Zeitschrift für Sozialismus und Frieden 08/09

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Der BRD-Imperialismus nach 1989

Von territorialer zu hegemonialer Expansion

Von Eva Niemeyer


Inhalt


Redaktionsnotiz

Mit der Einverleibung der DDR ist es dem deutschen Imperialismus endgültig gelungen, die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges, das Potsdamer Abkommen, zu revidieren.

Territorial gestärkt meldet er seitdem immer deutlicher seine Ansprüche nach "Gleichbehandlung" und "Normalität" an, heißt: Er möchte wieder gleichermaßen und ungehindert an den Beutezügen in der Welt teilnehmen.

Von der Öffentlichkeit weithin unbemerkt und unbehelligt dringt er dabei auch in jene Regionen vor, die bisher der Konkurrenz, insbesondere dem US-Imperialismus, "gehörten", gerne hinter der unschuldigen Fassade des "ehrlichen Maklers".

Die hier zusammengestellten Texte geben einen Einblick in diese neue alte Strategie des deutschen Imperialismus, des wieder "jungen Räubers", wie Lenin ihn nannte, als Zuspätgekommener die bereits aufgeteilte Welt wieder neu aufzuteilen.

Kommunisten haben die Aufgabe, ihm dabei die unschuldige Maske herunter zu reißen und nicht auf seine Schlichen hereinzufallen, insbesondere auch hinsichtlich der Fokussierung auf die imperialistische Konkurrenz:

Wir bekämpfen hierzulande nicht die USA, nicht Frankreich, nicht Russland und schon gar nicht China. Wir kämpfen für den Sozialismus, deshalb bekämpfen wir den Kapitalismus. Der Hauptfeind steht im eigenen Land und heißt BRD-Imperialismus.

Eva Niemeyer, Essen; Redaktion offen-siv, Hannover

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Deutschland auf dem Weg zur kriegsfähigen Weltmacht

Wenn wir heute über Imperialismus reden, müssen wir nicht nur Lenins Imperia-lismustheorie in Betracht ziehen, sondern diese gründlich studieren, verstehen und entsprechend anwenden. Ich bin dabei der Auffassung, dass diese Theorie nicht nur völlig ausreicht, um die heutige Weltlage zu verstehen, d.h. dass es keinerlei Zusatz-konstrukte bedarf, um "neue Entwicklungen" zu erklären, sondern dass sie auch absolut notwendig ist, um das, was sich derzeit vor unseren Augen in der Welt abspielt, begreifen zu können. Es handelt sich also um eine "notwendige und hin-reichende" Theorie zum Verständnis und zur Handlungsorientierung in der heutigen Welt.

Ich möchte mich im folgenden auf einen bestimmten Aspekt von Lenins Imperialis-mustheorie beschränken, nämlich den der territorialen "Aufteilung der Welt" unter den imperialistischen Großmächten, die Ende des 19. Jahrhunderts abgeschlossen war. Die innerimperialistische Konkurrenz und ungleichmäßige Entwicklung er-zwingt dabei nach Lenin eine regelmäßige Neuaufteilung der Welt – zumal es nach der erfolgreichen Konterrevolution in den sozialistischen Ländern wieder etwas aufzuteilen gibt (!); dieser Zwang zur Neuaufteilung aufgrund veränderter Kräfte-verhältnisse bedeutet immer Terrainverlust für das in der Entwicklung zurück gebliebene Land und kann daher unter Imperialisten nicht anders als gewaltsam erfolgen:

"Die Kapitalisten teilen die Welt nicht etwa aus besonderer Bosheit unter sich auf, sondern weil die erreichte Stufe der Konzentration sie zwingt, diesen Weg zu beschreiten, um Profit zu erzielen; dabei wird die Teilung 'nach dem Kapital', 'nach der Macht' vorgenommen – eine andere Methode der Teilung kann es im System der Warenproduktion und des Kapitalismus nicht geben. Die Macht aber wechselt mit der ökonomischen und politischen Entwicklung ..." (Lenin, Werke Bd. 22, S. 257)

"Das Finanzkapital und die Trusts schwächen die Unterschiede im Tempo des Wachstums der verschiedenen Teile der Weltwirtschaft nicht ab, sondern verstärken sie. Sobald sich aber die Kräfteverhältnisse geändert haben, wie können dann unter dem Kapitalismus die Gegensätze anders ausgetragen werden als durch Gewalt?" (ebd., S. 278)

"Der Kampf der Weltimperialismen verschärft sich. ... Bei der Teilung d(ies)er 'Beute' fällt ein außerordentlich großer Bissen Ländern zu, die nach dem Entwicklungstempo der Produktivkräfte nicht immer an der Spitze stehen ... Es fragt sich, welches andere Mittel konnte es auf dem Boden des Kapitalismus geben außer dem Krieg, um das Missverhältnis zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und der Akkumulation des Kapitals einerseits und der Verteilung der Kolonien und der 'Einflußsphären' des Finanzkapitals anderseits zu beseitigen" (ebd., S. 279-80)

Diese drei Zitate aus Lenins Imperialismustheorie mögen genügen, um die heutigen Widersprüche zwischen den imperialistischen Hauptzentren hinreichend zu verstehen und zu begreifen, dass und warum diese auf einen weiteren Weltkrieg zusteuern – oder, um mit Brecht zu sprechen, zusteuern müssen .

Wir werden uns im folgenden insbesondere mit dem deutschen Imperialismus bzw. mit der maßgeblich von deutschen Interessen geprägten EU befassen, um die Kon-kurrenzsituation mit der USA angemessen erfassen zu können.

Zunächst lässt sich feststellen, dass mit dem Irak-Krieg zum ersten Mal nach der Konterrevolution die Widersprüche zwischen den USA und den maßgeblichen EU-Protagonisten Deutschland und Frankreich offen aufgebrochen sind. Zu unter-schiedlich waren die Interessen, insbesondere die ökonomischen und geostrate-gischen, als dass man hätte den "Großen Bruder" ein weiteres Mal unwidersprochen agieren lassen. Es sei in diesem Zusammenhang nur auf die "Geberkonferenz" im Oktober 2003 in Madrid hingewiesen, auf der die Beiträge nur äußerst zögerlich flossen. Besonders krass stellte sich der Beitrag Deutschlands dar: Hatte dieser im ersten Golfkrieg noch ca. 5 Mrd. US$ betragen , so waren es aus den verschiedensten direkten und indirekten Quellen dieses Mal kaum mehr als 100 Millionen €! Die Sammelbüchse der EU erbrachte in Madrid gerade einmal € 200 Mio., d.h. ebenso viel, wie von Südkorea allein gestiftet wurde (FTD, 24.10.2003).

Wenden wir uns also dem deutschen Imperialismus zu, der den dritten Anlauf zur Erringung der Weltherrschaft unternimmt und dabei auf ein umfangreiches, historisch entwickeltes Arsenal an Kampfmethoden zurückgreifen kann und dies auch wieder zunehmend offen tut. Deutschland ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von 1,8 Bio. US$ die drittgrößte Ökonomie in der Welt. Im August 2003 schlug sie das Export-volumen der USA um mehr als 7% und wurde mit einem Exportanteil am Weltmarkt in Höhe von 10,5% wieder Exportweltmeister. (Übrigens gelang dies Deutschland zum ersten Mal im Jahre 1937!!). 2004 gelang eine weitere Erhöhung um 10% und damit das elfte Jahr in Folge ein neuer Rekord, diesmal i.H.v. 733,5 Mrd.

Diese Zahlen werden nicht nur mit großem Triumph in der deutschen groß-bürgerlichen Presse wiederholt, sie entfachen auch ein neues Selbstbewusstsein unserer Bourgeoisie, wie es unter anderem im wiederholten Vergleich zwischen ökonomischen Schlüsselzahlen (BIP, pro-Kopf-Einkommen, Handelsbilanz, Ver-schuldung etc.) der USA und der EU bzw. Deutschlands zum Ausdruck kommt. "Auf Augenhöhe" (vgl. u.a. FTD vom 24.3.2003) heißt die selbstbewusste Schluss-folgerung, und nicht ohne Häme wird der "Nachruf" von Chiracs ehemaligem Berater Emmanuel Todd auf die Weltmacht USA fleißigst zitiert. Die Notwendigkeit einer "multilateralen" Welt wird beschworen, konkret ist von einer "Friedensachse" Paris – Berlin – Moskau die Rede, die der kriegerischen USA entgegen zu setzen sei.

Während die liberalen Blätter noch von einer "alternativen" Weltmacht EU faseln (die sich angeblich auf die im "alten Europa" gewachsenen Werte des Humanismus, des sozialen Friedens und anderer Werte berufen könne, die den USA so ganz und gar abgehen), geht es in den etwas konservativeren Kreisen der deutschen Bourgeoisie seit der Konterrevolution deutlich offen zur Sache. Hören wir hierzu einige Schlüsselzitate aus berufenen Mündern:

Die Deutsche Bank orakelte bereits in ihrem "Osteuropa-Special" im Jahre 1990: "Gleichzeitig dürften ... Gewichtsverschiebungen im tripolaren System der Welt-wirtschaft eine unausweichliche Folge der Öffnung Osteuropas sein. Europa gewinnt mit neuer Gestaltungskraft und Wachstumsdynamik an Statur. Es wird damit vom Juniorpartner zum echten Partner und potenten Konkurrenten der USA. Die Vereinigten Staaten müssen sich jetzt im internationalen politischen und militärischen Geflecht neu positionieren." (Herv. A.S.)

Lenins Zitat vom notwendigen Kampf um die Neuaufteilung der Welt zur Anpassung an sich verändernde Kräfteverhältnisse ist dem Autor sicherlich unbekannt. Die unverhohlene Kampfansage an den imperialistischen "Partner" ist allerdings genau das, was Lenin prophezeit: "Sobald sich aber die Kräfteverhältnisse geändert haben, wie können dann unter dem Kapitalismus die Gegensätze anders ausgetragen werden als durch Gewalt?"

Im Jahre 1993 sekundiert der damalige Außenminister Kinkel: "... nach Außen gilt es etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind: Im Einklang mit unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden, die unseren Wünschen und unserem Potential entspricht ... Wir sind auf Grund unserer Mittellage, unserer Größe und unserer traditionellen Beziehungen zu Mittel- und Osteuropa dazu prädestiniert, den Hauptvorteil aus der Rückkehr dieser Staaten nach Europa zu ziehen. Dies gilt nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die Stellung der deutschen Sprache und Kultur in Europa" (FAZ, 19.3.1993)

Am deutschen Wesen soll die Welt genesen ...

Der ökonomische Kampfplatz

In den vergangenen zehn Jahren konnte Deutschland tatsächlich ökonomisch "den Hauptvorteil" aus der Konterrevolution in Osteuropa ziehen. Hierzu einige Daten und Fakten:

Deutschland wickelt heute mit den zehn neuen Beitrittsländern 40% des mit allen EU-Staaten unterhaltenen Handelsvolumens ab, was 50% des Bruttoinlandsprodukts dieser Länder entspricht. Der Anteil der osteuropäischen Länder an Deutschlands Gesamtexport beträgt 12%, das sind beinahe so viel wie nach Frankreich und mehr als in die USA (FTD, 13.11.2002).

Mehr als 25% aller Direktinvestitionen (= Kapitalexport) in Osteuropa stammen von deutschen Monopolen, Deutschland ist der unbestritten größte Auslandsinvestor in der Tschechischen Republik und Russlands wichtigster Handelspartner mit einem jährlichen Handelsvolumen von derzeit 25 Mrd. €. Ein kurzer Blick auf die einzelnen Branchen:

Im Bankenbereich beherrscht die Dresdner-Allianz 11% des osteuropäischen Marktes ausländischer Banken (SZ vom 9.10.2002). Rechnet man die Anteile der Deutschen Bank, die "in nahezu allen Ländern Osteuropas ... unter den Auslandsbanken in vorderster Reihe (steht)" , der Commerzbank, die in allen GUS-Staaten vertreten ist und Beteiligungen in Budapest, Prag und Warschau unterhält, sowie der DG-Bank hinzu, die über Österreichs Bankverbindungen nach Osteuropa, in diesem Fall über einen 25%-Anteil an der Österreichischen Volksbanken AG, die Märkte in der Slowa-kei, Tschechien, Slowenien und Ungarn erschließt, kann man durchaus von einer marktbeherrschenden Stellung deutscher Banken in Osteuropa sprechen – auch wenn mit der derzeitigen Übernahme der HypoVereinsbank durch die italienische Uni-credito eine nicht unerhebliche Stütze deutsch-österreichischer Bankenmacht in Ost-europa verloren ging.

Auf dem Energiesektor zeigt sich ein ähnliches Bild: So beherrscht RWE den tschechischen Gasmarkt und hat mit der Übernahme von Transgas (97%) zugleich die Kontrolle über die Haupttransitpipeline für nach Westeuropa eingeführtes russisches Gas übernommen. Des weiteren beherrscht RWE 22% des slowakischen Strom-markts, mit einem 85%-Anteil an STOEN maßgeblich den polnischen Energiemarkt (die Übernahme des Herzstücks der polnischen Energieindustrie hatte im Sejm zu heftigen Tumulten geführt) und mit 56% am ungarischen Stromversorger ÉMÁSZ den dortigen Strommarkt (vgl. KAZ Nr. 303, 2003, S. 39).

e.on beliefert in Ungarn 45% der Stromkunden, besitzt in der Slowakei einen Marktanteil/Strom in Höhe von 37% und besitzt ebenfalls Anteile am Gas-unternehmen Lietuvos Dujos in Litauen, dem das gesamte Erdgas-Leitungsnetz Litauens gehört. Über die Ruhrgas hält e.on einen inzwischen 6,5%-Anteil am größten Energiekonzern in Europa, der russischen Gazprom, außerdem 49% am slowakischen Gaskonzern SPP, der Nummer 2 nach Gazprom, 16,3% am ungarischen Gasunternehmen FÖGAZ, 16,3% an DDGÁZ (ebenfalls ungarische Gasgesellschaft), 17,2% an der lettischen Latvijas Gaze, 38,71% an der estischen As Eesti Gaas und 50% an der polnischen IRB. Im Juni 2002 übernahm e.on schließlich 49% am größten slowakischen Stromversorger Zapadovslovenska mit einem Marktanteil von 37% (vgl. ebd.). Sollte die Übernahme des spanischen Energiekonzerns Endesa gelingen – gegen den Willen der spanischen Regierung und mit Rückendeckung der EU-Kommission, katapultiert sich das Monopol an die Weltspitze der Energiekonzerne.

Mit der Wasserkraftgesellschaft European Hydro Power, im Juli 2001 gemeinsam gegründet von der e.on Wasserkraft GmbH und der Austrian Hydro Power AG (Österreichische Elektrizitätswirtschafts-AG), rangiert das Unternehmen mit 200 Wasserkraftwerken an dritter Stelle in Europa und ist damit auch in diesem zentralen Energiesektor führend.

Unter Dach und Fach ist jetzt auch der Bau einer alternativen Gaspipeline von Russland durch die Ostsee, die die bisherige durch die Ukraine und Polen, über die derzeit 80% des russischen Gas nach Westeuropa transportiert werden, ersetzen soll. Hauptbeteiligte Handelspartner sind die e.on-Tochter Ruhrgas und die BASF-Tochter Wintershall. Das ist insofern strategisch bedeutsam, als Deutschland knapp ein Drittel seiner Öl- und Gaslieferungen aus Russland bezieht. Die Achse Moskau – Berlin – Paris stützt sich auf diese Verbindung (Energie aus Russland, Waffenbrüderschaft mit Frankreich – so lässt sich der "unilateralen" Weltmacht USA  trotzen).

Nachdem Russland gegenüber der Ukraine, Armenien und Moldawien in puncto Gaspreise seine Muskeln spielen ließ, versucht der deutsche Imperialismus zunehmend, Russland mit zahlreichen Abkommen strategisch einzubinden und dessen "Demokratiedefizite" zu bewältigen. Angedacht ist dabei auch ein Assoziierungs-abkommen Russlands mit der EU, die Russland in den Europäischen Wirtschaftsraum einbinden soll. Parallel engagiert sich Deutschland an diversen alternativen Pipelines über den Balkan, um sowohl an kaspisches Öl wie auch an iranisches Erdgas heran zu kommen. Wichtiges strategisches Instrument ist dabei der im Oktober 2005 abge-schlossene EU Energiepakt für Südosteuropa ("Energiegemeinschaft" aus 25 EU-Ländern und neun Balkanländern, die nicht in der EU sind), wonach die südost-europäischen Länder ihre Energiemärkte zu öffnen, sprich: imperialistischen Mono-polen zum Ausverkauf feilbieten sollen und sich EU-Standards unterwerfen.

Der Telekommunikationsmarkt wird wiederum weitgehend von der Deutsche Tele-kom beherrscht, die über maßgebliche bzw. Mehrheitsbeteiligungen an den tsche-chischen, slowakischen, ungarischen, polnischen, mazedonischen, kroatischen und slowenischen Telefongesellschaften verfügt (vgl. Liedtke, ebd., S. 174/175; FTD, 2.4.2004). Schließlich hat die deutsche Presse insbesondere mit dem WAZ-Konzern, der Passauer Neue Presse und Bertelsmann eine marktbeherrschende Stellung in der osteuropäischen Medienlandschaft: Dem WAZ-Konzern gehören 70% der kroatischen Zeitungen und 75% der bulgarischen, die Passauer Neue Presse besitzt 90% aller Printmedien im westlichen Tschechien (incl. Prag), Bertelsmann gehört Ungarns auflagenstärkste Zeitung (Nepszabadság) und einer der beiden großen Vollprogramm-Sender (RTL Klub). Zusammen mit Springer, Bauer und Burda kam Bertelsmann im Jahre 2000 in Polen auf einen Marktanteil von 38% (vgl. KAZ, ebd., S.39-40).

Aber auch der Balkan boomt: Deutschland ist wichtigster Handelspartner von Serbien und Montenegro, wo sich ein neuer Kooperationsrat um Investitionsförderung und den Ausbau des Handels kümmern soll. Außerdem sorgte Schröder für Hermes-Kredite zur Unterstützung von Siemens bei der Erneuerung eines Wasserkraftwerks, und die deutsche und die serbische Bahn arbeiten ebenfalls zusammen (FTD, 31.10./1./2.11.2003).

Die bisher genannten Daten betreffen lediglich den ökonomischen "Hauptvorteil" in Osteuropa. Insgesamt haben sich die ausländischen Direktinvestitionen Deutschlands zwischen 1980 und 2000 verzehnfacht und betragen derzeit eine knappe halbe Billion US$ (442 Mrd. US$; vgl. jungeWelt, 22.10.2003). Interessanterweise sind es gerade die von der USA gebrandmarkten "Schurkenstaaten", mit denen der deutsche Handel (wie im übrigen auch der EU-Handel allgemein) floriert! So konnte man im ver-gangenen Jahr (2004) im bundesdeutschen Fernsehen einen strahlenden Kanzler sehen, als über die blühenden Wirtschaftsbeziehungen zwischen Saudiarabien und Deutschland berichtet wurde: Das Handelsvolumen habe sich nämlich nach dem 11. September 2001 um 14% erhöht! Auf wessen Kosten, ist klar: Die US-Saudi-Beziehungen sind merklich abgekühlt, saudische Einlagen in Milliardenhöhe wurden aus den USA abgezogen, die USA verlagerte ihrerseits den militärischen Brückenkopf im Nahen Osten von Saudiarabien nach Katar.

China ist ein weiteres Land, mit dem der deutsche Handel boomt: Wie nach dem Chinabesuch des Kanzlers im Oktober 2003 berichtet wurde, sind die Exporte nach China im ersten Halbjahr 2003 um 50% gestiegen, in der Automobilindustrie sogar um 100%, womit China für den VW-Konzern zum wichtigsten Auslandsmarkt geworden ist. Iran, ein weiterer "Schurke", betrachtet Deutschland als seinen wichtigsten Handelspartner. Das Land erhält von deutschen Monopolen wie Thyssen KruppStahl (TKS), Siemens und MAN wichtige Ausrüstungen in der Fahrzeug-industrie und im Maschinenbau. Der Iran verfügt immerhin über 16-18% der welt-weiten Gasreserven und ist daher als Energielieferant neben seiner geostrategischen Bedeutung wichtig. Die EU-Außenminister de Villepin, Fischer und Straw hatten ganz zum Ärger der USA einen recht freundlichen Vertrag mit dem Iran zum Umgang mit atomwaffenfähigem Material und diesbezüglichen IAEA-Inspektionen ausgehandelt, der aufgrund eines fehlenden "Sanktionsmechanismus" die USA deutlich auf die Palme brachte (vgl. FTD, 21.10.2003). Bis heute sucht das euro-päische Trio in seiner Strategie im Hinblick auf Irans Nuklearprojekt Eigenständigkeit gegenüber den USA zu bewahren, auch wenn es selbstverständlich ebenso wenig ein Interesse daran hat, dass der Iran in die privilegierte Gemeinschaft der Atom-waffenbesitzer aufsteigt.

Der militärische Kampfplatz

Es ist sonnenklar, dass ökonomische Ambitionen und hegemoniale Stellungen auch militärisch abgesichert werden müssen. Gerade der Jugoslawienkrieg hatte den Euro-päern und insbesondere Deutschland, das mit der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens bewusst den Stein um die Neuaufteilung des Balkan ins Rollen brachte, schmerzlich vor Augen geführt, was der Mangel an eigenständigen Interventions-armeen zur Folge hat. Joschka Fischer im Jahre 1999:

"Der Konflikt im Kosovo führt uns in diesen Tagen dramatisch vor Augen, wie dringend und unverzichtbar die Stärkung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität für das Europa der Zukunft sein wird. Nur wenn es den Europäern gelingt, auch auf diesem Gebiet ihre Kräfte zu bündeln und eigenständig handlungsfähig zu werden, wird Europa seine Werte und Interessen im 21. Jahrhundert in vollen Umfang zur Geltung bringen können. Deshalb muss und wird ESVI [Europäische Sicherheits- und Verteidigungsinitiative] Bestandteil des politischen Subjekts Europa werden, dessen Verwirklichung ... die zentrale Gestaltungsaufgabe für Europa ist. Wir Europäer müssen in der Lage sein, Krisen, die uns unmittelbar betreffen, auch dann gemeinsam zu bewältigen, wenn unsere transatlantischen Partner sich nicht daran beteiligen. Europa braucht dazu glaubwürdige, eigenständige Fähigkeiten für ein einheitliches Krisenmanagement."

Es folgte der Vertrag von Nizza im Jahre 2000 zur Schaffung einer Interven-tionsarmee von 60.000 Mann, ausgerüstet mit 400 Schiffen, mobilisierbar in 60 Tagen und ein Jahr lang einsatzfähig. Es folgte mit Gründung der EADS ein erster Schritt zur Integration der europäischen Rüstungsindustrie (ich komme darauf zurück), es folgte der Entwurf und einer EU-Verfassung, in der die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik verbindlichen Charakter hat (Art. I-15) und in den Durch-führungsbestimmungen ein europäisches Amt für Rüstung, Forschung und Bedarfs-ermittlung bzw. –deckung für die Absicherung "humanitärer Missionen" vorgesehen ist (Art. I-40).

Und so konnte die Financial Times Deutschland bereits am 13.10.2003 stolz titeln: "EU steht vor erstem großem Militäreinsatz", bevor sie im Herbst 2004 die damals 12.000 Mann starke Sfor-Mission, davon 1.800 deutsche Soldaten, in Bosnien übernahm. Man hatte in diesem Zusammenhang beim zuvorigen NATO-Treffen der Verteidigungsminister in Colorado Springs die Bedenken der USA ausräumen können, dass dadurch das NATO-Bündnis in Frage gestellt würde (ebenso wenig wie durch die eigenständige EU-Planungseinheit im NATO-Hauptquartier im belgischen Mons).

Deutschland unterhält außerdem nach den USA eines der größten Kontingente in Afghanistan und beherrscht inzwischen den strategisch wichtigen Nordosten des Landes. Bei der ersten militärischen EU-"Koalition der Willigen", der von Frankreich geführten Operation Artemis in der Demokratischen Republik Kongo 2004, durften deutsche Soldaten auch dabei sein. Und im April 2005 beschloss der Bundestag die Entsendung von 75 Soldaten in den Südsudan als "Beitrag" zur "robusten" UN-Mission UNMIS. Hier ging es angeblich um die Absicherung des Friedensvertrags zwischen der Regierung in Khartum und der südsudanesischen Volksbefreiung SPLM, tatsächlich aber um den Zugang zum erdölreichen Süden, von wo deutsche Firmen (Thormählen, Siemens, ThyssenKrupp, Strabag) eine Bahnlinie samt Pipeline bauen, damit das Öl in Richtung Indischer Ozean abfließen kann (möglichst ohne Zugriff der sudanesischen Regierung). Einer Gewinnerwartung von ca. acht Milliar-den US-Dollar stehen hier vergleichsweise geringe Kosten von 1,3 Milliarden Euro für den Bundeswehreinsatz gegenüber (die ohnehin von der Bevölkerung aufzu-bringen sind) .

Die Marschrichtung ist also klar: Deutschland rüstet sich allein und mit der EU zur konkurrierenden Weltmacht – selbstverständlich auf Kosten der wirtschaftlich weniger potenten Mitglieder! So wehren sich insbesondere die kleineren Länder gegen jene Verfassungsbestandteile, die ihren Einfluss erheblich vermindern: eine Reduzierung der Kommission auf 15 statt 25 stimmberechtigte Kommissare, Mehrheitsentscheidungen auf der Basis von 50% der Staaten und 60% der EU-Gesamtbevölkerung. Es ist kein Zufall, dass ein großer Teil dieser Länder sich unter die Fittiche des transatlantischen großen Bruders USA begibt, um sich dem absorbierenden Einfluss der EU-Großen zu entziehen und wohl auch ein gewisses Erpressungspotential zu gewinnen. Schließlich basiert der Konvententwurf maßgeb-lich auf den Vorschlägen Deutschlands und Frankreichs vom 22.11.2002. Es ist entsprechend kein Zufall, dass in Art. I-40, Abs. 6 der Kerneuropa-Gedanke aus-drückliche Form angenommen hat. Dort heißt es: "Mitgliedsstaaten, die anspruchs-vollere Kriterien in bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen und die im Hinblick auf Missionen mit höchsten Anforderungen untereinander festere Verpflich-tungen eingegangen sind ..., begründen eine strukturierte Zusammenarbeit im Rahmen der Union." Uns es sind konsequenterweise auch nur diese Mitglieder, die über den "Gegenstand der strukturierten Zusammenarbeit" abstimmen können sollen (Art. III-213 Abs. 1 und 3) .

Schließlich ist es auch kein Zufall, dass die Gründung von EADS eine maßgeblich deutsch-französische Angelegenheit war, vorangetrieben von der DaimlerChrysler Luft- und Raumfahrttochter DASA unter Ausschluss der British Aerospace, nachdem diese kurz zuvor mit GEC Marconi fusioniert hatte (sehr zum Ärger von Daimler/DASA). Des weiteren hat die BAe inzwischen ihren 25%-Anteil am Raumfahrtunternehmen Astrium verkauft, das nun zu 100% EADS gehört. Dennoch ist BAe an allen wichtigen Rüstungsprojekten mit Kapitalanteilen beteiligt, die dem jeweiligen Abnahmeumfang des Projekts entsprechen (Eurofighter, Transporter A400M, Meteor-Raketen etc.), hält 37,5% an MBDA, einer EADS-Gesellschaft für Lenkflugkörpersysteme, und 20% an Airbus .

EADS hat inzwischen im Bereich der zivilen Luftfahrt mit Airbus den US-Konkurrenten Boeing McDonnell Douglas ausgehebelt, wie seit 2003 die deutschen Bürgerblätter immer wieder stolz berichteten. Auch im militärischen Sektor ist der Konzern in allen Schlüsselbereichen – Fighter (Eurofighter sowie die französische Rafale über die Beteiligung an Dassault Aviation), Transportmaschinen (A400M), Tankflugzeuge, LFK (45 Lenkflugkörpersysteme, u.a. die Luft-Luft-Rakete Meteor), Kampfhubschrauber (Tiger, NH90) etc. – mit seinen US-amerikanischen Gegen-spielern konkurrenzfähig und hat 2004 mit dem 19-Mrd.€-Auftrag der britischen Royal Airforce zum Bau von 20 Luftbetankungsfleugzeugen dem Rivalen Boeing ein strategisch äußerst wichtiges Geschäft vor der Nase weggeschnappt (FTD, 23./24./25.1.2004). Fehlt noch die Entwicklung eines eigenständigen Satelliten-Kommunikationssystems, das mit "Galileo" auf den Weg gebracht wird: Dieses soll mit 30 Satelliten bis 2008 als ein vom amerikanischen GPS unabhängiges Lokalisierungssystem fertiggestellt werden. Interessanterweise beteiligt sich China mit 200 Millionen € an diesem Projekt (im übrigen genau dieselbe Summe, die die EU auf der "Geber"konferenz in Madrid Ende Oktober 2003 für den Wiederaufbau des Irak aufzubringen bereit war).

Im Bereich der Kriegstechnik hat auch die deutsche Marine kräftig zugelegt und kann mit zwei aufsehenerregenden Neuentwicklungen nun auch zu Wasser beim Kampf um Einflussgebiete weltweit dabei sein: So verfügt die Fregatte der sogenannten "Sachsen"-Klasse (F-124) über das Modernste an Bewaffnung und elektronischer Ausstattung, was derzeit auf dem Markt zu haben ist, nämlich zwei Radarsysteme, von denen das eine den Luftraum im Umkreis von 600 Kilometern kontrollieren kann und das andere 12.000 Einzelradars auf vier Platten koordinieren, von denen jede gleichzeitig vier Luftziele mit je 2 Raketen beschießen kann (d.h. 16 Ziele mit 32 Raketen zum selben Zeitpunkt). Die andere Wunderwaffe ist ein U-Boot der Klasse 212A und heißt "U 31": Der amagnetische Stahl und sein Antrieb mittels Brennzelle (Verbrennung von Wasser- und Sauerstoff) macht es lautlos und unsichtbar. Es kann damit 15 Tage lang außenluftunabhängig unter Wasser bleiben (vgl. FAZ, 4.4.2004: "Andere Feinde, andere Aufgaben. Die Marine wird schlagkräftig. Moderne Fregatten und unauffindbare U-Boote eröffnen ihr neue operative Möglichkeiten").

2004 wurde mit TKMS (Thyssen-Krupp Marine Systems) und aktiver Unterstützung der Bundesregierung das "EADS der Meere" (FAZ vom 1.12.2004) geschaffen: Es war der Zusammenschluss von HDW, Blohm+Voss und den Nordseewerken, wobei der Einstieg von Thales in Form einer HWD-Übernahme mittels Einspruch von Bundeskanzler und Verteidigungsminister in Paris unterbunden wurde. Somit konnte ein rein deutscher Militärkonzern geschmiedet werden.

Dass es in einem nicht-"reindeutschen" Konzern zu Konflikten kommt, zeigen die Rangeleien um die "paritätische" Besetzung der Vorstandsposten, die sich im Sommer 2005 im EADS-Trust abspielten. Sie sind ein weiterer Beleg dafür, dass die deutsch-französische Konkurrenz bei aller Allianznotwendigkeit gegen die USA ungebrochen bleibt. Das war im übrigen auch spürbar bei der Aufspaltung des französischen Konzerns Alstom, bei der Bundeskanzler Schröder für Siemens die Filetstücke ein-heimsen wollte und dabei am Widerstand des damaligen französischen Wirtschafts-ministers (heute Innenminister) Sarkozy scheiterte; oder die Übernahme des ehemaligen deutsch-französischen Konzerns Aventis durch das kleinere französische Unternehmen Sanofi, womit der deutsche Einfluss, der noch über den damaligen in Aventis aufgegangenen Hoechst-Konzern bestanden hatte, vollends aus dem neuen Konzern verbannt wurde.

Deutschland spielt – wie auch die Bundesregierung offenherzig kundtut – eine Schlüsselrolle im militärischen Aufbau der EU . Auch das ist kaum ein Zufall, hat es doch bereits im Jahr 1991 mit dem "Fürstenfeldbrucker Symposium" eine weichen-stellende Versammlung gegeben, an der sich neben den Veranstaltern (Bundeswehr und Arbeitgeberverband) hochrangige Generäle, Firmenmanager, der damalige Verteidigungsminister Rupert Scholz und die Clausewitz-Gesellschaft (600 Offiziere a.D. und Politiker) beteiligten: Hauptthemen waren:

- die Wiederherstellung von Deutschlands "Normalität" und eine Rolle als "Partner in Leadership" mit den USA

- Militäreinsätze außerhalb deutscher Grenzen

- Auslandseinsätze der Bundeswehr, möglichst ohne Verfassungsänderung

- Bildung eines europäischen Sicherheitsrats

- Gründung eigener Eingreiftruppen

- Einsätze zur Durchsetzung des "Selbstbestimmungsrechts" von Minderheiten und "unterdrückten" Völkern

- Identifizierung von Gefährdungspotentialen: Verweigerung von Rohstoffzufuhr, Immigrationswellen etc.

