Marc Staskiewicz:
Brain Drain, Neokolonialismus und Brain Exchange –
Der internationale Abwerbekampf um die wissenschaftliche Elite
„Spitzenforschung entsteht, wenn man die besten Wissenschaftler mit einem bestimmten Focus an einem bestimmten Ort zusammenbringt“ so sagte es Patric Cramer, Leiter des Genzentrums der Uni München.
Allein der Sonderforschungsbereich dieses Zentrums, der von Ralf-Peter Jansen geleitet wird, wird mit 4,8 Millionen Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gesponsert, um ein solches formuliertes Ziel erreichen zu können [Zahlen nach Zitat Biosprektrum 07.06 nach www.elsevier.de/ blatt/d_bs_download&_id=993607]. Der Kampf um die wissenschaftlichen Eliten ist ein nicht unwichtiger Bereich des Konkurrenzkampfes. Der deutsche Imperialismus mischt hier ordentlich mit!
Was ist Brain Drain?
„Brain Drain ist die aus den Entwicklungsländern in die imperialistischen Zentren stattfindende Abwanderung der wissenschaftlich-technisch-medizinischen Elite, deren Umfang und Güte durch die gezielte Abwerbung seitens der imperialistischen Staaten erheblich gefördert und beeinflusst wird.“ [Lion Wagner, Krieg und Gesellschaftssystem; S. 80]. „Brain“ bedeutet Gehirn und „Drain“ Abfluss, also der Abfluss bzw. Abzug von Gehirnen.
Der ehemalige US-Außenminister Rusk würde das Eingangszitat vom Leiter des deutschen Genzentrums der Uni München wohl unterschreiben, denn er sagte einst: „Die Bedeutung der Zuwanderung für die Vereinigten Staaten hängt jetzt weniger von der Zahl als von der Qualität der Einwanderer ab … Wir sind auf dem internationalen Markt wegen Gehirnen“ „Unser Land hat glücklicherweise die Möglichkeit, die Dienste hervorragend befähigter und geistig hochstehender ausländischer Einwanderer in Anspruch zu nehmen. Bei guter Regelung kann die Einwanderung eine unserer bedeutendsten natürlichen Ressourcen sein“ [Hearings of the Sub-Comitee on the Judiciary, US House of Representatives, teil II; S. 401 bzw. 389-390, nach Lion Wagner ebenda].
Und wie es in einer Studie des US-Außenministeriums heißt: „Die Vereinigten Staaten und andere entwickelte westliche Länder gewinnen durch den Zufluss von hochqualifizierten Arbeitskräften aus Entwicklungsländern enorm“ [A study of persistent issue of international scientific mobility US House of Representatives, Wahington D.C. S. 201, nach Lion Wagner ebenda].
Es geht darum, die Besten, die Qualifiziertesten abzuwerben. Der Makro-Ökonom Harald Uhling meinte im Zuge der Diskussion um eine in seinen Augen nötige Volkswirtschaftslehre- Fakultät in Deutschland, die mit denen der USA Schritt halten können muss: „Im Wesentlichen muss man das Vorbild der besten Fachbereiche kopieren oder überbieten sowie keine Kosten und Mühen scheuen, das beste Personal für diesen Fachbereich einzuwerben“ [www.handesblatt.com/]
Das Abwerben gelingt dadurch, dass „wesentlich höhere Einkommen, bessere Wohnverhältnisse, Verfügbarkeit von Konsummitteln, erheblich bessere Beschäftigungs- und Karrieremöglichkeiten sowie Arbeitsbedingungen in den kapitalistischen Hauptstaaten“ geboten werden können [Lion Wagner, ebenda].
Der Brain Drain ist also als Teil der neokolonialen Ausbeutung zu betrachten!
Dimensionen des Brain Drain:
Die Dimensionen dieser erfolgreichen Abwerbung sind gigantisch. 89% der Menschen aus Guyna mit Hochschulabschluss leben im Ausland, in Jamaika sind es 85%, in Haiti 83%. „In den armen Ländern südlich der Sahara leben, wie in Sierra Leone oder Ghana, die Hälfte der Menschen mit Hochschulabschluss im Ausland. In allen Ländern südlich der Sahara sind durchschnittlich nur 4% der werktätigen Bevölkerung Akademiker, aber sie stellen 40% der Migranten […]. In Asien beträgt der Anteil der ausgebildeten Menschen bei den Migranten durchschnittlich 50%, allerdings ist hier die Auswanderungsrate insgesamt kleiner. So sind nur 6% der Akademiker ausgewandert. Ganz anders sieht es in den boomenden Ländern wie China und Indien, aber auch in Brasilien oder Indonesien aus. Hier wandern nur 3-5 Prozent der Akademiker in ein OECD-Land ab.“ [www.heise.de/tp/r4/ artikel/21/21216/1.html]. Dies zeigt schon, dass große Teile der abgeworbenen Eliten aus den Entwicklungsländern kommen.
