Wolfgang Hoss
Antwort auf die Kritik von G. Sandleben in seinem Beitrag “Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück”
(offensiv Heft 6/07)
In meinem Artikel in offensiv Heft 4/07 “Zum Beitrag von Kurt Gossweiler “Bemerkungen zur Diskussion über die politische Ökonomie des Sozialismus – insbesondere zu den Beiträgen von Hermann Jacobs” habe ich zunächst darauf hingewiesen, daß nach der Theorie von Marx und Engels die Warenproduktion aufgehoben wird, wenn das Privateigentum an den Produktions-mitteln aufgehoben wird (S.27), und da die VEB-Betriebe in der DDR bekanntlich keine Privatunternehmen waren, und da man in der DDR die Warenproduktion als Grundlage der sozialistischen Produktion deklariert hatte, ergibt sich bereits in diesem fundamentalen Grundsatz eine Diskrepanz zur Theorie von Marx und Engels. Daß durch Marx und Engels die Aufhebung der Warenproduktion im Sozialismus gefordert wurde, und daß Marx und Engels in diesem Punkt richtig lagen, ist auch Sandlebens Meinung. Seine Kritik an meinem Sozialismusmodell (es wurde ausführlich im Buch “Modell einer sozialistischen Markt-wirtschaft”, Norderstedt 2006, vorgestellt) richtet sich hauptsächlich gegen den Vorschlag auch nach Aufhebung der Warenproduktion den Markt und das Geld im Sozialismus zu nutzen und ins System der zentralen staatlichen Planung zu integrieren. In diesem Punkt scheiden sich offenbar die Geister.
Zu Marxens Lebzeiten gab es die Begriffe Markt- und Planwirtschaft noch nicht, es gab auch keine umfassende Diskussion zur Rolle des Marktes im Sozialismus, und Marx hat diesem Thema offenbar keine große Aufmerksamkeit geschenkt. Sein Hauptwerk war eine umfassende Analyse und Kritik des kapitalistischen Systems, seine Aufgabe war es nicht, für die zukünftige Gesellschaft alle großen sozialen und ökonomischen Probleme im voraus zu lösen. Heute hingegen sind gründliche Diskussionen über die Rolle des Marktes im Sozialismus dringend notwendig geworden.
Sandleben ist der Ansicht, daß eine Nutzung des Marktes mit der sozialistischen Produktions- und Verteilungsweise prinzipiell unvereinbar ist. Gegen die Nutzung des Marktes im Rahmen einer monetären gesamtwirtschaftlichen Planung bringt er folgende Argumente vor:
“Es hat sich gezeigt, dass wirklicher Sozialismus nicht nur unvereinbar ist mit der Warenproduktion, sondern dass ihm auch die Konsequenzen der Ware, nämlich Geld und Märkte fremd sind. Dass Hoss und andere dennoch daran festhalten, soll hier als der erste Schritt zurück bezeichnet werden. …. Dass diese Kritiker der Warenform dennoch Preise und „eine Art Markt“ bewahren möchten, ist auf eine Faszination des Marktes zurückzuführen, die selbst kritische Geister immer wieder blendet”. (offensiv 6/07, S.34). „Nehmen wir aber den Markt in seiner spezifisch gesellschaftlichen Bestimmung, dann besteht er im Austausch der Ware, d. h. in der Formverwandlung des in der Ware enthaltenen Werts. Er gehört zur Preisform der Ware und bildet gerade keine äußere Organisationseinheit, die beliebig – wie ein technisches Instrument – in ein Plansystem eingeführt werden kann. Gleich dem Tauschwert entsteht der Markt erst durch die spezifische Form Waren produzierender Arbeit, dadurch also, dass Privatarbeit erst nach der Verausgabung im Nachhinein einen gesellschaftlichen Charakter erhält. Der Ort dieser besonderen Gesellschaftlichkeit heißt Markt. Der Markt umfasst also ganz ebenso wie die Ware ein besonderes historisches Produktionsverhältnis, und verschwindet in dem Maße, wie die Kategorie der Ware verschwindet, wie also die private Produktion durch eine gesellschaftlich organisierte ersetzt wird.” (offensiv 6/07, S.36).