- Umstrukturierung der Bundeswehr, Sicherung der Einsatzfähigkeit entlang einer 4.000 Kilometer langen EU-Außengrenze

- neues Geschichtsbild mit Betonung auf "Nation und Vaterland" statt Auschwitz und Holocaust

All diese "Themen" haben zwischenzeitlich erheblich Gestalt angenommen, u.a. mit der Formulierung der Verteidigungspolitischen Richtlinien im Jahre 1992 und der 2003 aktualisierten Fassung, die explizit die Beschränkung auf Landesverteidigung aufhebt ("Verteidigung deutscher Interessen am Hindukusch").

Im Zusammenhang mit den militärischen (Un-)fähigkeiten der EU, die gerne auch von bürgerlichen Blättern immer wieder beklagt wird (natürlich um die Not-wendigkeit verstärkter Rüstungsausgaben in die Köpfe der Leser zu hämmern), wird gerne der Vergleich mit dem Rüstungshaushalt der USA herangezogen, dessen Um-fang alle Länder der EU zusammen genommen nicht einmal bzw. höchstens zu 50% erreichen. Leider wird dieses oberflächliche Argument bis in weite Teile der – sich auch als marxistisch-leninistisch verstehenden Linken! – immer wieder gerne und gedankenlos nachgeplappert. Vergessen dabei wird vor allem, dass die USA horrende Summen allein zur Unterhaltung ihrer (offiziell!) 4.000 Stützpunkte in der Welt bereitzustellen hat. Sicherlich kann man diese Stützpunkte als gewichtigen Macht- und Einflussfaktor betrachten. Eben dieser zeigt aber gerade derzeit im Irak (und durchaus in den maßgeblich derart "gestützten" Ländern wie Südkorea, Philippinen, Indonesien etc.) seine unübersehbaren Grenzen. Außerdem hat pikanterweise eine Studie der ZAS (Zentrale für Analysen der Streitkräfte, ein Think-Tank der Bundes-wehr mit Sitz in Waldbröhl) im Zusammenhang mit der Formulierung der neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien festgestellt, dass es durchaus möglich sei, den technologischen Rückstand zu den USA durch "Überspringen einer Waffen-generation" aufzuholen ... (vgl. jungeWelt, 10.3.2003)

In diesem Zusammenhang vielleicht auch ein historischer Vergleich: Nach der Machtübertragung an Hitler hatte sich sicherlich kein Land der Welt vorstellen können, dass Deutschland innerhalb von sechs Jahren weltkriegsfähig werden würde. Dessen ungeachtet haben wir nach wie vor die Dynamik der innerimperialistischen Widersprüche als das bestimmende Moment und schließlich auch als das kriegs-auslösende zu verstehen. Wir wissen schließlich, dass Imperialisten normalerweise nicht sorgsam die Waffen abzählen, bevor sie einen Krieg beginnen ...

Kontinuität der Kampfmethoden: Deutsche Volks-gruppenpolitik

Last not least bedient sich der deutsche Imperialismus eines altbewährten Rezepts, um deutsche Interessen überall in der Welt geltend zu machen und angemessen zu "verteidigen": der Strategie der "5. Kolonne" bzw. der Volksgruppenpolitik. Dank des durch Blut und Boden definierten Volksbegriffs, den Deutschland bis heute u.a. mit seinem Staatsbürgerschaftsrecht pflegt, entdeckt auch das Nachkriegs-Deutschland über seine Vertriebenen-Verbände und den VDA (Verband des Deutschtums im Ausland), die ganz in der Tradition des kolonialistischen Alldeutschen Verbands im Kaiserreich stehen, überall in der Welt – und natürlich vor allem in Osteuropa und auf dem Balkan – deutsche Minderheiten, deren "völkische" Interessen es zu schützen gilt.

Nach der sogenannten "Wiedervereinigung" legt Deutschland hier nochmals einen Zahn zu und schließt mit Polen, Ungarn, Rumänien, der Tschechischen und Slowakischen Republik sowie mit Russland sogenannte Nachbarschafts- bzw. Freundschafts­verträge ab, die die Anerkennung ethnischer Minderheiten deutscher Abstammung plus (!) sogenannter "Bekenntnisdeutscher" , d.h. all jener, die sich zur deutschen Sprache, Kultur oder Tradition bekennen, vorsehen. Der 1991 mit Polen geschlossene deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag enthält z.B. einen Forderungs-katalog mit folgenden Punkten: Deutsch als Muttersprache in Schulen mit deutscher Bevölkerung; Gleichberechtigung bei der Ämterbesetzung (d.h. ethnische Quo-tierung!), "angemessene" Medienvertretung deutscher Minderheiten, "Heimatrecht" als kollektives Gruppenrecht. Auf diesem Weg lässt sich ein ganzer Staat sukzessive eindeutschen – oder man muss ihn überfallen, weil die deutschen Landsleute um Hilfe rufen.

Aber nicht nur die deutschen Minderheiten gilt es weltweit zu "schützen", sondern alle völkischen Minderheiten, die irgendwo auf diesem Planeten in Not geraten. Das zumindest sieht ein im Referentenentwurf vorliegendes eigenes "Völkerstraf-gesetzbuch" vor, in dem Deutschland alle dort bezeichneten Verbrechen verfolgen darf, auch wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinerlei Bezug zum Inland aufweist. Es geht darum, "zweifelsfrei sicher (zu) stellen, dass (Deutschland) stets in der Lage ist, in die Zuständigkeit des Internationalen Strafegerichtshofes fallende Verbrechen selbst zu verfolgen" (Referentenentwurf zum "Völkerstrafgesetzbuch", S. 26). Mit diesem extraterritorialen Gesetz, das das staatliche und entsprechend im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs verankerte Souveränitäts-prinzip, wonach jeder Staat uneingeschränkte Strafgewalt nur auf seinem eigenen Territorium hat, aushebelt, verschafft sich Deutschland die juristische Grundlage, auch ohne Abstimmung mit bzw. in internationalen Gremien weltweit nach Gut-dünken zu intervenieren und zu "bestrafen".

Ein Vorgeschmack auf diese Politik gab bereits die kriegerische Durchsetzung des "Selbstbestimmungsrechts" der albanischen Volksgruppe im Kosovo 1998, gefolgt von der Intervention in Mazedonien, wo Deutschland an vorderster Front die Durchsetzung von rund 30 Verfassungsänderungen zugunsten der albanischen Volksgruppe "überwachte" (soweit zum eigentlichen Sinn der Mission "Essential Harvest").

Schließlich geht es darum, nicht nur die "Folgen des Zweiten, sondern auch um die Folgen des Ersten Weltkrieges im Lichte des Selbstbestimmungsprinzips zu bewältigen" (Rupert Scholz, ehemaliger Verteidigungsminister und Staatsrechtler, "Das Festhalten an ungewollten Staaten schafft keine Stabilität" in: Die Welt, 12.12.1991). Und in diese Korrektur der Kriegsergebnisse reiht sich auch das Buhlen um die nach der EU-Osterweiterung zur "EU-Exklave"(!) mutierte Region Kaliningrad, das ehemalige Ostpreußen, das über ein ganzes Arsenal von politischen und wirtschaftlichen Initiativen wieder die Angliederung an das "Reich" finden soll. Mit der Einführung von Visa-Pflichten für russische Staatsbürger, die wirtschaftliche Abspaltung, u.a. der Stromversorgung, von der russischen Föderation beginnt die systematische Entfremdung vom russischen Staat. Die vor dem zweitgrößten russischen Ostseehafen liegende baltische Flotte kann faktisch ohne EU-Aufsicht nicht mehr versorgt werden, der Handel wird durch übliche EU-Auflagen reglementiert. Im Gegenzug wird der nach wie vor zollfreie Status Kaliningrads als Sonderwirtschaftszone genutzt, um "Lohnveredelung" zu betreiben bzw., d.h. dort mit billigen Löhnen (25% unter dem russischen Durchschnitt!) fertigen zu lassen, um anschließend zollfrei zu exportieren. Dieses Verfahren nutzt z.B. seit 1999 BMW mit dem Vertragspartner Avtotor. Direktbeteiligungen an der Kaliningrader Industrie (v)erhandelt die Bundesregierung seit 2000 über Swap-Geschäfte zur "Ent-schuldung" Russlands gegenüber Deutschland.

Wir sehen also, dass Deutschland auf der ganzen Klaviatur historisch bewährter Kampfmethoden zu spielen versteht, um seine imperialistischen Hegemonial-interessen durchzusetzen und abzusichern. Das Vorantreiben des EU-Einigungs-prozesses – politisch, ökonomisch, militärisch – hat dabei unter deutschen Vorzeichen zu geschehen, ansonsten wird recht unverhohlen mit dem deutschen "Sonderweg" gedroht. Und dieser "Sonderweg" könnte beispielsweise ein Bündnis mit Russland bedeuten, der einzigen Atommacht, die den USA auch in dieser Waffengattung das Wasser reichen kann. Anlässlich der 6. deutsch-russischen Regierungskonsultation am 9.10.2003 in Jekatarinburg (Swerdlowsk!) wurden nicht nur 15 weitere Wirtschaftsvereinbarungen in Höhe von über einer Milliarde € abgeschlossen, sondern auch ein deutsch-russisches Abkommen für den Truppen-Transit deutscher Soldaten nach Afghanistan. Damit wurde zum ersten Mal einem NATO-Mitglied russischer Boden für militärische Zwecke zur Verfügung gestellt – und zum ersten Mal deutschen Truppen seit dem Zweiten Weltkrieg, freiwillig diesmal ... (vgl. UZ, 17.10.2003)

Wir dürfen davon ausgehen, dass sich die aufgezeigten Widersprüche in Zukunft noch verschärfen werden und schließlich auch zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den imperialistischen Hauptmächten führen.

Wie Brecht sagt: Die Kapitalisten wollen keinen Krieg. Sie müssen ihn wollen!

Die militärische Option der EU unter deutsch-französischer Führung

Mit EADS wirtschaftlich konkurrenz- und militärisch weltkriegsfähig werden

Seit mehr als einem Jahrzehnt tobt der Kampf zwischen den imperialistischen Rivalen wieder offen - ohne Behinderung durch das auferlegte Zweckbündnis gegen das "sozialistische Lager", das die ökonomischen Verlierer des Zweiten Weltkriegs und insbesondere Deutschland (als zusätzlich politischen und militärischen Verlierer) so viel "Souveränität" und Zugeständnisse an den Großen Bruder USA gekostet hat.

Jugoslawien (Bosnien, Kosovo, Mazedonien), Afghanistan, Irak ... heißen die Kriegsschauplätze, auf denen sich die Kräfteverhältnisse zwischen den Imperialisten sortieren und neu formieren. Aber auch "Kyoto" (Abkommen zum Klimaschutz), "Internationaler Strafgerichtshof", Biowaffenkonvention, Abkommen über Land-minen, Stahlzölle, Subventionspolitik in der zivilen Luftfahrt und im Agrarsektor etc., um nur einige Felder zu nennen, in denen sich Europa und die USA zunehmend uneinig werden.

"Der Kampf der Weltimperialismen verschärft sich. Es wächst der Tribut, den das Finanzkapital von den besonders einträglichen kolonialen und überseeischen Unter-nehmungen erhebt. Bei der Teilung dieser 'Beute' fällt ein außerordentlich großer Bissen Ländern zu, die nach dem Entwicklungstempo der Produktivkräfte nicht immer an der Spitze stehen ... Es fragt sich, welches andere Mittel konnte es auf dem Boden des Kapitalismus geben außer dem Krieg, um das Mißverhältnis zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und der Akkumulation des Kapitals einerseits und der Verteilung der Kolonien und der 'Einflußsphären' des Finanzkapitals anderseits zu beseitigen?"

Dies schrieb Lenin mitten im Ersten Weltkrieg, als Deutschland, das in den vorigen Jahrzehnten wirtschaftlich enorm gegenüber England und Frankreich aufgeholt hatte und immer noch mit minimalen Kolonien auskommen mußte, einem seiner Wirtschaftskraft angemessenen Platz an der Sonne forderte – sprich: ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen, damals noch durch unmittelbaren territorialen Besitz abhängiger Länder (Kolonien), heute mittels ökonomischer, militärischer und politischer Abhängigkeit der unterdrückten Staaten und zunehmend wieder durch größtmögliche Beteiligung an strategischen Protektoraten wie Mazedonien, Kosovo und Afghanistan .

Und fällt nicht heutzutage gerade den USA "ein außerordentlich großer Bissen" zu, das nach dem Entwicklungstempo seiner Produktivkräfte nicht mehr (unangefochten) an der Spitze steht? Ein Land mit einem steigenden Handels- und Zahlungs-bilanzdefizit, einer schwächelnden Währung, einer Exportrate, die mit 11,8% Anteil am Weltexport 'mal gerade um 1% den Exportanteil Deutschlands übertrifft , und dessen Anteil am weltweiten Sozialprodukt von 45% nach dem Zweiten Weltkrieg auf heute 27% gefallen ist?

Wie immer man auch die ökonomische, politische und militärische Stärke der USA im Verhältnis zu der Europas bzw. einzelner anderer imperialistischer Länder einschätzen mag – unzweifelhaft ist, daß die EU trotz aller inneren Widersprüche den Weg zu einem ernsthaften Rivalen beschreitet mit einer bereits heute schon annähernd gleichen Wirtschaftskraft (20% des Welthandels) und dem – wie immer durch Rückschläge begleiteten - Bestreben, eine gemeinsame Währung (Euro) zu schaffen, eine gemeinsame Außenpolitik, eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungs-politik (ESVP) und gemeinsame Trusts wie etwa EADS ( d.h. Zusammenschlüsse in der Rüstungsindustrie in Anbindung an zwischennationale (multilaterale) Ab-kommen). Letzterer sei im Bereich Luft- und Raumfahrt etwas eingehender betrachtet. [Wir legen ja in diesem Artikel den Schwerpunkt auf den BÜNDNIS-ASPEKT - weniger auf die Widersprüche und Streitigkeiten, um dem Argument zu begegnen, Europa sei viel zu zerstritten, um den USA ernsthaft Paroli zu bieten.]

Berlin-Paris rüstet gegen die USA – politisch, ökonomisch, militärisch

Wir wollen in diesem Zusammenhang einen genaueren Blick auf die militärische Verflechtung Europas werfen, da hier der "Nachholbedarf" der europäischen Imperia-listen insbesondere in den vergangenen Interventionskriegen (Jugoslawien, Afghanis-tan) am schmerzlichsten empfunden wurde. Mit dem EU-Gipfel in Nizza im Dezember 2000 wurde die Schaffung einer eigenen 60.000 Mann starken Inter-ventionsarmee beschlossen, die mit 400 Flugzeugen und 100 Schiffen ausgerüstet werden soll, die innerhalb 60 Tagen mobilisiert werden kann, bis zu einem Jahr ohne Ablösung operieren und ihre Kräfte unabhängig (d.h. unabhängig von der NATO) in großer Entfernung ihrer Grenzen einsetzen kann. Chirac brachte es in Nizza auf den Punkt: "Falls Europa aus eigenen Gründen zu intervenieren wünscht, wo die USA nicht involviert sein möchte, hat es die Mittel dazu zu haben." Und damit der Erzrivale USA, der natürlich offiziell immer noch als "Partner" gilt, nicht allzu sehr aufgeschreckt wird: "Die Idee ist nicht eine Schwächung, sondern die Stärkung der NATO. Sie [die Interventionsarmee] muß mit der NATO koordiniert werden, aber sie muß auch unabhängig sein." Hier wird in typischer Diplomatensprache der europäische Herrschaftsanspruch ganz unverhohlen zum Ausdruck gebracht.

Zum wichtigsten Ausrüster der Euroarmee sowie zur Produktion und Bestückung weiterer europäischer "Gemeinschaftsprojekte" avancierte dabei der Luftfahrtkonzern EADS, ursprünglich als Zusammenschluß europäischer Luftfahrtunternehmen unter Einbeziehung der British Aerospace (BAe) geplant. BAe blieb zunächst draußen, beteiligt sich aber an wichtigen Schlüsselprojekten, wie im folgenden noch deutlich wird.

Das Unternehmen in seiner derzeitigen Verfaßtheit ist in erster Linie ein deutsch-französisches Unternehmen (hinter der auf deutscher Seite der DaimlerChrysler-Konzern - über die DaimlerChrysler Luft- und Raumfahrt Holding und DaimlerChrysler Aerospace (DASA) – steht und auf französischer Seite ein Gemeinschaftsunternehmen aus einer Staatsholding, dem Rüstungskonzern Lagardère, derBank BNP-Paribas und dem Axa Versicherungskonzern). In all seinen Sparten – zivile Luftfahrt (Airbus), militärische Luftfahrt (A400M, Eurocopter etc.), Raketen/Marsch­flugkörper (Meteor), System- und Verteidigungselektronik einschl. Telekommuni­kation (EADS Telecom) sowie Satellitentechnik und Raumfahrt (Ariane, Galileo etc.) – fordert es seine wichtigsten Rivalen Boeing McDonnell Douglas, Lockheed Martin und Raytheon, die großen US-Rüstungskonzerne im Bereich Luft- und Raumfahrt, heraus.

"In diesem Jahr wird nach den vorliegenden Prognosen Airbus erstmals mehr Flugzeuge produzieren als Boeing", schreibt die Financial Times Deutschland in einem Artikel mit dem bezeichnenden Titel "Boeings Geschäftsprognose sackt erneut in die Tiefe" vom 31.1.2003. Boeing wurde vor allem vom Einbruch in der zivilen Luftfahrt nach dem 11. September 2002 und wegen seiner "starke(n) Abhängigkeit vom US-Markt" gebeutelt und mußte im Jahre 2002 einen Umsatzrückgang von insgesamt 7% hinnehmen (EADS dagegen gleichbleibend). Dabei entfallen 20% der Umsätze auf den Rüstungssektor, den man bis 2010 auf 30% ausbauen will - dies bei anvisierten Gesamtsteigerungs­raten im Konzern von  jährlich über 25%!

Der Gesamtumsatz von EADS liegt mit rund 30 Mrd. Euro zwar noch deutlich unter der von Boeing mit 49 Mrd. US-Dollar – allerdings mit relativ steigender Tendenz.

Die ersten Übernahmen konnte EADS bereits im ersten Geschäftsjahr verzeichnen: Man kaufte die britische Cogent, die finnische Patria, die polnische PZL-Okecje und die australische AAI (Australian Aerospace Industry). Insgesamt ist EADS zum führenden Luft- und Raumfahrt/Rüstungskonzern in Europa aufgestiegen und zum zweitgrößten weltweit!

Die Zugpferde im europäischen Rüstungsprogramm und –geschäft

Militärtransportflugzeug Airbus A400M

"EADS ist Weltmarktführer in den Marktsegmenten leichte und mittlere militärische Transportflugzeuge. Mit dem schweren Transportflugzeug A400M erwartet EADS, eine breitere Palette taktischer militäri­scher Transportflugzeuge anbieten zu können und einen Markt mit hohem Ersatzpotenzial zu erobern, der bisher von Lockheed Martin beherrscht wurde.“ ... "Neben dem schnellen, flexiblen Transport von Militärstreitkräften zwischen Kontinenten soll dieses neue Flugzeug den neuen geopolitischen Erfordernissen, insbesondere der zunehmenden Anzahl von humanitären und friedenserhaltenden Missionen, Rechnung tragen." Zu deutsch: Der A400M ermöglicht es auch technisch, unabhängig von USA und NATO größere Interventionseinheiten rund um den Globus zu befördern. Damit wird das Fehlen von Flugzeugträgern elegant kompensiert.

Im Dezember 2001 beschlossen acht europäische Länder, vom eigens zur Entwicklung, Herstellung und Lieferung des A400M gegründeten Unternehmen Airbus Military SAS 196 Stück abzunehmen, davonFrankreich 50 und Deutschland 73 Stück (derzeit mit einer Kürzung auf 60 Bestellungen immer noch der größte Abnehmer!). Das gesamte Auftragsvolumen beträgt 18 Mrd. US-Dollar und ist damit mit Abstand das größte Militärprojekt von EADS (vgl. FTD, 31.1.2003).

Die Entwicklung des Transportflugzeuges geht einher mit der eines strategischen Tankflugzeuges auf der Basis des A 400, was wiederum der Aggressionsfähigkeit Europas in der Welt ganz neue Möglichkeiten eröffnet. EADS beschreibt den Weg einer konkurrenzfähigen Alternative zu Tankflugzeugen von Boeing als Möglichkeit, Europas Projekte selbständig durchzuführen. Die ersten potenziellen Kunden sollen Großbritannien, Deutschland und Italien sein.

Durchbruch bei Militärhubschraubern

Während EADS noch um seinen Platz in der Reihe der Kampfjethersteller kämpfen muß, ist Eurocopter mit 57% der führende Hersteller von zivilen Hubschraubern und besitzt einen Anteil von 25% am Exportmarkt von Militärhubschraubern. "Das Management geht davon aus, daß die Umsätze von Eurocopter im europäischen Markt für Militärhubschrauber aufgrund des großen Auftragsbestands für den Kampfhubschrauber Tiger und den militärischen Transporthubschrauber NH90 bei verschiedenen europäischen Regierungen und aufgrund der festgestellten Nachfrage in Exportmärkten erheblich zunehmen werden.“ EADS bezeichnet den Hub-schrauber "Tiger“ selbst als Angriffshubschrauber, und die Bundeswehr ist gerade dabei, global einsetzbare Angriffs- und Invasionstruppen zu schaffen (mit den Divisionen "Division spezielle Operationen“, Division luftbewegliche Operationen). Entsprechend heißt es im Artikel "Umbau für den Angriff" aus der jungeWelt vom 10.12.2002: "Die zwischen 2003 und 2006 für die Bundeswehr vorgesehenen Mittel von 24,4 Milliarden Euro jährlich sowie die 1,15 Milliarden Euro 'für die Terrorbekämpfung' sollen in den nächsten Jahren in erster Linie die Fähigkeit zu weltweiten Militäreinsätzen ausbauen."

Der NH90 ist ein Mehrzweckhubschrauber für den taktischen Transport und die Marine. Er wurde von den Gesellschaftern der NATO Helicopter Industries (NHI) – Eurocopter, Agusta (Italien) und Fokker Services (Niederlande) – im direkten Verhältnis zur zugesagten Beschaffungsmenge der beteiligten Länder – Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande – entwickelt und finanziert.  Als weitere Abnehmer erweisen sich Portugal, Finnland, Schweden und Norwegen.

Bereits 1987 starteten die französische und die deutsche Regierung das Programm zur Entwicklung des Kampfhubschraubers Tiger, dessen beide Varianten aus Panzer-abwehr- und Schutzhubschraubern bestehen. Frankreich hat 215 Stück bestellt und Deutschland 212, außerdem hat das Modell unter 22 Vorschlägen bei einer Ausschreibung des australischen Verteidigungsministeriums im Jahre 2001 das Rennen gemacht.

Eurofighter und passende Marschflugkörper

Im Jahre 2002 begann man mit der Auslieferung des Eurofighter, vormals bekannt unter dem Namen Jäger90. Bis zur Regierungsübernahme 1998 sprachen SPD und Grüne noch von dem Projekt als "Milliardengrab" und "sicherheitspolitisch überflüssig" . Die Beschaffung erfolgt heute ohne Abstriche. Sie ist zugleich Garant für bis zu 50 Milliarden Mark Umsatz bei EADS und einen Anteil von geplanten 22% am Weltmarkt.

Noch existieren im westlichen Europa drei Hersteller von Kampfflugzeugen: Dassault Aviation (an der EADS einen Anteil von 45,94% hält!) für die französischen Rafale und Mirage2000; Saab (Partner von BAe Systems, denen 35% von Saab gehört) für die schwedische Gripen - und das Eurofighter-Konsortium, das sich aus EADS, BAe Systems und Alenia Aerospazio des italienischen Rüstungskonzerns Finmeccanica zusammensetzt. Man erkennt in der Kapitalstruktur unschwer die wechselseitige Verflechtung deutsch-französischer Rüstungsprojekte und britischer "Doppel-beteiligung" an diesen sowie eigenständigen Projekten.

Zum Programm des Eurofighter gehört neben der Produktion die Pilotenausbildung und Schulung, die Wartung und Versorgung mit Ersatzteilen. Das Gesamtkonzept hat für die EU–Staaten den unschätzbaren Vorteil, daß die geplante EU–Armee über eine einheitliche Waffenplattform verfügen würde. "Der Eurofighter soll die Effizienz der Einsatzflotten verbessern, indem eine einzige Plattform für den Luftkampf im Über-schallbereich außer Sichtweite, den Luft-Nahkampf im Unterschallbereich, für Missionen wie Abriegelung des Gefechtsfelds, zur Luftnahunterstützung, zur Unter-drüc­kung und Ausschaltung der gegnerischen Luftverteidigung und Einsätze gegen Seeziele verwendet wird. Zu den taktischen Anforderungen an das Flugzeug gehören Allwetter-, Kurzstart- und -landefähigkeiten, hohe Überlebensfähigkeit und große Einsatzwirkung sowie Unabhängigkeit von externen Bodengeräten (Autonomie).“

Die wichtigsten Konkurrenten des Eurofighter sind die russischen Su-27, Su-35 (Sukhoi) und MiG-29 Varianten (VPK MAPO) sowie die F-15 und F/A-18 (Boeing), F-16 (Lockheed Martin), F-2 (Mitsubishi/Lockheed) und F-22 (Boeing/Lockheed). Mit dem F-35 Joint Strike Fighter wurde Lockheed Martin mit der Entwicklung eines "Allround"-Fighters beauftragt, der in drei Varianten allen Waffengattungen (Heer, Marine, Luftwaffe) gleichermaßen zu Verfügung stehen soll. [Es wäre gut, wenn wir diese Fighterkiste militärtechnisch noch ein bißchen aufdröseln könnten: Was bieten die einzelnen Modelle konkret an Drohpotential und technischer Weiterentwicklung?]

Zur angemessenen Bestückung der Fighter gehört die Produktion von Lenkflug-körpern und Abstandswaffen (von der Panzerabwehrlenkrakete über die Laserlenkbombe, die Luft–Luftrakete oder Luft–Bodenrakete bis hin zur Luft-abwehrrakete, abgefeuert vom Land oder vom Schiff, aber auch Boden–Bodenraketen). Gemessen an den im Jahr 2001 erzielten Umsatzerlösen ist die EADS-Tochter MBDA der größte Hersteller taktischer Lenkflugkörpersysteme in Europa und der zweitgrößte weltweit.

Dazu nochmals der Geschäftsbericht: "Das Geschäftsfeld Lenkflugkörpersysteme von EADS verfügt über das weltweit größte und innovativste Angebot an taktischen Lenkflugkörpern, Lösungen für die Luftüberlegenheit sowie land- und schiff-gestützten Systemen. MBDA produziert bzw. betreibt derzeit insgesamt 45 Lenk-flugkörper-, Lenkflugkörpersystem- und Gegen­maßnahmen-Programme. Weitere 30 befinden sich in der Entwicklung oder stellen fortgeschrittene Studien dar. Die Kompetenzen von MBDA umfassen alle wichtigen Untersysteme wie Gefechtsköpfe, Suchköpfe, Antriebseinrichtungen, Annäherungs­zünder und Steuerungssysteme. MBDA vereint die Lenkflugköper-Aktivitäten von EADS in sich und liefert die industrielle Basis für die dringend benötigte Standardisierung der Waffen der wichtigsten europäischen Länder. Durch EADS verfügt das Unternehmen über ein geografisch diversifiziertes Kundenportfolio. EADS hat über ein multinationales Netz aus Tochtergesellschaften direkten Zugang zu den wichtigsten europäischen Märkten für Lenkflugkörpersysteme in Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und Groß-britannien und konnte auch auf den Exportmärkten Fuß fassen.“

Dieses "Fuß fassen" sei beispielhaft illustriert: Die britische Regierung, normalerweise als äußerst euroskeptisch und US-freundlich bekannt, gab am 16. Mai 2000 in einem  parlamentarischen Statement von Verteidigungsminister Geoff Hoon ein Paket im Wert von 5 Mrd. Brit. Pfund zur Ausrüstung des Eurofighter mit MBDA Meteor-Raketen bekannt – all das gegen den Druck des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton und seines Verteidigungsministers William Cohen, die Großbritannien zu überreden versuchten, die Raytheon-Rakete "Amram" zu kaufen.

Das Meteor-Konsortium startete daraufhin eine aggressive Werbekampagne, um die britische Regierung zu überzeugen. Auf einer der "flottesten" Anzeigen war dabei ein Pilot mit folgendem Spruch zu sehen: "Er riskiert sein Leben für die Falklands, Kuwait und den Kosovo. Das letzte, was er braucht, ist eine Gefahr aus Arizona". Zur Erklärung dieser gegen das Prinzip vergleichender Werbung verstoßenden, un-verschämten Unterstellung: Tucson/Arizona ist Raytheons Baustelle für die Amram-Rakete. Ein Eurofighter, der mit in Arizona hergestellten Raytheon-Raketen ausgerüstet ist, wäre im Ernstfall viel unsicherer als ein mit Meteor-Raketen ausgerüsteter Fighter.  Nach dem Motto: "Wer bei der Konkurrenz einkauft, braucht keinen Feind mehr."

Einheitliche und eigenständige Kommunikationssysteme

Von besonderer Bedeutung ist neben der Entwicklung  eigenständiger Waffensysteme deren Standardisierung, insbesondere im Hinblick auf die Schaffung einer europäischen Interventionsarmee. Dabei ist EADS stark bemüht, diesen Prozeß zu beschleunigen  durch die Schaffung  von Gefechtsfeld-Management­systemen, durch militärische Telekommunikations­systeme verschiedenster Art, durch die Einführung eines eigenständigen Satellitenüberwachungs- und –kommunikations­systems namens Galileo - einem direkten Konkurrenten des amerikanischen GPS (Global Positioning System) und anderen, eigenständigen, europäisch-militärischen Lösungen im Hoch-technologie­bereich.

So versucht Europa derzeit, mit einem gemeinsamen Technologie-Beschaffungs-programm weitere "Synergien" zu schaffen, sprich: ihre militärische Schlagkraft durch eine vereinheitlichte technologische Basis zu verbessern. In den Worten des Geschäftsberichts: "Im November 2001 beauftragten Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien, Schweden und Großbritannien Alenia, BAe Systems, Dassault Aviation, EADS und Saab damit, gemeinsam das Europäische Technologie-Erwerbsprogramm (European Technology Acquisition Program, ETAP) einzuleiten. ... Eine einleitende Untersu­chung, deren Ergebnisse im Sommer 2002 verfügbar sein werden, soll die zukünftigen Erfordernisse an Luftkampffähigkeit für die nächsten 20 Jahre be-stimmen. Zu den nächsten Phasen des ETAP zählen das Testen von System-komponenten und komplette Technologiedemonstrationen. Ziel von ETAP ist es, die Effizienz von Forschung und Technologie in ganz Europa zu maximieren, indem die wichtigsten Befähigungs- und Risikoreduzierungstechnologien identifiziert werden. Zu den Forschungsbereichen zählen Avionik, Flugwerke, integrierte Flugzeug-systeme, geringe Beobachtbarkeit, Einsatzleitung und -kontrolle, Waffen und Waffenintegration, Unterstützungssysteme und Antrieb.“

Deutschlands Zugriff auf Interkontinental-Raketen

Scheinbar nur nebenbei erwähnt EADS einen Geschäftsbereich, der Deutschland Zugriff auf Waffensysteme erlaubt, von der es bislang nach internationalen Ab-kommen noch ausgeschlossen ist: Es geht um die Entwicklung, Erprobung, Fertigung und Wartung von ballistischen Interkontinentalraketen, unter anderem dem strate-gischen U-Bootraketensystem M 51 für die französische Marine. Was EADS verschweigt, sind Informationen über die Bestückung der Raketen (konventionell, biologisch, chemisch oder atomar) und deren Reichweiten. Doch auch schon die gemachten Angaben belegen, daß Deutschland über EADS Zugriff auf strategische Raketensysteme hat. Gleichzeitig beteiligen sich Astrium und EADS LV an einer Machbarkeitsstudie für das amerikanische Raketenabwehrschild ("Krieg der Sterne"-Programm). Dabei dürfte hauptsächlich die Absicht eine Rolle spielen, sich den Zugriff auf technologische Entwicklungen zu sichern.

Schließlich erwähnenswert als weiterer Schritt auf dem Weg zur eigenständigen Militärmacht, mit Ambitionen zur Intervention in allen Teilen der Welt, stellen die Aktivitäten im Bereich militärischer Beobachtungssatelliten dar. Dies ist zum einen das Helios Spionagesystem, zum anderen ergänzende Systeme wie Pleiades, die in den nächsten Jahren noch weiter ausgebaut werden dürften.

Die militärischen Projekte der EU machen deutlich, wohin der Hase läuft: Der imperialistische Konkurrent USA soll unter deutsch-französischer Führung mit eigenständigen Rüstungsprojekten in seiner "Übermacht" sowohl wirtschaftlich durch die Eroberung von Marktanteilen im Rüstungsgeschäft als auch militärisch durch Waffensysteme gleichen bzw. möglichst noch höheren technischen Niveaus und unabhängiger Ausrüstung zurückgedrängt werden.

