In: Imperialismus und anti-imperialistische Kämpfe im 21. Jahrhundert

Protokollband der gleichnamigen Konferenz von RotFuchs und Offensiv am 28./29. Oktober 2000 in Berlin

Hrsg: offen-siv

ZIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Offensiv (Hrsg.): Imperialismus und anti-imperialistische Kämpfe im 21. Jahrhundert

Hannover, März 2001

Einzelverlag, Offensiv, Frank Flegel

Tel.u.Fax: 0511 / 52 94 782

ISBN: 3-00-007420-1

Copyright: März 2001, Frank Flegel, Hannover

Alle Rechte vorbehalten

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Harpal Brar

Imperialismus ist dekadenter, parasitärer, sterbender Kapitalismus

 

Harpal Brar, gebürtig im indischen Muktsar, Punjab, lebt und arbeitet seit 1962 in Großbritannien. Er ist Mitglied der 'Socialist Labour Party' und des 'indischen Arbeitervereins Großbritanniens'. Seit 1979 ist er Herausgeber von 'Lalkar', dem Organ des indischen Arbeitervereins. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen: "Perestroika - The Complete Collaps of Revisionism", "Social-Democracy - The Enemy within", "Trotzkyism or Leninism" und "Imperialismus, dekadenter, parasitärer, sterbender Kapitalismus". Im Sommer 1996 gab Harpal Brar seine Tätigkeit als Rechtsgelehrter an der Universität von Westminster in London auf, um sich ganz seiner politischen und publizistischen Arbeit zu widmen. Siehe auch die Buchveröffentlichung: Harpal Brar, Imperialismus, dekadenter, parasitärer, sterbender Kapitalismus; herausgegeben vom Anti-Imperialistischen Forum Deutschland, Adresse: Christoph Theisen, Klingsortstr. 19, 12167 Berlin

Liebe Genossinnen und Genossen! Ich kam zu meiner ökonomischen Arbeit über den heutigen Imperialismus, als mich der Genosse Michael Opperskalski vor einigen Jahren zu einem Seminar in Köln einlud. Dort sollte ich über die Aktualität der Leninschen Imperialismustheorie sprechen. Als ich mich näher mit dem Thema beschäftigte, merkte ich, daß ich das nicht nur allgemein-theoretisch abhandeln konnte, sondern daß es wahrscheinlich sehr gut wäre, wenn ich die heutige ökonomische Entwicklung des Imperialismus an konkreten Zahlen herausarbeiten und dann mit der Leninschen Theorie vergleichen würde.

So habe ich zu den fünf wichtigsten Thesen der Leninschen Imperialismustheorie ökonomisches Faktenmaterial gesammelt und aufbereitet. Die Fakten stammen fast ausschließlich aus bürgerlichen Quellen, also bürgerlichen Wirtschafts- und Finanzzeitungen, offiziellen Statistiken der Länder usw.

Zur Erinnerung noch einmal die wichtigsten Charakteristika, die Lenin für die imperialistische Entwicklung des Kapitalismus herausfand: 1.) Die Monopolisierung der kapitalistischen Produktion. 2.) Die Vereinigung des industriellen Kapitals mit dem Bankkapital zum sog. Finanzkapital. 3.) Der wachsende Kapitalexport. 4.) Die Bildung transnationaler Konzerne. 5.) Die abgeschlossene Aufteilung der Welt.

Lenin wiederholte mehrfach, daß die Monopolisierung eines der wesentlichsten, wenn nicht das wesentliche Merkmal des Imperialismus sei, d.h. daß die Entwicklung des Monopols - als Folge der Konzentration der Produktion - eins der grundsätzlichen und generellen Gesetze der aktuellen Entwicklungsphase des Kapitalismus ist.

Dazu nun aktuelles Zahlenmaterial: Die 500 weltgrößten industriellen Konzerne, die im Ganzen nur 0,05% der Weltbevölkerung beschäftigen, kontrollieren 25% der Weltproduktion. Die größten 300 multinationalen Gesellschaften - ausgenommen Finanzkonzerne - besitzen 25% aller Produktionsanlagen der Welt. Die 50 größten Bank- und Versicherungsgesellschaften kontrollieren 60% des vom 'Economist' global auf 20 Billionen Dollar geschätzten Kapitalstocks des produktiven Kapitals. Rund 1% der multinationalen Konzerne tätigen rund die Hälfte aller Auslands-Direktinvestitionen. Zusammen stellen diese transnationalen Konzerne 30% der Weltproduktion her, kontrollieren 70% des Welthandels und 80% der internationalen Investitionen. Die größten dieser Gesellschaften verfügen über Revenuen, die größer sind als das Bruttosozialprodukt eines beliebigen Landes dieser Welt - ausgenommen einer Handvoll, nämlich der imperialistischen Zentren.

