Franz Siklosi:
Bemerkungen zum Artikel von Manfred Sohn über die kommunistische Reorganisation
Aus seiner Analyse des Gegenwärtigen Zustandes des Kapitalismus/Imperialismus in den Kernländern postuliert Manfred Sohn folgende Aussagen:
- Die Arbeiterklasse ist am Schrumpfen.
- Die Parteien, welche die Systemfrage stellen, verlieren dadurch immer mehr an Einfluss.
- Eine den Verhältnissen entsprechende politische Arbeit ist mit den bisherigen K- Parteien nicht möglich, weil diese neben den betroffenen Klassen stehen und nicht in diesen verankert sind.
- Den Parteien gelingt es nicht, die qualitativen Veränderungen des Kapitalismus zu erfassen. Damit sind nicht Veränderungen im Erscheinungsbild des Kapitalismus (EU, Transnationale Konzerne usw) gemeint, sondern Veränderungen, die die inneren Mechanismen der politischen Ökonomie des jetzigen Kapitalismus ausmachen.
- Die Lösung besteht in der politischen Arbeit in Zirkeln.
Viele der oben gemachten Aussagen sind begründet.
Seit 1989 kann sich der Kapitalismus ohne innere und äußere Zwänge entfalten.
Grundlagen sind die Steigerungen des produzierenden Mehrwertes gegenüber dem Wert der Arbeitskraft und die Erhöhung der Mehrarbeitszeit gegenüber der notwendigen Arbeitszeit. Die neue Qualität des Kapitalismus besteht einmal darin, dass er fast alle möglichen Mittel, den Ausbeutungsgrad zu steigern, ohne Rücksichtnahme einsetzen kann. Dies geschieht durch die Verlängerung der Arbeitszeit- Steigerung des Absoluten Mehrwerts – und durch die Kürzung der Löhne bei gleichzeitiger Intensivierung der Arbeit – Steigerung des Relativen Mehrwerts. Und beides geschieht zugleich. Die Löhne werden gesenkt, die Arbeit wird rationalisiert und dies bei gleichzeitiger Ausweitung der Arbeitszeit.
Die viel gravierendere Entwicklung des Kapitalismus, die für seine neue Qualität entscheidend ist, besteht aber in der Veränderung des Konstanten Kapitals. Meiner Meinung nach ist durch die Mikroelektronik und die Nanotechnologie die Produktivkraft so weit gestiegen, dass unter der kapitalistischen Produktionsweise einfach keine weiteren Arbeitskräfte als die zur Zeit ausgebeuteten mehr gebraucht werden und die Massenarbeitslosigkeit, egal unter welchen politischen Vorgaben, ständig vorhanden sein wird. Die logische Erkenntnis ist, dass unter diesen Bedingungen weder der Liberalismus noch der Keynesianismus sozial abgesicherte Vollbeschäftigung bringen kann. Löhne rauf nützt nichts, Löhne runter nützt nichts, staatliche Beschäftigung a la Harz IV nützt nichts, Arbeitszeitverlängerung nützt nichts, Arbeitszeitverkürzung nützt nichts zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Unter ungebremsten kapitalistischen Verhältnissen gibt es keine Maßnahmen, die sozial abgesicherte Massenarbeitsplätze schaffen.
Klassengesellschaft im Wandel
Die zahlenmäßige Abnahme der Arbeiterklasse erfolgt aus verschiedenen Gründen: Arbeiter verlieren ihren Arbeitsplatz und potentielle Arbeiter bekommen keinen Arbeitsplatz. Geschieht dies über mehreren Generationen, nimmt die Anzahl derer zu, die niemals im Produktionsprozess stehen werden. Das führt zum Anstieg des Lumpenproletariats.