Sandlebens Argument, daß der Markt verschwindet, wenn die Warenproduktion aufgehoben wird, steht mein Argument, daß der Markt auch nach Aufhebung der Warenproduktion fortexistieren kann und im Sozialismus konsequent genutzt werden muß, diametral gegenüber. Es stellt sich damit zunächst mit allem Nachdruck die Frage, was der Markt eigentlich ist.
Es ist meines Erachtens vollkommen richtig, daß der Markt im Verlauf der Herausbildung der Warenproduktion und des Privateigentums an den Produktionsmittel entstanden ist, daß also das Privateigentum “Schöpfer des Marktes” war, und daß die Warenproduktion und der Markt in der Vergangenheit eine untrennbare Einheit gebildet haben. Aber heute stellt sich in der Sozialismustheorie in erster Linie die Frage, welche Rolle der Markt in der Zukunft spielen soll bzw. spielen muß, und nicht die Frage, welche Rolle er in der Vergangenheit gespielt hat. Um die Frage sicher wissenschaftlich beantworten zu können, was der Markt im wesentlichen ist, benötigt man eine zutreffende und hinreichend allgemeine Definition des Marktes. Historische Betrachtungen können helfen das Wesen des Markts zu erkennen und von anderen historischen Formen der Distributionssysteme zu unterscheiden.
Daß der Markt auch ohne Lohnarbeit und Kapital existieren kann, steht zweifelsfrei fest. In allen der kapitalistischen Produktion vorhergehenden Produktionsweisen, ausgenommen der frühen Urgesellschaft, gab es Formen des Marktes ohne Lohnarbeit und damit natürlich auch ohne Ausbeutung der Lohnarbeit durch das Kapital. Die kleine bzw. einfache Warenproduktion, d.h. die Warenproduktion, die durch Privatfamilien ohne Beschäftigung von Lohnarbeitern betrieben wird und in der es daher offenkundig keine Ausbeutung der Lohnarbeit geben kann, war Begleiter aller bisherigen Gesellschaftsordnungen. Eine Definition des Marktes als spezifische Bestimmung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung wäre also unrichtig. Folgende Definition trifft meines Erachtens das Wesen des Marktes richtig:
Der Gütermarkt ist der Ort, an welchem Güter angeboten und nachgefragt werden und Eigentumswechsel der Güter zwischen Anbietern und Nachfrager stattfinden bzw. ausgehandelt werden. Auf dem Markt liegt es in der freien Entscheidung des Nachfragers (Kunden) im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten und seiner Bedürfnisse Güter einzukaufen, die durch andere Eigentümer angeboten werden. Der Nachfrager bzw. Käufer erhält keine Natu-ralienzuteilungen nach Entscheidungen der Gemeinschaft oder anderer Personen.
Wenn auf einem Rast- oder Dorfplatz einer urgesellschaftlichen Gemeinschaft Güter der Jagd und des Sammelns vor den versammelten Mitgliedern ausgebreitet und zur Aufteilung vorbereitet und den Mitgliedern der Gemeinschaft nach gemeinschaftlichen Übereinkünften zugeteilt werden, dann finden damit zwar Eigentumswechsel statt – gesellschaftliches Eigentum verwandelt sich mit der Zuteilung in individuelles Eigentum – und Keimformen des Marktes haben sich damit in gewisser Hinsicht bereits herausgebildet, da aber in diesem System Naturalien zugeteilt werden, liegt nach der obigen Definition noch kein Markt vor. Offensichtlich liegt z.B. kein Markt vor, wenn in einer heutigen Familie mit Vater, Mutter, Kindern, Großvater und Großmutter Naturalien nach Entscheidungen der Familie aufgeteilt werden. In einem Naturalienzuteilungssystem gibt es, wie gesagt, den Markt nicht, bzw. es gibt ihn bestenfalls in Keimformen oder nur in Ausnahmefällen. Wenn hingegen die Güter nach freien Entscheidungen der Konsumenten oder Produzenten an Handelsplätzen gegen Geld getauscht und damit gekauft werden, dann handelt es sich unzweifelhaft um einen Gütermarkt.