Heute ist der Umsatz der 200 größten Konzerne größer als ein Viertel der ökonomischen Aktivitäten der ganzen Welt. Wenn wir die neun stärksten Ökonomien (USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, Brasilien, Canada und China) herausnehmen, beläuft sich das gesamte Bruttosozialprodukt der übrigen 182 Länder auf 6,9 Billionen Dollar. Der Umsatz der 200 größten Konzerne beläuft sich dagegen auf 7,1 Billionen Dollar. Weiter Zahlen: der Umsatz der 10 größten Trusts war schon 1991 größer als das Bruttosozialprodukt der 100 ärmsten Länder. Der Umsatz von General Motors z.B. war so groß wie die Summe der Bruttosozialprodukte von Tansania, Äthiopien, Nepal, Bangla Desh, Uganda, Nigeria, Kenia und Pakistan zusammen, Länder, in denen zusammen 500 Millionen Menschen - fast zehn Prozent der Weltbevölkerung - leben.

Von den 100 stärksten Wirtschaftsvereinigungen sind nur 49 Staaten - 51 sind Konzerne! Mal-Wart z.B., der zwölft-größte Konzern der Welt, ist größer als 161 Länder, darunter Israel, Griechenland und Polen. Mitsubishi, der größte Konzern - ist größer als Indonesien, das viert-bevölkerungsreichste Land der Erde! Toyota ist größer als Norwegen, Ford ist größer als Südafrika und Philip Morris ist größer als Neuseeland.

Die größten 200 Konzerne haben eine ökonomische Macht, die fast doppelt so groß ist wie die ökonomische Macht von 4/5 der Weltbevölkerung. Die ärmsten 4,5 Milliarden Menschen der Welt erwirtschaften nur 3,9 Billionen Dollar an ökonomischen Aktivitäten. Und das ist nur gut die Hälfte der Erlöse (7,1 Billionen) der 200 größten Konzerne.

Eine Handvoll, nämlich nur 15 multinationale Konzerne, kontrollieren den Markt für 20 der wichtigsten Warengruppen. Sie kontrollieren 90% des Welt-Weizenhandels, 70% des Welt-Reishandels, 80% des Tee- und Kaffeehandels, 90% des Holz-, Baumwoll- und Tabakhandels, 80% des Kupferhandels, 60% des Ölhandels, 90% des Eisenerzhandels und 90% des Ananashandels. Und das Gleiche finden wir in den Bereichen der Automobile und LKWs, der Flugzeuge, Flugzeuglinien, der Weltraumfahrt, der elektronischen Geräte, Ölverarbeitung, Computerindustrie und der Medienindustrie.

Genossinnen und Genossen, niemals war so viel Macht in so wenigen Händen konzentriert und niemals war diese Macht so außerhalb jeder demokratischen Kontrolle. Viele Menschen, die nicht einmal wissen, wie die Flagge ihres Heimatlandes aussieht, kennen die Logos von Shell, BP, Unilever, British Telecom, British Aerospace, von Tabakfirmen usw. und Ihr könnt noch 20 weitere hinzufügen. (Heiterkeit)

So sah die Situation vor drei Jahren aus. Die jüngste UNO-Konferenz über den Welthandel ist zu folgenden neuen Zahlen gekommen (und ich möchte Euch bitten, gerade diesen Zahlen besondere Aufmerksamkeit zu widmen, sie passen auch sehr gut zum nächsten Punkt, den ich ansprechen werde): Nach der UNO-Konferenz für Handel und Entwicklung beliefen sich im Jahr 1999 die ausländischen Direktinvestitionen auf 856 Mrd. Dollar. In diesem Jahr, also im Jahr 2000, wird die Zahl wahrscheinlich 1.000 Mrd. Dollar übersteigen. Diese riesige Summe entspricht etwa 10% des amerikanischen Bruttosozialproduktes, welches wiederum ein Viertel des Welt-Sozialproduktes ausmacht. Nach demselben Report der UNO ist die Monopolisierung, (also Firmenzusammenschlüsse, -aufkäufe und -übernahmen) international und nationale um 42% pro Jahr gestiegen. Selbst Lenin wäre verblüfft, diese Kennziffern zu hören. (Heiterkeit)

