 1973: „Trotz allem erklärt sich der reaktionärste Teil der Opposition als nicht geschlagen. Er schreckt nicht davor zurück, das Urteil der Bürger zu ignorieren und widmet sich erneut einem Putsch, um mit allen Mitteln den Sturz der Regierung herbeizuführen, bevor es dieser gelingt, die reaktionären Machenschaften zu unterbinden und bevor sich der revolutionäre Prozess in etwas Unwiderrufliches verwandelt. (…) Als Konsequenz wird der Feind erneut versuchen, sie zu stürzen. Er wird den Putsch bald und mit der besten Vorbereitung unternehmen, um eine erneute Niederlage zu vermeiden. Die CIA-Agenten arbeiten sicher schon recht aktiv…“[60] – In der Tat ist es sechs Monate später genau so gekommen – und nicht nur die US-Monopole und die US-Regierung, sondern auch die „demokratischen“ und „antifaschistischen“ Staaten Westeuropas und das europäische Monopolkapital ließen keinen Zweifel daran, dass sie diesen Putsch billigten und unterstützten.

Ein durchaus ähnliches Beispiel aus der Gegenwart, das wir schon kurz angesprochen haben, ist das Verhältnis der imperialistischen Regierungen Europas und insbesondere der USA zum revolutionären Prozess in Venezuela. Tatsache ist, dass es in den kapitalistischen Ländern der Welt wohl keine zweite Regierung gibt, die ähnlich umfassend und wiederholt vom Volk legitimiert ist wie jene von Hugo Chávez. Diese Regierung hat unter Beteiligung des Volkes eine neue partizipativ-demokratische Verfassung eingeführt und sich diesen Bedingungen, die von der Opposition im – gescheiterten – Abwahlreferendum bereits genutzt wurden, auch gestellt. Diese Regierung hat dank des Volkes einen Putschversuch des Unternehmerverbandes überstanden. Diese Regierung bindet die Volksmassen ein, um sie selbst aktiv daran zu beteiligen, eine demokratische und soziale Gesellschaft neuen Typs zu verwirklichen: eine antiimperialistische, antimonopolistische Volksdemokratie. – Trotz dieser Tatsachen, trotz des zutiefst demokratischen Charakters des revolutionären Prozesses in Venezuela, werden die imperialistischen Regierungen und bürgerlichen Medienmonopole der Welt nicht müde, ausgerechnet dieser Regierung autoritäre Züge zu unterstellen. Wieder – wie schon im Falle Chiles 1970-1973 – sind die imperialistischen Regierungen Nordamerikas und Europas sowie die nordamerikanischen und europäischen Monopole nicht bereit, das wiederholte demokratische Votum, den eindeutigen Willen eines Volkes anzuerkennen – vielmehr noch: sie unterstützten jene konterrevolutionären Kräfte, die die Regeln ihrer eigenen bürgerlichen Demokratie nicht mehr anerkennen, sondern auf Sabotage, Putschversuche und Terroraktionen setzen. Und da behauptet die US-Regierung, die zweifellos die Hauptunterstützung der konterrevolutionär-putschistischen Kräfte in Venezuela ist – auch noch, sie würde bloß für Demokratie und Freiheit und gegen den Terrorismus agieren… – Man möchte hoffen, dass das Volk Venezuelas die Kraft und die Beharrlichkeit aufbringt, derartigen Beglückungen nachhaltig Widerstand zu leisten. Und man möchte hoffen, dass die Werktätigen in den imperialistischen Hauptländern klar erkennen, wer welche Interessen vertritt, wer für Demokratie und wer für die faschistische Diktatur steht, und sich dementsprechend mit den für tatsächliche Freiheit und Demokratie kämpfenden Volksmassen in Lateinamerika solidarisieren.

Kommen wir abschließend noch zu einem Beispiel, das die Europäische Union betrifft: zum EU-Verfassungsvertrag. Was sich diesbezüglich in den Ländern der EU abspielte und abspielt, ist ja schon bemerkenswert kurios. Oben hatten wir anhand Venezuelas das Beispiel, wie eine Verfassung unter Beteiligung des Volkes auf breitester Grundlage erarbeitet und beschlossen werden kann. Der gesamte Verfassungsprozess der EU steht dem diametral entgegen. Wir wollen hier gar nicht darauf eingehen, dass der Vertrag selbst dem Inhalt nach per se antidemokratisch, militaristisch und imperialistisch ist. Das ist nicht weiter verwunderlich: „Vom Standpunkt der ökonomischen Bedingungen des Imperialismus, d.h. des Kapitalexports und der Aufteilung der Welt“, schrieb Lenin, „sind die Vereinigten Staaten von Europa unter kapitalistischen Verhältnissen entweder unmöglich oder reaktionär.“[61] Die EU ist ein imperialistisches Bündnis, entsprechend besteht ihre Hauptfunktion in der Optimierung der globalen Ausbeutungsmöglichkeiten des EU-Monopolkapitals, was konsequenterweise Militarismus, imperialistische Aggression, Antisozialismus und eben antidemokratische Strukturen impliziert. Soll sein. Natürlich schaffen sich die nationalen europäischen Imperialismen ein Staatenbündnis nach ihrem Ebenbilde. Die Groteske besteht aber wiederum darin, dass demokratische Entscheidungen der Bevölkerung schlichtweg nicht anerkannt werden: in zwei der wichtigsten EU-Mitgliedstaaten, in Frankreich und den Niederlanden, hat sich die Bevölkerung auf dem Wege der Volksabstimmung gegen die Verfassung ausgesprochen. Dies wird autoritärer Weise einfach nicht akzeptiert. Andererseits – und das ist ebenso bemerkenswert – wird in den meisten EU-Ländern (so auch in Österreich und Deutschland) der Bevölkerung die Mitbestimmung von vornherein verweigert. Was nun kein Wunder ist, denn auch in einer Reihe anderer Mitgliedstaaten würde ein Referendum klar negativ ausfallen. – Also wird so etwas Grundlegendes wie ein Verfassungsvertrag lieber gleich von oben oktroyiert, denn man möchte sich vom Pöbel ja nicht in die monopolkapitalistische Suppe spucken lassen…

Wir sehen schon anhand dreier Beispiele, dass es mäßig gut bestellt ist um das Verhältnis des Monopolkapitals zur Demokratie. Stellt man dem Monopolkapital die Gretchenfrage „Wie hältst du’s mit der Demokratie?“, so ist die Antwort eindeutiger als Fausts Position zur Religion – und ablehnender.

Neben diesen Einzelbeispielen wollen wir abschließend noch mal auf jene verstärkt reaktionären Maßnahmen zu sprechen kommen, die bürgerliche (und leider auch sozialdemokratische) Regierungen im Rahmen des bürgerlich-parlamentarischen Systems fast andauernd vorantreiben. Dimitroff sagte 1935, „ernst und gefährlich ist der Fehler, die Bedeutung zu unterschätzen, die den verschärfenden reaktionären Maßnahmen der Bourgeoisie für die Aufrichtung der faschistischen Diktatur zukommt; jenen Maßnahmen, die dazu dienen, die demokratischen Freiheiten der Werktätigen zu unterdrücken, die Rechte des Parlaments zu verfälschen und zu schmälern, die Repressalien gegen die revolutionäre Bewegung zu verschärfen.“ Es geht um die „Tatsache, dass vor der Errichtung der faschistischen Diktatur die bürgerlichen Regierungen in der Regel verschiedene Etappen durchlaufen und eine Reihe reaktionärer Maßnahmen durchführen, die den Machtantritt des Faschismus vorbereiten und unmittelbar fördern. Wer in diesen Vorbereitungsetappen nicht gegen die reaktionären Maßnahmen und den anwachsenden Faschismus kämpft, der ist nicht imstande, den Sieg des Faschismus zu verhindern, der fördert ihn vielmehr.“[62] – Das bedeutet nun nicht, dass wir uns in einem permanenten Faschisierungsprozess befinden, wohl aber, dass das Monopolkapital permanent bestrebt ist, das Kräfteverhältnis noch weiter zu seinen Gunsten zu verschieben. Im Ernstfall bedeutet dies sodann freilich günstigere Ausgangsbedingungen für die Errichtung einer faschistischen Diktatur – ob es allerdings jemals soweit kommt, hängt immer vom einheitlichen (und rechtzeitigen) Widerstand der demokratischen und antifaschistischen Kräfte ab. Man kann also zusammenfassend mit Konstantin Sarodow sagen: „Die Kommunisten sind unversöhnliche Feinde des Faschismus. Sie kämopfen auch gegen jeden Rechtsruck der bürgerlichem Demokratie, weil das Unterdrückung der demokratischen Freiheiten der Werktätigen, Schmälerung der Rechte des Parlaments, Stärkung der Positionen der Reaktion und Zunahme der Repressalien gegen die revolutionäre Bewegung bedeutet. Gleichzeitig sind sich aber die Kommunisten über den gewaltigen politischen Unterschied klar, der zwischen einem Rechtsruck der bürgerlichen Demokratie und der Liquidierung der bürgerlichen Demokratie besteht. Es versteht sich von selbst, dass ein Rechtsruck der bürgerlichen Demokratie auf dem Boden des staatsmonopolistischen Kapitalismus die Tendenzen zur Faschisierung des bürgerlichen Staatswesens verstärkt, die Machtergreifung durch die Faschisten fördern kann.“[63]

Welche Maßnahmen sind hier nun konkret gemeint? Im weltweiten Maßstab betrifft dies insbesondere die „Anti-Terror“-Gesetzgebung seit dem 11. September 2001. „Diese Anschläge und die Überzeichnung einer terroristischen Gefahr, die zu geopolitischen und kriminalistischen Realitäten freilich in keinerlei Relation steht, dienten und dienen weltweit als Vorwand, die Macht und die Befugnisse von Polizei und Armee im Sinne der ‚Terrorbekämpfung’ auszuweiten, um somit schärfer als je zuvor gegen Opposition, progressive politische Organisationen, ‚Globalisierungs’-GegnerInnen, ethnische Minderheiten, Menschen islamischen Glaubens, ImmigrantInnen und unangenehme JournalistInnen vorgehen zu können. Absehbar ist, dass jeder soziale Aufstand, jedes Aufbegehren gegen die Brutalität des imperialistischen Ökonomie, in nächster Zeit schlicht als ‚Terror’ definiert werden soll und wird.“[64] – Bezüglich der USA hat die „Anti-Terror“-Strategie und -Hysterie u.a. Dinge hervorgebracht wie das neue „Heimatschutzministerium“ im Geiste McCarthys, Abu Ghraib, die CIA-Geheimgefängnisse in Osteuropa und wahrlich nicht zuletzt das Lager bei Guantanamo. Doch dies sind nur Einzelbeispiele, wir werden auf die besondere Rolle der USA noch allgemeiner eingehen.

Betrachten wir Österreich, so wären bezüglich der letzten Jahren außerdem u.a. das Heeresbefugnisgesetz, das Sicherheitspolizeigesetz, „Lauschangriff“ und Rasterfahndung sowie das Vermummungsverbot bei Demonstrationen zu nennen; hier „wird deutlich, dass … [dies] nur Mosaiksteine sind in einem Gesamtbild, das den systematischen Ausbau der Staatsgewalt zu einem immer umfassenderen Herrschaftsinstrument, das auch grundlegende Menschen- und BürgerInnenrechte beschneiden und vorsätzlich Elemente exekutiver Willkür haben soll und muss, beinhaltet.“[65] – Es ist absehbar, was in diesem Sinne eine anstehende Aufgabe der demokratischen Kräfte in Österreich beispielsweise sein könnte: was der österreichischen Bourgeoisie nämlich etwa noch fehlt, ist die Einführung eines Berufsheeres – dagegen muss es Widerstand geben bei gleichzeitigem Kampf um eine Demokratisierung des Bundesheeres.

Unterm Strich gilt also unter demokratischen Verhältnissen des staatsmonopolistischen Kapitalismus, was Lenin geschrieben hat: „Insbesondere aber weist der Imperialismus, weist die Epoche des Bankkapitals, die Epoche der gigantischen kapitalistischen Monopole, die Epoche des Hinüberwachsens des monopolistischen Kapitalismus in den staatsmonopolistischen Kapitalismus, eine ungewöhnliche Stärkung der ‚Staatsmaschinerie’ auf, ein unerhörtes Anwachsen ihres Beamten- und Militärapparates in Verbindung mit verstärkten Repressalien gegen das Proletariat.“[66] – Dieser stetige Ausbau der Staatsgewalt, der gegenwärtige Prozess der Entdemokratisierung, der von den imperialistischen Regierungen vorangetrieben wird, der Prozess der Militarisierung etc. – all dies sind Vorboten und Ansätze möglicher faschistischer Gefahren.

Faschistische Gefahren in der Gegenwart

Gegenwärtige faschistische Gefahren zu systematisieren, erscheint als schwierige Aufgabe. Wollen wir diesen Versuch wagen, so gibt es heute wohl drei große Linien faschistischer Gefahren: 1. bestehende (neo-)faschistische sowie rechtsradikale Organisationen und Parteien; 2. die reaktionärsten Kräfte innerhalb der konservativen (Massen-)Parteien und das damit verbundene reaktionäre Potenzial im bürgerlichen Staatsapparat; 3. die imperialistische Aggression auf zwischenstaatlicher Ebene und die Frage des Faschismusexports. 

Faschistische und rechtsextreme Organisationen

Kommen wir zunächst zu bestehenden faschistischen Bewegungen. Gegenwärtig hat es in Europa nicht den Anschein, als bestünde die Gefahr, dass bestehende (oder auch neu gegründete) faschistische Parteien einen Massenanhang finden könnten. Man soll die immer wiederkehrenden Wahlerfolge z.B. der deutschen NPD zwar nicht unterschätzen, doch stehen einem weiteren Erstarken drei Dinge im Wege: es fehlt der NPD die konzentrierte Unterstützung aus dem Großkapital; zweitens fehlen einstweilen die objektiven Bedingungen, die ein Aufkommen einer faschistischen Partei ermöglichen würden; drittens ist der historische Faschismus als Bezugspunkt immer noch weitgehend diskreditiert. – So sehr diese Voraussetzungen noch fehlen, so sicher kann es diesbezüglich jedoch Veränderungen geben.

Natürlich werden auch die kleineren (neo-)faschistischen und „rechtsextremen“ Parteien vom Kapital auf unterschiedlichste Weise finanziert, jedoch im geringeren Ausmaß. Die Großbourgeoisie legt gegenwärtig freilich das Hauptaugenmerk auf die konservativen Großparteien, etwa auf die Unionsparteien in Deutschland, auf die ÖVP in Österreich, auch die Sozialdemokratie erscheint gegenwärtig mehr als hilfreich. Momentan bietet dies optimale Herrschaftsmöglichkeiten der Bourgeoisie unter demokratischen Verhältnissen, eine faschistische Bewegung ist schlichtweg momentan nicht nötig, sie bleibt einstweilen in strategischer Reserve. Sollte sie unter bestimmten Bedingungen als nötig erachtet werden, so werden auch die Zuwendungen der Großbourgeoisie zweifellos eine entsprechende Umorientierung im großen Stil erfahren. Der dritte oben erwähnte Punkt, die Diskreditierung des Faschismus vor den Augen der Massen, zwingt neofaschistische Organisationen, die zur Massenbewegung werden wollen, ihren Charakter zu verschleiern. Dass gleichzeitig versucht wird, diese Diskreditierung abzubauen, ist ebenso klar – darauf, auf Neutralisierungsversuche des Faschismusbegriffes, werden wir weiter unten noch genauer eingehen.

Bleibt der zweite Punkt, nämlich die Frage nach den Bedingungen, die zum Erstarken des Faschismus, zu Herausbildung einer faschistischen Massenbewegung führen können. Die Entwicklung bezüglich der sozialen Strukturen in den kapitalistischen Ländern geht freilich in eine solche Richtung, wie es Sarodow schon vor Jahren prognostizierte: „So erzeugt die Schwäche des Position des städtischen Kleinbürgertums, das der Konkurrenz und dem Druck der großen Monopole nicht standhalten kann, die zunehmende Ruinierung und Verschlechterung der Lebensbedingungen relativ großer Bevölkerungsgruppen, insbesondere der Bauernschaft, infolge ihrer zwiespältigen Lage, nicht nur antimonopolistische Stimmungen, die sie objektiv zum Verbündeten der Arbeiterklasse machen, sondern auch Illusionen hinsichtlich der Möglichkeit einer Rückkehr zu den früheren, vormonopolistischen Bedingungen der ‚freien Konkurrenz’, veranlasst sie zur Suche nach einem anderen ‚Verteidiger’. Derartige Stimmungen machen diese soziale Gruppe unter bestimmten Bedingungen recht anfällig für den Einfluss der neofaschistischen Demagogie; sie kann zum Lieferanten politischen ‚Fußvolks’ für rechtsradikale Organisationen werden. Um so mehr, als die Neofaschisten raffiniert an die dringenden Nöte und Forderungen der Massen appellieren, wobei sie vor einer Kritik an der Politik der bürgerlichen Regierungen und der Monopole nicht haltmachen und sich als wahre ‚Volksfreunde’ aufspielen.“[67] – Es sind die Bedingungen, die der staatsmonopolistische Kapitalismus unweigerlich schafft, Dimitrofft hat 1935 bereits auf Ähnliches hingewiesen. So ist die Frage schlichtweg so gestellt, dass es darum geht, wer diese sozialen Gruppen, die vom Monopolkapital zwangsläufig enteignet, deklassiert, ruiniert werden, besser anspricht: schlussendlich müssen die KommunistInnen und SozialistInnen das städtische Kleinbürgertum und die Bauernschaft überzeugen, dass ihre antimonopolistische Programmatik es ist, die ihnen zugute kommt, wohingegen der Faschismus sie lediglich betrügt.

Sarodow sagte weiter: „Zur berücksichtigen ist ferner die psychologische Reaktion des Kleinbürgers auf die Unfähigkeit des Kapitalismus, die sozialen Grundprobleme der Gesellschaft zu lösen. Die Zunahme der Kriminalität, die fortschreitende moralische Verkommenheit, die einen Teil der Jugend erfasst, werden in einigen kapitalistischen Ländern zu einem nicht minder ernsten gesamtnationalen Problem, als es die wirtschaftliche Labilität ist. Auf mikrosozialogischer Ebene, d.h. angewandt auf die Bedingungen des täglichen Lebens des Menschen in der jeweiligen Stadt oder dem jeweiligen Bezirk erzeugt das beim Kleinbürger das Gefühl ständiger Besorgnis, er bangt und fürchtet um den Besitz, um sein eigenes Schicksal, um das Leben seiner Angehörigen. Es ergibt sich eine drückende psychologische Belastung, und unter ihre Einfluss erliegt der Kleinbürger der Propaganda mit der Forderung einer ‚starken Macht’, die mit dem ‚demokratischen Unfug’ in der ‚Gesellschaft des Überflusses’ Schluss machen wird. Ein besonderes Problem bildet die Zuspitzung der nationalen Beziehungen. Es vertieft sich die Ungleichmäßigkeit der Entwicklung sowohl einzelner Länder als auch einzelner Landesteile. (…) Die Spekulation auf die nationalen Vorurteile ist in der Vergangenheit die Glanznummer der faschistischen Bewegungen gewesen. Noch größere Bedeutung als ein Faktor, der den Nährboden für rechtsradikalistische Stimmungen schafft, haben diese Vorurteile heute.“[68] – Auch das ist altbekannt, auch das trifft auf die Gegenwart zu.

Zu guter letzt führt Sarodow einen dritten Faktor bezüglich möglicher Belebungen des Faschismus an: „Drittens zeigen die Erfahrungen der Geschichte, dass der Faschismus in politischen Krisensituationen das Haupt erhebt und zur Offensive übergeht, besonders wenn es der Arbeiterklasse bestimmte demokratische und soziale Errungenschaften zu erkämpfen gelingt. Diese Erfolge lösen bei der herrschenden Klasse Furcht aus. Daher wächst ihr Bestreben, Methoden des Terrors zur Unterdrückung der demokratischen Massenbewegung anzuwenden und der Revolution zuvorzukommen. (…) Nicht ausgeschlossen ist, dass bei einer bestimmten Wende der Ereignisse die herrschende Klasse auf den Faschismus als erprobte und bewährte konterrevolutionäre Kraft im Kampf gegen die antimonopolistische und demokratische Bewegung setzen kann.“[69]

All diese Einschätzungen Sarodows zeigen sehr, sehr deutlich, dass der Faschismus also eine ernsthafte Gefahr bleibt. Die ökonomische und soziale Entwicklung auch in den imperialistischen Zentren beschreitet zwangsläufig jenen Weg, der den Boden der Aufnahmefähigkeit der Massen für faschistische Propaganda bereitet. – Im Kleinen wird bereits so agiert, ein Beispiel wäre die FPÖ in Österreich. Selbsterklärend nehmen wir hier natürlich Abstand davon, die Behauptung zu Papier zu bringen, die FPÖ sei eine neofaschistische Partei – ihre historische Herkunft und ihre Entwicklung aus dem VdU, ihre personellen Kontinuitäten in der 2. Republik bezüglich aller Parteivorsitzender vor Steger und ihre Affinitäten zu gewissen historischen Vorbildern in der Sprache, in der Methodik und in der Zielrichtung sind ohnedies hinlänglich bekannt; so sei die FPÖ hier als rechtsextreme Partei betitelt. Wie agiert sie? Sie setzt auf soziale und nationale Demagogie, sie schiebt die ökonomische und politische Misere, die es zweifelsfrei gibt, Minderheiten zu: ImmigrantInnen, den autochthonen nationalen Minderheiten in Österreich, ja sogar AsylwerberInnen; sie gibt sich radikal System verändernd als „Protestpartei des kleinen Mannes“, bekämpft „Parteienstaat“ und Bürokratismus, entwickelte die Idee der „Dritten Republik“; sie sprach auf diese Weise die bedrängten Mittelschichten und enttäuschte SPÖ-WählerInnen an, konnte 1999 bei der Nationalratswahl gar zur zweitstärksten Partei hinter der SPÖ und noch vor der ÖVP werden. Und doch zeigte nichts deutlicher als die Regierungsbeteiligung der FPÖ ab dem Jahr 2000, dass auch ihre Realpolitik ganz banal eine Politik für das Kapital ist. Folgerichtig kam die FPÖ mit ihrer sozialen Basis in Konflikt, es kam zur Parteispaltung und beide Parteiteile, FPÖ wie BZÖ, stürzten in der WählerInnengunst ab. Die FPÖ hält nun im Wesentlichen bloß noch ihre traditionellen, die deutschnationalen, rechtsradikalen oder offen rassistischen WählerInnen mit Hilfe von Randthemen, ob ein Wiedaraufstieg wie einst unter Jörg Haider gelingen kann, wird die Zukunft weisen. – Welchen Charakter die FPÖ hat, möge jeder Mensche selbst einschätzen. Jedenfalls zeigte sie ab 1986 ansatzweise und gewissermaßen in „geringerer Intensität“, wie eine faschistische Massenbewegung auch heute noch in den fortgeschrittenen Industriestaaten durchaus möglich wäre.

Grundsätzlich erscheint die Errichtung einer faschistischen Diktatur auf dem Wege des Massenpartei-Faschismus gegenwärtig höchst unwahrscheinlich. Wichtig ist aber, diese Möglichkeit weder zu unterschätzen noch zu überschätzen.

Das Überschätzen ist heute weit verbreitet: viele linke Organisationen erwarten den Faschismus auch heute noch auf dem Weg von gestern, d.h. auf dem Weg der NSDAP oder der Mussolini-Bewegung. Erwartet man den Faschismus auf diesem Wege, so besteht die antifaschistische Aufgabe darin, vor allem neofaschistische und „rechtsextreme“ Kleingruppen zu bekämpfen. Nun ist dies freilich eine lohnende und notwendige Aufgabe, aber sich allzu sehr darauf zu konzentrieren, birgt die Gefahr in sich, die eigentliche Hauptgefahr zu übersehen. – In der Regel hängt eine derartige Überbewertung und somit falsche (weil einseitige) Strategie an einer falschen Faschismustheorie. Im Gegensatz zur marxistisch-leninistischen Faschismustheorie, schreibt Gossweiler, „engen die Theorien, die den Faschismus als spontane autonome kleinbürgerliche Massenbewegung betrachten, ihr Gesichtsfeld  in gefährlicher Weise ein; sie nehmen einen Teil für das Ganze und lassen die Hauptsache außer acht. Für sie ist das Maß für die faschistische Gefahr nicht die Intensität der Demokratiefeindlichkeit des Finanzkapitals und der Grad seiner Entschlossenheit, seinen Positionen durch Errichtung einer Form der faschistischen Diktatur zu festigen, sondern die Größe und Stärke faschistischer Parteien und Bewegungen. Sie erwarten also die faschistische Gefahr immer noch auf dem Wege von gestern, obwohl Griechenland und Chile gezeigt haben, dass im Zeichen der imperialistischen Militärpakte der Faschismus auch auf neuen Wegen an die Macht gebracht wird, wenn die kleinbürgerlichen Massen keine (oder noch keine ausreichende) Neigung zeigen, dem Faschismus oder Neofaschismus Gefolgschaft zu leisten.“ – Es liegt auf der Hand, dass dies zu einer untauglichen antifaschistischen Strategie führen muss: „Indem diese Theorien fixiert bleiben auf den Faschismus als Massenbewegung, müssen sie versagen bei der Aufgabe, Anleitung zum Handeln zu sein gegen die andersartigen Formen faschistischer Gefahr in unserer Zeit. Als Hauptproblem stellt sich den Verfechtern dieser Theorien die Frage dar: Wie kann man verhindern, dass es wieder zu einer faschistischen Massenbewegung kommt? Würde dieses Problem gelöst, dann wäre nach ihrer Ansicht die Gefahr des Faschismus bereits für immer gebannt.“[70] – Dass dem freilich nicht so sein kann, zeigt die historische Erfahrung zur Genüge, und wir werden weiter unten auch die von Gossweiler angesprochenen „andersartigen Formen“ zu sprechen kommen.

Wer nun aber die Gefahr eines neuen Massenpartei-Faschismus unterschätzt, ist ebenfalls schlecht beraten. Er übersieht nämlich die Tatsache, dass bürgerliche HistorikerInnen, PolitikerInnen, JournalistInnen etc. seit geraumer Zeit damit beschäftigt sind, den historischen Faschismus zu rehabilitieren. Es ist die Frage der Diskreditierung des historischen Faschismus ein Hauptfaktor, der das Aufkommen neofaschistischer Massenbewegungen noch behindert. Die anderen Faktoren – der Wille und die entsprechenden Maßnahmen des Monopolkapitals zur Errichtung der Diktatur auf diesem Wege einerseits, die ökonomische und politische Krise andererseits – sind ohnedies im staatsmonopolistischen Kapitalismus angelegt; die soziale Strukturentwicklung hat eine eindeutige Tendenz, das grundsätzliche Bestreben des Monopolkapitals ebenso – es ist somit eine Frage der unmittelbaren Begebenheiten, ob und wann das Monopolkapital auf eine entsprechende Strategie setzt (wir haben das weiter oben schon besprochen). – Wie steht es also um die Entlastungsversuche des Faschismus seitens der bürgerlichen „Wissenschaft“, Medien und Politik? „Seit einigen Jahren schon werden die Versuche immer deutlicher und offener, den Begriff des Faschismus zu ‚neutralisieren’. Der Faschismus soll nicht mehr länger als hassenswerte monströse politische Erscheinung gewertet und bekämpft werden, er soll vielmehr als eine ‚allgemein-menschliche’ Erscheinung, der man sogar Sympathie entgegenbringen müsse, deren Führern sogar eine gewisse historische Größe und auch positive Wirksamkeit nicht abgesprochen werden dürfe, aus dem politischen Tageskampf herausgenommen und nur noch zum Gegenstand ‚wissenschaftlicher’, um ‚Verständnis’ bemühter Untersuchungen werden. Kurz gesagt handelt es sich also darum, dass die Diskussion um den Faschismus einen neuen Impuls erhalten hat durch zwar noch verdeckte und vorsichtige, aber in der Tendenz ganz eindeutige Versuche zur zumindest teilweisen Rehabilitierung des Faschismus und seiner Führer. Diese außerhalb der offen faschistischen oder neofaschistischen Kreise neue Tendenz korrespondiert mit Anzeichen verstärkten Unbehagens bestimmter Kreise der herrschenden Klasse in den imperialistischen Ländern mit der bürgerlich-parlamentaristischen Demokratie und ihrer Suche nach einer ‚strafferen’ Form der Herrschaftsbehauptung.“[71]

Diese Versuche der bürgerlichen Faschismusbetrachtung gehen also über die altbekannte Totalitarismus-Doktrin hinaus. Die Totalitarismustheorie hatte wesentlich eine defensive Komponente, nämlich die Leugnung jedes Zusammenhanges zwischen Faschismus und Kapitalismus: hiermit soll also weniger der Faschismus entlastet werden, sondern vielmehr der Kapitalismus. Wird nämlich zugestanden, dass der Kapitalismus für den Faschismus verantwortlich ist, so ist er kaum noch zu rechtfertigen – das wissen auch die bürgerliche Wissenschaft und Politik. Die offensive Ausrichtung der Totalitarismus-Doktrin war freilich der Antikommunismus, der in letzter Konsequenz darauf abzielte, die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Staaten zu vernichten, hierfür ist die absurde Gleichsetzung von Faschismus und Sozialismus (mitunter unter Verwendung des unsinnigen Begriffes „Stalinismus“) die ideologische Grundlage. In Europa war man diesbezüglich 1989/90 erfolgreich. Zum Antifaschismus trägt die Totalitarismus-Doktrin natürlich gar nichts bei, im Gegenteil, sie behindert ihn bewusst. Somit wird auch klar, dass ein ernsthafter Antifaschismus nicht nur letztlich sehr wohl Antikapitalismus bedeutet, sondern dass er auch Kampf gegen den Antikommunismus und Antisozialismus bedeuten muss.

Zurück also zu den Faschismusapologien. Wir wollen uns nicht auf das tiefe Niveau begeben, wo die „Argumentation“ lautet: „Hitler hat auch Gutes getan“ – das ersparen wir uns. Die gefährlicheren Versuche sind freilich etwas subtiler und weniger dumm. Besonders hübsch ist das Beispiel Österreich, wo eine grundsätzliche Tendenz besteht, bezüglich des Austrofaschismus diesem den faschistischen Charakter überhaupt abzusprechen: seitens der bürgerlichen Wissenschaft und der ÖVP ist dies logisch, doch auch die Sozialdemokratie ist hierbei hilfreich; die Mär der „geteilten Schuld“ und Otto Bauers Charakterisierung eines angeblichen „Halbfaschismus“ in Österreich 1934-1938 liefern die Grundlage. Die ÖVP hat nun ein besonders perfides Verhältnis zur austrofaschistischen Diktatur, bekanntermaßen hängt in den ÖVP-Räumlichkeiten des Parlaments in Wien nach wie vor ein Porträt des faschistischen Diktators Dollfuß. Dies ist nur eine optische Bestätigung, begründen tun dies Leute wie Andreas Khol (ÖVP-Klubobmann, dann sogar Nationalratspräsident). Auf die Frage, wie die Dollfuß-Diktatur einzuschätzen sei, antwortete Khol in einem Interview mit der bürgerlich-konservativen Tageszeitung „Die Presse“: „Mein Urteil gründe ich auf die internationale Wissenschaft. Auf der einen Seite hat der bedeutende Historiker Dan Diner klar dargestellt, dass das gesamte Europa ab 1930 mit ganz wenigen Ausnahmen in den Faschismus und in den Nationalsozialismus hineindriftete und dass Österreich ein Land des Widerstandes war. Stanley Payne, ein anerkannter amerikanischer Faschismustheoretiker, sagt, dass es Dollfuß gelungen ist, eine Bastion gegen den Nationalsozialismus aufzubauen. Ich sage aber gleich: Dollfuß war in dem, was er nach der Ausschaltung des Parlaments tat, kein Demokrat. Niemand kann das entschuldigen, er ist durch einen Putsch an die Macht gekommen, und das war eine Diktatur. Aber es war kein Faschismus, weil alle Wesensmerkmale des Faschismus fehlen. (…) Dass wir in Dollfuß das Opfer für Österreich sehen, das erste Opfer Hitlers und das Symbol für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus, ist unsere Meinung. Ich habe die Fehler, die er begangen hat, schon geschildert, und ich rechtfertige sie nicht. Aber es ist unbestritten, dass er an der Wurzel der österreichischen Nation stand, und das Österreich-Bewusstsein, das nach dem Zweiten Weltkrieg immer stärker Fuß gefasst hat, kommt aus dieser Zeit (…) Es gibt Schattenseiten, es gibt Lichtseiten. Was wir an Dollfuß nach wie vor würdigen, ist sein Opfer, das Opfer seines Lebens, der Kampf gegen den Nationalsozialismus – dafür steht er als Sinnbild des Anti-Nationalsozialismus und als Sinnbild des persönlichen Opfers.“[72] – Na wunderbar! Khol gibt sich alle Mühe den österreichischen Faschismus zu relativieren. Dollfuß, der selbst eine Terrordiktatur errichtet hat und würdig als Arbeitermörder betitelt werden kann, war also eigentlich ein Antifaschist oder – Khol verwendet schon das richtige Wort – ein Anti-Nationalsozialist. So wird der antinationale Totengräber des demokratischen Österreichs flugs zum Urheber und Verteidiger der österreichischen Nation. Die faschistische Diktatur „christlich-sozialer“ Provenienz wird so zum legitimen Mittel im Kampf gegen den Konkurrenzfaschismus. Doch das „konkurrierende Nebeneinander einer großdeutsch-faschistischen und einer austrofaschistischen Bewegung war die unvermeidliche Konsequenz der Spaltung der herrschenden Klasse Österreichs in einen großdeutschen und einen auf die Erhaltung der Souveränität Österreichs als zweitem deutschen Staat bedachten Flügel.“[73] D.h. es gab durchaus identische Zielsetzungen des österreichischen NS-Faschismus und des „christlich-sozialen“ Austrofaschismus, nämlich bezüglich der grundsätzlichen Funktionen der zu errichtenden faschistischen Diktatur. Uneinigkeit herrschte bloß bezüglich der Einordnung dieser Diktatur in der faschistischen Bündnispolitik in Europa. Konkurrenzfaschistische Scharmützel als antifaschistischen Widerstand zu heroisieren, wie es in der ÖVP offenbar üblich ist, ist schon ziemlich beachtlich. Neuerdings will die ÖVP gar parlamentarische Gedenkfeiern zum Todestag von Dollfuß im Nationalrat abhalten…

Belassen wir es bei diesem Beispiel – und kommen wir anhand desselben Beispiels bereits zum zweiten Punkt, der bezüglich der faschistischen Gefahren der Gegenwart zu behandeln ist: nämlich zur Bedeutung der reaktionärsten Kräfte in den konservativen, bürgerlichen (Massen-) Parteien, deren Wirken auch im reaktionären Potenzial im Staatsapparat zu Ausdruck kommt.

