Hermann Jacobs: Der Festpreis als ökonomisches System.
Zum Beitrag von Gerald Hoffmann und Andrea Schön,
Teil II
(In der Ausgabe Juli-August 2005 brachten wir den ersten Teil. Hier nun die Fortsetzung; d.Red.)
Wertbestimmtheit und Wertform
Ich würde also bestimmte Definitionen, wie sie Gerald Hoffmann und Andrea Schön noch für möglich halten, gar nicht erst versuchen; z.B. gleich die Überschrift: „Zur Erscheinungsweise des Wertgesetzes im Sozialismus“; da letztlich die Erscheinungsweise der Festpreis (als System) ist, und er gerade als das Gegenteil des Wertes, als der Gebrauchswert, als die Menge der Produkte gedacht werden muß, entfällt zwar nicht eine Erscheinungsweise, aber eine des Wertes und Wertgesetzes; der Sozialismus hat keine. Oder: „Bei allen Formen der Warenproduktion (es gibt keine Formen der Warenproduktion, sondern nur deren Entwicklung, J.), auch wertökonomischen Reformen der Planwirtschaft (?, ist ebenfalls ein Ding der Unmöglichkeit, die Planwirtschaft setzt ja gerade an die Stelle des Wertes die Regulation der oder durch die Arbeitsmenge, also kann es nur bezogen auf diesen Gegenstand in einer Planwirtschaft Reformen geben) muß unseres Erachtens eben diese Frage gestellt werden, wie weit sie mit der Aufhebung der Klassen, mit der Herstellung gesamtgesellschaftlich einheitlicher Produktionsverhältnisse verträglich sind. (Aber sie sind doch a priori unverträglich mit der Herstellung einheitlicher Produktionsverhältnisse, d.h. die Frage der Verträglichkeit stellt sich gar nicht für das Volkseigentum, das nur definiert ist, wenn als Aufhebung des Privateigentums. Sie stellt sich nur für die Zeit davor, d.h. für noch eine reine Machtform der Arbeiterklasse unmittelbar nach der Revolution; wie weit sich die Politik mit der Ware verträgt, ist dann Frage, nicht wie weit die Ökonomie. Diese – wenn entstanden – gar nicht.) Warenproduktion ist, weil gebunden an die Form des Privateigentums (den Austausch), mit dem Hineinwachsen des Sozialismus in den Kommunismus unverträglich“. (So spät erst? Im Sozialismus, in der 1. Phase des Kommunismus, entstehen doch diese einheitlichen Produktionsverhältnisse, weil die Planung. Diese Verlagerung der Unverträglichkeit aus der ersten in die zweite Phase – oder bei Übergang zu ihr – ist aber Methode der noch nicht genau erkannten, noch ungenau bestimmten Historie; sie macht ja den passiven Sozialismus).
Wenn das Geld seine Fähigkeit verliert den Wert auszudrücken und damit zu „messen“, und das ist der Fall, wenn es sich bindet an die Darstellung der konkreten Arbeit/Menge der Produktion im allgemeinen, gehört es mit zum System des Festpreises, dass sich alle Bewußtheit über die Rationalität der Arbeit, den arbeitszeitlichen Verbrauch an Arbeit usw. den direkten Zeitformen der Arbeit zuwendet, d.h. eine sich durchschnittlich ermittelnde Arbeitszeit, die Wertform der Zeit, ist für die Planwirtschaft uninteressant. Der Wegfall der Wertform resp. der Warenform des Produkts (nicht identisch der Aneignung des Produkts über das Geld nunmehr als eines zur Aneignung berechtigenden Scheins) gebiert ein anderes Verhältnis zur Arbeitszeit. Durch Wechsel im Begriff vom Wert zur Zeit fällt auch die leiseste Spur einer Identifizierung der Zeit mit dem Wert resp. die Gleichsetzung von Zeit und Wert. (Obwohl der Wert natürlich Zeit ist, aber er ist Zeit in spezifischer gesellschaftlicher Bestimmung. Und das ist die reine (direkte, unmittelbare) Zeit natürlich auch.[3])
Weil aber dieser Übergang vom Wert zur Zeit erfolgt, endet auch nicht mit der Wertform die Bewußtheit von allen zeitlich rationalen Momenten der Arbeit, sondern nimmt es nur diese neue Form an. Die Überlegungen über die Wertbestimmtheit und ihren Verbleib im Kommunismus (übrigens beider Phasen) bei Gerald Hoffmann und Andrea Schön sind also schon richtig und notwendig, Wertbestimmtheit muß als Prinzip auch von seiner Fixiertheit nur auf die Form der Warenproduktion befreit werden, sie müssen aber noch zu ihrer gemäßen Begrifflichkeit finden, man meide besser den Begriff Wert und ersetze ihn wirklich durch Zeit.