Die Zusammenschlüsse und Aufkäufe im letzten Jahr, also im Jahr 2000, wurden auf einen Wert von 2300 Milliarden Dollar geschätzt. Das entspricht dem Wert von 8% des Welt-Bruttosozialproduktes. Es gab 24.000 Firmenzusammenschlüsse. Ein Viertel davon waren internationale Zusammenschlüsse, die anderen drei Viertel fanden innerhalb der Nationalstaaten statt. Aber diese Zahl allein sagt nicht viel aus. Man muß über die Größe der Zusammenschlüsse sprechen. Von diesen 24.000 Zusammenschlüssen waren nur 109 sehr große Zusammenschlüsse, die 1 Mrd. Dollar oder mehr betrugen. Diese Zahl von 24.000 Zusammenschlüssen soll uns den Eindruck breiter und sogar demokratischer Aktivität vermitteln, aber es sind die 109, auf die wir unser Augenmerk richten müssen, denn sie hatten 60% des Wertanteils aller Zusammenschlüsse. An diesen 109 Deals waren die 100 größten multinationalen Konzerne beteiligt, die 200 Mrd. Dollar Auslandsschulden kontrollieren und 6 Millionen Menschen im Ausland beschäftigen.

1999 betrugen die gesamten internationalen Verkäufe der größten multinationalen Konzerne 14 Billionen Dollar. Zusammenschlüsse, Übernahmen und Aufkäufe sind zur Zeit der dominierende Faktor bei ausländischem Direktinvestment in den entwickelten Ländern. Ich möchte diesen Punkt näher beleuchten, denn er ist sehr wichtig:

Das heißt nämlich, wenn deutsche Kapitalisten aus Übernahmegründen Geld nach Schweden tragen, schwedische Kapitalisten dasselbe in den USA tun, amerikanische Kapitalisten Geld nach England bringen und englische es nach Frankreich schaffen, so geschieht das nicht, um irgend etwas zu produzieren, sondern allein aus Übernahmezwecken, also um Märkte zusammenzulegen. Bei solchen Aktivitäten wird nicht eine schwedische Krone, nicht ein US-Dollar, nicht eine deutsche Mark, kein einziges britisches Pfund ausgegeben, um auch nur einen einzigen Nagel zu produzieren.

Das ganze Geld wird ausgegeben, um die Konkurrenz auszuschalten, um als Konzern größer zu werden, so viele Arbeitsplätze wie möglich einzusparen und den eigenen Konzern profitabler zu gestalten. Im letzten Jahr (1999) betrugen die ausländischen Direktinvestitionen zu den eben skizzierten Zwecken innerhalb der entwickelten imperialistischen Länder 636 Milliarden Dollar - 1998 waren es noch 481 Milliarden Dollar gewesen.

Ein Wort über Großbritannien, denn die opportunistische Strömung bei uns will Großbritannien nicht als imperialistisches Land betrachten: Sie sollten wissen, daß Großbritannien im letzten Jahr (1999) der Welt größter Direkt-Investor in Übersee war. Der britische Kapitalexport betrug 199 Milliarden Dollar.

Und die USA waren der größte Empfänger von Direktinvestitionen in der Größenordnung von 276 Mrd. Dollar. Das ist ein wichtiger Indikator für den kommenden Kollaps auf den Führungsmärkten Amerikas.

Aber auch der Kapitalexport in die Entwicklungsländer nimmt stark zu, im letzten Jahr (1999) waren es 208 Mrd. Dollar. Der größte Teil geht an einige wenige Länder, rund 10 Länder, insbesondere nach Asien. Das ist ein sehr wichtiger Gesichtspunkt, den Ihr bitte im Auge behaltet: eines der Hauptmerkmale des Imperialismus ist der Kapitalexport in arme Länder, wo Arbeitskräfte billig sind, wo Land billig ist, wo es nur eine sehr geringe Regulierung des Arbeitsmarktes gibt - und Profite sehr hoch sind. Profite sind im Kapitalismus der einzige Grund dafür, irgend etwas herzustellen.