„In Simbabwe etwa wurden im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts 1.200 Ärzte ausgebildet, von denen im Jahr 2000 noch 360 im Lande waren. Die Hälfte aller in Äthiopien, Ghana und Sambia ausgebildeten Ärzte hat ihr Heimatland verlassen. Nach anderen Angaben hat Afrika in den letzten zwanzig Jahren ein Drittel seiner Hochschulabsolventen verloren, jedes Jahr verlassen etwa 23.000 Akademiker den Kontinent. Diese Abwanderung von hochqualifizierten Fachkräften durch entsprechendes Personals aus Industrienationen zu ersetzen kostet mehr als vier Milliarden Euro.“ [Evangelischer Entwicklungsdienst nach www.eed.de/de/de.col/de.col.b/ de.sub.24/de.sub.news/de.news.511/ index.html].
Auswirkungen für die Entwicklungsländer (Neokolonien)
und Nutzen für die imperialistischen Staaten:
Südafrika gibt z.B. einen dreimal größeren Anteil an seinem Bruttoinlandsprodukt für Bildung aus als China [vgl. nach http://kaffeeringe.de/module-article-viewpub-tid-9-title-Brain.Drain.Gain.inAfrika.html]. Der Hintergrund ist, dass man weiß, dass viele der ausgebildeten Kräfte abgeworben werden. Durch die neokoloniale Abhängigkeit und die Unmöglichkeit, den Akademiker Bedingungen wie in imperialistischen Staaten zu bieten, sind solche Entwicklungsländer dazu gezwungen, auch gleich einzukalkulieren, dass ein Großteil der von ihnen ausgebildeten hoch qualifizierten Kräfte eh wieder auswandert. Benötigt man also x Wissenschaftler, so muss man x + y (y = die Zahl derer, die vermutlich abgeworben werden) ausbilden. Das heißt, der Staat investiert für etwas, für das er aber nichts erhält. Ein Teil der Ressourcen dieser meist armen Ländern wird also für die Ausbildung von Kräften ausgegeben, die dann den imperialistischen Staaten dienen. Die imperialistischen Staaten bzw. die dort ansässige Kapitalien profitieren, weil sie Fachleute bekommen, deren Ausbildung sie nichts gekostet hat. Sie beuten auch auf diese Art die Neokolonien aus.
Gerne wird aber behauptet, dass die abgeworbenen Akademiker ja auch Geld ins Herkunftsland zurückführen. Dies soll immer wieder als Beleg dafür gelten, dass das Abwerben somit den Herkunftsländern indirekt doch etwas bringe (es soll eine moralische Legitimierung der Abwerbung erzeugen). So gibt es ganze Studien darüber, was mit diesen ins Heimatland transferierten Geldern passiert, wie viel Firmen angeblich daraus entstehen und dergleichen. Laut Schätzungen der Weltbank fließen 150 Milliarden US-Dollar von Immigranten in die Heimatentwicklungsländer zurück [www.heise.de/tp/r4/artikel/21/212116/1.html]. Fakt ist aber, dass dieses Geld den Entwicklungsländern, anders als behauptet, keine Devisen bringt, „da es sich hierbei lediglich um Überweisungen von Lohnanteilen handelt (Teilen des Wertes der Ware Arbeitskraft), z.B. an in der Heimat verbliebene Angehörige“ [Lion Wagner, ebenda].
Wenn also Deutschland z.B. Akademiker aus einem afrikanischen Land abwirbt, so spart es Ausbildungskosten, die ja auch Teil des variablen Kapitals sind. Des Weiteren sind diese neuen Arbeitskräfte ja auch Erzeuger von Mehrwert und davon wird natürlich auch profitiert.