Die amerikanischen Rüstungskonzerne bleiben indes nicht tatenlos und versuchen ihrerseits, in den europäischen Markt einzudringen: So gelang es Lockheed Martin mit Unterstützung der US-Regierung (ein Kreditpaket an Polen, das erst ab 2011 zu tilgen ist!), einen 3,5 Milliarden-Dollar Deal zur Modernisierung von Polens Luft-streitkräften an Land zu ziehen. Die Konkurrenten Dassault und BAe Systems gingen leer aus.   Des weiteren haben kürzlich die italienische Finmeccanica und Boeing die Absicht verkündet, ihre seit 40 Jahren bestehende Kooperation mit gemeinsamen Initiativen bei Flugzeugen, Satelliten, in der Raumfahrt und der Raketenabwehr zu intensivieren. Praktisch im selben Atemzug erklärt Finmeccanica den Verzicht auf eine 5% Direktbeteiligung am Airbus-Konzern, die 10%-Option am Riesenairbus A380 wurde ebenfalls nicht vollständig ausgenutzt. Schließlich wurde der spanische Panzerbauer "Santa Barbara" zum unmißverständlichen Mißfallen der Schröder-Regierung in die USA verkauft. Italien, Spanien, Polen ... sie finden sich in der "Irak-Krise" an der Seite der USA wieder.

Ebenso ist es kein Zufall, daß Deutschlands und Frankreichs Opposition gegen das Vorgehen der USA in der Irak-Frage immer direkter und aggressiver wird. Man denke nur an die diversen deutschen Affronts -  Abwesenheit deutscher Minister auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar 2003 , Erzwingung einer Irak-Debatte (gemeinsam mit Frankreich) im UN-Sicherheitsrat unter dem Vorwand des "Krieges gegen den weltweiten Terror", Weigerung einer NATO-Vorabentscheidung (zusammen mit Frankreich und Belgien) über die Unterstützung der Türkei mit Patriot-Raketen, deutsch-französischer "Friedensplan" etc., mit der sich der deutsche Imperialismus (trotz aller zum Teil gegenteiliger Rhetorik vertritt die CDU/CSU eine ähnliche Haltung in der Kriegsfrage!) überdeutlich positioniert.

Fazit

Jeder Krieg zwischen rivalisierenden Mächten beginnt mit diplomatischen Verwicklungen. Dies ist allerdings nur die Oberfläche, die Form des zugrunde liegenden Konflikts: die Aufteilung der Welt. Und wir wissen seit Lenin:

"Die Kapitalisten teilen die Welt nicht etwa aus besonderer Bosheit unter sich auf, sondern weil die erreichte Stufe der Konzentration sie zwingt, diesen Weg zu be-schreiten, um Profit zu erzielen; dabei wird die Teilung 'nach dem Kapital', 'nach der Macht' vorgenommen – eine andere Methode der Teilung kann es im System der Warenproduktion und des Kapitalismus nicht geben. Die Macht aber wechselt mit der ökonomischen und politischen Entwicklung; um zu begreifen, was vor sich geht, muß man wissen, welche Fragen durch Machtverschiebungen entschieden werden; ob diese Verschiebungen nun 'rein' ökonomischer Natur oder außerökonomischer (z.B. militärischer) Art sind, ist eine nebensächliche Frage ... " Beide Arten hängen ohnehin, wie wir gesehen haben, unweigerlich zusammen.

Lenin hat uns außerdem darauf aufmerksam gemacht, daß Kriege im Zeitalter des Imperialismus (als höchstem Stadium des Kapitalismus) der inneren Notwendigkeit folgen, den Weltmarkt unter den Monopolen und die Erde territorial unter den imperialistischen Ländern immer wieder neu aufzuteilen, weil die Ungleichmäßigkeit in der Entwicklung der Produktivkräfte sowohl zwischen politischen Verbänden (Staaten) als auch zwischen ökonomischen Verbänden (Monopolen) für beständige Konkurrenz sorgt, die letztlich nur kriegerisch ausgetragen werden kann.

"Das Finanzkapital und die Trusts schwächen die Unterschiede im Tempo des Wachstums der verschiedenen Teile der Weltwirtschaft nicht ab, sondern verstärken sie. Sobald sich aber die Kräfteverhältnisse geändert haben, wie können dann unter dem Kapitalismus die Gegensätze anders ausgetragen werden als durch Gewalt?" (Herv. Lenin)

Und damit kommen wir zurück auf unser Eingangszitat:

"Der Kampf der Weltimperialismen verschärft sich. ... Bei der Teilung d(ies)er 'Beute' fällt ein außerordentlich großer Bissen Ländern zu, die nach dem Entwicklungstempo der Produktivkräfte nicht immer an der Spitze stehen ...

Es fragt sich, welches andere Mittel konnte es auf dem Boden des Kapitalismus geben außer dem Krieg, um das Mißverhältnis zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und der Akkumulation des Kapitals einerseits und der Verteilung der Kolonien und der 'Einflußsphären' des Finanzkapitals anderseits zu beseitigen?"

Mit Russland zu neuen Ufern gegen die USA -Deutschlands aktuelle Schlachtordnung auf dem Energiemarkt

Öl und Gas sind die zentralen Energieträger, die "Grundnahrungsmittel" der Industrie und der Haushalte. Sie werden gebraucht für Autos, Heizung und Kühlung; für Kunststoffe, Textilien, Kosmetika, Kunstdünger und Pflanzenschutzmittel (Chemie-industrie); für Flugzeuge, Panzer und Raketen, Schiffe und U-Boote; für industrielle  Roh-, Hilfs- oder Brennstoffe. Kein Wirtschaftszweig, weder die Konsumgüter-industrie noch die Produktionsmittelindustrie, kommt bislang ohne sie aus.

Derart universelle Gebrauchsgüter gehören unter kapitalistischen Eigentumsverhält-nissen zu den heißbegehrtesten Waren, um deren Verfügung seit über 100 Jahren ein erbitterter Kampf rund um den Globus stattfindet. Dabei geht es nicht, wie der Öffentlichkeit weisgemacht wird, um einen Existenzkampf der Staaten um die gesell-schaftlich lebensnotwendige Energie, sondern um die traumhaften Maximalprofite, die die Monopole mit der Förderung, dem Transport und der Weiterverarbeitung von Öl und Gas erzielen. Es geht darum, wer diese Profite macht und wer nicht – bei Strafe des Untergangs. Auch das ganze Gefasel von freier Konkurrenz der Konzerne untereinander können wir getrost vergessen. Wie im Folgenden aufgezeigt wird, sind es nur mehr wenige Energiemonopole, die die Welt unter sich aufteilen bzw. seit den Konterrevolutionen im Osten zu ihren Gunsten neu aufteilen wollen, und es werden ständig weniger. Die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten des Monopolkapitalismus drängen sie, die Konkurrenz mit Hilfe der hinter ihnen stehenden imperialistischen Staaten auszuschalten: durch Übernahmen, durch das Abhängigmachen ganzer Staaten, der Zerschlagung der nationalen Energieindustrie und des Raubes ihres Absatzmarktes (siehe EU-Osterweiterung); durch den Kampf um Einfluss in den die Rohstoffe besitzenden Staaten, um Teile der Bourgeoisie oder Feudalherren dort für sich zu gewinnen und so die Konkurrenz zurückzudrängen mit ökonomischen, politischen und zunehmend wieder militärischen Mitteln. Jeder mögliche Zwist wird dabei ausgenutzt, jede eigenständige Entwicklung der Gesellschaften möglichst verhindert. So entstehen dann die „Krisengebiete“, die es zu befrieden gilt (siehe Afrika, Naher Osten, die ehemaligen Sowjetrepubliken).

Es ist eben jener erbitterte Konkurrenzkampf um Maximalprofite, der hin und wieder zu "Engpässen" führt. Engpässe, die sehr viel zu tun haben mit den Eigentumsrechten, mit den Verteilungskämpfen der Monopole und der imperialistischen Staaten untereinander, keinesfalls aber mit der tatsächlichen Knappheit der Rohstoffe. Denn davon gebe es, so betonen Experten immer wieder, noch reichlich . Solange es aber nicht profitabel ist, sie zu fördern, lassen sie die Monopole unter der Erde liegen und beschwören weiterhin preistreiberisch die Knappheit ...

Als die Russische Förderation der Ukraine im Streit um den Gaspreis kurzerhand den Gashahn zudrehte, ging ein Aufschrei des Entsetzens durch den internationalen und natürlich auch deutschen Blätterwald. Das Thema "Energiesicherheit" erschien in einer Weise auf der Tagesordnung, als müsse man sich auf eine Variante der Ölkrise von 1973 rüsten. Um das Rüsten geht es hier tatsächlich – nämlich wie oben gezeigt zu langfristig abgesichertem Zugang zu fossilen Energieträgern (vor allem Öl und Gas), d.h. die Zurückdrängung vor allem der imperialistischen Konkurrenz und die Kontrolle über Länder mit Rohstoffquellen. Deutschland sei, so die ständige Betonung der "Rüster", in der misslichen Lage, beide Energieträger beinahe komplett importieren zu müssen (Gas zu ca. 86%, Öl zu 97%) und müsse daher alles unternehmen, um seine Versorgung langfristig abzusichern (zu deutsch: hierfür alle seine ökonomischen, politischen und militärischen Mittel ausschöpfen).

Wie es dem deutschen Imperialismus dabei gelingt, aus dieser Not eine "Tugend" zu machen, d.h. strategische Vorteile gegenüber den imperialistischen Konkurrenten herauszuschlagen und damit die Weltkriegsgefahr zu erhöhen, wollen wir uns im folgenden näher anschauen.

Der Abschied vom Öl

Der deutsche Imperialismus als bei der Aufteilung der Welt zu spät gekommener war nicht in der Lage, "eigene" Ölfelder rund um den Erdball zu sichern und konnte daher den großen anglo-amerikanischen Ölmonopolen kein Paroli bieten, sondern war auf Bündnisse und Absprachen mit ihnen angewiesen. Zugleich musste er in bereits von den imperialistischen Konkurrenten besetzte Einflusssphären eindringen, was zu diversen politischen Krisen bis hin zu zwei Weltkriegen führte.

1879 wurde im neuen Hamburger Petroleumhafen der erste Tankdampfer gebaut. Daraufhin gründete 1890 Standard Oil die Deutsch-Amerikanische Petroleum-gesellschaft (DAPG) und monopolisierte mit ihr den deutschen Petroleummarkt. Die deutsche Erdölförderung im Elsaß und in Nordwestdeutschland war vernachlässigbar, da dieses Öl hauptsächlich zu Schmierölen verarbeitet wurde. Als die Brüder Nobel und die französischen Rothschilds Ölfelder in Baku auftaten, war die DAPG gleich zur Stelle und handelte ein Absatzquotenabkommen aus, das den Anteil der Konkurrenzgesellschaft Deurunapht (Deutsch-Russische Naphta AG), in den zwan-ziger Jahren hervorgegangen aus den mit der Sowjetunion aufgenommenen Wirt-schaftsbeziehungen, auf 14-17% begrenzte.

Das deutsche Ölgeschäft erhielt einen leichten Aufschwung durch die Fusion der größten deutschen Fördergesellschaften zur Deutschen Erdöl AG (DEA), die 1912 die galizische Olex übernahm. Und seit 1904 engagierten sich deutsche Großbanken im Ölgeschäft, unter anderem durch den Aufkauf rumänischer Ölfirmen, was sich im Ersten Weltkrieg für die Versorgung der Panzer und Flugzeuge bezahlt machte. Ohne die amerikanische DAPG wäre die deutsche Truppenversorgung allerdings nicht möglich gewesen. Einen weitere Beitrag leistete die Rhenania AG, deutsche Tochter von Shell.

In den zwanziger Jahren erwarb I.G. Farben von Shell Patentrechte zur Herstellung von synthetischem Benzin und schloss ein Kooperationsabkommen mit Standard Oil, in dem geregelt wurde, dass sich die I.G. Farben aus den Ölgeschäft heraushalten, die Standard Oil dagegen aus dem Chemiegeschäft. 1934 wurde maßgeblich mit der DEA die Braunkohle-Benzin AG (BRABAG) gegründet, bis 1940 wollte der deutsche Faschismus die "Treibstoffautarkie" erreichen. Dazu gehörte die Eroberung der großen Ölfelder im Kaukasus (Baku) und im Irak. 1941 wurde die "Kontinentale Öl AG" gegründet und gab sich ein 99jähriges Monopol zur Ausbeutung der Erd-ölschätze in den besetzten und noch zu besetzenden Gebieten. Dieses Monopol endete, wie wir wissen, genauso abrupt wie das 1000jährige Reich.

Nach dem Zweiten Weltkrieg bemühte sich die deutsche Bundesregierung abermals um Selbstversorgung mit der Gesellschaft DEMINEX, allerdings ohne nennenswerten Erfolg. Inzwischen haben die ehemals mineralölproduzierenden und -vertreibenden Gesellschaften ihre Tankstellen an die anglo-amerikanische bzw. an die französische Konkurrenz abgegeben: Aus dem volkseigenen DDR-Besitz wurde die Leuna-Raffinerie und die aus der Enteignung des IG-Farbenkonzerns in der DDR ent-standenen Minolwerke an die französische Elf Aquitaine (heute Total) abgegeben, geschmiert von inzwischen bekannten stattlichen Bestechungssummen an die damalige Kohl-Regierung. 2001 verkaufte die VEBA (heute E.ON) ihr Tank-stellennetz an BP und 2002 die RWE Dea ihr Netz an Shell. Damit haben sich die deutschen Energiemonopole faktisch vom Ölfördergeschäft in nennenswertem Umfang getrennt und sich mehr auf das Gas- und Kohlegeschäft, ganz im Sinne des einstigen Abkommens mit der Standard Oil, spezialisiert. Geblieben ist allerdings noch ein großer Teil des Raffineriegeschäftes, indem vornehmlich "mittelständische" (d.h. nicht-monopolistische) Mineralölgesellschaften tätig sind; außerdem natürlich die ölverarbeitende chemische Industrie, die in der Kunststoff- und der Pharma-produktion mit Monopolen wie BASF, Bayer, Degussa, Henkel, Boehringer und Fresenius zur Weltspitze zählt.

Doch kann der deutsche Imperialismus heute Dank „Stärkung“ im Zuge der EU-Osterweiterung mit zwei Energiemonopolen und einem an ein Chemie-Monopol angeschlossenen "Energiemonopolarm" aufwarten (im bürgerlichen Sprachgebrauch sportlich "Champions" genannt), die ganz vorne an der Weltspitze mitspielen: die BASF-Tochter Wintershall sowie die Strom- und Gaskonzerne E.ON und RWE. Wir stellen sie im folgenden noch einmal vor:

BASF/Wintershall

Zu den Geschäftsfeldern der BASF-eigenen Wintershall AG gehören die Exploration und Förderung von Erdöl - hauptsächlich für den Eigenbedarf der BASF, siehe oben - und vor allem von Erdgas, der Handel mit Erdgas sowie die Vermietung von Speicher- und Transportkapazitäten für Erdgas. Schwerpunktmäßige Fördergebiete sind Norddeutschland, die holländische Nordsee, Argentinien und Libyen, außerdem die britische und norwegische Nordsee (gemeinsam mit Norsk Hydro), Syrien, Ägypten und Indonesien. Mit dem weltgrößten Erdgasproduzenten und –Exporteur, der russischen Gasprom (die derzeit 25% des weltweiten Erdgasbedarfs deckt), unterhält die Wintershall über das Joint Venture Wingas (65% Wintershall, 35% Gasprom) einen langfristigen Vertrag über Gaslieferungen und will bis 2010 im deutschen Erdgasmarkt einen Marktanteil von 20% erreichen.

2003 wurde das Gemeinschaftsunternehmen Achimgas gegründet, benannt nach dem sogenannten Achimov-Horizont, der einen wesentlichen Teil des westsibirischen Gasfeldes Urengoj bildet. Wintershall erhielt damit als erstes deutsches Unternehmen direkten Zugang zu den russischen Gasquellen. Im April 2005 folgten Koo-perationsverhandlungen über eine Beteiligung am Gasfeld Juschno-Russkoje, einem "Juwel mit 500 Milliarden Kubikmetern Reserven" (FTD, 10.8.2005). Im März 2006 war die Rede davon, mit mindestens 25% Beteiligung einzusteigen, u.a. um der wachsenden Konkurrenz aus China und Indien zuvor zu kommen (FTD, 29.03.2005). Am 27.4.2006 erwarb Wintershall schließlich im Beisein von Putin und Merkel bei der Vertragsunterzeichnung 35% und einen Stimmenanteil von 25% an der Lizenzfirma Severneftegasprom, die die Rechte an der Ausbeutung des Gasfeldes hält. Mit seiner halben Billion Kubikmeter Erdgas ist Juschno Russkoje in der Lage, Deutschlands Gasbedarf für fünf bis sieben Jahre zu decken. Um so wichtiger ist es daher, dass kein weiteres nicht-deutsches Konkurrenzmonopol Zugriff auf dieses Gasfeld erhält (vgl. Abschnitt E.ON).

Mit dem kürzlich noch unter Schröders Ägide erfolgreich abgeschlossenen Vertrag über den Bau einer Ostseepipeline von Vyborg nach Greifswald, woran Wingas und E.ON Ruhrgas mit je 24,5% beteiligt sind, wird künftig mehr als die Hälfte (!) des deutschen Erdgasbedarfs gedeckt.

Außerdem wird ein Teil der 55 Milliarden Kubikmeter jährlicher Lieferungen in weitere westeuropäische Märkte geleitet und Deutschland auf diese Weise zum Gastransitland "im großen Stil" (FTD, 9.9.2005).

Zu diesem Zweck wurde das Gemeinschaftsunternehmen "North European Gas Pipeline Company" (NEGP) gegründet und Ex-Kanzler Schröder zum Aufsichts-ratsvorsitzenden erkoren. Zunächst waren weitere Beteiligungen seitens Shell, Norsk Hydro bzw. Statoil im Gespräch.

Gasprom hat hier aber offensichtlich den "Sack zugemacht", wobei dies vor dem Hintergrund der deutsch-russischen Beziehungen keine "einsame" russische Entscheidung gewesen sein dürfte. Wir werden im weiteren Verlauf noch sehen, wie es um ebendiese Beziehungen bestellt ist

E.ON

Die E.ON AG, im Jahr 2000 aus der Fusion der VEBA und der VIAG her-vorgegangen, ist eines der größten deutschen Industrieunternehmen und einer der größten privaten Energiekonzerne weltweit. Sein "Kern"geschäft ist Strom und Gas. Mit der E.ON Energie AG versorgt E.ON 14 Millionen Kunden in neun europäischen Ländern, darunter 5,5 Millionen in den neuen osteuropäischen EU Staaten. In Deutschland deckt sie ein Drittel des gesamten Strombedarfs, wobei die Eigen-erzeugung im wesentlichen aus Kernenergie und Steinkohle gedeckt wird. 2003 erwarb E.ON Energie AG die Mehrheit an den tschechischen Stromregional-versorgern JME und ICE und brachte sie in die E.ON Czech Holding ein. Die ungarischen Beteiligungen erreichten 2004 einen Marktanteil von 45%. Vor allem mit der Übernahme von Aktivitäten der ungarischen MOL (Gashandel, -import und –speicherung) erwarb sich E.ON eine Schlüsselposition für die Durchleitung von Gas aus Russland u.a. nach Rumänien, Kroatien und Serbien. MOL ist der größte  integrierte Energiekonzern der zehn EU Beitrittsländer mit der österreichischen OMV (Österreichischer Mineralölverbund) als größtem Einzelaktionär mit über 10% . E.ON Energie erwarb und erwirbt stetig Anteile in Bulgarien und Rumänien, dort u.a. an der OMV-Tochter Petrom . Die Zusammenarbeit mit der österreichischen Konkurrenz im Zuge des Ostlandsritts der deutschen Monopole ist also durchaus noch ausbau- bzw. anschlussfähig.

Die E.ON Ruhrgas AG ist eine der führenden Gasgesellschaften in Europa und einer der größten privaten Gasimporteure der Welt, mit einem Marktanteil in Deutschland von knapp 60%. Mit Hilfe einer sogenannten Ministererlaubnis konnte E.ON die Ruhrgas AG aus den Händen der Mehrheitsbesitzer Exxon, BP und Shell (!) übernehmen . Entstanden ist ein marktbeherrschendes Versorgungsmonopol, schließ-lich geht es auch um die langfristige Sicherung der Gasquellen für Deutschland. Und hier spielt E.ON über die Ruhrgas AG ganze vorne mit: Mit 6,5% Anteil an der russischen Gasprom sitzt zugleich der einzige Ausländer in Gestalt des E.ON Vorstandsmitglieds Burckhard Bergmann im Direktorenrat des russischen Konzerns. Die guten Beziehungen zu Russland reichen dabei lange zurück in die Zeit der Sowjetunion, mit der die Ruhrgas AG 1973 Erdgaslieferverträge mit einer Laufzeit bis zum Jahr 2030 abgeschlossen hatte. Den Deal mit dem westsibirischen Mega-Vorkommen Jushno Russkoje schnappte ihnen BASF/Wintershall zunächst vor der Nase weg. Allerdings bleibt für E.ON immer noch die Option, sich im gleichen Umfang wie Wintershall (35% Anteile/25% Stimmrechte) an der Lizenzfirma Severneftegasprom zu beteiligen und damit jede weitere ausländische Beteiligung an dieser Firma und damit an den Förderrechten von Jushno Russkoje auszuschließen, zumindest solange die russische Gasprom auf ihrer Mehrheitsbeteiligung besteht. Gasprom möchte seinerseits Anteile an der Ruhrgas im Tausch für Anteile am Gasfeld, wogegen sich E.ON in Gestalt von Herrn Bergmann mit Händen und Füßen wehrt. Schließlich soll die Einflussnahme auf den russischen Konzern eine Einbahnstraße bleiben ...

Nach erfolgreicher Einkaufstour im Osten ist E.ON seit einiger Zeit im westeuropäischen Ausland unterwegs. 2002 übernahm E.ON den anglo-amerikanischen Energiekonzern Powergen Ltd. und ist folglich mit 11 Millionen Kunden eines der führenden integrierten Energieversorgungsunternehmen Groß-britanniens in den Bereichen Stromerzeugung, Stromverteilung, Stromvertrieb und Stromhandel. Bei der Erzeugung von Strom betreibt E.ON in England Kohle-, Gas-, Öl-, Wind- und Wasserkraftwerke sowie Kraft-Wärmekopplungsanlagen; das Unternehmen besitzt den zweitgrößten Kraftwerkspark auf der Basis erneuerbarer Energien in England.

2003 kaufte E.ON mehrheitlich den zweitgrößten schwedischen Energieversorger Sydkraft AB sowie den viertgrößten finnischen Energieversorger Espoon Sählko. Mit der Wasserkraftgesellschaft European Hydro Power, 2001 gemeinsam gegründet von der E.ON Wasserkraft GmbH und der Austrian Hydro Power AG (Öster-reichische Elektrizitätswirtschafts-AG), rangiert das Unternehmen mit 200 Wasser-kraftwerken an dritter Stelle in Europa und ist damit auch in diesem zentralen Energiesektor führend.

Der größte Coup der europäischen Energiegeschichte wurde heuer allerdings um die Übernahme der spanischen Endesa, Europas Nummer 7 (nach Umsatz) lanciert. Mit Rückendeckung der EU Wettbewerbskommission wurde hier der spanische Staat mit seiner Option der "Goldenen Aktie" ausgehebelt . Dieser hätte es weit lieber gesehen, wenn die kleinere katalonische Gas Natural (Nr. 15 auf dem europäischen Energiemarkt) Endesa übernähme und damit ein führender spanischer "Champion" geschaffen würde. So meinte Regierungssprecher Fernando Moraleda Anfang des Jahres noch: "Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, damit die Spanier einen Energiesektor haben, dessen Basis und Mutter national sind." E.ON bot seinerzeit 29 Milliarden Euro für die Übernahme (Stand April 2006), Gas Natural war auf 28 Milliarden Euro nachgezogen. Die italienische Enel hatte zuvor ihre Hilfe angeboten, die abgelehnt wurde. Man fürchte die "Umarmung eines Bären", kolportierte damals die Financial Times Deutschland, Flaggschiff der deutschen Wirtschaft . Die spanische Regierung suchte ihrerseits rechtlich alles zu unternehmen, um die Ausweidung durch den deutschen Geieradler zu verhindern, was ihr die Intervention von Brüssel mit der Begründung einer "Verletzung der Kapitalfreiheit" einbrachte.

Der vielbeschworene EU Binnenmarkt reißt tatsächlich nur die Grenzen für den Schwächeren nieder, der nicht in der Lage ist zu verhindern, vom Monopol des Nachbarlandes gefressen zu werden. Der Starke wiederum, mit Rückendeckung eines starken imperialistischen Staates, kann sich ungehindert auf Raubzug begeben. Nicht die Nivellierung der Märkte – ein grenzüberschreitender Ausgleich von "Angebot und Nachfrage", sondern verschärfte Konkurrenz, verschärfte Widersprüche zwischen den Ländern, die angeblich in einer gemeinsamen EU aufgehen sollen, ist die Folge.

Es zeigt sich an diesem Beispiel erneut – wie im vergangenen Jahr bei den Übernahmeschlachten um Aventis und Alstom , dass es keine europäische Bourgeoisie gibt. Im Gegenteil: Die herrschenden Klassen der imperialistischen Staaten Deutschland, Frankreich, England und Italien werden keinesfalls zu einer europäischen Bourgeoisie verschmolzen, sondern führen ihren nationalen Kon-kurrenzkampf unter dem Deckmantel der EU, dabei gerne mit Hilfe von EU-Institutionen, erbittert fort. Sie stärken ihre nationalen Monopole auf Kosten der "ausländischen" Konkurrenz – und natürlich auf Kosten der nicht-imperialistischen und noch mehr der abhängigen Länder, die sich den von den imperialistischen Ländern gemachten EU-Regeln zu unterwerfen haben. Letztere führen diesen er-bitterten Konkurrenzkampf gegeneinander übrigens ungeachtet politischer Bündnisse, die ohnehin im imperialistischen Lager immer nur zeitweiligen Charakter haben können. Es gilt nach wie vor Lenins Grundgesetz der imperialistischen Konkurrenz:

"Die Kapitalisten teilen die Welt nicht etwa aus besonderer Bosheit unter sich auf, sondern weil die erreichte Stufe der Konzentration sie zwingt, diesen Weg zu beschreiten, um Profit zu erzielen; dabei wird die Teilung 'nach dem Kapital', 'nach der Macht' vorgenommen – eine andere Methode der Teilung kann es im System der Warenproduktion und des Kapitalismus nicht geben. Die Macht aber wechselt mit der ökonomischen und politischen Entwicklung ..." (Lenin, Werke Bd. 22, S. 257)

Und mit dem Wechsel dieser Macht spitzen sich die innerimperialistischen Widersprüche zu, treiben zur – gewaltsamen – Lösung.

RWE

RWE (Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk, 1898 gegründet) rangiert mit den "Kern"geschäften Strom, Gas und Wasser nach der Übernahme des ehemals drittgrößten deutschen Energieversorgers VEW (Vereinigte Elektrizitätswerke Westfalen) heute unter den ersten 5 führenden Konzernen in Europa.

Zentrale Märkte sind Deutschland, Großbritannien und Osteuropa. Insgesamt versorgt RWE über 21 Millionen Kunden mit Strom, ca. 11 Millionen mit Gas und bis vor kurzem 70 Millionen mit Wasser. Zur Produktion von Strom und Gas betreibt RWE in Deutschland 4 Steinkohlekraftwerke, 4 Erdgaskraftwerke, 3 Kernkraftwerke sowie 3 Gas- und Turbinenkraftwerke, außerdem Kraftwerke in Ungarn und Kroatien. In Ungarn ist RWE außerdem an 2 Braunkohletagebauen beteiligt und besitzt insgesamt ca. 50 eigene Wasserkraftwerke. Hauptenergieträger im RWE Kraftwerkspark sind Braunkohle, Steinkohle und Kernenergie. Im Bereich Erdöl- und Erdgasförderung engagiert sich RWE in Norwegen, Dänemark, Ägypten, Polen und Kasachstan. In der deutschen Nordsee entwickelt der Konzern das Offshore-Erdölfeld Mittelplate und beutet Gasfelder in Niedersachsen aus.

Im Handel mit Strom, Gas und Wasser erreicht RWE einen Marktanteil von 20% in Deutschland und „versorgt“ außerdem mit eigenen Regionalgesellschaften Tsche-chien, Ungarn (in diesen beiden Ländern marktführend), die Slowakei, Polen, Österreich und die Niederlande. Mit der Übernahme der staatlichen tschechischen Transgas und acht regionalen Gasversorgungsunternehmen kontrolliert RWE den strategisch wichtigen Transitmarkt von russischem Gas in Osteuropa.

Stark präsent ist RWE vor allem auch auf dem britischen Markt, wo der Konzern im Strom- und Gasgeschäft 6,5 Millionen Kunden hat. Nach den Übernahmen von Yorkshire Electricity und Northern Electric sowie des Stromversorgers Innogy Plc., eines der größten britischen Strom- und Gaskonzerne, ist RWE ein führendes integriertes Energieunternehmen Großbritanniens. Mit der Übernahme von Thames Water Plc wurde auch das Wassergeschäft zu einer tragenden Säule des Konzerns und RWE das drittgrößte Unternehmen auf dem weltweiten Wassermarkt. Allerdings trennte man sich zwischenzeitlich wieder von Thames Water und derzeit auch von American Water. Nach dem Rückzug aus den Umweltdienstleistungen im Abfall- und Recyclinggeschäft, in dem RWE mit 450 europaweiten Standorten vor allem in Ungarn und Tschechien führend war, stößt der Konzern nun auch das für ihn wenig profitable Wassergeschäft ab. Vom Rivalen E.ON in die Defensive gedrängt, konzentriert sich RWE derzeit auf kleinere Akquisitionen in Osteuropa, insbesondere in Rumänien, Kroatien und Bulgarien sowie die Vermarktung von Flüssiggas aus Feldern in Ägypten und Norwegen, u.a. über das LNG-Terminal (Liquified Natural Gas) auf der kroatischen Insel Krk, an dem RWE mit 15% über die tschechische Tochter Transgas beteiligt ist. Zur Erschließung Südosteuropas benutzt RWE außerdem den Kärntner Kelag-Konzern, an dem RWE im Jahr 2001 ein Drittel der Anteile übernommen hat, zusammen mit einer Option auf eine mehrheitliche Übernahme, die RWE derzeit gerne gegen den Widerstand Kärntens ausüben möchte.

Der deutsche Imperialismus ist im Kampf um Primärenergieträger offensichtlich recht erfolgreich vorgedrungen, daran ändert auch die infolge des russischen Verhaltens gegenüber der Ukraine und Armenien im Gaspreisstreit entfachte Diskussion um die "Energiesicherheit in Europa" nichts. So wiegelt EU-Energiekommissar Andris Piebalgs in einem Interview gegenüber der Welt am Sonntag am 12.2.2006 ab:

"Beim Erdöl funktioniert der Weltmarkt gut. Da gibt es kein Versorgungsproblem. ... Die Versorgungssicherheit beim Erdgas ist schlechter als die beim Öl. Das gilt jedenfalls für Osteuropa. In Westeuropa ist die Lage besser. Deutschland bekommt zum Beispiel auch Gas aus den Niederlanden, Norwegen oder Großbritannien."

Tatsächlich kommt die Hauptangst in Sachen Abdrehen des Gashahns aus Polen und den baltischen Republiken. Diese Ängste werden gerne in der deutschen Bourgeoisie aufgegriffen, um Deutschlands machtpolitische Rolle in Osteuropa auf die Tagesordnung zu setzen. So hatte die CDU/Merkel vor der Wahl Polen fest versprochen, seine Rolle als Transitland beim russischen Gasimport zu berücksichtigen, um das Land, das nicht wieder einmal zwischen dem russischen Reich und dem deutschen Imperialismus zerrieben werden möchte, nicht noch mehr in die Arme des US-Imperialismus zu treiben. Inzwischen unterstützt die CDU den Bau der Ostseepipeline und führt in demonstrierter Diplomatie die engen Be-ziehungen mit Russland gerade auch in dieser Frage fort – was die Widersprüche zwischen Polen und dem deutschen Imperialismus nur weiterhin verschärfen dürfte.

Wie abhängig sind "wir" von Öl und Gas?

Die EU benötigt noch stärker als die USA das Erdöl aus der Golfregion, zumal das Nordsee-Öl zur Neige geht. Die EU importiert derzeit 70% ihres gesamten Erdöls und 40% ihres Erdgases, wobei 40% der Erdgasimporte aus Russland kommen und 45% der Erdölimporte von OPEC-Staaten – über den Weg der förderberechtigten Monopole, wie eingangs geschildert. Deutschland erhält 29% seines Ölbedarfs aus Russland, 23% von OPEC-Staaten (vor allem Libyen), der Rest verteilt sich im wesentlichen über Norwegen (20%) und Großbritannien (12%). Deutschlands Gas-bedarf wird zu 32% aus Russland, 26% aus Norwegen, 18% von den Niederlanden und zu 7% von Dänemark, Großbritannien u.a. gedeckt.