Tibor Zenker,
Wien

(Wir setzen den Abdruck dieses Artikels in der nächsten Ausgabe fort, dann: Reaktionärer Konservatismus und bürgerlicher Staatsapparat; Imperialismus und Faschismusexport; Antifaschistische Aufgabenfelder; Red.Offensiv)

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors sowie der „Kommunistischen Initiative“ (Österreich) aus: Tibor Zenker „Was ist Faschismus“, Der Drehbuch Verlag, Wien, Seite 140 ff. Tibor Zenker gehörte bis vor ein paar Jahren dem „Stamokap-Flügel“ der Sozialistischen Jugend Österreichs an und ist heute Mitglied des Vorstandes der „Kommunistischen Initiative“ (KI). Wir werden in der nächsten „offen-siv“ eine ausführliche Besprechung dieses Buches sowie eines anderen Buches von Genossen Zenker, „Der Imperialismus der EU“, veröffentlichen.

Kontakt:„Kommunistische Initiative“, Rankgasse 2/5, A-1160 Wien, Österreich.          

Die kommunistische Bewegung in Österreich

Otto Bruckner:
Zweite Generalversammlung der Kommunistischen Initiative

Internationalismus, Klassenkampf und weiterer Aufbau einer eigenständigen marxistisch-leninistischen Organisation

Am 20. Januar hielt die Kommunistische Initiative [KI] in Wien ihre 2. Generalversammlung ab. Zwei Jahre nach der Gründung als eigenständige kommunistische Organisation wurde Bilanz gezogen und über die weiteren Perspektiven beraten. Als Gastredner war Michael Opperskalski aus Köln eingeladen.

Im Bericht des Vorstandes an die Generalversammlung wurde das abgelaufene Jahr 2006 positiv bilanziert: Die Kommunistische Initiative hat in sechs (von neun) österreichischen Bundes-ländern Mitglieder, wobei organisatorische Strukturen bisher hauptsächlich im Großraum Wien existieren. Erste Ansätze eigener Gruppen in weiteren Städten und Orten gibt es aber bereits.

Spaltung der kommunistischen Bewegung unverändert

An der Spaltung der kommunistischen Bewegung in Österreich hat sich nichts geändert:

- Die KPÖ geht ihren Weg einer „antitotalitaristischen“ Partei weiter, die sich sowohl vom Klassenkampf, als auch vom Antiimperialismus verabschiedet hat, und offen kriegshetzerische „antinationale“ Elemente in ihren Reihen duldet. Sie ist fest eingebettet in die „Europäische Linkspartei“, wo Rifondazione Comunista, FKP und PDS die führenden Kräfte sind und rutscht immer tiefer in den revisionistischen Sumpf.

- Teil der KPÖ ist weiterhin die wahlpolitisch sehr erfolgreiche KPÖ-Steiermark, die in Graz über ein Fünftel der Wählerstimmen verfügt und auch dem steiermärkischen Landtag angehört. Obwohl ihre Politik sich durch eine strikte Klassenorientierung und eine konsequente Sozial-politik auszeichnet, ist sie bisher zu keinem Bruch mit der Bundes-KPÖ bereit, handelt aber weitgehend autonom.

- Die Existenz der KI als eigenständige Organisation erhält schon alleine durch die Tatsache, dass sie die einzige marxistisch-leninistische Strömung in Österreich ist, ihre Legitimation. Immer mehr – vor allem junge – Genossinnen und Genossen, die eine konsequente kommu-nistische Kraft suchen, sammeln sich in ihr. In den außerparlamentarischen – im abgelaufenen Jahr in erster Linie antiimperialistischen – Bewegungen konnte sich die KI als fixe Größe verankern. So nahm sie eine organisatorisch und politisch vorwärtstreibende Rolle in der Vorbereitung und Durchführung der Proteste gegen den Besuch des US-Präsidenten Bush im Juni 2006 in Wien ein. An fast allen bedeutenderen Aktionen auf der Straße – ob gegen verschiedene EU-Veranstaltungen im Rahmen der österreichischen Präsidentschaft, gegen die Privatisierung der österreichischen Post oder gegen rassistische Hetze und Faschismus – nahm die KI mit eigenen Flugblättern teil und waren ihre Fahnen zu sehen.

- Eine gute Entwicklung nehmen auch die Internetplattformen www.kominform.at und www.kommunisten.at. Kominform.at verzeichnete vor kurzem 2,5 Millionen Seitenabrufe nach etwas mehr als dreijährigem Bestehen. Das entspricht etwa 2.000 Zugriffen täglich. Auch die bereits lange vor der Kommunistischen Initiative existierende Zeitschrift „neue Volksstimme – nVs“ ist ein weit über die Kreise der KI hinaus gerne gelesenes Organ der Marxisten-Leninisten in Österreich.

Als Beispiele für die internationalistische Ausrichtung der KI wurden Besuche und Vorträge von Comandante William Izarra (Venezuela), Saadallah Mazraani (stellv. Generalsekretär der KP des Libanon) und die Teilnahme von Michael Opperskalski an der Generalversammlung genannt. Die KI beteiligte sich 2006 erstmals am Seminar der PTB in Brüssel, unterstützte aktiv die von der KKE initiierten Internet-Unterschriftenaktionen gegen den antikommunistischen Vorstoß im Europarat und gegen das Verbot des KSM. An der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 2007 in Berlin nahm seit langem wieder eine größere Abordnung aus Österreich teil, die mit einem von der Kommunistischen Jugend Österreichs (KJÖ) organisierten Bus angereist war.

Bereits zum zweiten Mal wurde am 1. Mai 2006 in Wien eine eigene Maidemonstration der klassenkämpferischen und antiimperialistischen Linken organisiert, die wie im Jahr davor wesentlich mehr Teilnehmer zählte als der lahme Aufmarsch der Kräfte rund um die KPÖ, an dem bezeichnenderweise auch die US-freundliche KP des Irak teilnahm. Starke Abordnungen der türkischen, kurdischen und arabischen Linken beteiligten sich am von der KI mitorganisierten Aufmarsch, aber auch KI, KJÖ und Kommunistischer StudentInnenverband (KSV) konnten einen starken Block mit über hundert Teilnehmern stellen. Bezeichnender weise musste diese Demonstration durch einen langen Polizeikordon an der KPÖ-Kundgebung vorbeiziehen.

Stärker als bisher will die KI auch in sozialpolitischen und Klassenfragen aktiv sein. Nicht zuletzt aufgrund der Bildung einer großen Koalition, die von der KI als „Regierung der Reichen, Konzerne und Eurokraten“ eingeschätzt wird.

Die Generalversammlung beschäftigte sich mit einer Fülle von Arbeitsvorhaben für das Jahr 2007: Unter anderem soll ein Internetshop aufgebaut werden, über den Literatur, T-Shirts mit politischen Motiven etc. vertrieben wird, es gibt umfassende Vorhaben für die Bildungsarbeit und im ersten Halbjahr soll eine Aktionswoche zu sozialpolitischen Fragen stattfinden. Ein Höhepunkt des Jahres wird eine große Veranstaltung anlässlich des 90. Jahrestages der Oktoberrevolution sein.

Die 2. Generalversammlung wählte einen aus zwölf Personen bestehenden Vorstand. Zum Vorsitzenden wurde Otto Bruckner wiedergewählt, stellvertretende Vorsitzende ist Selma Schacht, Betriebsratsvorsitzende in einem Sozialbetrieb mit mehreren hundert Beschäftigten.

Der zweite (öffentliche) Teil der Generalversammlung wurde mit Referaten von Otto Bruckner und Michael Opperskalski (Köln, Mitherausgeber von „offensiv“ und Herausgeber von „Geheim“) eingeleitet.

„Die arbeitenden Menschen erhalten den Staat, die Reichen und Konzerne nehmen ihn aus“

Bruckner gab einen Überblick über die Vorhaben der neuen österreichischen Regierung: „Die Langzeitoffensive des Kapitals wurde bereits vor mehr als 20 Jahren eingeleitet. Privatisierung, Deregulierung, Entstandardisierung der Arbeitsverhältnisse, EU-Beitritt, neue Außen- und Verteidigungsdoktrin. Das waren die Aufgaben, mit deren Umsetzung bereits Mitte der 1980er Jahre unter der damaligen großen Koalition begonnen wurde. Die Grundzüge dieser unsozialen Offensive wurden zuvor in einem Memorandum der Industriellenvereinigung entworfen. Diese Politik begann also unter einer großen Koalition, wurde unter schwarz-blau fortgesetzt und auch die neue Regierung unter Gusenbauer geht diesen Weg weiter. Die Leute haben ihn gewählt, weil sie ein Stück des Weges zu einem sozialeren Österreich mit ihn gehen wollten, und er geht den Weg mit den Zerstörern des Sozialstaates.“ Der Staat funktioniere heutzutage als gigantische Verteilungsmaschine von arm zu reich: „Die Konzerne und Millionäre zahlen kaum Steuern und kassieren für jeden Handgriff Subventionen. Ihre Villen schützt die Polizei, die von den Arbeitern und Angestellten bezahlt wird. Und gehen sie Pleite, kommt erst recht die öffentliche Hand für die Folgen auf. Bereits ein Drittel des gesamten Steueraufkommens kommt aus der Lohnsteuer, rechnet man noch die gigantischen Mehrwertsteuereinnahmen dazu, ist klar: Die arbeitenden Menschen erhalten den Staat, die Reichen und Konzerne nehmen ihn aus.“

Die KI werde versuchen, möglichst breite Aktionseinheiten und Bündnisse gegen diese Politik zustande zu bringen. Das Kapital kalkuliere zynisch: Ein Drittel oder mehr Menschen kann ruhig dauerhaft von Arbeit und Wohlstand ausgegrenzt sein, möglichst viele dauerhaft in Unsicherheit gehalten, zu schlechter Bezahlung beschäftigt. Diesem von Politik und Medien mitgetragenen Zynismus gelte es strategisch ein antimonopolistisches Bündnis breiter Bevölkerungsschichten entgegenzustellen. Das sei die langfristige Aufgabe aller revolutionären Kräfte.

„Es riecht an allen Ecken und Enden des Globus nach Krieg“

Michael Opperskalski gab einen Überblick über die globalen Auseinandersetzungen: „Es riecht an allen Ecken und Enden des Globus nach Krieg.“ Deshalb sei der Friedenskampf – der nur ein konsequenter Kampf gegen die imperialistische Barbarei sein könne – eine der Hauptaufgaben der kommunistischen Bewegung.

In Übereinstimmung mit den von der KP Griechenlands (KKE) entwickelten Zielsetzungen vertrat Opperskalski die Auffassung, dass es den KommunistInnen zur Zeit um zwei wichtige Aufgaben gehen müsse. Die Herausbildung eines konsequent antiimperialistischen Pols in den internationalen Auseinandersetzungen, und gleichzeitig um die Herausbildung eines kommunistischen, marxistisch-leninistischen Pols. Es gebe in Europa zur Zeit nur wenige kommunistische Parteien, die als Beispiele einer positiven und erfolgreichen Entwicklung dienen könnten, gerade deshalb würden sie „Leuchttürme“ im Meer des Revisionismus und der Unterordnung unter das Kapital darstellen. Er hob dabei besonders die griechische KKE, die portugiesische und die schwedische KP sowie die PTB (Belgien) hervor. Einigkeit herrschte in der darauffolgenden Diskussion, dass die Welle der Solidarität mit dem verbotenen tschechischen Jugendverband KSM ein gutes Beispiel der Zusammenarbeit von KommunistInnen sei, aber bei weitem noch verbesserungswürdig.

Noch lange saß man am Abend des 20. Januar in Wien beisammen, sang Lieder von Hannes Wader, F.J. Degenhart, Sigi Maron, sowie Kampflieder der Arbeiterbewegung unter stimmlicher und musikalischer Anleitung von Christian Buchinger, einem kämpferischen Linkssozialisten und Bruder des neuen österreichischen Sozialministers.

Otto Bruckner,
„Kommunistische Initiative“,
Wien, Österreich

DDR

Andreas Reichel:
Zur Rohstoffbasis der DDR und den Einfuhren sowjetischen Erdöls

„Die Arbeitsproduktivität ist in letzter Instanz das allerwichtigste, das ausschlaggebende für den Sieg der neuen Gesellschaftsordnung.“ (Lenin, AW 3, 261)

Auf dem Territorium der DDR führten bekanntermaßen die geologischen lagerstättenbildenden Prozesse nicht in gewünschtem Maße zur Existenz volkswirtschaftlich relevanter Rohstoffe. Die DDR verfügte im Gegensatz zur BRD über keine nennenswerten Erdöl-[74] oder Steinkohlenvorkommen.[75] Da allein Braunkohle nahezu unbegrenzt zur Verfügung stand, wurden nach dem Zweiten Weltkrieg auf Grundlage dieser gesicherten Rohstoffbasis die karbochemischen und energieproduzierenden Anlagen instand gesetzt und (weiter) betrieben.

Zunächst sollen hier die Schwierigkeiten, denen die DDR im Zusammenhang mit der Förderung und stoffwirtschaftlichen Nutzung der Braunkohle gegenüberstand, benannt werden. Sodann müssen die außenwirtschaftlichen Aktivitäten zur Sicherung der Rohstoffversorgung Beachtung finden, und dies unter Berücksichtigung des Einflusses der sowjetischen Erdölimporte auf die Entwicklung der Energie- und Chemieindustrie der DDR.

Implikationen der Braunkohlenförderung

Die Förderung der Braunkohle erfolgt ausschließlich im Tagebauverfahren. Vor dem Abbau der Kohleflöze muß das sie bedeckende Gebirge abgetragen werden, wofür technische Großgeräte notwendig sind. So ging in der DDR in den siebziger Jahren eine neue Förderbrücke mit einer Gesamtlänge von rund 600 m und einer Dienstmasse von 25.000 t in Betrieb, deren Jahresleistung mindestens 100 Mio. m³ Abraum betrug. Für diese Konstruktion wurde in der Metallurgie der DDR eine neue Baustahlsorte entwickelt.[76] 

Da bereits in den dreißiger Jahren die geologisch günstigen Vorkommen erschöpfend ausgebeutet wurden, bestand in der DDR die Notwendigkeit zum Aufschluß weniger günstiger Lagerstätten.[77] Günstig bedeutet: geringe Abraumbewegung und hohe Kohleausbeute. In der DDR wurde in immer größeren Tiefen abgebaut, während die Mächtigkeit der Flöze abnahm. Deswegen mußte immer mehr Arbeitszeit aufgebracht werden, um den Abraum zu bewegen, während die Ausbeute an Kohle sich kontinuierlich verringerte. Durch die schlechter werdenden Abbaubedingungen stiegen notwendig die Gesamtförderkosten[78], von denen ein Großteil auf die Abraumbewegung entfiel. Dazu ein Zahlenbeispiel: Im Jahre 1987 wurden pro geförderter Tonne Braunkohle 4,3 m³ Abraum bewegt. Die Fördermenge von 309 Mio. t implizierte eine zu bewältigende Abraummasse von 1,33 Mrd. m³.]79] Für das Jahr 2000 prognostizierte man durchschnittliche Abraum-Kohle-Verhältnisse von 6,4:1; für den Bereich des Tieftagebaus (Abbautiefen über 100 m) rechnete man mit einem Verhältnis von 13:1 und sogar mit Spitzenwerten von 20:1.[80] Es ist jedermann unmittelbar einsichtig, daß es mehr Arbeitszeit erforderte, den Abraum zu bewegen, als die Kohle zu fördern![81]

Durch zunehmende Abraumbewegung stieg notwendig der Verbrauch von Verschleißteilen, deren Reparatur etliche Tausend Tonnen Stahl pro Jahr beanspruchte. Z.B. wurden an den Eimerkettenbaggern vom Typ Es 3150 15 g je m³ gebaggertem Abraum verschlissen. Das entsprach bei einer jährlichen Baggerleistung von 35 Mio. m³ etwa 520 t Verschleißteile pro Bagger (etwa 12 Prozent der Eigenmasse).[82]

In zunehmendem Maße wurden geologisch gestörte Flöze abgebaut, d.h. Flöze, in denen qualitativ verschiedenwertige Kohlen wechselten. Außerdem mußten Einlagerungen wie Sand und Lehm durch zusätzliche Abraumverfahren entfernt werden, was wiederum die Arbeitsproduktivität verringerte.

Die Entwässerung des Deckgebirges und die Hebung des Grundwassers überschritt bereits Mitte der sechziger Jahre die Grenze von 1 Mrd. m³/a und stieg seither stetig. 1989 waren es 1,67 Mrd. m³. Im Bezirk Cottbus beispielsweise mußten Wassermengen abgepumpt werden, die ungefähr 20 Prozent der jährlichen Niederschlagsmenge dieses Raumes ausmachten.[83] Die Maßnahmen zur Entwässerung vergrößerten durch die Aufwendung zusätzlicher Arbeitszeit die Förderkosten um rund 20 Prozent.[84]

Ebenso konnten Witterungseinflüsse (Frost, Sturm, Nebel, extreme Regenfälle usw.) den Produktionsprozeß beeinträchtigen, so während des besonders harten Winters 1962/63. Hiervon waren auch Kraftwerke betroffen, etwa im Winter 1980/81, als das Braunkohlenkraftwerk Boxdorf wegen Vereisung wichtiger Aggregate zeitweise ausfiel.

Des weiteren war die Braunkohlenförderung durch eine hohe Transportintensität gekennzeichnet. Eine Eigenschaft der Braunkohle, die sich im Kontext ihrer wirtschaftlichen Nutzung negativ auswirkt, ist ihr hoher Wassergehalt. Die in der DDR geförderte Rohbraunkohle bestand durchschnittlich zu 40 Prozent aus brennbarer Substanz (Kohlenstoff), 5 Prozent Asche und 55 Prozent Wasser. Bei einem Transport von 15 t Braunkohle wurden also 8 t Wasser mitbefördert. Wer sich vergegenwärtigt, daß der Braunkohlentransport in die Kraftwerke rund ein Drittel aller Gütertransportkapazitäten der Reichsbahn beanspruchte, kann sich leicht vorstellen, daß eine erhebliche Menge an Wasser notwendigerweise mitbewegt werden mußte, und daß dies mit einem großen Aufwand gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit verbunden war.

Vor allem der Winterbetrieb unterlag durch den hohen Wassergehalt der Braunkohle besonderen Gefährdungen. Um ein Einfrieren der Kohle in den Waggons zu vermeiden und damit die Kohleentladung auch unter extremen Winterbedingungen zu sichern, kamen Auftauhallen und Auftauwände mit Warmluftgebläsen sowie Heizvorrichtungen in den Waggons zum Einsatz, was wiederum mit einem hohen Energieaufwand (= mehr Arbeitszeit) verbunden war.

Und trotz dieser ungünstigen und sich verschlechternden Abbaubedingungen stiegen die Braunkohlenfördermengen kontinuierlich, was ein Beweis für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der DDR ist. Die DDR nahm mit einer jährlichen Förderleistung von 250 bis 300 Mio. t Braunkohle mit Abstand den ersten Rang im Weltmaßstab ein (etwa 30 Prozent der gesamten Fördermenge der Welt). Nach einer 1971 durchgeführten Untersuchung wurden die geologischen Gesamtvorräte auf dem Territorium der DDR mit 37,9 Mrd. t beziffert, wovon rund 26 Mrd. t abbauwürdig – d.h. mit den damaligen Geräten und Abbautechnologien wirtschaftlich förderbar – waren.[85] Die nutzbaren Braunkohlenvorkommen hätten mindestens über das Jahr 2050 hinaus gereicht.

Stoffwirtschaftliche Nutzung von Braunkohle

In all den Jahren des Bestehens der DDR bildete die Braunkohle die Grundlage der Elektroenergieerzeugung. Die älteren Kraftwerksblöcke hatten aber einen schlechten Wirkungsgrad, weswegen die Erzeugung einer Kilowattstunde Strom einen erheblich größeren Einsatz von Brennstoff erforderte als es für moderne Kraftwerke der Fall war. Der durchschnittliche Nettowirkungsgrad der Braunkohlenkraftwerke wurde 1984 mit rund 26 Prozent beziffert; technologisch möglich waren damals 38 Prozent.[86] Zu berücksichtigen ist auch die Verschlechterung der Kohlequalitäten und die unterschiedlichen Heizwerte der Braunkohlen, die zwischen 6,2 bis 9,2 MJ/kg schwankten.[87]

Mit dem Verbrennen der Kohle fielen jährlich knapp 20 Mio. t Kraftwerksaschen an, deren Entsorgung wiederum Arbeitszeit beanspruchte; ein Teil konnte der Wiederverwertung (Baustoffindustrie) zugeführt werden.[88] Dennoch betrug der Anteil der Braunkohle an der Deckung des Energiebedarfs minimal 70 Prozent und durchschnittlich vier Fünftel; der Anteil des Mineralöls an der Energiewirtschaft hingegen betrug nie mehr als 3,6 Prozent (1973), der der Kernenergie in den Jahren 1978 bis 1989 durchschnittlich 10,5 Prozent.[89]

Für die chemische Industrie ergab sich durch ihren Ausgangsrohstoff in etwa folgende Ausrichtung: 1. Schwelung und Vergasung der Braunkohle zur Kraftstoff- und Stickstoffproduktion sowie zur Herstellung von technischen Alkoholen. 2. Verarbeitung von Folgeprodukten der Braunkohlenschwelung zu Haushaltschemikalien (Waschmittel, Kerzen, Pflegemittel u.ä.). 3. Herstellung von synthetischem Kautschuk auf Karbidbasis. 4. Betrieb von Chlor-Alkali-Elektrolysen und damit – im Verein mit der Karbidproduktion – Erzeugung von Plasten (PVC) sowie Sicherung der Basis für die Sodaherstellung (Abnehmer Glasindustrie). 5. Synthese von Ammoniak und Erzeugung von Stickstoffdüngemitteln sowie anderer Folgeprodukte. 6. Entwicklung der Schwefelsäureproduktion in Kombination mit der Zementherstellung auf Gipsbasis (sowie Kieserit-Schwefelsäure). Und 7. Erzeugung von Viskosefaserstoffen.[90]

Neben der energetischen Nutzung konnten also durch chemisch-technische Verfahren aus Braunkohle hochwertige feste, flüssige und gasförmige Brennstoffe, ferner Kraftstoffe, Schmierstoffe, Paraffin und viele Zwischenprodukte für die chemische Industrie hergestellt werden. Die Umwandlungs- und Veredlungsprozesse (Brikettierung, Schwelung, BHT-Verkokung, Vergasung, Kohleverflüssigung usw.) benötigten aber zusätzlichen Energieaufwand und waren mit erheblichen Umwandlungsverlusten verbunden. Angesichts dieser Problemlage müssen wir die Frage aufwerfen, warum die Karbochemie überhaupt betrieben und nicht schon frühzeitig zugunsten der überlegenen Petrolchemie aufgegeben wurde.

Anfänge der Erdölverarbeitung

Bereits in den fünfziger Jahren war klar, daß sich der wachsende Bedarf an Kraftstoffen und Chemierohstoffen auf der bisher betriebenen Kohlenbasis aus wirtschaftlichen, qualitativen und kapazitiven Gründen nicht mehr würde bestreiten lassen. Aus diesem Grund mußte innerhalb des Energie- und Rohstoffmixes den flüssigen Kohlenwasserstoffen ein größerer Stellenwert eingeräumt werden. In den Anfangsjahren der DDR konnte zunächst österreichisches Erdöl verarbeitet werden, wobei es sich um Reparationslieferungen Österreichs an die Sowjetunion handelte, die von der UdSSR in die DDR geleitet wurden. Zu jener Zeit wurde Erdöl nur in Leuna, Böhlen und Lützkendorf verarbeitet; in Leuna war 1951 begonnen worden, die Hydrieranlagen auf die Verarbeitung von Erdöl umzustellen, was bereits bedeutende ökonomische Vorteile brachte. Nachdem 1955 die Sowjetunion dem Österreichischen Staatsvertrag zustimmte, der die Besetzung des Landes beendete, war offenkundig, daß die weitere Erdölversorgung möglichst rasch und grundsätzlich sichergestellt werden mußte. Ab Oktober 1955 begann die Einfuhr von Erdöl aus Krasnodar, und schon bald wurde die Sowjetunion zum Hauptöllieferanten der DDR; aus Österreich wurden noch bis 1964 kleinere Mengen bezogen.[91]

Schaffung der Grundlagen der Petrolchemie

Auf dem V. Parteitag der SED im Juli 1958 erläuterte Walter Ulbricht die ökonomische Hauptaufgabe für den Siebenjahrplan (1959-1965): „Die Volkswirtschaft der Deutsche Demokratischen Republik ist innerhalb weniger Jahre so zu entwickeln, daß die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung der DDR gegenüber der Herrschaft der imperialistischen Kräfte im Bonner Staat eindeutig bewiesen wird […] Die Erfüllung dieser Aufgabe erfordert die Mobilisierung aller inneren Reserven der DDR und macht die Inanspruchnahme der Solidarität und Unterstützung der Sowjetunion und der volksdemokratischen Länder notwendig. […] Die Lieferungen der Sowjetunion an die DDR in fast allen wichtigen Grundstoffen, die für das Tempo der ökonomischen Entwicklung in der DDR von entscheidender Bedeutung sind, werden im Verlaufe der nächsten sieben Jahre um das Mehrfache erhöht. So wird die Lieferung von Erdöl von 1.040.000 Tonnen im Jahre 1957 auf 4.800.000 Tonnen 1965 gesteigert […].“[92]

Auf Grundlage dieser eingeplanten Lieferungen wurde nunmehr eine Wende in der Entwicklung der chemischen Industrie der DDR, die den Anschluß an das internationale Entwicklungsniveau gewährleisten sollte, eingeleitet. Unter dem Motto „Chemie gibt Brot – Wohlstand – Schönheit“ legte Walter Ulbricht im November 1958 auf einer Konferenz in Leuna ein detailliertes Programm zur Entwicklung und Modernisierung der Chemieindustrie vor.[93] Den Kern dieses Programms bildete eine Reihe wichtiger Vorhaben, die eine starke Mineralölindustrie und Grundstoffchemie in der DDR aufbauen sollten. Zu den wichtigsten Punkten gehörten: 1. Die Sicherung einer ausreichenden Rohölversorgung durch Importe aus der Sowjetunion. 2. Die bedeutende Erweiterung der Verarbeitungskapazität durch den Abschluß des Ausbaus der Erdölraffinerie in Lützkendorf sowie der Errichtung eines großen modernen Erdölverarbeitungswerks in Schwedt[94]. 3. Die Mitwirkung am Bau der transeuropäischen Erdölleitung „Freundschaft“.[95] Und 4. Die Errichtung der ersten Chemiewerke auf der Basis von petrolchemischen Ausgangsstoffen, vornehmlich durch ein neues Chemiefaserwerk in Guben und den Ausbau des VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“ zum ersten petrolchemischen Zentrum der DDR (Leuna II).

Durch dieses Paket von Maßnahmen sollte schrittweise die Ablösung von Verfahren der Kohleveredlung durch die effektiveren Verfahren auf der Basis von Erdöl erfolgen; gleichzeitig sollte die Braunkohle ihre Vorrangstellung auf dem Rohenergiesektor behalten.

Disproportionen

Während noch in den ersten beiden Jahren des Siebenjahrplans die Volkswirtschaft durch ein hohes Entwicklungstempo gekennzeichnet war, geriet die DDR in den Jahren 1960/61 in ökonomische Schwierigkeiten. In Bezug auf das Chemieprogramm mußte in diesem Zusammenhang die Abteilung Grundstoffindustrie des ZK der SED im März 1961 konstatieren: „Das Chemieprogramm existiert nach dem gegenwärtigen Stand der Planung nicht mehr […] Wir werden mit absoluter Sicherheit zu einem zweitrangigen Chemieland absinken, wenn die gegenwärtig geplante Entwicklung beibehalten wird […] Selbst wenn wir das im Chemieprogramm der DDR ursprünglich vorgesehene Tempo der Entwicklung beibehalten, würden wir 1965 weiter hinter Westdeutschland zurückliegen als zu Beginn des Chemieprogramms.“[96]

Walter Ulbricht als Bittsteller

In einem Brief an Chruschtschow erläuterte Walter Ulbricht ausführlich die Problemlage.[97] Der Führungsriege der KPdSU war demnach explizit die höchst angespannte Lage in der DDR bekannt. Dennoch schien die Sowjetunion zunehmend weniger geneigt, materielle Hilfestellungen zu leisten und insbesondere den wachsenden Ölbedarf der DDR in vollem Umfang zu decken. Walter Ulbricht war es zwar „sehr unangenehm, daß wir uns alljährlich mit solchen Bitten um Hilfe an das Präsidium des ZK der KPdSU wenden“[98], dennoch nahm er jede Möglichkeit wahr, um auf die drängenden Probleme aufmerksam zu machen.

So nutzte er im Januar 1964 den Besuch einer sowjetischen Erdöl- und Ergasdelegation, um für zusätzliche Öllieferungen zu plädieren, da der gegenwärtige Lieferumfang einen Produktionsrückgang und sinkenden Lebensstandard impliziere.[99] Doch umgekehrt ließ auch die Sowjetunion auf verschiedene Weise durchblicken, was sie davon hielt. Eine abschlägige Antwort erhielt z. B. der Minister für Chemische Industrie, Günther Wyschofsky, als ihm auf der Leipziger Frühjahrsmesse im März 1964 ein hochrangiger sowjetischer Besucher erklärte, daß die DDR Verständnis dafür aufbringen müsse, daß die Sowjetunion einen Teil ihres Erdöls an kapitalistische Staaten verkaufe, auch wenn die DDR dadurch Einbußen hinnehmen müsse. Die Einwände Wyschofskys hatte er kurzerhand mit einer Handbewegung weggewischt.[100]

Zur Jahresmitte 1964 stand das Rohstoffproblem auf höchster Ebene zwischen Chruschtschow und Ulbricht zur Diskussion. In der Besprechung vom 30. Mai verwies Chruschtschow Ulbricht zum Ölkauf an Algerien: „Ben Bella[101] weiß nicht, wohin mit dem Erdöl und dem Erdgas. Warum kaufen sie nicht von ihm?“[102] Im selben Gespräch, aber im Zusammenhang mit der Lieferung landwirtschaftlicher Erzeugnisse, erklärte er weiter: „Wir verstehen die DDR und die CSSR. Sie können sich nicht selbst versorgen. Einerseits sind wir bereit, unsere materiellen Hilfsquellen zu verbinden, aber andererseits sind sie beide doch industriell hoch entwickelte Länder. Sie können in Ägypten und Algerien kaufen. Warum müssen sie unbedingt bei uns kaufen? […] Warum passen sie sich diesen Märkten nicht an? Sie zahlen uns doch auch. Zahlen sie also denen.“[103]

Wenige Tage später – am 11. Juni – wurde der Importwunsch der DDR nochmals diskutiert. Während der Erste Vorsitzende der Staatlichen Plankommission der DDR, Erich Apel, die Bezüge bis 1970 auf 10 Mio. t steigern wollte, war hingegen der Vorsitzende von GOS-Plan[104], Pjotr F. Lomako, lediglich bereit, 7,5 Mio. t in die DDR zu exportieren. Chruschtschow entschied den Dissens auf seine Weise: „Also machen wir so wie im Laden. Mehr als 8,5 Millionen Tonnen geben wir nicht. Bis 1970 ist noch viel Zeit. Wir können auf diese Frage noch zurückkommen. Algerien wollte bis zum 10. Juni Antwort geben. Dort könnt ihr Erdöl, Eisenerz und Weizen kaufen.“[105]

Nur wenige Tage zuvor – im Gespräch vom 30. Mai – hatte Chruschtschow erklärt: „Wir haben Euch leider bisher nur beigebracht, daß wir zwar reden, aber dann doch geben. Jetzt werden wir reden und nichts geben.“[106] Diese Worte müssen Ulbricht in Erinnerung geblieben sein, so daß er für den Moment nachgab und abschließend resümierte: „Erdöl über Tiefbohrung und aus den Nationalstaaten. Dazu kommt unsere Hoffnung auf künftige Verhandlungen mit der Sowjetunion.“[107]

Doch bereits im Oktober 1964 wandte sich Ulbricht wiederum schriftlich an Chruschtschow, um nochmals mit Nachdruck die zentrale Bedeutung des Öls für die Realisierung des Chemieprogramms zu betonen, wodurch auch andere Schlüsselindustrien wie der Maschinenbau einen entscheidenden Impuls erhielten. Ulbricht wies darauf hin, daß die Erdölsuche in der DDR trotz außerordentlicher Anstrengungen letztendlich nicht den gewünschten Erfolg gebracht habe. Er plädierte daher für höhere Einfuhren aus der Sowjetunion.[108]

Kurzfristig hatten Ulbrichts inständige Bitten Erfolg. Denn im gleichen Monat, im Oktober 1964, einigten sich beide Staaten auf höhere Lieferungsquoten für Erdöl und chemische Zwischenprodukte aus der Sowjetunion. Die Erdölimporte nahmen tatsächlich zwischen 1964 und 1965 um 21 Prozent zu und um weitere 26 Prozent zwischen 1965 und 1966. Aber bereits Ende 1965 deutete der Vorsitzende von GOS-Plan erneut an, daß angesichts der schweren Belastungen der sowjetischen Wirtschaft durch die Rohstoff- und Energieversorgung anderer Staaten und durch die zahlreichen militärischen Verpflichtungen die Wirtschaftsbeziehungen innerhalb des RGW neu überdacht werden müßten. Er forderte insbesondere eine Überprüfung des Liefervertrags vom Oktober 1964, da er die Sowjetunion allzu sehr strapaziere. Auch wenn die Vereinbarung nicht revidiert würde, so sei mit zusätzlichen Lieferungen sehr sicher frühestens ab 1970 zu rechnen.[109] Insgesamt stiegen die sowjetischen Einfuhren zwischen 1962 und 1966 von 2,5 Mio. t auf 6,2 Mio. t, und bis 1970 um weitere 3 Mio. t auf 9,2 Mio. t.[110]

Wachstum der chemischen Industrie in den siebziger Jahren

Während in den sechziger Jahren noch die Grundlagen der petrolchemischen Industrie geschaffen wurden, gewann dieselbe in den siebziger Jahren zunehmend an Bedeutung, was die Realisierung zahlreicher Großprojekte belegt. In diese Zeit fielen: 1. Bau einer Düngemittelfabrik auf der Basis sowjetischen Erdgases in Priesteritz. 2. Ausbau der Raffineriekapazitäten in Schwedt und Verwertung gasförmiger Nebenprodukte zur Düngemittelproduktion. 3. Errichtung des Olefinkomplexes in Böhlen zur Erzeugung wichtiger Ersatzstoffe für die Kunststoffproduktion (Äthylen und Propylen). 4. Zur Versorgung dieser Anlage Bau einer neuen Raffinerie in Zeitz und Erweiterung der erdölverarbeitenden Kapazitäten in Böhlen. 5. Neubau einer Polyurethananlage in Schwarzheide. 6. Neubau eines Industriekraftwerks und einer Raffinerie in Leuna. Und 7. Errichtung von Verarbeitungskapazitäten zur Kunststoffproduktion in Buna (PVC) und Leuna (Hochdruckpolyäthylen).[111]

In den Jahren zwischen 1970 und 1980 verdoppelte sich der Erdöleinsatz nahezu, blieb jedoch unter der noch 1976 anvisierten Höhe von 23 Mill. t/a (1980: 21,8 Mio. t, davon aus der UdSSR: 19 Mio. t). Während die Sowjetunion noch 1975 vertraglich zusicherte, ihre Öllieferungen in die DDR jährlich um 5 Prozent zu steigern, kam die zunächst kontinuierliche Zunahme der Importe ungefähr ab 1977 zum Stillstand. Dies begrenzte die Möglichkeit einer Produktionssteigerung, so daß die volle Auslastung der Verarbeitungskapazitäten der petrolchemischen Industrie z. T. nicht gegeben war. So unterlag der Bezug des Erdöls einerseits mengenmäßigen Beschränkungen, und er stieß andererseits zunehmend auf Finanzierungsschwierigkeiten, da „die Mitgliedsländer des RGW den Einfluß der steigenden Weltmarktpreise auf die Preise im gegenseitigen Warenaustausch in Rechnung stellen mußten“[112].