„Wichtig ist die Erkenntnis, dass der brain drain […] als neokoloniale Ausbeutungsform deshalb so bedeutend ist, weil es sich um den Abfluss der Hauptproduktivkraft Mensch und nicht den Abfluss irgendeiner Ressource handelt. Schließlich ist es für die Entwicklung einer Gesellschaft entscheidend, in welcher Qualität, Quantität und Struktur diese Hauptproduktivkraft vorliegt. Dabei spielen hochqualifizierte Kader eine besondere Rolle, da ihr Vorhandensein grundsätzliche Entwicklungsbedingung für alle Bereiche des gesellschaftlichen Fortschritts ist. Infolge des brain drain verlieren […] die Entwicklungsländer Kader, die nicht oder nur durch größte Anstrengungen und Opfer seitens der Entwicklungsländer ersetzt werden können, wodurch deren eigenständige Entwicklung auf allen Gebieten der Gesellschaft enorm behindert wird. Während die Steigerung der Arbeitsproduktivität in den Entwicklungsländern als grundlegendes ökonomisches Erfordernis für die allseitige Entwicklung einer jeden Gesellschaft wegen des Abflusses hochqualifizierter Arbeitskräfte nicht entsprechend vorangetrieben werden kann, erhalten die imperialistischen Zentren in ihrer vergleichsweise schon recht hohen Arbeitsproduktivität durch das Wirken der zuströmenden Arbeitskräfte weitere Arbeitsproduktivitätsschübe. Die herrschende Kapitalistenklasse der imperialistischen Zentren, deren meisten Mitglieder als Christen verstanden werden wollen, nehmen offenbar alle Vorteile, die sich aus dem brain drain für sie ergeben (verbesserte Kapitalverwertungsbedingungen, Mehrwertquellen, Arbeitsproduktivitätsschübe) als „Gabe Gottes“ hin, denn sie leisten keinen Ausgleich an die Entwicklungsländer. Die staatsmonopolitische „Entwicklungshilfe“ der kapitalistischen Hauptländer ist kein Ausgleich zum brain drain und hat einen solchen schon gar nicht als Ziel“ [Lion Wagner ebenda´; S. 81-82].
Da die imperialistischen Staaten also solche Akademiker wollen, treten sie für deren Auswanderungsfreiheit ein, während sie aber z.B. den nicht-hochqualifizierten Kräften, die aus Gründen der Armut z.B. nach Europa fliehen wollen, keineswegs eine solche Auswanderungsfreiheit zugestehen wollen. Ja, diesbezüglich fordern sie gar von den entsprechenden Ländern, solche Flüchtlinge mit allen Mitteln an der Flucht zu hindern.
Übrigens geben auch bürgerliche Medien zu, dass die imperialistischen Staaten vom Brain Drain profitieren. So schreibt Heise: „profitieren die Zielländer […] von den billigen Arbeitskräften, die einfache oder riskante Arbeiten zu Dumpingpreisen erledigen, aber auch vom Zuzug der gut ausgebildeten Eliten, die im reichen Ausland auf bessere Chancen hofft […]. In einer Zeit, in der Wissen eine immer größere Rolle spielt, ist, so wird angenommen, der Verlust der gut ausgebildeten Elite (brain Drain) für das Herkunftsland besonders schlimm“ [www.heise.de/tp/r4/ artikel/21/212116/1.html]. Der Verlag Heinz Heise ist hier kein unbedeutender; zu ihm gehören u.a.: Elrad, c’t, IX, Gateway, Telpolis, Technology Review, Linux Computing, Heise online, Heise mobil, Heise, netz, Heise open, Heise Resale, Heise Security und Heistreff.
Ziele der neokolonialen Ausbeutung:
Wie wir gezeigt haben, ist der Brain Drain ein Teil der neokolonialen Ausbeutung. Da selbst in der kommunistischen Zeitungslandschaft in Deutschland kaum etwas über den Neokolonialismus gesagt wird – und das, obwohl Deutschland diesbezüglich kräftig mitmischt, sollte dies Grund genug sein, hierauf in diesem Zusammenhang etwas einzugehen.
„Die neokoloniale Ausbeutung ist die entscheidende materielle Grundlage für die Erhaltung des kapitalistischen Gesellschaftssystems und daher objektiv notwendig. Ohne diese materielle Stütze würde die sogenannte „Soziale Marktwirtschaft“ der sogenannten Industrieländer in historisch kurzer Zeit zusammenbrechen. Der Neokolonialismus ist Ausdruck des Parasitendaseins, welches einige wenige kapitalistische Hochburgen auf Kosten der überwältigenden Mehrheit der Nationen dieser Welt führen. Letztendlich haben die Kapitalistenklassen der imperialistischen Zentren alle ökonomischen Vorteile, die sich aus der Internationalisierung der Wirtschaft ergeben, für sich monopolisiert. Ihr allgemeines Ziel ist die höchstmögliche Aneignung von fremdnationalem Mehrwert.