Woher rührt die gewissermaßen zur Neurose geratene Vorstellung einer Fortsetzbarkeit von Warenproduktion über die Aufhebung des Eigentums zum Volkseigentum hinausgehend? Von – das ist bekannt – dem Genossenschaftsbegriff oder -verhältnis im Sozialismus. Was sind aber Genossenschaften im Sozialismus unter Bedingung der herrschaftlichen Existenz von Volkseigentum, d.h. aufgehobenen Privateigentums, allgemeinen Eigentums? Genossenschaften sind dann nichts als kleines, begrenztes Volkseigentum, sie sind aber nicht eine besondere Form der Produktion (wie es bei Stalin/Ökonomische Probleme noch heißt)[4], sie besitzen vor allen Dingen keinen besonderen gesellschaftlichen Charakter gegenüber dem Volkseigentum – erkennbar am gleichen Preis-Geldmengen-, Kosten- wie Gewinn-System wie das Volkseigentum; sondern sie sind Umsetzungen des Verhältnisses des Volkseigentums im Kleinen, in einem engeren ökonomischen Kreis als dem allgemeinen Kreis des Volkseigentums. Sie gebieren also das selbe Produktionsverhältnis wie das Volkseigentum – in einem nur anderen Rahmen; sie sind, weil („einfache“) Form des Volkseigentums, von deren Gehalt, also Nichtwarenökonomien: Damit, dass wir so definieren, dass wir endlich richtig definieren wohin Genossenschaften im Sozialismus/Kommunismus gehören, liquidieren wir den letzten vermeintlichen Grund, dass im Sozialismus von ihnen eine Notwendigkeit auf eine warenökonomische Form des Sozialismus ausgeht (dem sich das Volkseigentum noch unterzuordnen habe, denen gegenüber das Volkseigentum, die Planwirtschaft ihren Charakter aufzugeben hätten – wie ungemäß und unterordnend, so das Volkseigentum zu sehen, a priori also eine restaurierende, abwertende Betrachtung des Volkseigentums im Kommunismus).
Dreh- und Angelpunkt einer Theorie muß immer eine reale Bewegung sein. Festpreis ist eine Bewegung!, ist nur als Preis im Einzelnen still, unbeweglich, nicht als Menge, nicht als Summe von Preisen; da gerade nicht. Indem ich bewußt Festpreis und Warenproduktion trenne, kann der Sozialismus auch nicht mehr als Warenproduktion verstanden werden, gibt es diese Produktionsform nicht mehr und steht eine Verträglichkeit von Sozialismus und Warenproduktion nicht mehr zur Debatte. Es gibt demnach eine „Form der Warenökonomie“, die nicht mehr als Warenökonomie gedacht werden kann! Oder von Formen der Waren-ökonomie (Formen in der Warenökonomie) ist nicht mehr warenökonomisch zu denken. Aber um so zu denken, muß natürlich der Festpreis nicht wie ein x-beliebiger Preis einer Warenökonomie definiert werden, sondern wie sein Gegensatz; d.h. unser Standort in der Ökonomie hängt von der Analyse des Festpreises ab.
