Die Klassenlinien gehen quer durch alle Lande, manchmal quer durch unsere Bewegungen

Edith Dökmeci

Die Klassenlinien gehen quer durch alle Lande, manchmal quer durch unsere Bewegungen – Reflexionen zur Veranstaltung “Für eine antikapitalistische Linke”, 30.10.06

Dem Bürgerschaftsabgeordneten der PDS Gert Julius ist zu danken für die o.g. Initiative, waren doch hochrangige Vertreter antikapitalistischer Gruppierungen aus unserem Land an einen “Tisch” gebeten und sollten doch Impulse gesetzt werden für die Stärkung einer antikapitalistischen Linken. Es diskutierten: Ulla Jelpke (PDS/MdB), Heinz Stehr (DKP), Götz Dieckmann (Rotfuchs), D.Koschmieder (Junge Welt) ,(?) Fritz (KPD) unter reger Beteiligung der Teilnehmer/innen der gut besuchten Veranstaltung.

Als ein nicht parteigebundener Mensch, der seit weit über dreißig Jahren auch international friedensaktiv ist, möchte ich dennoch einige kritische Anmerkungen zu der Veranstaltung machen, die ich trotz des guten Willens aller Beteiligten mit einigem Missbehagen verließ:

Vorwärts weisende Impulse werden von dieser Veranstaltung vermutlich nicht ausgehen und zwar trotz oder vielleicht gerade wegen des allseits beschworenen Bekenntnisses zur einheitlichen Handlungsbereitschaft. Dabei wären solche Impulse so dringend nötig, weil wie, Götz Dieckmann völlig zu recht warnend darstellte, sozialpolitisch enttäuschte, verarmte Menschen nach Ultrarechts abwandern, wo in demagogischer Manier die Neonazis bürgernah soziale Hilfsdienste anbieten. Diese zunehmend Verzweifelten, prekarisierten Massen und die Millionen Menschen, die intuitiv erfassen, dass der Kapitalismus allmählich seine asoziale Fratze wieder zeigt, dass er zum Krieg und in die schiere Barbarei treibt, suchen nämlich nach einer greifbaren, vorstellbaren, annehmbaren Alternative. Diese aber wird ihnen solange vorenthalten, solange die antikapitalistischen Kräfte an dem vom Gegner in die Welt gesetzten und propagandistisch überaus geschickt verbreiteten Bild vom gescheiterten und vor allem inhumanen Sozialismus, der angeblich nur die Barbarei mit umgekehrten Vorzeichen war, festhalten. Mit anderen Worten, solange Sozialisten, Kommunisten und alle gefühlsmäßig antikapitalistischen Kräfte (zu letzteren zähle ich mich) es nicht vermögen, sich mit aufrechtem Gang zu ihrer eigenen Geschichte bekennen, solange solche Historiker wie ein Kurt Gossweiler mit seinen Analysen und Betrachtungen über das Scheitern des Sozialismus nicht wenigsten gleichberechtigt zu Wort kommen können in der Debatte um eine neue antikapitalistische Linke, solange gibt es keinen entscheidenden Schritt voran, meine ich.

Sozialpsychologisch gesprochen scheint mir die Art von Selbstkritik an der die Linke krankt die Identifikation mit dem Aggressor zu beinhalten. Solange es keinen selbstbewussten Umgang mit der eigenen Geschichte der sozialen Bewegung gibt, solange nicht darauf hingewiesen werden kann in Gesprächen mit den enttäuschten, verzweifelten und im Grunde nach einem Ausweg suchenden Zeitgenossen, was menschheitsgeschichtlich schon einmal erreicht war und wenn wir nicht kenntnisreich und souverän aufzuzeigen vermögen, woran es zerbrach, solange kommen wir nicht aus der Defensive.

Wie gesagt, die Menschen um uns herum sind völlig hoffnungslos und wenden sich natürlich verzweifelt auch von der in sich zerstrittenen Linken ab. Aber der Streit ist nicht das zentrale Problem, sondern der Inhalt des Streits. Wer wie das hoffnungszarte Pflänzchen “attac” mit seinen völlig undemokratischen Strukturen oder die PDS immer nur nach der Akzeptanz durch die Mächtigen sucht oder wessen Sozialismusbekenntnis immer blasser wird vor Scham darüber, was der Sozialismus alles angerichtet hat in der Welt, kann genauso wenig eine menschheitsrettende Perspektive aufzeigen, wie derjenige, der die Einheit um ihrer selbst willen beschwört.