Das bedeutet, dass Deutschland zum einen deutlich über der Import"abhängigkeit" der EU liegt (97% beim Öl, 86% beim Gas ), andererseits sowohl bei der Öl"abhängigkeit" von OPEC-Staaten als auch bei der Gasimport"abhängigkeit" von Russland unter dem EU-Durchschnitt liegt. Die Reduzierung der Ölabhängigkeit von der OPEC erfolgte vor allem im Gefolge der "Ölkrise" von 1973: Zu diesem Zeitpunkt stammten fast 94% der Rohölimporte aus OPEC-Staaten. Dann begann der zunehmende Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen Deutschlands mit der Sowjetunion im Öl- und Gassektor sowie die Erschließung weiterer Quellen (insbesondere Nordseeöl). Deutschland konnte seine Öleinfuhr aus OPEC-Staaten innerhalb der letzten 30 Jahre um drei Viertel verringern! In puncto Gasimporte haben wir gesehen, dass Deutschland mit seinen Monopolen Wintershall und E.ON direkten Zugang zu den wichtigsten Gasquellen Russlands hat. Geographisch befindet sich Deutschland außerdem – vor allem im Vergleich zu den USA! – in der vorteilhaften Situation, dass 80% der weltweiten Erdgasreserven innerhalb eines Radius von 4.500 Kilometern Entfernung liegen, also im Weltmaßstab gesehen praktisch vor der Haustür ... Dieser Radius entspricht übrigens dem in den Verteidigungspolitischen Richtlinien benannten Einsatzradius der Bundeswehr und wird auch gerne als "Wider Europe" (erweitertes Europa) tituliert.

Thematisiert in bürgerlichen Blättern (FAZ, FTD, Spiegel etc.) wird allerdings – außer reißerischen "Gashahn-zu"-Aufmachern – beständig der künftig wachsende Bedarf von Erdgas und die damit verbundene Notwendigkeit, sich auf diesen Bedarf einzustellen und die Quellen entsprechend abzusichern bzw. zu "diversifizieren", wie das Zauberwort dazu heißt. So werde einem der bedeutendsten Think Tanks (Strategische Denk"fabriken") in Westeuropa, der regierungsnahen Stiftung Wissen-schaft und Politik/Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit (SWP), zufolge der Erdgasimportbedarf Europas zwischen 2000 und 2020 um 150% stei-gen. Die FTD spricht sogar von einer Verdoppelung des Gasbedarfs der EU bis 2010 und einer Erhöhung der Importquote auf 75% in diesem Zeitraum.

Gas ist als Primärenergieträger zunehmend begehrt wegen seines hohen Brennwerts und weil es in großen Mengen und über große Distanzen aufgrund seiner Kompressibilität (Gas kann auf 1/600 seines Volumens komprimiert werden) wirt-schaftlich transportierbar ist. Die mit Abstand größten Gasreserven liegen in Russland (ein Drittel der aktuell nachgewiesenen Weltreserven), dort vor allem in den Gebieten von der kaspischen Senke nach Norden, nördlich des kaspischen Meeres bei Astrachan, im Wolga-Ural-Becken bei Orenburg, im Timan-Petschora-Becken auf der Westseite des nördlichen Uralgebirges, im Westsibirischen Becken östlich des nördlichen Uralgebirges (75%), auf der Halbinsel Jamal und in der Karasee sowie im russischen Teil der Barentsee. Weitere Fördergebiete erstrecken sich am Ober- und Unterlauf der Lena sowie im Nordteil der Insel Sachalin (4%).

Betrachtet man das russische Gasleitungsnetz, so fällt vor allem die vielfältige Anbindung der kaukasischen und zentralasiatischen Staaten auf, die ehemals zur Sowjetunion gehört haben und maßgeblich von Russland und Kasachstan mit Öl und Gas versorgt wurden. Aber auch die westeuropäische Anbindung, insbesondere Deutschlands, an die westsibirischen Gasfelder ist beachtlich. So führen zwei Pipe-linestränge mit bis zu sechs parallel laufenden Rohren auf einer Länge von 5.000 Kilometern nach Deutschland. Eine Route führt über die Ukraine, die Slowakei und Tschechien, die andere über Weißrussland und Polen. Mit der Schaffung von drei Megamonopolen im Energiesektor ist es dem deutschen Imperialismus gelungen, sein Engagement aus den Zeiten der Sowjetunion auf eine "neue Qualitätsstufe" zu heben: Statt des damals üblichen Tauschgeschäfts Erdgas gegen Röhren (von Mannesmann) haben jetzt deutsche Konzerne Anteile an russischen Gesellschaften bzw. entsprechende Förderrechte und damit einen weit direkteren und profitableren Zugriff auf die begehrten Quellen.

Damit nicht genug, hat Deutschland den Zerfall der ehemaligen Sowjetunion, ins-besondere die Abspaltung der zentralasiatischen Staaten, gemeinsam mit und in Konkurrenz zu den USA, gefördert, um die Russische Föderation zu schwächen und sich auch auf diese Weise den Weg zu den begehrten Quellen zu ebnen.

Die Strategie des imperialistischen Hauptkonkurrenten (USA)

Auch die USA bzw. die US-amerikanischen Ölmonopole, teilweise im Bündnis mit den britischen, begannen bereits Ende der achtziger Jahre, das zerfallende sowjetische Terrain nach eigenen Energieinteressen zu sondieren.

Dazu zählt vor allem der von Chevron bereits zu Gorbatschows Zeiten verhandelte und 1993 schließlich abgeschlossene Vertrag zur Erschließung des kasachischen Tengiz-Feldes (gemeinsam mit ExxonMobil), der bisher größten unerschlossenen Erdölregion der Welt . Um Russland nicht allzu sehr zu verärgern, baute man die CPC Pipeline (Caspian Pipeline Consortium) in zweifacher Ausführung (bekannt als Clintons "Doppellösung"), d.h. einmal von Baku durch Georgien nach Supsa (Türkei), zum anderen über russisches Territorium von Baku über Grozny nach Noworossisk, die zugleich die leistungsstärkste im kaspischen Raum ist. Der Tschetschenienkrieg machte allerdings alsbald einen Bypass (Umgehung) durch Dagestan nötig, der seinerseits vorübergehend unter dem Beschuss dortiger Sezessionisten stand (die von den USA, aber auch von Deutschland unterstützt wurden!).

 Weiterhin dazu zählt vor allem die 1.700 Kilometer lange Baku-Tbilissi-Ceyhan Pipeline (BTC) eines internationalen Konsortiums unter Federführung der britischen BP Amoco mit maßgeblicher Baubeteiligung des US Rüstungs- und Öltechno-logiegiganten Halliburton, die russisches Territorium umgeht und aserbeidschanisches Öl von den Ende des 19. Jahrhunderts entdeckten Shah-Deniz Feldern bei Baku bis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan bringt. Die Schwester-Pipeline TCGP (Transcaspian Gas Pipeline) soll Gas aus Turkmenistan über Baku nach Erzurum in der Türkei liefern und umgeht dabei ebenfalls Russland.

Obwohl bzw. auch weil damit das Energiegeschäft der USA in der Region schon beinahe erschöpft ist, wird inzwischen von deutschen Stiftungen kritisch beäugt, was das "ferne Ausland ... in Gestalt der Weltmacht USA" in der kaspischen Region so treibt. Dieser Begriff impliziert im übrigen sehr deutlich, dass der deutsche Imperialismus davon ausgeht, dass die USA im deutschen "Hinterhof" Osteuropa nichts verloren haben. Es ist auch kein Zufall, dass im bürgerlichen Blätterwald etwa die japanischen Energierohstoffinteressen und –beteiligungen allenfalls im Zusammenhang mit chinesischer Konkurrenz beachtet werden, allerdings sofort "auf den Schirm" geraten, wenn diese sich in die eigenen "Hoheitsgewässer" vorwagen.

Als Aktivitäten des "fernen Ausländers" in Russland werden beobachtet: die Ölförderprojekte Sachalin I von Exxon Mobil (und Sachalin II vom britisch-niederländischen Pendant Royal/Dutch Shell) mit Investitionen von jeweils 15-20 Mrd. US-Dollar auf der Halbinsel Sachalin in Russland Fernost (Sachalin III scheiterte an der Zustimmung der russischen Regierung) ; Beteiligungen von ConocoPhillips mit 17% an Lukoil (das britische Pendant BP besitzt 50% am Gemeinschaftsunternehmen TNK-BP, das BP mit dem drittgrößten russischen Ölförderer TNK gegründet hat und mit dem man im ostsibirischen Kowykta Gasvorkommen erschließt; hierbei geht es um nicht mehr als 3% der russischen Gasvorräte ).

Es sei viel ökonomischer für die USA, Öltransporte aus dem Persischen Golf oder Westafrika militärisch abzusichern, meint etwa Friedemann Müller in seiner Analyse der US-Strategie im kaspischen Raum. Hingegen sei mit dem 11. September 2001 eine Strategie des "Greater Middle East" entwickelt worden, in die die Energiestätten des Nahen Ostens, des Kaspischen Raumes sowie Russlands bis nach Westsibirien fallen. Dabei gehe es um den Kampf gegen den Terror und die "Demokratisierung" einer Krisenregion, die vor allem durch "autokratische Herrschaft" gekennzeichnet sei.

Allerdings waren es pikanterweise gerade die "autokratischen Herren", die – nachdem sie bereits seit 1994 sukzessive in das Partnership for Peace Programm der NATO aufgenommen wurden und Militärhilfe von den USA erhalten hatten - den USA ihre Pforten für Militärstützpunkte öffneten (nicht aus Nächstenliebe, sondern als Boll-werke gegen ihre separatistischen bzw. islamistischen Opponenten): Georgien, Kirgisien, Tadschikistan, Usbekistan, im Gespräch derzeit auch Aserbaidschan. Das hinderte die USA nicht daran, "Farbrevolutionen" in diesen Ländern zu inszenieren – was ihnen in Usbekistan schließlich den Rausschmiss einbrachte: "Am 29. Juli 2005 forderte der usbekische Außenminister in einer Note an die US-Botschaft in Taschkent die USA auf, den Karschi-Khanabad-Flugstützpunkt zu verlassen, ihre Truppen und Materialien aus Usbekistan abzuziehen und das bilaterale Übereinkommen von 2001 innerhalb von 180 Tagen zu beenden. Die sechsmonatige Deadline entspricht der Zeitspanne, die der außenpolitische Berater Putins ... beim Gipfeltreffen der SCO am 5. Juli 2005 vorgeschlagen hatte."

Im gleichen Monat hatte die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) die USA und die NATO aufgefordert, ihre "zeitweilige Nutzung" der militärischen Infrastruktur in diesen Ländern zu beenden, da die "aktive Phase des antiterroristischen Kampfes in Afghanistan abgeschlossen" sei. Zugleich übernahm Russland zusammen mit seinem Reintegrationsinstrument Collective Security Treaty Organisation (CSTO), in dem neben Russland Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan, Armenien und Weiß-russland Mitglieder sind, die vakant gewordenen Aufgaben: Russland stationierte Truppen in Kirgisien und Tadschikistan (Duschanbe, Kuljab und Kurgan-Tjube mit rund 6.000 Mann) und übernahm in Tadschikistan das Nurek Flugüberwachungs-zentrum. Mit Usbekistan schloss Russland ein bilaterales Sicherheitsabkommen und intensivierte die militärische Zusammenarbeit. Usbekistan hatte sich auf dem NATO-Gipfel in Washington 1999 der Allianz aus Georgien, Ukraine, Aserbaidschan und Moldawien (GUAM) angeschlossen, einer Allianz, die vor allem von den USA forciert wurde, um diese Staaten möglichst unabhängig von Russland zu organisieren und an den US-Imperialismus zu binden. Dies gelang allerdings erst mit dem Machtwechsel in der Ukraine (Dezember 2004) und in Georgien (November 2003). Im Mai 2005 stornierte Usbekistan seine Mitgliedschaft in der GUAM (die für die Anfangsbuchstaben der beteiligten Länder steht) und wechselte zur Shanghai Cooperation.

Die militärische Reintegration der zentralasiatischen Staaten durch Russland ergänzte praktisch die energiepolitische: Ursprünglich wollten die USA Gas aus Turkmenistan via Afghanistan und Pakistan zum Indischen Ozean transportieren. Dieses Vorhaben der US-amerikanischen Unocal (United Oil of California) ging entsetzlich schief , daran änderte auch der Krieg in Afghanistan nichts mehr. Im Gegenzug schloss Russland 2003 einen "Jahrhundertvertrag" mit Turkmenistan über Gaslieferungen mit 25 Jahren Lieferbindung ab. Schätzungen gehen davon aus, dass in diesem Zeitraum zwischen 75 bis 100% der turkmenischen Erdgasreserven aufgebraucht sein dürften. 2004 folgte ein Abkommen über die Ausbeutung der usbekischen Erdgasfelder zwischen der russischen Lukoil und der usbekischen Uzbekneftegaz. Derzeit laufen Verhandlungen zwischen Russland und Kasachstan über einen Gasliefervertrag von 20 Jahren Laufzeit. Sollte dieser auch noch über die Bühne gehen, ist es absehbar, wann es in den alternativen US-Gasleitungen aus Baku und Turkmenistan zu "tröpfeln" beginnt, da diese Reserven zumindest nach derzeitigem Kenntnisstand nach 25 Jahren erschöpft sind ... zumal seit Februar 2005 Russland ausländische Unternehmen von Bieterverfahren zur Erschließung wichtiger Bodenschätze ausschließt. Danach müssen Firmen, die sich an der Ausbeutung strategischer Öl- und Erzvorkommen beteiligen wollen, künftig mehrheitlich in russischer Hand sein. "Die neue Regelung betrifft nicht nur internationale Konzerne wie Exxon Mobil oder Chevron Texaco sondern auch das Öl-Joint-Venture TNK-BP, das zu 50% von russischem Kapital getragen wird." Sie betrifft jedoch nicht die deutschen Firmen, die sich ja "nur" beim Gas engagieren!

Eine erhebliche Abschreckungsmaßnahme in diese Richtung war bereits die Zer-schlagung des Ölkonzerns Yukos , die auf eine zunehmende Unterordnung des russischen Ölgeschäfts unter staatliche Kontrolle abzielte (das Gasgeschäft ist dies bereits mit dem Monopolisten Gasprom). Während die beiden größten US Ölfirmen Exxon Mobil und Chevron Texaco mit ihren Investitionsplänen auf Distanz gingen, sitzt die Deutsche Bank nach dem Zusammenschluss von Yukos und Sibneft im April 2003 über ihren 14%-Anteil bei Sibneft jetzt auch bei Yukos/Sibneft mit im Boot.

Auch die französische Total (als "armer Cousin" der drei Schwestern Exxon, Shell und BP die Nummer 4 unter den weltgrößten Ölkonzernen) hatte mit ihrem Enga-gement in Russland bisher nicht allzu viel Erfolg. "In der sibirischen Republik Komis besitzt Total 50% eines Ölvorkommens, aus dem sich täglich 30.000 Barrel fördern ließen. Bislang liegt die Produktion pro Tag bei nur 25.000 Barrel. Es gibt Unstimmigkeiten über die Auslegung des Vertrages. Den Streit will Total nun vor einem internationalen Gericht gegen die Russische Förderation austragen. Bei einem Ölfeld im westsibirischen Vankor hat Total Probleme mit der Förderlizenz. Hier ist der Konzern mit 52% beteiligt."

Ganz anders klingen dagegen die Töne aus der Konzernspitze von Wintershall hinsichtlich der Kritik an Russlands Rechtsstaatlichkeit im Zusammenhang mit der Yukos-Affäre: "Wir haben nie erfahren müssen, dass die russischen Partner ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sind ... Wenn Deutschland und Russland zusammenarbeiten, dann scheint die Sonne [Herv. AG]."

Fazit: Die USA sind als "ferner Ausländer" mit ihren Versuchen, wesentliche Einflusszonen in Zentralasien für sich abzustecken, zunächst gescheitert. Wie gezeigt, konnte vor allem Russland in Zentralasien ökonomisch, politisch und militärisch Territorium zurückgewinnen und die zentralasiatischen Staaten wieder stärker an sich binden. Die Rede ist gar von einer "neuen OPEC", die Russland als "Energie-Supermacht" über das Vehikel der Shanghai Cooperation zu schmieden in der Lage sei. Mit Russland, Turkmenistan, Usbekistan und Iran würden zwei Drittel der weltweiten Gasreserven vereinigt (zum Vergleich: Die OPEC kontrolliert lediglich 40% der Weltölreserven). "Die SCO könnte bald zu einem neuen globalen Akteur auf der weltpolitischen Bühne aufsteigen, dem, im Fall eines Konflikts mit dem Westen, auch die Supermacht USA nicht viel entgegenzusetzen hätte."

Zum Leidwesen der USA verläuft auch noch die als Alternative zu Russland unter horrenden Summen fertiggestellte Baku-Ceyhan-Tbilissi (von Aserbaidschan bis zum türkischen Mittelmeerhafen) durch sieben "Krisengebiete" und ist unter anderem auf Abnahmeumfänge der Türkei angewiesen, die derzeit noch nicht in Sicht sind. Wirtschaftlich lohnt sich die Pipeline nur bei permanent hohen Ölpreisen. Außerdem hat sich die Türkei mit der Untersagung des amerikanischen Einmarsches im Nordirak über türkisches Territorium am 1.3.2003 merklich von den USA distanziert, bei zunehmend anti-amerikanischer Stimmung in der Bevölkerung. Der einstige Trabant der USA orientiert sich inzwischen an einer Strategie der Brückenfunktion zwischen Europa und Asien (mit zunehmend deutscher Unterstützung) und gutnachbarlicher Beziehungen auch mit Iran und Syrien, Washingtons "Schurkenstaaten".

Eine weitere ernste Schwächung würde der US-Imperialismus im Zuge einer vom Iran (!) geplanten asiatischen Öl-Börse erfahren, an der Öl und Gas nicht mehr in Dollar, sondern vor allem in Euro gehandelt werden sollen. Damit würde der Dollar seine Funktion als weltweite Leitwährung verlieren. Die ölimportierenden Länder wären nicht mehr gezwungen, zu diesem Zweck Dollarreserven zu halten, der relative ökonomische Niedergang der USA wäre sowohl offenkundig als auch beschleunigt. Die russische Regierung hat bereits beschlossen, ihre Devisenreserven zu 30% in Euro anzulegen, und beabsichtigt, das Verhältnis zu den Dollarreserven auf 1:1 zu erhöhen. Das würde eine weitere Öffnung Russlands für den Einfluss Europas, vor allem Deutschlands, bedeuten.

Insgesamt ist der Einfluss der USA in der Region deutlich zugunsten des deutschen Imperialismus zurückgedrängt, nachdem dieser in der ersten Phase nach der erfolg-reichen Konterrevolution gemeinsam mit den USA den Zerfall der Sowjetunion vorangetrieben hatte. Es ist nicht verwunderlich, dass die Konkurrenzsituation USA – Deutschland auch nach dem Regierungswechsel in Berlin nicht entschärft ist. Beachtet man außerdem, dass die ehemaligen europäischen Bündnispartner der USA (im Irak-Krieg) Spanien und Italien nach erfolgten Regierungswechseln zunächst "abtrünnig" geworden sind, erklärt sich daraus die wieder verschärfte offene US-Aggressivität – u.a. gegenüber dem Iran. Darüber hinaus ist der ehemals recht problemlose Zugriff von US-Monopolen auf Förderquellen im Nahen Osten und in Lateinamerika erheblich geschwächt aufgrund der zunehmenden Bestrebungen latein-amerikanischer Länder nach eigenständiger Entwicklung (Venezuela, Bolivien, Brasilien, Argentinien – wenn auch in unterschiedlichem Maße), ferner aufgrund des gespannten Verhältnisses mit Saudi-Arabien seit dem 11. September (2001) und des Widerstands im Irak.

Während also deutsche Monopole zunehmend direkte Zugriffsrechte v.a. auf Gasquellen gewinnen, wird dies für die "angestammten" US-Monopole immer schwieriger. Die Tatsache, dass die USA der größte Erdölproduzent ist, entschärft diese Situation nicht, denn sie ist zugleich auch der größte Konsument bei relativ geringen Reserven und muss derzeit 50% ihres Verbrauchs einführen (Tendenz steigend). Vor allem aber bedeutet es einen Verlust der möglichen Maximalprofite für US-Konzerne, was die Widersprüche zwischen dem US- und dem deutschen Imperialismus weiter verschärft.

Die deutsche Bourgeoisie beobachtet sehr genau den Einflussverlust des US-Imperialismus in "ihrem" osteuropäischen Hinterhof und versucht daher, in einer Doppelstrategie – selbständig und mit der EU – einerseits die Beziehungen mit Russland bei gleichzeitiger politischer Einbindung und Kontrolle auszubauen, andererseits die strategisch bedeutsamen Länder im Kaukasus, in Zentralasien und in Südosteuropa stärker an sich zu binden, um wiederum deren Rohstoffquellen anzuzapfen und ihre Unabhängigkeit von Russland zu demonstrieren. Je nach Denkfabrik bzw. Autor (SWP, IP/Internationale Politik etc.) wird 'mal mehr die eine -  zusammen mit einem domestizierten Russland, 'mal mehr die andere Variante - an Russland vorbei - favorisiert.

"Friedensmacht" Deutschland

Klare Töne zum deutschen Engagement im Kaukasus waren bereits 2003 vom Vorsitzenden der Heinrich-Böll-Stiftung zu hören: "Die EU (...) darf die Region nicht den Großmachtspielen Russlands und der USA überlassen." Gernot Erler, damaliger SPD Fraktionsvorsitzender sekundiert in einem Strategiepapier: "Zwar sind die europäischen Beiträge im Bereich der Wirtschaftshilfe, des Staatsaufbaus und der Konfliktvermittlung durchaus willkommen, sie ersetzen jedoch nicht die Ausarbeitung einer langfristig angelegten politischen Strategie. Darin müsste die Anbindung der kaukasischen Staaten an Europa – jedoch ohne die Eröffnung einer konkreten Beitrittsperspektive für die EU – und das Engagement im Hinblick auf Konfliktvermittlung im Kaukasus unter Beteiligung der regionalen Mächte vor dem Hintergrund der wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung der Region festgeschrieben werden." Zu deutsch, einen festen Interventionsrahmen für Deutschland - eigenständig und im Rahmen der EU – zu schaffen, ohne diese Länder an den "Gabentisch der EU" zu lassen. Als Koordinator der Bundesregierung für die Beziehungen mit Russland schlug Erler im September 2004 einen "kaukasischen Stabilitätspakt" vor nach dem Vorbild des Balkan-Stabilitätspakts (allerdings lediglich die Seite der Befriedung – ohne Belohnung).

Und die moralische Begründung folgt von Seiten der SPD Grundwertekommission: In einer Denkschrift wird der "wirtschaftlich und politisch leistungsfähige Großraum" zum Hinterhof bis nach Zentralasien im Osten und dem Nahen Osten im Süden definiert, in dem die "großen westlichen Nationen" wegkommen müssten von einer instabilen Ordnung unter US-Führung und statt dessen eigene Machtmittel zur Durchsetzung einer "globalen politischen Ordnung" entwickeln müssten. "Deutsch-land habe ein 'legitimes eigenes Interesse an seiner dauerhaften und festen Einbindung in einen wirtschaftlich und politisch leistungsfähigen Großraum, der anderen Weltregionen vergleichbar ist.' Es müsse 'als größter und wirtschaftlich stärkster Staat in Europa' für ein Europa eintreten, das in der Lage sei, sich 'gegen äußere wirtschaftliche, politische und gegebenenfalls auch militärische Pressionen zu wehren'."

Da klingt es beinahe wie Hohn, wenn die diversen angeführten Studien behaupten: "Die Europäische Union hat eine günstige Position im Hinblick auf die zentra-lasiatische Region: Sie ist nicht mit der Reputation einer Supermacht mit globalen Ambitionen belastet, und ihre geografische Position macht sie zu einem interessanten, nahen Importeur von Erdöl und Gas." "Was Europa im Kaukasus oft als Schwäche angelastet wurde, sein flaches 'geopolitisches' Profil, kann auf dem Feld der Ver-trauensbildung zwischen den gegnerischen Parteien als Stärke genutzt werden. Von allen externen Akteuren in der Region wird die EU am wenigsten machtpolitischer Absichten und einer 'hidden agenda' [versteckter Plan – die AG] verdächtigt."

Tatsächlich hat Deutschland bereits wie bei Kroatien und Slowenien als erster Staat weltweit die Unabhängigkeit Georgiens anerkannt und dort eine Botschaft eröffnet. "Deutschland gehört zu den Staaten, die in dieser Region am aktivsten sind. Vor allem Georgien war und ist für Bonn und Berlin ein Schwerpunktland der ent-wicklungspolitischen Zusammenarbeit im GUS-Raum. Deutschland ist Mitglied der Minsker OSZE-Gruppe zur Regulierung des Karabach-Konflikts und der mit dem Abchasien-Konflikt befassten Gruppe der Freunde des UN-Generalsekretärs in Georgien." Auf EU-Ebene, auf der Deutschland nochmals wesentlich mitregiert (siehe dazu auch unser letzter Abschnitt), sind die diversen politischen Einbindungen noch zahlreicher: Seit 1999 wurden EU-Partnerschaftsabkommen mit den drei kaukasischen Ländern Armenien, Aserbaidschan und Georgien geschlossen, 2001 wurden sie in den Europarat aufgenommen. Mit Ausnahme von Tadschikistan hat die EU mit allen Staaten in Zentralasien ähnliche Abkommen geschlossen, außerdem: TACIS (Technical Assistance to the Commonwealth of Independent States) zur technischen "Unterstützung", d.h. Sicherung des Absatzmarktes für eigene Techno-logie, TRACECA (Transport Corridor Europe-Caucasus-Central Asia) zur Ab-sicherung des Transportweges von Europa über den Kaukasus nach Zentralasien, BSREC (Black Sea Regional Energy Center) zur Zugangssicherung bei der Förderung und Verarbeitung von Energierohstoffen in der Schwarzmeerregion und INOGATE (Interstate Oil and Gas Transport to Europe) zur Sicherung des Öl- und Gastransports nach Europa. Mit all diesen ach so freundlich kooperativen Vereinen will der heutige EU-Industriekommissar Günter Verheugen einen "Ring verantwortungsvoll regierter Staaten rund um die EU" schaffen.

Das Engagement Deutschlands bzw. der EU hat allerdings einen Haken: Die betroffenen Staaten finden die Interventionen, vor allem auch die der OSZE, als zu "russlandlastig". Uwe Halbach (SWP) fordert daher eine Rolle Deutschlands bzw. der EU, die "Russland als Partner und Widerpart" gleichermaßen versteht wie behandelt. Zu deutsch: Die ständigen Versuche der russischen Bourgeoisie, den Einfluss auf die Nachbarländer zu verstärken, dürfe man trotz allen Verständnisses für die "geografische, historische, psychologische und strategische" Verwobenheit mit der Region nicht durchgehen lassen. Man möchte schließlich selbst Einfluss auf die abtrünnigen Staaten haben und diese nicht Russland überlassen, zumal man mit ihrer Hilfe zugleich Russland schwächen kann. "Deutschland fällt hier in der Kommunikation Europas mit Russland eine besondere Rolle[Herv. AG] zu, weil es sich seit der Zeitenwende von 1991 für beide Seiten stark gemacht hat: für die europäische Partnerschaft mit Russland ebenso wie für die Souveränität der Nachbarn Russlands in Regionen wie dem Kaukasus und Zentralasien." Und noch deutlicher in seinem "Ausblick": "Im Südkaukasus wird erwartet, dass sich Europa auf den bisher eher gemiedenen Feldern der Sicherheitspolitik und des Konflikt-managements stärker engagiert, nicht zuletzt mit dem Kalkül, dadurch die geo-strategische Rivalität im Kaukasus, wie sie sich zwischen Russland und den USA möglicherweise entfalten wird, relativieren zu können." Großartig: ein weiterer militärischer Mitspieler, um die Kontrahenten zu neutralisieren ..., angeblich zur Ab-schwächung der Rivalität und Herstellung eines harmonischen Interessenausgleichs, tatsächlich aber meldet hier ein weiterer Rivale im Tarnanzug des Schlichters seine eigenen Ansprüche an.

Auch von der OSZE wird angeblich ein "sicherheitspolitisches" Engagement erwartet: In ihrer "Moskauer Erklärung" vom 3.7.2004 hätten die zentralasiatischen Staaten gemeinsam mit Russland zu erkennen gegeben, "dass diese Staaten eine deutliche Stärkung der Aktivitäten im politisch-militärischen Bereich ... sowie die Weiterentwicklung der wirtschaftlich-ökologischen Dimension wünschten." Mehr "robuste" und umfassendere Intervention also. Was für ein Zufall, dass sich diese Wünsche so gut mit den eingangs geschilderten Interessen von Deutschland decken, für die es die EU als Vehikel einzuspannen weiß!

Mit und gegen Russland

Was schließlich die Haltung zu Russland angeht, sind in deutschen Landen aus diversen Richtungen scharfe Töne zu hören, die vor allem den ehemaligen Putin-Schröder Schmusekurs kritisieren. So sprach etwa Friedbert Pflüger, damals außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU, in einem Kommentar mit dem Titel "Allianz der Abhängigkeit" vom "berechtigten" Vorwurf eines "Schweigens für Gas" angesichts Russlands Verfahren mit Tschetschenien und rät, die Energieallianz mit Russland um "ähnliche Partnerschaften mit anderen Regionen, zum Beispiel dem kaspischen Raum oder Westafrika" zu ergänzen. Offen brutale Töne ließ im Zusammenhang mit der missglückten Geiselbefreiung der russischen Regierung im nordossetischen Beslan 2004 der Vorsitzende der Deutsch-Kaukasischen Gesellschaft, Ekkehard Maaß, in der rechtsradikalen Jungen Freiheit vernehmen: "Der russische Präsident sei 'vor das Kriegsverbrechertribunal in den Haag' zu stellen. 'Eine Lösung des Tschetschenien-Konflikts kann es nur mit Hilfe der Europäer und Amerikaner geben. ... Voraussetzung ist aber natürlich der Abzug der Russen.'"

Ein schärferer Ton herrscht nun auch im Zusammenhang mit den drastischen Ölpreiserhöhungen der russischen Gasprom gegenüber den bisher zu bevorzugten Preisen bedienten Nachbarn. Energieexperte bei der DGAP (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik) Frank Umbach verlangt ein umgehendes Konzept zur Versorgungssicherheit angesichts eines "russischen Energieimperialismus". Und die FAZ wirft unter dem Titel "Moskaus kleine Machtmusik" dem russischen Botschafter in Moldawien, Nikolai Rjabow, "gespielte Naivität" und "blanken Zynismus" vor, als dieser verkündete: "'Es ist höchste Zeit, dass Russland seine paternalistische Gewohnheit aufgibt', ... da Moskau schließlich auch australischen Winzern keine Handelsvorteile gewähre, könne es seine moldauischen Freunde nicht länger durch 'imperiale Wohltätigkeit' demütigen." Sieht man die Geschichte allerdings nicht mit der Brille des deutschen Großmachtchauvinismus, erscheint dieser Sarkasmus durchaus angebracht angesichts der zunehmenden Abwendung der Nachbarstaaten von Russland und Hinwendung unter deutsche/EU Fittiche bei gleichzeitig erwarteter "Fütterung" vom Großen Bruder ... Man bedenke, dass diese Staaten noch vor 15 Jahren gemeinsam mit der Russischen Föderation die Sowjet-union bildeten, in der die damalige russische Sowjetrepublik maßgeblich die Infra-struktur zur Erschließung der Energiequellen entwickelt und bereitgestellt hatte und die Versorgung aller Sowjetrepubliken hauptsächlich mit russischem Öl und Gas sicherstellte.

Diese gröberen Töne korrespondieren durchaus mit den längerfristig angelegten Strategien zur Befriedung Russlands mittels zahlreicher Abkommen, Strategiepapiere etc., die seit 1994 in regelmäßigen Abständen seitens der EU und dem deutschen Imperialismus als darin treibender Kraft neu aufgelegt werden – mit beschränktem Erfolg, so die Autoren Hannes Admoneit und Rainer Lindner in ihrer SWP-Studie "Die 'Gemeinsamen Räume' Russlands und der EU" vom November 2005. Schaut man sich hier jedoch die jeweiligen Zielsetzungen der EU und von Russland an, so wird überdeutlich, dass hier etwas einfach nicht zusammen gehen kann. So heißt es auf S. 10:

"Die EU geht in ihrer Strategie davon aus, dass es in Russlands innenpolitischer Entwicklung erhebliche Defizite gibt. In Russland sei daher eine 'stabile, offene und pluralistische Demokratie zu schaffen, die rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichtet ist und der Untermauerung einer prosperierenden Marktwirtschaft dient'. Das Land solle 'in die Lage versetzt werden, sich in einen gemeinsamen europäischen Wirt-schafts- und Sozialraum einzugliedern'." Anschließend ist von entsprechender "Hilfestellung" durch die EU und ihre Mitgliedsstaaten die Rede. In Russlands Antwort darauf bezeichne sich das Land als "'Weltmacht', ... die sich 'über zwei Kontinente erstreckt'; das Wesen seiner 'Strategie' gegenüber der EU bestehe darin, 'nationale Interessen und die Aufwertung der Rolle und Autorität Russlands in Europa und der Welt zu gewährleisten.'" Ei der Daus, wer hätte das für möglich gehalten, dass die ehemalige Weltmacht Nr. 2, die nach wie vor den Planeten mehrfach in die Luft sprengen kann (von anderen "Errungenschaften" abgesehen), derartige Ambitionen hat? Und dann unterstellt sie der EU auch noch egoistische Absichten: "Die EU wolle Russland eng an sich binden, nicht zuletzt als Flanken-macht für die zyklische Verschlechterung ihrer transatlantischen Beziehungen" (S. 19). Besser hätte es unsereiner nicht auf den Punkt bringen können

Derzeit im Gespräch sei ein Assoziierungsabkommen Russlands mit der EU, etwa entsprechend dem Modell Norwegen . Strittig sei jetzt nur noch, ob diese Asso-ziierung mit oder ohne Transformation erfolgen soll, heißt, mit oder ohne "Demo-kratisierung" gemäß EU Normenkatalog.