In einem Wirtschaftssystem, in welchem das Geld eine Ware ist, z.B. Gold, ist jeder Kauf und Verkauf aus Sicht des Besitzers A entweder mit einem Tausch des Produkts gegen eine Geldware, oder mit einem Tausch der Geldware gegen ein Produkt oder mit einem Tausch Produkt gegen Produkt identisch. Der Besitzer A tauscht in diesem Fall entweder sein Produkt gegen Geld, oder sein Geld gegen ein Produkt, oder er tauscht direkt sein Produkt gegen ein anderes Produkt. In einem solchen System wird also in jedem Fall Ware gegen Ware getauscht. Wäre der Markt unter allen Umständen der Ort, an welchem Waren ausgetauscht werden, dann müßten unter der Voraussetzung, daß das Geld eine Ware ist, mit der Aufhebung des Warenaustauschs auch der Markt und das Geld aufgehoben werden, denn jeder Tausch Geld gegen Gut wäre ein Warenaustausch auf dem Markt. Zu Marxens Lebzeiten hatten die typischen Geldformen gleichzeitig die Form besonderer Waren. Heute aber gibt es Geldformen ohne Warenform. Zum Beispiel Geldscheine, für die keine Gold- oder Edelmetalldeckung gewährleistet ist, sind keine besonderen Waren. Oder zum Beispiel die Kombinationen von binären Schaltzuständen in Computern der Banken, die Geldbeträge repräsentieren, stellen Geldinformationen (Wertinformation und Tauschberechtigungsinformation), aber keine Geld-waren dar. Die Computer verarbeiten hier Geldinformationen, aber keine Geldwaren. Also die modernen Geldformen stellen keine besonderen Waren dar. Geld kann also ohne Warenform existieren.
Wenn in einer höheren Entwicklungsstufe der gesellschaftlichen Organisation den Konsumenten bzw. Produzenten Geld völlig unabhängig von den Regeln des Warenaustauschs aus einem großen Fonds des Volkes nach einem zentralen Plan zugeteilt wird, dann ist ein Warenaustausch durch die einzelnen Produzenten nicht mehr nötig und sogar ein schweres Hindernis. Wenn die Unternehmen ihre finanziellen Mittel für Produktionsmittelkäufe und Löhne prinzipiell durch Zuteilungen nach einem gesellschaftlichen Plan und nicht durch Einahmen aus dem Verkauf ihrer Produkte erhalten, und wenn sie mit diesem Geld Produktionsmittel nach freier Entscheidung kaufen, dann tauschen sie ihre Produkte nicht aus. Sie kaufen zwar Produkte und tauschen damit Geld gegen Produkt, aber sie liefern ihre Produkte in einen gesellschaftlichen Fonds und erhalten Geldzuteilungen unabhängig vom Wert ihrer Produkte. Ein Warenaustausch durch die Produzenten bzw. Unternehmen findet damit nicht mehr statt, die Produkte der Unternehmen werden damit nicht mehr für den Austausch produziert, sondern für die Lieferung in den zentralen Fond des Volkes. Die Warenproduktion wird damit aufgehoben, aber das Geld und der Markt bleiben erhalten. Aus Sicht der Produzenten gibt es in einem solchen Verteilungssystem den Warenaustausch nicht mehr, aber es gibt noch den Kauf von Produktionsmittel und Konsumtionsmitteln durch die Produzenten. Auch aus Sicht des Volkes als Besitzer der neu produzierten Güter vor ihren Verkauf gibt es den Warenaustausch nicht mehr, sondern es gibt nur noch den Verkauf der Güter .