Das RGW-Preissystem

Für die Preisbildung innerhalb des RGW galten bis Anfang 1975 die Beschlüsse der IX. Ratstagung, die 1958 in Bukarest gefaßt wurden. Danach sollten jene Preise maßgebend sein, die sich im Handel zwischen den Mitgliedsstaaten des RGW bis dahin herausgebildet hatten. Für Korrekturen dieser Vertragspreise und die Preisbildung für neue Produkte sollte die Entwicklung der durchschnittlichen Weltmarktpreise eines bestimmten Basisjahres oder eines festen Basiszeitraums als Orientierung dienen. Festgelegt wurden für den Zeitraum 1958-1965 das Basisjahr 1957; für den Zeitraum 1965-1970 der Basiszeitraum 1960-1964 und für den Zeitraum 1971-1975 der Basiszeitraum 1965-1969.[113]

Dadurch konnten die sozialistischen Staaten während einer Fünfjahrplanperiode für einen großen Teil ihres Außenhandels mit stabilen Preisen rechnen, während die kapitalistischen Märkte durch relative Preisschwankungen gekennzeichnet waren. Bei dieser Regelung handelte es sich indes um ein allgemeines grundlegendes Prinzip; die konkreten Preise mußten stets bilateral zwischen den Einzelstaaten verhandelt werden. In der Praxis lagen die RGW-Preise in der Regel unterhalb der Weltmarktpreise und folgten deren Anstieg temporär verzögert.

Der starke Anstieg der Rohstoffpreise vor allem im Jahre 1974[114] hätte so eigentlich die Preise im RGW-Handel vor dem Ende des Jahres 1975 nicht berühren dürfen, da für den Zeitraum 1971-1975 die Durchschnittspreise des Zeitraumes 1965-1969 bestimmend sein sollten. Bei Anwendung der Bukarester Preisformel wäre also die Sowjetunion erst ab der Periode 1976-1980 in den Genuß höherer Exportpreise für Energieträger und Rohstoffe gekommen, und auch das – wegen der Einbeziehung der Jahre 1971 und 1972 in die Preisfestlegung – nur in abgeschwächtem Umfang; die Verrechnungspreise im RGW-Handel wären demnach weniger als halb so stark gestiegen wie die entsprechenden Weltmarktpreise.

Um aber unverzüglich von diesen Preisen zu profitieren, setzte die UdSSR eine für sie wesentlich günstigere Neuregelung durch. Auf der 70. Sitzung des RGW-Exekutivkomitees (nicht von der Ratstagung!) vom 21.-23. Januar 1975 in Moskau fiel der Beschluß, die RGW-Vertragspreise ab 1976 alljährlich auf der Basis der durchschnittlichen Weltmarktpreise der jeweils vorangegangenen fünf Jahre zu bilden.[115] Diese Moskauer Preisformel der gleitenden Basiszeiträume führte zu einer wesentlich rascheren Angleichung der RGW-Preise an das Weltmarktpreisniveau.

Für das Jahr 1975 galt eine Übergangsregelung, wonach die Preisbildung auf der Basis des Durchschnitts der vorangegangenen drei Jahre (1972-1974) durchzuführen sei. Dies führte dazu, daß 1975 die Energiepreise um durchschnittlich 90 Prozent angehoben wurden. Bemerkenswert hierbei ist, daß die UdSSR bei Erdöl und Erdgas zwischen den einzelnen RGW-Partnern differenzierte. Eine gewisse Sonderstellung wurde der DDR eingeräumt, indem ihr für Erdöl nur eine 50prozentige und bei Erdgas gar keine Erhöhung abverlangt wurde.[116]

Gleichwohl handelte es sich in der Geschichte des RGW um einen Preisanstieg nicht gekannten Ausmaßes, den die sozialistischen Staaten (mit Ausnahme Rumäniens) aufgrund ihrer Abhängigkeit von den Rohstofflieferungen aus der Sowjetunion hinnehmen mußten. Innerhalb des RGW betrug der Anteil der UdSSR an den Erdöl- und Erdgasvorräten 97 Prozent. Seit 1974 befand sie sich mit einer immer steigenden Jahresförderleistung auch weltweit auf Platz 1 der erdölproduzierenden Staaten (1974: 458 Mill. t; 1977: 545 Mill. t; 1980: 603 Mill. t); bedeutendster Ergasproduzent der Welt ab 1983. Rund 70 Prozent des geförderten Erdöls wurde für den Eigenbedarf verwandt, der Rest stand dem Export zur Verfügung.[117]

Beschränkung der Erdölimporte in den achtziger Jahren

1980 kündigte die Sowjetunion den RGW-Staaten an, daß sie für den Fünfjahrplanzeitraum von 1981 bis 1985 die Lieferungen von Erdöl, Erdgas und Kohle auf dem Niveau von 1980 einzufrieren gedenke und daher mit einer weiteren Steigerung nicht zu rechnen sei.[118] Im Jahr darauf wurde mitgeteilt, daß entgegen diesen vertraglichen Vereinbarungen ab 1982 sogar eine Verminderung der Erdöllieferungen um jährlich rund 10 Prozent aufS zunächst knapp 70 Mill. t (1976: 75 Mill. t) vorgenommen wird.

Zudem erfolgte 1981 eine Modifikation der Moskauer Preisregelung dahingehend, daß nunmehr Dreijahresdurchschnitte der Weltmarktpreise für die Verrechnung zugrunde gelegt wurden. Die Mehrkosten für die RGW-Staaten betrugen aufgrund dieser Maßnahme in den Jahren 1981 und 1982 insgesamt 3 Mrd. TRbl.[119] Die neue Preisformel führte dazu, daß 1983 die Verrechnungspreise für sowjetisches Rohöl um 10 Prozent höher waren als die Weltmarktpreise.

Von dem Vorhaben der Exportkürzungen erfuhr die DDR in einem Schreiben des Generalsekretärs des ZK der KPdSU vom 31. August 1981. Als Begründung für diesen Schritt machte Breschnew darin innere Schwierigkeiten der Sowjetunion geltend, vor allem eine Verschlechterung der Förderbedingungen, so daß „die geplanten Exportmengen […] in sozialistische Länder nicht durch reale Quellen abgesichert“[120] seien. Es sollte demnach der Anschein vermittelt werden, daß eine mangelnde Verfügbarkeit von Öl 1982 für die Kürzung der Liefermengen verantwortlich war. Dagegen spricht indes eine Steigerung der sowjetischen Erdölförderung um 3,8 Mio. t gegenüber 1981 sowie die Zunahme der Exporte in kapitalistische Staaten auf einen neuen Höchststand (1981: 54 Mio. t; 1982: 66 Mio. t; 1983: 75 Mio. t), was zu einer Veränderung in der Regionalstruktur des sowjetischen Erdölexports führte. Wurden in den Jahren 1975-1981 stets knapp 50 Prozent der Exporte in die RGW-Staaten geleistet, so waren es 1982 nur noch 42 Prozent.[121]

Am 4. September 1981 wandte sich Erich Honecker mit der Bitte an die sowjetische Führung, ihre Entscheidung zurückzunehmen. Er gab dabei zu bedenken, daß bei einem Festhalten an der sowjetischen Position „die Grundpfeiler der Existenz der Deutschen Demokratischen Republik untergraben“[122] würden. Doch sein aus Moskau entsandter Verhandlungspartner, Konstantin W. Russakow, der Sekretär für Internationale Fragen beim ZK der KPdSU, teilte am 21. Oktober 1981 den endgültigen ablehnenden Bescheid Breschnews mit. Als Begründung führte er an, „daß der Zustand der Sowjetunion so ist wie vor Brest-Litowsk“[123], und er fordere von der DDR die Bereitschaft, die Folgen der Krise in der Sowjetunion mitzutragen.

Bis zum Ende der DDR betrug so die in den Statistiken ausgewiesene jährliche Liefermenge relativ konstant 17 Mio. t. Bezüglich der daraus resultierenden Notwendigkeit für Erdölzusatzeinkäufe erklärte Friedrich Götz, ehemals Stellvertreter des Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission für die Grundstoffindustrie, daß er „für den Zeitraum 1980-1989 eine Größenordnung von etwa 30 Mio. t für realistisch“[124] halte. Diese Zusatzimporte wurden zu verschiedenen Zeiten aus verschiedenen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens bezogen – und vor allem aus der UdSSR! Die Vorsitzenden der Staatlichen Plankommissionen der DDR und der UdSSR, Gerhard Schürer und Nikolai Baibakow, hatten nämlich dahingehend eine Art Kompromiß erzielt, daß der Weiterbezug der zur Kürzung anstehenden 2 Mio. t Erdöl gegen Bezahlung in freien Devisen in Höhe von rund 600 Mio. Dollar erfolgen könne; abgewickelt wurde dies dann über die Kommerzielle Koordinierung des Dr. Schalck-Golodkowski. Und so hatte die Sowjetunion nicht nur ihre zugesagten jährlichen Lieferungen von 17 Mio. t geleistet, sondern diese bis 1987 sogar auf 20 Mio. t gesteigert. In den Statistiken der DDR war aber nur die in Transfer-Rubel beglichene Menge ausgewiesen.[125]

Substitutionsbestrebungen in der Industrie der DDR

Welche Folgen hatte nun „der beschränkte Lieferwille auf sowjetischer Seite“[126] für die Industrie in der DDR? Vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Entwicklung und „aus Gründen der Versorgungssicherheit“[127] formulierte die DDR-Wirtschaftsführung 1980 folgende Zielsetzungen zur Substitution sowjetischen Erdöls durch einheimische Braunkohle:[128] 1. Ausbau der vertieften Erdölverarbeitung und schrittweise Erhöhung des stoffwirtschaftlichen Nutzungsgrades des Erdöls. 2. Raschere Erschließung und Ausbeutung der Erdgasfelder im Raum Salzwedel und Ausbau der jährlichen Förderung auf 14 Mrd. m³ sowie vorrangig stoffwirtschaftliche Verwendung dieser Erdgasmenge. 3. Steigerung der jährlichen Braunkohlenförderung auf 300 Mio. t. Und 4. Stabilisierung der vorhandenen karbochemischen Anlagen sowie weiterer Ausbau der Kohleveredlung.

In diesen Kontext fallen die Maßnahmen zur Heizölablösung, die jedoch „nicht so vordergründig“[129] mit den Kürzungen der Erdöllieferungen in Zusammenhang standen. Bereits 1978 arbeitete die Wirtschaftskommission des ZK der SED Pläne für eine Umstrukturierung der chemischen Industrie aus.[130] Die zur Verfügung stehende Ölmenge sollte in höherem Maße als Rohstoff und nicht energetisch genutzt werden. Bei dem destillativen Verfahren der Rohölaufbearbeitung waren 17 Prozent der Einsatzmenge als Benzin und 23 Prozent als Dieselkraftstoff und ähnliche Produkte zu gewinnen. Es fielen aber auch ca. 50 Prozent der Rohölsubstanz als Heizöl an, die ausschließlich für Wärme- und Elektroenergieerzeugung eingesetzt bzw. exportiert werden konnten. Die stoffwirtschaftliche Nutzung des Erdöls lag 1976 bei 16,2 Prozent, während sie in der BRD nur um 10 Prozent schwankte; bis 1985 sollte sie auf 22 Prozent erhöht werden. Für diesen Zweck waren die Raffinerien so auszubauen, daß mehr leichte Fraktionen und weniger schweres Heizöl produziert werden würde. Diese tiefere Spaltung des Erdöls war jedoch durch abnehmende energetische Wirkungsgrade gekennzeichnet, d.h., daß der Energiebedarf je abgegebenes kg Endprodukt stieg.

Da bei der vertieften Spaltung – wie angestrebt – weniger Heizöl als Endprodukt anfiel, mußte die entstandene Lücke in der Elektroenergieerzeugung durch den Einsatz von Braunkohle geschlossen und bestehende Heizölanlagen auf Braunkohlenfeuerung umgestellt werden. Der Anteil des Mineralöls an der Erzeugung der Elektroenergie sank damit von 1,2 Prozent (1980) auf 0,6 Prozent (1986), während der Anteil der Rohbraunkohle von 78,1 Prozent (1980) auf 83,3 Prozent (1986) stieg.

Durch das Substitutionsverhältnis von Rohbraunkohle zu Erdöl von 10:1 war die DDR schon hinsichtlich der Sicherstellung der Elektroenergieversorgung gezwungen, gegen den internationalen Trend eine deutliche Steigerung der Braunkohlenförderung vorzunehmen, und das unter den oben beschriebenen schwierigen geologischen Bedingungen. Die aufgestellte Zielstellung wurde mit einer Steigerung auf 312 Mio. t im Jahr 1985 (1980: 258 Mio. t) übertroffen. Doch die verschlechterten Abbaubedingungen erforderten einen zusätzlichen Aufwand gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit. Allein im Zeitraum von 1981-1985 steigen die spezifischen Förderkosten pro gewonnener Tonne Braunkohle um 30 Prozent.[131]

Neben den Sparmaßnahmen beim Verbrauch von Elektroenergie (1981-1985 Einsparungen an Energie, die einem Äquivalent von 82 Mio. t Rohbraunkohle entsprachen[132]) mußte zugleich die höhere Veredlung aller verfügbaren Energieträger und Rohstoffe aus eigenen Vorkommen betrieben werden. Für die Karbochemie bedeutete dies, bereits auf Verschleiß gefahrene Anlagen, wie z.B. Industriekraftwerke, Schwelereien und Gaserzeugungsanlagen mit größtenteils veralteten Ausrüstungen und Technologien auf unbestimmte Zeit am Leben zu halten. Anstatt, wie ursprünglich auch vorgesehen, die energieintensive Erzeugung karbochemischer Rohstoffe wie etwa die Karbidproduktion in Schkopau und Priesteritz einzustellen, nahm die Verarbeitung ab 1980 wieder zu.

Andreas Reichel,
Dresden

Anlage 1[133]:

Walter Ulbricht, Brief an N. S. Chruschtschow, 4. August 1961

Teurer Genosse Nikita Sergejewitsch!

Sie hatten die Frage gestellt, was sind die Ursachen für die besonderen Schwierigkeiten in der Wirtschaft der DDR und die Senkung des Produktionszuwachses bedeutend unter die Ziffern des Siebenjahrplanes.

In der Anlage übermittle ich Ihnen ein Informationsmaterial, in dem im wesentlichen diese Frage beantwortet wird.

Mit kommunistischem Gruß, W. Ulbricht

Anlage: Information über die Ursachen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der DDR

Der V. Parteitag der SED hat die grundlegenden Ziele des Siebenjahrplanes beschlossen und die Aufgabe gestellt, Westdeutschland durch eine schnelle Erhöhung der Arbeitsproduktivität und die Ausschöpfung aller volkswirtschaftlichen Reserven auf ökonomischen Gebiet, insbesondere was den Lebensstandard betrifft, im wesentlichen einzuholen.

Die Frage, wieso die DDR in ökonomische Schwierigkeiten gekommen ist und in den Jahren 1960 und 1961 bedeutend unter den Ziffern des Siebenjahrplanes bleibt, erklärt sich aus folgendem:

a) Die Deutsche Demokratische Republik wurde als Staat gebildet, der fast über keine Grundstoffindustrie verfügte. Während des Zweijahrplanes und des ersten Fünfjahrplanes bis 1955 wurden noch bedeutende Reparationen geleistet. Besonders ab 1955 mußten wir im Interesse der Erhöhung des Lebensstandards der Bevölkerung den Export auf fast allen Gebieten, besonders aber aus dem Maschinenbau so steigern, daß für die notwendige Rekon-struktion der Industrie fast keine Mittel und Ausrüstungen zur Verfügung standen. Das hatte weiter zur Folge, daß die Entwicklung der Grundstoffindustrie nur langsam voran ging.

b) Da wir im Umfang der Produktion nach das zweite Industrieland im sozialistischen Lager sind, das aber noch mit der Wirtschaft Westdeutschlands verbunden war, brachte die Erhöhung der Lieferung von Ausrüstungen an die sozialistischen Länder eine Erhöhung des Imports aus Westdeutschland und anderen kapitalistischen Ländern mit sich. Auch daraus resultiert, daß wenige Mittel für die Entwicklung der eigenen Grundstoffindustrie zu Verfügung standen.

c) Infolge der offenen Grenzen gegenüber Westdeutschland, das uns in Bezug auf das industrielle Niveau in vielen Produktionszweigen und in Bezug auf den Lebensstandard der Bevölkerung überlegen ist, konnten wir manche ökonomischen Gesetze nicht einhalten. Wir haben besonders in den letzten Jahren sehr große Verluste an hochqualifizierten Arbeitskräften durch die Abwerbung der westdeutschen Monopole zu verzeichnen. Diese Tatsache und die ungenügenden Möglichkeiten zur Mechanisierung und Automatisierung hatten unmittelbaren Einfluß auf das Entwicklungstempo der Produktion.

d) Bedingt durch die Spaltung Berlins und Deutschlands mußten wir große Investitionen durchführen, die ökonomisch gesehen nicht wirtschaftlich sind; z.B. den Bau des Berliner Außenringes der Eisenbahn und des nordwestlich Berlins verlaufenden Umgehungskanals für die Schiffahrt, den Aufbau der Großkokerei auf Braunkohlenbasis in Lauchhammer und andere.

e) Im Interesse der Belieferung der sozialistischen Länder mit schweren Ausrüstungen wurden 25 neue Schwermaschinenbaubetriebe gebaut. Darunter Schiffswerften für den Hochsee-schiffbau. Unter den schwierigsten Bedingungen wurde die Wismut AG aufgebaut, der damals größte Betrieb der DDR. In letzter Zeit mußten wir einen neuen großen Überseehafen bauen, um unabhängig zu werden von westdeutschen Häfen, besonders Hamburg.

Durch Mobilisierung der Werktätigen unter Führung der Partei und die Hilfe der Sowjetunion haben wir in der zweiten Hälfte des Jahres 1958 und im Jahre 1959 große ökonomische Erfolge erzielt und den ökonomischen Rückstand gegenüber Westdeutschland verringert. Die Industrie-produktion stieg 1958 um 10,5% und 1959 um mehr als 12%. Das auf dem V. Parteitag festgelegte Wachstumstempo der Produktion wurde damit erreicht und teilweise übertroffen. Die Arbeitsproduktivität stieg je Produktionsarbeiter 1958 um 10% und 1959 um 11%.

Zum Zeitpunkt des V. Parteitages bestand ein noch beträchtlicher Rückstand gegenüber West-deutschland hinsichtlich der Produktion pro Kopf der Beschäftigten und im Pro-Kopf-Verbrauch bei den meisten Konsumgütern. Zu diesem Zeitpunkt aber zeigten sich krisenhafte Erschei-nungen in der Wirtschaft Westdeutschlands und der meisten kapitalistischen Länder. Die westdeutsche Wirtschaft verzeichnete 1958 mit nur 3% das niedrigste Wachstumstempo der Industrieproduktion seit Kriegsende. Die Arbeitslosigkeit in Westdeutschland stieg. Die Abwer-bung von Arbeitskräften ging 1958 und 1959 zurück. Unter diesen Bedingungen hat sich 1958 und 1959 der Abstand gegenüber Westdeutschland auch im Lebensstandard verringert.

Wir haben bedeutende Fortschritte in der Produktion von industriellen Konsumgütern erreicht. Die Produktion von Fernsehgeräten stieg 1957-1959 um 166%, von Kühlschränken um 247%, von Motorrollern um 88%, von Personenkraftwagen um 50%. Die gesamte Bereitstellung von Waren an die Bevölkerung stieg 1959 um 33,8 Mrd. DM gegenüber dem Vorjahr. (1960 gegenüber 1959 um 2,8 Mrd. DM; 1961 gegenüber 1960 geplant 2,1 Mrd. DM, was aber nicht erreicht wird).

Zu den Erfolgen der DDR in den Jahren 1958 und 1959 trug wesentlich bei, daß der Import von Rohstoffen und anderen Waren insbesondere aus der UdSSR sehr stark erhöht werden konnte. So stieg der Import insgesamt im Jahre 1959 um 1,3 Mrd. VDM = 18,6%, darunter aus der Sow-jetunion 1,0 Mrd. VDM = 32,5%.

Das ermöglichte in diesen Jahren die bessere Ausnutzung unserer Produktionskapazitäten und die Beseitigung eines Teils der Disproportionen.

Unser Walzstahl-Import stieg 1958 um 224 Tt = 24% und 1959 um 156 Tt = 14%. Das war die Voraussetzung für eine sehr starke Erhöhung der Produktion der metallverarbeitenden Industrie sowohl für die Deckung des Eigenbedarfs der Volkswirtschaft und der Bevölkerung als auch des Exports. Die Produktion der metallverarbeitenden Industrie stieg 1958 um 2,6 Mrd. DM = 15% und 1959 um 3,5 Mrd. DM = 19%.

Das hohe Entwicklungstempo der Volkswirtschaft konnte 1960 und 1961 nicht in dem Maße fortgesetzt werden, wie in den vorangegangenen beiden Jahren. Welche Ursachen gibt es für diese Entwicklung?

1.) 1959 und in verstärktem Maße 1960 setzte in Westdeutschland eine neue wirtschaftliche Hoch-konjunktur ein. Bei den bestehenden offenen Grenzen wirkte sich das unmittelbar auf unsere politische und ökonomische Lage aus. Die Industrieproduktion Westdeutschlands stieg im Jahre 1959 um 7% an und erreichte 1960 eine Produktionssteigerung von 11%. Gleichlaufend damit stieg auch der Lebensstandard der westdeutschen Bevölkerung wieder erheblich.

In zunehmendem Maße trat ein Mangel an Arbeitskräften in Westdeutschland auf. Gegenwärtig gibt es in Westdeutschland praktisch keine Arbeitslosigkeit, dagegen mehr als 500000 offene Arbeitsstellen. Es erfolgte eine immer stärkere Abwerbung von Arbeitskräften aus der DDR, darunter im zunehmenden Maße die Abwerbung von Produktionsarbeitern und technischer und wissenschaftlicher Intelligenz. Die Abwerbung war bereits 1958 stark zurückgegangen und hatte 1959 den tiefsten Stand seit Bestehen der DDR erreicht. 1960 dagegen verließen wieder 200.000 Personen die Republik; 1961 sind es bis Ende Juli 130.000 Personen.

Die Abwerbung führte dazu, daß erstmalig 1960 die Gesamtzahl der Beschäftigten in der Volks-wirtschaft der DDR und insbesondere in vielen entscheidenden Betrieben der Industrie absolut zurückging. Der Arbeitskräftemangel verschärfte sich in der ersten Hälfte des Jahres 1961 und führte zur Nichterfüllung der Pläne in vielen Schlüsselbetrieben. Besonders kraß treten diese Probleme in Berlin, dem Zentrum der elektrotechnischen Industrie auf.

Nach grober Berechnung führt der Verlust an Arbeitskräften durch Abwerbung zu einem Produktionsausfall allein in der Industrie in den Jahren 1960 und 1961 von 2,5-3 Mrd. DM. Der Arbeitskräftemangel ruft neue Disproportionen hervor. Viele volkswirtschaftlich entscheidende Bauvorhaben weisen durch Arbeitskräftemangel Rückstände auf. Auf den Arbeitskräftemangel sind auch ein Teil der Komplikationen in der Versorgung der Bevölkerung zurückzuführen.

2.) Ab Anfang 1960 traten größere Komplikationen in der Versorgung unserer Wirtschaft mit Roh- und Hilfsstoffen und Komplettierungsteilen auf. Sie behindern erheblich die Produktion und führen in vielen Betrieben zu Produktionsstockungen und unkontinuierlicher Arbeit. Diese Pro-bleme in der Rohstoffversorgung haben im wesentlichen folgende Ursachen:

a) Die westdeutschen militaristischen Kreise haben ab 1960 durch eine gezielte Störtätigkeit in zunehmendem Maße versucht, unsere ökonomische Entwicklung zu sabotieren. Bereits von Beginn des Jahres 1960 an wurde die Lieferung insbesondere in Engpaßsortimenten bei Walz-stahl verzögert. Im September erfolgte durch die Bonner Regierung die Kündigung des Handels-abkommens mit Westdeutschland. Der Handel mit Westdeutschland ging 1960 um 10% zurück.

b) Aber auch die Beschaffung wichtiger Rohstoffe und Waren aus sozialistischen Ländern stieß 1960 auf zunehmende Schwierigkeiten. Es zeigte sich, daß durch die Wirtschaftsvereinbarungen 1960-65 zwischen der UdSSR und der DDR und zwischen der DDR und den anderen sozialistischen Ländern grundlegende Fragen der Rohstoffversorgung der DDR im Sieben-jahrplan nicht gelöst werden konnten. Durch langfristige Vereinbarungen wurde zwar der wesentliche Teil der benötigten Grundstoffe festgelegt und vereinbart, jedoch nicht ent-sprechend dem spezifischen Bedarf unserer Volkswirtschaft sowie nicht nach dem notwendigen Sortiment, das jedoch die Voraussetzungen für eine bedarfsgerechte Versorgung darstellt.

Das charakteristische Problem in diesem Zusammenhang bestand und besteht in der sortimentsgerechten Versorgung mit Walzstahl. Die Sowjetunion deckte unseren Bedarf an groben Sorten. Bei Rohren, Zieh- und Tiefziehblechen, Walzdraht und feinem Stabstahl, Trans-formatoren und Dynamoblechen sowie bestimmten Edelstahlen blieben wir in sehr starkem Maße vom Import aus kapitalistischen Ländern und Westdeutschland abhängig.

Die Beschaffung einer Vielzahl anderer Rohstoffe, insbesondere von Rohstoffen für die Konsumgüterproduktion, darunter Wolle, Holz, Zellulose, von Chemierohstoffen für die Film- und Farbenindustrie, an Baumwollgarnen, Häuten usw. war nicht vollständig gelöst.

Bei all diesen Erzeugnissen mußten wir zusätzliche Importe aus dem kapitalistischen Ausland durchführen, um die Produktion zu sichern. Charakteristisch für das Jahr 1960 ist die Tatsache, daß der Import aus kapitalistischen Ländern (ohne Westdeutschland) um etwa 30% anstieg, während er aus sozialistischen Ländern nur um etwa 3% anwuchs. Diese Tatsache führte zu großen Spannungen in der Zahlungsbilanz sowie zu Unsicherheiten und Schwierigkeiten in der Materialversorgung einer bedeutenden Anzahl wichtiger Betriebe, insbesondere des Maschi-nenbaus.

Die zusätzlichen Bezüge aus kapitalistischen Ländern konnten 1960 nicht durch Exporte der DDR gedeckt werden. Es entstand eine bedeutende Verschuldung gegenüber dem kapita-listischen Ausland.

Der Passivsaldo Ende 1960 mit dem kapitalistischen Weltmarkt betrug etwa 550 Mio. VDM. Dabei mußten 1960 bei kapitalistischen Banken kurzfristige Kredite (Akzeptkredite) in Höhe von 215 Mio. VDM aufgenommen werden. Außerdem sind die Verbindlichkeiten aus dem laufenden Geschäft durch die volle Ausschöpfung der Zahlungsziele von 110 Mio. VDM auf 220 Mio. VDM angestiegen. Das Anwachsen hoher Schulden gegenüber kapitalistischen Län-dern im Jahre 1960 führte dazu, daß wir 1961 den Import aus kapitalistischen Ländern absolut verringern mußten, was sich durch Verringerung der Rohstoffbezüge auf die Produktionshöhe auswirkt. Zur Zeit (30.6.1961) beträgt unsere Verschuldung gegenüber Westdeutschland 210 Mio. Valuta-DM. Diese Lage wird noch dadurch verschärft, daß wir per 31.7.1961 bestehende Verbindlichkeiten in Höhe von 80 Mio. Valuta-DM nicht zum Fälligkeitstermin begleichen konnten. Die Bonner Regierung hat uns ein Ultimatum gestellt, daß, wenn wir nicht bis zum 15.8. in bar, das heißt in freien Devisen bezahlen, keine Ausfuhrgenehmigungen für weitere Lieferungen erteilt werden.

Gegenüber anderen kapitalistischen Ländern haben wir per 30.6.1961 Schulden in Höhe von 196 Mio. Valuta-DM.

Ende des Jahres 1961 werden wir gegenüber dem ganzen kapitalistischen Wirtschaftsgebiet eine Verschuldung in Höhe von rund 420 Mio. Valuta-DM haben. Davon wird die Verschuldung in frei konvertierbarer Währung 240 Mio. Valuta-DM betragen, wovon wir 70 Mio. Valuta-DM mit Jahresende in freier Währung abdecken müssen (ohne Westdeutschland). Für die Ab-deckung dieser Verpflichtungen haben wir heute noch keine Sicherung. In dem Handelsvertrag mit Westdeutschland ist festgelegt, daß, wenn der volle Ausgleich durch entsprechende Warenlieferungen der DDR nicht erfolgt, bis spätestens Mitte 1962 der Ausgleich durch Bar-zahlung, das heißt in freien Devisen vorgenommen werden muß. Aus dieser hohen kurzfristigen Verschuldung der DDR gegenüber den kapitalistischen Ländern ergibt sich gegenüber einzelnen wichtigen kapitalistischen Ländern teilweise ein Zustand der Zahlungsunfähigkeit, der auch zu Verteuerungen unserer Importe führt und die Kreditwürdigkeit der DDR in Frage stellt. Dadurch ist die DDR auch nicht in der Lage, die Preisschwankungen des internationalen Marktes zu ihren Gunsten auszunutzen, sondern sie erleidet eine Reihe zusätzlicher finanzieller Verluste.

c) Unsere wirtschaftlichen Schwierigkeiten und die hohe Verschuldung gegenüber kapitalistischen Ländern ist zu einem bedeutenden Teil auch dadurch entstanden, daß wir Materialien in Westdeutschland und anderen kapitalistischen Ländern kaufen mußten, um unsere hohen Anlagen- und Maschinenexporte an die sozialistischen Länder durchzuführen.

Für den Aufbau der Braunkohlenindustrie und der Ölleitung haben wir der Volksrepublik Polen Kredite für 694 Mio. Valuta-DM gegeben. Für die Entwicklung der Zellstoffindustrie kredi-tierten wir der Rumänischen Volksrepublik 130 Mio. Valuta-DM und für verschiedene Indus-trieobjekte der Bulgarischen Volksrepublik 65 Mio. Valuta-DM und der Albanischen Volksrepublik 80 Mio. Valuta-DM.