Wenn man ökonomische Analysen des Imperialismus erstellen will, muß man langweilige Zeitschriften lesen wie z.B. "The Banker", aber in dieser Zeitschrift sagte einer einmal, daß, wenn man die Direktinvestitionen in die Dritte Welt als Schönheitswettbewerb betrachten würde, Asien als 'Miß World' gewählt würde. (Heiterkeit)

Genossinnen und Genossen, ich hoffe, daß es mir gelungen ist, mit diesen Zahlen zu beweisen, daß eine wesentliche These von Lenins Kennzeichnung des Imperialismus, nämlich die Monopolisierung der Produktion, weiter zunimmt und wesentlich schneller zunimmt als zu Lenins Zeiten. Damit ist Lenins Theorie in dieser Frage wichtiger und wertvolle denn je.

Das zweite wichtige Merkmal der Leninschen Imperialismustheorie ist die These vom wachsenden Bankkapital und vom Zusammenwachsen des Bankkapitals mit dem industriellen Kapital. Schon zu Lenins Zeiten haben die Banken aufgehört, Geldmittelsmänner zu sein, also Institute, die nur Geld vom einen zum anderen transferierten. Sie waren damals schon riesige Gesellschaften, die praktisch das gesamte Kapital in ihrem Lande und in vielen anderen Ländern kontrollierten.

Vor 4 oder 5 Jahren haben die 31 größten Banken unter den 200 größten internationalen Konzernen 10,4 Billionen Dollar kontrolliert. Wenn Ihr auf diese Summe schaut, wird deutlich, was sie wirklich bedeutet: 31 Banken kontrollieren größere Kapitalsummen als das Bruttosozialprodukt der USA beträgt, und das ist, wie ich schon sagte, immerhin ein Viertel des Bruttosozialprodukts der gesamten Welt. Welche Chance hat wohl die amerikanische Regierung gegenüber diesen Banken, ihre Interessen durchzusetzen? Und welche hat wohl z.B. die Regierung von Uganda? (Ich wählte Uganda als ein unterentwickeltes Land, weil es mit gerade in den Sinn kam.)

Letztes Jahr (1998) haben sich drei japanische Banken zusammengeschlossen, dadurch entstand eine Bank mit einem Gesamtvermögen von mehr als einer Billion Dollar. Und das heißt, eine einzige Bank verfügt über ein Vermögen, das so groß ist wie 11% des amerikanischen Bruttosozialprodukts.

Wenn wir von Banken sprechen, meinen wir hier auch Versicherungen und andere Finanztransaktions-Gesellschaften. Wilson, ein früherer englischer Premierminister, sagte, daß z.B. der Vorsitzende von einer der größten englischen Versicherungsgesellschaften mehr Macht habe als er, vor allem, was die Kotrolle der Wirtschaft angehe, daß überhaupt diese Leute viel mehr bewirken als die Regierung und von der Regierung nicht kontrolliert werden können, weil sie ihre Kontakte, Transaktionen und Absprachen nicht offenlegen.

Genossinnen und Genossen, Ihr braucht nur Eure eigenen Länder genau zu betrachten, um zu sehen, wie monopolisiert die Produktion und wie zentralisiert das Finanzkapital ist. In Großbritannien z.B. ist die Welt der Banken kontrolliert von der sog. 'Viererbande', wie sie sogar die bürgerliche Presse nennt. Dasselbe gilt für Deutschland und für Frankreich. In den USA ist es ähnlich, da gab es Tausende von Banken, und man redet heute noch davon, aber tatsächlich wird der Sektor kontrolliert von ein paar über einem Dutzend Banken.

Die Zunahme des Kapitals, die weitergehende Fusionierung des Bankkapitals und des industriellen Kapitals unter der Dominanz des Finanzkapitals ist ablesbar, wenn man sich die Zusammensetzung der Aufsichtsräte dieser Gesellschaften ansieht, wo die Bankvertreter in den Industrieaufsichtsräten und die Industrievertreter in den Bankaufsichtsräten sitzen. Aber es gibt nicht nur diese Verschmelzung des Kapitals miteinander zum Komplex des Finanzkapitals, es gibt auch die Verschmelzung mit den Regierungen. Frühere Geheimdienstleute, Diplomaten, Generäle der Armee, frühere Politiker, Minister und Premiers sitzen in den Aufsichtsräten einer oder mehrerer dieser Gesellschaften. Ohne Probleme wechseln sie ihre Tätigkeitsfelder aus öffentlichen Institutionen in die Aufsichtsräte der Gesellschaften des Finanzkapitals. Korruption und Bestechlichkeit nehmen dabei schamlose Ausmaße an, so daß Ihr z.B. den britischen Exminister für Telekommunikation heute im Aufsichtsrat einer privaten Telekommuni-kationsfirma wiederfinden könnt. Es ist genausowenig unüblich, daß jemand heute noch General der Armee ist, plötzlich aber die Armee verläßt und in den Aufsichtsrat von British Aerospace aufgenommen wird, welches der zweit- oder drittgrößte Rüstungskonzern der Welt ist.