Die Produkte der Unternehmen werden in einem solchen ökonomischen System zunächst in einen Gemeinschaftsfonds bzw. in einen Fonds des Volkes geliefert und zum Verkauf angeboten. Die Gesellschaft ist zunächst der Eigentümer der Produkte des Gemeinschaftsfonds und bietet diese Produkte zum Verkauf an – die Gesellschaft ist also der Anbieter – und die Konsumenten und Produzenten fragen die Produkte nach und kaufen sie nach freier eigener Entscheidung – die Konsumenten und Produzenten sind damit die Nachfrager. Und mit jedem Kauf bzw. Verkauf findet ein Eigentumswechsel statt. Volkseigentum wird in individuelles oder genossenschaftliches Eigentum verwandelt, falls Genossenschaften frei über ihre Produktionsmittel verfügen können. Damit werden die Produkte der Arbeit auf dem Markt angeboten und nachgefragt, obwohl die Produzenten ihre Produkte nicht mehr austauschen, d.h. obwohl sie prinzipiell keine gleichwertigen Einnahmen von Geldmitteln für die Lieferung der Produkte in den zentralen Gemeinschaftsfonds erhalten. In Sonderfällen ist zwar eine Zuteilung von Geld im Wertbetrag des in den Fond des Volkes gelieferten Produkts noch möglich, aber es ist dies keine Regel mehr, sondern nur noch eine mögliche Ausnahme. Der Markt bleibt erhalten, die Geldwirtschaft bleibt erhalten, aber der Warenaustausch und damit die Warenwirtschaft werden aufgehoben.
Der Markt erweist sich damit also als eine Institution, die auch ohne Warenwirtschaft existieren kann. Und trotz Aufhebung des Warenaustauschs und der Warenproduktion bleibt das Geld erhalten. Wenn die finanziellen Mittel des Volkswirtschaftsfonds in großen Portionen nach einem volkswirtschaftlichen Plan auf große Unternehmensvereinigungen aufgeteilt werden, und wenn vereinbart wird, daß die sozialistischen Unternehmen das Recht und die Pflicht besitzen die Nachfrage auf dem Markt zu erforschen und ihre Produktion schnellstmöglich an die Nachfrage auf dem Markt anzupassen, dann wird eine überaus vorteilhafte Symbiose zwischen Markt- und Planwirtschaft möglich. Die Rahmenbedingungen der volkswirtschaftlichen Pro-duktion können dann, mit Hilfe der planmäßigen Geldzuteilungen in großen Portionen an die Unternehmensvereinigungen, einfach und unbürokratisch geplant werden (ohne Vorgaben zu Menge und Sortiment der Erzeugnisse durch den Staat), während die Naturalproduktion-planung den Unternehmen überlassen werden kann. Aufgabe der sozialistischen Unternehmen ist es dann ihre Produktionspläne schnellstmöglich an die Nachfrage auf dem Markt anzupassen, aber sie verkaufen die Produkte nicht mehr als ihr Eigentum, sondern als Eigentum des Volkes. Demzufolge gehören den Produzenten bzw. den Unternehmen die Gelder aus dem Verkauf ihrer Produkte nicht, sie eignen sich nicht mehr Geld durch den Austausch an, sondern sie erhalten Geldzuteilungen von der Gemeinschaft bzw. dem Volk nach einem gesellschaftlichen Plan, der unabhängig von den Regeln des Warenaustauschs und des Gewinnsystems ist.
Es liegt keine Mystifikation des Marktes vor, wenn man sachlich feststellt, daß in einer modernen Volkswirtschaft mit ihrer riesigen Zahl an Erzeugnistypen der Bedarf der Bevölkerung und der Unternehmen am besten an Hand der Nachfrage auf dem Markt festgestellt werden kann. Nur wenn eine durchgängige Planung in einer einzigen volkswirtschaftlichen oder weltwirtschaftlichen Fabrik in allen Einzelheiten möglich wäre, könnte der Produktions-mittelbedarf der Unternehmen nach technologischen Vorschriften für die ganze volkswirt-schaftliche Fabrik oder Weltfabrik durch eine Zentrale der Fabrik ermittelt und ohne Markt gedeckt werden. Eine technologische Vorschrift wäre z.B. die Liste der Baugruppen und Einzel-teile eines Fahrrads, z.B. für 1 Fahrrad sind erforderlich 1 Rahmen, 2 Felgen, 2 Reifen, 2 Pedale, 1 Kette des jeweiligen Typs usw.. Der gesamtwirtschaftliche Produktionsplan würde in diesem Fall den gesamtwirtschaftlichen Produktionsmittelbedarf eindeutig bestimmen.