Resümee: Der wirkliche Fortschritt muß in einer Kritik der Reformen bestehen, das ist die Wiederherstellung des Marxismus für den Sozialismus/Kommunismus. Das ist auch (wieder) der Bruch der revolutionären mit der reformistischen Form der Bewegung der Arbeiter – der zweite historisch notwendig gewordene Bruch. Die subjektiven Voraussetzungen für eine im Objektiven revolutionäre Geschichte der Menschen wären damit wieder hergestellt, die Arbeiterbewegung wieder von ihren bürgerlichen Flausen – befreit.
Die 60er Reformen als bürgerliche Flausen der Arbeiter? Ja. Man muß einfach sehen, dass eine Übergabe der ökonomischen Verantwortung an die „untere Ebene“ („Betriebe“) einer gesellschaftlichen Verkehrsform bedarf, und die muß sich immer des Eigenen (an Arbeit, Arbeitsgegenständlichkeit) bemächtigen, das man unmittelbar hat/„besitzt“. Das ist die „betriebliche“ Arbeit, die hier, wenn mit ihr ein Aneignungsrecht verbunden ist, für „private Arbeit“ steht, also für die Ursache der Warenproduktion, die damit eine sie wiederherstellende Grundlage, ein ökonomisches Subjekt in der sozialistisch-kommunistischen Gesellschaft bekommt. Ihr hat man die gesellschaftliche Form zu geben. Das ist die Wertform, in deren Rahmen man nun Ökonomie betreibt.
Der ökonomische Gegensatz, also der Kommunismus der Ökonomie, ist, dass man die gesamte Arbeit einer Gesellschaft besitzt (dem Verhältnis nach, das kommunistische ist demnach das vollendete, auf die Spitze – die letzte, äußerste Höhe -, eben auf das Ganze getriebene private Verhältnis, ist die Aneignung dem Werte nach als Ganzer Wert – durch Alle; das Ende des besonderen Rechts ist das Ende dieses Rechts, des als besonders zu formulierendes Rechts, daher Ende des Wertes als Verhältnisses und Beginn eines – gegenständlich anders – bestimmten besonderen Rechts). Man kann unmittelbar zugreifen auf die Arbeit der Anderen (Teile, Glieder der gesellschaftlichen Produktion); der Rahmen der eigenen Arbeit ist damit gesprengt, ist nicht mehr über die eigene Arbeit vermittelt gesprengt, daher unmittelbares Recht. Aber: In einer Gesellschaft haben alle dieses Recht. Der wirkliche Zugriff, das, was man real-gegenständlich aneignet, erfährt eine eigene Bestimmung; sie kann als besondere nur noch eine konkrete, naturale sein, wenn der Wert bereits ein ganzer – dem Recht auf Aneignung nach – geworden ist! Ergo ist nach der Form zu suchen (zu fragen – in der Lehre), worin der Einzelne, Besondere (sagen wir Betrieb) im Sozialismus dieses unmittelbare Recht auf alles an Arbeit wahrnimmt zugleich mit allen anderen Besonderen (Betrieben) an Arbeit. (Fortsetzung des Verhältnisses von allgemein und besonders in einem Ganzen Verhältnis, also keinem relevanten mehr für das Individuum). Es ist klar, dass dies einen Wechsel im Gegenstand der Aneignung zur Folge hat, der einerseits frei ist von den Fesseln der Privatökonomie – die „eigene Arbeit“ ist zugleich eine Fessel -, andererseits aber auch eine ökonomische Disziplin zum Ausdruck bringt, worin das Recht der anderen nicht geschmälert, sondern auch gesetzt ist. Und dies kann nur das Bedürfnis sein, wie es sich aus der konkreten (Seite der) Arbeit vermittelt. Das ökonomische Bedürfnis ist konkret, es ist bedingt durch die eigene Produktion Bedarf an Gütern von anderen, bezogen auf das eigene Besondere – den eigenen Gebrauchswert (den man produziert).