Die imperialistischen Zentren (sogenannte Industriestaaten) verfolgen mit ihrer neokolonialen Ausbeutung im einzelnen folgende nationale Ziele:
1. Stärkung der Kapitalkreisläufe, beschleunigte erweiterte Reproduktion und beschleunigte Produktivkräfteentwicklung. Das materielle Fundament dafür ist die Aneignung einer enormen, von den Arbeitskräften der Entwicklungsländer produzierten Mehrwertmasse durch die Kapitalistenklassen der ökonomisch stärksten Staaten.
2. Soziale Bestechung der Produktionsmittelnichteigentümer und kleinen Warenproduzenten. Die soziale Bestechung erfolgt nicht direkt, sondern mittelbar auf zwei Wegen. Erstens wird aufgrund der Mehrwertaneignung die erweiterte Reproduktion und die Produktivkräfteentwicklung beschleunigt, wodurch auch die Arbeitsproduktivität bei der Produktion von Konsummitteln steigt. Das aber bedeutet, dass der Wert der Konsumtionsmittel für die Reproduktion der Arbeitskraft fällt. Folglich kann der Kapitalist den Ausbeutungsgrad beibehalten oder sogar erhöhen, obwohl das Reproduktionsniveau der Arbeitskräfte wächst […].
Ausbeutungsgrad = Mehrwert / variables Kapitals (Arbeitskraft-Reproduktionswert)
Zweitens fließt ein Teil des angeeigneten fremdnationalen Mehrwerts über die Besteuerung an den Staat. Der ihn unter anderem für den Ausbau und die Erhaltung des Sozialwesens verwendet. Von der Möglichkeit, den nationalen Ausbeutungsgrad zu senken, um den Arbeitskraft-Reproduktionswert zu erhöhen, machen die Kapitaleigentümer in der Regel keinen Gebrauch. Der nationale Mehrwertverlust würde dann durch den fremdnationalen Mehrwertgewinn ausgeglichen.
3. Entgegenwirkung dem tendenziellen Fall der Profitrate.
Profitrate = Mehrwert / vorgeschossenes Gesamtkapital = Mehrwert / konstantes + variables Kapital
Durch Einfuhr von Nahrungsmitteln, Konsumgütern und Produktionsmitteln (z.B. Rohstoffe, Maschinenteile) zu niedrigen Preisen aus den Entwicklungsländern können die Kosten für die Reproduktion der Arbeitskraft (variables Kapital) und das konstante Kapital verringert werden.
4. Aufrechterhaltung des gegenwärtigen globalen ökonomischen und politischen Kräfteverhältnisses. Es geht den drei derzeit herrschenden imperialistischen Rivalitätszentren, USA, Europäische Gemeinschaft und Japan darum, die Gründung eines neunen ökonomischen und politischen Kräftekonzentrationszentrums (z.B. eine arabische oder gar islamische Union) zu verhindern. Jedes mehr oder weniger Ausbrechen aus den gegenwärtigen Strukturen der von den imperialistischen Zentren beherrschten Weltwirtschaftsordnung soll im Interesse der Profiteure unmöglich gemacht werden“ [Lion Wagner, ebenda; S. 90-91/ Das Buch wurde 1998 herausgegeben, so sind Begriffe wie Europäische Gemeinschaft in dieser Zeit zu sehen und heute durch EU zu ersetzen].
Diese Ausführen zeigen auch, dass Vorschläge, wie wir sie aus Kirchenkreisen oder sog. Eine-Welt-Laden-Zusammenhängen kennen, unrealistisch sind. Denn sie zielen darauf ab, z.B. den Brain Drain durch Reformen im kapitalistischen System zu verhindern (das gleiche Ziel verfolgen übrigens auch nationalistischfaschistische Kampagnen wie „Kinder statt Inder“, auch wenn der Hintergrund, die Motivation, hier natürlich ein andere ist). Die Ausführungen zeigen aber, dass jede imperialistische Macht auch auf Brain Drain als Teil der neokolonialen Ausbeutung angewiesen ist. Auch Forderungen wie die eines „gerechten Handels“ mit „fairen Preisen“ der Entwicklungsländer mit imperialistischen Mächten, sind angesichts der durch die neokoloniale Ausbeutung erzielten materiellen Grundlage, die das kapitalistische Gesellschaftssystem stützt, unrealistisch. Solange es Imperialismus gibt, wird es Neokolonialismus, wird es neokoloniale Ausbeutung, wird es Brain Drain geben.