Aber der Konsumtionsmittelbedarf müßte auch dann durch Marktforschung ermittelt werden, denn für die Konsumgüterkäufer gibt es keine Vorschriften zum Kauf bestimmter Typen und Mengen durch diesen oder jenen Käufer. Wie könnte eine Volkswirtschaftszentrale einem Käufer z.B. Typen und Mengen an Fahrrädern, Fischen, Bier, Schokolade, Hosen, Tellern, Handys, Büchern usw. vorschreiben, die er kaufen will? Also müßte auch dann, wenn eine einzige volkswirtschaftliche Fabrik organisatorisch möglich und sinnvoll wäre, die Zentrale dieser Dinosaurierfabrik die Nachfrage auf dem Markt nach Konsumgütern erforschen und den Produktionsplan dieser Fabrik ständig an die Nachfrage nach Konsumgütern auf dem Markt anpassen. Damit aber wäre der Plan der Produktionsmittelproduktion immer noch von der Nachfrage nach Konsumgütern auf dem Markt abhängig.
Und außerdem hat die Erfahrung beispielsweise in der DDR gezeigt, daß eine solche Riesenfabrik zu Bürokratismus und zu geringerer Arbeitsproduktivität im Vergleich zu den sehr viel kleinern und daher in ihren Entscheidungen sehr viel beweglicheren privaten Konzernen und mittelständischen Privatunternehmen führt.
Natürlich gab es auch in der DDR-Planwirtschaft den Markt, natürlich mußten auch in der ehemaligen DDR die Produktionspläne der VEB-Betriebe ständig an die Nachfrage auf dem Markt angepaßt werden, nur eben, im Unterschied z.B. zur BRD, mit dem widersprüchlichen Ziel, gleichzeitig der Bevölkerung und den Betrieben ihren Bedarf durch den Staat vorzu-schreiben bzw. deren Bedarf administrativ festzulegen, um Abweichungen des Plans von der Nachfrage zu vermeiden. Andererseits aber mußte natürlich die Nachfrage nach Gütern auf dem Markt durch die Bevölkerung und die Betriebe berücksichtigt werden. Durch eine Bedarfs-ermittlung einerseits durch Festsetzung durch den Staat, und anderseits durch Ermittlung der Nachfrage auf dem Markt, haben sich die wirtschaftleitenden Organe des Staats der ehemaligen Ostblockländer in einen Widerspruch verstrickt, den sie zuletzt direkt oder indirekt eingestehen mußten.
Nur dann, wenn Milliarden und Abermilliarden Portionen an Naturalien an Millionen Men-schen, und in einer Weltplanwirtschaft Naturalienzuteilungen an Milliarden Menschen, nach gesellschaftlichen Übereinkünften bzw. planmäßig zugeteilt werden könnten, nur wenn eine solche, mit Sicherheit mit Riesenaufwand verbundene Naturalienzuteilung organisatorisch möglich wäre, wäre es möglich auf den Markt zu verzichten. Eine solche Forderung hat auch Marx nicht gestellt. Anstelle eines Naturalienzuteilungssystems wie im Urkommunismus hat er zwar für die höhere Phase der sozialistischen Entwicklung eine unentgeltliche Verteilung der Konsumgüter nach freien Entscheidungen der Konsumenten prognostiziert, aber in der ersten Phase der sozialistischen Entwicklung hat Marx die Verteilung der Konsumtionsmittel nach dem Prinzip des Austauschs des Lohns gegen Konsumtionsmittel gleichen Werts vorgeschlagen. Zwar nicht mit gewöhnlichem Geld, sondern mit einem Geldersatz, d.h. mit Arbeitszeit-zertifikaten, sollten nach Marx die Lohnarbeiter ihre Konsumgüter nach freien eigenen Entscheidungen kaufen. Und wo sollten sie ihre Konsumgüter sonst kaufen, wenn nicht auf dem Markt, z.B. in einer Markthalle oder einem Supermarkt?
Und was eigentlich soll so teuflisch sein am Kauf der Güter auf dem Markt, wenn die Konsumenten und Produzenten die Geldmittel zum Kauf der Güter nach einem sozial gerechten und ökonomisch vorteilhaften gesellschaftlichen Plan erhalten?