Es versteht sich am Rande, dass die Kritik an den waren- und wertökonomischen Reformen, die Kritik an einem Sozialismus der „Selbstregulation“, in einem längeren Beitrag, bis ins Einzelne gehend, einmal gründlicher nachgewiesen werden müßte; das NÖSPL – falsch? Ja, und nun warum. Die Frage, die Andrea Schön und Gerald Hoffmann an Kurt Gossweiler richten, der sich zwar kritisch zum System der jugoslawischen Selbstverwaltung verhält, aber diese kritische Sicht nicht auf die DDR- und sowjetischen Reformen der 60er Jahre ausdehnt[5], halte ich daher für berechtigt, und ich schließe mich ihr an.
Nicht der Wert und „das Eigentum“, sondern der Wert als Eigentum oder als Eigentum durchsetzendes Verhältnis. Eigentum soll sich durchsetzen, und Wert (Ware und Wert) sind nur die dieses Eigentum durchsetzende Formen. Aber dass man einerseits vom Wert und dann von den Eigentumsverhältnissen spricht, ist undialektisch; es kann nämlich bedeuten, dem Wert auch einen selbstständigen Charakter zuzuschreiben, weil man z.B. von einem Wechsel in den Eigentumsverhältnissen auszugehen gezwungen ist, eigentlich von einem Ende der Warenproduktion sprechen müßte (weil vom Ende ihrer Voraussetzung), aber nun meint, d.h. auch von den neuen Eigentumsverhältnissen meint, sie resp. unter ihnen würde sich der Wert noch eine Weile geschichtlich fortsetzen. Dann tritt das quantitative Moment der Wertbestimmung hervor, man bevorzugt Definitionen für den Wert, in denen der quantitative Aspekt des Wertes besonders gewürdigt ist und eigentlich schon für die Wesensbestimmung der Ware genommen wird. Man meint also, mit der bürgerlichen Form würde gesellschaftlich verloren gehen, was aber für die Arbeit notwendig nachgewiesen werden müßte: Der Arbeitsaufwand, im weitesten Sinne die Rationalität der Arbeit. Dann mißversteht man die qualitative Seite der Warenproduktion, um die quantitative der Arbeit zu verstehen; weil die Warenproduktion eine Form ist, die Arbeit widerzuspiegeln, ist sie auch Arbeit. Man lehnt dann zwar die Wertform ab, nur um die Wertbestimmtheit zu verteidigen, d.h. das qualitative Element ab, um das quantitative zu bewahren; man verteidigt verbissen etwas, was Form ist. statt sich zu befreien zu der anderen gesellschaftlichen Form. Denn in der Tat ist die Wertbestimmtheit der Arbeit in zwei gesellschaftlichen Formen zu fassen/erfassen. Die zweite verlangt die Lösung/Trennung von der ersten, die Wertbestimmtheit die Trennung von der Wertform der Wertbestimmtheit; sie ist nicht deren Modifikation, Variation. Der Kommunismus also nicht Wertbestimmtheit, während Wertform das Privateigentum ist und wo zwischen Wertform und Wertbestimmtheit so etwas wie ein Verwandtschaftsverhältnis zweiten oder dritten Grades besteht. Zeit ist nicht Wert; Zeit ist konkrete Arbeit, ist unmittelbar gesellschaftliche Arbeit, Wert abstrakte, vermittelt gesellschaftliche Arbeit, d.h. er bedarf einer gesellschaftlichen Form, die er nicht unmittelbar besitzt. (Bei unmittelbarem Verhältnis aber entfällt die Vermittlung, sie ist die Form, die sie ist).