In der energiepolitischen Zusammenarbeit nach deutscher Facon ist man allerdings schon recht weit vorgedrungen. Beim Gipfeltreffen in Jekaterinenburg 2003 wurde eine spezielle deutsch-russische "strategische Partnerschaft" vereinbart, basierend auf dem zuvor gegründeten Gesprächskreis "Deutsch-Russische Energiekooperation" mit dem Ziel, andere imperialistische Staaten und Monopole aus dem russischen Erd-gasbereich herauszuhalten. 2004 folgte ein Abkommen mit Gasprom zur Beteiligung deutscher Energiemonopole an der gesamten Wertschöpfungskette der russischen Gasproduktion – von der Erforschung und Förderung über den Transport durch die neue Ostseepipeline bis zur Vermarktung in Westeuropa. Flankiert wird diese Form der "Partnerschaft" von regelmäßigen "Deutsch-Russischen Energiegipfel"-Treffen.

Es wird deutlich: Auch in Russland, von dem man angeblich wie tatsächlich so energierohstoff"abhängig" ist, will und kann der Deutsche Imperialismus immer wieder seinen Einfluss stärken. Die Klaviatur reicht dabei von sehr verständnisvollen, vereinnahmend einnehmenden Tönen bis hin zu offenen Drohungen. Doch Russland ist nicht nur militärisch mächtig und kann daher auch eigene Interessen vertreten. Das hat vor allem die USA in den vergangenen Jahren zu spüren bekommen. Mit dem Versuch der Schwächung Russlands verschärft Deutschland die Widersprüche bzw. treibt die russische Bourgeoisie möglicherweise wieder einmal in ein Bündnis gegen den deutschen Imperialismus – es wäre nicht das erste Mal.

Alternativen zu Russland –im Alleingang und mit der EU

Der deutsche Imperialismus entwickelt neben der strategischen An- und Einbindung Russlands durchaus energiepolitische Alternativen – sowohl im Alleingang als auch im Rahmen der EU. Am 25.10.2005 wurde die sogenannte "Energiegemeinschaft" zwischen den 25 EU-Mitgliedern und neun Balkanstaaten abgeschlossen. Es geht dabei darum, diese Staaten an das EU-Regelwerk zu binden, ohne ihnen die EU-Mitgliedschaft anzubieten. Regeln für die "Gewinnung, Übertragung und Verteilung von Strom", für "die Übertragung, Verteilung, Lieferung und Vorrathaltung von Gas", für "die Öffnung der Märkte in Übereinstimmung mit EU Regeln", für einen "regulierten Zugang dritter Parteien, Tarifsysteme, die den Handel stimulieren ..." . Das bedeutet konkret Eingriffe in das nationale Energierecht zum Wohle der Monopole in der EU, die rechtlich abgesicherte Zerschlagung und Filettierung nationaler Energieunternehmen. Auch die Financial Times Deutschland nennt das Kind beim Namen: Der Vertrag sehe vor, dass sich die "EU-Anwärter Rumänien und Bulgarien, außerdem Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Mazedonien und Serbien/Montenegro dem EU-Regelwerk für Strom und Gas unterwerfen[Herv. AG] – einschließlich der Gesetze für Wettbewerb und Umwelt." Dabei, so die Prognose "werden die energiepolitisch noch abgeschotteten Balkanländer ihre Märkte wohl rascher öffnen als das zögerliche Alteuropa ... Mittelfristig soll die Energie-gemeinschaft die Brücke schlagen für eine Alternative zum russischen Erdgas." Interessanterweise gehören zu den neun nicht EU-Mitgliedern auch die Türkei und die UN-Administration des Kosovo (!). Die Deutsche Vereinigung des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) hat im übrigen den vier ex-jugoslawischen und nach dem Jugoslawienkrieg neugebildeten Staaten Serbien und Montenegro, Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien bereits seit 2002 (!) Standards zur Reorganisierung des nationalen Gassektors auferlegt. In enger Abstimmung mit deutschen Ministerien wird so das "Potenzial", d.h. Profitgelegenheiten, für Investoren ermittelt.

Konkret geht es im Zusammenhang mit dem neuen Kontroll- und Beherrschungsinstrumentarium um die Verlegung zweier Pipelines ("South East European Line/SEEL" und "Nabucco"), die kaspisches Erdöl und iranisches Erdgas – an Russland vorbei – in die EU transportieren. Die SEEL verläuft dabei vom rumänischen Schwarzmeerhafen Konstanza nach Belgrad über die bereits bestehende Pipeline von Belgrad zum kroatischen Omisalj und von dort weiter nach Triest. (Die Konkurrenzstrecke eines US-dominierten Konsortiums namens AMBO soll, ur-sprünglich als westliches Gegenstück zur Unocal-Linie gedacht (siehe oben), vom bulgarischen Schwarzmeerhafen Burgas über Mazedonien und Albanien nach Viore an der Mittelmeerküste verlaufen.) Die "Nabucco"-Pipeline, deren Konstruktion eben-falls bereits begonnen hat, soll Gas aus der Kaspischen Region, vor allem dem Iran (South-Pars-Feld, das bereits von Total, Shell und ENI/Agip genutzt wird), über die Türkei, Bulgarien, Rumänien und Ungarn zum Netzknoten Baumgarten an der slowakisch-österreichischen Grenze leiten . Das Konsortium wird von der öster-reichischen OMV betrieben, sowohl RWE als auch E.ON haben sich als interessierte Partner angemeldet.

Da Libyen für Deutschland nach Russland, Norwegen und Großbritannien der viertgrößte Öllieferant ist, ergriff die Bundesregierung unter Schröder bereits im Oktober 2004 die Gelegenheit, angesichts der "Öffnung" mit einer 25-köpfigen Unternehmerdelegation im Schlepptau eine Ölförderanlage der BASF-Tochter Wintershall zu besuchen und wirtschaftspolitische Weichen zu stellen. "Die Bundesregierung hofft, die Öffnung Libyens durch eine Vollmitgliedschaft des Landes im so genannten Barcelona-Prozess der EU zu festigen. Ziel des Prozesses ist es, bei Mittelmeer-Anrainerstaaten ökonomische und politische Reformen anzustoßen und eine Freihandelszone zu schaffen. Libyen hat seit 1998 einen Beobachterstatus." BASF-Wintershall und RWE-DEA haben bereits in die libysche Ölindustrie in-vestiert. Deutschland ist außerdem nach Italien der zweitwichtigste Handelspartner Libyens!

Eine weitere Quelle zur Umgehung Russlands ist die Herstellung bzw. Nutzung von Flüssiggas. Hier ist insbesondere E.ON aktiv, und auch RWE will nachziehen. Erdgas wird dabei bis zur flüssigen Form abgekühlt und kann damit in Tankern verfrachtet werden. Die Technologie ist inzwischen so weit entwickelt, dass dieser Bereich durch erhebliche Kostensenkungen für Verflüssigung und Transport profitabel geworden ist. So will E.ON in Wilhelmshaven das erste deutsche LNG-Terminal aufbauen und sinniert über eine ähnliche Anlage in Kroatien. Außerdem ist man einem Projekt im gasreichen Katar am Persischen Golf hinterher. Der Marktumfang von Flüssiggas liegt derzeit bei ca. 8% des Weltverbrauchs von Erdgas, immerhin doppelt so hoch wie der jährliche Gasverbrauch in Deutschland.

Last not least gilt es, beim Run auf das schwarze Gold in Afrika mit dabei zu sein und hier in ein Terrain einzubrechen, das traditionell britisch-französisches Kolonialgebiet war und nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem durch die USA dominiert wurde (und zum großen Teil auch heute noch wird). Hier befinden sich nennenswerte Vorkommen in Nigeria, dem Golf von Guinea vor der Westafrikanischen Küste (in dem die deutsche Marine mit U-Booten der hochmodernen "Sachsenklasse" präsent ist), im Sudan und im Tschad, dessen Erdöl durch eine Pipeline durch Kamerun an den Golf von Guinea geleitet werden soll.

Die Aufmerksamkeit, die die südsudanesische Region Darfur eine Weile in hiesigen Medien genoss, ist vor allem dem Umstand zu verdanken, dass die Ölfelder über-wiegend im Süden des Landes liegen. Dort sitzt die "Südsudanesische Volks-befreiungsbewegung", die für eine Loslösung Südsudans eintritt. Am 22.4.2005 hatte der Bundestag die Entsendung von 75 Soldaten im Rahmen der UN-Mission im Sudan (UNMIS) beschlossen. Die galten in erster Linie der Absicherung des Deals, den die gern als "Rebellen" bezeichnete Organisation zur Vermarktung ihrer Ölquellen mit der deutschen Firma Thormählen Schweißtechnik zum Bau einer Eisenbahnstrecke plus Ölpipeline abgeschlossen hat. Der sezessionistische Südsudan soll auf diese Weise mit dem Indischen Ozean verbunden werden. Der Spiegel ließ hier keine Unklarheiten aufkommen: "Solche Geschäfte brauchen stabile Rahmen-bedingungen. Joschka Fischers klare Ansage, man könne Darfur 'nicht sich selbst überlassen', ist deshalb keine Phrase, sondern ein Programm. Ausufernde Unruhen und eine Regierung, die ihren eigenen Staat nicht im Griff hat, sind Gift für profitablen Handel." Und: "Vor dem Hintergrund einer schwelenden französisch-amerikanischen Rivalität im Kampf um afrikanische Rohstoffe sowie der britisch-französischen Pläne für eine Einsatztruppe Richtung Afrika will zukünftig auch Deutschland nicht abseits stehen. Es sei 'eine Selbstverständlichkeit', dass Deutsch-land 'eine besondere Verantwortung in Afrika' übernehme, erklärte jüngst Verteidigungsminister Peter Struck: 'Auch dort sind wir in der Pflicht'." Mit diesem "Pflichtbewusstsein" kommt der deutsche Imperialismus auch hier wieder mächtig ins Gehege mit dem amerikanischen, allerdings auch mit dem britischen und fran-zösischen in ihren "angestammten" Kolonialgebieten. Zugleich findet man sich v.a. mit letzterem Konkurrenten durchaus wieder vereint, wenn es um die Konkurrenz (z.B. bei Militäreinsätzen) mit den USA geht - ohne dass das Gerangel um die Führung bei gemeinsamen EU Militärinterventionen deshalb ein Ende nähme, wie man bei den Kongoeinsätzen der EU 2003 und heuer (2006) beobachten kann.

Sehr rührig ist derzeit Bundespräsident und Ex-IWF Chef Köhler im Antichambrieren um afrikanische Bündnispartner. Da werden deutschfreundliche "Akteure" (Konzern-vertreter und Politiker aus afrikanischen Ländern) zu Kongressen auf dem Petersberg eingeladen, da wird durch Afrika rundgereist wie zu Kaisers besten Zeiten. "Auch wir müssen mit vitaler Aufmerksamkeit unsere Energie- und Rohstoffversorgung sichern", bekennt Köhler in diesem Zusammenhang offenherzig gegenüber der IP/Interna-tionale Politik.

Die übrige Konkurrenz

Der Vollständigkeit halber werfen wir schließlich noch einen Blick auf die weitere Konkurrenz, mit der sich der deutsche Imperialismus zu befassen hat: Da ist zum einen Großbritannien, das vor allem mit seinen Monopolen BP und Shell unterwegs ist. Es fällt dem deutschen Imperialismus schwer, diesen – aus den genannten historischen Gründen – unmittelbar das Wasser abzugraben. Dies geschieht eher über den Umweg der weiträumigen politischen Einflussnahme, wie wir sie zuvor geschildert haben. Außerdem sind die deutschen Monopole über RWE und E.ON wie gezeigt in Großbritannien recht gut aufgestellt, während Großbritannien seinerseits - historisch - über BP- und Shell-Tochtergesellschaften in Deutschland präsent ist. Angesichts der versiegenden Nordsee-Ölquellen wird allerdings auch Großbritannien import"abhängig" und muss sich mit seinen Monopolen auf dem Ölmarkt zunehmend neu behaupten.

Norwegen ist wichtiger Öl- und Gaslieferant für Deutschland, wobei allerdings das Land ebenso abhängig ist von seinem Export (nach Deutschland), den es zu erweitern sucht. Eine weitere starke Präsenz in Deutschland, insbesondere im Osten auf dem Gebiet der DDR, hat die schwedische Vattenfall (vor allem durch die Übernahme der HEW/Hamburger Elektrizitätswerke). Hier steht allerdings kein vergleichbar starker imperialistischer Staat dahinter, der dem deutschen Imperialismus hegemonial in die Quere kommen kann.

Anders verhält es sich da mit Frankreich: Zum einen kann der französische Imperialismus mit Total das immerhin weltweit viertgrößte Ölmonopol aufweisen. Die wie auch immer zustande gekommenen Absprachen nach der Einverleibung der DDR über die Überlassung der Leuna-Raffinerie und der Minolwerke an Total war sicherlich einer der Pfeiler der deutsch-französischen Achse. Doch diese bröckelt gerade, was sich auch daran zeigt, dass das deutsch-russische Gaspipeline-Geschäft ohne Beteiligung französischer Monopole durchgezogen wird. Zum anderen ist da die immer noch weitgehend vom französischen Staat kontrollierte EdF (Electricité de France) als einer der größten Rivalen der deutschen Energiemonopole, mit einem Anteil von 45% an EnBW (Energie Baden-Württemberg) in Deutschland drittgrößter Stromproduzent. Falls aber E.ON in der Übernahmeschlacht um die spanische Endesa erfolgreich ist, würde sich der Konzern im Energiemarkt, zumindest nach Marktkapitalisierung (Verkaufswert seiner Aktien) , an die Weltspitze katapultieren – noch vor EdF. Frankreich ist derzeit mit der Abwehr der Übernahme seines Wasserkonzerns Suez (Nr. 4 mit 41,49 Mrd. Marktkapitalisierung) durch den italienischen Enel-Konzern (Nr. 3 mit 42,41 Mrd.) beschäftigt und bringt gegen diese die staatliche Gaz de France (GdF) in Stellung. Selbst bei Gelingen dieser Fusion brächte Frankreich "nur" eine Nummer drei nach E.ON und EdF zustande (zumindest nach Marktkapitalisierung; nach Umsatz läge das französische Duo knapp vor E.ON). Mit der Abwehr gegen Enel provozierte Frankreich gar eine Kriegserklärung von Italiens damaligem Wirtschaftsminister Giulio Tremonti, der eine Intervention der EU Wettbewerbskommission erwartete: "Wenn nicht, riskieren wir Folgen wie im August 1914." Und bei einem solchen Streit ist der deutsche Imperialismus derzeit eher feixender, d.h. offiziell sich diplomatisch gebender, Beobachter ...

Energiepolitik mit militärischer Absicherung

Deutschland und die EU wollen in Zukunft ihren Zugang zu Energierohstoffen auch militärisch absichern. Daher das Geschrei um die "Versorgungssicherheit", die in der jüngeren Vergangenheit vor allem anlässlich tatsächlicher und befürchteter Er-fahrungen der ehemals an Russland gebundenen Länder (Polen, Ukraine, Armenien, Moldawien) thematisiert und die IEA (Internationale Energieagentur) hierfür als Sprachrohr benutzt wird . Es gilt hier zum einen, sich als Schutzmacht dieser Länder aufzuspielen (und sie nicht zu Überläufern zur US-Konkurrenz werden zu lassen), Druck auf Russland auszuüben und sich insgesamt als militärische Macht unabhängig und im Bedarfsfall auch gegen den US-Imperialismus zu etablieren.

Die "Arbeitsteilung" zwischen Deutschland und der EU hat die deutsche Regierung beim EU-Wirtschaftsgipfel Ende März 2006 unmissverständlich fest- bzw. dargelegt: Was die Rolle der EU-Kommission bei der Energieversorgung betrifft, so möge diese sich auf "Koordination" beschränken. Schließlich wolle man nicht auch noch für den Stromausfall anderer Länder zuständig sein. Wenn es hingegen darum geht, Osteuropa/Zentralasien unter Druck zu setzen, befürwortet die deutsche Regierung sehr wohl eine interventionsfähige EU, bei der sie selbstverständlich in der ersten Reihe steht. Konkret geht es um die Schaffung einer gemeinsamen EU-Energie-außenpolitik (analog zur GASP/Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU vom Dezember 2003). "Die Bundesregierung will die wichtigsten Energie-konsumenten, -produzenten und –transitländer in der euroasiatischen Region zu mehr Kooperation überreden und damit zu mehr Versorgungssicherheit beitragen." Überreden? Klingt nach unverhohlener Druckausübung. Wen? Alle, die Länder, die Produzenten, die Konsumenten. Klingt nach sehr breit angelegter, unverhohlener Druckausübung.

Gefordert wird von Seiten der deutschen Bourgeoisie (über Denkfabriken und bürger-liche Presse) gleichzeitig nach innen, dass in diesem Sinne auch hierzulande die Energiepolitik stärker an das Außen- und Verteidigungsministerium angebunden werden soll, zu deutsch: in die Hände der von der Bourgeoisie beauftragten Expansionisten und Militärstrategen gelangt. So spricht Außenminister Steinmeier auf der vergangenen NATO Sicherheitskonferenz folgende offene Worte: „Die End-lichkeit fossiler Energieressourcen lässt befürchten, dass Probleme im Zugang zu erschwinglicher Energie immer häufiger auch Quelle von Auseinandersetzungen werden. Für mich ist deshalb klar: Globale Sicherheit im 21. Jahrhundert wird untrennbar auch mit Energiesicherheit verbunden sein. Und die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik, das verstehen Sie, muss sich dieser strategischen Herausforderung stellen. Wir sind ein rohstoffarmes Land. (...) Energie-Außenpolitik, wenn Sie das so nennen wollen, wird jedenfalls als neue Kategorie, da bin ich mir sicher, in das öffentliche Bewusstsein einrücken ...“ Frank Umbach mach das in einem IP-Artikel konkret: "Daher reicht es nicht, dass die Erarbeitung von Vorlagen ... allein den Wirtschafts- und Umweltministerien überlassen bleibt. Vielmehr müsste die Steuerung der Erarbeitung eines solchen Konzepts im Bundeskanzleramt und in einem institutionalisierten Bundessicherheitsrat (oder auch Nationalen Sicherheitsrat – Herv. AG) erfolgen, um so eine ressortübergreifende Konzeption sicherzustellen." Deutschland sei endlich "aus seinem Dornröschenschlaf" erwacht, denn es gebe nun eine "hochrangige BDI-Präsidialgruppe 'Internationale Rohstofffragen' ..., die eine nationale Rohstoffkonzeption erarbeiten soll."

Der deutsche Imperialismus versucht – wie vor allem im Kapitel "Friedensmacht Deutschland" deutlich geworden ist – in und mit der EU, aber auch im Alleingang, überall dort Befriedungspolitik zu betreiben, wo es um seine Energieinteressen geht, mit Schwerpunkt "Osten" (Russland, Zentralasien, Südosteuropa, Türkei). Wir erinnern uns an die Denkschrift der SPD Grundwertekommission: Deutschland hat ein "legitimes eigenes Interesse an seiner dauerhaften und festen Einbindung in einen wirtschaftlich und politisch leistungsfähigen Großraum, der anderen Weltregionen vergleichbar ist." Was "Einbindung" bedeutet, dürfte ebenfalls klar geworden sein.

Durch seine traditionell enge energiepolitische Beziehung zu Russland (als "Erbe" der guten Wirtschaftsbeziehungen im Gefolge der sogenannten Ostpolitik, die die sozialistischen Staaten aufweichen sollte – mit Erfolg, wie wir inzwischen wissen) und mit einem weitverzweigten Netz wirtschaftlicher Abhängigkeiten und Unternehmensanteilen in Ost- und Südosteuropa ist es dem deutschen Imperialismus gelungen, sich in dieser Region gegen den US-Einfluss und auch gegenüber der europäischen Konkurrenz weitestgehend zu behaupten, u.a. eben dadurch, dass er dort die Filetstücke ehemaliger staatlicher Energiebetriebe einheimsen konnte. Es darf durchaus behauptet werden, dass keine andere Weltmacht derzeit in dieser Region wirtschaftlich und politisch über einen ähnlich großen Einfluss verfügt (gerade aufgrund der kombinierten Strategie "mit" Russland und "an Russland vorbei"). Was nun noch fehlt, ist das militärische Drohpotential. Auch hier fährt der deutsche Imperialismus zweigleisig, indem er die EU-Gremien nutzt, aber eben auch national die Militarisierung der Energiepolitik vorantreibt.

Nach mehreren missglückten Anläufen des ewig zu kurz gekommenen Imperialisten, in die Liga der "vollwertigen" imperialistischen Länder aufzusteigen, scheint nun endlich das Ziel in greifbarer Nähe: ein der ökonomischen Macht entsprechender Weltmachtstatus, selbstverständlich auf Kosten der imperialistischen Konkurrenz. Doch gerade hier gilt, was Lenin bereits vor 90 Jahren feststellte:

"Der Kampf der Weltimperialismen verschärft sich. ... Bei der Teilung d(ies)er 'Beute' fällt ein außerordentlich großer Bissen Ländern zu, die nach dem Entwicklungstempo der Produktivkräfte nicht immer an der Spitze stehen ... Es fragt sich, welches andere Mittel konnte es auf dem Boden des Kapitalismus geben außer dem Krieg, um das Missverhältnis zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und der Akkumulation des Kapitals einerseits und der Verteilung der Kolonien und der 'Einflußsphären' des Finanzkapitals anderseits zu beseitigen." (LW Bd. 22, S. 279-80)

Übersetzt auf die heutige Situation: Der deutsche Imperialismus versucht zum dritten Mal, die Welt zu seinen Gunsten neu aufzuteilen. Er ist aufgrund der besonderen Situation nach 89/92 dabei durchaus erfolgreich, was es ihm erlaubt– bei äußerst oberflächlichem Hinschauen –, sich „zivil“ und „friedliebend“ zu geben. Doch damit werden sich die Herren des Finanzkapitals nicht zufrieden geben, das zeigt schon alleine die Untersuchung der Monopole und ihrer Bewegungen im Energiebereich.

Das zu glauben hieße auch, das Wesen der Monopole und die besondere Geschichte des deutschen Imperialismus zu negieren.

Er wird  versuchen, seine Einflusssphären gegen und auf Kosten der Konkurrenz weiter auszubauen und spitzt damit die Widersprüche objektiv kriegstreiberisch zu. Welcher imperialistische Staat mit wem in welchem Bündnis schließlich „angreift“ und welcher sich „verteidigt“ um die Kräftefrage durch Gewalt zu klären, ist heute nicht absehbar. Absehbar ist allerdings, dass es dazu kommt. "Die Kapitalisten", so wissen wir von Brecht ganz im Sinne Lenins, "wollen keinen Krieg, sie müssen ihn wollen."

Und wir müssen alles unternehmen, um diesem "Müssen" entgegen zu wirken, die versteckten wie offenen kriegerischen Absichten des deutschen Imperialismus entlarven und die Arbeiterschaft gegen diesen inneren Feind mobilisieren, der ständig ihre Existenz bedroht: durch die Angriffe auf ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen und die Vorbereitung auf Faschismus und Krieg.

Im Kampf gegen diesen Imperialismus müssen wir zugleich deutlich machen, wer als einziger den Monopolen den Hahn abdrehen kann: der starke Arm der Arbeiterklasse und der – dann nicht mehr – abhängigen Völker!

Deutsche Interessen in Indien – Agenda einer strategischen Allianz

Indien gilt neben China als "aufstrebende Wirtschaft", wie es in bürgerlichen Blättern so klassenneutral heißt. Für sie sind natürlich nur jene ökonomischen Kennziffern von Belang, mit denen die Bourgeoisien der imperialistischen Kernstaaten ihre Kapitalverwertungsstrategien planen können: Konsummärkte, die sich erschließen, Direktinvestitionen (= Kapitalexport), die sich lohnen etc. ... Aber auch die Frage der Konkurrenz ist von Belang, die sich zum einen im Run auf neue Märkte zwischen den imperialistischen Bourgeoisien verschärft und die ihnen zum anderen erwächst aus der sprunghaft steigenden Produktivkraftentwicklung von Ländern wie China und Indien.

Es ist daher sehr wichtig für die Bourgeoisie zu beobachten, mit welchen ihrer Konkurrenten sich diese Länder einlassen, Abkommen schließen und sich ihnen gar politisch-strategisch verpflichten. So finden in der deutschen Presse in Bezug auf Indien dessen Abkommen mit China und Russland (Stichwort "Achse Moskau-Delhi-Peking") große Beachtung und noch größere Beachtung die Abkommen mit den USA, dem größten imperialistischen Konkurrenten. Wenig offengelegt werden dabei, wen wundert es, die Interessen des deutschen Imperialismus.

Das ist die vornehmliche Aufgabe deutscher Kommunisten, die den Kampf gegen die eigene Bourgeoisie zu organisieren und zu leisten haben. Dazu müssen sie die Strategien ihrer Bourgeoisie bei der derzeitigen Neuaufteilung der Welt kennen. Schließlich zeichnen sich an diesen die Frontlinien neuer Kriege ab, die es zu verhindern gilt – möglichst bevor sie ausbrechen.

Strategische Ziele

Im August 2005 veröffentlichte die Stiftung Wissenschaft und Politik/Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit eine Studie mit dem Titel "Indien in der deutschen Außenpolitik" , gefolgt von einem Nachklapp mit dem Titel "Indien als strategischer Partner der USA" als Reaktion auf das US-indische Abkommen.

Mit großer Offenheit werden die Perspektiven der deutsch-indischen "Zu-sammenarbeit" benannt, die bereits in der "Agenda für die deutsch-indische Partnerschaft im 21. Jahrhundert" im Mai 2000 anvisiert wurden. Dazu gehören vor allem die "Ausweitung der bilateralen Beziehungen ... auf sicherheits- und militärpolitische Bereiche" (ebd., 2005, S. 5), d.h. zusätzlich zu den deutsch-indischen Vereinbarungen vom Oktober 2004 zur Intensivierung der wissen-schaftlich-technischen Zusammenarbeit sowie den Anstrengungen, den Umfang der bilateralen Handelsbeziehungen auf 10 Mrd. € jährlich zu steigern. Um die Ambitioniertheit allein der letzteren zu verdeutlichen: Ein derartiger Handelsumfang wäre mehr als die Hälfte des US-indischen in Höhe von derzeit 18 Mrd. US$ - von einer "Volkswirtschaft", die ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts im Vergleich zu den USA aufbringt (2,71 Bio. gegenüber 11,67 Bio. US$). Frappierend dabei ist vor allem die Begründung, mit der man die deutschen Expansionsansprüche – durchaus in offener Konkurrenz gegen die USA – begründet. So heißt es in der Studie auf Seite 7:

"Indien und Deutschland sind für eine dauerhafte Partnerschaft prädestiniert, da sie eine Reihe von gemeinsamen Interessen und Grundwerten haben. Politisch wurden in beiden Staaten trotz extrem unterschiedlicher Voraussetzungen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs demokratische Systeme etabliert. Wirtschaftspolitisch teilen sie das Bekenntnis zu marktwirtschaftlichen Reformen, dem Indien auch Taten folgen ließ: innenpolitisch durch eine Liberalisierung nach 1991 und außenpolitisch durch seine Gründungsmitgliedschaft in der World Trade Organization (WTO) 1995. Sicherheitspolitisch unterstützen beide Staaten seit Jahren die Blauhelm-Einsätze der VN und verfolgen gemeinsame Interessen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Außenpolitisch haben sie bereits mehrfach ihren Anspruch auf eine stärkere Rolle im internationalen System des 21. Jahrhunderts bekundet. Sie gelten als Kandidaten für einen ständigen Sitz in einem reformierten Sicherheitsrat der VN und arbeiten zur Erreichung dieses Ziels auch mit Japan und Brasilien zusammen. Trotz unterschiedlicher kultureller und historischer Voraussetzungen verbindet Indien und Deutschland das grundlegende gemeinsame Bekenntnis zu Menschenrechten westlicher Prägung, auch wenn die Praxis in Indien noch mit zahlreichen Mängeln behaftet ist."

Indien eignet sich also als "Partner" wegen seiner wirtschaftlichen Öffnungspolitik (Zielland für Warenabsatz und Kapitalexport), wegen seiner Unterstützung im Kampf gegen die vom Imperialismus definierten Feinde ("Anti-Terror"-Einsätze), was im übrigen einen Bruch darstellt mit Indiens ehemaliger Politik der Nichtpakt-gebundenheit; weiterhin wegen seiner Unterstützung für Deutschland beim Beseitigen der Reste der Nachkriegsordnung (Sitz im UN-Sicherheitsrat) und – wie an anderer Stelle im Zusammenhang mit Indiens Nichtbeteiligung am Krieg gegen den Irak hervorgehoben wird – wegen seiner, zumindest damaligen, Positionierung gegen die USA. Das kürzlich mit den USA abgeschlossene Militär-Abkommen und die daraufhin vorgenommene (offizielle) Kehrtwende gegenüber Irans Atomwaffen-programm werden dabei nicht sonderlich hoch bewertet:

"Angesichts der zu erwartenden innenpolitischen Widerstände ist es allerdings schwer vorstellbar, dass Indien künftig stets an der Seite der USA zu finden sein wird. Multilaterale Kon-fliktlösungsstrategien, an denen auch Neu-Delhi interessiert ist, könnten insofern zu einem Anknüpfungspunkt der deutschen und europäischen Indienpolitik werden." Und an anderer Stelle: "Aufgrund der historischen Erfahrungen mit den USA und des eigenen außenpolitischen Selbstverständnisses spricht vieles dafür, dass Indien sich nicht uneingeschränkt an die Vereinigten Staaten binden wird ..."

Wirtschaftliche Begehrlichkeiten

Betrachtet man die bereits bis heute bestehende wirtschaftliche und militärpolitische Durchdringung Indiens von deutscher Seite, kann dieser "Optimismus" als durchaus begründet gelten:

Mitte der achtziger Jahre hatte die Anzahl der deutsch-indischen Joint Ventures die stattliche Anzahl von 1.000 Unternehmen erreicht. Bis 1999 waren es dann 4.468 deutsch-indische Kooperationen, und zwar in den Schwerpunktbranchen Maschinen- und Anlagenbau, Elektrotechnik, Werkzeugmaschinenindustrie, Chemie und Pharma-zie, d.h. Platz zwei hinter den USA. Des weiteren ist Indien nach wie vor größter Empfänger deutscher "Entwicklungshilfe". Wichtigste Institution dabei ist die 1962 gegründete KfW-Tochter Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG), die zugleich als Koppelstelle deutscher "Entwicklungshilfe" an die Ex-pansionsinteressen deutscher Unternehmen fungiert. Die DEG untersteht un-mittelbar der deutschen Regierung, in ihrem Aufsichtsrat sind Staatssekretäre des Finanz- und Wirtschaftsministeriums sowie des Auswärtigen Amts vertreten. Die Gesellschaft verfügt über ein eigenes Außenbüro in Neu-Delhi und betreibt 29 indische Projektunternehmen. Bedeutsam dabei ist ihr "Zugang zu lokalen Regierungsstellen und Behörden" , die der deutschen Wirtschaft "über diese politische Geländerfunktion vielfältige Kontakte zur Verfügung stellen" kann.

Auch deutsche Großkonzerne wie BASF (Bombay) und ThyssenKrupp Industries (Pimpri) sind mit eigenen bzw. Industrieanlagen in Mehrheitsbesitz in Indien vertreten. Bosch, Siemens, Lufthansa und SAP haben bereits Teile ihrer Produktion und Dienstleitungen nach Indien verlegt, um von der hochqualifizierten "billigen" wissenschaftlich-technischen Intelligenz Indiens zu profitieren. Der Allianz-Konzern hat seinerseits den indischen "Mittelstand" (ca. 150 Mio. Menschen) entdeckt, um seine Versicherungspolicen an Mann und Frau zu bringen. Im asiatischen Raum verzinst sich für den deutschen Konzern 41% des eingesetzten Kapitals mit mehr als 15%, 48% mit mindestens 8%. Beim Absatz von sogenannten "Mikro"versicherungen im großen Stil ist ihr dabei die deutsche Entwicklungsorganisation GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit) behilflich.