Bei der Bestimmung des Begriffs Lumpenproletariat ist zu beachten, dass man die verschiedenen Schichten der Armut sorgfältig auseinander halten muss – allerdings nicht auf Grund moralischer Kategorien. Im Band 1 des Kapital über die Sphäre des Pauperismus schreibt Marx:,,
Abgesehen von Vagabunden, Verbrechern, Prostituierten, kurz dem eigentlichen Lumpenproletariat, besteht diese Gesellschaftsschicht aus drei Kategorien. Erstens Arbeitsfähige. Man braucht sich die Statistik des englischen Pauperismus nur oberflächlich anzusehen, und man findet, dass seine Masse mit jeder Krise schwillt und mit jeder Wiederbelebung des Geschäfts abnimmt. Zweitens: Waisen- und Pauperkinder. Sie sind Kandidaten der industriellen Reservearmee und werden in Zeiten großen Aufschwungs rasch massenhaft in die aktive Arbeiterarmee einrolliert. Drittens: Verkommene, Verlumpte, Arbeitsunfähige. Es sind namentlich Individuen, die an ihrer durch die Teilung der Arbeit verursachten Unbeweglichkeit untergehn, solche, die über das Normalalter eines Arbeiters hinausleben, endlich die Opfer der Industrie, deren Zahl mit gefährlicher Maschinerie, Bergwerksbau, chemischen Fabriken wächst, Verstümmelte, Erkrankte, Witwen. Der Pauperismus bildet das Invalidenhaus der aktiven Arbeiterarmee und das tote Gewicht der industriellen Reservearmee. Seine Produktion ist eingeschlossen in der Produktion der relativen Überbevölkerung, seine Notwendigkeit in ihrer Notwendigkeit, mit ihr bildet er eine Existenzbedingung der kapitalistischen Produktion und Entwicklung des Reichtums. Er gehört zu den faux frais der kapitalistischen Produktion, die das Kapital jedoch großenteils von sich selbst ab auf die Schultern der Arbeiterklasse und der kleinen Mittelklasse zu wälzen weiß“
Als Lumpenproletariat werden von Marx diejenigen bezeichnet, die die käuflichen Mobilgarden der Konterrevolution bilden. Die Bourgeoisie benutzt sie zur Niederschlagung der Arbeiterklasse mit Hilfe von Sold und falschen Versprechungen. Der Kampf gegen die Deklassierung der Arbeiter ist deshalb von großer Bedeutung, weil bei einem Abstieg ins Lumpenproletariat eine Politik zur Integration der Arbeiter in den Klassenkampf schwindet. Der große Teil der zukünftigen Lumpenproletarier wird aus Menschen bestehen, die nicht mehr im Produktionsprozess stehen werden. Diese werden gewerbsmäßig der Prostitution, dem Verbrechen, dem Betrug, dem Betteln u.s.w nachgehen. Diese Schicht ist also dadurch gekennzeichnet, dass sie sich einen Teil des gesellschaftlichen Reichtums aneignet, ohne am Produktionsprozess beteiligt zu sein. Ebenso wie die Kapitalisten ernährt das Lumpenproletariat nicht die Gesellschaft, sondern die Gesellschaft ernährt diese. Die politische Gefahr eines wachsenden Lumpenproletariats besteht im Heranwachsen des faschistischen Potentials. Deshalb müssten wenigstens alle Arbeiter, die aus dem Produktionsprozess ausgestoßen wurden, in den verschiedenen Arbeiterorganisationen, Parteien und Gewerkschaft integriert werden.
Manfred Sohn hat damit in seinem Artikel ein zukünftig immer wichtig werdendes Thema benannt.
Hinauf in den Keller – Die Organisationsfrage
Wenn die Arbeiterklasse schrumpft und die Systemfrage nicht auf der Tagesordnung steht, müssten sich die K- Parteien auflösen, weil sie nicht im Volk verankert seien. Der Ausweg bestehe im Zug ins Volk mit Hilfe des Zirkelwesens, damit unter dem Volke die sozialistischen Ideen verbreitet werden können. Diese politische Herangehensweise ist ein Schritt zurück hinter Lenin. Die Narodniki, russische Anarchisten während der Zarenzeit, haben diese Strategie verfolgt und wurden von den Bauern an den Zaren verraten.