Man wird an diesem Punkt von uns Aufklärung verlangen, und wir werden nur antworten können, dass die völlige Sicht auf die Warenproduktion dahin führt, im Wert ein Eigentum, Privateigentum durchsetzendes Verhältnis zu sehen. Der Wert ist ein Eigentumsverhältnis; das ist er qualitativ, vom Produktions- oder gesellschaftlichen Verhältnis her. Diese Definition des Wertes geht allen anderen Definitionen des Wertes voran, die qualitative Definition ist also so zu treffen, dass kein Gesichtspunkt, der sich aus der quantitativen Bestimmung des Wertes ergibt, also Bestimmung der Wertgröße nach (da spielen ja Momente aus der konkreten Arbeit herein), in die qualitative Bestimmung des Wertes hineinpfuscht. D.h. es muß in der Tat nur um die Verhältnis-Bestimmung gehen: Warum gerade der Wert als Verhältnis, ist die erste und wichtigste Frage – und das führt zu jener geschichtlich-gesellschaftlich isoliert produzierenden Urgemeinde zurück (Marx), die Überschüsse produziert, aber noch nicht in einem höheren gesellschaftlichen Sinne funktioniert und sich daher zu ihren Produkten als privaten verhält, wenn sie sie auch austauschen muß/will; und ist dies einmal bestimmt, kann es erst darum gehen, was der Wert substantiell ist, wie er rein sachlich, als Arbeit selbst, verstanden sein will. Aber dass man nun gezwungen ist, auf die Arbeit zurückzugreifen, dass man den Wert mit und als Arbeit erklärt, beweist nicht, dass man, indem man von der Arbeit ausgeht, auf den Wert als Verhältnis auch stößt oder dieses mit jener erklärt. Die qualitative Erklärung des Wertes ist eine von der quantitativen Erklärung unabhängige Erklärung, sie hat andere Ursachen und Gründe als die quantitative Bestimmung, ohne die sie nicht auskommt, um erklärt resp. verstanden zu sein. Man kann aber wiederum das qualitative Verhältnis, seine Ursachen und Gründe, nicht für sich erklären, denn als Verhältnis und der direkt auf seine Entstehung zuführenden Gründe bedarf es dennoch der Arbeit, um zu sein; der Wert ist ein Verhältnis, aber er ist ein Verhältnis zur Arbeit. Aber die Arbeit existiert auch unabhängig von diesem, und erklärt die Notwendigkeit, ein Verhältnis zur Arbeit, gerade zu diesem Element sachlichen Seins des Wertes einzugehen, selbst nicht.
Kommunisten, aufgepasst:
Die Debatte, die wir zur Zeit im „offen-siv“ über die Warenproduktion, das Wertgesetz in nachkapitalistischen Gesellschaftsordnungen, also unter Bedingungen des Volkseigentums führen, ist die einzige in sozialistischen Periodika im Maßstab der Welt. Nirgendwo sonst noch gibt es eine adäquate Auseinandersetzung über den jedoch wesentlichen Dissens-Punkt in der sozialistischen (oder auch kommunistischen) ökonomischen Wissenschaft resp. ökonomisch bedingten politischen Wissenschaft des Kommunismus. Dass wir mitten in der Phase des Wegtauchens des realen Sozialismus in der aktuellen Geschichte eine Debatte um seinen Bestand führen, uns ernsthaft mit seinem maßgebenden inneren Problem auseinandersetzen – der Trennung der kommunistischen von der kapitalistischen Produktionsweise -, ist ein Novum, und damit ein besonderer historischer Wert.
