Antifaschistische Aktion Hannover: Anständiger Aufstand.
Eine Auswertung
Am Samstag den 9. März 2002 fand in Barsinghausen eine Demonstration unter dem Motto:”Wir bleiben hier” statt. Diese Demonstration sollte eine Gegenveranstaltung zu dem gleichzeitig stattfindenen Nazi-Aufmarsch der NPD/JN und der sogenannte „Kameradschaft Weserbergland” sein.
Sie wurde von einem „Bündnis gegen Rechtsextremismus” aus Barsinghausen organisiert, das ursprünglich von den örtlichen „JungsozialistInnen in der SPD” (Jusos) ins Leben gerufen worden war. Dieses Bündnis besteht im wesentlichen aus VertreterInnen der etablierten Parteien von den Grünen bis zur CDU und deren Jugendorganisation „Junge Union”, aber auch aus örtlichen kirchlichen, schulpolitischen und gewerkschaftlichen Kreisen sowie dem „alternativ” geprägten aber städtisch abhängigen Jugendtreff „Falkenkeller”.
Die Antifaschistische Aktion Hannover machte hingegen in ihrem Aufruf deutlich, dass sie zu einem „anständigen Aufstand gegen den Aufmarsch der Neo-Nazis” aufruft. Angelehnt ist diese Metapher an dem von Bundeskanzler Gerhard Schröder ausgerufenen „Aufstand der Anständigen”. Dass der Schrödersche “Aufstand der Anständigen” kein Aufstand ist und wenig mit Anstand zu tun hat ist für uns keine Frage: Nicht nationalistische Diskurse werden bekämpft, nicht Rassismus und auch nicht das immer noch gültige und antiquierte Bluts- und Abstammungsrecht als vorrangige Ausgangsbasis für den Besitz eines bundesdeutschen Personalausweises! Dieses „Abstammungsrecht” ist Grundlage für völkische Ideen und einer fiktiven deutschen „kulturellen Identität” und „Leitkultur”. Schröders „Aufstand der Anständigen” richtet sich gegen den Extremismus an sich und macht in alter Manier die Gleichsetzung von links und rechts – wobei selbst den Schwerfälligsten zwischenzeitlich aufgegangen sein dürfte, dass es die Rechten sind, die Häuser niederbrennen, Menschenjagden veranstalten und für den Tod zahlloser Menschen verantwortlich sind. Der sogenannte „Aufstand der Anständigen” war und ist in erster Linie ein Griff in die Mottenkiste der Totalitarismusthesen mit dem Ziel der Stabilisierung der deutschen Kriegs-Zivilgesellschaft, – und das selbst in Zeiten von Kriegseinsätzen der Bundeswehr!”
Wer diesen ‘antitotalitären Konsens’ in Frage stellt, wer z.B. den alltäglichen und von allen Regierungsparteien getragenen Rassismus der deutschen Asyl- und Migrationspolitik benennt, zwingt den diskursiven Mainstream, über die Wurzeln nachzudenken, darüber, woher rassistischer Terror und antisemitische Hetze stammen, und ist deshalb zugleich “extremismusverdächtig” und damit diskreditiert.
Von den örtlichen VertreterInnen genau dieser Regierungsparteien wurde die Demonstration maßgeblich initiiert und angeführt. Ein Dilemma für AntifaschistInnen, die den Minimalkonsens ‚Alle gemeinsam gegen die Nazis‘ kritisch in Frage stellen. Konsequenter Antifaschismus will nicht nur die Neonazis bekämpfen sondern auch an die Wurzeln des Problems gehen und die Zusammenhänge, in denen der Neofaschismus steht, aufzeigen.
Als Antifaschistische Aktion Hannover [AAH] beteiligen wir uns aber auch an antifaschistischen Demonstrationen wie in Barsinghausen, die von linksliberalen und bürgerlichen Kräften zumindest geprägt sind. Es ist uns wichtig mit unseren Positionen auch an antifaschistische Kräfte heranzutreten, die sich nicht der radikalen Linken zuordnen lassen. Und auch das Bewußtsein einer Bevölkerung, die zunehmend apolitisch – oder sogar ‚rechts eingestellt‘ – ist, wird sich nicht durch das Fernbleiben einer radikalen Linken dahingehend verändern, dass sie sensibel und empört auf das Auftreten neofaschistischer Gruppen oder die Durchsetzung rassistischer Politik reagiert!
Wobei die Beteiligung an Demonstrationen, auf deren inhaltlicher Ausprägung man keinen Einfluß hatte, die Gefahr birgt, stillschweigend die totalitaristische, rassistische und heute auch kriegsführende Politik Deutschlands zu unterstützen und sich als ‚Fußvolk‘ für den Schröderschen ‚Aufstand der Anständigen‘ herzugeben. Gegen diese Politik hätten wir lieber einen anständigen Aufstand.