Brain Exchange:
Unter Brain Exchange (auch Brain Cirulation genannt) wird offiziell ein Austausch bzw. eine Zirkulation von Elitemigration zwischen Industriestaaten, multinationalen Konzernen verstanden [vgl. nach Nina Wolfeil Uni Wien http://science.orf.at/science/news/148347]. Dr. Uwe Huner spricht in diesem Zusammenhang von einer „Balance in der Zahl von abgehenden und aufgenommenen Hochqualifizierten eines Landes“ [Friedrich Ebert-Stiftung, Vom Brain Drain zum Brain Gain Die Auswirkungen der Migration von Hochqualifizierten auf Abgabe- und Aufnahmeländer 2003; S. 14]. Zwar soll dieser Begriff in gewisser Weise auch einen gegenseitigen Nutzen vorspiegeln, denn es komme ja zu einem „Wissensaustausch“, wie es oft genannt wird, und das klingt ja erstmal nicht negativ, allerdings macht der Begriff dennoch Sinn. Denn was zwischen den imperialistischen Zentren und ihren Konzernen stattfindet, kann man nicht mit einem Brain Drain gleichsetzen. So kommt es z.B. zwischen den imperialistischen Staaten Deutschland und USA bzw. zwischen ihren internationalen Monopolen zu gegenseitigem Abwerben, aber es ist eben kein einseitiger Prozess wie bei den Entwicklungsländern, denen nur geraubt, aber nicht gegeben wird. Auch wenn es beim Brain Exchange sicher keine 100%ig gleich hoher Austausch ist, er ist ja nicht Teil einer Verhandlung von Staaten, sondern Ergebnis gegenseitiger Abwerbungsversuche, so handelt es sich um eine relative Balance, die sich aber im Wettbewerb auch zu einer bestimmten Seite hin entwickeln kann.
Ausmaß der Leistung der Abgeworbenen in der Forschung
der imperialistischen Mächte
Ein gutes Beispiel um die Bedeutung des Kampfes um die hoch qualifizierten Kräfte zu verdeutlichen ist der US-Imperialismus. Denn über ihn gibt es Schätzungen, wie hoch das Ausmaß der Leistung von Abgeworbenen für die Forschung ist. Laut Max Huber (Deutschen Akademische Austausch Dienst, DAAD) werden bereits ganze 50% der Forschungsleistungen in den USA von angeworbenen Akademikern aus anderen Ländern geleistet [vgl. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 15.08.2004, nach www.fax.net]. Ohne solche Kräfte wäre, unter kapitalistischen Verhältnissen, also eine Produktivkraftentwicklung auf dem derzeitigen Level der USA gar nicht möglich. Im hypothetischen Fall, dass all diese Kräfte schlagartig die USA verlassen würden, würde die US-Wirtschaft wohl in eine recht schnell kommende Krise fallen.
Leider liegen uns bezüglich des deutschen Imperialismus keine Zahlen vor.
Offene Worte des deutschen Imperialismus
Es ist keinesfalls so, dass man lange suchen müsste, um auch offene Worte zum Kampf um die Köpfe zu finden und auch dazu, dass man durch den Wettbewerb auch dazu gezwungen ist, Abwerbungen durchzuführen. An dieser Stelle nur ein Beispiel. Im Zuwanderungsgesetz heißt es, dass „die Bundesrepublik Deutschland […] ähnlich wie hochindustrialisierte Staaten, in einigen Bereichen der Wirtschaft, insbesondere in der Biotechnologie und der Informations- und Kommunikationstechnologie, einen gestiegenen Bedarf an qualifizierten Fach- und Führungskräften über die nationalen Arbeitsmärkte nicht decken kann. Auch in einer Reihe anderer Branchen erfordern der steigende Wettbewerbsdruck und der sich beschleunigende Wandel in der Arbeitswelt hoch qualifizierte Arbeitskräfte, um die internationale Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu erhalten. Es entwickelt sich deshalb ein zunehmender internationaler Wettbewerb um die besten Kräfte […]“ [Zuwanderungsgesetz zitiert nach Friedrich Ebert-Stiftung, Vom Brain Drain zum Brain Gain Die Auswirkungen der Migration von Hochqualifizierten auf Abgabe- und Aufnahmeländer 2003; S. 48].
