Jukka Tarka:
Jürgen Elsässer – “Make Love and War. Wie Grüne und 68er die Republik verändern.”
Eine neue Streitschrift von Jürgen Elsässer
“Wenn Joschka Fischer zurücktreten muß, dann hoffentlich deswegen”, schrieb die Wiener Tageszeitung “Die Presse” über Elsässers letztes Buch “Kriegsverbrechen”, das sich mit der Rolle der BRD im Krieg gegen Jugoslawien befaßt. Und in der Tat hat Elsässer, nach Meinung des SPIEGEL ein “Berufszyniker” mit “altlinken Klischees”, in seinem Ende Januar erschienenen Buch erneut eine ebenso gründlich recherchierte wie polemisch geschriebene Analyse der Grünen und von Teilen der 68er vorgelegt.
Nach dem 11. September und dem prompten Schulterschluß mit der US-Kriegspolitik geht er vor allem den tieferliegenden und längerwirkenden politisch-ideologischen Strömungen derjenigen Linken nach, die sich etwa ab 1977 von marxistischen Paradigmen schleichend verabschiedeten oder sofern sie aus ehemaligen maoistischen Gruppen kamen, die Supermachtstheorie nahtlos in den Gründungskonsens der Grünen überführen konnten.
Elsässer arbeitet die zentrale Rolle der “neuen französischen Philosophie” (Foucault, Guattari) heraus, die den Kitt des ideologischen Scherbenhaufens so unterschiedlicher Strömungen der “Neuen Linken” wie ökopazifistischen Gruppierungen, RAF-Anhängern, Maoisten und der Fischer-Gang aus Frankfurt bildete. Ebenso schwerwiegend stellt sich nach Elsässer das Defizit heraus, daß Teile der “Neuen Linken” nie einen Begriff von der besonderen Rolle des deutschen Faschismus entwickelten und keine historische Analyse des Nationalismus und Regionalismus als Waffe des deutschen Imperialismus bei der Zerstörung bestehender europäischer Staaten erarbeitet wurde. Diese beiden Stränge, neue französische Philosophie und ein völlig defizitärer Imperialismusbegriff, führten schon zu Beginn der 80er Jahre zum Beispiel in der Afghanistan-Frage direkt in die Armee des US-Imperialismus.
Auf diesem Hintergrund betrachtet Elsässer die konkrete Entwicklung der Grünen über die Beteiligung an Landesregierungen bis zur rot-grünen Bundesregierung und zeigt, wie die heute tonangebenden “Armani-Intellektuellen”, von denen die meisten nie eine Ausbildung beendet und fast alle einen Beruf nur für kurze Zeit ausgeübt haben, die Politik zur Einnahmequelle machten. Diese Gruppe konnte in den 80er Jahren die radikalpazifistischen (Jutta Ditfurth) oder dezidiert sozialistischen Strömungen (Ebermann/Trampert) soweit marginalisieren, daß die Fischer-Linie sich auf den Kriegsermächtigungsparteitagen von Münster und Rostock durchsetzen konnte. Die heute dominierende Strömung nennt Elsässer in Anlehnung an den Marxschen Begriffs des Lumpenproletariats “Lumpenintelligenzia”, also die verkommendsten Subjekte einer gesellschaftlichen Klasse.
Detailliert beschreibt Elsässer die Rolle der Grünen bei der Ausdehnung des militärischen Einflusses der BRD über den Kosovo nach Mazedonien und in der aktuellen Kriegsphase, bei der es dem deutschen Imperialismus auch immer um eigene Interessen in Konkurrenz zum US-Imperialismus geht. Ein besonders Kapitel widmet er dem Begriff den Grüne und Teile der “Neuen Linken” von der US-dominierten Zivilisation haben und verbreiten. Dabei macht er auf den großen Unterschied zwischen der Losung aus der französischen Revolution “liberte, egalite, fraternite” und dem amerikanischen “persuit of happiness” aufmerksam. Während die Revolution von 1789 vom Anspruch her einen Gleichheitsgrundsatz propagierte, der innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft auf Grund der Klassenspaltung nicht eingelöst werden kann, geht der Begriff des “Strebens nach Glück” von vorneherein nicht von einem gesellschaftlich, sondern von einem rein individuell begriffenen Streben aus, das in den Kampf der Stärkeren gegen die Schwächeren führen muß.
Elsässer schließt mit dem furiosen Kapitel “Oma Künast fährt im Kälberstall Motorrad”, in dem er die Kampagnenpolitik der Grünen am Beispiel BSE untersucht und der Linken in den gegenwärtigen politischen Auseinandersetzungen als vorrangige Aufgabe zuweist, “Partei der Aufklärung” zu sein. Jukka Tarka
Jürgen Elsässer: Make Love and War. Wie Grüne und 68er die Republik verändern. 172 S., Brosch., Pahl-Rugenstein Verlag, ISBN 3-89144-295-5.