Aus diesem Grunde ist es notwendig, daß die volksdemokratischen Länder uns in unseren außerordentlichen Schwierigkeiten in der Zahlungsbilanz gegenüber kapitalistischen Ländern durch zusätzliche Lieferungen von entscheidenden Rohstoffen und durch Unterstützung in kapitalistischer Valuta Hilfe leisten. Soweit wir für die Durchführung unserer Maschinenexporte an volksdemokratische Länder auf die Zulieferung von Materialien oder Komplettierungsteilen aus kapitalistischen Ländern angewiesen sind, müssen diese Teile von den volksdemokratischen Ländern selbst beschafft oder finanziert werden. Wir führen große Lieferungen von Aus-rüstungen, komplette Anlagen und anderen Erzeugnissen der metallverarbeitenden Industrie an die volksdemokratischen Länder durch. An die CSSR lieferten wir in den letzten Jahren jährlich für rund 415 bis 420 Mio. Valuta-DM Maschinenbauerzeugnisse, an die Volksrepublik Polen für 330 bis 360 Mio. Valuta-DM.

Dagegen lieferte uns die CSSR im Jahre 1959 nur rund 41000 t Walzstahl und im Jahre 1960 – 79000 t. Auch die Lieferzusage für 1961 in Höhe von rund 80000t steht noch in absolut keinem Verhältnis zu den von uns durchgeführten Maschinenlieferungen. Für die Maschinenlieferungen der DDR an die CSSR müssen in weit höherem Maße Engpaßmaterialien aus dem kapita-listischen Wirtschaftsgebiet importiert werden, als dies für die Maschinenlieferungen der CSSR an die DDR der Fall ist, um so mehr, als die CSSR über eine eigene Walzmaterialerzeugung von 4,8 Mio. t verfügt.

Die Volksrepublik Polen liefert faktisch überhaupt keinen Walzstahl an die DDR, obwohl sie über ein Eigenaufkommen von 4,4 Mio. t verfügt. Es findet nur ein Sortenaustausch zwischen unseren Ländern in geringem Umfang statt und einige wenige Zulieferungen der Volksrepublik Polen für die Erzeugung der von uns zu liefernden Kohlegroßgeräte. (20000 t 1960). Aus diesen Gründen mußte die DDR im Jahre 1960 über 4000000 t Walzstahl im Werte von über 450 Mio. Valuta-DM in kapitalistischen Ländern, besonders in Westdeutschland, einkaufen, was wesent-lich zu der hohen Verschuldung gegenüber diesen Ländern führte.

Durch die hohen Maschinenlieferungen der DDR an die sozialistischen Länder ist der Maschi-nenexport der DDR an kapitalistische Länder begrenzt und z. B. niedriger als der der CSSR.

Ohne eine wesentliche Erhöhung der Lieferung von Walzstahl, vor allem der Defizit-Sortimente, auch aus den volksdemokratischen Ländern kann die DDR ihre Aufgaben nicht lösen und ihre Maschinenexporte an die volksdemokratischen Länder nicht sichern.

In der Mitte des Jahres 1961 hatte die DDR gegenüber einigen volksdemokratischen Ländern einen bedeutenden Aktiv-Saldo, gegenüber Bulgarien z.B. von 150 Mio. Valuta-DM. Auch gegenüber der CSSR und Ungarn bestehen gewisse Aktiv-Salden. Zur Lösung ihrer Aufgaben benötigt die DDR jedoch eine finanzielle Hilfe auch der volksdemokratischen Länder noch in diesem Jahr.

d) In eine komplizierte Lage ist die DDR auch durch den großen Rückgang der Importe aus der Volksrepublik China gekommen. Der Außenhandelsumsatz von 1021 Mio. Valuta-DM im Jahre 1960 geht auf 341 Mio. Valuta-DM im Jahre 1961 zurück. Zur Zeit hat die DDR ein Aktiv-Saldo gegenüber der chinesischen Volksrepublik von ca. 120 Mio. Valuta-DM. Außerordentlich einschneidend ist der Ausfall der chinesischen Lieferungen von Sojabohnen und Pflanzenöl sowie anderen landwirtschaftlichen Produkten, Textilrohstoffen und anderen Industrie-Erzeugnissen. 1961 muß dieser Lieferausfall zum Teil durch zusätzliche Importe aus kapitalistischen Ländern ausgeglichen werden.

e) Die Prinzipien der Preisberechnung im sozialistischen Lager führen zu einer gewissen Benachteiligung für die DDR. Die Festlegung stabiler Preise bewirkte, daß bei den Import-positionen der DDR (Rohstoffe, Halbfabrikate und landwirtschaftliche Produkte) in vielen Fällen Preise berechnet werden, die zum Teil stark über den Weltmarktpreisen liegen. Bei den Exporterzeugnissen der DDR (Fertigerzeugnissen) wird jedoch in vielen Fällen der Welt-marktpreis durch die DDR nicht realisiert.

Eine Ausarbeitung einer Spezialistengruppe der DDR weist darauf hin, daß die DDR insbe-sondere überhöhte Preise zahlen muß für eine Reihe von Walzmaterialien, bei Steinkohle und Steinkohlenkoks, bei bestimmten Erzeugnissen des Bergbaus sowie bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus den sozialistischen Ländern, dabei auch bei Getreide. Dies gilt auch für einige industrielle Erzeugnisse wie Fernsehgeräte, Selbstentladekipper, Grauguß, Bleiakkumulatoren und einige Gewebe.

Die Spezialistengruppe errechnete, daß durch überhöhte Importpreise, saldiert mit entspre-chenden Differenzen bei Exportpreisen, der DDR im Jahre 1961 mindestens ein Preisverlust von 200 Mio. Valuta-DM entsteht.

3.) Der verstärkte Mangel an Arbeitskräften wirkte sich um so schärfer auf unsere Lage aus, da das technische Niveau, der Grad der Mechanisierung und Erneuerung unserer Produktionsanlagen gegenüber Westdeutschland noch weit zurück ist.

Die Investitionen waren in Westdeutschland bis 1954 pro Kopf der Bevölkerung doppelt so hoch wie bei uns. Auch in den folgenden Jahren bis zu diesem Jahr liegen sie noch erheblich höher als unsere Investitionen. Bezogen auf die Bevölkerungszahl hätten wir in den letzten 10 Jahren für 50 Mrd. DM mehr investieren müssen, als wir tatsächlich investiert haben, um das westdeutsche Pro-Kopf-Niveau der Investitionen zu erreichen.

Die DDR hat als Arbeiter- und Bauern-Staat die Wiedergutmachung für ganz Deutschland geleistet, um einen Teil der durch den Hitler-Faschismus in den sozialistischen Ländern angerichteten Schäden wieder gutzumachen. Westdeutschland erhielt bereits bis 1950 bedeu-tende Kredite. Das verschaffte Westdeutschland neben den erheblich günstigeren Ausgangs-bedingungen einen schnelleren Start und bedeutenden Vorsprung in der Erweiterung und Mo-dernisierung der Produktionsanlagen und damit auf dem Gebiet der Arbeitsproduktivität sowie des Lebensstandards.

Der Rückstand gegenüber Westdeutschland bei bestehenden offenen Grenzen zwang uns in jeder Phase unserer ökonomischen Entwicklung, ein Maximum des Bestandes der volks-wirtschaftlichen Ressourcen für die Erhöhung des Lebensstandards der Bevölkerung ein-zusetzen. Die jeweils zur Verfügung stehenden Mittel konnten nicht in erster Linie für die Erweiterung und Erneuerung der industriellen Produktionsbasis eingesetzt werden. Einfach gesagt heißt das, die offenen Grenzen zwangen uns, den Lebensstandard schneller zu erhöhen, als es unseren volkswirtschaftlichen Kräften entsprach.

Es traten große Schwierigkeiten bei der materiellen Sicherung der großen Investitionsvorhaben, besonders der Grundstoffindustrie auf.

Bereits 1959 wurde trotz des über dem Siebenjahrplan liegenden Gesamtentwicklungstempos der Volkswirtschaft der Investitionsplan um etwa 500 Mio. DM nicht erfüllt.

Im Jahre 1960 betrug die Nichterfüllung 1,4 Mrd. DM. Das hat ernste Auswirkungen besonders auf die Inbetriebnahme von Kapazitäten in der Grundstoffindustrie, aber auch auf wichtigen Gebieten des Maschinenbaus und der Leichtindustrie.

In fast allen Bereichen der Volkswirtschaft sind entscheidende, den Produktionsumfang und den technischen Zustand der Zweige bestimmende neue Vorhaben in ihrer Fertigstellung verzögert bzw. nicht planmäßig begonnen worden.

4.) Die offenen Grenzen, die Hochkonjunktur in Westdeutschland und der Mangel an Arbeits-kräften führte auch dazu, daß wir das im Plan festgelegte Verhältnis zwischen der Steigerung der Arbeitsproduktivität und des Durchschnittslohnes nicht einhalten konnten. Die Lohnfonds wurden in den letzten drei Jahren außerplanmäßig um 1,3 Mrd. DM überschritten.

Die offenen Grenzen und der Einfluß der Verbraucher-Ideologie aus Westberlin und West-deutschland hinderten uns, konsequent die notwendig gewordenen Korrekturen bei bestimmten Preisen, aber insbesondere die Korrekturen irrealer Arbeitsnormen und die Beseitigung von Disproportionen im Lohngefüge durchzuführen. An die Lösung solcher politisch-ökonomischen Fragen konnte in allen volksdemokratischen Ländern unter den Bedingungen ihrer ge-schlossenen Grenzen anders herangegangen werden, als dies unter unseren politischen Be-dingungen möglich war. Die ganze Lage, bedingt durch die offene Grenze, hinderte uns, heran-gereifte Probleme zur Beseitigung von Disproportionen im Lohngefüge und zur besseren Durchsetzung eines richtigen Verhältnisses zwischen Lohn und Leistung herbeizuführen. Da-durch verstärkte sich das Mißverhältnis zwischen der echten Kaufkraft und den zur Verfügung stehenden Waren.

Die Geldeinkünfte der gesamten Bevölkerung steigen von 56,7 Mrd. DM im Jahre 1958 auf voraussichtlich 67,3 Mrd. DM im Jahre 1961. Das ist eine Steigerung von 10,6 Mrd. DM = 18,7%. Pro Kopf der Bevölkerung erhöhten sich die Geldeinnahmen in diesen drei Jahren von 3270 DM auf 3910 DM = 19,5%. Besonders stark steigen auch die Einkünfte der Mittelschichten an.

Die vollgenossenschaftliche Entwicklung in der Landwirtschaft erforderte die Bereitstellung finanzieller Mittel und Warenfonds für die Landbevölkerung, die außerplanmäßig aufgebracht werden mußten.

5.) Im Frühjahr 1960 erfolgte der Zusammenschluß aller Bauern in landwirtschaftlichen Produk-tionsgenossenschaften. Das erforderte die Einleitung einer Reihe zusätzlicher Maßnahmen zur Sicherung und Unterstützung der vollgenossenschaftlichen Entwicklung der Landwirtschaft. Es wurden zusätzlich Betriebe der metallverarbeitenden Industrie auf die Produktion von Land-maschinen umgestellt. Das führte infolge der notwendigen Bereitstellung zusätzlicher mate-rieller Fonds und durch die außerplanmäßige starke Erhöhung der Kaufkraft zu bedeutenden zusätzlichen Belastungen der Volkswirtschaft.

Wir haben in der Deutschen Demokratischen Republik für die Entwicklung der Landwirtschaft besonders in den letzten Jahren sehr viel getan. Die großen Anstrengungen und notwendige Hilfe, besonders seitens der Industrie für die Landwirtschaft, waren erforderlich und, wie die Entwicklung der Marktproduktion beweist, völlig richtig. Obwohl der sehr hoch angesetzte Plan der Marktproduktion in einigen Teilen nicht ganz erreicht wurde, ist doch eine wesentliche Steigerung der Marktproduktion auch in der Zeit der vollen Vergenossenschaftlichung trotz ungünstiger Witterungsbedingungen in den Jahren 1960 und 1961 gelungen.

Selbstverständlich hatten wir ähnliche Schwierigkeiten beim Übergang zur genossenschaftlichen Arbeit in der Landwirtschaft wie andere volksdemokratische Länder. Man darf jedoch nicht übersehen, daß bei uns manches viel komplizierter ist im Unterschied zu anderen Volks-demokratien, weil wir viele Groß- und Mittelbauern in die LPG übernommen haben. Ein nicht geringer Teil dieser Mittelbauern waren frühere Nazis und ihre Umerziehung ist nur schrittweise möglich. Ein schwieriges Problem bestand auch darin, daß sich der Nahrungsmittelverbrauch der Bevölkerung schneller als im Siebenjahrplan vorgesehen war, besonders bei Fleisch und Butter, erhöhte.

Wir waren gezwungen, 1960 und 1961 bedeutend mehr Lebensmittel und Futtermittel zu importieren, als im Siebenjahrplan vorgesehen war. Die Gesamtsumme der zusätzlichen Lebens-mittel- und Futtermittelimporte von Ende 1959 bis Ende 1961 beträgt mehr als 600 Mio. Valuta-DM. Das zwang uns, andere notwendige Importe, insbesondere von industriellen Rohstoffen und Ausrüstungen, gegenüber dem Siebenjahrplan zu kürzen, was sich auf die Entwicklung der Industrieproduktion negativ auswirkte.

6.) Große Anstrengungen waren notwendig und große materielle und finanzielle Mittel mußten aufgebracht werden für den Wiederaufbau der zerstörten Stadtzentren. Das betrifft besonders Berlin, Dresden, Leipzig, Karl-Marx-Stadt und andere Städte.

Sowjetische Genossen weisen uns immer wieder darauf hin, daß in Westberlin Hochhäuser gebaut werden und es bei uns dagegen nur langsam voran geht. Das erklärt sich daraus, daß wir zunächst typisierte Wohnungen in größerer Zahl bauen mußten, da diese billiger sind als die Bauten in den Zentren der Städte. Nur dadurch konnten wir einen Teil der bestehenden Wohn-raumschwierigkeiten der Bevölkerung mildern.

Es ist ein großer politischer Verlust für uns, daß im Gegensatz zu Westberlin das Zentrum der Hauptstadt, vor allem der zentrale Platz, erst in Jahren vollständig aufgebaut sein wird.

7.) Bei der in den ersten Jahren des Siebenjahrplanes vorhandenen Anspannung aller Kräfte und Möglichkeiten und dem Fehlen von Reserven mußte jede zusätzliche Aufgabe die bereits im Siebenjahrplan formulierte und berechnete Zielsetzung beeinflussen und deren Verwirklichung verzögern. Andererseits zeigt die Erfahrung nicht nur in der DDR, daß in einem mehrjährigen Plan nicht alle Probleme und Notwendigkeiten, die das Leben im Verlauf seiner Durchführung stellt, vorausgesehen und allseitig berücksichtigt werden können.

Das Politbüro des Zentralkomitees der SED hat sich mehrmals sehr gründlich mit diesen Fragenkomplexen beschäftigt und eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, die der besseren Ausnutzung der eigenen Kräfte und Ressourcen dienen. Die frühere Staatliche Plankommission hat zugelassen, daß nicht genügend auf die Lösung der Hauptprobleme konzentriert wurde, daß die politischen Bedingungen oft nicht zum Ausgangspunkt bestimmter ökonomischer Maß-nahmen gemacht wurden. Die herangereiften Probleme wurden oft nicht rechtzeitig zur Ent-scheidung gestellt, so daß zur Klärung grundsätzlicher Fragen, die das Entwicklungstempo der Volkswirtschaft der DDR betreffen, zu viel Zeit verloren ging.

Die Leitung der ehemaligen Staatlichen Plankommission hatte nicht verstanden, daß sie ent-sprechend den politischen Bedingungen und dem erreichten Niveau in der Entwicklung der Volkswirtschaft auch die Planung, besonders die Bilanzierung verändern und bessere, mit dem Leben verbundene wissenschaftliche Planungsmethoden anwenden muß. Das 12. Plenum des Zentralkomitees hat sich sehr eingehend mit diesen Fragen beschäftigt.

Zur rascheren Veränderung dieser Lage und aufgrund der herangereiften neuen Erkenntnisse in der Planung und Leitung der Volkswirtschaft, hat das Politbüro vor einiger Zeit beschlossen, eine Staatliche Plankommission, die sich im wesentlichen mit den Fragen der perspektivischen Entwicklung beschäftigt, und einen Volkswirtschaftsrat, der verantwortlich ist für die Durch-führung des Jahresplanes, zu bilden. Beide Organe haben bereits ihre Arbeit aufgenommen und es sind in diesem Zusammenhang weitere Maßnahmen beschlossen, die sichern sollen, daß künftig die Leitung der Volks-wirtschaft viel straffer und verantwortungsbewußter als bisher durch den Ministerrat erfolgt.

 

Schlussbemerkungen: Die geschilderten Schwierigkeiten haben zu einer Verringerung des Entwicklungstempos der In-dustrieproduktion geführt. Die Industrieproduktion stieg 1959 um 12 Prozent, 1960 um 8,3 Prozent und wird 1961 voraussichtlich um maximal 6,5 Prozent ansteigen.Bei dem durch die Staatliche Plankommission ausgearbeiteten ersten Planprojekt für das Jahr 1962 wird eine mögliche Steigerung von 5,2 Prozent ausgewiesen. Das wäre die geringste Zuwachsrate der industriellen Bruttoproduktion seit 1955. Bei diesem Planprojekt wird davon ausgegangen, daß noch Waren in Höhe von 600 Mio. Valuta-DM 1962 aus Westdeutschland bezogen werden können, darunter sind allein für 250 Mio. Valuta-DM Spezialsortimente ver-schiedener Walzstahlqualitäten. Dabei handelt es sich um solche Sortimente und Qualitäten, die nur in geringem Umfang durch die Sowjetunion und andere Staaten des sozialistischen Lagers bereitgestellt werden können. Außerdem sind die Volksrepublik Polen und die CSSR vorläufig nicht bereit, bei diesen Materialien, die in diesen Ländern erzeugt werden und anstelle der westdeutschen Erzeugnisse bei uns verarbeitet werden könnten, zusätzliche Lieferungen für die DDR zu tätigen. Bei Wegfall der Lieferungen aus dem Handel mit Westdeutschland und der nicht möglichen anderweitigen Beschaffung dieser Spezialstähle und anderer spezifischer Materialien wäre 1962 überhaupt kein Produktionszuwachs möglich und außerdem ein Rück-gang des Lebensstandards unausbleiblich. Das erklärt sich daraus, daß bisher die besonderen Spezialmaterialien und Komplettierungsteile aus Westdeutschland in fast allen Produk-tionszweigen der DDR verwendet wurden.

Die hauptsächlichsten Gründe für die eingetretenen ökonomischen Schwierigkeiten und der Ver-ringerung des geplanten Entwicklungstempos sind:

1. die Auswirkungen durch die offenen Grenzen;

2. die ungenügende Rohstoffversorgung für eine Reihe von Industriezweigen sowie die bisher geringen Möglichkeiten zur Beschaffung von Ausrüstungen aus den sozialistischen Ländern;

3. die Durchführung bedeutender Investitionen, die sich aus der Spaltung Deutschlands not-wendig machten;

4. die Verschuldung der DDR gegenüber den kapitalistischen Ländern;

5. die Kosten für die zur Unabhängigkeitsmachung notwendigen Umstellungen in der Volks-wirtschaft;

6. das zu langsame Tempo beim Aufbau der Teile der Grundstoffindustrie, die die Basis für die wirtschaftliche Entwicklung für die DDR sind, besonders solcher Produkte, die wir aus der Sowjetunion und anderen sozialistischen Ländern ungenügend oder gar nicht erhalten können. Das bezieht sich unter anderem auf die metallurgischen Erzeugnisse der zweiten und dritten Verarbeitungsstufe sowie eine Reihe von Grundchemikalien;

7. der außerordentlich große Arbeitskräftemangel in allen Zweigen der Volkswirtschaft;

8. die ungenügende ökonomische Kraft zur Einführung hochproduktiver Verfahren, der breiten Durchführung der Rationalisierung, Mechanisierung und Automatisierung. Das bezieht sich auf die Dienstleistungen gegenüber der Bevölkerung (maschinelle Ausrüstungen);

9. der hohe Konsum der Bevölkerung und die nicht ausreichende Grundstoffindustrie zwingen uns, mehr Maschinen und Ausrüstungen zu exportieren, als entsprechend unseren Bedingungen zulässig wäre. So macht der Export an Maschinenbauerzeugnissen fast 60 Prozent am Gesamt-export der DDR aus. Dadurch konnten in den vergangenen Jahren viele hochproduktive Maschinen und Ausrüstungen nicht für die dringend notwendige Rekonstruktion der Industrie unserer Republik eingesetzt werden. Walter Ulbricht, 4. August 1961

Anlage 2[134]:

L. Breschnew, Brief an E. Honecker, 31. August 1981.                                               4 Ex. Vertraulich

Lieber Genosse Erich Honecker!

In letzter Zeit hat sich das Politbüro des ZK der KPdSU wiederholt mit der Frage der Brennstoff- und Energieressourcen des Landes im laufenden Planjahrfünft beschäftigt. Es wurden mehrere Beschlüsse zum sparsamsten Verbrauch aller Arten von Brennstoffen und Energie in der Volkswirtschaft gefaßt. Diese Maßnahmen waren bedingt durch die starke An-spannung der Brennstoff- und Energiebilanz, und zwar infolge der bestehenden Schwierigkeiten, die mit der Verschlechterung der Förderbedingungen bei Energieressourcen und mit der sich daraus ergebenden krassen Erhöhung der Investitionen für diese Zwecke zusammenhängen. Die Lage gestaltet sich so, daß es nicht möglich erscheint, die Brennstoff- und Energieressourcen im ursprünglich geplanten Umfang auszubauen.

Dieser Faktor ist nicht ausreichend berücksichtigt worden bei der Festlegung der Brennstoff- und Energieressourcen des Landes für den Plan 1981-1985 sowie bei der Ausarbeitung der Vorschläge zur Koordinierung der Volkswirtschaftspläne mit den RGW-Ländern für diese Jahre. Infolge dessen erwies es sich, daß die geplanten Exportmengen dieser Gruppe von Waren in sozialistische Länder nicht durch reale Quellen abgesichert sind und den Export von Erdöl für frei konvertierbare Währung werden wir bis Ende des laufenden Planjahrfünfts faktisch völlig drosseln müssen.

Bekanntlich liefern wir an die europäischen Mitgliedsländer des RGW jährlich über 72 Mio. t Erdölerzeugnisse, 29 Mrd. m³ Gas sowie Kohle, Koks, Elektroenergie. 1980 sind Waren dieser Gruppen umgerechnet in Einheitsbrennstoff in einem Umfang von ca. 168 Mio. t geliefert worden.

Ihnen ist auch bekannt, daß wir gezwungen sind, beträchtliche Mengen an Erdöl und Erdöl-erzeugnissen in kapitalistische Länder zu verkaufen, um Valutamittel für den Ankauf von Getreide und Lebensmittel zu gewinnen, auf deren Import wir nicht verzichten können. Die un-günstigen Witterungsverhältnisse der letzten Jahre haben dazu geführt, daß es uns nicht gelungen ist, die geplanten Getreideerträge zu erzielen. Das laufende Jahr gestaltet sich ebenfalls ungünstig.

Nach Beratungen im Politbüro haben wir beschlossen, uns in der Frage des möglichen Umfangs der sowjetischen Energielieferungen während des laufenden Planjahrfünfts an Dich sowie an die Genossen T. Shiwkow, J. Kadar und G. Husak zu wenden.

Bei der Prüfung dieser Dinge war uns natürlich klar, daß dies keine einfache Frage ist, weil davon auch Eure inneren Pläne tangiert werden, und dennoch sehen wir uns gezwungen, Euch mitzuteilen, daß im Zeitraum 1982-1985 real Energielieferungen in die DDR im Umfang von 37,6 Mio. t jährlich abgesichert werden können (umgerechnet in Einheitsbrennstoff). Das ergibt bei dieser Warengruppe in diesem Planjahrfünft gegenüber dem vorhergegangenen einen Zuwachs des Gesamtumfangs der Lieferungen an die DDR um mehr als 7 Prozent.

Was konkret die Entscheidung über die Verringerung der Lieferung von Erdöl, Erdölprodukten und Erdgas betrifft, so sind wir bereit, dies in einer für Euch maximal günstigen Weise zu prüfen und gemeinsam mit Euch eine vereinbarte Entscheidung zu treffen.

Unsererseits werden wir mit der Prüfung dieser Frage das Staatliche Plankomitee der UdSSR und das Ministerium für Außenhandel der UdSSR beauftragen.

Ich bitte Dich, Erich, Verständnis für die dargelegte Frage aufzubringen. Die entstandene Situ-ation zwingt uns zu einem solchen Schritt.

L. Breschnew, 27. August 1981

Anlage 3[135]:

E. Honecker, Brief an L. Breschnew, 4. 9. 1981

Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Vorsitzen-den des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR, Genossen Leonid Iljitsch Breshnew

Teurer Leonid Iljitsch!

Mit großer Aufmerksamkeit hat sich das Politbüro des ZK der SED mit Deinem Brief über die sich im Bereich der Brennstoff- und Energieressourcen der Sowjetunion im laufenden Fünf-jahrplanzeitraum entwickelnde Lage und die Notwendigkeit, in diesem Zusammenhang die Lieferung von Energieressourcen aus der UdSSR in die DDR im Zeitraum 1982 bis 1985 zu ver-ringern, vertraut gemacht.

Wir verstehen, daß diese Entscheidung nicht einfach ist und daß außerordentliche Umstände Euch gezwungen haben, sie zu treffen. Gleichzeitig möchten wir, da sie in unmittelbarster Weise auch die inneren Pläne der DDR berührt, Deine Aufmerksamkeit, teurer Leonid Iljitsch, auf die Folgen lenken, die eine Reduzierung der Lieferungen von Energieträgern aus der UdSSR für unsere Republik hätte.

Wie Dir bekannt ist, Leonid Iljitsch, ist die DDR im Zusammenhang mit der in den letzten Jahren erfolgten Einstellung des Imports von Getreide und Futterkulturen aus der UdSSR in die DDR gezwungen, diese für Devisen im Ausland zu kaufen.

Im Unterschied zu den anderen sozialistischen Ländern ist die DDR äußerst arm an natürlichen Ressourcen, wir verfügen lediglich über Braunkohle und Uran. Aus Polen erhalten wir nur die Hälfte der vertraglich mit Euch und uns im vergangenen und im laufenden Jahr vereinbarten Menge an Steinkohle und Koks. Die dadurch notwendigen Käufe im Westen führen zu einer weiteren Erhöhung der ökonomischen Abhängigkeit der DDR von den kapitalistischen Ländern, vor allem von der BRD.

Dir, hochverehrter Leonid Iljitsch, ist auch bekannt, daß entsprechend den bestehenden Ver-einbarungen der Anteil der UdSSR an den Erdöllieferungen in die DDR erst 1984 ausläuft. Die Kapazitäten unserer erdölverarbeitenden Betriebe liegen bedeutend höher als es für die Ver-arbeitung der Erdölmenge, die aus der UdSSR geliefert wird, erforderlich ist, und um sie aus-zulasten, sind wir gezwungen, mehr als zwei Millionen Tonnen Erdöl im Westen zu kaufen. Wir möchten dabei bemerken, daß ein bedeutender Teil des aus der Verarbeitung des sowjetischen Erdöls Gewonnenen in Form von Fertigerzeugnissen in die UdSSR zurückfließt.

Der X. Parteitag der SED, der unlängst stattgefunden hat, hat die ökonomische Entwick-lungskonzeption der DDR für die nächsten fünf Jahre bestätigt. Wenn unser Land nun auch einen Teil der Lieferungen an sowjetischen Energieträgern verliert, die in vielem dieser Kon-zeption zugrunde liegen, so wird sich dieser Umstand außerordentlich negativ auf die Volks-wirtschaft der DDR auswirken. Offen gesagt, damit würden die Grundpfeiler der Existenz der Deutschen Demokratischen Republik untergraben.

Die SED unternimmt große Anstrengungen zur Anhebung des Niveaus der Industrieproduktion bei gleichzeitiger Einhaltung eines äußerst strengen Sparsamkeitsregimes bei Energie und Ma-terial, wir werden dies auch künftig tun. Schon beim gegenwärtigen Niveau der Lieferungen von Energieträgern aus der UdSSR haben wir praktisch keinerlei Möglichkeit, mehr von unseren Werktätigen zu erreichen.

Wie ich Dich, teurer Leonid Iljitsch, während des Treffens auf der Krim informierte, haben wir das Ziel gestellt, ab 1982 nicht mehr Kredite von der UdSSR in Anspruch zu nehmen und bis 1985 eine bedeutende Verringerung unserer Verschuldung gegenüber dem Westen zu erreichen. Wir werden jedoch diese Pläne nicht realisieren können, wenn die Lieferungen von Erdöl, Erdölprodukten und Gas aus der UdSSR verringert werden.

Unter Berücksichtigung des Obengesagten hat das Politbüro des ZK der SED nochmals das für uns plötzlich entstandene Problem auf dem Gebiet der Energieversorgung erörtert und bittet Dich, teurer Leonid Iljitsch, und alle Genossen im Politbüro des ZK der KPdSU dringendst, gro-ßes Verständnis für unsere Argumente zu bekunden und sie in maximal günstiger Weise zu prüfen.

Mit kommunistischem Gruß, E. Honecker, Berlin, 4. September 1981

Polen

Zbigniew Wiktor:
Die Geschichte der kommunistischen Bewegung in Polen – als Beispiel für die Länder Osteuropas; Teil 3: Die offene und die verdeckte Konterrevolution, Wiederherstellung der bürgerlichen Ordnung, Resumee

Die offene und die verdeckte Konterrevolution

Im Sommer 1980 hatten sich zwei politische Zentren der Konterrevolution in Polen entwickelt – das Zentrum der offenen Konterrevolution und das Zentrum der verdeckten Konterrevolution, die zwar unterschiedliche taktische Wege beschreiten wollten, die aber eindeutig das gleiche Ziel hatten: den Sturz des Sozialismus und die vollständige Rückkehr zum Kapitalismus.

Die offene Konterrevolution war stark und breit. Das waren zum einen die Kräfte der antisozialistischen Opposition, die niemals seit 1945 dem Sozialismus zugestimmt hatte und in jeder Periode der Entwicklung Volkspolens nach günstigen politischen und ideologischen Ausgangspunkten suchte, um ihre Aktivitäten zu entfalten. Neben diesen echten Klassenfeinden gab es zum anderen die „Konjunkturalisten“, die in der letzten Phase zum Klassenfeind übergelaufen sind. Diese letzteren besaßen noch Verbindungen zu Repräsentanten der leitenden Schicht, was die Situation für die prosozialistischen Kräfte zusätzlich erschwerte.

Dieses Lager der offenen Konterrevolution umfasste die Reste der alten Eigentümerklasse und ihrer Klientel, die Mehrheit der katholischen Hierarchie und der Priester, die Reste der früheren Untergrundbewegung gegen den Aufbau des Sozialismus, die Ende der 40-er Jahre eine breite Amnestie bekommen hatte, außerdem oppositionelle Elemente, alte und junge, die aus der leitenden Schicht rekrutiert worden waren.

Alle diese Gruppierungen hatten 1980 enge nichtoffizielle und zum Teil sogar offizielle Verbindungen zu unterschiedlichen politischen Kreisen des internationalen Kapitals, - zum Teil unter dem Deckmantel kultureller und wissenschaftlicher Organisationen und Institutionen.

Das zweite Zentrum der Konterrevolution ist direkt im Schoß der leitenden, privilegierten Schicht entstanden und hat zum Schluss seine konterrevolutionären Aktivitäten mit der lügnerischen Losung von der „Erneuerung und Verbesserung des Sozialismus“ und von der „Verteidigung des Sozialismus und der Unabhängigkeit“ (gemeint war die von der Sowjetunion, nicht die vom internationalen Finanzkapital) bemäntelt. Dies zweite Zentrum der Konterrevolution propagierte eine schrittweise und „friedliche“ Rückkehr Polens zum Kapitalismus bei gleichzeitigem Erhalt der sozialen Errungenschaften des Sozialismus. Die Hauptkräfte dieses Lagers waren Gruppen im Zentralkomitee der PVAP, in der polnischen Armee, in der Polizei und im Sicherheitsapparat unter Führung von General Wojciech Jaruzelski, der langjähriger Verteidigungsminister und Mitglied des Politbüros des ZK der PVAP war.

Mit dem Wachstum der Krise 1981 wurde General W. Jaruzelski schnell Ministerpräsident, dann Erster Sekretär der PVAP und, nach Ausrufung des Ausnahmezustandes und des Kriegsrechts am 13. 12. 1983 Vorsitzender des militärischen Rates der nationalen Rettung.

Dieses Lager unterhielt enge und vielfältige Kontakte zur antisozialistischen Opposition und zu kapitalistischen Kräften im Ausland.

Beide Zentren der Konterrevolution hatten gemeinsame antisozialistische Ziele bei differierenden strategischen und taktischen Absichten. Die offene Konterrevolution wollte ihre Ziele sofort erreichen und unmittelbar zu gesellschaftlichen Verhältnissen, wie sie im Vorkriegspolen geherrscht hatten, zurückkehren. Die verdeckte Konterrevolution wollte ihre im System Volkspolens gewonnenen Privilegien erhalten und langsamer, Schritt für Schritt, ihre Absichten realisieren, dies auch unter Beachtung der komplizierten internationalen Situation.

Beide Zentren hatten noch nicht die Macht und mussten deshalb zunächst die Bevölkerung gegen den Sozialismus aufhetzen und auf ihre Seite bringen.