Manche mögen meinen, die Diskussion sei beendet worden – durch den realen Sozialismus selbst, es bringe daher nichts, sie wieder aufleben zu lassen. Denn: Ist nicht die Marktwirtschaft/Warenproduktion an die Stelle der Planwirtschaft geschichtlich zurückgekehrt? Aber: Wechsel in den Gesellschaftssystemen bzw. Produktionsweisen sind nie Beweis dafür, dass Systeme nicht dennoch Systeme sind oder nicht machbar sind, beruht Existenz doch auch auf Macht, Kraft, Behauptung unter äußeren Bedingungen (statt nur inneren). Die Frage, warum man von einem Scheitern eines Systems spricht, muß auch beantwortet werden unter der Bedingung, dass man die nichtsystemischen Gründe für ein Scheitern (oder den vielleicht voreilig scheinenden Rückzug einer Gesellschaft aus der Geschichte) in die Antwort mit einbezieht. Weil nichtsystemische Gründe nichts mit den Produktionsverhältnissen einer Gesellschaft zu tun haben müssen, beweisen sie auch nichts für die Produktionsverhältnisse dieser Gesellschaft.[6]
Dass wir in „offen-siv“ die Debatte um die Warenproduktion wieder aufleben lassen, reicht allein jedoch nicht aus. Wie wir sie führen, wird mehr und mehr zum Maß. Denn es kommt nicht auf die Debatte an sich an, sondern ihre Erweiterung bis zu dem Punkt, da wieder die Gegensätzlichkeit von Sozialismus (oder auch Kommunismus; Phasen sind hier egal, müssen aber in der Theorie natürlich bedacht sein) und Warenproduktion herausgearbeitet wird. In allen bisherigen, inneren, Debatten noch im Sozialismus fehlt er. Dass es hier auch um einen handfesten Gegensatz geht, war aus den Debatten, die innerhalb der Sowjetunion, der DDR usw. geführt wurden, zwar zunächst, fußend auf Marx, noch zu ersehen, aber mit jedem weiteren Verlauf des Aufbaus der neuen Gesellschaft immer weniger, und zuguterletzt ganz aus den Debatten verschwunden; d.h. die sozialistische Wissenschaft ist ganz auf die Form der Verträglichkeit, Übereinstimmung, manchmal sogar Identität von Sozialismus oder Planwirtschaft und Warenproduktion übergewechselt.[7]
Und mit dieser „neuen Sicht“, wie sie in letzten Reformen, zuallerletzt aber in die Politik des letzten Generalsekretärs der KPdSU, Michail Gorbatschow, ihren höchsten Ausdruck nur gefunden hat – aber nicht ersten -, wird nun in den Beiträgen in „Offen-siv“ gebrochen; wir beenden eine aufgekommene Tradition. Wir führen diese Diskussion nicht abstrakt für die sozialistisch-kommunistische gesellschaftliche Evolution, sondern ab dem Beginn der geplanten Wirtschaft. (Wir werfen diese Frage also nicht für die 20er Jahre in der Sowjetunion auf, sondern ab den 30er Jahren). Es wird – in unserer Debatte – teils die alte (Marxsche) Sicht, worin auch der Gedanke des Gegensatzes – des Kommunismus zur Warenproduktion – bedient wird, wiederhergestellt, teils aber die Frage des Gegensatzes viel stärker als bisher, und einbezogen unter Bedingung der Praxis des realen Sozialismus, nachgewiesen: D.h. den hauptsächlichen Nachweis des Gegensatzes führen wir gar nicht mehr mit Marx und einigen Zitaten von Lenin und anderer sozialistischer Persönlichkeiten, sondern mit der Praxis der Planwirtschaft selbst.[8] (Apropos: Den Nachweis des Gegensatzes mit Marx zu führen, ist auch eine Erscheinung der Absicht, gerade die Gegenwart des realen Sozialismus aus der Analyse auszuschalten und vom Gegensatz wie einer fernen Zukunft zu sprechen, ist also auch ein falsches Bekenntnis zum Gegensatz).
Die Theorie der Warenproduktion im Sozialismus (1. Phase des Kommunismus) ist unbegründet. Sie ist nicht die Theorie der sozialistischen Realität, wie sie mit dem Beginn der geplanten Wirtschaft entstanden ist, so dass wir sowohl für die Kreierung einer Warenproduktion im Sozialismus nur die Theorie zur Verfügung haben, als auch für die Praxis des realen Sozialismus über keine reale Theorie verfügen – wenn sie eben nicht diesen Gegensatz von Warenökonomie und Sozialismus bedient. Das ist der Zustand – den wir beenden wollen.