In der am 23. April dieses Jahres veröffentlichten "Gemeinsamen deutsch-indischen Erklärung" soll der bilaterale Handel noch vor 2010 einen zweistelligen Milliarden-umfang erreichen. Schließlich ist Indien "(g)emessen an den Kaufkraftparitäten ... bereits heute die viertgrößte Volkswirtschaft" ...

Auf EU-Ebene, auf der Deutschland – wie wir wissen – die "treibende Kraft" darstellt, werden ähnliche Abkommen mit Indien getroffen. So fand am 13.10.2006 in Helsinki das 7. EU-Indien Gipfeltreffen statt, das die Zusammenarbeit auf zahlreichen Feldern der Wirtschafts- und "Sicherheits"politik, des Kulturaustausches etc. be-kräftigt hat. Herzstück ist ein in Verhandlung befindliches Investitionsabkommen, das umfangreiche Maßnahmen zur Öffnung des indischen Marktes, Investitionsanreize seitens der indischen Regierung etc. vorsieht. Ideologisch "gecovert" wird diese Allianzpolitik in der "Gemeinsamen Erklärung" vom 13.10. mit dem Statement, dass es sich bei der EU und Indien um die "zwei größten Demokratien in der Welt" handele, die "globale Akteure in einer multipolaren Welt" seien . Übersetzt man die diplomatische Sprache ins Alltagsdeutsche, heißt das: "Wir sind die wichtigsten, weil die größten und zugleich fortschrittlichsten Regionen der Erde und stellen daher die Weichen in einer nicht mehr von den USA beherrschten/beherrschbaren ("multipolaren") Welt." Flankiert wird diese Politik vom Asiatisch-Europäischen Dialog (ASEM) und den durch Indien unterstützten künftigen Beobachterstatus bei der südasiatischen Vereinigung für regionale Kooperation SAARC , die vom 1.-4. April 2007 in Neu Delhi stattfindet.

Waffenbrüderschaft

Mit dem am 6. September 2006 unterzeichneten Verteidigungsabkommen zwischen Berlin und Neu Delhi wurden neben militärischer Zusammenarbeit umfangreiche Rüstungsexporte vereinbart. Bereits im August ebnete die Bundesregierung der deutschen Rüstungsindustrie den Weg nach Indien, als Rüstungskonzerne wie EADS, Rheinmetall und Atlas Elektronik im Schlepptau von Wirtschaftsminister Glos Neu-Delhi und Bombay bereisten. Neben 18 U-Booten geht es vor allem um die Lieferung von Eurofighter-Kampfflugzeugen. "'In Indien merkt man, dass Deutschland eine Rolle spielt', sagte ein Sprecher des Luft- und Raumfahrtskonzerns EADS, der den Eurofighter anbietet und Aufträge für Armeehubschrauber in Aussicht hat." Der bisherige Rüstungsexport hatte sich in der Vergangenheit hauptsächlich auf Marinebedarf konzentriert: U-Boote und Bordwaffensteuersysteme. In den neunziger Jahren durfte Indien unter anderem Seepatrouillenflugzeuge des Typs Dornier Do-228-200 MP in Lizenz bauen. Außerdem besteht eine Kooperation zwischen dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrtforschung und der Indian Space Research Organisation (ISRO). Im Oktober 2001 wurde der deutsche BIRD -Satellit mit einer indischen Trägerrakete in den Weltraum gebracht.

Als wirtschafts- wie militärpolitisch ebenfalls von Belang kann die Übernahme von 74% der Anteile am zweitgrößten indischen Flughafen in Neu-Delhi durch ein von der deutschen Fraport geführtes Konsortium gelten.

Last not least geht es bei der militärpolitischen Einbindung Indiens um eine Frontstellung gegen China bzw. die Verhinderung einer zu engen Einbindung Indiens in maßgeblich von China mitbestimmte Kooperationen wie etwa die "Shanghai 5/6" (SCO), bei der Indien und Iran (!) Beobachterstatus haben ...

Kontinuitäten deutscher Außenpolitik

Die deutsch-indischen Beziehungen haben eine lange Tradition in der deutschen Außenpolitik. Als zu kurz und zu spät gekommener Imperialismus konnte Deutsch-land seine wachsenden Weltmachtambitionen immer nur auf Kosten der imperia-listischen Konkurrenz verfolgen, d.h. im Einflussgebiet der Kolonialmächte "grasen". Für Indien schuf man bereits im Kaiserreich 1915 ein an das Auswärtige Amt angebundenes "Indienkomitee", das gezielt antibritische Aufstandsbewegungen in Indien unterstützte. Die Tradition wurde im Faschismus fortgesetzt, als gemeinsam mit dem militanten Unabhängigkeitskämpfer Subhas Chandra Bose ein "Sonderreferat Indien" gebildet wurde, das für seine Diversionsaktivitäten 1942 die Deutsch-Indische Gesellschaft gründete. Dazu zählte u.a. eine "Indische Legion" aus 3.000 indischen Kriegsgefangenen, die an der Westfront gegen die Alliierten (britische, amerikanische und kanadische Soldaten) eingesetzt wurde. Nach dem Krieg wurde die Deutsch-Indische Gesellschaft neu gegründet mit heute rund 30 Zweigstellen und ca. 4.000 Mitgliedern. Vorsitzender ist Hans-Georg Wieck, ehemals BND Chef sowie deutscher Botschafter in Indien, der bei seinen Aktivitäten im Rahmen der OSZE beim Aufbau einer Opposition gegen Lukaschenko in Weißrussland bereits ein gewisses Renommee erlangt hat. Von 1993-1999 war er außerdem Präsident des Deutschen Indien-Instituts in München, das 1946 auf der Basis von NS-Netzwerken wiedergegründet worden war und eng mit dem Indien-Ressort des BND kooperiert.

Insgesamt gibt es also genügend Hinweise, dass der deutsche Imperialismus sich beim Run auf neue Märkte und Einfluss auf insbesondere ökonomisch - noch - abhängige Staaten nicht die Butter vom Brot nehmen lässt. Die Strategie ist dabei traditions-gemäß, den Einfluss der imperialistischen Konkurrenz durch entsprechende "Partner-schaften" zurück zu drängen und dabei ganz un-aggressiv zu wirken.

Das darf uns aber nicht über die Erkenntnis hinwegtäuschen, dass es sich hier um den dritten Anlauf des deutschen Imperialismus handelt, ökonomisch, politisch und militärisch Weltgeltung zu erreichen – auf Kosten der Konkurrenz, die sich das nicht bieten lassen wird. Statt diese von deutschem Boden aus zu bekämpfen (vornehmlich die USA) und damit unserer eigenen Bourgeoisie einen Gefallen zu tun, sollten wir die Machenschaften des deutschen Imperialismus entlarven und vor allem deren Kosten für die Arbeiter hierzulande, die heute mit materiellen Einschränkungen und morgen mit ihrem Leben für diese Abenteuer zu bezahlen haben ...

Deutsche Befriedungsstrategien im Nahen Osten

Mit dem Libanon-Einsatz der Bundeswehr gelang es dem deutschen Imperialismus, die letzte Hürde zur "Normalität" zu nehmen: Nun gibt es keinen Flecken der Erde mehr, auf den Deutschland nicht irgendeinen Anspruch erheben könnte, "nur" weil es dort im Zuge zweier Weltkriege besonders unangenehm aufgefallen wäre. Der erste Einsatz im Nahen Osten war zunächst erstaunlich umstritten in der hiesigen Bevölkerung. Viele meinten bei Medienbefragungen, nach dem Holocaust stünde es Deutschland besser an, sich in dieser Region nicht einzumischen – schon gar nicht militärisch.

Nun ist es sicherlich bedenkenswert genug, dass es sechs Millionen vergaster Juden bedarf, um eine deutsche Einmischung im Nahen Osten für fragwürdig zu halten, während etwa zwei Millionen abgeschlachteter Serben nicht ausreichen, um eine derartige Hemmschwelle zu errichten, wie wir aus dem Jugoslawienkrieg wissen. Aber dort sollte ja ein Holocaust "verhindert" werden ...

Dies macht eben nur - erneut - deutlich, dass imperialistische Interventionen grund-sätzlich nichts mit Wiedergutmachung von Massakern, Verhinderung von Massakern etc. zu tun haben, sondern eben ausschließlich mit imperialistischen Interessen: Beherrschung und Unterdrückung abhängiger bzw. abhängig zu machender Länder, Verdrängung des Konkurrenten ...

Und um nichts anderes geht es dem deutschen Imperialismus im Nahen Osten: endlich dort die US-amerikanische Dominanz aufzurollen, Kapital zu schlagen aus dem massiven Einflussverlust der USA. Während in CNN letzterer offen beklagt wird und hochrangige Politiker (Brzezinski, Kissinger) über geeignete Gegenmaßnahmen sinnieren (z.B. einen Abzug von US-Truppen aus dem Irak), liest sich das in der bundesdeutschen Bürgerpresse etwa so:

Die Financial Times Deutschland titelte am 1. September 2006: "EU soll zentrale Rolle in Nahost spielen" und zitiert Finnlands Außenminister Erkki Tuomioja: "'Die EU ist die einzige Partei, die direkt und offen mit jedem, der relevant ist, reden kann'" ... Europa habe "inzwischen sowohl die militärische Führung als auch die Führung beim Wiederaufbau des Libanon übernommen ... Die Erwartungen an die EU seien sehr hoch. ... Teilweise sei das auch darauf zurückzuführen, dass die USA ihre vormals dominante Rolle nicht mehr ausfüllen könnten."

Entsprechend wurde Libanon für einen deutschen Einsatz unter Druck gesetzt und Israel schmackhaft gemacht ("Hisbollah entwaffnen"), aber zugleich deutlich ge-macht, dass Deutschland "eigenständig" bleibt. So "eigenständig", dass es sich weder vom Libanon vorschreiben lassen will, wann deutsche Kriegsschiffe wo einzugreifen haben, noch gar zulässt, dass dieselben von Israel beschossen werden. (Spätestens an dieser Stelle könnte sich der "unvoreingenommene" Beobachter fragen, was denn die deutsche Bundeswehr eigentlich dort treibt, wo sie offensichtlich niemand haben will.)

Bei allen Querelen um die "Robustheit" des deutschen Mandats und die Diskussionen um die angebliche Überforderung der Bundeswehr aufgrund der Vielzahl der derzeitigen Auslandseinsätze wird deutlich, dass der deutsche Imperialismus ein neues Kapitel aufgeschlagen hat: seine Wirtschaftsinteressen zunehmend auch militärisch abzusichern, mit und ohne (zweifellos bald auch: gegen) den Hauptkonkurrenten USA.

Klar, dass dabei auch immer wieder die Effektivität und gesellschaftliche Akzeptanz solcher Einsätze überprüft werden müssen – allerdings keineswegs, um diese "Politik" zurückzunehmen, sondern im Gegenteil: um den Umbau der Bundeswehr von einer Verteidigungs- zu einer Angriffsarmee zu forcieren und den "neuen Soldaten" entsprechend zuzurichten.

Deutsche Interessen im Nahen Osten

Mit dem "Barcelona-Prozess" schlossen die 15 "alten" EU-Mitglieder eine sogenannte Euro-mediterrane Partnerschaft (EMP) mit zwölf "Partnern" ab . Bis 2010 soll danach eine Euro-mediterrane Freihandelszone geschaffen werden. Was nichts anderes heißt, als dass die ökonomisch weitaus stärkeren EU-Staaten, allen voran Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien ungehinderten Zugang zu den Märkten im Nahen Osten und damit den Ausbau entsprechend marktbeherrschender Stellungen erhalten.

Für Deutschland sind die Länder des Nahen Ostens wichtige Exportgebiete, insbesondere in arbeitsintensiven Sektoren wie der Bauindustrie, Industrie-ausrüstungen, Autoindustrie und Maschinenbau sowie Elektronik und Telekommunikation. Für einige dieser Länder ist Deutschland der wichtigste Han-delspartner: Der Iran importiert vor allem aus Deutschland (rund 10% aller Importe), ebenso Jordanien (ebenfalls 10%). Bei Libyen steht Deutschland mit ebenfalls 10% an zweiter Stelle, bei Ägypten mit 7,5%. Nummer 3 bei den Importen ist Deutschland für Tunesien (9,5%), Libanon (8,3%), Syrien (7,2%) und Algerien (6%). In absoluten Zahlen ist Israel nach der Türkei (Exporte von 7,6 Mrd. US$) der wichtigste Handelspartner mit Exporten in Höhe von 2,6 Mrd. US$ (7,3% aller israelischen Importe) . Mit dem explodierenden Ölpreis sind insbesondere die Exporte in die OPEC-Staaten gestiegen. Die bürgerlichen Blätter hierzulande machen keinen Hehl daraus, dass ein hoher Ölpreis "unsere" Exportwirtschaft ankurbelt. Im Gegenzug hat sich Deutschland vom OPEC-Öl weitgehend unabhängig gemacht: Wurden 1973 noch rund 94% Öl von der OPEC bezogen, sind es heute nur noch 23% (mit Libyen als wichtigster Quelle).

Um die Region wirtschaftlich noch stärker an sich zu binden, hat Deutschland ein starkes Interesse an einer Befriedung des Israel-Palästina-Konflikts. Ein Autoren-kollektiv hat dazu eine Stellungnahme verfasst mit dem Titel "Ausgewogen, aber nicht neutral: Eckpunkte einer deutschen Nahostpolitik" , herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung in Kooperation mit der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), einer der wichtigsten "Denkfabriken" der deutschen Außenpolitik. Dort wird unmissverständlich die deutsche Positionierung bestimmt: Deutschland soll – als wichtigste finanzielle Unterstützerin der palästinensischen Autonomiebehörde - "Geburtshelferin und Patin" (S. 15) eines palästinensischen Staates sein; allerdings mit entsprechenden Auflagen: Ein solcher Staat hat "demokratisch" zu sein, "Menschenrechte zu respektieren" und die Bereitschaft zur "friedlichen Kooperation mit seinen Nachbarn" zu haben. Eine weitere Priorität in diesem Zusammenhang sei das Existenzrecht Israels, vorausgesetzt, es nimmt seine Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten zurück (S. 17). Außerdem seien im Rahmen der GASP auch EU-Eingreiftruppen in der Region vorzusehen, so wie sie heute schon im Rahmen von UN-Missionen auf dem Sinai, in Libanon und auf den Golanhöhen vertreten seien (!).

Das sind also die Aussichten im Nahen Osten: Einem von den USA unterstützten Israel steht ein Palästinenserstaat von deutschen Gnaden gegenüber! Man darf davon ausgehen, dass das Thema "Gerechtigkeit" und "Sicherheit" für welche Seite auch immer damit vom Tisch ist. Hier baut sich satt dessen eine der Nahtstellen für den nächsten Weltkrieg auf ...

Aufgaben linker Kräfte in Deutschland

Statt sich hierzulande gegenseitig die Augen auszukratzen (pro-palästinensische gegen pro-israelische Fraktion), sollte die "Linke" sich auf ihre vornehmlichste Aufgabe besinnen, nämlich die Bekämpfung der eigenen Bourgeoisie, des deutschen Imperialismus. Der mordet derzeit nicht nur im Nahen Osten, sondern u.a. – seit einigen Jahren – ganz massiv im Kongo mit. Die Bevölkerung verliert dort im Durchschnitt eine Million Menschen pro Jahr, die mittelbar und unmittelbar auf das Konto imperialistischer Intervention gehen.

Das zeigt uns, dass "proletarischer Internationalismus" heute, in Zeiten schwärzester Reaktion, in Zeiten einer extrem geschwächten kommunistischen Weltbewegung, die Konzentration auf den eigenen Klassenfeind bedeutet. Bereits das erfordert eine riesige Kraftanstrengung, die (eigentlich) keine Zersplitterung der Kräfte erlaubt. Es geht schließlich darum, die hiesige Arbeiterklasse in Bewegung zu setzen, sie kampfbereit zu machen und sie in den Kampf zu führen. Derzeit ist unsere deutsche Bourgeoisie allerdings weit erfolgreicher, gerade in den Fragen Krieg und Frieden große Teile der Arbeiterklasse um sich zu scharen: Im sogenannten "Kampf gegen den Terror" werden, verkleidet als "Kampf der Kulturen", anti-islamische Ressentiments geschürt. Aber auch der Antisemitismus ist seit der Konterrevolution beliebtes Element, wenn es um die "Befreiung" des deutschen Imperialismus von allen antifaschistischen Auflagen aus der Nachkriegsordnung (Potsdamer Ab-kommen) geht. Die Reden der Jenninger, Walser und Hohmann haben die ideologischen Weichen gestellt: Der Holocaust darf endlich relativiert werden, was nichts anderes heißt, als Deutschland "imperialistische Normalität" zuzugestehen. "Wir" sind schließlich nicht schlechter als die USA, Frankreich oder Großbritannien ... mit geschändeten jüdischen Friedhöfen, beschmierten oder angezündeten Synagogen etc. als den üblichen Begleiterscheinungen, die nun nicht mehr erklärungsbedürftig sind – es passiert ja woanders auch ...

Der heutige Antisemitismus hat in der Gegenwart wieder eine wichtige Funktion: Nicht so sehr als "Antikapitalismus" des Kleinbürgers, der damit die lästige Konkurrenz loswerden möchte und gegen das Monopolkapital ziehen, ohne den Kapitalismus selbst zu bekämpfen ... Der heutige Antisemitismus hat vor allem zum Ziel, Deutschland von seinem größten Schandfleck, dem Holocaust, zu befreien. Wie sich gerade im Libanon-Krieg gezeigt hat, besteht ja seinetwegen immer noch die größte Hemmschwelle in der Bevölkerung, uneingeschränkt und überall Kriege zu führen bzw. führen zu lassen. Außerdem ist der Antisemitismus ein wichtiges Instrument, gegen den wichtigsten Konkurrenten, die USA, wo "die jüdische Lobby" sitzt und Israels antipalästinensische Politik unterstützt wird, zu mobilisieren, möglichst noch unter dem Vorwand des Schutzes palästinensischer Interessen ... Last not least ist der Antisemitismus ein gefundenes Fressen für Querfrontstrategen: Wenn es um die Volksgemeinschaft geht, das Hoffähigmachen rechter Positionen bei den Linken, eignen sich zwei Themen ganz besonders: die USA wegen ihrer "Welt-gendarm"-Rolle im Allgemeinen und Israel (wiederum als Ziehkind der USA) im Besonderen. Wurden bei Hartz IV-Demonstrationen Faschisten noch isoliert, konnten sie sich durchaus ungestraft unter Pro-Libanon Demonstranten mischen.

Die Linke sollte hier tatsächlich aufmerksam sein, denn dem deutschen Imperialismus gilt es schließlich, zwei Feinde gleichzeitig zu bekriegen - möglichst mit Unter-stützung oder wenigstens Billigung/Stillhalten der Arbeiterklasse: zusammen mit der USA und/oder anderen imperialistischen Verbündeten gegen jede anti-imperialis-tische Gegenwehr (das betrifft alle sozialistischen Staaten, alle nach Selbständigkeit strebenden oder sie gar praktizierenden Staaten wie China, Venezuela etc.). Dazu zählt auch der "Kampf gegen den Terror", denn wie immer dieser motiviert sein mag, er ist gerichtet gegen die Bastionen der Ersten Welt. Und daher gilt es auch, diesen Terror zu identifizieren mit "religiösem Fanatismus", "Rückständigkeit", "Frauen-feindlichkeit" etc., womit man große Teile des demokratischen Kleinbürgertums ein-fangen kann. Zum anderen geht es gegen die imperialistischen Konkurrenten, allen voran gegen die USA bei der Neuaufteilung der Welt. Hierzu dient wie geschildert der Anti-semitismus.

Während der größte Teil der Linken (vor allem der ohne Klassenstandpunkt!) nur einen Teil, eine der beiden ideologischen Waffen des deutschen Imperialismus wahr-nimmt und entsprechend auf den anderen Teil mit dem Nimbus moralischer Über-legenheit einschlägt (die Gremlizas gegen die Elsässers v.v.), zerbröselt die Linke, während Antiislamismus und Antisemitismus in der Arbeiterklasse zu-nehmend auf fruchtbaren Boden fallen. Dort hat sich nämlich keiner sonderlich für den Libanon-Krieg interessiert. Allenfalls waren Kommentare in der chauvinistischen Preislage zu hören: "Ja, ja, der Jude mit dem Ami gegen die Bekloppten ..."

Wer schafft "Gerechtigkeit" im Nahen Osten?

Noch ein Wort zur Israel-Palästina-Frage: Mit der Gründung des Staates Israel hatte man damals alle Beteiligten im Nahen Osten betrogen (was wiederum nur angesichts der Monstrosität des Holocaust möglich war). Das jüdische Volk hat man mit dem UN-Beschluss zur Teilung Palästinas im Glauben gelassen, es könne als Wieder-gutmachung für den Holocaust auf Kosten eines anderen Volkes eine "sichere Heimstatt" aufbauen, einen geschützten Apartheitstaat inmitten einer darob feind-seligen Umgebung, ein Stück Erste Welt inmitten der Dritten . Die ansässige Bevölkerung Palästinas wurde mit Billigung nicht nur der imperialistischen Mächte vertrieben, sondern für dieses Unrecht wurde bis heute keine "Heilung" geschaffen, im Gegenteil: Die palästinensische Bevölkerung lebt immer noch zum größten Teil in Flüchtlingslagern, im Niemandsland, grottenarm und ohne Perspektiven – und ohne Rückhalt durch eine Sowjetunion insouveräner und rechtloser denn je.

Ein separater palästinensischer Staat, der absehbar lebensunfähig ist, oder – wie sich zunehmend zeigt – ausschließlich von imperialistischen Gnaden abhängig ist, ist daher auch nur eine Scheinperspektive. Sehr deutlich wurde dies angesichts der EU-Politik gegenüber der palästinensischen Hamas-Regierung. Indem man ihr den Geldhahn abdrehte, provozierte man Lohnausfälle bei der Polizei und Verwaltung und in der Folge eine Meuterei von Fatah-Angestellten, einen innerpalästinensischen Bürgerkrieg. Die Frage der "Souveränität" eines palästinensischen Staates ist offen-sichtlich in festen Händen, nämlich Deutschlands und der EU.

Israel hingegen hat als mit Abstand entwickeltster Industriestaat der Region noch am ehesten die Chance, die "Flucht nach vorne" anzutreten: eine südafrikanische Lösung mit einer Öffnung des Staates unter Beteiligung der palästinensischen Bourgeoisie. Damit träte Israel aus der Apartheit in einen "normalen" Klassenstaat – was wiederum eine wichtige Voraussetzung wäre für eine gegenüber dem Imperialismus eigen-ständige Entwicklung der Staaten im Nahen Osten, etwa vergleichbar mit der derzeitigen ökonomischen Integration lateinamerikanischer Staaten ... Offensichtlich gibt es in Israel Kräfte im progressiven Kleinbürgertum, u.a. die sogenannte Neue Historische Schule, die einer solchen Lösung den Boden zu bereiten scheinen: Man spricht u.a. vom "Mythos der Selbstverteidigung" als Gründungsmythos des israelischen Staates, als Mythos vom israelischen David, der sich gegen den angeblich überlegenen Goliath der arabischen Welt zur Wehr setzen muss . Es gelte, diesen Mythos zu überwinden und auf diese Weise zu einer Politik der friedlichen Nachbarschaft und Verständigung mit den arabischen Staaten zu gelangen. Wie dem auch sei, die Aufgaben für uns Kommunisten in Deutschland sind historisch vorgegeben, ob uns das gefällt oder nicht:

- Wir haben hierzulande den Klassenkampf zu organisieren, um überhaupt die Voraussetzung für eine revolutionär-internationalistische Bewegung zu schaffen.

- Unsere internationalistische Pflicht heute besteht in erster Linie darin, vom deutschen Imperialismus betroffene und bedrängte Völker zu unterstützen (so wie sich Kommunisten anderer imperialistischer Länder um die Unterdrückten ihres Landes zu kümmern haben) – eine Arbeitsteilung, die nicht nur logisch aus Lenins Imperialismustheorie folgt, sondern die uns derzeit vor allem auch unsere begrenzten Kräfte gebietet!

Die völkerrechtswidrige Sezession des Kosovo –
ein weiterer Dominostein
deutscher Vorherrschaft auf dem Balkan

Kaum war die DDR in den Händen des Staates der deutschen Monopolherren, machten sich die Herrschaften an die weitere Neuaufteilung der Welt zu ihren Gunsten – anknüpfend an die Ziele, für die sie die Welt bereits zweimal mit Krieg überzogen haben. Nicht nur die Nachkriegsordnung nach 1945 sollte in weitere Fetzen zerrissen, sondern auch noch gleich die Ergebnisse des Ersten Weltkrieges revidiert werden. Bereits im Herbst 1991 wurde auf einer von der Bundeswehr und der Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände in Fürstenfeldbruck durch-geführten Tagung geplant, was heute mit der Abspaltung des UN-Protektorats Kosovo von Serbien eine neuerliche Spitze erfährt: die Zerschlagung Jugoslawiens. Damals erklärte der Verteidigungsminister a.D. Rupert Scholz: "... dass der Jugoslawienkonflikt unbestreitbar fundamentale gesamtdeutsche Bedeutung hat. Wir glauben, dass wir die wichtigsten Folgen des zweiten Weltkrieges überwunden und bewältigt hätten. Aber in anderen Bereichen sind wir heute damit befasst, noch die Folgen des Ersten Weltkrieges zu bewältigen. Jugoslawien ist als eine Folge des ersten Weltkrieges eine sehr künstliche, mit dem Selbstbestimmungsrecht nie vereinbar gewesene Konstruktion."  Die Bedeutung dieser Folge des Ersten Welt-krieges für den deutschen Imperialismus erklärte der damalige jugoslawische Ministerpräsident Pasic auf der Friedenskonferenz 1919: Der neue jugoslawische Staat solle und werde ein Bollwerk gegen den "deutschen Drang nach Osten" sein. Um dieses Bollwerk ein zweites Mal zu überwinden schlussfolgerte Scholz, "dass meines Erachtens Kroatien und Slowenien völkerrechtlich unmittelbar anerkannt werden müssen. Wenn eine solche Anerkennung erfolgt ist, dann handelt es sich im Jugoslawienkonflikt nicht mehr um ein innenpolitisches Problem Jugoslawiens, in das international nicht interveniert werden dürfe." Seitdem wühlen und intervenieren deutsche Politiker, Diplomaten, Geheimdienste und  Militär, um die Großmacht-ansprüche des deutschen Imperialismus auf dem Balkan über zersplitterte, handlungs-unfähige und von Deutschland abhängige Kleinststaaten durchzusetzen und den Einfluss Russlands, Frankreichs und der USA zurückzudrängen.

Wir rekapitulieren: Die Zerschlagung Jugoslawiens begann 1991 mit der einseitigen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens durch Deutschland, Österreich und den Vatikan! Alle übrigen EU-Staaten, die USA und die UNO verweigerten zunächst die Anerkennung. Sie befürchteten eine Sezessionswelle mit Bürgerkriegsfolgen und zugleich die Hegemonie Deutschlands auf dem Balkan. Zu Recht, wie nicht nur die jüngere Geschichte gezeigt hat, nachdem über Nacht alle Nicht-Kroaten, d.h. vor allem Serben, mit einer neuen Verfassung zu Ausländern in Kroatien erklärt worden sind - mit den Folgen von Bürgerkrieg und Vertreibung. Auch wenn die USA im Bosnien-Krieg (Bosnien-Herzegowina war damals geographisch zu über 60% von Serben bewohnt) noch das Heft in die Hand bekommen und den Befriedungsvertrag von Dayton durchsetzen konnte, trieb Deutschland die Konflikte weiter bis zum Krieg gegen Jugoslawien 1999 voran und übernahm spätestens mit Beendigung des Kosovo-Krieges wieder die schon 1991 mit der einseitigen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens beanspruchte Führung, die es nun auch weiterhin in der Region behalten und ausbauen will .

Mit der Nachkriegs-Resolution 1244 wurde Kosovo zum UN-Protektorat (UNMIK), das die Region "demokratisieren", also im Sinne imperialistischer Interessen befrieden sollte, militärisch unterstützt von den KFOR-Truppen der NATO. Nicht vorgesehen war in dieser Resolution allerdings die Unabhängigkeit des Kosovo oder eine Übernahme durch die EU, wie diese sie am 14.12.2007 in Form einer "Stabilisierungsmission" beschlossen hatte: Danach sollen rund 2.000 Polizisten, Richter und Staatsanwälte den neuen Zwergstaat, unabhängig von seinem zu klärenden Status , verwalten. Nun musste die Mission mit Namen "Eulex" immer wieder verschoben werden, da handfeste Interessen anderer Staaten deutlich im Wege standen, und dies auch noch mit der Rückendeckung des Völkerrechts: Russland und China als Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, Serbien als unmittelbar betroffener Staat, dem ein weiteres Stück seines Territorium entrissen werden sollte und wurde. Vor allem aber waren sich auch die EU-Staaten alles andere als einig. Noch im Sommer 2007 berichtete die SZ: „Für den Herbst prophezeien hohe Diplomaten eine europäische Zerreißprobe über die Zukunft des Kosovo. Eine Zerreißprobe, die die junge gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU in ihren Grundfesten erschüttern und unkalkulierbare Risiken in der Nachbarschaft der Union haben könnte ... Mühsam hatten die Europäer sich nach den katastrophalen Zerwürfnissen über die Balkanpolitik in den frühen 90iger Jahren darauf geeinigt, dass völkerrechtlich anerkannte Grenzen nur noch durch friedliche Einigung oder durch Beschluss des Sicherheitsrates verändert werden dürfen.“ Nun war es aber längst klar, dass es weder eine friedliche Einigung, noch einen UN-Beschluss geben wird. Die mühsame Einigung, mit der man weitere Alleingänge der Deutschen verhindern wollte, wurde wieder über den Haufen geworfen. EU-Staaten wie Zypern oder Spanien, denen bei einem Abnicken dieses Völkerrechtsbruchs sehr unwohl war angesichts der wackligen territorialen Integrität ihrer eigenen Staaten, mussten erst noch auf Linie gebracht werden. Die neue „Einigung“ bestand dann darin, Eulex durchzuführen, die Entscheidung über die Anerkennung des Kosovo als unabhängigen Staat jedoch jedem EU-Staat selbst zu überlassen. Entsprechend haben u.a. Spanien, Zypern, Griechenland und Rumänien den Kosovo bisher nicht als eigenständigen Staat anerkannt.

Auch auf dem Balkan selbst musste Deutschland einen diplomatischen Eiertanz vollführen, um sein Interesse an der Sezession des Kosovo durchzusetzen: Da galt es zunächst, die Wiederwahl der EU-Marionette Boris Tadic abzusichern und Serbien mit einem EU Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen oder zumindest einer Light-Version in Form eines reduzierten Handels- und Visa-Abkommens zu locken, die der störrische serbische Ministerpräsident Kostunica entschieden ablehnte. Parallel musste man die Führung im Kosovo davon abhalten, mit einer voreiligen einseitigen Unabhängigkeitserklärung alles zu verderben, d.h. die Mehrheit der Staaten gegen den Völkerrechtsbruch aufzubringen. Vorsorglich wies man in (deut-schen) bürgerlichen Medien natürlich auf die „imperialen“ Interessen Russlands hin, das kürzlich mit Gazprom 51% der serbischen Erdölgesellschaft Nis erworben hat und die Gasversorgung Serbiens mittels Ausbau der bestehenden Gasleitung ("South Stream") aus Russland durch das Schwarze Meer nach Bulgarien absichern will.