Manfred Sohns Parteienanalyse sollte man sich ohne ideologische Scheuklappen vergegenwärtigen. Wenn die Sowjetunion seit Stalin immer mehr im revisionistischen Sumpf unterging, sind auch alle damit verbundenen Parteien involviert. Also auch die DKP und die PDS. Die PDS/Linkspartei profitiert von der politischen Unreife ihrer Klientel und wird eines Tages irgendwie mit der SPD fusionieren. Die DKP (deren PV- Ebene) wäre da irgendwie gerne dabei. Dazu passt, dass die Wahlaussagen der PDS/ Linkspartei dort begeistert aufgenommen werden, ohne die dahinter stehende Strategie zu reflektieren. Die bedingungslose Unterstützung der PDS/Linkspartei durch den PV der DKP hat bei manchen Genossen zu Irritationen geführt. Ein Genosse des KV Darmstadt- Dieburg-Bergstrasse hat auf seine Weise reagiert und kandidierte zur BW auf der Liste der MLPD.
Diese Kandidatur verbindet er mit mehreren Kritikpunkten am Zustand der DKP. So ist für ihm: ,,Die MLPD die treibende Kraft hinter den Montagsdemos gegen Harz IV in Darmstadt.“ Seine Meinung zur Linkspartei besteht darin, ,,dass die Spitze der Partei aus einem Sammelsurium von verschiedenen Möchtegernpolitikern besteht. … Wo die PDS an der Regierung ist, setzt sie Harz IV mit um und trägt die Kürzungen mit. … Oben wollen sie Politik für das Großkapital machen und unten den Widerstand organisieren. Das kann nicht gut gehen.“
Über den politischen Zustand der DKP machte er folgende Aussagen: ,,Für mich als ML innerhalb der DKP war es nahe liegend, dass wir uns mit ML über die Kandidatur zur BW beraten, statt sich ausschließlich an die Reformisten zu wende … Vom Bezirksvorstand gab es Kritik, ich hätte das nicht abgesprochen. … Ich hätte die Harmonie gestört. … Hier in Südhessen hat die DKP eine Bastionen in den Kommunalparlamenten. Das verstärkt die Illusion in den Parlamentarismus. … Wenn sich noch mehr so entschieden hätten wie ich, wären die Widersprüche aufgebrochen. … Die Diskussion über eine alternative Gesellschaftsordnung ist allgemein vorhanden, aber meine DKP-Genossen trauen sich nicht, das offen anzusprechen. Ich finde es spannend, die Alternative Sozialismus offen und breit in der Gesellschaft zu diskutieren.“ Ob der Ausweg, dem sich dieser Genosse angeschlossen hat, der richtige ist, bleibt abzuwarten. Seine Kritikpunkte sind auf jeden Fall diskussionswürdig.
Natürlich sind nicht alle DKP-Mitglieder Reformisten. Jedenfalls nicht verbal…
Fakt ist aber, das die DKP weder politisch noch logistisch für die BW-Wahl gerüstet war. Der PV hat sich sofort für die Unterstützung der Linkspartei ausgesprochen und vermittelte propagandistisch in der UZ ein Bild des einheitlichen Marschierens gegen die Parteien des Sozialabbaus. Interviews von führenden Funktionären der WASG und der PDS dienen zur Untermalung dieser politischen Strategie. Über die strategischen Ziele der PDS findet keine Diskussion statt. Man sollte aber diskutieren. Denn von einer Kommunistischen Partei kann man mehr als die Verfolgung kurzfristiger taktischer Ziele erwarten.
Das Projekt Linkspartei ist seit der Gründung der PDS deren erstrebtes Ziel. Darunter ist letztendlich die Vereinigung einer Lafontaine-SPD mit der PDS zu verstehen. Die WASG ist dabei nur eine Zwischenetappe. Erstaunlicherweise ist das politische Selbstverständnis der WASG linksozialdemokratischer als die realpolitischen Taten der PDS. Knackpunkt ist, dass die PDS nicht aus den bisherigen Länderregierungen ausgetreten ist und damit weiterhin den Sozialabbau mitträgt. Die Geschichte wiederholt sich einmal als Tragödie und dann als Farce. USPD, MSPD und KPD waren Tragödien. Die Linkspartei wird als Farce enden.