Dies versuchte die verdeckte Konterrevolution durch die weitere Deregulierung der Wirtschaft und der Märkte, durch Verschärfung des Mangels in der Versorgung, durch Mängel bei Infrastruktur und z.B. Stromversorgung und durch wachsende Inflation.

Die offene Konterrevolution, vor allem „Solidarnocs“, agierte mehr auf der ideologischen Schiene: Lügenlosungen und falsche Parolen wie: „Sozialismus ja – Deformierung nein!“, „Mehr Demokratie!“, „Wir wollen echten Sozialismus!“ usw. wurden Allgemeingut. Das wichtigste aber waren die von der offenen Konterrevolution durch „Solidarnocs“ inszenierten Massenstreiks, das Organisieren von Demonstrationen, Unruhen, das Vergrößern der Instabilität des Lebens in allen Bereichen.

All dies zusammengenommen, dazu Parolen von der „Unmenschlichkeit des Kommunismus“ und das Schüren der Illusion, der Kapitalismus sei das bessere System, brachten die Massenbewegung auf das falsche Gleis und das Fehlen einer wirklichen revolutionären Kraft machte es möglich, dass sie sich zu einer offen konterrevolutionären Bewegung entwickelte.

Die Ereignisse von 1980 eröffneten die erste Etappe der offenen Wiederherstellung des Kapitalismus und die letzte Phase Volkspolens. In dieser Zeit sammelten sich die führenden Zentren der Konterrevolution um den General W. Jaruzelski. Der General und seine Gruppe hatten alle politischen, militärischen und wirtschaftlichen Machtmittel sowie die Medien in der Hand. Nur durch die dauerhafte Tolerierung und Unterstützung durch diese Kreise war es möglich geworden, dass die antisozialistische Opposition in den Jahren 1980/81 zu einer konterrevolutionären Massenbewegung anwachsen konnte. Die gemeinsame Strategie der beiden konterrevolutionären Zentren führte zu einer Schwächung der sozialistischen Machtorgane, zum Rückgang der wirtschaftlichen Produktion, zur Diskreditierung des Sozialismus im Innern sowie in der sozialistischen Gemeinschaft. „Solidarnocs“ organisierte Massenstreiks und Blockaden ohne Ende, desorganisierte den Außenhandel und schürte durch ihre Veröffentlichungen den Antisowjetismus und den Antikommunismus. Parallel dazu organisierte die Katholische Kirche mittels ihres Gemeindenetzes Initiativen zum antisozialistischen Kampf gegen den noch sozialistischen Staat.

Die verdeckte Konterrevolution bekämpfte gleichzeitig die Reste der prosozialistischen Kräfte, terrorisierte und isolierte die geschwächten und desorganisierten Kommunisten und wehrte die Gefahr, die der Konterrevolution von außen, d.h. von der Sowjetunion hätte drohen können, ab. Alles zusammen versetzte dem sozialistischen System in Polen folgenschwere Stöße, von denen es sich im Laufe der 80er Jahre nicht mehr erholte.

Im Dezember 1981 ist in Polen der Ausnahmezustand und das Kriegsrecht verhängt worden. Das war das Resultat der Verschärfung des Konflikts zwischen den beiden konterrevolutionären Zentren. Die offene Konterrevolution im Rahmen von „Solidarnocs“ wollte schnell bzw. sofort zur „zweiten Etappe“ übergehen, da sie im Herbst 1981 Einfluss und Positionen in der unzufriedenen Arbeiterschaft verloren hatten und weil sie die Formierung der prosozialistischen Kräfte, z.B. des „Kattowitzer Forums“ fürchtete. Die Extremisten von „Solidarnocs“ wollten direkt zum Kampf um die Macht übergehen. Das hätte die Gefahr eines Bürgerkrieges heraufbeschworen und zu Konflikten mit den sozialistischen Nachbarstaaten geführt. Für die Konterrevolution wäre damit die Gefahr entstanden, in ihren Entwicklungsbedingungen empfindlich gestört, wenn nicht gar liquidiert zu werden.

In der Folge des Ausnahmezustandes hat die Gruppe um W. Jaruzelski die volle Macht an sich gerissen. Die offene Konterrevolution ist geschwächt worden, ihre Führer wurden interniert, aber als Bewegung ist sie nicht vernichtet worden. Das war nicht Ziel der Gruppe um Jaruzelski. Die offene Konterrevolution war durch das Kriegsrecht – bildlich gesprochen – eingefroren und wartet unter zugegebener Maßen unkomfortablen Bedingungen auf bessere Zeiten, wie sie schon Mitte der 80er Jahre kommen sollten. Denn da fand der Machtwechsel in Moskau statt. Auch die verdeckte polnische Konterrevolution hatte auf eine politische Wende in der Sowjetunion gewartet und gehofft. Sie kam mit der Wahl Michael Gorbatschows zum Generalsekretär der KPdSU im Jahre 1985. Gorbatschow schlug eine ähnliche Richtung ein wie Jaruzelski und seine Gruppe, und nach fünf Jahren hatten sie ihre Arbeit geschafft: das Ende des Sozialismus in Polen. Volkspolen war ein Eckstein des Fundamentes der sozialistischen Gemeinschaft, der Ausbruch Polens war eine von mehreren Bedingungen für den Zusammenbruch des Sozialismus in der DDR, in der CSSR und in den anderen sozialistischen Staaten Europas sowie – letztendlich – Anfang der 90er Jahre in der Sowjetunion.

Die Restauration der bürgerlichen Herrschaft in Polen

Die Zeit des Ausnahmezustandes (1982-1983) und die letzten Jahre Volkspolens bis 1989 wurden nur formal und nach außen hin für die Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse und für die Stärkung des Sozialismus in Polen genutzt. Tatsächlich wurden weitere Privilegien für die führende Schicht durchgesetzt. Die „Reformen“ dienten nur der weiteren Schwächung des sozialistischen Wirtschaftssektors bis hin zu seiner teilweisen Vernichtung. Die Hauptrichtung dieser „Reformen“ war nämlich die Privatisierung der gesellschaftlichen Produktionsmittel. Die von leitenden Mitgliedern der privilegierten Schicht übernommen wurden. Das kompromittierte in den Augen der Massen nicht nur diese Leute, sondern auch die gesamte Idee des Sozialismus.

In dieser letzten Zeit Volkspolens gab es eine hohe Inflationsrate, Krisen in den Sozialsystemen und im wirtschaftlichen Bereich mit der Folge, dass die Lebensmittel rationiert werden mussten. Die Planwirtschaft war am Ende, sie war zu Tode „reformiert“ worden. Der Energiemangel war chronisch, die Relationen zwischen den verschiedenen Abteilungen der Produktion stimmten schon lange nicht mehr, Mangel herrschte. So kam es zu neuen Streikwellen, was illegale Aktivitäten von „Solidarnocs“ ermöglichte. Zwar war „Solidarnocs“ offiziell verboten, aber bei den Massen wuchs ihre Heldenaura und die Illusionen und Hoffnungen schossen nur so ins Kraut. Die Katholische Kirche verbreitete die „Lehre“ von der christlichen Gewerkschaft, die die Interessen der Werktätigen besser vertrete als die staatlichen Gewerkschaften. Der offizielle Papstbesuch in Polen hat bei der Aktivierung der neuen Zentren der Konterrevolution eine große Rolle gespielt.

1988 haben prominente Mitglieder der Jaruzelski-Gruppe dann verdeckte Gespräche mit Lech Walesa über ein Abkommen mit der „Solidarnocs“. Diese Gespräche wurden vom Minister des Inneren, General Cz. Kiszczak, organisiert, vorbereitet wurden sie u.a. auch von Bischöfen der Katholischen Kirche und vom Papst selbst. Der so genannte „Runde Tisch“ (Februar bis April 1989 war dann eine offizielle Etappe dieser Gespräche der Konterrevolutionäre, die schon über Monaten auf eine solche günstige Gelegenheit gewartet und sie vorbereitet hatten.

Der „Runde Tisch“ war in Wirklichkeit ein Abkommen zwischen beiden Flügeln der Konterrevolution zur Vernichtung der Reste von Volkspolen und zur Machtverteilung zwischen ihnen. Der „Runde Tisch“ hat dann die politischen und organisatorischen Grundlagen geschaffen für die offizielle Einführung kapitalistischer Strukturen in der Wirtschaft sowie im politischen System. In der Folge wurde das neue Wahlgesetz, die Verfassungsänderung und die Legalisierung von „Solidarnocs“ beschlossen. Am 4. April 1989 haben in Polen Parlamentswahlen stattgefunden, bei denen die Wähler den Vertretern der offenen Konterrevolution eine entscheidende Mehrheit verschafft haben. Sie hielten die Vertreter dieses Flügels für weniger gefährlich als die Vertreter der leitenden privilegierten Schicht, die bis zum Ende hin offiziell die sozialistische Phraseologie beibehielt. Der „Runde Tisch“ sowie die Parlamentwahlen wurden als Urteil gegen den Sozialismus und gegen Volkspolen gewertet und dieses Datum muss nun als Ende des polnischen Volksstaates angesehen werden.

Auf dieser politischen Basis ist im September 1989 eine neue, „erste nichtkommunistische“ Regierung von Tadeusz Mazowiecki entstanden, die von der PVAP-Fraktion im Parlament einmütig unterstützt wurde. General W. Jaruzelski ist aus der PVAP ausgetreten und von der Parlamentsversammlung mit der Mehrheit einer Stimme als Staatspräsident („aller Polen“!!!) gewählt worden. Mieczyslaw F. Rakowski wurde der letzte Erste Sekretär der PVAP, die noch bis Ende Januar 1990 bestand.

Unter Mazowieckis Regierung hat die Bourgeoisie in Polen offiziell die Macht übernommen. Schnell wurden „Reformen“ unter Leitung des stellvertretenden Ministerpräsidenten und Finanzminister L. Balcerowicz durchgeführt, die in der Wirtschaft und im sozialen Bereich die Einführung des Kapitalismus bedeuteten. Polen wurde damit vollständig abhängig von den Zentren des internationalen Kapitals, zum Beispiel des Internationalen Währungsfonds, der EU, der NATO sowie von einzelnen imperialistischen Staaten wie den USA, der BRD usw. Diese „Reformen“ führten in Polen schnell zu tiefen sozialen und ökonomischen Unterschieden und zu einer hohen Arbeitslosigkeit. Die frühere Volksrepublik Polen war nun umgestaltet zur „Republik Polen“, einem armen, verschuldeten Randgebiet Europas.

Die Niederlage des Sozialismus in Polen hat unterschiedliche innere und äußere Ursachen, die man in fünf Punkten zusammenfassen kann:

Die Arbeiterklasse war von Anfang an eine schwache Kraft. Sie wuchs zwar im Aufbau des Sozialismus, blieb politisch aber eher indifferent bzw. ambivalent. Sie unterstützte die sozialistischen Ziele nur begrenzt: sie begrüßte zwar die sozialen Errungenschaften, blieb politisch aber sehr zurückhaltend. Die polnische Arbeiterklasse war in Klassenkämpfen nicht erfahren, hatte nur geringe revolutionäre Traditionen und stand zu großen Teilen unter dem ständigen ideologischen Einfluss der bürgerlichen Zentren und vor allem der Katholischen Kirche. Und auch die Bauernschaft (insbesondere die „Mittelbauern“) unterstützte den Sozialismus nicht vorbehaltlos, sondern bildete vielmehr eine breite Basis für kleinbürgerliche Ideen, Vorurteile und konterrevolutionäres Verhalten.

Die Mehrheit der polnischen Intelligenz stand unter dem Einfluss bürgerlicher und zum Teil sogar romantisch verklärter adelig-klerikaler Ideale. In Volkspolen war diese Schicht unzufrieden wegen des Verlustes ihrer bevorzugten Stellung gegenüber der Arbeiterklasse. In der Stunde der Entscheidung hat sie das kapitalistische Lager unterstützt. Der Einfluss der neu entstandenen Arbeiter- und Bauernintelligenz blieb begrenzt und wurde schnell an den Rand gedrängt.

Die neue Bourgeoisie verfolgte eine raffinierte und zielstrebige antisozialistische Politik. Die wichtigste Rolle spielten dabei die Kräfte aus der Partei- und Staatsbürokratie.

Zu den Außenursachen muss man natürlich das internationale Kapital rechnen, vor allem in Gestalt des US-Imperialismus, der nie seine konterrevolutionären Pläne gegen den Sozialismus aufgegeben hat. In Polen traf er auf sehr günstige historische, internationale, geopolitische, wirtschaftliche, politische und konfessionelle Bedingungen, die die konterrevolutionären Kräfte begünstigten. Das fremde Kapital im Land war immer eine materielle und politische Basis für jede innere Opposition und schließlich für die Konterrevolution. Zu diesem Lager zählt neben dem US-Imperialismus natürlich auch der BRD-Imperialismus sowie die Hierarchie der Katholischen Kirche und der Papst.

Eine weitere Außenursache für die Niederlage des Sozialismus und den Sieg der Konterrevolution war die Politik der leitenden privilegierten Schicht der Sowjetunion, die mit Michael Gorbatschow einen Generalsekretär stellte, der den Sozialismus und die KPdSU systematisch zerstörte. Die zielstrebigen Deformationen des Sozialismus in der Sowjetunion wurden als neue Politik und zukunftsweisende Reform in Polen kopiert, ebenso – natürlich in unterschiedlicher Form – in den anderen Ländern der sozialistischen Gemeinschaft. Das war die Hauptursache der Niederlage jeder einzelnen Partei sowie der gesamten sozialistischen Gemeinschaft

Resümee

Heute, 17 Jahre nach dem Sieg der Konterrevolution gegen Volkspolen, sieht man deutlich alle positiven wie negativen Inhalte der Anfänge des Sozialismus, ebenso die Folgen seiner Niederlage und der Einführung des Kapitalismus.

Zwischen 30 %und 50 % der Arbeitsplätze in Polen sind durch die Privatisierungen und vor allem durch den Verkauf an ausländische Investoren verloren gegangen. Offiziell sind rund 3 Millionen Menschen arbeitslos. Man muss aber etwa 1,5 Millionen verdeckte Arbeitslose auf dem Lande dazuzählen.

Eine dünne bürgerliche Klasse ist entstanden und ein breites Kleinbürgertum. Die Arbeiterklasse wurde wieder proletarisiert und hat ihre politische und wirtschaftliche Subjektivität verloren. Sie ist Objekt brutaler und vielseitiger Ausbeutung.

Tausende industrieller Betriebe und ganze Wirtschaftszweige wurden vernichtet, die Republik Polen wurde zu einem Randgebiet Europas umgestaltet und als solches am 1. Mai 2004 in die EU aufgenommen. 1980 war Polen mit 20 Mrd. US-Dollar verschuldet, heute belaufen sich die Schulden auf 120 Mrd. US-Dollar. Mehr als 60 % der Industrie und mehr als 80 % der polnischen Finanzen sind unter Kontrolle ausländischen Kapitals.

Seit 1999 ist Polen Mitglied der NATO und ist damit gezwungen, die aggressive imperialistische Politik der USA und anderer imperialistischer Staaten zu unterstützen. So musst Polen auch militärische Kontingente nach Afghanistan und in den Irak schicken.

Die polnische Arbeiterbewegung ist vollständig zerfallen, die Bourgeoisie triumphiert und hält die Macht in den Händen. Die Illusion vom kapitalistischen Paradies („Kapitalismus mit menschlichem Antlitz“) ist zerplatzt. Die Werktätigen empfinden den neuen Aufbau als unmenschlich.

Viele Arbeiter und Arbeitslose betrachten den Sozialismus jetzt als eine Zeit des Wohlstandes und der Gerechtigkeit, in den Reihen der jungen Generation wachsen förmliche „Himmellegenden“ über den Sozialismus. Sie sind enttäuscht von den neuen Eliten, die ihren Ausgangspunkt bei „Solidarnocs“ hatten. Bei den letzten Parlamentswahlen im September 2005 sind nur 41,5 % der Wähler zur Wahl gegangen.

Die Mehrheit der Bevölkerung zeigt heute eine große Distanz und zum Teil tiefe Kritik am aktuellen wirtschaftlichen und politischen System. Die alte Generation der Arbeiter schämt sich für ihr Engagement gegen den Sozialismus und die jüngere Generation sucht eine Verbesserung der eigenen Lage durch Emigration. Die Unzufriedenheit hat zu neuen Streikwellen im Land geführt, - jetzt gegen die kapitalistischen Ausbeuter.

Unter dem Namen „Dritter Weg“ hat sich inzwischen eine neue Opposition formiert, daraus kann eventuell ein Schritt weiter zu einer antikapitalistischen und prosozialistischen Bewegung werden und sich im Rahmen des vereinten Europa weiter entwickeln. Viele junge Leute suchen Unterstützung in den Reihen der Kommunistischen Partei Polens.

Das Rad der Geschichte dreht sich weiter, der Klassenkampf entwickelt sich in zum Teil alten, zum Teil neuen Formen.

4. April 2006,
Zbigniew Wiktor,
Wroclaw, Polen

Literatur:

Buchbesprechungen und Gedanken

Gerhard Feldbauer:
Die Konterrevolution trieb Zehntausende in den Tod

Eine Studie der GBM über die Opfer der„friedlichen Revolution“

Wer zählt die Toten, nennt die Namen derer,
die durch die„friedliche Revolution“ ums Leben kamen.

Die Konterrevolution hat nach dem Sieg über die DDR ihre Gegner nicht wie in vergangenen Zeiten per Blutbad niedergemacht, an die Wand gestellt, in die Kerker geworfen. Nein, sie hat sie, wie der damalige Justizminister Kinkel vorgab, ins soziale Abseits gedrängt, mit Berufsverbot belegt, ihre Menschenwürde mit Füssen getreten, gegen sie unsägliche Lügen- und Hetzkampagnen geführt, viele vor die Gerichte ihrer Klassenjustiz gezerrt. Über die Zahl derer, die dem nicht standhielten, denen die Kraft fehlte, weiter zu  widerstehen, die Hand an sich selbst legten, liegen keine Angaben vor. Die Gauck/Birthler-Behörde, die viele dieser Menschen in den Tod trieb, gab kund, „darüber führen wir keine Statistik“.

34jähriger sprang nach Ankündigung der Zwangsräumung in den Tod

Diesen Opfern ist ein Studie der Zeitschrift für soziale Theorie, Menschenrechte und Kultur „Icarus“ der GBM gewidmet, die im Oktober (Nr. 3 u. 4) erschien. [1] Aus ihr kann man schlussfolgern, dass die Zahl dieser Toten in die Zehntausende geht, wenn sie nicht gar auf die Einhunderttausend zuschreitet. [2] Zuletzt publik gewordenes ist der 34jährige Tim S. aus Frankfurt/Oder. Nachdem die städtische Wohnungsgesellschaft die Zwangsräumung seiner Wohnung verfügt hatte, sprang er am 16. August 2006 aus seiner Wohnung in den Tod.  

Die französische Nachrichtenagentur AFP meldete im Jahr der Einverleibung der DDR, dass sich in Ostdeutschland 4.294 Menschen selbst töteten. Der Suizidexperte Udo Grashoff berichtete, dass von 1989 bis 1991 die Selbstmordrate in den neuen Bundesländern um rund zehn Prozent anstieg. Wie viele von den über 11.000 Menschen, die in der Bundesrepublik jährlich Selbstmord begehen, Opfer der „Wende“ sind, ist nicht ersichtlich. Bekannt ist nur, so die Studie, dass diese in den nunmehr neuen Bundesländern offenbar weit höher lag.

46 Autoren legen die sozialen und politischen Hintergründe bloß, die Zehntausende in den Tod trieben. Ihre Beiträge führen die Phrase von der „friedlichen Revolution“ ad absurdum und belegen, dass die Konterrevolution wütete und noch wütet. Stellvertretend für alle Autoren seien genannt: Der bekannte Faschismusforscher der DDR, Prof. Manfred Weißbecker, der Ökonom Prof. Harry Nick, der Pfarrer Dr. Dieter Frielinghaus, die Schauspielerin Käthe Reichel und der Rechtsanwalt Peter Michael Diestel. Weißbecker schreibt über seinen Kollegen an der Jenenser Universität Prof. Gerhard Riege, dem als Mitglied des Bundestages in dem „hohen Haus“ blanker antikommunistischer Hass entgegenschlug. In ihm entäußerte sich ein „Ungeist, der noch Schlimmeres als Keim in sich trägt“, urteilte Gerhard Haney, einer der Kollegen Rieges, „Sie werden den Sieg über uns voll auskosten. Nur die vollständige Hinrichtung ihres Gegners gestattet es ihnen, die Geschichte umzuschreiben und von allen braunen und schwarzen Flecken zu reinigen“, schrieb Prof. Riege bevor er am 15. Februar 1992 den Freitod wählte.

Opfer aus allen sozialen Schichten, Berufs- und Altersgruppen

Die Opfer waren Arbeiter und Genossenschaftsbauern, Lehrer, Ingenieure und Journalisten, Ärzte, Künstler und  Wissenschaftler, von den Massenentlassungen Betroffene, obdachlos gewordene, Kinder, welche die Demütigungen ihrer Eltern nicht ertrugen. Zu ihnen gehören der Grafiker Thomas Schleusing vom Jugendmagazin „Neues Leben“, sein Kollege, der sensible Zeichner und Gestalter Christoph Ehbets, bekannt u. a. durch seine Cover beim VEB Deutsche Schallplatte. Der Vizepräsident des DTSB Franz Rydz, der Minister für Bauwesen der DDR Wolfgang Junker, der Raubtierdresseur Hanno Coldam (Heinz Matloch) der international bekannten Löwen-Gruppe des VEB Zirkus Aeros, der hervorragende Neurowissenschaftler der DDR Prof. Armin Ermisch, nach dem ein internationaler Preis für herausragende Nachwuchswissenschaftler benannt ist. Der weltberühmte Schauspieler Wolf Kaiser, der sich seine Menschenwürde nicht nehmen ließ und dafür in den Tod ging. Als einen „ungekrönten Monarchen der Schauspielzunft“ würdigte ihn Eberhard Esche in seiner Grabrede.

Nicht nur SED-Mitglieder fielen der Konterrevolution zum Opfer. Unter ihnen befinden sich die Jugendbildungsreferentin der Evangelischen Akademie Meißen, Anne-Kathrin Krusche, und der frühere Abgeordnete der sächsischen CDU Herbert Schicke, der Arbeitsmediziner und Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Lichtenberg, Dr. Rudolf Mucke, der weder der SED noch der FDJ angehört hatte. Das MfS hatte 1976 Anwerbungsversuche wegen „dekonspirativen Verhaltens“ aufgegeben. Die „Ehrenkommission“ der Berliner Charité hielt seine Weiterbeschäftigung  dennoch für „unzumutbar“. In den Tod getrieben wurde der Pfarrer aus Schmalkalden Reinhard Naumann, für den Friedrich Schorlemmer die Grabrede hielt, in der er forderte, endlich die Stasiakten „in einem Freudenfeuer zu verbrennen“.

Das Schicksal des Professor Heinrich Dathe

Zu den Opfern gehören auch, wie Dr. Peter Michel schreibt, diejenigen, bei denen schleichende Krankheiten unter unerträglichem psychischem Druck zu galoppieren begannen - so bei Prof. Gerhard Kettner, ehemaliger Direktor der Kunsthochschule Dresden, der an Krebs verstarb, bei Prof. Dr. Heinrich Dathe, der auf unsäglich ehrlose Weise aus seiner verdienstvollen Arbeit als Direktor des Berliner Tierparks verdrängt wurde, oder bei dem  Maler Prof. Dieter Rex, der an einem Herzversagen zugrunde ging. Die Beispiele sind Legion, heißt es in der Studie.

Nazikriegsverbrecher trieb schwerbehinderten DDR-Wissenschaftler in den Tod

Der Hochschullehrer Hans Schmidt, schreibt Michael Frey, habe nach 1989 versucht, sich auf die veränderten Bedingungen einzustellen, an Ringvorlesungen der Deutschen Bank und an „Konjunktur“-Lehrgängen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsführung Berlin teilgenommen. Die FU Berlin bescheinigte ihm, dass er „schnell den Anschluss an den allgemeinen wissenschaftlichen Standard westlicher Universitäten erreicht“ habe. Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und die Wirtschaftsuniversität Wien würdigten sein hohes theoretische Niveau und seine international beachtete Publikationstätigkeit. Dennoch wurde Dr. Schmid - wie unzähligen anderen DDR-Wissenschaftlern - „wegen mangelnden Bedarfs und mangelnder fachlicher Qualifikation“ gekündigt. Als sein Henker agierte der Nazikriegsverbrecher Prof. Wilhelm Krelle, den es nach dem Anschluss der DDR  als Gründungsdekan des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften an die HUB gespült hatte. Diesem als SS-Sturmbannführer in Griechenland an Kriegsverbrechen beteiligten, mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichneten Prof, Krelle verlieh die Präsidentschaft der HUB auch noch die Ehrendoktorwürde (!). Prof. Krelle erklärte öffentlich, er werde „Dr. Schmidt unter allen Umständen von der Humboldt-Universität entfernen.“ Nach einem vierjährigen zermürbenden und entwürdigenden Rechtsstreit um seinen Arbeitsplatz, der für den Schwerbehinderten nicht ohne gesundheitliche Folgen blieb, nahm sich Dr. Schmidt am 8. Mai 1996 durch einen Sprung aus dem 13. Stockwerk seiner Hochhauswohnung das Leben.

Prof. Krelle verstarb im Juni 2004 wohlpensioniert im Alter von 88 Jahren als einer der unzähligen für ihre Teilnahme an faschistischen Kriegsverbrechen in der BRD nicht zur Verantwortung gezogenen Naziaktivisten. Die Ehrendoktorwürde wurde ihm nicht aberkannt. Die Leitung der HUB widmete ihm ein „ehrendes Gedenken“ (!).

Antifaschisten wie zu Gestapozeiten verhaftet

Kurt Neuenburg schildert, wie im Januar 1992 in den frühen Morgenstunden Polizisten die Wohnung des Ehepaares Fuchs in der Grunaer Straße 12 in Dresden besetzten und Otto Fuchs verhafteten. Seine Frau Martha, eine Jüdin, die KZ-Häftling gewesen war, erlitt einen schweren Nervenzusammenbruch. Die furchtbaren Erlebnisse der Nazizeit wurden lebendig. Sie glaubte, Faschisten drängen - wie nach 1933 - wieder bei ihr ein. Mit einem schweren Schock wurde sie ins Krankenhaus eingeliefert.

Die Leipziger Staatsanwaltschaft erhob gegen Otto Fuchs Anklage wegen Rechtsbeugung und Mord. Er war 1950 in den Waldheim-Prozessen gegen Kriegsverbrecher und Naziaktivisten Vorsitzender Richter gewesen. Man warf ihm vor, er habe Unschuldige zum Tode verurteilt. Mit Hilfe seines Anwalts kam er für kurze  Zeit aus der Untersuchungshaft frei. Um den Richtern nicht die hämische Genugtuung an „seiner langsamen und qualvollen prozessualen Hinrichtung“ zu ermöglichen, beschlossen er und seine Frau aus dem Leben zu scheiden. Im Abschiedsbrief hieß es: „Meine Frau würde eine Trennung von mir nicht überstehen. Ich versichere Ihnen, dass wir in meiner Strafkammer nur Kriegsverbrecher verurteilt haben und ich bin mir sicher, dass wir uns über kein Urteil schämen müssen. Alle Zeichen deuten aber darauf hin, alles ins Gegenteil zu verkehren und in einem Schauprozess mich zum Verbrecher zu stempeln. (...) Heute, nach einer langen Periode der Naziverbrechen, fühlen sich doch alle - und sind sie auch noch so schwer belastet - als völlig unschuldige Menschen. Die Verdrängung ging und geht ja so weit, dass Auschwitz als Lüge hingestellt wird.“

Am 13. Februar um 23.15 Uhr sprangen Otto und Martha Fuchs vom Balkon ihrer Wohnung aus dem siebten Stock in die Tod. Die Skandalpresse griff das Thema genüsslich auf: „Todesrichter sprang mit seiner Frau aus dem 7. Stock“, lautete eine Schlagzeile in der „Dresdner Morgenpost“. Im Prozess gegen den mit angeklagten 87jährigen Otto Jürgens musste das Tribunal die Mordanklage fallen lassen, Schließlich wurde ein reines Gesinnungsurteil verhängt und der Angeklagte zu zwei Jahren Haft auf Bewährung, 6.000 DM Geldstrafe und zur Übernahme der Verfahrenskosten verurteilt. In seinem Schlusswort sagte Otto Jürgens, der bereits 1933 von der Gestapo verhaftet und gefoltert worden war: „Die Naziverbrecher, die in Waldheim abgeurteilt wurden, hatten ihre Strafe mehr als verdient.“

Die Frage nach der wahren Natur dieses Deutschland

Der französische Publizist Gilles Perrault résümierte über die gegenwärtigen deutschen Zustände: „Die Politik der Zerstörung der Erinnerung ... ist in erster Linie ein Verbrechen, eine zweite Ermordung derjenigen, die in den Händen der Nazis das Martyrium erlitten haben. ... Wir wissen aus harter Erfahrung, dass der Hitlerfaschismus das absolut Böse ist. Wenn das so genannte neue Deutschland diejenigen verleugnet, die ihn bekämpft haben, wie sollte man sich nicht mit Beklemmung die Frage nach der wahren Natur dieses Deutschland stellen?“

Ich selbst habe mich der Prozesse erinnert, in denen in Italien zahlreiche deutsche Kriegsverbrecher wegen Massenmorden verurteilt wurden. Wie Wilhelm Krelle in Griechenland hatten sie in Italien barbarische Kriegsverbrechen begangen (siehe Beitrag „Massenmörder der Hitlerwehrmacht in Italien verurteilt“, Berliner „Anstoß“ November 2006). In der Bundesrepublik blieben sie, wie Krelle auch, ungeschoren. Zu Prozessen im Ausland verweigerten die deutschen Behörden die Überstellung. DDR-Richter, die wie Otto Fuchs die Verbrecher zur Verantwortung zogen, wurden von bundesdeutschen Gesinnungskomplizen dafür vor Gericht gezerrt.  

Die Studie berichtet, wie Dr. Peter Michel schreibt, über „das Sterben der Unseren“ Halten wir ihr Andenken in Ehren. Schöpfen wir aus ihrem Tod Kraft, dem System, das Not, Elend und Krieg über uns bringt,  Widerstand zu leisten.

Gerhard Feldbauer,
Poppenhausen

1) Zu beziehen bei der GBM-Geschäftsstelle zum Preis von 9.80 Euro (Tel. 030/5578397, Fax 5556355).

2) Zu empfehlen wäre, in künftige Untersuchungen die „Wende“-Opfer des Westens einzubeziehen, welche die DDR als soziales Hinterland verloren.


Daniela Deich:
Gedanken zur Zeit – Februar 2006

Angeregt durch die Lektüre des Buches von Frank Westermann „Ingenieure der Seele- Schriftsteller unter Stalin. Eine Erkundungsreise“

Der Text von Frank Westermann „Ingenieure der Seele- Schriftsteller unter Stalin. Eine Erkundungsreise“ hat mich zu grundsätzlichen Betrachtungen über den Zeitgeist motiviert. Ein solches Buch kann meines Erachtens auch nur im aktuellen und historischen Kontext angemessen betrachtet werden. Ich komme darauf zurück.

Jetzt aber zunächst zu Westermanns kriminalistisch aufgebauter Reportage. Der Verlag wirbt dafür mit Wladimir Kaminer, dem Autor der „Russendisco“. Für den jungen Schriftsteller (Jahrgang 1967) ist es das „beste Buch über Russland“, das er je gelesen hat. Nun ist die ökokriminalistische Reportage auch formal recht gut gemacht.

Der Titel von Westermanns Buch ist ein Stalinzitat, der Staatsmann hat die Schriftsteller der Sowjetunion in der Zeit der ersten Fünfjahrpläne als „Ingenieure der Seele“ bezeichnete. Der Autor - von Beruf selbst Wasserbauingenieur und Journalist -, arbeitete nach eigenen Angaben von 1997 – 2000 in Moskau für die niederländische Zeitung NRC Handelsblad als Korrespondent und beschäftigte sich zeitgleich mit russischer Literatur und Kultur. Wie sich zeigen wird, allerdings praktisch nur mit dissidenten oder ziemlich randständigen Autoren aus der Sowjetzeit. Maxim Gorki, der als einstmaliger Vorsitzender des Schriftstellerverbandes nicht völlig übergangen werden kann, wird abgewertet, als einer, der Stalin auf den Leim ging. Die Grundidee für Westermanns literarische „Dokumentation“ ist allerdings zunächst einmal interessant.

Wie wir erfahren, präsentierte sich die Sowjetunion auf der Weltausstellung in New York (Flushing Meadows) 1939 als Meisterin der Hydrotechnik. Wie es scheint, beeindruckten die Leistungen sowjetischer Ingenieure bei der Ausführung von Kanalverbindungen ebenso wie andere Projekte zur Hebung des Lebensstandards der sowjetischen Bevölkerung die Zeitgenossen. Westermann folgt nun exemplarisch der Spur von zwei solchen Groß-Projekten, zum einen dem Bau des Belomor-Kanals in Karelien und zum anderem einem äußerst anspruchsvollen und schwierigen Projekt in Turkmenistan am Kaspischen Meer. Dort befand sich damals in der Kara-Bugas-Bucht nicht nur das „Epizentrum der sowjetischen Salzgewinnung“, sondern dort waren die Umweltbedingungen offenbar sehr extrem. Salzwasser in Süßwasser zu verwandeln stellte eine ebenso große Herausforderung dar, wie die rückständigen, abergläubischen Menschen, die der Sowjetmacht zunächst mit großer Skepsis begegneten, zu alphabetisieren und für die Zukunftsaufgaben zu begeistern.     