Liebe Genossinnen und Genossen, ein drittes wesentliches Merkmal des Imperialismus ist nach Lenin der Kapitalexport. Kapital war immer international, aber im Zuge der Monopolisierung und Konzentration der Produktion ist Kapital selbst zur Ware geworden und zum Exportartikel. So wird immer mehr Kapital direkt ins Ausland transferiert. Nun wäre es ja ganz schön, wenn überschüssiges Kapital in armen Ländern dafür eingesetzt würde, die Lebensbedingungen der Menschen dort zu verbessern. Aber Kapitalismus wäre nicht Kapitalismus, wenn er zum Ziel hätte, das Leben der Menschen zu verbessern. Das ist nicht sein Lebensnerv. Kapital einsetzen heißt: Geld machen. Wenn die Produktion von Brot und Butter Geld abwirft, produziert das Kapital Brot und Butter. Wenn der Bombenabwurf auf Menschen in Jugoslawien, Vietnam, Korea oder sonstwo auf der Welt mehr Geld macht, macht das Kapital das. Krieg ist 'Business as usual' für das Kapital.

Die Größenordnung des Kapitalexports kann verdeutlicht werden mit folgender Zahl: Der gesamte Kapitalexport - alle im Ausland getätigten Investitionen - belief sich vor zwei Jahren (1998) auf mehr als zwei Billionen Dollar. Zum Beispiel entspricht der britische Auslandsbesitz 60% des britischen Bruttosozialprodukts.

Nun ist die Frage: warum wird Kapital in andere Länder exportiert? Ein Teil des Kapitals wird, wie ich vorhin schon ausgeführt habe, dafür gebraucht, größer zu werden, andere Firmen und Kapitalgesellschaften zu übernehmen. Das ist die gegenwärtige Lage, es war nicht immer so. Wenn es um Kapitalexport in Länder der Dritten Welt geht, steht die dort zu erzielende Profitrate im Mittelpunkt, und die ist dort sehr hoch. Die durchschnittlichen Profitraten der Investitionen in Dritt-Welt-Länder betrugen 1993 etwa 17%, während der Kapitalexport in imperialistische Länder nur etwa die Hälfte davon erbrachte.

Die reformistischen Arbeiterorganisationen und die Gewerkschaften sagen immer wieder: transferiert nicht so viel Kapital ins Ausland, wir brauchen die Arbeitsplätze hier! Wenn sie nur den Charakter des Imperialismus verstünden! Und der einfachste Weg, ihn zu verstehen, ist, daß sie sich die Frage stellen: hätten sie eine Geldsumme und fragten sie verschieden Banken nach der Rendite - und die eine böte 5% und die andere 7% - wo würden sie ihr Geld anlegen?

Es ist nicht überraschend, daß die Profitrate bei Investitionen in Dritt-Welt-Länder so hoch liegt. Beispielsweise hat die industrielle Arbeitsstunde 1995 in Japan 23 Dollar gekostet, in Deutschland 32 Dollar, in den USA 17 Dollar, in Großbritannien nur 13 Dollar, in Mexiko-City 1,5 Dollar, in China und Indien 25 Cents. Wen würdet Ihr einstellen? Einen deutschen Arbeiter, zwei amerikanische, fünf taiwanische oder 128 Chinesen? (Bittere Heiterkeit) Und die Ökonomen sagen, daß jeder typische Konzern in 20 Jahren einen Hauptsitz z.B. in London haben wird und Nebenbüros in Peking, Hongkong usw.

Mit der Niederlage der UdSSR und der osteuropäischen sozialistischen Staaten sind eine weitere Milliarde Billigarbeiter der Ausbeutung durch die imperialistischen Konzerne hinzugefügt worden.

Das Ergebnis dessen wird eine große Überkapazität in den reichen Ländern sein, Millionen von Arbeitsplätzen werden dort verschwinden - durch Hochtechnologie einerseits und Auslagerung arbeitsintensiver Produktion andererseits. Die Löhne für Handarbeit werden auf die Hälfte des heutigen Standes oder sogar weniger sinken. Die Ökonomen warnen inzwischen davor, daß diese Entwicklung Aufstände der Armen und sozial Entwurzelten hervorrufen könnte.