Eine Farce ist auch die von einer unergründlichen Harmoniesucht befallene Kommunistische Plattform der PDS/Linkspartei. In einer Partei, die niemals Kommunisten haben wollte, spielen diese Bankrotteure das Gewissen der DDR. Die Welt hat sich aber verändert und die heutigen Realitäten müssen bekämpft werden. Mit jeder Sekunde in der PDS verliert die Kommunistische Plattform endgültig an politischer Daseinsberechtigung.
Vor diesem Hintergrund gewinnt die Kritik von Manfred Sohn an Schärfe. Es scheint, als ob alle ehemaligen revolutionären Parteien den Weg der Zweiten Internationalen gegangen sind. Die heutige Tatsache, dass es trotz verschärftem Klassenkampf keine führende revolutionäre Partei gibt, erfordert eine neue Strategie. Manfred Sohn ist für die Auflösung der bisherigen K-Parteien und ihre Ersetzung durch Netzwerke und Zirkel. Das einzig sinnvolles Ziel wäre die Verbreitung kommunistischer Propaganda ungefähr wie in Brechts: „Die Maßnahme“. Diese Zirkel könnten einmal der Beginn neuer revolutionärer Parteien werden. Der Knackpunkt dieser Strategie ist leicht zu erkennen. Ohne einer ideologisch gefestigten Zentrale würden diese Grüppchen innerhalb kürzester Zeit in Streitereien untereinander zerfallen. Die Junge Welt und die Marx Engels Stiftung kann keine Entscheidungsinstanz ersetzen.
Meiner Meinung nach ist eine Partei leninistischer Art unersetzbar. Eine Partei, in der die alten Zöpfe abgeschnitten wären, nämlich das Betroffensheitsgesülze der DDR-Identität und die immer wieder unternommenen Versuche, zwischen den Kapitalismus und den Sozialismus eine neue Gesellschaftsform dazwischen zu schieben. Wir brauchen eine Partei des Hier und Jetzt mit der klaren gesellschaftlichen Analyse des Ist-Zustandes dieser Gesellschaft. Dies kann nur mit einer Partei neuen Typs mit entsprechender Führung geleistet werden. In diesem Sinne können die bisherigen K- Parteien aufgelöst werden.
Noch einmal Lenin in seiner Schrift:,, Was tun“: ,,Und nun behaupte ich: 1. Keine einzige revolutionäre Bewegung kann ohne eine stabile und die Kontinuität wahrende Führerorganisation Bestand haben. 2. je breiter die Masse ist, die spontan in den Kampf hineingezogen wird, die die Grundlage der Bewegung bildet und an ihr teilnimmt, um so dringender ist die Notwendigkeit einer solchen Organisation, um so fester muss diese Organisation sein (denn um so leichter wird es für allerhand Demagogen sein, die unterentwickelten Schichten dieser Masse mitzureißen). 3. Diese Organisation muss hauptsächlich aus Leuten bestehen, die sich berufsmäßig mit revolutionärer Tätigkeit befassen. 4. Je mehr wir die Mitgliedschaft einer solchen Organisation einengen, und zwar so weit, dass sich an der Organisation nur diejenigen Mitglieder beteiligen, die sich berufsmäßig mit revolutionärer Tätigkeit befassen und in der Kunst des Kampfes gegen die politische Polizei berufsmäßig geschult sind, um so schwieriger wird es in einem autokratischem Land sein, eine solche Organisation `zu schnappen.` 5. Um so breiter wird der Kreis der Personen aus der Arbeiterklasse und aus den übrigen Gesellschaftsklassen sein, die die Möglichkeit haben werden, an der Bewegung teilzunehmen und sich in ihr aktiv zu betätigen.“
Diese Organisation kann nur entstehen, wenn sich die K-Parteien in der BRD mit ihren fähigsten Köpfen zusammenschließen.
Franz Siklosi, Heppenheim