Westermanns Idee ist es nun, diese Projekte anhand ihrer Widerspiegelung in der zeitgenössischen  Literatur zu verfolgen, aber auch die Orte des Geschehens aufzusuchen und Menschen vor Ort zu befragen. Die Kara-Bugas-Bucht existiert auf neueren Landkarten nicht und doch gibt es Literatur, ja sogar einen nie veröffentlichten Film darüber, den der Autor sich anschauen kann. Das fordert sein kriminalistisches Gespür heraus.

Wie kam es zum Verschwinden der Bucht?

Nun mag es Zufall sein und seiner Fragestellung geschuldet, dass der Autor bei seiner Suche eher für die Sowjetliteratur wenig repräsentative Autoren wie Pausowksi, Platanow und Pjelnak aufspürt. Pausowski hat immerhin für sein „Kara-Bugas“ 1932 mehrere Preise erhalten, aber seine vom Westen lancierte Ernennung für den Literaturnobelpreis 1965 (nachdem bereits 1933 der Exil-Russe und Sohn eines Gutsbesitzers I. A. Bunin und 1958 der Dissident B. Pasternak mit seinem antikommunistischen Roman Dr. Schiwago den Preis zuerkannt hielten) stieß offenbar auf so viel Widerstand, dass dann doch Michael Scholochow der Preis zugesprochen wurde. (1970 folgte Solschenizyn, der später in die USA emigrierte und dessen Romane wüste Verleumdungen enthalten und 1987 der in der Sowjetunion nicht gedruckte US-amerikanische Staatsbürger Josef Brodski). Jedenfalls findet der Autor mit Hilfe aufwändiger Recherchen schließlich heraus, dass die Bucht 10 Jahre lang verschwunden war und dann wieder aufgetaucht ist. Inwiefern nun menschliches Einwirken in diesem ökologisch äußerst sensiblen Bereich das Verschwinden der Bucht veranlasst hat oder natürliche geologische Gegebenheiten, wird nicht ganz deutlich. Deutlich wird aber, dass sich die großen Hoffnungen und Träume sowjetischer Wissenschaftler an dieser Stelle nicht verwirklichen ließen. Die Absetzung und nach einem Prozess die Hinrichtung eines jüdischen Projektleiters, der lauter Misserfolge erzielte und von dem nicht deutlich wird, ob er objektiv an den mörderisch erscheinenden Umweltbedingungen gescheitert ist oder ob er Arbeitsfortschritte als Saboteur boykottiert hat, wird von Westermann zum Anlass genommen, den Sowjets antisemitische Ressentiments unterzuschieben. Mag sein, dass die Verurteilung Rubinsteins (1938) ein Unrecht war, ein Justiz-Irrtum. Ein extremes Urteil war es allemal. Laut Prozessprotokollen, die in „gewichtigem Ton daher kommen“ (S.147), wie Westermann meint, wurden dem Mann aber immerhin Sabotage und Veruntreuung von Millionen Rubel vorgeworfen werden, (z.B. wurde minderwertiger Beton aus Salzwasser hergestellt). In jedem Fall muss man die Atmosphäre der Zeit mit bedenken, in der das - unhistorisch betrachtet, unmenschlich wirkende - Urteil ergangen ist. Nicht nur die damals schon latente Kriegsgefahr muss in Rechnung gestellt werden, sondern auch die innenpolitisches Situation ab 1934 nach der Ermordung des Leningrader Parteichefs Kirow. Nach den Mordversuchen an Stalin, übrigens auch nach dem höchst zweifelhaften „Selbstmord“ seiner jungen Frau, die lebensfroh schien und studierte, nach der Ermordung Gorkis und politischer Führer wie z.B. Menschinski, dem Chef der GPU, muss das Klima höchst angespannt gewesen sein. Es  gab auch schließlich nachweislich Sabotage und Terrorakte (vgl. Sayers/Kahn).

Zurück zu Westermanns „Fisiki und Liriki“. Die Arbeit der Ingenieure oder Physiker wird immer wieder parallel gezeichnet zu der der Dichter. So konfrontiert uns Westermann damit, wie durch die sowjetische Kulturpolitik, namentlich durch Stalin, schließlich durch den von ihm umgarnten Gorki und später unter Shdanow die Schriftsteller des Landes einem erheblichen Druck ausgesetzt waren, dem einige z.B. Paustowski bis zur Selbstverleumdung nachgeben, andere aber wie Platanow widerständig bleiben. Letztere verlieren das Privileg Mitglied im Schriftstellerverband sein zu dürfen oder bezahlen mit dem Leben, wenn sie der Spionage angeklagt und überführt werden. Aber „der Krieg hatte Paustowski und seine Schriftsteller-kollegen von den Schrecken der dreißiger Jahre befreit“. Solche Sätze kennzeichnen den Betrachterwinkel des Journalisten Westermann.

Die Aushebung des Belomor-Kanals und dessen Fertigstellung mit Hilfe von Strafgefangenen könnte gegenüber dem Turkmenistanprojekt eher als Erfolgsstory gelten. Die Kanalaushebung wurde offenbar von einer Schriftsteller–Delegation, die 40 Autoren umfasste, besucht. Ein 36köpfiges Autorenkollektiv erarbeitete gemeinsam eine literarische Dokumentation über das Vorhaben. Aber auch hierüber gibt der Literat Westermann nur negative Impressionen wieder. Obwohl durchscheint, dass das ganze Vorhaben als großes Resozialisierungsprojekt angelegt war und die Schriftsteller offensichtlich beeindruckt waren, lässt Westermann immer nur durchblicken, dass sie sich hätten täuschen lassen. Er spricht auch konsequent vom „Gulag Belomor“ und behauptet schließlich (auf S. 174/75) ohne Quellennachweis, dass 11.000 Lagerinsassen in den Wäldern Kareliens liquidiert und verscharrt worden seien. Dies ist der Geist von dem das Buch durchweg geprägt ist.

Schon im Prolog legt der Verfasser der Ingenieure der Seele etwa Wert auf die echten Metropolen Europas Paris, Rom, Berlin. Moskau erscheint weder als Metropole, noch liegt es in Europa. 

Ziemlich am Anfang (S.69) stellt der Autor fest: “Die Sowjetunion sonderte sich mit Reisebeschränkungen, Stacheldraht und Importverboten vom Rest der Welt ab. Kritische Geister kamen nicht mehr ins Land…“ An anderer Stelle behauptet er für die Zeit Mitte der dreißiger Jahre eine Hungersnot in der Sowjetunion. Hungersnot gab es in der SU aber nach zeitgenössischen Quellen zur Zeit des Bürgerkriegs 1920/22, nicht aber in der aufstrebenden Zeit der Fünfjahrespläne. Reisebeschränkungen, Stacheldraht und Importverbote sind wie die Hungersnot der von ihm herangezogenen Literatur aus der Zeit des Kalten Krieges entnommen.

Von solcher Art sind auch die von ihm ausführlich zitierten Thesen eines Herrn Wittvogel, der die absurde Theorie aufstellte, Bewässerung führe zur Tyrannei, womit er zu dem Schluss kommt, die SU sei eine orientalische Despotie gewesen: „Leider lassen sich zwischen den mittelasiatischen Sitten und den aufgezwungenen Sowjetpraktiken viele grausame Gemeinsamkeiten finden“. Freiwilligeneinsätze werden mit Sklavenarbeit verglichen. „Sie hacken wie Besessene die spröde Erde auf, ihre Haut glänzt vor Schweiß. Das war pure orientalische Despotie“ (S.190). Die Sowjetunion wird von Westermann bezeichnet als ein „mit Wachtürmen abgesichertes Experimentierfeld.“ (S.188) Die Stalinschen Ingenieure der Seele geben, folgt man seiner Darlegung, nicht nur dieser Unrechtsordnung neue Namen, sondern sie lassen sich vor allem auch Potemkinsche Dörfer vorführen, wenn sie wohlwollend oder gar begeistert etwa über das Resozialisierungsexperiment Belomor berichten.

Nun kann man selbstverständlich mit Westermann der Meinung sein, Moskau hätte nicht rechtzeitig genug den „marktwirtschaftlichen Kurs“ eingeschlagen (S.176), das aber ist genau die Richtung, die die Revolutionäre von 1917 umgekehrt haben, weil sie das Massenelend als in der beschönigend zur Marktwirtschaft umdefinierten kapitalistischen Ordnung begründet sahen. Damit gibt Westermann die Interessen bekannt, die er gut zu vertreten versteht.

Diese kapitalistische Unrechtsordnung aber ist meines Erachtens ein Verhängnis für Mensch und Natur. Zu ihr stellte die Sowjetordnung in der Tat einen Antagonismus dar. Sie auszuhebeln, das versuchten die Sowjets unter sehr schwierigen Bedingungen, im Grunde unter dauernder Kriegsgefahr. Diese Unrechtsordnung anzuprangern und auszuhebeln ist heute dringender denn je geboten und zwar im Interesse der ganzen Menschheit, auch im Interesse der Verfechter der „Marktwirtschaft“ und deren Kinder. Die Aushebelung der Unrechtsordnung, die die „Marktwirtschaft“ hervorbrachte, ist unumgänglich, um den Planeten Erde bewohnbar zu halten. Solches haben die Sowjets versucht und damit haben sie die Kreise jener gestört, die vermeintlich Profiteure dieser allein selig machenden Ordnung waren und sind. Mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Methoden verteidigen Letztere das Privateigentum an Produktions-mitteln. Diejenigen, die sich der Ausbeutung widersetzen und im Zweifelsfall wider ihre Grundüberzeugung zur Gewaltanwendung gezwungen werden, werden dann als Verbrecher abgestempelt. Zynisch.

Die ökologischen Folgen ihrer Eingriffe in die Natur, die Westermann für die junge Sowjetmacht anprangert, hat damals noch niemand thematisiert. Unter Bedingungen der friedlichen Fortentwicklung und ohne Sabotageaktivitäten wären sie sicher sehr bald darauf gestoßen und hätten dafür auch Lösungen gefunden. Stattdessen wurde ihnen das Verhängnis der atomaren Aufrüstung aufgezwungen, nach einem mörderischen Krieg, dessen Opfer im Westen immer wieder bis heute völlig verharmlost werden.

Es handelt sich also bei der scheinbar so innovativen Reisebeschreibung (1) in Form eines „Ökokrimis“ um ein brisantes Stück Vergangenheitspolitik, das aber trotz der recht interessanten Schreibe eben die bekannten Klischees fest hämmert, Denken zementiert.

Ich bin seit einiger Zeit auf Spurensuche über die Geschichte der Sowjetunion. Ich suche vor allem Quellen, die quer zum gängigen Geschichtsbild liegen, das ich mehr und mehr anzweifle. Meine Zweifel setzten verstärkt 1999 ein, als mit einer Welle von Propagandalügen die Legitimationsgrundlage für den ersten Nachkriegskrieg in Europa geschaffen wurde. Der Krieg gegen die ehemalige Volksrepublik Jugoslawien durfte nicht als solcher bezeichnet werden. Es handelte sich in allen offiziellen Verlautbarungen, die die Medien einstimmig wiederholten, um eine „humanistische Intervention zum Schutz der Menschenrechte“. Wer sich dieser Sprachregelung nicht beugte, wurde vor laufenden Kameras von Regierungssprechern zurechtgewiesen. Nur mit Hilfe einer menschenrechtlichen Fundierung, die von einem unterstellten Völkermord ausging, konnte durchgesetzt werden, dass sich Deutschland - nunmehr wiedervereinigt - zum dritten Mal im 20. Jahrhundert an einem Angriffskrieg gegen Belgrad beteiligte. Wer dieses Erklärungsmuster durch eigene Recherchen oder auch Kenntnisse anzweifelte, wie etwa der renommierte österreichische Autor Peter Handke, wurde medienwirksam diffamiert und ausgegrenzt. Soviel zum Thema Meinungsfreiheit oder zur Rolle der Seeleningenieure bei uns.

Je mehr die Dämonisierung von Staatschefs um sich griff zum Zwecke der Rechtfertigung von Krieg und Terrroristenverfolgung, desto skeptischer wurde ich, was den historischen „Schurken“ Stalin und das denunzierte Sowjetmodell betraf. (Zur Erinnerung: 1990 wurde Sadam Hussein bereits als 2. Hitler aufgebaut, ihm wurden entsetzliche Menschenrechtsverletzungen anheim gestellt, von denen später einige als von Public Relations Firmen bestellte, korrigiert werden mussten, so die Brutkastenstory, dann kam Milosevic dran 1999, dann wieder Saddam 2003, jetzt Hugo Chavez von D. Rumsfeld kürzlich mit Hitler verglichen und im Moment ist Ahmadinedschad im Visier: Kriegsgefahr akut. Trotzdem kann man diese Staatschef genauso wenig über einen Leisten scheren, wie die Politik, für die sie stehen, aber das Feindbild kümmert sich darum wenig. Bilden doch die genannten Staaten mit anderen zusammen die „Achse des Bösen“.)

Mehr und mehr interessiere ich mich für die wirklichen Ursachen hinter dem Scheitern des historisch einmaligen Modells Sozialismus. Ein Modell, das zumindest in seinen Anfängen und vom Ansatz her, nicht nur in meinen Augen, der Menschheit eine echte Alternative aus ihrem Dilemma bieten konnte. Ich stieß dabei schließlich auf den Historiker und Faschismusforscher  Kurt Gossweiler. Seine Texte eröffnen einen ganz neuen Blick auf die Geschichte des Niedergangs der sozialistischen Staatenwelt, die offenbar bis 1953 mindestens, bis zum Tode des Staatschefs Stalin, immer noch ein Erfolgsmodell war, trotz des mörderischen Krieges, in dem sie den Verlust von 27 Millionen Menschenleben zu betrauern hatten und unzählige von den Sowjetmenschen geschaffene materielle und geistige Reichtümer verloren.

Ich bin sehr hellhörig geworden, gegenüber Literatur wie der von Westermann, habe ich doch in allen sozialen Bewegungen oder in allen Zusammenhängen, in denen gesellschaftskritisch nach einer Alternative gesucht wurde, eine Brandmauer vorgefunden: Sozialismus geht nicht, ist repressiv, ist damals schon gescheitert an der Machtherrlichkeit und Grausamkeit der neuen Roten Zaren usw. Mir scheint heute, dass keine Distanzierungsversuche uns, die wir uns um Alternativmodelle bemühen, vor Denunziation und/oder Verfolgung schützen werden. Darauf sollten wir vorbereitet sein. Das zeigt die unerbittliche Stigmatisierung nicht nur jener, die sich etwa wie die Venezuelaner unter Chavez um eine bessere Versorgung der ganzen Bevölkerung bemühen, um eine gerechtere Verteilung der natürlichen  Ressourcen, sondern selbst solcher, die sich, wie Ahmadinedschad und sein Land, nicht völlig dem Diktat der Raubvögel beugen wollen.

Für die Verfechter der „freien Marktwirtschaft“ riecht alles, was sich ihren Interessen entgegenstellt, nach Sozialismus. (Selbst Roosevelt, bestenfalls ein Sozialdemokrat, war ein „dirty commy“, ein dreckiger Kommunist und „der einzig gute Kommunist ist ein toter Kommunist“.) Mangels genügend vorhandener Kommunisten heute muss ein neues Feindbild herhalten, die muslimischen Terroristen, die den kommunistischen Terroristen, die ja den Reichstag angezündet haben sollen, gar nicht so unähnlich sind. Jene Kräfte, die von der ungleichen Verteilung der natürlichen und vom Menschen geschaffenen Reichtümer dieser Erde  profitieren, und die darüber gleichwohl die Zerstörung auch ihrer Existenzgrundlagen billigend in Kauf nehmen, wissen, dass sie alternative Ansätze schon im Keim ersticken müssen. Für sie war das Sowjetmodell richtiger Sozialismus, den sie fürchten wie der Teufel das Weihwasser.

Mein Ausgangspunkt zu der neuerlichen Befassung mit zeitgenössischen Quellen über die Sowjetunion aus den zwanziger, dreißiger und vierziger Jahren war und ist die beinahe Verzweiflung über den gegenwärtigen Zustand der Welt und die Suche nach Alternativen, nach einem gangbaren Ausweg, der die Menschen wieder hoffen lässt. Mein Ausgangsort war aber auch eine fast völlige Ignoranz über dieses Land und das sozialistische Staatensystem, das nach 1945 entstanden war und das, obwohl ich immerhin 12 Semester Politikwissenschaft studiert habe und als NGO-Vertreterin in Genf und New York doch vieles hätte lernen können. Aber es fehlte mir trotz angeborener Neugier an der entsprechenden Offenheit. Ich wusste natürlich, was andere wissen. Aber meine Vorurteile hinderten mich sogar daran, jemals einer Einladung in ein sozialistisches Land zu folgen. (Ausnahme: eine Woche Weltfriedenskongress in Prag 1983, an dem ich als WILPF-Delegierte teilnahm.) Mein Wissen blieb Jahrzehnte lang aus eben solcher Literatur gespeist, die im Westen die allein akzeptable war und an der sich Westermann orientiert: Pasternak, Solschenizyn, usw. Samisdat – eben, in der SU illegale, weil die Sowjetmenschen verleumdende, Schriften vom Stile Pilnjak, der sich nach von Westermann zitierten Angaben vom japanischen Geheimdienst anwerben ließ und dessen Schriften von solchen Gedanken getragen werden wie „die Lokomotive des Sozialismus wird die Endstation nicht erreichen, weil die Bremsen der Bürokratie die Räder zum Stillstand bringen“ (S.175) – Er wurde, folgt man der Darstellung Westermanns, die zumindest an dieser Stelle wohl von den Fakten ausgeht, 1938 zum Tode verurteilt als Spion. Aus heutiger Sicht ist das schlimm, kaum noch nachvollziehbar.

Andererseits möchte ich zu Bedenken geben: Nach dem inzwischen neu erreichten Stand meiner Ermittlungen war die Gründung der sozialistischen Sowjetrepubliken – entgegen allem, was man dem weltweit dominierenden kulturpolitischen Mainstream entnehmen kann - auch trotz des unerbittlichen Durchgreifens gegenüber Spionen und Saboteuren in Kriegszeiten (!), die zu entsetzlichen Menschenopfern erst noch führen sollten - in der Tat ein solches Alternativprojekt. Ein Projekt also, das dem Zustand der Barbarei, in dem ein Großteil der Menschheit heute zu leben verdammt ist, wieder einen Weg weisen könnte; ein Projekt, das dem Kurs in die direkte Vernichtung möglicherweise allen Lebens auf diesem Planeten etwas Wirksames entgegen zu setzen vermochte. Genau diese Einsicht aber muss aus der Sicht der Mächtigen, die sich an der gegenwärtigen Ausbeuterordnung maßlos bereichern und berauschen, unbedingt verwehrt bleiben – die Massen könnten ja wieder anfangen sich zu organisieren und zu revoltieren, wie einst im Oktober.

Wenn man allerdings mit Westermann - an der durch nichts belegten - Überzeugung festhält, „die Sowjetunion sonderte sich mit Reisebeschränkungen, Stacheldraht und Importverboten vom Rest der Welt ab, kritische Geister kamen nicht mehr ins Land hinein, Holzhändler und andere Wirtschaftsvertreter wurden zu unerwünschten Personen erklärt“, dann muss man konsequenter Weise einem solchen Unrechtstaat auch das Recht absprechen, sich gegen innere und äußere Feinde zur Wehr zu setzen und zwar mit den Mitteln eben, über die ein wehrhafter Staat, der mit Terror, Sabotage und schließlich Krieg überzogen wird, eben gebietet.

Aber gehen wir in die Zeit zurück, über die Westermanns Buch handelt, die Zeit der ersten Fünfjahrpläne. Mein Quellenstudium hat anders als das von Westermann ergeben:

Das positive Vorbild, das in den Augen vieler Zeitgenossen der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts das Sowjetmodell eben verkörperte, hatte ganz offenkundig weltweit eine magnetische Anziehungskraft und entsprach ganz und gar nicht dem Bild, das Westermann zeichnet, insbesondere nicht nach den Erfolgen der ersten Fünfjahrpläne (siehe J. Nehru, H. Barbusse, L. Feuchtwanger, James S. Allen (Toronto), Sott Nearing (New York), Reverend Dr. Hewlett Johnson, Dean of Canterbury (Großbritannien), Michael Sayers/ Albert E. Kahn etc.). Diese Anziehungskraft musste um den Preis des eigenen Untergangs von den imperialen Herrschern dieser Erde vernichtet werden, so meine Arbeitshypothese.

Ich sehe übrigens eine deutliche Parallele zum kleinen Inselstaat Kuba, der niemanden auf der Welt bedroht, der aber seit Jahren mit einer Schmierenkampagne der angeblichen Verletzung von Menschenrechten bezichtigt wird und zwar ausgerechnet von jenen, die sich auf eben dieser Insel einen kolonialen Restbesitz leisten, auf dem sie jedes Menschenrecht brechen, jedes Völkerrecht ignorieren, jede Rechtsstaatlichkeit außer Kraft setzen, nämlich im „Gulag“ Guantanamo Bay, um einmal die böse Vokabel Solschenizyns aus seinem Archipel Gulag der Chruschtschowschen Tauwetter-Ära  zu verwenden. Mit Hilfe einer vor diesem Hintergrund nur als demagogische zu kennzeichnenden Menschenrechtskampagne wird die Wirtschaftsblockade gegen Kuba immer wieder aufs Neue gerechtfertigt, um das Land ökonomisch zu strangulieren.

Die Sowjetunion, die die zaristische Herrschaft abgeschüttelt hatte, so wie Kuba die koloniale Einmischung des US-Imperialismus, und die ihre Randstaaten aus quasi kolonialem Joch befreite, konnte sich zu keinem Zeitpunkt ungestört entwickeln, ebenso wenig wie Kuba das heute vermag. Die große Sowjetunion verfügte natürlich über ganz andere Ressourcen als die kleine Insel. Dennoch muss auch im Falle der SU der Entwicklungshindernisse für das Sowjetland immer mitgedacht werden: 250 000 Soldaten aus 14 Interventionsarmeen, darunter japanische, kanadische, US-amerikanische, britische, französische und deutsche Truppen kämpften auf der Seite der Weißgardisten, die das Sowjetexperiment zum Scheitern bringen wollten, da es ihre Privilegien im Interesse des ganzen Volkes zu beseitigen angetreten war. Der letzte Weiße General Peter Wrangel wurde 1920 besiegt. Erst im Oktober 1922 zog Japan seine 70.000 Mann aus der Mandschurei ab. (So die neuere Darstellung des niederländischen Historikers Yvan Vanden Berghe in seinem 2002 im Leipziger Universitätsverlag erschienen Buch „Der Kalte Krieg 1917 -1991“). Folgt man der sehr gut dokumentierten Studie von Michael Sayers und Albert E. Kahn „Die große Verschwörung gegen die Sowjetunion“ (1949 im Verlag Volk und Welt - einer Studie übrigens, die sich keinesfalls nur aus den Protokollen zu den Moskauer Prozessen von 1936-1938 speist), dann wiederholten japanische Einheiten bereits 1935 ihre „Sondierungsstreifzüge“ und Ausfälle in der Mandschurei. Der Zweite Weltkrieg begann aus der Sicht dieser amerikanischen Journalisten sogar schon 1931 mit dem Überfall der Japaner auf die Mandschurei. 1933/1934, im Jahr des laut Sayers/Kahn „epidemischen Terrors“ in Europa, hinter dem, wie die Autoren überzeugend darlegen, Nazideutschland steckte. Auch in der Sowjetunion kam es zu vielen politisch motivierten Morden und terroristischen Sabotageakten. (Der neueste historische Roman von Phillip Roth, einem nobelpreisverdächtigen US-amerikanischen Romancier, belegt das Wirken des Virus Nazismus gut dokumentiert aus amerikanischer Perspektive – übrigens könnte er dabei ebenso auf Studien von Sayers und Kahn zurückgreifen.) Die kriminalistisch spannende Lektüre von Sayers/Kahn wurde nach den so genannten Chruschtschowschen Enthüllungen auf dem 20. Partteitag der KPdSU und sicher auch im Zuge des McCarthyism - völlig zu unrecht - verfemt. Das Buch ist entgegen aller Diffamierungen, denen es bis heute ausgesetzt ist, nämlich präzise, man braucht nur nachzulesen. Die Feder führten ja auch damals hoch angesehene Journalisten aus der Roosevelt-Zeit; wer behauptet das seien Lakaien Stalins gewesen, der ist nicht nur ignorant, sondern macht sich zum Fürsprecher McCarthys. In gewisser Weise scheint mir unsere Epoche so ziemlich vergleichbar mit den 30iger Jahren – nur dass wir heute noch schlimmer dran sind. Schon 1982 sagte ein britischer Lord angesichts der 2. UNO-Sondersitzung zur Abrüstungsproblematik: „Humankind is confronted with a choice disarmament or annihilation“ (die Menschheit steht vor der Wahl Abrüstung oder Vernichtung.) Wir scheinen uns für die Vernichtung entschieden zu haben.

Um die Sowjetunion angreifen zu können, bedurfte es natürlich auch einer barbarischen Propaganda – im deutsch-russischen Museum in  Berlin-Karlshorst kann man sich eine kleine Idee davon verschaffen, wie diese Propaganda gestrickt war und wie sie übrigens in der Adenauer-Zeit weiterging.

Heute nun wird öffentlichkeitswirksam und gebetsmühlenartig von der terroristischen Gefahr gesprochen, die von den muslimisch dominierten Staaten ausgehe. (Krieg gegen sie liegt in der Luft.) Von der eigentlichen Bedrohung, z. B. durch Massenvernichtungswaffen, mit denen ihre NATO-Besitzer immer unverhüllter auch als Präventivwaffen drohen, wird dabei geschickt abgelenkt.

Während ich diese Zeilen schreibe, tobt noch der Krieg im Irak, Afghanistan ist nicht befriedet und schon wird mit allen Regeln der Propagandakunst der nächste Angriff gegen den Iran vorbereitet und zwar diesmal offen mit deutscher Beteiligung. Es handelt sich dabei um eine direkte Fortsetzung „faschistischer Geopolitik“ im Dienste des Imperialismus, wie sie noch von J.N. Semjonow (Dietz Verlag, 1955) angeprangert wurde oder wie sie bereits im Jahre 1927 von Louis Fischer in seinem Buch „Ölimperialismus – der internationale Kampf um Petroleum“ (damals im Neuen Deutschen Verlag Berlin als Übersetzung aus dem Amerikanischen erschienen unter Verwendung englischsprachiger, französischer und russischer Literatur), herausgearbeitet wurde. Solches Wissen um die Zusammenhänge scheint heute nach dem Untergang der sozialistischen Staatenwelt allerdings beinahe völlig verschüttet oder nicht mehr opportun. Wer es herbeibemüht, wird bestenfalls belächelt als Ewiggestriger oder als Altstalinist diffamiert.

Aber man bedenke, in welchem geistigen Klima wir leben:

In den Kontext, vor dem Westermanns Pamphlet über „die Ingenieure der Seele“ nur zu begreifen ist, gehört unbedingt auch die Verabschiedung einer Entschließung in der parlamentarischen Versammlung des Europarats am 27. Januar 2006 (dem Holocaust-gedenktag, mit dem an die Befreiung des KZs Auschwitz durch die Rote Armee gedacht werden sollte) In dieser Entschließung, mit der Mehrheit der vertretenen Staaten verabschiedet, werden die „Verbrechen totalitärer kommunistischer Regime“ verurteilt. Die entsprechenden dort unterbreiteten Vorschläge zum Umgang mit (Ex-)Kommunisten bleiben zwar unverbindlich, weil es an der erforderlichen Zweidrittelmehrheit mangelte, aber der Geist ist aus der Flasche und kann sein Unwesen treiben. McCarthy lässt grüßen. Ich erwähne das vom schwedischen Abgeordneten der Europäischen Volkspartei Göran Lindblatt eingebrachte Dokument an dieser Stelle, weil es exakt dem Geist der Ausführungen von F. Westermann entspricht und sich auf gleichermaßen fragwürdige Quellen stützt. Die Resolution im Europarat bedurfte eines lange vorbereiteten Klimas. Allerdings verzichtet Westermann auf das unter Historikern mehr als umstrittene Machwerk von Stephane Courtois (Das Schwarzbuch des Kommunismus), das Lindblatt nicht als Beleg für seine höchst bedenklichen Ausführungen heranzuziehen scheut. Aber auch Westermanns Quellen sind sämtliche aus dem Arsenal des Kalten Krieges.

Es ließe sich noch endlos viel über den Politkrimi des Niederländers sagen, zum Beispiel wie er einfache Menschen und ihre Entwicklungsversuche diskriminierend darstellt, etwa wenn sie aufgefordert werden Kunstwerke zu beurteilen, usw. Der Text ist schon zu umfangreich geworden, deshalb abschließend nur so viel: Die Sache, für die Westermann sich ins Zeug legt, ist nicht meine Sache. Das ist wohl eine Frage des Klassenstandpunkts.

Ich weiß, dass ich als besitzlose, kleine Beamtin, aus der Arbeiterklasse stammend, nur von meinem Arbeitgeber und von dem Gehalt  oder einer Rente abhängig bin, die dieser mir gewährt. Trotzdem ist meine Lage vergleichsweise privilegiert, aber eben doch prekär. Andererseits ist es für mich auch eine Frage der Solidarität mit den Milliarden von Ausgebeuteten dieser Erde und mit der ganzen Kreatur, die schuldlos leidet, auf wessen Seite ich mich stelle.

Auch bei der Befassung mit dem Literaturbetrieb und seiner Produkte gilt es zu bedenken: Jene, die über die Produktionsmittel auch für geistige Arbeit verfügen, sind gleichzeitig die, die grausamsten Verbrechen unserer Zeit mit Wohlwollen decken. Von ihnen sind die Produzenten geistiger Arbeit im Großen und Ganzen aber auf Gedeih und Verderb abhängig.

Auch bei uns müssen „Fisiki und Liriki“ zuerst leben und zwar vom Verkauf ihrer Arbeitskraft. Vergessen wir das nicht, wenn es um ein historisches Urteil über möglicherweise schmerzliche  Fehler von jenen geht, die eine bessere Welt zu gestalten versuchten, eine Welt mit sozialem und menschlichem Antlitz, frei von Krieg. 

Daniela Deich,
Berlin

Verwendete Literatur :

  1. Als literarisches Vorbild könnte Westermann z.B. auf Sven Linquists Literaturreportage von 1991 gestoßen sein „ Durch das Herz der Finsternis – ein Afrika-Reisender auf den Spuren des europäischen Völkermords“ (dt. Übersetzung Campus-Verlag 1999, Frankfurt/ New York), ein atemberaubendes Buch, mit dem Lindquist, den Spuren des Josef Conradschen Romans von 1899 im Kongo folgt.
  2. James S. Allen, World Monopoly and Peace (Toronto) printed in New York, 1946
  3. Henri Barbusse, Stalin, Editions du Carfour, Paris 1937 (deutsche Übersetzung)
  4. Josef Brodsky, Leningrader Tagebuch (aus dem Amerikanischen 1987)
  5. Lester Cole, Hollywood Red -  The Autobiography of Lester Cole, Palo Alto, Kalifornien 1981
  6. Lion Feuchtwanger, Moskau 1937 - Ein Reisebericht für meine Freunde, wieder aufgelegt vom Aufbau Taschenbuchverlag 1993)
  7. Louis Fischer, Ölimperialismus, Neuer Deutscher Verlag, Berlin, Zürich, Wien, Moskau, 1927 (aus dem Amerikanischen)
  8. Kurt Gossweiler, Die Taubenfußchronik oder die Chruschtschowiade 1953 -1976 (2 Bände, an die tausend Seiten), München 2005
  9. Derselbe, Wider den Revisionismus, Aufsätze, Reden, Briefe aus sechs Jahrzehnten, München  2004 u. viele andere Texte des Autors
  10. Peter Hacks, Am Ende verstehen sie es, politische Schriften 1988-2003, Eulenspiegel-Verlag, Berlin  2005
  11. Reverend Dr. Hewlett Johnson, Dean of Canterbury, Soviet Russia Since the War, New York 1947
  12. Horrowitz, Kalter Krieg – Die Hintergründe der US-Außenpolitik von Jalta bis Vietnam, Wagenbach-Verlag 1969 (Original „From Yalta to Vietnam. American Foreign Policy in the Cold War“ 1965)
  13. William Mandel, Russia Re-examined – The Land, The People and How They Live (title follows a Kennedy quotation “let us re- examine our attitude towards the Soviet Union”), April 1964, Colonial Press, Clinton, Mass.
  14. Ludo Martens, Die UdSSR und die samtene Konterrevolution (Original Französisch) Berchem, Belgien 1993
  15. L.L. Matthias, Die Kehrseite der USA, (Rowohltverlag)  Reinbek bei Hamburg 1964
  16. Jawaharlal Nehru, Weltgeschichtliche Betrachtungen – Briefe an Indira (Aus dem Englischen), Düsseldorf 1957
  17. Medwedew, Havemann, Steffen u. a.– Entstalinisierung – der 20. Parteitag der KPdSU und seine Folgen, edition suhrkamp, Frankfurt am Main 1977
  18. Scott Nearing, The Soviet Union as a World Power, Social Science Lectures  No 1, Island Workshop Press, New York 1945
  19. Jacques Pauwels, Der Mythos vom guten Krieg – die USA und der 2. Weltkrieg (Original 2000, Berchem NL), PapyRossa-Verlag Köln 2003
  20. John Reed,  (10 Days that Shook The World) 10 Tage, die die Welt ersschüttern, Dietz-Verlag Berlin 1975
  21. Philip Roth, The Plot Against America  - a novel, Vintage Books New York 2004 (auf  dt.erhältlich)
  22. Michael Sayers/ Albert E. Kahn, Die große Verchwörung gegen  die Sowjetunion, Volk und Welt, 1949 (Original: The Great Conspiracy against Russia, 1945, see also (co-authors of)  The Plot Agianst Peace)
  23. Martha Schad, Stalins Tochter – das Leben der Swetlana Allilujewa, Basei-Lübbe, 2005
  24. J. N. Semjonow,  Die faschistische Geopolitik im Dienste des amerikanischen Imperialismus, Dietz Verlag; 1955
  25. Yvan Vanden Berghe, Der Kalte Krieg 1917-1991, Leipziger  Universitätsverlag , 2002
  26. Annette Vidal, Henri Barbusse – Soldat des Friedens, Volk und Welt, 1955

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Hans Heinz Holz:
Eine Antwort

Die Zeitschrift “offensiv“ hat in einem Sonderheft eine Tagung ihres Herausgeberkreises zur Analyse des DKP-Parteiprogramms veröffentlicht. Ihr Ergebnis ist nicht nur kritisch, sondern ablehnend: Das Programm sei revisionistisch, die Partei eine revisionistische. Ich möchte in eine Diskussion darüber nicht eintreten. Zu offenkundig ist – in den Diskussionsvoten noch deutlicher als in den Referaten – die Tendenz, in die DKP einen Zwist zu tragen und die Partei zu zersplittern. Zu wessen Nutzen?