Die "ehrlichen Makler" schlagen wieder zu

Gänzlich uneigennützig werden die deutschen Interessen vorgetragen, denen es um nichts weniger gehe als um "nachhaltige Stabilität" und "Demokratie" in der Region. Originell ist diese Verschleierung deutscher Expansionsinteressen wahrlich nicht. Schon Friedrich List, Gründer des ersten Industriellenverbandes in Deutschland, der als Erster Mitte des 19. Jahrhundert für seine Klasse umfassend die Notwendigkeit deutscher Südostexpansion ausführte, wollte nur "Gutes": "Deutschland hat die Bestimmung, den Südosten zu zivilisieren." Heute heißt das für Demokratie und Stabilität zu sorgen. Diesem unverdächtig anmutenden Zweck, tatsächlich aber der "wissenschaftlichen" Fundierung des Führungsanspruchs Deutschlands auf dem Balkan, diente eine großangelegte Studie des Institut für Europäische Politik in Berlin im Auftrag des Zentrums für Transformation der Bundeswehr (ZTransBW) aus dem Jahr 2006 mit dem Titel "Operationalisierung von Security Sector Reform (SSR) auf dem Westlichen Balkan – Intelligente/kreative Ansätze für eine langfristig positive Gestaltung dieser Region", die es sich dank Ihrer Offenheit bei gleichzeitiger "Geheimhaltung" lohnt (noch mutet man der Öffentlichkeit nicht zu, Deutschland wieder als überall aufmischende Weltmacht vorzustellen), im Folgenden genauer betrachtet zu werden: 

Mit "Security Sector Reform" ist gemäß dem "Erweiterten Sicherheitsbegriff" der EU der komplette Umbau des Sicherheitsapparates eines Landes unter ziviler "demo-kratischer" Kontrolle des Umbaulandes gemeint, die es natürlich auch erst herzu-stellen gilt. Die Auffassung dieses modernen Befriedungsbegriffs gibt die Studie wie folgt zum besten: "Der Ansatz der Sicherheitssektorreform stellt sich somit aus-schließlich als Teilaspekt einer tiefergehenden gesellschaftlichen Transformation dar, welche nicht auf eine bloße effizienzorientierte Umstrukturierung der unter-schiedlichen Sicherheitskräfte setzt, sondern vielmehr die Veränderung der gesamt-gesellschaftlichen 'Sicherheitskultur' im Reformland anstrebt." Und damit der Leser angesichts des hochgestochenen Kauderwelschs nicht im Unklaren gelassen wird, folgt die Fußnote: "Dies wird besonders in autoritären Systemen wie etwa der DDR deutlich, die durchaus über effiziente Sicherheitssektoren verfügte." Es geht also NICHT um "Sicherheit", sondern um die Herstellung eines Besatzerstatus unter Abschaffung sämtlicher Souveränitätsrechte und Zerschlagung historisch gewach-sener Strukturen; es geht um die Zurichtung der Gesellschaft formal nach dem Format bürgerlich-kapitalistischer Gesellschaften, inhaltlich, ihrem Wesen nach, zu treuen Vasallen imperialistischer Hegemonialinteressen, hier: deutscher.

Entsprechend desaströs wird die Lage im Kosovo gezeichnet: Beherrscht werde das Land von mafiösen Strukturen, die sich nach dem Krieg des Staatsapparates bemächtigt und jeden Ansatz "demokratischer" Verwaltung zunichte gemacht haben. Armut und Analphabetentum grassieren – 37% unterhalb der Armutsgrenze, min-destens 43% Arbeitslosigkeit (75% unter jungen Menschen), das Import-Export-Verhältnis bei 27:1, wobei 43% der arbeitenden Bevölkerung auf Subsistenz-wirtschaft beschränkt ist. Die mangelnde Stromversorgung habe bisher im Winter immer wieder Erfrierungstote gefordert - ein Versagen, das die Studie der EU als im Rahmen der UNMIK direkte Verwalterin der Energieagentur KEK im Kosovo anlastet .

Überhaupt spart die Studie nicht mit Kritik an der UNMIK-Verwaltung, die es nicht vermocht habe, demokratische bzw. stabile Verwaltungsstrukturen aufzubauen, sondern vielmehr mit der Anerkennung von Kriegsverbrechern als örtliche Verhandlungspartner bis hin zu Verstrickungen im Mafiamilieu den heutigen Zustand eher befördert habe. Statt einer modernen Justiz beherrsche das "aus dem 15. Jahrhundert stammende, mündlich überlieferte Gewohnheitsrecht ('Kanun')", das "insbesondere patriarchal-tribale Prinzipien wie das der Großfamilie und der Altersautorität umfasst. Der Kanun schreibt dabei nicht nur die Vorherrschaft des Mannes fest, sondern baut darüber hinaus auf einem gewaltlegitimierenden Ehrkonzept auf, welches die Begriffe Besa (Ehre) und Gjakmaria (Blurache) in den Mittelpunkt eines pseudojuristischen Ordnungssystems stellt."

Außerdem sei das "multiethnische Gesellschaftsmodell" völlig gescheitert, da es UNMIK nicht geschafft habe, die nicht-albanische (sprich: serbische) Bevölkerung zu schützen, die zu Hunderttausenden das Land verlassen haben und deren "Reste" in Enklaven hausen muss, aus denen man sich nicht herausbewegen könne, ohne dem "smart Terror" der albanischen Bevölkerung "unterhalb der internationalen Wahrnehmungsschwelle" ausgeliefert zu sein (Steine auf Busse, verbale Einschüchterungen, behördliche Gängelei etc.).

Selbstverständlich wird die ganze Misere nicht darauf zurückgeführt, dass der deutsche Imperialismus es vermocht hat, das "Völkergefängnis" für die ethnische Barbarei zu öffnen und mit der Bombardierung Serbiens auch den Kosovo ins Mittelalter zurück zu katapultieren, sondern vielmehr auf den Umstand, dass sich die UNMIK aus 49 Entsendestaaten zusammensetzt, die, zum großen Teil aus afrikanischen und asiatischen Staaten stammend, ein "gehäuftes Maß an Inkompetenz und Bereicherungsstreben" mitgebracht hätten. Hinzu seien erhebliche Abstim-mungsprobleme zwischen KFOR und UNMIK gekommen, wobei jede nationale Einheit ihre eigenen Wege gehe. Schaut man sich dazu die territoriale KFOR-Aufteilung in eine deutsche, eine italienische, eine französische und eine US-amerikanische Zone an, kann man sich vorstellen, wie das kleine Gebiet des Kosovo durch konkurrierende imperialistische Interessen heruntergewirtschaftet wurde und wie es  weiterhin zum Spielball der imperialistischen "Mannschaften" Eulex und KFOR wird – "Unabhängigkeit" hin oder her. Denn KFOR soll bleiben, nur UNMIK soll durch Eulex abgelöst werden, auch ohne irgendeine völkerrechtliche Grundlage.

Da wird es Zeit, dass Deutschland die Führung übernimmt und einmal ordentlich durchgreift. So zeige sich ja schon, wie gut es mit der Abstimmung funktioniert, wenn Deutsche an der Spitze stehen: "Zu verdanken ist dieser Fortschritt [eines Koor-dinierungstreffens zwischen den verschiedenen Protektoratsinstitutionen im Oktober 2006 – die AG] insbesondere dem guten persönlichen Verhältnis des deutschen UNMIK-Chefs Joachim Rücker mit dem ebenfalls aus Deutschland stammenden KFOR-Kommandeur, Generalleutnant Roland Kather, und unterstreicht nicht nur die Bedeutung von top-down-Prozessen, sondern auch den hohen Stellenwert von Be-ziehungsnetzwerken und 'persönlicher Chemie' im Einsatz", die natürlich nur unter deutschen Landsleuten so richtig aufkommen kann ...

So wird im letzten Kapitel der Studie "Nationale Interessen und Optionen" die Notwendigkeit deutscher Führung begründet (IEP-Studie S. 120 ff):

- "Deutschland als Vorreiter einer neuen Sicherheitsphilosophie": "Im Gegensatz zu anderen Staaten begreift sich Deutschland bereits heute als Motor einer nachhaltigen Sicherheitspolitik ... und könnte durch die Einnahme einer Vorreiterrolle bei der Entwicklung einer neuen europäischen und transatlantischen Sicherheitsphilosophie einen enormen internationalen Ansehensgewinn realisieren."

- "Deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2007 als Wegbereiter". Deutschland möge in dieser Eigenschaft den Strategiewechsel mit einem "10-Punkte-Papier zur Zukunft des Kosovo nach der Statuslösung" einleiten und ein EU-internes "Food for Thought" Papier einbringen, wonach im Namen der Bekämpfung organisierter Kriminalität der "Elitenwechsel" im Kosovo ermöglicht bzw. von wirtschaftlicher Aufbauhilfe abhängig zu machen ist.

- "Deutsche Personalstrategie für internationale Positionen". Hier geht es darum, aus der Tatsache, "dass mittlerweile nahezu alle Führungsfunktionen auf dem Balkan mit deutschen Staatsbürgern besetzt sind", "nachhaltig Kapital zu schlagen und mit einem aktiven politischen Gestaltungswillen zu verknüpfen", was bisher nicht gelungen sei.

Eine ad hoc Arbeitsgruppe namens "Kosovo Strategy Group" aus "unabhängigen Experten" möge den Strategiewechsel mittels "klassischer parlamentarischer Lobby-arbeit" zur "Bewusstseinsschaffung unter Führungspersonen der Regierungs-fraktionen sowie den Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses und des Vertei-digungsausschusses" während der deutschen Ratspräsidentschaft vorbereiten.

Im Mittelpunkt des „Strategiewechsels“ stehen die eingangs der Studie vorgestellten "Deutsche(n) Interessen auf dem Balkan":

- Der Kosovo ist das "unzweifelhaft ... zentrale sicherheitspolitische Handlungsfeld Deutschlands. Deutschland ist dabei nicht nur der wichtigste Truppensteller auf dem Balkan, dem eine erhebliche Verantwortung beim Schutz eigener (ziviler und militärischer) Kräfte sowie der lokalen Zivilbevölkerung zufällt, sondern verkörpert obendrein den bedeutendsten Geldgeber für den regionalen Wiederaufbau, was nahezu zwangsläufig ein aktives Interesse am Gelingen der internationalen Stabilisierungsbemühungen mit sich bringt."

- "Die Stabilisierung des Balkan als Lackmustest europäischer Handlungsfähigkeit". Hier geht es um die "deutsche und europäische Glaubwürdigkeit zum weltweiten Krisenmanagement" und die "zukünftige außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands und der Europäischen Union", weshalb ein Scheitern der ressourcenintensiven Mission auf jeden Fall verhindert werden müsse. Dazu gehört im übrigen auch, den an anderer Stelle erwähnten "kontraproduktiven" Einfluss der USA zurück zu drängen. Dazu gehöre die "teils offene Behinderung europäischer Ermittlungsbemühungen" gegen Kriminelle (der stellvertretende UNMIK-Chef Steve Schook betrinke sich einmal die Woche mit Expräsident Ramush Haradinaj) und der Verstoß gegen die UN-Resolution 1244 durch eine von pentagonnahen Firmen organisierte Militärausbildung des KPC (Kosovo Protection Corps) .

- "Kosovo als 'Zentrales Experimentierfeld" der ESVP (Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik). Es geht um die "einzigartige Chance zur Weiterentwicklung gemeinsamer europäischer Fähigkeiten sowie der Vernetzung ziviler und militärischer Krisenmanagementakteure [unter deutscher Führung – die AG], da faktisch alle sicherheitspolitischen Kompetenzbereiche betroffen sind. Dies gilt insbesondere für das Kosovo, welches sich angesichts wachsender Interessenkonflikte mit den USA und Russland zunehmend zu einem 'Prüfstein für die EU'" entwickle.

Kurzum: Deutschland hat sich mit dem Vehikel der EU – koste es, was es wolle – auf dem Balkan durchgesetzt, gegen Russland und gegen die USA, als "Lackmustest" und "Prüfstein" für weitere imperialistische Aktionen anderswo.

Wer beherrscht den Balkan?

Und die Wirtschaftsinteressen? Aus der Studie erfahren wir, dass "nach unab-hängigen Schätzungen allein in der Trepca-Mine im nördlichen Teil Kosovos Erz-vorkommen im Wert von 25 Mrd. € vermutet" werden. "Hinzu kommt, dass sich besonders die gesicherten, auf rund 8,7 Mio. Tonnen geschätzten Braun-kohlevorkommen bereits wenige Meter unter der Erde befinden und somit als leicht abbaubar gelten". Obwohl die Qualität der Braunkohle als minderwertig zu er-achten sei, stehen die Energiemonopole RWE und EnBW bereits in den Startlöchern: Sie "gehören zu den offiziellen Bewerbern um das etwa 3,5 Mrd. Euro teure Projekt eines neuen, 2,1 Megawatt großen Braunkohlekraftwerks 'Kosovo C' mitsamt neuer Kohlegrube."

Wichtiger noch als die Rohstoffvorkommen des Kosovo ist allerdings die Beherrschung des Balkan als strategischer Brückenkopf nach Vorder- und Zentral-asien. Und hier geht es, neben Absatzmärkten und Einflusszonen,  u.a. konkret um die Gasvorkommen im zentralasiatischen Raum und deren Absaugung via Pipelines über den Balkan Richtung Westeuropa:

Die "Nabucco"-Pipeline, deren Baubeginn für 2009 geplant ist, soll Gas aus der Kaspischen Region, vor allem dem Iran (South-Pars-Feld, das bereits von Total, Shell und ENI/Agip genutzt wird), über die Türkei, an Serbien vorbei (!) über Bulgarien, Rumänien und Ungarn zum Netzknoten Baumgarten an der slowakisch-österreichischen Grenze leiten. Das Konsortium wird von der österreichischen OMV betrieben, RWE wurde jüngst als zusätzlicher Partner zu den Erdgasunternehmen der Region ins Boot gelassen. Inzwischen ist auch eine Beteiligung von Gaz de France im Gespräch – das Bündnis mit Frankreich hat schließlich seinen Preis. Die Konkurrenzpipeline heißt "South Stream" und wird von Russland in Absprache mit den Förderländern Turkmenistan und Kasachstan betrieben. Die Pipeline, an der der italienische Energiekonzern ENI beteiligt ist, soll von Russland durch das Schwarze Meer über Bulgarien, Mazedonien und Albanien nach Süditalien führen und ebenfalls eine Abzweigung nach Österreich haben. Das Nabucco-Konsortium will daher Russland in sein Projekt einbinden und South Stream in Bulgarien an Nabucco anschließen, um sowohl Gas aus Russland als auch aus Zentralasien zu transportieren. Gegen Gas aus Iran zieht allerdings die US-Regierung zu Felde, auch wenn sie "offiziell" das Nabucco-Projekt unterstützt. Dabei scheint eher die Frontstellung gegen Russland eine Rolle zu spielen, da South Stream wiederum eine Konkurrenz-Pipeline zur US-amerikanischen BTC (Baku-Tbilissi-Ceyhan) Pipeline ist, die bewusst russisches Territorium umgeht. Eine Unterstützung des Nabucco-Projekts ohne den Iran ist allerdings faktisch keine, denn dort lagern mehr als Dreiviertel aller Gasreserven in Zentralasien ...

Das Gerangel um Pipelines heißt aber nichts anderes als Kampf um die langfristige Zugriffssicherung auf Energiequellen, heißt wiederum nichts anderes, als sich alle bzw. möglichst viele Staaten der Region – die "Besitzer" der Rohstoffquellen wie die Transitländer – gefügig zu machen. Und darum ist es auch wichtig, wer den Balkan entsprechend "mundgerecht" zerstückelt und beherrscht!

Der International Crisis Group, die die Sezession des Kosovo "begleitet" hat, gehören hochrangige Vertreter der deutschen Bourgeoisie an und man darf damit rechnen, dass nun ein erheblicher Teil der strategischen Vorstellungen der deutschen Denk-fabrik (IEP) umgesetzt wird. Da man auf Unruhen gefasst war und der Studie entsprechend einen Truppenrückzug aus der Region auch nach der "Unabhängigkeit" für wenig opportun hält, hat die Bundeswehr bereits seit November letzten Jahres ihre Aktivitäten in der Region verstärkt. So begann bereits am 16.11.2007 das deutsche NATO-Reservebataillon (Operational Reserve Force, ORF) im Süden Serbiens mit Patrouillen. Die 550 Soldaten entstammen dabei hauptsächlich dem Gebirgsjäger-bataillon 232 aus Bischofswiesen-Strub (bei Berchtesgaden in Bayern), dessen Tra-dition auf das 1938 gegründete Gebirgsjägerregiment 100 zurückgeht, das wiederum an Kriegsverbrechen der Wehrmacht beteiligt war. Das Gebirgsjägerbataillon 232 hat bereits einige Einsätze in Kroatien, in Bosnien-Herzegowina und in Mazedonien hinter sich.

Nachdem sich der deutsche Imperialismus in der Kosovo-Frage hat durchsetzen können, ist damit aber längst nicht das Ende der Fahnenstange auf dem Balkan erreicht: Die fast ausschließlich von Serben bewohnte Republika Srpska in Bosnien-Herzegowina könnte sich veranlasst fühlen, ebenfalls die Unabhängigkeit zu ver-langen. Darauf vorbereitet, beteiligen sich bereits deutsche Soldaten an sogenannten "Liaison and Observation Teams" in Bosnien-Herzegowina. Die autonome serbische Provinz Vojvodina könnte die Sezession verlangen mit der Begründung, dass dort eine starke ungarische Minderheit lebt. In Mazedonien und Süd-Serbien sind bereits bewaffnete Albaner unterwegs, um sich mit dem Kosovo zusammen zu schließen und ein "Großalbanien" zu fordern.

Wie lange und wie oft noch wird der deutsche Imperialismus zündeln, bis die Region endgültig wieder in Flammen steht und deutsche Tornados abermals den Balkan zerbomben? Wie weit werden die imperialistischen Konkurrenten mitspielen bzw. stillhalten? Die Sezession des Kosovo ist ein weiterer Schritt in den nächsten Krieg, wenn es nicht gelingt, dem deutschen Imperialismus einen Riegel vorzuschieben.

Die Partei "Die Linke" hat bereits Organklage gegen die deutsche Anerkennung des Kosovo angekündigt. Sie ist in dieser Frage rückhaltlos zu unterstützen. Erfolg kann sie nur in dem Maße haben, wie sich innerhalb der Arbeiterbewegung und im demokratischen Kleinbürgertum eine Bewegung gegen die herrschende Klasse hier im Land und ihre Expansionsbestrebungen formiert:

"Hände weg von Serbien! Abzug aller Soldaten und Bürokraten vom Kosovo! Raus aus dem Balkan!"

Vom "Ende des Endes der Geschichte":
Der Kaukasus-Krieg hat die Karten neu gemischt

Der Kaukasus-Krieg beherrschte etwa einen Monat lang die Schlagzeilen in einer Weise, als stünde einmal wieder "der Russe vor der Tür" und als müsse sich die westliche (sprich: imperialistische) Welt vorbereiten auf einen neuen "Kalten Krieg". Und als die imperialistische Welt unisono gegen Russland zum Halali blies, sah es ein paar Tage lang sogar so aus, als könnte aus dem kaukasischen Scharmützel auch ganz schnell ein "heißer" Krieg werden.

Gegen diesen Verbalfeldzug galt es zunächst, vor allem klarzustellen:

- Georgien hat den Krieg begonnen. Seine Regierung wurde vor allem mit Unterstützung der USA installiert, und es ist Anwärter für die NATO-Mitgliedschaft, damit eine Bedrohung für Russland.

- Russland hat sich gewehrt und zugleich signalisiert: Bis hierher und nicht weiter! Nachdem es seit der konterrevolutionären Auflösung der Sowjetunion hat eine Demütigung nach der anderen, einen Verlust nach dem anderen hinnehmen müssen – vom territorialen Zerfall bis hin zum Überlaufen von bisher 5 Staaten ins gegnerische Lager der NATO, war mit dem Überfall Georgiens auf Tsingwali die "rote Linie" endgültig überschritten.

- Die imperialistischen Staaten sind üble Heuchler: Zuerst zerreißen Sie die ex-sozialistischen Staaten in kleine, bekömmliche Happen und wundern sich dann, wenn sich einige davon – wie Russland – als zu groß erweisen und keineswegs Beute sein wollen! Zuerst faseln Sie vom Selbstbestimmungsrecht und verteilen fröhlich nach eigenem Gutdünken und selbstverständlich einseitig staatliche Anerkennungen, dann beklagen sie sich, dass es die sich erhebende Konkurrenz ähnlich macht.

Was bei dieser Argumentation allerdings aus dem Blickfeld gerät, ist im wesentlichen der wachsende Widerspruch zwischen den imperialistischen Staaten, sowohl zwischen der EU und den USA als auch zwischen den Staaten innerhalb der EU. Und hier haben sich als die sichtbarsten Lager herausgebildet:

- die USA, unterstützt von Großbritannien, mit einer zumindest verbal sehr scharfen Haltung mit Drohungen gegen Russland vom Hinauswurf aus dem G8 Bündnis, der Verweigerung der WTO-Mitgliedschaft und dem sofortigen Aussetzen des NATO-Russland-Rates etc.;

- Deutschland und Frankreich mit einer, trotz aller Verurteilung der russischen Besetzung von georgischem Territorium, Haltung der "Dialogbereitschaft" und der diplomatischen Offensiven bis hin zur Vermeidung jeglicher Sanktionen;

- die neuen EU- und NATO-Mitglieder, die sog. "New Friends of Georgia" Polen, Tschechische Republik und die baltischen Republiken sowie die Ukraine, die ein fühlbares (militärisches!) Eingreifen zugunsten Georgiens forderten. Damit verbanden sie außerdem die Forderung einer baldigen Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die NATO, was der Position der USA in die Hände arbeitet bzw. der deutsch-französischen Achse in die Quere kommt.

Und so konnte sich das Unisono der gemeinsamen Verurteilung beim NATO Krisentreffen vom 19.8.2008 ziemlich bald verflüchtigen. Spätestens mit Sarkozy's "Sechs-Punkte-Plan" übernahm die deutsch-französische Führung in der EU das Zepter und bestimmt bis heute den Fahrplan der Zurückdrängung Russlands aus Georgien und die Ersetzung mit eigenen Interventionskräften, ergänzt um die bereits vorhandenen unter dem Deckmantel der UNO bzw. der OSZE. Und da auf diese Weise Russland zum Nachgeben gezwungen wurde, war das Geschrei über die "neue Großmacht" auch bald wieder vorbei.

Da scheint es bedeutsam, eine etwas sorgsamere Nachlese zu betreiben und zu schauen, ob und was sich denn jetzt alles nach diesem kurzen Krieg, der die Welt einen Monat lang in Atem gehalten hat, tatsächlich verändert hat.

Russland

Die größte und sichtbarste Veränderung ist/scheint zunächst das Wiedererstehen russischen "Selbstbewusstseins" zu sein, die Rückkehr Russlands als "Weltmacht", oder wie wir es nennen würden: die - angestrebte - Rückkehr an den großen Tisch der Imperialisten, an dem die Welt aufgeteilt wird und auf dem es gestern noch als fette Beute für die imperialistischen Räuber gelegen hatte. Tatsächlich lohnt sich ein genauerer Rückblick auf die letzten zehn Jahre russischer Entwicklung, insbesondere mit der NATO und den damit verbundenen imperialistischen Übergriffen:

Nachdem Russland nach der erfolgreichen Konterrevolution zunächst ein Spielball für die Raubzüge der neu entstandenen Bourgeoisie sowie imperialistischer Monopole war und auch politisch weitgehend in Chaos und Anarchie versank, bis die neue Bourgeoisie sich "geordnetere" Formen bürgerlicher Herrschaft schuf, wehte ab 2000 mit der neuen Staatsführung durch Wladimir Putin ein neuer Wind in Moskau: Der galoppierenden Kapitalflucht musste begegnet werden, die Industrie des Landes wieder aufgebaut und das kostbarste Gut, die Rohstoffe (allen voran Öl und Gas), musste in staatsmonopolitische Hände konzentriert werden und nicht als Filetstücke der neuen Bourgeoisie und ihrer imperialistischen Protektoren (Fall Yukos ) zum Fraß vorgeworfen werden. Außenpolitisch gab es daher eine Kehrtwende – zunächst hin zu den imperialistischen Ländern, mit denen Jelzin angesichts der ersten NATO Osterweiterung und des Jugoslawienkriegs zunehmend überkreuz war, denn damals war der Ölpreis etwa bei 20-25% des heutigen Wertes und die russische Staatskasse noch lange nicht genug mit Devisen gefüllt, um neue Produktionsmittel auf dem Weltmarkt im großen Stil einzukaufen.

Dann kam der 11. September 2001, und Russland war auf der imperialistischen Weltbühne als Bündnispartner im Kreuzzug gegen Afghanistan gefragt und dem sogenannten "Krieg gegen den Terror": Russland, selbst bedroht durch Sezessions-kriege wie in Tschetschenien, stimmte der Aufstellung einer Interventionsarmee in Afghanistan zu (UN-Resolution 1386) und 2003 der Übernahme der ISAF-Führung durch die NATO. Der Luftraum wurde für die Kreuzzügler aufgemacht und US-amerikanische Militärstützpunkte in Zentralasien akzeptiert. Die im Jahr 2000 wieder aufgenommene Zusammenarbeit im "Ständigen Gemeinsamen NATO-Russland-Rat" (der seinerseits ein kleines Quid für das Quo der NATO-Osterweiterung war, um Russland zu besänftigen) erhielt insbesondere 2002 Substanz durch Konsultationen über die Errichtung einer militärischen Verbindungsmission beim russischen Generalstab und den im Mai 2002 neu geschaffenen NATO-Russland-Rat (NRR). Dadurch erhielt Russland das Gefühl, trotz mangelnden Veto-Rechts mit den NATO-Mitgliedern auf Augenhöhe zu sein (man nannte die Konstellation dann auch nicht mehr 19:1, sondern NATO:20) . Der Preis dafür war, die NATO nicht mehr in ihrem Charakter zu kritisieren, der sich mit "out-of-area"-Einsätzen ganz offiziell von seinen historischen Statuten als "Verteidigungsbündnis" hin zur weltweit aktiven Interventionsarmee entwickelt hatte. Damit verbunden war die "Zusammenarbeit" in 27 Gremien, bei denen man sich allerdings nur zuweilen in den Fragen "Anti-Terror"-Maßnahmen, "Anti-Drogen"-Projekte und Katastrophenschutz näher kam. Fehlgeschlagen sind vor allem eine "Militärreform" (Strukturierung des russischen Militärs nach imperialistischen Bündnis- und Interventionsbedürfnissen)  und die darauf aufbauende Rüstungskooperation. "Geheimhaltung und bürokratische Hürden" werden hier vom deutschen Bündnispartner und seinen Denkfabriken bitter beklagt.

Mit der NATO-Mitgliedschaft der baltischen Staaten 2004, die Putin als "reine Rüpelhaftigkeit" bezeichnete, verschlechterte sich das Verhältnis wieder, und Russland tat alles, um die drei Länder von einer "integrierten Luftverteidigung" der NATO fernzuhalten (sprich: NATO-Aufklärungsflüge über den baltischen Staaten mit "Sicht" auf russisches Territorium). Zugleich regt sich Russland über U.S.-Pläne zur Stationierung eines Raketenabwehrschildes in Polen und der Tschechischen Republik auf (die natürlich keinen anderen Zweck als den der Machtdemonstration gegen Russland, aber auch gegen Deutschland als Fressfeind Polens, haben und militärisch kaum mehr darstellen als eine Atrappe) und droht mit der Aufstellung der Kurz-streckenrakete "Iskander" auf weißrussischem Territorium. Abtrünnige Provinzen, die sich von "post-sowjetischen" Staatsgebilden lösen wollen (Transnistrien in Moldawien, Abchasien und Ossetien in Georgien) bekommen russische Unterstützung vor allem in Form von wirtschaftlicher Hilfe und russischen Pässen.

Im Juli 2005 fordert die SOZ (Shanghai Organisation für Zusammenarbeit) auf Betreiben Russlands den Abzug von US-Truppen und die Auflösung der ame-rikanischen Militärbasen in Mittelasien im Laufe von zwei Jahren. Im Juni 2006 unterstützte Russland heftige Demonstrationen auf der Krim gegen das NATO-Seemanöver "Sea Breeze", an dem auch die Ukraine teilnahm, um die "rote Linie" gegen weitere NATO-Osterweiterungen zu signalisieren. Im Dezember 2007 schließ-lich stieg Russland aus dem KSE-Vertrag über die Begrenzung konventioneller Streitkräfte in Europa aus. Grund sind die veränderten Bedingungen durch die seit der im Mai 2000 beschlossenen Ergänzung zum KSE-Vertrag (AKSE) erfolgte zweite Runde der NATO-Osterweiterung 2004, die nach Russlands Auffassung eine weitere "Anpassung" von konventionellen Streitkräftekontingenten an den neuen Status quo erfordern, zumal Russland seinerseits die Bedingungen erfüllt und alle schweren Waffen jenseits des Ural zurückgezogen und seine Truppen um 300.000 Mann re-duziert hat.

Schließlich droht Russland mit einem Ausstieg aus dem INF-Vertrag zur Begrenzung von Kurz- und Mittelstreckenraketen – hier weniger mit Verweis auf die NATO als auf Staaten wie China, Nordkorea, Südkorea, Indien, Iran, Pakistan und Israel, die bereits alle über diese Waffengattung verfügen.

Die Rückkehr zu militärischer Stärke wird in diesem Zeitraum gestützt von einem Höhenflug der Öl- und Gaspreise und einem damit verbundenen Anwachsen der Devisenreserven Russlands auf stattliche 300 Mrd. €. Seit 2001 erhöhte Russland seinen Rüstungshaushalt auf das Vierfache und modernisiert seine konventionellen wie strategischen Waffen. Es schiebt staatliche Öl- und Gaskonzerne zusammen und erschwert ausländische Investitionen. Besonders zu spüren bekommt dies derzeit das russisch-britische Joint Venture TNK-BP zur Ausbeutung des Schtokman-Gasfeldes im nördlichen Ostsiberien: Russland ist hier zunehmend geizig bei der Visa-Vergabe und erschwert den britischen Geschäftsleuten die kontinuierliche Einreise ins Land. Neue ausländische Beteiligungen an strategischer Öl- und Erzförderung sind inzwischen gesetzlich untersagt.

Und die deutlichste Ansage, dass Russland sich von der NATO und den USA (von Russland synonym verwendet) in Zukunft nichts mehr gefallen lassen will, machte Putin angesichts der 10. Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007. Nach der Auflösung der russischen Militärstützpunkte in Georgien warnte Russland bereits Ende 2006 davor, Georgien zu "destruktiven" Schritten zu bewegen. Die Ansage war klar: Ziehen wir uns zurück, lassen wir nicht zu, dass ein Vakuum entsteht, das gegen unsere Interessen "gefüllt" wird. Hätte die imperialistische Welt ein Interesse daran gehabt, dass Russland nicht auf Georgiens Überfall reagiert, hätte sie sofort und entschieden in den Konflikt einschreiten und Georgien bremsen können. Dagegen war das größere Ziel, Russland zu schwächen, und das war nur möglich, indem man es eine "Untat" begehen ließ, die man a) vor der Weltöffentlichkeit anprangert und so die Völker gegen Russland hetzt und b) eine Handhabe hat für militärische Intervention und Befriedung des strategisch so wichtigen Kaukasus.

USA

Die USA schien in diesem Konflikt der eigentliche bzw. Hauptgegner, da die Töne gegen Russland von dort am lautesten schallten. Außenministerin Condolezza Rice war denn auch die erste, die in Tiflis auflief, um die Solidarität der USA mit Georgien zu inszenieren. Allerdings blieb der gewünschte militärische Beistand fern. Als "Ersatz" zeichnete man schnell den Vertrag über die Raketenabwehr mit Polen. Ansonsten blieb es (bisher) bei diversen Sanktionsdrohungen.

Nachdem Russland die zentralasiatischen Staaten (insbesondere Kasachstan, Turk-menistan und Usbekistan) mit Langzeitlieferverträgen als Abnehmer von Öl und Gas wieder enger an sich binden konnte, hat die USA an Einfluss in Russland und Zentralasien in den vergangenen Jahren verloren: Verträge mit Russland in Sachen Öl-/Gasförderung (Halbinsel Sachalin) kamen kaum zustande, und der Versuch, statt dessen kaspisches Öl und Gas mit einer Pipeline durch den Kaukasus (Georgien!) an Russland vorbei zu transportieren, war mit hohem finanziellem Aufwand und vielen Verzögerungen verbunden. Zugleich erwuchs mit dem Nabucco-Projekt, einer Pipeline, die Gas aus Turkmenistan und Öl aus dem Iran über die Türkei – ebenfalls an Russland vorbei – nach Europa transportieren soll, ein weiteres, EU-geführtes Konkurrenzprojekt. Schließlich verlor die USA wesentliche Militärstützpunkte in Zentralasien (insbesondere in Usbekistan 2006) und ist heute als Folge des Georgien-Debakels bedroht, russischen Luftraum nicht mehr für Nachschubtransporte nach Afghanistan nutzen zu dürfen.

Der objektive Machtverlust wird von deutschen Medien mit unverkennbarem Eigeninteresse gespiegelt: "Der Krieg im Kaukasus hat auf einen Schlag das globale Machtgefüge neu kalibriert. Russland hat den Vereinigten Staaten brutal vor Augen geführt, wie begrenzt ihr Einfluss in der Region tatsächlich ist – trotz der amerikanischen Bemühungen, mit Georgien an der Südflanke Russlands einen Verbündeten zu stärken und womöglich in die Nato zu geleiten", heißt es im Handelsblatt bereits am 13.8.2008, nicht einmal eine Woche nach Beginn der Kampfhandlungen. Und weiter heißt es:

"Zwei Fragen ergeben sich nun. Erstens: Haben sich die USA überrumpeln lassen? Zweitens: Wie wirkt sich die Tatsache aus, dass die USA einem Alliierten nicht zur Seite gesprungen sind? Es ist kaum vorstellbar, dass die US-Geheimdienste über die Vorgänge in und um Georgien nicht bestens im Bilde waren. Sollten sie es nicht gewesen sein, wäre das eine ziemliche Blamage. Waren sie jedoch über die Absichten des georgischen Präsidenten und die Stellungen des russischen Militärs informiert, dann sind sie wohl Opfer einer Fehleinschätzung geworden: Die USA haben nicht damit gerechnet, dass Russland aktiv in den Konflikt eingreift. Das wäre nicht minder blamabel.