Großbritannien wird in Europa als 'billiges' imperialistisches Land betrachtet, weil die Arbeitskosten dort relativ niedrig sind. Deshalb wird dort viel investiert. Ähnliches ist innerhalb der imperialistischen Länder zu beobachten, z.B. innerhalb der USA. Dort geht das Kapital von einem Bundesland ins andere, weil es dort vielleicht weniger Regeln des Arbeitsmarkt oder billigere Arbeitskosten gibt. Wer nicht nach Mexiko gehen will, der wechselt zumindest von einem Bundesland zum anderen.

Im Zusammenhang mit dem Kapitalexport muß auf die Schulden der Dritten Welt hingewiesen werden: sie sind inzwischen bei 1,7 Billionen Dollar - fast 2 Billionen Dollar! - angekommen. Die Dritt-Welt-Länder zahlen jeden Monat fast 7 Milliarden Dollar Tribut an den Imperialismus. Die Dritt-Welt-Länder können für Gesundheit und Bildung in ihren Ländern nicht so viel Geld aufwenden, wie sie ausgeben, um ihre Zinsen und Schulden an die imperialistischen Organisationen zu bezahlen, wie z.B. die Weltbank, den Internationalen Währungsfonds u.a., die nichts weiter sind, als weltweit tätige schuldeneintreibende Organisationen des Imperialismus gegen die Länder der Dritten Welt.

Genossinnen und Genossen, wenn solche riesigen Geldsummen eingenommen werden, dann wird ein Teil dazu benutzt, die Arbeiterklasse bzw. ihre Führer oder führenden Schichten zu bestechen. Das muß man leider über die europäische Arbeiterbewegung und speziell über die Leute sagen, die opportunistischen Tendenzen angehören. Ohne diesen Faktor der Bestechung kann man den ungeheuren Zuwachs des Opportunismus in der europäischen Arbeiterbewegung nicht verstehen. Man kann sonst nicht erklären, warum alle europäischen Parteien der Arbeiterbewegung - mit der einzigen Ausnahme der Bolschewiki - sich dem Opportunismus zuwandten und nicht auf dem proletarischen Standpunkt blieben. Eine Erklärung, die sagt, Lenin sei eben wesentlich klüger gewesen als die deutschen Genossen, und das sei der Grund - greift zu kurz und ist deshalb so nicht wahr. Die deutsche und die österreichische Sozialdemokratie hatte vor dem Ersten Weltkrieg einige der führendsten marxistischen Theoretiker in ihren Reihen. Wenn so eine Partei wie die deutsche Sozialdemokratie sich dem Opportunismus und der Bourgeoisie zuwendet, muß man nach den Gründen fragen, warum eine solche kraftvolle Partei, die die Führung in der II. Internationale innehatte, so etwas tut. Und die Erklärung kann nicht auf einem besonderen deutschen Volkscharakter beruhen, nicht auf der Anwesenheit von Karl Kautsky, nicht auf der 'Dummheit' von Bernstein usw. - sie waren nicht dumm, - nein, man muß es aus den gesellschaftlichen Bedingungen erklären. Und Lenins Analyse, die noch immer gültig ist, sagt, daß der Opportunismus direkt aus dem Monopolkapitalismus, dem Wachstum der Monopole, dem Kapitalexport und dem Rücklauf hoher Tribute aus den ausgebeuteten Ländern in die Metropolen zu erklären ist, indem ein Teil dieser imperialistischen Monopolprofite dazu verwandt wird, einen besonderen Sektor in der Arbeiterklasse zu schaffen, die bestochene Arbeiteraristokratie.

Und das kann man auch heute beobachten, z.B. daran, daß vor kurzem, während des Krieges gegen Jugoslawien, keiner der reformistischen Gewerkschaftsführer Großbritannien bis auf eine einzige Ausnahme diesen Krieg abgelehnt hat.

Die Konsequenz daraus ist: wenn Ihr der Revolution treu sein wollt, müßt Ihr gegen die Ausbeutung der Länder der Dritten Welt durch die imperialistischen Länder kämpfen, müßt Ihr an der Seite der armen Menschen dieser Welt sein und nicht mit den opportunistischen Führern der Gewerkschaften. Der Opportunismus muß bekämpft werden, sonst muß der Kampf gegen den Imperialismus scheitern - dementsprechend muß der anti-imperialistische Kampf immer begleitet sein vom Kampf gegen den Opportunismus.