„offensiv“ hat im Anhang meine Argumente für die Annahme des Programms aus T&P Nr. 6 abgedruckt und daran  eine heftige Polemik gegen meine Person und Position geknüpft, ohne allerdings auf deren Begründung inhaltlich einzugehen. Es ist richtig, dass es politisch konzeptionelle Richtungsdifferenzen in der DKP gibt. Die müssen in der innerparteilichen Diskussion ausgetragen werden. Im Verlauf der Programmdebatte gab es Phasen, in denen eine Richtung, die auch vom Parteivorstand gestützt wurde, ihre Auffassungen dominierend durchzusetzen schien. In dieser Situation wäre es unerlässlich gewesen, der Partei einen Alternativentwurf vorzulegen. Die mehreren Hundert Anträge, die von der Parteibasis zum Programmantrag des PV gestellt wurden, änderten das Bild. Die mehrfach überarbeitete Vorlage, über die der Parteitag abstimmte, enthielt wesentliche Kernpunkte eines marxistisch-leninistischen Selbstverständnisses, um die zuvor gerungen worden war. Daneben bleiben allerdings unaufgelöste Widersprüche stehen und Streitfragen offen. Das war nach dem Kommunistischen Manifest in allen Programmen so. Wie das DKP-Programm heute aussieht, gibt es trotz aller Unklarheiten und auch Unrichtigkeiten im Einzelnen (die ich als Theoretiker bedauere und um deren Berichtigung in der Praxis jeweils zu kämpfen ist) eine Grundlage für eine kommunistische Haltung und kommunistisches Handeln.

Auf dem Weg jeder kommunistischen Partei in langfristig nicht-revolutionären Perioden (die Gramsci als Stellungskrieg bezeichnete) lauert die Gefahr des Revisionismus, wie auf der anderen Seite scheinrevolutionäre Strategien ins Abseits des Linksradikalismus führen. Ich würde es nicht als Zentrismus bezeichnen, das rechte Maß zwischen beiden abwegigen Extremen zu suchen.

Dem Gen. Obermedizinalrat Lange kann ich wegen unseres Alters keine „Kinderkrankheit“ mehr diagnostizieren. Aber ich möchte ihm einen alten Medizinerslogan entgegenhalten: „Operation gelungen, Patient verstorben.“ Wir wollen nicht, dass die DKP stirbt, sondern sich in weiteren Therapien und Rehabilitationen kräftigt. Gegenüber dem wahrhaft übermächtigen Klassenfeind ist die Einheit der Partei Überlebensbedingung und Voraussetzung dafür, dass sie das Klassenbewusstsein und die innere Verfassung zu revolutionärem Handeln gewinnen kann. Dazu kann das Programm ein Schritt sein, wenn Kommunisten seine Grundaussagen aufnehmen und als Perspektive in ihre Praxis einbringen.

Hans Heinz Holz
(dankend übernommen aus: „Theorie und Praxis“)[136]


Günther Lange:
Meine Antwort auf „Eine Antwort“

Werter Genosse Professor Dr. Holz, es ist nicht gerade die „feine englische Art“, mich auf Seite 10 der T&P 7/2006 (wenn auch mit etwas Respekt umschrieben!) des Linksradikalismus zu bezichtigen!

Was war denn eigentlich geschehen? Ich habe nichts anderes getan, als zumindest inhaltlich völlig korrekt – z.T. wörtlich! – Deine eigenen und von Dir persönlich ausgesprochenen Gedanken wiederzugeben. Daß Dir das ein Stückchen peinlich war, könnte ich verstehen. Wenn ich dabei aber sachlich etwas falsch gemacht habe, hättest Du das ebenso konkret benennen sollen! Dir ist bekannt, daß ich persönlich Deine Worte, Hinweise und Orientierungen jedenfalls immer ernst genommen und sie allerorten unterstützt habe, ich habe Dir vertraut!

Nunmehr fühle ich mich regelrecht „verschaukelt“.

Ich habe meine Mitschriften Deiner Auftritte noch drei anderen politisch intelligenten Genossen, die wie ich daran teilgenommen hatten, mit der Frage vorgelegt: Habe ich Gen. H.H.Holz so richtig verstanden?? Die Antwort war einhellig: ‚Ja, das hat er gesagt’! Du näherst Dich erkennbar (!) der von Genossen Rolf  Priemer auf der 7.PV-Tagung verbreiteten Linie an. Dessen Referat war ja zu einem guten Drittel eine klare Drohung gegen „Andersdenkende“, und als Keule wird – schon traditionell – wiederum das Statut missbräuchlich benutzt!

Viele Genossen in unserer Partei haben doch den Eindruck gewonnen, Dein dramatischer Appel an die Partei (1.Tagung) und andere gewichtige sehr ernste Bemühungen von Dir und Patrick K. seien inzwischen sinnlos geworden oder a priori gar Spiegelfechtereien gewesen!

Rolf Priemer (s.o.) fordert doch mit gezielter Absicht, sich mit LENIN’s „linkem Radikalismus“ zu beschäftigen (Nachtigal, ik hör’ dir trapsen!!). Ob der gute Rolf dieses Werk LENINs und seine konkreten Erscheinungsumstände wirklich noch ganz in Erinnerung hat?! Aber der Titel passt ja schön in die derzeitigen Auseinandersetzungen und in das Selbstverständnis „auf die Ideen von Marx, Engels, Lenin u.a.(???) Marxisten“ aufzubauen! Da braucht man keinen Marxismus-Leninismus – man sucht sich halt das heraus, was einem in den Kram zu passen scheint! Manche Großkopfrigen – auch in der DKP – haben diese Masche ja auch schon zu wahrer Meisterschaft entwickelt!

Diese Sorte der politischen Intelligenz will nicht und wird auch nicht verstehen, was z.B. Kurt Gossweiler in seinem „Brief an Robert Steigerwald“ („offensiv“ Nr. 7/2006) darlegt oder Hans Kölsch in „Vermutlich nicht! Die Legende vom transnationalen Klassenfeind“ („Weißenseer Blätter“ Nr. 3/2006) beschreibt.

Noch niemals habe ich von einem DKP-Prominenten gehört:“Man kann aus dieser aus einem Guß geformten Philosophie des Marxismus nicht eine einzige grundlegende These, nicht einen einzigen wesentlichen Teil wegnehmen, ohne sich von der objektiven Wahrheit zu entfernen, ohne der bürgerlich-reaktionären Lüge in die Fänge zu geraten.“ (LENIN „Materialismus und Empiriokritizismus“, Berlin 1975, S.329) Das passt nicht in die Ideenwelt des PV!

Und um in dem von Dir gewählten Bild zu bleiben: Wenn man dem schwer und progessiv erkrankten Patienten DKP das Leben nur noch mit deutlich revisionistischen „Leckerlis“ etwas verlängern kann, dann ist seine Prognose ohnehin infaust! Es wurde spätestens auf der 2.Tagung des 17.Parteitages die letzte noch reale Chance verschenkt, dieser KP einen klaren marxistisch-leninistischen Kurs vorzugeben, daran wäre niemand gestorben, aber m.E. hätten das nicht nur 25%, sondern mehr als 50% der Delegierten begriffen.

Übrigens, der von Dir zitierte „Medizinerslogan“ stammt nicht von Medizinern, sondern von völlig unbedarften Laien, die nicht begreifen können, daß die Medizin keine Mathematik ist!

Man darf auf „weitere Therapien und Rehabilitationen“ gespannt sein, die letzten sechs Jahre DKP lassen daran zweifeln, eher werden sich die DKP-Mitglieder in der EL wieder finden!

Günther Lange,
Neuenhagen


Hildegard und Günther Lange:
Liebe Genossen ,

einen langen Weg des Nachdenkens, des Prüfens und des entschlossenen Kampfes für den Marxismus-Leninismus in der DKP will ich heute zum vorläufigen Ende bringen. Er begann bei der ersten Leserkonferenz des RotFuchs, als ein lauter, frecher, arroganter und anmaßender Auftritt des Genossen Teuber, Mitglied des PV, mir die Frage aufdrängte: In was für eine Partei bist du hier geraten?

Die revisionistisch-opportunistischen Tendenzen im PV sind inzwischen deutlich stärker und erkennbarer geworden und durch das beschlossene neue Statut quasi auch legalisiert worden; in absehbarer Zeit kann man diesen Weg der DKP nicht mehr stoppen, zumal er auch von unserem Landesvorstand in Brandenburg permanent gestützt wird!

Meine Frau und ich, wir haben uns nunmehr entschlossen, mit Wirkung vom 01.01.2007 aus der DKP auszutreten!

Das wird unsererseits an unserem Verhältnis zu unseren marxistisch-leninistisch kommunistischen Freunden nichts ändern, wir sind ihnen unverändert in freundschaftlicher Solidarität verbunden!

Hildegard Lange,
Dr. Günther Lange,
Neuenhagen


Helmut Ische:
Folgendes, die Psychologie des Menschen betreffend

Der Beitrag des Genossen Dittmar in Offensiv 9/06, „Analysen zum neuen DKP-Programm“, hinterließ bei mir starken Eindruck und regte mich zu dieser Stellungnahme an.

Er schreibt u.a.: ...."machte Honecker mehrere hundert Millionen der knappen DM-Devisen locker. Damit hätte man allerhand Verbesserungen in der Trabbi-Produktion finanzieren können. Er ließ stattdessen 10.000 VW-Golf im Westen kaufen, um die Arbeiter zu beschwichtigen. So funktioniert Stagnation im Realsozialismus."

Macht es sich Genosse Dittmar mit dieser Aussage nicht zu leicht? Ich möchte als lernender Genosse, der ganz sicher nicht über das ökonomische Wissen des Genossen Dittmar verfügt, folgendes, die Psychologie der Menschen betreffend, anmerken:

1. Die Sendung "Der schwarze Kanal", moderiert vom Genossen K.E. v. Schnitzler, zeigte über Jahrzehnte hinweg das wahre Gesicht des Kapitalismus. Besonders den in der BRD vor-herrschenden. Ungeschminkt, offen und ehrlich. Die Sendung interessierte in der DDR nur eine kleine Minderheit. Mann/Frau glaubte dem Genossen einfach nicht, obwohl die ausgestrahlten Bilder und Beiträge an Klarheit nichts offen ließen. Genosse Schnitzler wurde als "Sudel-Ede" beschimpft.

2. Die damalige Führung der SED hätte zum angegebenen Zeitpunkt Milliarden an Mark in die Verbesserung des Trabbi investieren können....., die Bürger der DDR wollten andere Autos fahren. Sie waren schon lange der Macht der kapitalistischen Warenproduktion verfallen. Der Wandel durch Annäherung - W. Brandt - kleiner Grenzverkehr, Besuche von Rentnern ect. zeigten ihre Wirkung. Es mussten Westwaren sein, keine verbesserten Trabbis.

3. Einen Tag nach der erfolgreichen Konterrevolution durfte ausgereist werden. Göttingen, circa 30 km von der damaligen Staatsgrenze der DDR entfernt, war - Entschuldigung - im Ausnahmezustand. Keine Straße, kein Platz, keine Fußgängerzone, die nicht von kreuz und quer abgestellten Trabbis und Wartburgs verstopft gewesen wäre. Die Menschen, die sich schon morgens in Göttingen vor den Schaufenstern die Nasen plattdrückten, erreichte sicherlich die Zahl von weit über 100.000. Göttingen hat eine Einwohnerzahl von knapp 130.000 und davon sind immerhin 27.000 Studenten/innen. Die schlafen in der Regel morgens um 8.00 Uhr. Am ersten Werktag nach der Konterrevolution wurde auch in Göttingen das sog. „Begrüßungsgeld“ (100,-DM) ausgezahlt. Ich war damals noch bei der Sparkasse beschäftigt und habe so etwas nie wieder erlebt. Kilometerlange Schlangen von DDR-Bürgern, die nichts besseres zu tun haben, als sich beim Klassenfeind die Knete abzuholen. Ich war schockiert, frustriert und ratlos. Das war also aus 40jähriger sozialistischer Erziehung herausgekommen. Bürger, die sich öffentlich um Bananen, Kaffee und andere Dinge regelrecht vor den Kaufhäusern prügeln. Unfaßbar für mich. Ich hatte Tränen in den Augen.

Wie kann so etwas geschehen? Wirken volle Kaufhäuser, große Autos, Bananen und Kaffee auf die im Sozialismus - wohlgemerkt in einem Sozialismus, der mit dem Klassenfeind eine gemeinsame Grenze hat - lebenden Menschen mehr als alle Errungenschaften der sozia-listischen Gesellschaftsordnung? Hat "das" nicht auch `ne ganze Menge mit Psychologie zu tun?

Helmut Ische,
Göttingen


Gerhard Feldbauer:
Anregungen

Der Beitrag von Andrea und André Vogt (10/2006) regt mich zu einigen Gedanken an, die nicht der Weisheit letzte Schluss sein sollen. Ihren kritischen Anmerkungen zu den elementaren Fehlstellen in den RF-Leitsätzen stimme ich generell zu. Es bestätigt sich ein weiteres Mal das theoretisches Abfallen, das auch in den Leitartikeln, aber nicht nur da, zum Ausdruck kommt. Brisante Themen werden schon mal ausgeklammert, so die KVDR, die schon im Rechen-schaftsbericht auf der Versammlung 2005 unter den sozialistischen Ländern nicht mehr erwähnt wurde.

Der Bemerkung zu den Linken und Kommunisten möchte ich vorausschicken, dass wohl all-gemein Übereinstimmung darüber besteht, dass uns die Niederlage des Sozialismus in Europa in nicht wenigen Fragen weit über ein Jahrhundert zurückgeworfen hat. Das bedeutet auch, dass wir uns, wenn auch unter veränderten Bedingungen und mit dem Wissen und den Erfahrungen des zurückgelegten Kampfes ausgestattet, mit ähnlichen Problemen der Spaltungserscheinungen, welche die sozialistisch-kommunistische Bewegung von Anfang an heimsuchten, konfrontiert sehen.

Zum Durcheinander, das beim Gebrauch des Terminus „Linke“ herrscht, steuerte besagter RF-Chefredakteur das Seine bei, als er sich auf der Rosa-Luxermburg-Konferenz am 13. Januar wieder einmal über die „Zusammenführung von Kommunisten, Sozialisten und anderen linken Demokraten auf marxistischer Grundlage“ in „Aktionseinheit“ ausließ. Es ist also durchaus angebracht, zu versuchen, etwas Klarheit darüber zu schaffen, wer sich wo und mit welchen Zielen unter diesem Etikett vorstellen, wer darauf Anspruch erheben kann, sich zur revo-lutionären Linken zu zählen, und was wir heute unter Arbeitereinheit, Aktionseinheit und darü-ber hinaus gehenden Bündnissen verstehen, welche Kriterien wir anlegen. Ganz abgesehen davon, dass man diesbezügliche  Reden auf ihren Wahrheitsgehalt abklopfen sollte, ob da nur theoretisiert wird, Worte und Taten übereinstimmen.

Vielleicht vermittelt uns Lenin Anregungen. Im Kampf gegen den mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges offen ausgebrochenen Opportunismus, darunter seiner schlimmsten Erscheinung, dem Sozialchauvinismus, fand im September 1915 auf Initiative der Linken in der Italienischen Sozialistischen Partei die Zimmerwalder Konferenz statt, der im April 1916 die zweite in Kienthal folgte. Unter den teilnehmenden Sozialisten formierte Lenin aus Internationalisten und revolutionären Marxisten (so seine Formulierung) die revolutionäre Zimmerwalder Linke. „Der Zusammenschluss der genannten Gruppe ist eine der wichtigsten Tatsachen und einer der größten Erfolge der Konferenz“, schätzte er ein (Bd. 21, S. 389 ff., 396 ff.). Die Linke setzte sich auf der Tagung mit der Gruppe der „schwankenden beinahe Kautzkyaner“ entschieden auseinander. Dem Manifest der Tagung, das an „Inkonsequenz und Halbheit“ litt, stimmte die Zimmerwalder Linke, Lenin folgend, dennoch zu, weil es „faktisch einen Schritt vorwärts zum ideologischen und praktischen Bruch mit dem Opportunismus und Sozialchauvinismus“ darstellte.

Ich stimme Fritz Dietmars Einschätzung zum Briefwechsel Steigerwald-Gossweiler (7/2006) bezüglich der Bewahrung von Achtung und Zuneigung trotz kontrovers ausgetragener Posi-tionen zu. „Keiner hat den anderen als Agenten des Klassenfeindes dargestellt“, betont Fritz Dittmar. Nebenbei bemerkt sehe ich Robert Steigerwald, mit dem ich nicht immer übereinstimme, etwas einseitig erwähnt. Man lese nur einmal seinen Beitrag „Dialektisch, praktisch, gut“ (jW 2. Nov. 2006), den ich für eine gute Studie schöpferischen Herangehens an die Klassiker halte. Und es gibt mehrere davon aus seiner Feder. Kurt tritt immer konsequent von seiner marxistisch-leninistischen Haltung abweichenden Meinungen entgegen. Dafür stand bereits sein Standartwerk „Wider den Revisionismus“. In diesem Zusammenhang hat mich verwundert, dass er sich zu den seit Jahren vom RF-Chefredakteur betriebenen Spaltungsversuchen unserer Bewegung, die ihn auch persönlich diffamieren, ausschweigt. Diese Art von Opportunismus, derart demagogisch vorgetragen, richtet noch gar nicht absehbaren Schaden an.

Abschließend ein Wort zur Erörterung des neuen DKP-Programms (9/2006). In der widersprüchlichen Debatte wurden gute und zutreffende Gedanken vorgebracht. Ohne hier ausführlich auf die einzelnen Wertungen einzugehen, betrachte ich jedoch einige als überzogen und im Widerspruch zu der von Fritz Dietmar bezüglich Steigerwald-Gossweiler aufgezeigten Haltung stehend. Ich vermisse, dass zu wenig von Gemeinsamkeiten ausgegangen, statt dessen viel Trennendes in den Vordergrund gestellt wurde. Damit kommt man bei der DKP-Basis, die im allgemeinen für kritische Gesichtspunkte aufgeschlossen ist, nicht an. Meine diesbezügliche Meinung gründet sich auf Erfahrungen, die ich in den letzten Jahren bei zahlreichen Vorträgen vor DKP-Gruppen sammeln konnte. Auch als ich im vollbesetzten Hörsaal der Heidelberger Universität zum historischen Platz der DDR sprach und sie als die größte Errungenschaft in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung einschätzte, haben die zahlreich erschienenen Genossen der DKP-Gruppe mich aktiv in der harten Auseinandersetzung unterstützt.

Im wesentlichen halte ich die von Wolfgang Herrmann formulierten Bemerkungen für die richtige Vorgehensweise. In Sonderheit unterstreiche ich zwei seiner Gedanken: Dass sich „die Sozialismusvorstellungen einer kommunistischen Partei auch auf die Erfahrungen des realen Sozialismus gründen müssen“, und seine Feststellung, „die DKP hat sich während der Pro-grammdebatte vorwärtsentwickelt“, was sich auch auf eine bis dahin nicht vorhandene Annäherung an den ersten Gedanken erstreckt.

In diesem Zusammenhang habe ich mir nochmals Marx´s Kritik am Gothaer Programm, Engels Vorwort vom 6. Januar 1891 eingeschlossen, vorgenommen (Bd. 19, S. 11 bis 32 und 521 f.). Sicher, die Verfasser des DKP-Programms wären gut beraten gewesen, Marx´s „Randglossen“ stärker und grundsätzlich bei der Ausarbeitung zu beachten. Für ein Gothaer Programm, wie die Analysen streckenweise den Eindruck vermitteln, halte ich das DKP-Programm jedoch in seiner Ganzheit nicht. Am zutreffendsten hat hier Arne Taube eingeschätzt: „Jedoch markieren noch immer das errungene Programm, wie die Partei als Organisation eine Position, die nur urteilen lässt, dass die Arbeiterklasse in der BRD heute de facto über keine Organisation verfügt, die so entschieden wie die DKP ihre Interessen vertritt: sie ist die größte Organisation der revolutionären Linken, besitzt vorerst eine in den Rudimenten noch immer revolutionäre Pro-grammatik - wie mangelhaft sie gemessen an den Forderungen der Klassiker auch erscheint - und ist auf dem Gebiet der alten BRD zumindest teilweise recht gut gewerkschaftlich ver-bunden. Hieraus folgt, dass auch mit dem neuen Programm jedem Kommunisten weiterhin zu raten ist, in die DKP einzutreten (oder zumindest die Nähe zu suchen), sich dabei jedoch ihrer organisatorischen und programmatischen Schwächen bewusst zu sein.“  

Gerhard Feldbauer;
Poppenhausen


Franz Siklosi:
Die wütenden Verteidiger der schlimmsten Reaktionäre der Welt und ihre Widersacher

Erwiderung zum Artikel von Kurt Gossweiler in Offensiv 11/06 und der allgemeinen Einschätzung des islamischen Widerstands

Der Artikel des Genossen Gossweiler zeigt wieder einmal, mit welcher polarisierenden emotionalen Verbissenheit über das Thema Israel gestritten wird. Entweder für Israel - oder für den Islam, vermischt mit Teilwahrheiten zur ideologischen Rechtfertigung je nach Befürworter, so stellt sich die Lage innerhalb der Linken und ,,Linken“ dar. Die Antideutschen sind nicht mehr als eine ideologische Variante des Imperialismus und die Linken huldigen einen verkappten Antisemitismus, so die Anklagen. Also gehen wir der Sache, wie es für Kommunisten üblich sein sollte, auf materialistischer Grundlage auf den Grund.

Was sind die Leitaussagen der Antideutschen?

Allgemein:

Zur gegenwärtigen Lage:

Über die deutschen Kommunisten und die DDR

Wie sind diese Aussagen marxistisch zu bewerten?

Wir sind wieder einmal mitten drin in der Debatte zum Thema: Die deutsche Misere seit den Bauernkriegen.

Nationalsozialismus und Auschwitz sind ein deutsches Verbrechen. Da aber nicht alle Deutschen Nazis waren, ist eine Kollektivschuld absurd. Wie ist also der Terminus ,,Deutsche“ zu verstehen. Genosse Flegel hat völlig richtig darauf hingewiesen, das solche Begriffe völkisch sind und für marxistische Analysen keinen Wert ergeben. Das würde aber auch für Begriffe wie ,,Volkskrieg“, „Der Große Vaterländische Krieg“ und andere von uns verwendeten Begriffe gelten. Völkische Begriffe lassen sich soziologisieren und umgedreht. In der Argumentation gegen Nazis bekommt der Begriff „Deutsche“ einen Sinn. Wenn ausgesagt wird, die Deutschen hätten mit den Nazis nichts zu tun gehabt, ist es richtig darauf hinzuweisen, dass die Nazis Deutsche waren. Für die Sowjets war jeder Deutsche, der an Verbrechen teilnahm, unabhängig von seiner Klassenzugehörigkeit ein Nazi. Und in diesem Sinne wird „deutsch“ von den Antideutschen benutzt.

Über die Bedeutung psychologischer Erkenntnisse möchte ich mich im Rahmen dieses Artikels nicht äußern, ich halte die gemachten Aussagen im Kern für richtig.

Richtig ist auch die Kritik an dem unsäglichen Versuch der DDR, in Punkto Nationalismus mit der BRD zu konkurrieren. Erinnert sei nur an die Ausstellung über Friedrich ,,den Großen“. Auch Brecht hat sich über die deutsche Misere beklagt.

Dass der deutsche Imperialismus in den Fußstapfen des 3. Reiches steht, zeigt ein Blick auf die heutige Landkarte der ehemaligen sozialistischen Länder Osteuropa mit einem Vergleich der Okkupationskarte während der Besetzung der Sowjetunion.

Der Kontext dieser Leitaussagen bestimmt das politische Vorgehen der Antideutschen. Verdächtig ist jeder Bündnispartner deutscher Außenpolitik, wenn dieser schon zu Zeiten des 3. Reiches bestand hatte. Steht der Bündnispartner selbst in antisemitischer Tradition, so ist dies ein weiterer Schritt zur Rekonstruktion des Faschismus mit deutscher Hilfe. Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem jetzigen deutschen Imperialismus und dem Faschismus des 3. Reiches.

Zum Nahen Osten

,,Und der islamische Widerstand setzt seine heldenhaften Handlungen, seine Opfer und Siege fort.... KP Libanons. In Offensiv 8/2006

,,…hat der heldenhafte patriotische Widerstand den Nazis unserer Zeit…. Syrische KP. In Offensiv 8/2006.

,,Die Bereitschaft der Zionisten für solches Blutvergießen drückt den faschistischen, rassistischen Charakter der zionistischen Ideologie aus….. Syrische KP. In Offensiv 8/2006.

Sind diese Passagen entstanden aus einer ML-Analyse der Lage Israels und des Libanons? Kommt hier irgendwie zur Geltung, dass diese Aufrufe von Kommunistischen Parteien stammen? Nein! Dies ist die Propaganda der islamischen Klerikalfaschisten. Hier werden völkische Einschätzungen soziologisiert, um damit die eigene rassistische Ideologie ,,marxistisch“ rechtfertigen zu können. Genosse Flegel hätte mit seiner Aussage, dass dies völkische Aussagen wären, völlig Recht. Liegt hier nicht völkisches neben Klassendenken? Die Antideutschen haben auf die Wesensgemeinschaft zwischen islamischer und faschistischer Propaganda hingewiesen. Ist der Staat Israel gleichzusetzen mit dem Nationalsozialismus? Ist der Staat Israel faschistisch? Nein! Aber es besteht ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen der antijüdischen Ideologie des Islam und des Nationalsozialismus. Dies ist im Kern auch die Kritik der Antideutschen an der Herangehensweise der Linken an die USA.

Hier wird der gesamte Marxismus ad absurdum geführt. Religiöse Auseinandersetzungen bilden nur die Oberfläche wirklicher ökonomischer Kämpfe. Wir müssen also alle beteiligten Protagonisten analysieren, bevor wir Partei ergreifen können. Die Antideutschen sind der Meinung, dass die Invasion Afghanistans und des Iraks dem Kampf gegen den islamischen Terrorismus gelte und die Invasoren der Bevölkerung Demokratie brächten. Dies ist im Kern falsch. Die Invasion Afghanistans hat zwar die Taliban vertrieben, aber es fand bis zum heutigen Tag kein Wiederaufbau statt. Es gibt keine Zentralgewalt, keine Industrie, keine Infrastruktur und keine Säkularisierung des Staates. Die Frauen sind immer noch weniger wert als ein Kamel.

Im Irak wurde zwar eine Despotie abgeschafft, aber damit auch die Zentralgewalt. Neben dem eigentlichen Widerstand gegen die Besatzer führen Clans unter religiösen Vorwand einen Bürgerkrieg und töten dabei die eigene Bevölkerung.

Im Libanon und Gaza ist der islamische Terrorismus, gesponsert von Syrien und dem Iran, am Werk. Leiden müssen überall die Menschen, die sich der Scharia entziehen möchten, insbesondere Frauen. Im Libanon putschen offen islamische Fundamentalisten.

Hier haben sich die Antideutschen verkalkuliert. Imperialismus und Menschenrechte, das geht nicht. Aber auch wir Kommunisten sind in einer Schieflage! Islamischer Fundamentalismus und Befreiung, das geht auch nicht. Der Beweis dieser These liegt vor unserer Haustür.

Arabische Feministen haben schon lange auf die Lage der Frau im Islam hingewiesen, hier in Deutschland. Leider sind wir auf diesem Ohr noch etwas taub. Hier sind uns die Antideutschen voraus. Der Islam verträgt sich aber auch nicht mit dem Marxismus. Die marxistische Religionskritik ist eine der Grundlage des Marxismus. Ein Marxist kann keinen Gottesstaat tolerieren. Aber auch keinen Zionismus.

Genosse Gossweiler! Sollen wir im Kampf gegen den Imperialismus reaktionäre Kräfte, welche weit hinter den zivilisatorischen Fortschritt von 1789 und 1917 zurückfallen, unterstützen? Heiligt der Zweck die Mittel? Sollen wir Terrororganisation unterstützen, nur weil diese gegen die USA kämpfen?

Franz Siklosi,
Heppenheim

In Memoriam

Karl-Heinz Reinhardt:
In memoriam – For eyes only

Nicht nur über zwei Millionen DDR-Bürger sahen den 1963 am besten besuchten DEFA-Film. Eine große Pressekonferenz der DDR in Berlin peitschte das Gewissen der Weltöffentlichkeit auf, verkündete die Wahrheit in Europa, Asien, Amerika und Afrika.

Die Schlagzeilen:

„Internationale Pressekonferenz in Ostberlin.  --  US-Plan MC 70 geplatzt . --  Über 500 MID-Agenten (US-Geheimdienst) gefasst.  --  Der begrenzte Krieg findet nicht statt.  --  Sensationelle Niederlage des MID  --  Originaldokumente in ostdeutscher Hand.

So wurde der Film „For eyes only“ Millionen zugänglich. Die Wirkung auf die Öffentlichkeit war ungeheuer.

Der Kundschafter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, der für diese Schlagzeilen gesorgt hatte, war der Genosse Horst Hesse. Er setzte sein Leben auf’s Spiel. Unsere Gegner verurteilten ihn nach der Entlarvung des US-Geheimdienstes in Würzburg zum Tode.

Horst Hesse ist nicht mehr. Er starb im Alter von 84 Jahren am 16. 12. 2006.

Sein Beitrag für die Erhaltung des Friedens in diesen Jahren des Kalten Krieges für die DDR bleibt unvergessen!

Karl-Heinz Reinhard,
Oberst a.D. des MfS,
Leipzig

Ankündigung

Freie Irak-Komitees Italien:
Internationale Konferenz „Gegen die Besatzung, mit dem Widerstand, für einen gerechten Frieden im Nahen Osten“

Die Konferenz wird stattfinden in Chianciano Terme, Siena, Toskana, Italien, 24.-25. März 2007

Die nationale Versammlung der veranstaltenden Kräfte, welche letzten Sonntag (14. Januar) in Florenz stattgefunden hat, beschloß, endgültig für die internationale Konferenz: “Gegen die Besatzung, mit dem Widerstand – für einen gerechten Frieden im Irak, Libanon und Palästina” aufzurufen.

Nach dem Kampf 2005, als die italienische Regierung die Konferenz verhindert hatte auf Befehl der USA, nach dem Erfolg der Kampagne für die Visa, die diesmal gesichert zu sein scheinen und mit der erneuten Interessensbekundung verschiedener Sektoren der arabischen Widerstandsbewegung ist die Zeit reif für diese wichtige internationale Zusammenkunft.

Am 24.-25. März wird ein breites Spektrum irakischer, palästinensischer und libanesischer (und aus anderen arabischen Ländern) Vertreter zusammenkommen.

Auf diesem Weg wollen wir jenen eine Stimme auf europäischem Boden verleihen, welche der imperialistischen Aggression Widerstand leisten.

Es ist das erste Mal, dass solch eine Konferenz in Europa stattfinden wird.

Die Konferenz wird Gelegenheit bieten die Solidarität der Antikriegsbewegung mit den Völkern, welche Opfer der von den USA geführten Aggressionskriege sind, zu stärken. Gleichzeitig wird sie die Möglichkeit für ein besseres Verständnis der Situation im Irak, in Palästina und im Libanon eröffnen, indem jene, welche Widerstand leisten und von den Einheitsmedien zum Schweigen gebracht werden, von ihren Erfahrungen berichten können.

Freie Irak-Komitees Italien

Unterschriftenaktion

Für den Erhalt der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde

Aufruf der DKP-Berlin

Die Unterzeichner fordern, die Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde als Ehren- und Mahnmal der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung in ihrer ursprünglichen Gestaltung zu bewahren.

Seit der Beisetzung von Wilhelm Liebknecht zum Sozialistenfriedhof geworden, werden an diesem Ort Sozialdemokraten, Sozialisten, Kommunisten und nicht organisierte Kämpfer geehrt, die gegen die kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung, gegen den Faschismus, gegen den imperialistischen Krieg, für den Sozialismus gestritten haben.

Diesem Kampf – durch Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg symbolisiert – haben sie ihr Leben gewidmet.

Diesem Vermächtnis zu entsprechen, fordert die Achtung vor den Toten.

Zum Kreis der zu Ehrenden gehörten und gehören auch die Toten, die Opfer von Repressalien in sozialistischen Ländern geworden sind. Aber auch die Ziele ihres Lebens lassen es nicht zu, sie gegen den Kampf der Arbeiterbewegung zu benutzen.

Wir betrachten es als grobe Missachtung des Vermächtnisses der Toten und als Missbrauch der Gedenkstätte, dass auf Initiative des von Mitgliedern der SPD und der Linkspartei.PDS gegründeten Förderkreises „Erinnerungsstätten der deutschen Arbeiterbewegung“ durch das zuständige Bezirksamt direkt am Denkmal ein Stein „Den Opfern des Stalinismus“ aufgestellt worden ist.