Sind oder werden wir damit „radikalistisch“?
Sofern wir uns im Rahmen der Praxis des realen Sozialismus bewegen, nicht. Wir sind aber nicht dadurch nichradikalistisch, dass wir nicht durch ein Bekenntnis zu den ökonomischen Reformen der 60er Jahre den Nachweis zu erbringen versuchen, nichtradikal zu sein. Das nennten wir rechte Erpressung. Unter nichtradikal (aber revolutionär) verstehen wir das Nichtbekenntnis zur Reform und das Bekenntnis zur Form des realen Sozialismus, worin dieser bereits Gegensatz zu einer realen Warenökonomie ist.
Also, wie gesagt, in „offen-siv“ bemühen wir uns, nunmehr Licht in dieses theoretische Dunkel zu bringen; dazu dienen bisher diverse Beiträge, die einen mehr, die anderen weniger, die einen allgemeiner, die anderen spezifischer. Wir führen eine Diskussion zu Ende, die die sozialistische Wissenschaft begonnen, aber nicht vollendet hat; wir schaffen den theoretischen Vorlauf für künftige sozialistische Praxen. Um es noch einmal zu sagen: Es geht um den selbstständigen Anspruch der Theorie für den Kommunismus gegenüber den realen Parteien des Kommunismus – so ist der Zustand, auf den wir zugelaufen sind; nicht Parteien sind es (schon), die uns lehren, sondern die Wissenschaft muß wieder die Partei lehren, das setzt voraus, dass die Theorie selbstbewußt ihr Haupt erhebt. Die Theorie hat jetzt, nach 70 Jahren kommunistischer Realität (in der Sowjetunion) ein eigenes Recht, und steht in einer besonderen Pflicht. Weder Recht noch Pflicht werden von den realen sozialistischen, kommunistischen Parteien abgedeckt. Daher darf sich die Theorie nicht dieser Praxis oder diesen Parteien unterordnen, obwohl sie sich letztlich aus ihrem Eigenanspruch wieder lösen und in die praktische Politik wieder einordnen wird; sie formuliert sich ja nur für diese. (Dass Theorie sich nur für die Theorie formuliert, also nicht praktisch werden will, ist bürgerlich).
Es kommt zur ganzen Breite der Palette der bisherigen Diskussion – vielleicht, also auch zu Verteidigungen der Übereinstimmung von Sozialismus und Warenproduktion. Aber wegen des a priori postulierten weitergehenden Ansatzes in der bisherigen Diskussion bis hin zur Negation der Warenökonomie – was ja früher streng verpönt war und eben als radikalistisch[9] galt -, dürfte die bekennende Lehre, das Lager der Reform, bereits nicht mehr bis zur Form der „glühenden Verteidigung der Einheit von Plan und Ware“ gehen; der Negationsgedanke, weil er eine andere Sicht auf die Praxis des realen Sozialismus vermittelt, wird überwiegen und die Schranken der bekennenden Lehre aufzeigen. D.h. wir werden aller Wahrscheinlichkeit nach gezwungen sein, die Lehre von der realen Warenproduktion zu erweitern – um den realen Kommunismus um so besser verständlich zu machen wie zu verteidigen. Die neuen Erkenntnisse müssen also nach zwei Seiten gehen: Sowohl weniger von der Warenproduktion zu sagen (sondern mehr von deren Gegensatz), als auch mehr von ihr sagen (und uns um so weniger zu ihr zu bekennen).