Deutscher Imperialismus will Panik verbreiten
In der Tat gibt es auch Wissenschaftler aus Deutschland die z.B. zum US-Imperialismus wechseln. Gerade dies ist immer wieder ein großes Thema in den Reihen der Politik, in den Diskussionen an den Universitäten, bei den Großkonzernen und in der bürgerlichen Medienlandschaft. Es wird diesbezüglich gar versucht, eine gewisse Panik zu verbreiten um den Eindruck zu erwecken, dass es der deutschen Wirtschaft bald sehr schlecht gehen wird, da man so viele Wissenschaftler verlieren würde. Diese Panikmache bezweckt u.a., die Bereitschaft in der Bevölkerung zu erhöhen, die Ausgaben für die Elitebildung, die Anwerbung und die Erhaltung der wissenschaftlichen Eliten zu vergrößern. Fakt ist aber, dass „keine eindeutigen Hinweise für einen drastischen Verlust an deutschen Spitzenwissenschaftlern gefunden werden“ kann [www.forschungsinfo.de/iq/agora/ Brain_Drain/brain_drain.asp].
Vielmehr ist es so, dass laut der Europäischen Kommission die EU die größte „Wissensschmiede“ der Welt ist. Dennoch wird bemängelt, dass der EU nur 5 von 1.000 Beschäftigten in der Forschung tätig sind, während es in den USA acht und in Japan neun seien [vgl. http://ec.europa.eu/research/leaflets/young/paga_77_de.html]. Also auch um diesen Anteil erhöhen zu können, wird eine gewisse Panik betrieben. Auch Zahlen, wie, dass von den 100 forschungsstärksten deutschen Ökonomen unter 45 Jahren jeder zweite im Ausland arbeitet, bedeutet nicht, dass diese allesamt abgeworben sind, sondern dass sie z.B. auch im Zuge des neokolonialen Wachstums eingesetzt sind, um im Interesse des deutschen Imperialismus noch mehr Mehrwertmassen aus den Neokolonien zu pressen [Zahlen nach: www.handesblatt.com/news/default_302031_1257784.aspx].
Brain Drain, Brain-Gain-Verteidigungsmöglichkeiten und Brain Re-Gain:
Brain Drain bzw. Brain-Gain und Brain-Exchange spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle im internationalen Konkurrenzkampf. Und die Konzerne lassen sich das Abwerben auch einiges „kosten“ (dies muss aber immer im Zusammenhang mit dadurch möglichen großen Mehrwertmassen gesehen werden, die diese „Kosten“ eher gering werden lassen).
Wie im vorherigen Punkt beschrieben beklagen sich auch die deutschen Imperialisten über ein Brain Gain eigener Wissenschaftler. Denn jeder Abgeworbene ist ein Verlust. Fakt ist aber, dass die imperialistischen Mächte bzw. die konkreten Monopole ein drohendes Abwerben relativ absichern können, so dass es nur zu einer geringen Abwerbung kommt.
Im Jahr 2004 gab die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) eine Pressemitteilung heraus, aus dieser geht hervor, dass es weniger sind, als oft behauptet wird, die von Deutschland abgeworben wurden. Die Studie hatte 1.400 ehemalige Stipendiaten (davon waren übrigens nur ca. 26% Frauen) des DFG befragt. 86% sind auch noch 5-16 Jahre nach dem Stipendium in der Wissenschaft tätig. Zwar nutzen viele auch die Möglichkeit eines Auslandsaufenthalts, wie es von der DFG auch gefördert wurde (Hauptzielort war die USA). Aber noch heute arbeiten 85% der in der Wissenschaft tätigen in Deutschland [vgl. www.dfg.de/ aktuelles_presse/ pressemitteilungen/2004/presse_2004_19.html]. Aus der Presseerklärung geht leider nicht hervor wie viele der verbliebenen 14% zwar im Ausland arbeiten aber weiter bei deutschen Monopolen angestellt sind. Denn auch dies gibt es ja. Auslandsaufenthalten sind heute durchaus als Teil der Ausbildung anzusehen und in vielen wissenschaftlichen Bereichen unablässig, um sich möglich gut zu qualifizieren, wenn man auf hohem Niveau arbeiten will. Des Weiteren gibt es Auslandsaufenthalte natürlich auch, da sich z.B. die deutschen Monopole global ausdehnen und somit auch in anderen Ländern Konzernsitze haben, die ebenfalls hochqualifiziertes Personal verlangen.