Mit dem politischen Kampfbegriff des Stalinismus werden, wie mit dem „Jüdischen Bolschewismus“ durch die Faschisten, der revolutionäre Kampf der Arbeiterbewegung und das gesellschaftliche System des Sozialismus pauschal diskreditiert und verleumdet.

Damals wie heute werden antikommunistische Zerrbilder benutzt, um den Kampf gegen den Faschismus und gegen die sozial- und demokratiefeindlichen Folgen der kapitalistischen Verhältnisse kraftlos zu machen.

Wir sehen die Gefahr, die Ehrung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg und der vielen anderen revolutionären Kämpfer, die machtvolle Demonstration für die Ziele ihres Kampfes, zu spalten.

Deshalb fordern wir von den Verantwortlichen des Bezirksamtes Berlin-Lichtenberg, unverzüglich zu veranlassen, dass der ursprüngliche Zustand der Gedenkstätte der Sozialisten wieder hergestellt wird.

Bitte einsenden an: DKP Berlin, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin.


FUSSNOTEN

  1. Die bürgerliche Zeitschrift, die bevorzugt die Interessen der imperialistischen Konkurrenz und deren Machenschaften beleuchtet, ist der SPIEGEL. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) setzt nach wie vor prioritär auf die Gemeinsamkeiten der Imperialisten bei der territorialen Neuaufteilung der Welt und dem dazu notwendigen Niederhalten aufmüpfiger Staaten und Bewegungen ("westliche Werte", "transatlantische Allianz") und ist in Fragen innerimperialistischer Konkurrenz tendenziell eher anti-französisch als anti-amerikanisch. Die Financial Times Deutschland (FTD) ist in der Haupttendenz unverkennbar anti-amerikanisch und als Bertelsmann-Produkt Sprachrohr deutscher Denkfabriken (wie u.a. der Bertelsmann Stiftung, Stiftung Wissenschaft und Politik/Deutsches Institut für internationale Politik und Wissenschaft (SWP), Internationale Politik (IP) etc.).

  2. Christian Wagner, SWP, August 2005

  3. Christian Wagner, SWP, März 2006

  4. Das kann man wohl sagen: Während Deutschland als reaktionäres imperialistisches Land vom Faschismus befreit werden musste, hatte sich Indien aus imperialistischer Abhängigkeit selbst befreit und eine erfolgreiche bürgerlich-demokratische Revolution absolviert!

  5. die im übrigen etwa von der CPI(M) auf bundesstaatlicher Ebene unterstützt wird: "Insgesamt unterstützen kommunistische Landesregierungen wie jene in West-Bengalen [CPI(M) – A.S.] aber eine investitionsfreundliche Politik und bemühen sich gezielt um ausländische Direktinvestitionen." (Christian Wagner, ebd., 2005, S. 9f)

  6. ebd., 2006, S. 4

  7. ebd., 2005, S. 10

  8. ebd., 2005, S. 15

  9. "Wegbereiter", www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56349, 7.5.2006

  10. vgl. www.deginvest.de

  11. ebd.

  12. "Militärpartner, www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56329, 24.4.2006

  13. ebd.

  14. Christian Wagner, SWP, August 2005, S. 6

  15. vgl. u.a. Volker Perthes, "'Barcelona' and the German Role in the Mediterranean Partnership", in: Volker Perthes (hrsg.), "Germany and the Middle East Interests and Options", Berlin 2002

  16. "Gemeinsame Erklärung"/"Joint Statement" des EU-Indien Gipfels, Helsinki, 13.10.2006

  17. South Asian Association for Regional Cooperation

  18. "Glos wirbt in Indien für Rüstungsfirmen", Financial Times Deutschland, 24.8.2006

  19. Bispectral and Infrared Remote Detection (ein System zur wetterunabhängigen Erdbeobachtung), vgl. Christian Wagner, 2005, S. 16

  20. "Traditionen", www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/46701, 6.10.2004; "Traditionen II", ebd., 7.10.2004; "Bis zum heutigen Tag", ebd., 4.12.2005

  21. Dazu zählen: Ägypten, Algerien, Israel, Jordanien, Libanon, Malta, Marokko, die Palästinensische Autonomiebehörde, Syrien, Türkei, Tunesien und Zypern.

  22. Der sogenannte Barcelona-Prozess begann Mitte der 90iger Jahre auf maßgebliche Initiative von Frankreich und Spanien, die die Mittelmeeranrainerstaaten stärker politisch und ökonomisch an sich binden wollten – auch als Gegengewicht zum ostwärts expandierenden deutschen Imperialismus. Deutschland hatte entsprechend zu Beginn gar kein großes Interesse, diesen Prozess mit voranzutreiben, hat aber inzwischen genügend "Potential" für die eigenen Interessen entdeckt und entsprechend – wie bei allein maßgeblichen EU-Initiativen – die Vorreiter- bzw. Antreiberrolle übernommen und damit auch einmal mehr den "Herr-im-Hause-Standpunkt" in der EU deutlich gemacht. Vgl. dazu Volker Perthes, "'Barcelona' and the German Role in the Mediterranean Partnership", in: Volker Perthes (Hrsg.), "Germany and the Middle East - Interests and Options" (Deutschland und der Nahe Osten – Interessen und Optionen), Berlin 2002

  23. Dazu zählen neben den EMP-Ländern auch die Länder der Golfregion (Saudi-Arabien, VAE, Oman, Qatar, Iran und Irak).

  24. vgl. Volker Perthes, "German Economic Interests and Economic Co-operation with the MENA Countries" (Deutsche Wirtschaftsinteressen und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den MENA Ländern; MENA = Middle East/North Africa – Nahost/Nordafrika), in: ebd., 2002

  25. vgl. Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums, www.bmwi.de/BMWi/Navigation/Energie/mine-raloelversorgung

  26. Hermann Gröhe et al., "Evenhanded, not neutral: Points of Reference for a German Middle East Policy", in: ebd., Berlin 2002

  27. Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU

  28. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht hier nicht um den Nachweis, welcher Imperialismus der "Schlimmste" ist (das widerspräche ohnehin Lenins Imperialismustheorie), sondern um die Entlarvung der üblichen Taktik der Ablenkung von den eigenen Schandtaten, bei der auf jene der imperialistischen Konkurrenz gezeigt wird – zumal man damit sehr leicht große Teile auch der wohlmeinenden Bevölkerung um die eigene Bourgeoisie scharen kann, bis weit in linke Kreise hinein ...

  29. Verheerend in diesem Zusammenhang sind etwa Statements, Israel und seine Befürworter  (z.B. der Zentralrat der Juden in Deutschland) seien schuld am wachsenden Antisemitismus. Das ist natürlich "unterste Schublade". Kein Linker käme etwa auf die Idee, Irans Politik für den wachsenden Antiislamismus verantwortlich zu machen. Antiislamismus und Antisemitismus sind von der Bourgeoisie gezüchtete Ressentiments und nichts, was durch das "Wohlverhalten" der derart Stigmatisierten aus der Welt geschafft werden könnte!

  30. Vertreter der Pro-Israel-Fraktion bringen es fertig, die palästinensische Seite vollkommen auszublenden oder, noch schlimmer, sie als "Islamo-Faschisten" hinzustellen und damit jede Verantwortung für die größten Verlierer im Nahost-Konflikt loszuwerden. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Fraktion sich Israel schlichtweg zivilisatorisch näher fühlt und sich daher mit der Gewissheit moralischer Berechtigung vom arabischen "Untermenschen" distanzieren kann.

  31. Vertreter der pro-libanesisch/palästinensischen Fraktion bringen es fertig, die USA zum Hauptfeind der Menschheit zu erklären, der heute angeblich die aggressivsten Kräfte des Finanzkapitals beherbergt (Elsässer). Hier heißt es: Nachsitzen und Dimitroff nochmal lesen!

  32. Nach Studien von Emnid (1994) und Forsa (1998) sind antisemitische Haltungen in 15-20% der Bevölkerung verankert. So stimmt jeder Fünfte der Aussage zu, Israels Politik gegen die Palästinenser sei vergleichbar mit dem Holocaust.

  33. In der Sowjetunion war die Unterstützung für die Bildung eines jüdischen Staates umstritten. Es gab allerdings eine starke pro-israelische Fraktion um Gromyko, die sich schließlich durchsetzte.

  34. Absurderweise wird gerade dieser Mythos hierzulande von Israel-Anhängern aufrecht erhalten, ohne dass dies für irgendjemand hilfreich wäre - nicht einmal für Israel selbst.

  35. Hinsichtlich des Israel-Palästina-Konfliktes bedeutet das: Solidarisch mit den Interessen der Schwächsten (Palästinenser) und zugleich gegen jegliche Übergriffe seitens des deutschen Imperialismus. Das heißt, das palästinensische Volk gegen Israel zu verteidigen (bzw. seine Verteidigungs- und Selbstbehauptungsmaßnahmen zu akzeptieren - erst recht, solange wir nichts Besseres zu bieten haben!), und Israel seinerseits vor Übergriffen des deutschen Imperialismus bzw. dessen antisemitische Instrumentalisierung des Nahostkonflikts zu verteidigen. Das sollten wir nicht den "Antideutschen" überlassen, die mit dieser ehrenwerten Zielsetzung nichts anderes tun und können, als Zwietracht und Spaltung in die Linke zu tragen (ironischerweise ganz zum Wohlgefallen des deutschen Imperialismus).

  36. „… Wie auch immer: Es ist gut, dass der Partei (gemeint ist die Linkspartei.PDS; d.Red.), noch dazu im Rahmen der programmatischen Debatte, keine Diskussion aufgehalst wurde, die an die Zeiten vor der 1. Tagung des 4. Parteitages im Januar 1995 erinnert hätte. Manchmal bewirkt die Störung mut-maßlicher Planungen etwas Vernünftiges.“ (Zitat aus: Ellen Brombacher, Leserbrief in „jW“, 15.1.2007)

  37. Als es noch hieß, dass der Beitrag erscheinen würde, hatte das ND hier gestrichen: „…auf Initiative der KPD-Führung…“

  38. Als es noch hieß, dass der Beitrag erscheinen würde, hatte das ND hier gestrichen: „In seiner Ansprache anlässlich der Enthüllung des Denkmals sagte Wilhelm Pieck damals: `Wie dieses Denkmal uns stets erinnern soll an die blutigen Kämpfe, die vom Proletariat um seine Befreiung und gegen die Konterrevolution geführt wurden und an die schmachvollen Dienste, die ihr die sozialdemokratische Führerschaft schon geleistet hat, so soll dieses Denkmal mit der von ihm wehenden roten Fahne und dem an ihm leuchtenden Sowjetstern ständig ein Mahnzeichen zum Kampf sein, zum Sammeln der Massen für den Kampf, zur Organisierung der Revolution und zur höchsten Kraftentfaltung, um sie zum Siege zu führen.` Auch Ernst Thälmann hielt eine kurze Ansprache. In den Jahren, die der Einweihung des Mahnmals folgten, veranstaltete die KPD jährlich im Januar – bis zur Errichtung der faschistischen Diktatur – Kampfdemonstrationen zur Grabstätte der Revolutionsopfer. Sie gingen in die geschichte ein unter dem Begriff „LLL-Feiern“. In der Zeit der Weltwirtschaftskrise 1929 und der sich ausbreitenden faschistischen bewegung gewnnen die Demonstrationen zur Gedenkstätte immer deutlicher antifaschistischen Charakter. Polizei und Nazis verstärkten ihre Provokationen. Bei der verbotenen Maidemonstration 1929 wurde wahllos auf Demonstraten geschossen. Die Opfer des Berliner Blutmais wurden ebenfalls in Friedrichsfelde beigesetzt.“

  39. Als es noch hieß, dass der Beitrag erscheinen würde, hatte das ND hier gestrichen: „Die rote Fahne, die bis Januar 1933 am Denkmal gehisst werden konnte, wurde von dem deutschen Kommunisten Max Dübel gerettet und 1952 der Kreisdelegiertenkonferenz der SED in Berlin-Lichtenberg übergeben. Nach dem Sieg über den Hitlerfaschismus, an dem die Sowjetunion den größten Anteil hatte, wurde über einen Neubau der Gedenkstätte der Sozialisten nachgedacht. Rechtssozialdemokratische Kräfte aus den Westsektoren Berlins versuchten das zu verhindern oder mindestens zu erschweren. Wilhelm Pieck richtete im November 1946, gestützt auf die Forderung zahlreicher Arbeiter, einen Brief an den Oberbürgermeister von Groß-Berlin, um an die Erfüllung eines Magistratsbeschlusses von 1945 zum Neubau der Gedenkstätte zu erinnern.“

  40. Als es noch hieß, dass der Beitrag erscheinen würde, hatte das ND hier gestrichen: „…, der uns immer lehrte, mit allen Kräften die Einheit der sozialistischen Bewegung zu erkämpfen. In seinem Geiste geloben wir, den Krieg durch den Frieden zu bezwingen`. Auch nach dem Ende der DDR fanden und finden jährlich im Januar Demonstrationen und Gedenkveranstaltungen statt – unter Beteiligung Zehntausender -, die zu den Gräbern der Revolutionsführer strömen, die Inschrift des Gedenksteins „Die Toten mahnen uns“ vor Augen. Die jährliche Massendemonstration – von den Medien kleingeredet – zeigt, dass trotz der Niederlage von 1989 die große Sache der Revolution lebt und nie sterben wird.“

  41. Als es noch hieß, dass der Beitrag erscheinen würde, hatte das ND hier gestrichen: …in: „Zu dramatischen Ereignissen“, S. 34:…“

  42. Als es noch hieß, dass der Beitrag erscheinen würde, hatte das ND hier gestrichen: „Kurt Gossweiler sagte in einem Vortrag am 27. März 2004 in Bernburg: ´Alle Kommuniste, alle Kämpfer gegen den Faschismus und alle Juden, die im besetzten Europa überlebt haben, haben dies vor allem der Sowjetunion, der Roten Armee und damit auch Stalin zu verdanken.´“

  43. Als es noch hieß, dass der Beitrag erscheinen würde, hatte das ND hier das Wort „dies“ eingefügt und dafür gestrichen: „…die Persönlichkeit Stalins…“

  44. Als es noch hieß, dass der Beitrag erscheinen würde, hatte das ND hier gestrichen: „Stalin sagte bei der Siegesparade am 9. Mai1945 in Moskau: ´Die Sowjetunion feiert den Sieg, wenn sie sich auch nicht anschickt, Deutschland zu zerstückeln und zu vernichten´“.

  45. Als es noch hieß, dass der Beitrag erscheinen würde, hatte das ND hier gestrichen: „Von Stalin, nicht von den Westmächten, die das Potsdamer Abkommen bis heute missachten.“

  46. Als es noch hieß, dass der Beitrag erscheinen würde, hatte das ND hier gestrichen: „Selbst von Antikommunisten wird die Rechtmäßigkeit der Prozesse der dreißiger Jahre nicht bestritten.“

  47. Als es noch hieß, dass der Beitrag erscheinen würde, hatte das ND hier gestrichen: „Rosa Luxemburg sagte auf dem Gründungsparteitag der KPD 1918/19 in ihrer Programmrede: ´Sie (die herrschende Klasse) sind so weit, dass heutzutage das Dilemma, vor dem die Menschheit steht, heißt: entweder Untergang in der Anarchie oder Rettung durch den Sozialismus. … Der Sozialismus ist Notwendigkeit geworden,…nicht weil das Proletariat (heute vielleicht das <Prekariat>?) nicht mehr unter den Lebensbedingungen zu leben bereit ist, die ihm die kapitalistischen Klassen bereiten, sondern deshalb, weil, wenn es…nicht den Sozialismus verwirklicht, uns allen zusammen der Untergang bevorsteht´. Das gilt auch uns heute. Am 18. Januar 1920 sagte Wilhelm Pieck über die beiden großen revolutionären Kämpfer: ´Sind uns die beiden auch geraubt, ihre Stimme, ihr Geist sind stets unter uns, die konnten sie nicht erschlagen. Sie uns lebendig zu erhalten ist unsere Pflicht und unser Leben´.“

  48. Gossweiler, Kurt: Über Ursprünge und Spielarten des Faschismus. In: Aufsätze zum Faschismus, Köln 1988, Bd. II, S. 584

  49. Lenin, W. I.: Staat und Revolution. In: LW 25, S. 405

  50. Liebknecht, Karl: Leitsätze. In: Reden und Aufsätze in zwei Bänden, Frankfurt am Main 1972, Bd. 2, S. 115

  51. Einstein, Albert: Why Socialism? In: Monthly Review 1/1949

  52. Lenin, W. I.: Staat und Revolution. In: LW 25, S. 435 f.

  53. Zetkin, Clara: Richtlinien für die kommunistische Frauenbewegung. In: Schriften zur proletarischen Frauenbewegung, Wien 1979, S. 69

  54. ebd., S. 70

  55. Rosner, Jakob: Der Faschismus. Wien 1966, S. 88 f.

  56. zitiert nach: Gossweiler, Kurt: Von Weimar zu Hitler. In Aufsätze zum Faschismus, Köln 1988, Bd. I, S. 334

  57. vgl. Zenker, Tibor: Die Ordnung herrscht in Santiago. In: Trotzdem 4/2002

  58. Kühnl, Reinhard: Faschismustheorien. Reinbek bei Hamburg 1979, S. 255

  59. Allende, Salvador: Rede vor dem Plenum der XXVII. UNO-Vollversammlung. In: Chile – Volkskampf gegen Reaktion und Imperialismus, Berlin 1973, S. 201 f.

  60. Corvalán, Luis: Lehren aus dem Wahlsieg. In: Freiheit für Chile!, Frankfurt/Main 1973, S. 77

  61. Lenin, W. I.: Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa. In: Ausgewählte Werke in zwei Bänden, Moskau 1946, Bd. I, S. 751

  62. Dimitroff, Georgi: Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus. In: Ausgewählte Werke, Frankfurt am Main 1972, Bd. 1, S. 107

  63. Sarodow, K. I.: Der gegenwärtige Faschismus und die Realität seiner Gefahr. In: Kühnl, Reinhard (Hg.): Texte zur Faschismusdiskussion 1. Reinbek 1974, S. 202

  64. Zenker, Tibor: Stamokap heute. Wien 2006, 2. Auflage, S. 202

  65. Zenker, Tibor: Stamokap heute. Wien 2006, 2. Auflage, S. 118

  66. Lenin, W. I.: Staat und Revolution. In: LW 25, S. 423

  67. Sarodow, K. I.: Der gegenwärtige Faschismus und die Realität seiner Gefahr. In: Kühnl, Reinhard (Hg.): Texte zur Faschismusdiskussion 1. Reinbek 1974, S. 192

  68. Sarodow, K. I.: Der gegenwärtige Faschismus und die Realität seiner Gefahr. In: Kühnl, Reinhard (Hg.): Texte zur Faschismusdiskussion 1. Reinbek 1974, S. 192 f.

  69. ebd., S. 193

  70. Gossweiler, Kurt: Faschismus, Imperialismus und Kleinbürgertum. In: Aufsätze zum Faschismus, Köln 1988, Bd. I, S. 355 f.

  71. Gossweiler, Kurt: Faschismus, Imperialismus und Kleinbürgertum. In: Aufsätze zum Faschismus, Köln 1988, Bd. I, S. 350

  72. „Wer ist schon makellos?“ – Gespräch mit Andreas Khol. In: Die Presse, 5.3.2005

  73. Gossweiler, Kurt: Faschistische Bewegungen und faschistische Diktatur in Österreich. In: Aufsätze zum Faschismus, Köln 1988, Bd. II, S. 671

  74. Die Erölförderung auf eigenem Territorium erreichte bereits Ende der sechziger Jahre mit gerade einmal rund 250.000 t/a ihren Maximalwert. Mit späteren jährlichen Fördermengen unter 100.000 t blieb diese Quelle bedeutungslos. Vgl. R. Karlsch: Der Traum von Öl – zu den Hintergründen der Erdölsuche in der DDR, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 80 (1993) 1, S. 63-87

  75. „In manchen Dingen hatte die DDR-Wirtschaft und ihre Chemiebranche schlichtweg ‚Pech’. […] Daß bei gleichen geologischen Formationen wohl in der Bundesrepublik, nicht aber in der DDR Erdöl vorhanden war, kann nur als Zufall zu werten sein; ebenso wie der Umstand, daß die DDR bei ihrer Erdölsuche im befreundeten Irak [ab 1974 – A.R.] trotz bester Voraussetzungen nicht fündig wurde und die Suche abbrechen mußte.“ H. G. Schröter: Handlungspfadverengung bis zur „Selbstzerstörung“? Oder: Warum die chemische Industrie der DDR im Vergleich zu der Bundesrepublik zwischen 1945 und 1990 so hoffnungslos veraltete, in: L. Baar/D. Petzina (Hrsg.): Deutsch-deutsche Wirtschaft 1945 bis 1990. Strukturveränderungen, Innovationen und regionaler Wandel. Ein Vergleich (St. Katharinen 1999), S. 304-325, S. 325

  76. K. Strzodka: Probleme der Rohstoffversorgung der Volkswirtschaft der DDR unter besonderer Berücksichtigung der eigenen Lagerstättenressourcen, in: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR. Mathematik–Naturwissenschaften–Technik (Berlin 1979) 7/N, S. 5-28, S. 21

  77. W. Retschke/E. Hildebrandt: Braunkohle, wichtiger Energieträger in Gegenwart und Zukunft, in: Energietechnik 33 (1983) 4, S. 123-126, S. 124

  78. Mit „Kosten“

  79. W. Riesner: DDR und Bundesrepublik im energiewirtschaftlichem Vergleich, in: Energiewirtschaftliche Tagesfragen 40 (1990) 4, S. 198-205, S. 200

  80. H. Kraft et al.: Hauptrichtungen der rationellen Energieanwendung bei der Gewinnung von Rohbraunkohle, in: Neue Bergbautechnik 19 (1989) 7, S. 241-246, S. 241

  81. J. Roesler et al.: Produktionswachstum und Effektivität in Industriezweigen der DDR 1950-1970 (Berlin 1983), S. 214

  82. K. Strzodka: Zusammenfassung der Diskussion, in: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR. Mathematik–Naturwissenschaften–Technik (Berlin 1979) 7/N, S. 34-37, S. 35

  83. W. Riesner: DDR und Bundesrepublik im energiewirtschaftlichem Vergleich, a. a. O., S. 200

  84. K. Strzodka: Probleme der Rohstoffversorgung […], a. a. O., S. 25

  85. Ebenda, S. 15

  86. G. Schramm/W. Hahn: Möglichkeiten zur Verbesserung des Wirkungsgrades bei der Rekonstruktion von Braunkohlekraftwerken in der DDR, in: Wissenschaftliche Zeitung der Technischen Universität Dresden 33 (1984) 4, S. 71-76, S. 75

  87. L. Mez et al.: Die Energiesituation in der vormaligen DDR. Darstellung, Kritik und Perspektiven der Elektrizitätsversorgung (Berlin 1991), S. 87

  88. H.-G. Weidlich: Zur Wechselbeziehung Kohlekraftwerk und Umwelt, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Technischen Universität Dresden 33 (1984) 4, S. 77-79, S. 79

  89. Statistische Jahrbücher der DDR, versch. Jahrgänge

  90. H.-H. Hertle/F.-O. Gilles: Struktur, Entwicklung und Probleme der chemischen Industrie in der DDR. Ein Rückblick. Gespräch mit Dr. Friedrich Götz, ehem. Stellvertreter des Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission für die Grundstoffindustrie, in: Berliner Arbeitshefte und Berichte zur sozialwissenschaftlichen Forschung, Nr. 81 (Berlin 1993), S. 10

  91. D. Graichen: Die Entwicklung der Erdölverarbeitung und der Petrolchemie in der DDR, in: Chemie in der Schule 26 (1979) 10, S. 401-408

  92. Referat des Genossen W. Ulbricht, in: Protokoll der Verhandlungen des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom 10. bis 16. Juli 1958 in der Werner-Seelenbinder-Halle zu Berlin (Berlin 1959), S. 22-177, S. 68-69

  93. Chemie gibt Brot – Wohlstand – Schönheit. Chemiekonferenz des ZK der SED und der Staatlichen Plankommission in Leuna am 3. und 4. November 1958. Hrsg. vom ZK der SED  (Berlin 1959)

  94. Die offizielle Grundsteinlegung erfolgte im November 1960, die Dauerinbetriebnahme schließlich am 01. Juni 1964 mit einem Jahresdurchsatz von zunächst 2 Mill. t Erdöl. Mit Aufnahme des Dauerbetriebs in der Anlage der zweiten Ausbaustufe im September 1965 erhöhte sich der mögliche Jahresdurchsatz auf etwa 4 Mill. t. Vgl. S. Unger/K. Gerstenberger: Das Erdölverarbeitungswerk Schwedt, Aufbauschwerpunkt der chemischen Industrie der DDR, in: Die Technik 18 (1963) 11, S. 716-720

  95. Im Dezember 1958 erfolgte auf der X. Tagung des RGW in Warschau der Beschluß zum Bau jener Pipeline, die die Erdölfelder Baschkiriens mit den Erdölverarbeitungszentren Polens (Plock), der DDR (Schwedt), Ungarns (Szazhalombatta) und der CSSR (Hrdlo) verband. Für den größten Streckenabschnitt lieferte die Sowjetunion die Projektunterlagen und die Rohre. Als die Regierung der BRD auf Bertreiben der USA durch ein Röhrenembargo den Bau zu vereiteln versuchte, produzierte das Rohrwerk Bitterfeld aus sowjetischem Stahlblech die Rohre für den 1000 km langen Abschnitt Schwedt-Mosyr. Trotz Röhrenembargos konnte die Pipeline nach fünfjähriger Bauzeit 1964 termingerecht in Betrieb genommen werden.

  96. Zit. nach R. Karlsch: „Wie Phönix aus der Asche?“ Rekonstruktion und Strukturwandel in der chemischen Industrie in beiden deutschen Staaten bis Mitte der sechziger Jahre, in: L. Baar/D. Petzina (Hrsg.): Deutsch-deutsche Wirtschaft 1945 bis 1990. Strukturveränderungen, Innovationen und regionaler Wandel. Ein Vergleich (St. Katharinen 1999), S. 262-303, S. 296-297

  97. Siehe Anlage 1: Schreiben W. Ulbrichts an N. S. Chruschtschow vom 4. August 1961

  98. Brief W. Ulbrichts an N. S. Chruschtschow vom 19. Januar 1961, in: H. Mehringer (Hrsg.): Von der SBZ zur DDR. Studien zum Herrschaftssystem in der Sowjetischen Besatzungszone und in der Deutschen Demokratischen Republik (München 1995), S. 242-254, S. 252

  99. R. Karlsch/R. G. Stokes: „Faktor Öl“. Die Mineralölwirtschaft in Deutschland 1859-1974 (München 2003), S. 338

  100. Ebenda, S. 337

  101. Mohammed Ahmed Ben Bella, Präsident und Premierminister der Demokratischen Volksstaatlichen Republik Algeriens

  102. Zit. nach D. Kosthorst: „Sie sind ein Opfer unserer Propaganda.“ Die letzten Gespräche Ulbrichts mit Chruschtschow 1964 in Moskau – Eine Dokumentation, in: Deutschland-Archiv 29 (1996) 6, S. 872-887, S. 880

  103. Ebenda

  104. Staatliche Plankommission der UdSSR

  105. Ebenda, S. 884-885

  106. Ebenda, S. 881

  107. Ebenda, S. 885

  108. R. Karlsch/R. G. Stokes: „Faktor Öl“. […], a. a. O., S. 338

  109. Ebenda

  110. H. Winter: Die außenwirtschaftlichen Aktivitäten der DDR innerhalb des RGW zur Sicherung der Energie- und Rohstoffversorgung, in: G. Gutmann (Hrsg.): Das Wirtschaftssystem der DDR. Wirtschaftspolitische Gestaltungsprobleme (Stuttgart/New York 1983), S. 383-403, S. 387

  111. o. V.: Die chemische Industrie in der DDR. Renaissance einheimischer Rohstoffe durch Beschränkungen der Erdölimporte?, in: DIW-Wochenbericht 47 (1980) 47, S. 485-490, S. 487

  112. Geschichte der SED. Abriß (Berlin 1978), S. 626

  113. G. Brendel/E. Faude: Wesenszüge und Entwicklungstendenzen des RGW-Preisbildungssystems, in: Wirtschaftswissenschaft 21 (1973) 9, S. 1283-1297, S. 1285

  114. 1950 betrug der Rohölpreis 1950 1,75 $ (pro Barrel) und lag bis 1970 unter 2 $. Doch schon zu Beginn der siebziger Jahre, also vor der ersten Ölkrise, begann ein Preisanstieg. Innerhalb von zwei Jahren zog er um 27 Prozent an. Als dann ein Teil der in der OPEC vereinigten Staaten mit einem Öllieferboykott und Preiserhöhungen in den im Oktober 1973 begonnen Yom-Kippur-Krieg eingriff, stieg der Spotpreis bis Mitte 1974 auf das Dreifache des Vorjahres, womit er fast siebenmal so hoch lag wie 1970. Dieses Preisniveau blieb bis zum zweiten „Ölschock“, dem Anstieg vom Herbst 1979 (Sturzes des Schah-Regimes und Wegfalls des Iran als Öllieferant) erhalten, der den Ölpreis erneut verdreifachte.

  115. G. Gräbig et al.: Ware-Geld-Beziehungen in der sozialistischen ökonomischen Integration (Berlin 1975), S. 79

  116. J. Bethkenhagen: Die Zusammenarbeit der RGW-Länder auf dem Energiesektor, in: Osteuropa-Wirtschaft 22 (1977) 2, S. 63-80, S. 68

  117. A. K. Fischer: Kohle, Erdgas, Erdöl in der Sowjetunion 1965-1985, in: Osteuropa-Wirtschaft 27 (1982) 2, S. 83-92

  118. S. Baufeldt: Die Primärenergieversorgung der RGW-Staaten in den achtziger Jahren, in: Osteuropa-Wirtschaft 26 (1981) 4, S. 253-275, S. 262

  119. o. V.: Erdöl und Erdgas im RGW-Intrablockhandel, in: DIW-Wochenberichte 50 (1983) 51-52, S. 625-632, S. 630

  120. Anlage 2: Schreiben L. I. Breschnews an E. Honecker vom 31. August 1981

  121. o. V.: Erdöl und Erdgas im RGW-Intrablockhandel, a. a. O., S. 627; A. K. Fischer: Sowjetische Erdölwirtschaft in schwerer Krise, in: Osteuropa-Wirtschaft 26 (1991) 2, S.106-117, S. 114

  122. Siehe Anlage 3: Schreiben E. Honeckers an L. I. Breschnew vom 4. September 1981

  123. Gespräch mit Dr. Günter Mittag vom 10.12.1993, in: T. Pirker et al.: Der Plan als Befehl und Fiktion. Wirtschaftsführung in der DDR. Gespräche und Analysen (Opladen 1995), S. 19-31, S. 26

  124. H.-H. Hertle/F.-O. Gilles: Struktur, Entwicklung und Probleme […],a. a. O., S. 14

  125. H. G. Schröter: Ölkrisen und Reaktionen in der chemischen Industrie beider deutscher Staaten. Ein Beitrag zur Erklärung wirtschaftlicher Leistungsdifferenzen, in: J. Bähr/D. Petzina (Hrsg.): Innovationsverhalten und Entscheidungsstrukturen. Vergleichende Studien zur wirtschaftlichen Entwicklung im geteilten Deutschland 1945-1990 (Berlin 1996), S. 109-138, S. 123

  126. J. Roesler: Wirtschaftspolitik der DDR – Autarkie versus internationale Arbeitsteilung, in: Dresdener Beiträge zur Geschichte der Technikwissenschaften, Nr. 25 (1998), S. 2-14, S. 10

  127. H. Effenberger: Grundlagen- und angewandte Forschung auf dem Gebiet der Verbrennung von Rohbraunkohle, in: Energietechnik 36 (1986) 5, S. 185-190, S. 185

  128. E. Honecker: Die nächsten Aufgaben der Partei bei der weiteren Durchführung der Beschlüsse des IX. Parteitages der SED (Berlin 1980), S. 34ff.; Direktive des X. Parteitages der SED zum Fünfjahrplan für die Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR in den Jahren 1981 bis 1985, in: Protokoll der Verhandlungen des X. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands im Palast der Republik in Berlin 11. bis 16. April 1981, Bd. 2 (Berlin 1981), S. 243-309, S. 261-267

  129. H.-H. Hertle/F.-O. Gilles: Struktur, Entwicklung und Probleme […],a. a. O., S. 11

  130. H. G. Schröter: Ölkrisen und Reaktionen […], a. a. O., S. 115

  131. M. Weisheimer/J. Matthies: Zur ökonomischen Effektivität von Energieeinsparungen, in: Wirtschaftswissenschaft 35 (1987) 12, S. 1794-1809, S. 1798

  132. A. Bönisch/W. Heinrichs: Langfristige Sicherung der Energie- und Rohstoffbedarfs – ein lösbares globales Problem, in: Wirtschaftswissenschaft 35 (1987) 5, S. 641-661, S. 653

  133. Veröffentlicht in: H. Mehringer (Hrsg.): Von der SBZ zur DDR. Studien zum Herrschaftssystem in der Sowjetischen Besatzungszone und in der Deutschen Demokratischen Republik (München 1995), S. 254-268

  134. Veröffentlicht unter: www.chronik-der-mauer.de/index.php/chronik/1981

  135. Veröffentlicht unter: www.chronik-der-mauer.de/index.php/chronik/1981

  136. „Theorie und Praxis“, Ausgabe 7, Dezember 2006; Kontakt: J. Magel, Scharnhorststr. 18, 30175 Hannover