Die USA haben die Krise im Kaukasus jedenfalls unterschätzt. Das werden die Russen noch genüsslich ausschlachten. Moskau hat zum ersten Mal nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion wieder Stärke gezeigt und die nach russischer Auffassung gefährliche Umzingelung, die sich vom Baltikum über Polen und Ungarn, die Ukraine bis nach Georgien erstreckt, durchbrochen. ... Dass die USA es bei rhetorischen Protestnoten bewenden ließen, kommt Russland sehr zupass. Kann Moskau nun doch die Glaubwürdigkeit Washingtons infrage stellen. Die Amerikaner stehen als unzuverlässiger Partner da, der nicht einspringt, wenn ein Alliierter in Not gerät. Überall dort, wo die USA ihren Einfluss ausdehnen wollen, wird diese Botschaft sehr wohl verstanden: in Osteuropa, in Zentralasien, im Mittleren Osten." (ebd.) Das sind dann genau die Gebiete, die für Deutschlands Einfluss frei werden.

Und eine SWP-Studie, die gleich im Anschluss nach dem Krieg bereits im September 2008 erschien, gibt u.a. folgende Bestandsmeldung:

„Der kurze, siegreiche Krieg hat die innerrussische Situation stabilisiert: Die Gesellschaft steht geschlossen hinter der Regierung. Georgien ist destabilisiert, die Position der USA geschwächt. Es ist deutlich geworden, dass Russland über die Fähigkeiten verfügt, innerhalb des GUS-Raums seine Ziele auch gewaltsam durchzusetzen, und dass weder NATO noch EU Instrumente besitzen, dem entgegenzutreten.“ Von daher läge es vor allem im Aufgabenbereich der EU, hier nachzubessern und Instrumente zu entwickeln, die russische Ambitionen wirksam eindämmen, ohne allerdings in eine Konfrontation mit Russland zu geraten.

Deutschland und EU

In der EU hatte sich gegen Großbritannien und die "kleinen Neuen" (baltische Republiken, Polen, Tschechien) das deutsch-französische Krisenmanagement durchgesetzt. Italien und Spanien haben sich zu dieser Frage eher zurückhaltend verhalten. Frankreich hatte als EU-Ratspräsident mit Sarkozys "6-Punkte-Plan" offiziell die Führung übernommen und den schließlichen Rückzug Russlands von georgischem Territorium einschließlich der Pufferzonen erwirkt. Im Gegenzug konnte Russland zunächst seine militärische Präsenz in Abchasien und Südossetien verstärken – mit mehr als 7.600 russischen Soldaten immerhin doppelt so viele wie vor Kriegsbeginn. Das wiederum wird vom NATO-Generalsekretär, Jaap de Hoop Scheffer, als "schwer hinzunehmen" und "inakzeptabel" gerügt. "Die Nato werde deshalb vorläufig daran festhalten, keine regelmäßigen Treffen zwischen den Nato-Botschaftern und dem Repräsentanten Russlands abzuhalten."

Es zeigt sich also eine weitere Vertiefung der Kluft zwischen der deutsch-französisch geführten EU und der US-geführten NATO – zumal sich ein vertrauliches Diskussionspapier des französischen Außenministeriums, das "Reflexionspapier" des Außenministers Kouchner, eindeutig gegen eine baldige Aufnahme von Georgien und der Ukraine in die NATO wendet. Weitere Erweiterungen sollten danach "aus-schließlich erfolgen, wenn sie im Eigeninteresse der Allianz sind". Also, auf keinen Fall sollte man sich drängeln lassen von einzelnen Staaten – sei es denen, die Schutz suchen vor den großen Nachbarn, sei es vom bereitwilligen "Beschützer" USA. Statt dessen fordert Kouchner, sich den von Medwedew vorgetragenen, bislang ignorierten, Ideen zu einer europäischen Sicherheitsarchitektur zuzuwenden. Damit wäre das Blatt gewendet: Statt eines zunehmenden US-Einflusses über die NATO und deren Osterweiterung würde sich die EU im – wie immer prekären – Bündnis mit Russland zusammenschließen und damit die USA zum Anhängsel machen. Statt NATO und NATO-Russland-Rat gäbe es möglicherweise einen EU/GASP-US-Rat und damit die Gravitierung des Bündnisses hin zur EU/Deutschland als Epizentrum der Macht, mit der USA anstelle von Russland als Anhängsel ...

Ein kleiner Blick in die Vergangenheit zeigt, wie sich insbesondere im letzten Jahrzehnt die Machtverhältnisse innerhalb der NATO verschoben haben:

Um das Dilemma "NATO out of area or out of business" zu lösen (NATO entweder außerhalb territorialer Verteidigung der Mitgliedsstaaten, also "out of area", einsetzen oder gänzlich auflösen), wurde auf dem NATO-Gipfel in Rom am 8.11.1991 festgestellt:

"Die Sicherheit des Bündnisses muss jedoch auch den globalen Kontext berücksichtigen. Sicherheitsinteressen des Bündnisses können von anderen Risiken berührt werden, einschließlich der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, der Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen sowie von Terror- und Sabotageakten."

Und so wurde beschlossen, die NATO-Armeen in drei Kategorien aufzuteilen: Sofort- und Schnellreaktionskräfte ("Krisenreaktionskräfte"), Hauptverteidigungskräfte und Verstärkungskräfte. Damit wurde der Umbau in ein jederzeit weltweit einsetzbares Interventionsinstrument geschaffen.

Um in dieser neuen NATO eine gewichtige Rolle zu spielen und den deutschen Drang nach Osten auch militärisch abzusichern (wofür bis dato noch keine eigenen Kräfte bereit standen, der Umbau der Bundeswehr musste erst 1992 mit den Verteidigungspolitischen Richtlinien vorangetrieben werden), war es der damalige Verteidigungsminister Rühe, der im März 1993 forderte, Polen, Ungarn, die Tschechische Republik und die Slowakei noch vor (!) einem EU-Beitritt in die NATO aufzunehmen. Zugleich wurde aber auch klargestellt (Schäuble im Thesenpapier zu Kerneuropa), dass die EU ihren eigenständigen militärischen Arm zu entwickeln habe: "Ohne eine solche Weiterentwicklung der (west-)europäischen Integration ... (könnte) Deutschland aufgefordert werden oder aus eigenen Sicherheitszwängen versucht sein, die Stabilisierung des östlichen Europas allein und in der traditionellen Weise [also mit Anzetteln eines Weltkriegs – E.N.] zu bewerkstelligen."

So hat denn auch die Bundesregierung einen nicht unerheblichen Beitrag zur "militärischen Ausbildungshilfe" in den ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten ge-liefert: u.a. 58 Einzelmaßnahmen in Ungarn, 85 in Polen, d.h. gemeinsame sportliche Wettkämpfe, militärischer Erfahrungs"austausch", Waffenschulungen bis hin zu kostenlosen Offiziersausbildungen und gemeinsamen Manövern, die meisten im Rah-men des 1994 aufgelegten "Partnership-for-Peace" Programms zur Heranführung der neuen Mitglieder an die NATO-Strukturen. Interessanterweise war das PfP-Programm ursprünglich von den USA zur Vermeidung der von Deutschland vorangetriebenen neuen Mitgliedschaften ersonnen worden. Einige Stimmen der damaligen Zeit belegen die Befürchtung der damit verbundenen deutschen Großmachtambitionen:

So meint etwa die Herold Tribune am 8.9.1993, dass die NATO "als Mechanismus, der die Renationalisierung von Verteidigungspolitik verhindert", erhalten werden müsse. Owen Harris bezeichnete in "Foreign Affairs" den Vorstoß der BRD, Osteuropa in die NATO einverleiben zu wollen, als "außerordentliche Torheit", da es seit Jahrhunderten unter russischem Einfluss stehe. Hingegen bleibe das Engagement der USA in Europa weiterhin notwendig, "... um ein Auge auf Deutschland zu haben um sicherzustellen, dass es vor Abschluss dieses Jahrhunderts nicht ein drittes Mal entgleist." Andere Stimmen (Asmus, Kugler und Larrabee von der RAN Corproation) mit einer ähnlichen Einschätzung deutscher Ambitionen befürworten aus eben diesem Grund eher die Einbindung osteuropäischer Staaten in die NATO: "Eine Situation, in der ein Land wie Deutschland [! – E.N.] Polens Sicherheit mittels der Westeuropäischen Union zu sichern verspricht, nicht aber mittels der NATO, könnte die Atlantische Allianz zerstören. Es ist deshalb eindeutig besser, wenn jene Sicherheitsgarantie innerhalb einer neuen NATO ausgesprochen wird, wo sie glaubwürdig ist und wo die USA sie beeinflussen kann."

Das "Partnership for Peace"-Programm war der entsprechende Kompromiss beider U.S.-Taktiken. Mit 27 Ländern, die ab 1994 dem Programm beitreten, entwickelt sich eine Bugwelle in Richtung NATO-Osterweiterung, die nicht mehr zu stoppen ist und schließlich von den USA vorangetrieben wird – nach dem Motto: wenn schon, dann unter unserer Führung.

Heute sind es auch die USA, die den NATO-Beitritt Georgiens und der Ukraine, mit der bereits 1997 ein NATO-Partnerschaftsabkommen geschlossen wurde, vorantreiben, während Deutschland und Frankreich auf der Bremse stehen. Aus Berlin wird sogar in bisher ungekannter Weise Kritik am NATO-Generalsekretär De Hoop Scheffer geübt und Zweifel an dessen "Selbständigkeit gegenüber Washington und politische Führungsfähigkeit" geäußert.

Das ist heute in dieser Form möglich, da die USA einen ungleich schlechteren Stand haben in "Eurasien" als noch in den neunziger Jahren: Den ökonomischen Beutezug in Osteuropa haben die Imperialisten Europas gewonnen, allen voran Deutschland, das insbesondere die (kriegs-)wichtige Infrastruktur – Energie, Telekommunikation, Banken und Medien – in den osteuropäischen EU-Ländern beherrscht und in Russland über Lizenzrechte, Firmenanteile (Gazprom) und Bankkredite unmittelbar an der Ausbeutung russischer Gasquellen beteiligt ist, mit Lieferverträgen bis 2030. Mit der sogenannten Ostseepipeline (North Stream), an dem von EU-Seite nur deutsche Firmen beteiligt sind, erhält Deutschland als Transitland für russisches Gas eine zusätzliche Rolle als "Umschlagsmonopolist" in Europa.

Bleibt für die USA die militärische Drohkarte. Doch auch die hat sich im Georgien-Krieg eher als zahnlos erwiesen (s.o.). Und so wird die Wahrnehmung jener osteuropäischen EU-Länder beschrieben, die eine härtere Gangart der USA gegenüber Russland erwartet hatten:

"Allerdings dürften in der Region auch Zweifel gewachsen sein: daran, ob die USA wirklich willens sind, es im Ernstfall auf eine über diplomatische Zerwürfnisse hinausgehende Konfrontation mit Russland ob eines Konflikts im postsowjetischen Raum ankommen zu lassen; und daran, dass die USA jenseits militärischer Kapazitäten wirksame Mittel besitzen, um Solidarität mit ihren von Russland bedrängten Verbündeten zu üben." Will sagen: außer draufhauen ist von den Amis ohnehin nichts zu erwarten ... Und was das betrifft, hat die EU ja jetzt auch etwas zu bieten: "Insofern werden die 'neuen Europäer' trotz eines gewissen Misstrauens gegenüber einigen Partnern in der EU vor allem auf die Europäische Union bzw. das Instrumentarium der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) setzen."

Und was die 'neuen Europäer' und ihr Misstrauens betrifft, so kann man im wesentlichen auf deren realistische Einschätzung der Kräfteverhältnisse setzen: "Und auch die Reise der fünf Staatsoberhäupter nach Tiflis markierte zunächst weniger den Auftakt zur Bildung einer breiten Front der Russland-Gegner in der EU, sondern führte vor allem vor Augen, dass die üblichen Verdächtigen[! – Hervh. E.N.] in puncto einer härteren Linie in der Russlandpolitik erst einmal unter sich blieben. Bei allen Bemühungen um die Unterstützung Georgiens sah man aber von radikalen Schritten ab. ... Der Tiflis-Auftritt war nicht zuletzt eine Botschaft für die EU-Partner, die nun wussten, dass es auch darum gehen würde, das konsequent russland-kritische Lager aus den neuen Mitgliedsländern einzubinden." Also auch hier etwas befrieden und gütlich stimmen, um die Schäfchen im Gehege zu halten.

Und wenn das zu schwierig wird, geht man eben mit "Kernstaaten", die ohnehin besser wissen, wo's lang geht, voraus:

"Trotz der Krise im Südkaukasus und der Interessendivergenzen in der EU in Bezug auf Russland könnten einige europäische Kernstaaten verstärkt den Dialog mit Russland suchen ... Deutschland, Frankreich, die Beneluxländer sowie Italien könnten die Verhandlungen über einen Vertrag für eine strategische Partnerschaft weiterführen, der das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen ablösen soll. Ein zentrales Projekt dieser Partnerschaft könnte die anvisierte Entwicklung eines gemeinsamen Gesamteuropäischen Raums "Äußere Sicherheit" sein. Ein Koo-perationskurs gegenüber Russland würde anfänglich sicher nur bei wenigen EU-Mitgliedstaaten auf Zustimmung stoßen. ... Die 'Neueuropäer' werden die Tatsache anerkennen müssen, dass ohne Beteiligung Russlands drängende internationale Probleme nicht gelöst werden können."

So oder so, die "Neuen" müssen gefügig gemacht werden.

Kaukasische EU-Osterweiterung

Während in der EU vor allem Deutschland und Frankreich eine weitere NATO-Osterweiterung um die Ukraine und Georgien derweil vereiteln und auf Hin-haltetaktik setzen, bindet man beide Länder stärker an die EU und drängt damit sowohl russischen als auch US-amerikanischen Einfluss weiter zurück ...

Zunächst zur Ukraine: Die deutsche Position ist hier, dass vor dem Datum 2017, bis zu dem die russische Schwarzmeerflotte vor der Krim verbleiben soll, keine NATO-Mitgliedschaft vorzusehen ist. Ins Feld geführt werden hierbei die russische Position gemäß Parlamentsbeschluss, wonach "jede weitere Annäherung der Ukraine an die Nato als einseitige Aufkündigung des Freundschaftsvertrags durch den südlichen Nachbarn anzusehen" ist und die in der Ukraine "von der 'Partei der Regionen' und den Kommunisten ausdrücklich begrüßt" wurde (wenn es in die eigenen Interessen passt, scheuen sich deutsche Strategien nicht einmal, sich auf Kommunisten zu berufen ...), des weiteren die Stimmung in der ukrainischen Bevölkerung (!), die nach den Kampfhandlungen in Georgien, in die auch die russische Schwarzmeerflotte involviert war, immerhin zu 44% den Verbleib der Flotte als "Friedensgarantie" ansehen und lediglich 18% den Beitritt zur NATO befürworten. Schlussfolgerung:

"EU und Nato müssen erstens auf eine Beilegung der Machtkämpfe in der Ukraine drängen und die Ziele der Verhandlungen mit der Ukraine (Assoziierungsabkommen, Membership Action Plan) an deren innere politische Stabilität binden. Im Blick auf die russisch-ukrainischen Beziehungen wird zweitens für eine diplomatische Offensive im Rahmen der EU und der OSZE [also ohne die USA – E.N.] plädiert, die Russland und die Ukraine einbindet und sie auf die Einhaltung des zwischen beiden Ländern geschlossenen 'Freundschaftsvertrags' verpflichtet, einschließlich des darin verein-barten Datums für den Abzug der Schwarzmeerflotte. Weder eine Infragestellung des Abzugs von russischer Seite noch eine Beschleunigung des Prozesses durch die Ukraine sind hilfreich."

Mit einem "Stabilitätskonzept" für Georgien bekam auch der seit einigen Jahren anvisierte "kaukasische Stabilitätspakt" frischen Wind: Klare Töne zum deutschen Engagement im Kaukasus waren bereits 2003 vom Vorsitzenden der Heinrich-Böll-Stiftung zu hören: "Die EU (...) darf die Region nicht den Großmachtspielen Russlands und der USA überlassen." Gernot Erler, damaliger SPD Fraktionsvorsitzender sekundierte in einem Strategiepapier: "Zwar sind die europäischen Beiträge im Bereich der Wirtschaftshilfe, des Staatsaufbaus und der Konfliktvermittlung durchaus willkommen, sie ersetzen jedoch nicht die Ausarbeitung einer langfristig angelegten politischen Strategie. Darin müsste die Anbindung der kaukasischen Staaten an Europa – jedoch ohne die Eröffnung einer konkreten Beitrittsperspektive für die EU – und das Engagement im Hinblick auf Konfliktvermittlung im Kaukasus unter Beteiligung der regionalen Mächte vor dem Hintergrund der wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung der Region festgeschrieben werden." Zu deutsch, einen festen Interventionsrahmen für Deutschland - eigenständig und im Rahmen der EU - zu schaffen, ohne diese Länder an den "Gabentisch der EU" zu lassen. Als Koordinator der Bundesregierung für die Beziehungen mit Russland schlug Erler bereits im September 2004 einen "kaukasischen Stabilitätspakt" vor nach dem Vorbild des Balkan-Stabilitätspakts.

Tatsächlich hatte Deutschland bereits wie bei Kroatien und Slowenien als erster Staat weltweit die Unabhängigkeit Georgiens anerkannt und dort eine Botschaft eröffnet. "Deutschland gehört zu den Staaten, die in dieser Region am aktivsten sind. Vor allem Georgien war und ist für Bonn und Berlin ein Schwerpunktland der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit im GUS-Raum. Deutschland ist Mitglied der Minsker OSZE-Gruppe zur Regulierung des Karabach-Konflikts und der mit dem Abchasien-Konflikt befassten Gruppe der Freunde des UN-Generalsekretärs in Georgien." Auf EU-Ebene sind die diversen politischen Einbindungen noch zahlreicher: Seit 1999 wurden EU-Partnerschaftsabkommen mit den drei kauka-sischen Ländern Armenien, Aserbaidschan und Georgien geschlossen, 2001 wurden sie in den Europarat aufgenommen. Mit Ausnahme von Tadschikistan hat die EU mit allen Staaten in Zentralasien ähnliche Abkommen geschlossen, außerdem: TACIS (Technical Assistance to the Commonwealth of Independent States) zur technischen "Unterstützung", d.h. Sicherung des Absatzmarktes für eigene Technologie, TRA-CECA (Transport Corridor Europe-Caucasus-Central Asia) zur Absicherung des Transportweges von Europa über den Kaukasus nach Zentralasien, BSREC (Black Sea Regional Energy Center) zur Zugangssicherung bei der Förderung und Ver-arbeitung von Energierohstoffen in der Schwarzmeerregion und INOGATE (Interstate Oil and Gas Transport to Europe) zur Sicherung des Öl- und Gastransports nach Europa. Mit all diesen ach so freundlich kooperativen Vereinen geht es dem deutschen Imperialismus darum, einen "Ring verantwortungsvoll regierter Staaten rund um die EU", also deutsch goutierte EU-Marionetten zu schaffen.

Neuerdings sollen die kaukasischen Nachbarschaftsverträge ergänzt werden durch eine "multilaterale Kooperation der EU mit Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldova und der Ukraine". Erinnern wir uns noch an GU(U)AM? Ja, das war doch ... einst ein von den USA geschmiedeter Verbund zur Abwiegelung russischer Interessen, der auch erst nach den wesentlich von den USA gesponsorten sogenannten "Farbrevolutionen" ("Rosenrevolution" in Georgien im November 2003, "Orangene Revolution" in der Ukraine im Dezember 2004) zustande kam. Das zweite U in Klammern stand für Usbekistan, das im 2005 seine Mitgliedschaft stornierte und zur Shanghai Cooperation (SCO) überwechselte. Seither war es um diesen "Verbund" eher still geworden ...

Jedenfalls will man mit der Wiederaufbauhilfe in Georgien nun zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: an Russland verlorenes Territorium wieder wettmachen, indem man bewusst "ganz Georgien", also auch Abchasien und Südossetien in den Geldsegen einbezieht und die in Georgien stationierte EU-Truppe auf die beiden Sezessionsgebiete auszudehnen versucht, und andererseits eben auch die Opposition gegen die US-Marionette Saakaschwili unterstützt – u.a. mit Programmen zur "Pressefreiheit", "Schaffung einer unabhängigen Justiz" und "Reform des Wahlsystems". Bedeutsam in diesem Zusammenhang ist, dass die EU-"Mission" im Umfang von 200 "Beobachtern" zu 20% von deutschem Personal gestellt und außerdem vom deutschen Diplomat Hansjörg Haber geleitet wird. Damit ist unter deutscher Führung gelungen was deutsche Strategen bereits im September 2008 auf dem Wunschzettel hatten:

"Die EU will über die Vehikel der Vereinten Nationen und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Kaukasus präsent bleiben . Darüber hinaus wird geprüft, ob und wie im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) eine Beobachtermission zur Überwachung des Waffenstillstandsabkommens eingerichtet werden soll. Die EU will Georgien weiter-hin humanitär und mit Wiederaufbauhilfe unterstützen. Neben einer Geberkonferenz und Gesprächen über eine Freihandelszone sind auch Visa-Erleichterungen für georgische Staatsbürger bei der Einreise in die EU geplant."

Nun gibt man sich aber in Deutschland keineswegs mit einer Kaukasus-Strategie zufrieden, wenn es um die Einhegung Russlands geht. Da wird nun auch die GUS genauer unter die Lupe genommen und nach Ansatzpunkten zur Aufbrechung gefahndet. Bedauerlicherweise sind die Staaten mehrheitlich an Russland als wichtigsten außenpolitischen Bündnispartner gebunden und außerdem wirtschaftlich und militärisch eng verflochten. "Vor allem im Bereich der Infrastruktur für den Export von Öl und Gas bestehen ausgeprägte ... Interdependenzen. Innenpolitisch sind die GUS-Staaten, die durchwegs autoritär regiert werden und teilweise beträchtliche Konfliktpotentiale aufweisen, tendenziell instabil. Die politischen Führungen dieser Staaten sind in hohem Maße auf die Wahrung des Status quo im Innern bedacht, und dabei spielt die Unterstützung durch Russland eine maßgebliche Rolle." Auf ihrer letzten Sitzung am 5.9.2008 stellten sich die OVKS-Staatschefs hinter Russland und unterstützten seine Aufforderung an den "Westen", von einer weiteren Expansion in den ehemaligen sowjetischen Raum sowie auf eine Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die NATO abzusehen. Hm. Da ist guter Rat teuer bzw. Initiativen, die Haarrisse in dieses Bündnis treiben. Wie wäre es da etwa mit der "EU Zentralasienstrategie" oder dem "Strategiepapier zur Schwarzmeersynergie", die angeblich für die Mehrzahl dieser Staaten "von erheblicher Bedeutung" sind: "Dies liegt vor allem daran, dass ihnen die Zusammenarbeit mit den USA und den Staaten Europas die Möglichkeit eröffnet, den Einfluss Russlands – und in zunehmendem Maße auch den der Volksrepublik China – auszubalancieren. Die Mehrzahl der GUS-Staaten ist mithin darauf bedacht, sich möglichst vielfältige außenpolitische Optionen zu schaffen." Wie gut, dass es dafür Angebote der EU gibt ... So soll im Jahre 2010 Kasachstan den OSZE-Vorsitz übernehmen. "Mit dem Votum für den zentral-asiatischen Staat war von Anfang an die Erwartung verbunden, dass der kasachische Vorsitz die Legitimität der OSZE im postsowjetischen Raum stärken und somit zu einer Erneuerung dieser Sicherheitsorganisation beitragen werde." Das gehe aber nur, wenn Russland nicht ständig polarisiert und querschießt mit seiner fehlenden Bereitschaft, "die dominierende Stellung im postsowjetischen Raum preiszugeben."

Anders gesagt: Sollte Russland nicht freiwillig zurückstecken, kann Deutschland mit der EU noch andere Seiten aufziehen, um dessen Bündnispartner nach und nach auf seine Seite zu ziehen.

Früchte für Deutschland

Der deutsche Imperialismus trat in diesem Konflikt als "Dialogweltmeister" auf, setzte er sich doch - nach den ersten Verbalattacken von Frau Merkel gegen Russland in Tiflis [am ...] – ziemlich bald und deutlich gegen die Aussetzung des NATO-Russland-Rates und für die Fortführung des EU-Partnerschaftsabkommens mit Russland ein. Steinmeier war in ständigem Kontakt mit seinem russischen Amts-kollegen und setzte sich außerdem beim EU-Außenministertreffen am ersten Septem-berwochenende mit seiner Initiative durch, eine internationale Untersuchungs-kommission zum Kriegshergang einzusetzen. Damit konnte sich der deutsche Imperialismus insbesondere in den Medien hierzulande wieder als Deeskalierer und Friedensengel profilieren, während er still und heimlich seinen Einfluss im Kaukasus und nicht nur dort erweitert hat: Die USA habe eine Mitschuld an der Entwicklung der russischen Haltung zu tragen. "Ein Kernproblem ist die Grundeinstellung in Washington. Die USA haben als einzig verbliebene Supermacht viel an Sensibilität im Umgang mit ihren Partnern und vor allem Russland verloren" , meint etwa Ex-Außenminister und Jugoslawien-Krieger Kinkel. Und so konnte man die unfähige USA – natürlich zu ihrem eigenen Glück – als Konfliktpartei erfolgreich ablösen: "Die US-Regierung etwa war nach Ansicht von Beobachtern froh, dass die EU das Krisenmanagement in Georgien übernommen hat. 'Die EU konnte wirkungsvoller vermitteln, als Washington das tun konnte', sagt der US-Außenpolitikexperte Charles Kupchan. Berlin und Paris seien dabei Hauptansprechpartner für Amerika gewesen – nicht der enge US-Verbündete London." (FTD, 3.9.2008). Oder: "Washington weiß allerdings sehr wohl, dass die Europäer in strategisch wichtigen Fragen – man denke etwa an die Atomverhandlungen mit Iran – eine Führungsrolle übernommen haben", so der Leiter der Denkfabrik "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP), Volker Perthes im Handelblatt vom 16.9.2008.

Soweit der gewachsene politische Einfluss. Und der wirtschaftliche: "Angesichts des enormen Erneuerungsbedarfs der russischen Wirtschaft und der Infrastruktur rechnen deutsche Unternehmen auch in den kommenden Jahren mit guten Geschäften. Für viele deutsche Handelsunternehmen gilt Russland ebenfalls als einer der Hauptexpansionsmärkte. Mittlerweile sind laut Ost-Ausschuss 4.600 deutsche Unternehmen in Russland präsent, davon 4.300 Mittelständler." Allein im ersten Halbjahr sei der Wert deutscher Exporte nach Russland nach Angaben des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft um über 23% auf 15,8 Mrd. Euro gestiegen. Exportschlager: Maschinen und Anlagen, Fahrzeuge und Chemieprodukte (also Technologie gegen Rohstoffe, ein Handel, wie man ihn mit abhängigen Ländern gewohnt ist).

Und was den Rohstofflieferungshebel Russlands betrifft, so überwiegt im deutschen Medienwald nicht nur allgemeine Entwarnung, sondern damit gekoppelt, wie man Russland tatsächlich einschätzt: Hinter allem martialischem Wortgeklingel und neuen Weltmachtansprüchen sei Russland – die Nummer 12 weltweit nach BIP – nun wirklich nicht auf Augenhöhe, wie man unter anderem auch bei den zweistelligen Börseneinbrüchen in Moskau im Zuge der US-Finanzkrise, verstärkt durch Kapital-flucht infolge der Georgien-Krise, sehen könne.

Ein Gasexportstopp würde in Russland zu einem drastischen Einnahmeschwund führen, meint Ostausschuss-Chef Mangold. Und Roland Götz weist in zahlreichen SWP-Studien nach, wie abhängig Russland von seinen Öl- und Gasimporteuren (insbesondere Deutschland) sei und wie sehr von einem modernen Maschinenpark (den Deutschland liefert) und Investitionen in die Infrastruktur zur Roh-stoffförderung. Dennoch sei es nötig, so wird immer wieder betont, in einer "Doppelstrategie" Russland in die Schranken zu weisen – schon, um seine Glaubwürdigkeit bei den kleineren osteuropäischen Staaten, den kaukasischen Staaten und der Ukraine als potentiellem EU- und NATO-Mitglied unter Beweis zu stellen. Der deutsche Imperialismus hat wenig Interesse daran, dass diese sich immer weiter dem US-Imperialismus annähern, nur weil diese sich nicht genügend von Deutschland beachtet oder gar durch die deutsch-russische Kumpanei bedroht fühlen (vgl. die bis heute nicht ausgestandenen Auseinandersetzungen um die Ostsee-Pipeline, die durch den Kaukasuskrieg neuen Auftrieb bekommen haben). Schließlich wandelt man auch im Hinblick auf zukünftige Energiequellen auf Pfaden abseits von Russland: Das gilt nicht nur für die oben erwähnte Nabucco-Pipeline, sondern auch für die politische Vereinbarung mit Nigeria um einen privilegierten Zugang zu den großen Gasreserven am Golf von Guinea und die interessierte Beobachtungshaltung gegenüber Norwegens Öl- und Gasförderprojekte vor den Lofoten , um nur die allerjüngsten Berichte zu zitieren.

FAZIT

Der Georgien-Krieg hat den Vorwand geboten, Russlands Einfluss in der Region weiter zu schwächen und den deutschen weiter zu stärken. Deutschland schafft es mit der "Doppelstrategie", sich viele Optionen offen zu halten (mit/ohne Russland; mit/ohne Frankreich; mit/ohne/gegen USA).

Die Aggressivität anderer imperialistischer Länder bzw. jene, die sich wie Russland, gegen imperialistische Übergriffe zu wehren suchen, maskiert die Aggressivität des deutschen Imperialismus (das wurde u.a. deutlich an der U.S.-Strategie in der Region, die zunächst darauf bedacht war, Deutschland nicht gänzlich das Feld zu überlassen. Ansonsten liegt die Region für die USA tatsächlich nicht im prioritären Interessenbereich, was auch die Halbherzigkeit des Eingreifens erklärt).

Deutschland schafft es mit großer Überzeugungsfähigkeit, der Welt, aber vor allem der eigenen Bevölkerung seine Vermittlerrolle glaubhaft zu machen. Das macht die Sache besonders gefährlich, es schläfert den Kampfwillen und die Wachsamkeit der Arbeiterklasse gegenüber den deutschen Kriegstreibereien ein.

Die Tatsache jedoch, dass sich Russland gewehrt hat gegen eine sich plötzlich, wenn auch nur vorübergehend, formierende Phalanx imperialistischer Staaten hat ein Signal an die Völker der Welt geschickt, dass der Kapitalismus/Imperialismus nicht das "Ende der Geschichte" ist, dass ein Staat – auch wenn er sich gerade selbst anschickt, in dieselbe Liga aufzusteigen – der sogenannten "Neuen Weltordnung", in der die Imperialisten nach Gutdünken und ohne nennenswerten Widerstand die Welt unter sich aufteilen, vorbei ist: "Manchmal bringen kleine Ereignisse große Veränderungen mit sich. Das georgische Fiasko mag eines davon sein. Es kündigte das Ende der Ära nach dem Kalten Krieg an. Aber es markiert nicht die Rückkehr zu einem neuen Kalten Krieg. Es signalisiert eine viel wichtigere Rückkehr: die Rückkehr der Geschichte.

Die Post-Kalte Kriegsära begann mit westlichem Triumphalismus, symbolisiert mit Francis Fukuyamas Buch vom "Ende der Geschichte". Der Titel war kühn, spiegelte aber den westlichen Zeitgeist wider. Die Geschichte endete mit dem Triumph der westlichen Zivilisation. Der Rest der Welt hatte keine andere Wahl, als vor dem Vorrücken des Westens zu kapitulieren. In Georgien hat Russland laut und deutlich klargestellt, dass es nicht länger gewillt ist, vor dem Westen zu kapitulieren. Nach zwei Jahrzehnten Demütigung hat sich Russland entschieden, zurück zu beißen. Bald werden andere Kräfte ähnliches machen. Als Resultat seiner überwältigenden Macht ist der Westen in geopolitische Räume anderer schlummernder Länder vorgedrungen. Sie schlafen nicht länger, vor allem in Asien."

Die Aufgaben, die sich für uns daraus ergeben

- immer wieder zu zeigen, woher die eigentliche Kriegsgefahr kommt (vom Imperialismus und der von ihm getriebenen Neuaufteilung der Welt);

- immer wieder zu zeigen, wohin die Hauptstoßrichtung gehen muss (gegen die eigene Bourgeoisie als "Hauptfeind");

- immer wieder zu zeigen, dass sich die Widersprüche zuspitzen nicht nur im imperialistischen Lager, sondern auch zwischen den imperialistischen Hauptländern und den "neuen Großen", den (Noch-)Nichtimperialisten wie Russland, China, Indien (so verschieden sie auch alle sind),

was zum einen die Kriegsgefahr verschärft,

aber auch ebenso die "Nischen" erweitert, in denen sich die Völker der Welt zur Wehr setzen (Lateinamerika und anderswo).

Denn "sie schlafen nicht länger".

Eva Niemeyer, Essen