Und das ist der Durchbruch durch einen bisherigen, unbefriedigenden Stand der sozialistisch-kommunistischen Theorie. Denn der ganze jetzige Sozialismus ist auf den Reformgedanken fokussiert und beansprucht für sich, die geschichtliche Zukunft des Sozialismus vom Weg und vom Ziel her zu besetzen. Dem wird also widersprochen, und deshalb ist eine der Zukunft gewidmete Debatte, die von einer anderen Sicht auf die Vergangenheit ausgeht, eine Debatte um die Gegenwart, um die Besetzung der theoretischen Gegenwart des Marxismus und der Arbeiterbewegung. Die Debatte im „offen-siv“ ist nicht mehr und nicht weniger als ein Anspruch auf die Deutungshoheit der sozialistischen Geschichte, d.h. um deren revolutionäre Kontinuität. Er ist hier wissenschaftlich zu erbringen, nicht politisch, nicht ideologisch.
[3] Bei jeder Wertform der Zeitermittlung gehört der Aufwand, der für die Kollegin in der Kantine (Köchin) betrieben werden muß, natürlich zu den Kosten des Betriebes und geht in die Ermittlung des Warenwertes resp. der Rentabilität des Kapitals ein, in der direkten Zeitermittlung natürlich nicht, da gilt nur die direkt produktive Zeit als „Wert“. Außerdem: Die „Wertbestimmung“ als allgemeines Prinzip (aller Gesellschaftsformationen) muß im Kommunismus, einer individuellen Aneignung nach dem Bedarf, natürlich ohne den Lohn auskommen; Bedarfsaneignung ist ja freies Element gegen den individuellen Arbeitsaufwand. Man käme, bezöge man den Lohn in Arbeitskosten/-zeitkonten ein, ganz im Gegensatz zum kommunistischen Verhältnis bei hoher Bedarfsaneignung zu hohem/überhöhten Werten, bei geringer zu sinkenden – während der reale Aufwand in beiden Fällen einen anderen, dritten Wert ergäbe, den durch die Arbeit, und daher stets gleichen.
[4] Man sollte auch nicht all zu lange dem Prinzip genossenschaftlicher Lohnzahlung hofieren, sondern die Bestimmung wie Zahlung des Lohnes auf die allgemeinere Basis des Volkseigentums stellen, das ist übrigens Übergang der Genossenschaft (des kleinen Volkseigentums) zum allgemeinen Volkseigentum (zum großen).
[5] „Bei Kurt Gossweiler fällt auf, dass er zwar den Marxismus-Leninismus in der politischen Ökonomie, insbesondere die Stalinsche Etappe verteidigt, aber nicht die daraus folgende Frage beantwortet, wie sich dazu die späteren Reformen verhalten, z.B. das ‚Neue Ökonomische System der Planung und Leitung (NÖSPL)‘“; in „offen-siv“ 2/2005, Seite 79.
[6] Woran wird denn der Bestand einer Gesellschaft gemessen? Der Kapitalismus zum Beispiel noch an Holland? Auch mit England als Beweis für den Bestand des Kapitalismus hätte man seine Schwierigkeiten. Für bestimmte Länder gibt es, weil gebunden an bestimmte Zeitfenster, historische (begrenzte) Fähigkeit, etwas, was allgemein ist oder sein soll, zu beweisen, also zum Beispiel Gesellschaftsformationen durch Nationen zu beweisen. Letztlich wird natürlich das Allgemeine durch das Besondere bewiesen, aber es ist nicht das Besondere. Das Allgemeine sucht sich seine Partner auch aus.
[7] Und woran Gorbatschow (oder der „Gorbatschowismus“) keine Verantwortung trägt. Das war schon der normale Kommunismus (in seinem historischen Verlauf).
[8] Insofern wir den Gegensatz von Warenproduktion und Kommunismus wieder herauskehren, stellt sich uns auch die Frage unseres Verhältnisses zu dem Stand der sozialistischen ökonomischen Wissenschaft, wie er unter Stalin erreicht worden war bzw. durch Stalin beeinflußt worden ist.
[9] Übrigens nicht trotzkistisch, denn Trotzkismus ist Warenproduktion (als Sozialismus oder Kommunismus); Selbstverwaltung ist immer Warenproduktion oder muß sie sein.