Betreffend der Demonstration am 9.3.2002 in Barsinghausen war für die Antifaschistische Aktion Hannover [AAH] klar: Der Aufmarsch der Nazis sollte verhindert oder zumindest empfindlich gestört werden und auf der Kundgebung des Bündnisses sollte ein Redebeitrag gehalten werden, mit dem unsere politischen Beweggründe vermittelt werden. Was in der Berichterstattung der Medien überhaupt nicht auftauchte: Dieser Redebeitrag wurde auch gehalten, weil die [AAH] mit einem Redebeitrag spontan für die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN – Bund der AntifaschistInnen) einspringen durfte. Eine Sprecherin der Antifaschistischen Aktion Hannover [AAH] erklärte folgendes:
Dass die Neonazis heute so oft und so zahlreich auftreten können liegt auch daran, dass der Staat und die jeweiligen Regierungen jahrelang eine Politik gemacht haben, die die Entwicklung des Neofaschismus ignoriert bzw. vorangetrieben hat: Mit “akzeptierender Sozialarbeit” haben sie nicht nur den Neofaschismus zu einem Jugendproblem angeblicher Modernisierungsverlierer verharmlost, sie haben den Neofaschisten zudem zu Treffpunkten, Übungsräumen usw. verholfen. Mit den “Ausländergesetzen” haben sie nicht nur die Lage der MigrantInnen beständig verschlechtert. Weit davon entfernt, die gleichen Rechte oder die Gleichheit für alle Menschen anzustreben, wird hinaus geschmissen wer nicht “nützlich” ist, rein gelassen wer “nützlich” ist und wieder rausgeschmissen wer nicht mehr “nützlich” ist. Damit haben sie rassistischen Angriffen Legitimität verschafft. Mit der Sozial- und Wirtschaftspolitik haben sie den ArbeiterInnen nicht nur Lohndumping und Niedriglohnsektoren beschert, bzw. dem Kapital die Durchsetzung immer schärferer Akkordhetze ermöglicht, sondern auch der sozialen Demagogie faschistischer Organisationen Tür und Tor geöffnet. Mit der Außenpolitik haben sie nicht nur dafür gesorgt, dass deutsche Truppen wieder weltweit marschieren können, sie haben zudem innerhalb der Gesellschaft soldatischen Männerbildern und Werten zu neuem Ansehen verholfen. Dabei verhelfen Stereotypen von “Anstand und Sauberkeit, “eisenhartem Durchgreifen”, “politischer Hygiene”, der Hetze gegen die “faulen arbeitslosen Drückeberger” und der Ruf nach “lebenslangem Wegsperren von Kinderschändern” etc. Versatzstücken rechtsradikaler Ideologie zu neuem Glanz und Gloria. Gleichzeitig wird der “Stolz, ein Deutscher zu sein” wiederentdeckt. Das dieser Stolz weniger völkisch definiert wird, sondern vielmehr standort-nationalistisch ist, macht ihn nicht besser. In diesem Zusammenhang zeigt sich auch, dass der sogenannte “Aufstand der Anständigen” mit Antifaschismus herzlich wenig zu tun hat. Statt dessen trägt er mit seiner Ideologie des “Anti-Extremismus” und “Anti-Totalitarismus” zur Formierung eines repressiven, neoliberalen Staates bei. Dass das „Bündnis gegen Rechtsextremismus Barsinghausen” und die Medien diesen Redebeitrag gewissenlos verschwiegen haben, macht deutlich, dass radikale Kritik an den herrschenden Verhältnissen und eine tatsächliche Analyse von der Bedeutung neofaschistischer Organisationen nicht erwünscht sind. Vielmehr geht es darum einer Kleinstadt wie Barsinghausen wieder zu besserem Ansehen zu verhelfen und autonome Politik auf Militanz zu reduzieren.