Der vierte wichtige Gesichtspunkt der Leninschen Theorie: Die großen transnationalen Konzerne arbeiten außerhalb der Grenzen der Länder, in denen sie angesiedelt sind, sie bilden Kartelle, die sich den nationalstaatlichen Kontrollen entziehen. Diese Entwicklung, die wir schon in den 10er und 20er Jahren des 20. Jahrhunderts beobachten konnten, ließ Karl Kautsky glauben, daß diese Entwicklung immer so weitergehen würde und daß dadurch eines Tages ein einziger Welt-Konzern entstehen würde, und so würde es keine Kriege zwischen den imperialistischen Ländern mehr geben und es wäre möglich, daß Frieden und Wohlstand in alle Teile der Welt gebracht werden könnten. Lenin lehnte die Thesen von Kautsky ab mit der Begründung, daß sie zum Opportunismus in der Arbeiterbewegung führen würden. Außerdem meinte Lenin, daß die Widersprüche des Kapitalismus, die sich auf dem Wege zu so einem Welt-Konzern ja nicht verflüchtigen würden, dazu führen müßten, daß dieser Prozeß immer wieder unterbrochen und durch Eruptionen und Kriegen gestoppt würde und ein friedliches Übergehen zu einem einheitlichen Welt-Konzern eine Illusion sei.

Und der fünfte Gesichtspunkt: die Aufteilung der Welt ist abgeschlossen. Mit der Monopolisierung des Kapitals und dem weltweiten Kapitalexport geht das monströse Wachstum des Militarismus Hand in Hand. Ein Ökonom sagte vor acht Monaten, daß die Globalisierung und die Unterwerfung aller Märkte unter das Diktat des Weltmarktes nicht von selbst und widerspruchslos vor sich geht, daß der Imperialismus also nicht nur McDonalds braucht, sondern auch McDonald-Douglas, also die Rüstungskonzerne. Die Welt gibt heute 800 Mrd. Dollar jährlich für die Rüstung aus. Mehr als ein Drittel davon wird von einem einzigen Land ausgegeben, von den USA. Wenn Ihr alle imperialistischen Länder nehmt, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, USA usw., zeigt sich, daß diese mehr als die Hälfte der weltweiten Rüstungsausgaben tätigen.

Während sie versuchen, alle anderen Länder zu entwaffnen, rüsten sie sich selbst aus mit den besten Tötungsmaschinen, die die moderne Technik hervorbringen kann, aus. So versuchen sie z.B. Nordkorea, das keine Nuklearwaffen hat, dazu zu bringen, seine Nuklearwaffen abzuschaffen, und auf der anderen Seite wollen sie ein Abwehrsystem gegen Atomwaffen und Raketen schaffen. Aber Indien und Pakistan sollen ihre Nuklearwaffen aufgeben. Ich bin einer der wenigen indischen Kommunisten, die das Recht Indiens und Pakistans verteidigen, Nuklearwaffen zu besitzen. Der Grund dafür ist, daß ich mir auch selbst Nuklearwaffen anschaffen würde, nicht, weil ich die Menschheit ausrotten will, sondern weil ich die Imperialisten davon abhalten will, Krieg zu führen.

100 Millionen Menschen starben in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts. Die gesamte Kultur und Zivilisation der Welt wurde gefährdet. Und seitdem geht die Konzentration des Reichtums weiter - und mit ihm die immer stärker repressive Ausprägung des Imperialismus.

Und nun noch ein paar Hinweise darauf, warum Imperialismus parasitärer, faulender Kapitalismus ist: Vor drei Jahren, als ich mein Buch schrieb, besaßen 358 Milliardäre genau so viel Reichtum wie die Hälfte der Weltbevölkerung. Sie besaßen 760 Milliarden Dollar. Nur drei Jahre später, also heute, in diesem Moment, in dem ich zu Euch spreche, haben 200 Milliardäre ein Gesamtvermögen von 1.135 Mrd. Dollar. Genossinnen und Genossen, das ist, als wenn die Menschen, die jetzt hier in diesem Raum sitzen, einen Reichtum besitzen, der 13% des amerikanischen Bruttosozialproduktes ausmacht! Aber auf der anderen Seite gibt es in den reichsten Ländern (nicht in der Dritten Welt), also den Ländern der OECD, 100 Millionen Menschen, die unter der Armutsgrenze leben. Davon sind nach offiziellen Statistiken 40 Millionen Menschen arbeitslos.