Die Unternehmen tauschen in Marxens Sozialismusmodell ihre Produkte nicht aus. Die Arbeiter tauschen zwar noch ihren Lohn gegen Konsumgüter aus, aber sie tauschen die Produkte, die sie in ihrem Unternehmen hergestellt haben, nicht mehr aus. Der Warenaustausch durch die Unternehmen wird damit aufgehoben, obwohl noch Lohn gegen Konsumgüter ausgetauscht wird. Marx ist in diesem Punkt häufig falsch verstanden worden.
Eine sofortige unentgeltliche Verteilung aller Konsumgüter würde in unserer Zeit zu einer Stürmung der Handelsunternehmen bzw. der Verteilungsstellen führen. Nach kurzer Zeit wären an jedem Tag die meisten Güter vergriffen. Wer zu spät kommt, bekäme nichts, darunter auch keine sehr wichtige Existenzmittel. Eine solche Verteilung wäre für einen Großteil der Bevölkerung eine Katastrophe, auch für viele Menschen in den reichsten Ländern. Und wie kann man annehmen, daß der Bedarf der heutigen Milliarden Hungerleider bereits vollständig gedeckt ist? Selbst dann, wenn alle Erdenbürger Millionäre wären, wäre der Bedarf nicht gesättigt. Zum Beispiel wenn der Bedarf an PKWs weltweit gedeckt wäre, wenn jedes erwachsene Familienmitglied aller Familien der Welt über ein hochwertigen PKW verfügen würde, dann wäre noch lange nicht der Bedarf an Privatflugzeugen, die im Straßenverkehr nicht steckenbleiben können, gedeckt. Oder wenn z.B. jede vierköpfige Familie über eine Wohnung mit 4 Zimmern verfügen würde, dann wäre der Bedarf an Wochenendhäusern und Villen noch nicht gedeckt usw. Eine unentgeltliche Verteilung aller Güter ist im 21. Jahrhundert ist demnach keine realistische Option.
Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts muß also eine Marktwirtschaft und eine Planwirtschaft sein, in der sowohl der Plan als auch der Markt sowie das Geld bei der Verteilung der Güter eine zentrale Rolle spielen, in der aber die Güter nicht mehr durch die Unternehmen ausgetauscht werden. Es entsteht damit ein historisch neues Verteilungssystem auf dessen Basis der Zwang zur Produktion von Gewinn entfällt, bzw. in dem die Produktion von Gewinn unsinnig wird. Das neue Verteilungssystem bzw. die Geldzuteilung aus dem Fonds des Volkes sichert die Existenz aller Unternehmen der sozialistischen nationalen Gemeinschaft zu jeder Zeit, so daß es keine Massenbankrotte und keine Massenarbeitslosigkeit mehr gegen wird (wie z.B. auch in der DDR), und es verbessert damit die soziale Sicherheit radikal. Und eine staatliche Zentrale kann das Geld des Volkes planmäßig verteilen und mit diesem Instrument auch die Rahmen-bedingungen der volkswirtschaftlichen Produktion planmäßig gestalten.
Wenn eine solche höhere Stufe der wirtschaftlichen Organisation und eine von Ausbeutung der Lohnarbeit befreite Gesellschaft möglich werden soll, dann darf der Markt nicht verteufelt werden. Es ist nicht der Markt, der die Lohnarbeiter ausbeutet, sondern es ist der Kapitalist und sein auf Warenproduktion gegründetes ökonomisches System.
Zum Beispiel auch der mittelalterliche Markt in Deutschland war kein Ausbeuter, sondern es war der Feudalherr und sein ökonomisches System.
Aber die kleine private Warenproduktion des Mittelalters, die ohne Ausbeutung funktionieren konnte, eignet sich nicht für die Groß- und Massenproduktion im Zeitalter der wissenschaftlich-technischen Revolution.
Und die große Warenproduktion ist das System der Herren des Kapitals, das geeignet ist eine große Zahl von Menschen z.B. durch einen Milliardär auszubeuten, das aber nicht geeignet ist für eine solidarische Verteilung des Reichtums in einer großen Gemeinschaft. Marxens These, daß die Warenproduktion aufgehoben werden muß, wenn die nächst höhere Stufe der Wirtschaftsorganisation erreicht und ein solidarische Verteilung des Reichtums in der ganzen Gesellschaft möglich werden soll, ist auch heute in keiner Weise widerlegt.
Wolfgang Hoss, Berlin