Das System schafft sich seine eigenen Kinder. Hand in Hand verkünden NPD, die hiesigen Medien und die Stadt Barsinghausen: „Schreckliche Gewalttätigkeiten” seien von „linken Krawallmachern” aus Hannover ausgegangen. Wie diese „schreckliche Gewalt” aussah, fragt sich die/der kritische BetrachterIn noch heute. Etwa als rund 30 Menschen versuchten ihren antifaschistischen Protest offensiv dort hinzutragen, wo dieser auch hingehört? Nämlich direkt zur NPD- Kundgebung! Sicher, diese 30 Menschen waren mit einem Transparent „bewaffnet” und gaben somit allen Grund für die Polizei gemeinsam mit den Nazis, die im Übrigen mit Flaschen und Knüppeln bewaffnet waren, auf die AntifaschistInnen einzuschlagen. Nun ja nichts neues im BRD- Alltag. Aber die Geschichte nimmt noch kein Ende. Bei dem Abmarsch der rund 50 Nazis, hatten vor allem junge AntifaschistInnen einen Blockade- Versuch unternommen. Dieser wurde brutal von der Polizei weg geprügelt. Eine Aufforderung von Seiten der Staatsmacht, die Straße zu räumen erfolgte nicht. Nicht verwunderlich, wenn Jugendliche, die zumeist ihre ersten Protesterfahrungen machen, dann zu den Steinen greifen, um sich zu wehren. Der Juso-Vorsitzende Markus Hugo, der gleichzeitig als Sprecher des Barsinghäuser Bündnisses auftritt, betonte während der Demonstration immer wieder die Gewaltlosigkeit und forderte sie einpeitschend von allen DemonstrantInnen ein. Dabei vergisst er die Ursachen von Gewalt und Gegengewalt zu benennen: Ist es doch die kapitalistische Gesellschaft an sich, in der die Gewalt strukturell angelegt ist und auch drakonisch durchgesetzt wird.Zwang und Gewalt sind weder Versehen noch Ausnahme. Jegliche „öffentliche Ordnung” wird durch gewaltgesetzte Grenzen aufrechterhalten. Zu dieser öffentlichen Ordnung gehört der Krieg wie z.B. auf dem Balkan oder in Afghanistan genauso wie die Existenz faschistischer Organisationen.
Das Treiben von faschistischen Organisationen wird durch staatliche Organe wie den Verfassungsschutz gefördert. Es gibt ein Interesse an der „kontrollierten Existenz” des Neofaschismus – und somit ein Interesse an der Gewalt, die die Neonazis alltäglich ausüben:Neofaschistische Propaganda, wie sie z.B. mit Kundgebungen der NPD in die Öffentlichkeit getragen werden soll, spielt eine Vorreiterrolle, an deren Akzeptanz in der Bevölkerung abzusehen ist, welche administrativen Maßnahmen, beispielsweise in der Rechtsprechung, politisch durchsetzbar sind.Durch die Eigendynamik neofaschistischer Gruppen und der von ihnen mobilisierten Anhänger wird der militante Neofaschismus zum ausführenden Organ einer Politik der „Drecksarbeit auf der Straße”, inklusive brutalster Gewalt, deren Umsetzung durch staatliche Organe nach aktueller Rechtslage nicht möglich ist. Das Nichteingreifen der Polizei bei vielen direkten Aktionen der Faschisten, die Entpolitisierung von neofaschistischem Terror und das Märchen vom „Einzeltäter mit ungünstiger Sozialisation” durch Medien und Sozialwissenschaftler gaben und geben den Neofaschisten Handlungsfreiraum für bestimmte Zwecke in bestimmten Situationen. Die Neonazis erfüllen ihren Zweck – und gleichzeitig kann der Staat sich von ihnen distanzieren.Im selben Moment benutzen Politiker und Massenmedien die sich zuspitzenden Auseinandersetzungen zwischen Antifaschisten und Neofaschisten zur Manifestierung der Totalitarismusthese, nach der der Staat gleichermaßen von „Links-” und „Rechtsextremisten” bedroht wird.
Der bürgerlich-demokratische Staat Bundesrepublik Deutschland – juristisch gesehen der Rechtsnachfolger des III. Reiches – ist demnach die „demokratische Mitte”, dessen Existenz ständig durch repressivere Gesetze und Vorschriften sowie einen Polizeiapparat mit immer weiter gehenden Befugnissen abgesichert werden muss.In diesem Sinne ist der Mord an einem Asylbewerber „verwerflich”, aber seine Abschiebung „legal”, ganz gleich, welches Schicksal in seinem Herkunftsland auf ihn wartet. Selbst bürgerliche Rechts- und Freiheitsideale werden somit immer weiter zurückgeschraubt. Wenn Faschismus als eine Form bürgerlicher und kapitalistischer Herrschaft begriffen wird, ist es zwangsläufig, dass der bürgerlich-kapitalistische Staat sich mehr von AntifaschistInnen als denn vom Neofaschismus bedroht sieht. Genießen die Neofaschisten die Toleranz des kapitalistischen Staates innerhalb der vermeintlich „kontrollierbaren Existenz”, zwingen sie linken und emanzipatorischen Bewegungen einen Abwehrkampf auf, in dem Kräfte gebunden werden, die sich ansonsten gegen den kapitalistischen Staat und all seine Auswüchse richten können. Auch in der Bindung dieser Kräfte verdeutlicht sich das große Interesse an der Nicht-Zerschlagung neofaschistischer Strukturen durch den Staat. Und somit auch an der Aufrechterhaltung alltäglicher Gewalt. Selbst ein NPD-Verbot wird daran nichts ändern!