Die Gesellschaft, in der wir leben, ist dermaßen degeneriert, daß die jährlichen Ausgaben für Drogen in den reichen Ländern das vereinte Bruttosozialprodukt der 80 ärmsten Länder übersteigt. Im reichsten kapitalistischen Land, den USA, gibt es 40 Millionen Menschen ohne Krankenversicherung. Und einer von fünf Erwachsenen dort ist funktionaler Analphabet. In dieser besten aller Welten, also in den USA, gibt es pro Jahr 3 Millionen Fälle von Kindesmißbrauch. 15 Millionen Kriminalfälle werden in den USA jährlich gezählt. 7.000 Kinder jährlich werden Opfer von Schußwaffenverletzungen.

Und nun ein Blick auf den Rest der Menschheit: 1,5 Mrd. Menschen weltweit haben weniger als einen Dollar pro Tag zum Leben.

Genossinnen und Genossen, nach Lenins Worten bedroht der Imperialismus die europäische Zivilisation, ich sage heute: der Zivilisation der gesamten Welt. Und über den Ersten Weltkrieg sagte Lenin, daß diesem, falls nicht eine Reihe erfolgreicher Revolutionen, dann bald weitere Kriege folgen würden. Und Lenin sagte weiter, daß die Menschheit vor folgendem Dilemma stehe: entweder wir opfern alle Kultur und Zivilisation - oder wir befreien uns vom Kapital und vom Imperialismus. Die Macht der Bourgeoisie muß beseitigt werden, wir brauchen eine sozialistische Gesellschaft, um dauerhaften Frieden zu erreichen. Und Lenin sagte weiter: laßt die Opportunisten sich ruhig aufregen, laßt die Bourgeoisie geifern.

Nur Menschen, die ihre Augen verschließen, um nichts zu sehen und ihre Ohren zuhalten, um nichts zu hören, können ignorieren, daß weltweit die Todeskämpfe des Kapitalismus, der ja bereits die Keime des Sozialismus in sich trägt, schon längst begonnen haben.

Wir Kommunisten können stolz und glücklich darüber sein, daß wir die ersten waren, die dieser wilden Bestie, dem Kapitalismus, der die Welt mit Blut getränkt, die Kultur zerstört und die Menschen demoralisiert hat, einen Teil der Welt entrissen haben. Sein Ende ist zwingend und nahe, egal, wie monströs er aussieht und wie brutal und gemein diese Bestie im Angesicht des Todes auch um sich schlägt. Lenin beendete seine Imperialismusanalyse mit der Feststellung, daß der Imperialismus der Vorabend der sozialistischen Revolution ist.

Genossinnen und Genossen, trotz der Rückschläge, die der Sozialismus in den letzten 10 Jahren erfahren hat, bin ich der festen Überzeugung, daß der Imperialismus das letzte Stadium der Entwicklung des Kapitalismus ist und daß er früher oder später ersetzt werden wird durch das revolutionäre Proletariat und ein sozialistisches System, um eine Phase von Wohlstand ohne Kriege und ohne Kämpfe zwischen den Nationen und den Menschen einzuleiten. (Beifall) Aber das passiert nicht automatisch. Das geschieht nur, wenn wir uns an Lenins Worte und die darin enthaltene Wahrheit erinnern, daß der imperialistische Krieg nicht im Imperialismus bekämpft werden kann, sondern daß eine Überwindung des Imperialismus nur durch einen bolschewistischen Kampf und eine bolschewistische Revolution gelingen kann.

Liebe Genossinnen und Genossen, ich hoffe, daß ich Euch nicht zu lange mit Zahlen bombardiert habe. Mein Referat war sehr gedrängt, und es ist recht kompliziert, all diese Thesen in einigermaßen kurzer Zeit zu präsentieren. Deshalb hoffe ich, daß ihr es nachlest und zum gleichen Schluß kommt wie ich: daß Lenins Theorie eine gültige und sehr wertvolle Theorie ist und daß all die Opportunisten deshalb Lenins Theorie anzweifeln, weil sie nur, wenn sie seine Theorie beiseite legen, auch die sozialistische Revolution beiseite legen können - und das ist ihr Ziel.

Laßt mich damit schließen, daß ich meine Überzeugung ausdrücke darüber, daß in einer nicht sehr fernen Zukunft der Imperialismus geschlagen wird - und das wird ein Fest sein in allen Straßen dieser Welt.

Danke für Eure Aufmerksamkeit. (Starker, lang anhaltender Beifall)

 

 

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