Um die Bedingungen zu verbessern, Akademiker aus anderen Ländern abwerben zu können, werden immer mal wieder auch Gesetze verändert. In diesem Zusammenhang sind auch Sonderregelungen (wie Green Card), wie sie vor einigen Jahren am Beispiel indischer Informatiker durch die Medien gingen, zu erklären.
Und bei der Verteidigung gegen mögliche Abwerbung aber bzw. von eigenen Abwerbungen helfen auch diverse Vereinigungen und Stiftungen. Verbände wie der Deutsche Akademische Austausch Dienst (DAAD) haben nicht nur das Ziel deutsche Akademiker im Ausland weiter zu qualifizieren, ihnen Auslandsaufenthalte zu organisieren, sondern sie werben auch ausländische StudentInnen an. Und somit gehören sie zum Brain Darin bzw. Brain Exchange. Und solche Institute schaffen auch Anreize für ihre Zwecke. So gibt es z.B. den Jacob- und Wilhelm-Grimm-Preis von dem DAAD, der an Wissenschaftler aus dem Ausland, für „hervorragende Arbeiten auf den Gebieten Germanischer Literatur- und Sprachwissenschaften, Deutsch als Fremdsprache sowie Deutschstudium“ verliehen wird. Er ist mit 5.000 € dotiert [vgl. www.daaad.de]. Zu den Aufgaben vom DAAD gehört es eben auch Stipendien an Studenten aus dem Ausland zu vergeben um sie anzuwerben. Die Stipendien werden in der Regel über die deutsche Botschaft ausgeschrieben. Für die Abwerbung werden staatliche Mittel in großem Umfang zur Verfügung gestellt. 2001 setzte die Bundesregierung z.B. aus den Mitteln aus dem UMTS-Verkauf 170 Millionen für die Gewinnung von Wissenschaftlern und Studenten aus dem Ausland ein [vgl. ww.berlinnews.de/ archiv/1733.html]. Dies verdeutlicht das Zusammenspiel der deutschen Monopole mit dem staatlichen Überbau.
Und um abgeworbene Forscher zurückzugewinnen wurden ganze Stiftungen ins Leben gerufen. Hier ist die Claussen-Simon-Stiftung zu nennen. Diese hat seit ein paar Jahren das „Aktionsprogramm Doppelkarrierepaare“ am laufen. Dieses Programm zielt darauf ab, dass man Ehepaare gleich zu zweit abwirbt bzw. zurückgewinnt. Denn bei der „Gewinnung von Wissenschaftern aus dem Ausland sind die beruflichen Chancen für die Partner häufig […] ausschlaggebend“ , wie die Stiftung herausfand.
Beispiele deutscher Abwerberfolge:
Die stärksten Wirtschaftsmächte haben auch die besten Chancen den Brain Exchange zu ihren Gunsten zu verbessern. Diesbezüglich ist der deutsche Imperialismus beim Brain Exchange innerhalb der EU recht erfolgreich. Im Jahre 1999 kamen so z.B. 24 Tausend hoch qualifizierte Kräfte aus Großbritannien nach Deutschland, es gingen aber nur 12 Tausend hoch qualifizierte Deutsche nach Großbritannien. Bezüglich Frankreichs waren es 22 Tausend zu 13 Tausend.
Innerhalb der EU hatte Deutschland auch die meisten Anwerbeerfolge von hoch qualifizierten Amerikanern, nämlich rund 28 Tausend (dies sind ganze 50% der hochqulifizierten Amerikaner die in die EU gingen) [Zahlen nach Friedrich Ebert-Stiftung, Vom Brain Drain zum Brain Gain Die Auswirkungen der Migration von Hochqualifizierten auf Abgabe- und Aufnahmeländer 2003; S. 50].
Zum Ziele der Rück- bzw. Abwerbung hat die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) auch bereits Außenstellen eröffnet, so z.B. im Jahre 2000 das Chinesisch-Deutsche Zentrum in China und im Jahre 2002 ein Büro in Washington [nach Friedrich Ebert Stiftung http://library.fes.de/fulltext/id/ 0144819.htm].