Eine „Gewaltdebatte” ohne diese politischen Hintergründe verschleiert die tatsächliche Situation. Faschismus und Krieg stehen nur formal im Gegensatz zur bürgerlichen Demokratie, die moralisch und juristisch das ausschließen muss, was sie selbst erzeugt und nach Außen vertreten muss. Hinter dieser Demokratie steht der Kapitalismus, der die Faschisten dann benötigt, wenn seine eigene Existenz in Frage gestellt ist.Die Gewaltfreiheit des „demokratischen Bürgers” ist daher nicht die reflektierte Gewaltlosigkeit einer emanzipierten Gesellschaft, sondern konstitutives Element der kapitalistischen Gesellschaft. Kapitalistischer Alltag bedarf eben nicht des – ständig eingeforderten – Verzichts auf “jede Gewalt”. Er verträgt lediglich diejenige Gewalt nicht, die seine Verkehrsformen beeinträchtigen, während er sich notwendig auf andere stützt. Gewalt erscheint als das ausgeschlossene der bürgerlichen Gesellschaft, als zivilisationsfeindlich und ordnungszerstörend. Gewalt erscheint aber als das Andere der demokratischen Gesellschaft, weil ihr Ausschluss aus der Gesellschaft Gewalt in einen vermeintlichen Naturzustand rückprojeziert, auf einen “Krieg Alle gegen Alle” ausgelagert wird, der von den bürgerlichen Rechtsformen zu bändigen sei, obwohl doch erst durch diese der marktliberale Kampf “Alle gegen Alle” möglich wird. In der kapitalistischen Gesellschaft aber erscheint Gewaltverzicht nur deshalb vernünftig und moralisch zwingend, weil sie die Vernunft und Moral der Marktwirtschaft und des freien und gleichen Warenverkehrs sind. Der Gewaltverzicht kann daher dem Individuum abverlangt werden, ohne das er Wesensmerkmal der Gesellschaft zu sein braucht, im Gegenteil; die Gewaltlosigkeit richtet sich genau nach den Kategorien kapitalistischer Vergesellschaftung aus, in der Gewalt an anderer Stelle notwendig und alltäglich bleibt. So garantiert das Gewaltmonopol des Staates nicht das Ende von Gewalt, sondern bestimmt lediglich deren Grenzen und sanktioniert dysfunktionales und destruktives Verhalten im Sinne von Warenverkehr und -produktion und ihrer notwendigen Rechtsformen. Wie anders kann es sein, dass gerade Kids Gewalt als Spektakel empfinden. So ist es doch ein Highlight in dieser tristen verkonsumierten Gesellschaft, wenn Mensch erlebt, sich mit anderen zu solidarisieren und gemeinsam gegen Gewalt (ob nun von Polizei oder Nazis) gewalttätig bürgerliche Grenzen überschreitet. Gerade in der Ausgrenzung durch Bürger und Medien liegt die Würze. Eine Vereinnahmung durch Kommerz und bürgerlicher Zivilgesellschaft ist hier tatsächlich nicht gegeben.
Barsinghausen die Dritte und kein Ende? Gibt es doch langläufig wichtige Tagespolitische Ereignisse, wie der Protest gegen den Krieg in Afghanistan, die rassistische Deportation von Flüchtlingen, sowie den Überwachungswahn der Herrschenden, die die radikale Linke zum Handeln zwingt, wenn da nicht auch noch die notwendige antifaschistische Selbsthilfe wäre. Offenkundig versuchen NPD und sogennante „Freie Kameradschaften” aus Barsinghausen einen Wallfahrtsort der Nazis zu produzieren, um somit jeden emanzipatorischen Ansatz in dieser Kleinstadt zu erdrücken. Dabei stoßen die Nazis durchaus auf fruchtbaren Boden, denn die „Stadtväter” von Barsinghausen machen in alter totalitaristischer Manier den Feind links aus. Zum 27.04.02 haben die Nazis nun wieder einen Aufmarsch angemeldet- dieses mal wollen sie bundesweit mobilisieren. Für uns gibt es dabei nur eine Antwort: Eine kraftvolle antifaschistische Demonstration weit ab von deutscher Zivilgesellschaft! Zusammen kämpfen! Für das Ende kapitalistischer Gewalt!
Antifaschistische Aktion Hannover, Kornstr. 28-30, 30167 HannoverFax/AB: 040/3603817037