Eine Studie der OECD von 2006 zeigt, dass Deutschland mehr Personen mit Hochschulabschluss nach Deutschland holt, als es sie abgibt. Die meisten, die nach Deutschland geworben werden, kommen aus nicht OECD-Ländern. Also sind die Abwerbungen aus Entwicklungsländern in ihrer Masse von größter Bedeutung. Die Analyse zeigt aber auch, dass die osteuropäischen Ländern derzeit enorme Verluste an gut ausbildeten Kräften haben und selbst nur wenig selbst abwerben. Die Kräfte gehen vor allem in die USA sowie in die westlichen EU-Staaten (also auch Deutschland, Deutschland hat hier ja inzwischen enormen wirtschaftlichen Einfluss dazu gewonnen) [www.forschungsinfo.de/iq/agora/Brain_Drain/ brain_drain.asp].
Die Friedrich-Ebert-Stiftung gibt zu, das die Einführung der Green Card im Jahre 2000 nicht nur den Mangel an IT-Spezialisten decken sollte, sondern auch „die deutsche Zuwanderungspolitik insgesamt modernisiert werden“ sollte [Friedrich Ebert-Stiftung, Vom Brain Drain zum Brain Gain Die Auswirkungen der Migration von Hochqualifizierten auf Abgabe- und Aufnahmeländer 2003; S. 44]. Also hin zur verstärkten Abwerbung hoch qualifizierter Kräfte. Mit der Green Card wurde sich das Ziel gesetzt von 2000-2003 ganze 20.000 IT-Spezialisten abzuwerben. Von ihnen wurde eine hohe Qualifikation oder alternativ ein Mindestgehalt von 100.000 DM verlangt.
Zwischen August 2000 und Juli 2003 konnte dieses hohe Ziel zwar nicht ganz erreicht werden, aber aus Sicht des deutschen Imperialismus konnten immerhin 14.876 Computerspezialisten abgeworben werden. Die meisten kamen aus Indien (3.926) gefolgt von den ehemals sowjetischen Ländern (Russland, Weißrussland, Ukraine, Baltische Saaten) 1.874, Rumänien (1.039), aus der Tschechischen- und Slowakischen Republik insgesamt 983, aus den ehemals Jugoslawischen Ländern (Jugoslawien, Kroatien, Bosnien-H., Slowenien, Mazedonien, Montenegro) 756, aus Ungarn 510, Nordafrika (Algerien, Marokko, Tunesien) 432, Bulgarien 431, Südamerika 389, Pakistan 211 und weitere 4.325 aus diversen anderen Ländern [Zahlen nach Friedrich Ebert-Stiftung, Vom Brain Drain zum Brain Gain Die Auswirkungen der Migration von Hochqualifizierten auf Abgabe- und Aufnahmeländer 2003; S. 45]. Diese Zahlen wurden auch aufgeführt um die Einflussgebiete des deutschen Imperialismus aufzuzeigen.
Die größten „Bildungsausländer“ in Deutschland, wie Nina Wolfeil von der Uni Wien es bezeichnet, komme aus China, danach komme auf Platz zwei Polen und Bulgarien [vgl. http://science.orf.at/science/news/148347]. Leider nennt uns diese Doktorin keine konkreten Zahlen.
Falsche „Lösungen“:
Es gibt sich kommunistischen nennende Kräfte, die in der Vergangenheit auch „Lösungs-Vorschläge“ wie die eines „Einwanderungsstopps“ formulierten, angeblich um die Entwicklungsländer vor dem Ausverkauf ihrer Eliten zu schützen.
Fakt ist, dass solche Formen der Ausbeutung solang existieren, wie es den Imperialismus gibt.
Deshalb ist die einzige Lösung der revolutionäre Kampf gegen den Imperialismus, der seiner Form nach national geführt wird. D.h. konkret, dass unser Hauptfeind der deutsche Imperialismus ist. Forderungen nach Einwanderungsstopps darf es von uns deshalb nicht geben, weil dies keine Lösung ist, sondern eine Auswirkungen von beschränkten boniert-nationalistischen Gedanken.[1]
Mark Staskiewicz,
Berlin
[1] Schaut man sich die Propaganda der Nationalisten an, so erkennt man, dass sie nur Erscheinungen betrachten. Sie glauben, dass „den Deutschen“ die „Arbeitsplätze“ weggenommen werden. Deshalb sind sie für Kampagne wie „Kinder statt Inder“. Damit erkennen sie die inneren Gesetze im Imperialismus nicht, die zu Brain Drain etc. führen.