Meines Erachtens hätte es auch eines Vertreters jener Revisionismusforschung auf dem Podium bedurft, die sich, dessen sehr bewusst, um kleine Zeitschriften wie „offen-siv“ oder die „Zeitschrift für streitbaren Materialismus“ scharen. Es hätte Positionen, wie sie der Historiker und Faschismusforscher Dr. habil. Kurt Gossweiler etwa in seiner „Taubenfußchronik“ sehr detailliert nachzeichnet, dargestellt werden müssen. Dann wäre es auch zu einem echten Streitgespräch gekommen, das Erhellendes bzw. den Fortgang der Bewegung Blockierendes zu Tage gefördert hätte. So wurden Unterschiede in den Positionen der Podiumsteilnehmer verwischt, wurde Dissens, den es selbst innerhalb von RotFuchs um Grundpositionen gegeben hat, unter den Teppich gekehrt unter der falschen Voraussetzung, dass Einigkeit alles sei.

Meines Erachtens gilt es zwar, einig im tagespolitischen Kampf anzutreten, aber eine ehrliche Debatte stärkt die Kampfkraft mehr als eine Scheinharmonie, bei der die wirklichen Konfliktlinien verschwinden.

Die Lehren aus dem Scheitern des Sozialismus einerseits, der ja nicht in einer offenen Schlacht besiegt wurde, sondern von innen heraus durch Subversionsstrategien und schließlich durch Kapitulation vor der scheinbaren Überlegenheit des Kapitalismus und andererseits das Überleben des Sozialismus auf einer kleinen Insel wie Kuba, ganz nah am „Bauch der Bestie“, verdeutlichen doch, dass die ideologische Klarheit, die Klassen- und Imperialismusanalyse und daraus resultierende Kampfbereitschaft und Überzeugungskraft auf lange Sicht zum Sieg führen können (nicht müssen, wenn wir freiwillig kapitulieren).

An dem Beispiel einer konkreten „Kampflinie“, die uns Friedensbewegte diesen Sommer über quälte, lässt sich dies besonders verdeutlichen:

Die Friedensbewegung konnte nicht zu einer klaren, eindeutigen Positionierung gegenüber dem Aggressionskrieg Israels gegen den Libanon finden, so gab es etwa in Berlin unfruchtbare, demobilisierende Auseinandersetzungen um die Aufrufe für die Bündnisdemos mit den arabischen Vereinen. Die PDS tat sich furchtbar schwer mit einer klaren solidarischen Haltung (ähnliches gilt für den nach wie vor drohenden Krieg gegen den Iran). Kernpunkt der Auseinandersetzung war die Äquidistanz, die zu Tätern und Opfern gesucht wurde.

Der im Visier imperialistischer Kriegsstrategien stehende Staat wird jeweils diffamierender Grundsatzkritik unterzogen, die man heutzutage bei Verwendung gleicher Maßstäbe auch gegenüber fast allen  anderen Staaten üben müsste, vor allem gegenüber jenen Ländern, die die „Intervention“ mit Hilfe heuchlerischer Vorwände, auf die die Opposition hereinfällt, planen.

Eine klare Analyse der imperialistischen Geostrategie, eine auf einer klassenmäßigen Herangehensweise fußende Betrachtung würde niemals in eine solche Falle führen, die schließlich bei den antideutschen Positionen landet. Den Staat Israel als sakrosankt aus der Kritik herauszunehmen ist ja im Grunde nichts als die Fortschreibung des Antisemitismus mit anderen Vorzeichen. Nicht die Amis, die Deutschen oder die Israelis sind „böse“, genau so wenig wie die Libanesen oder die Hisbollah oder die Iraner per se die „Guten“ sind, die Klassenlinien gehen doch quer durch alle Lande, manchmal quer durch unsere Bewegungen.

Auch in der DKP-Zeitung UZ fanden sich, gut verpackt in die Leserbriefspalten – unter dem Vorwand der Meinungsfreiheit – pauschale Diffamierungen der Hisbollah.

Das mag von meiner These wegführen, dass nur die Aufarbeitung des neuen Revisionismus in der Arbeiter- und sozialistischen Weltbewegung aus der Sackgasse der Marginalisierung derselben führen wird. Meines Erachtens aber zeigt sich hier genau das grundlegende Problem, das sich in allen Tageskämpfen wieder findet.

Hoffnung kommt doch in diesen finsteren Zeiten genau von jenen Kräften, die der Gefahr des Revisionismus zumindest im Augenblick nicht zu erliegen scheinen: Kuba (Venezuela und die weiter gehende Ausstrahlung des kubanischen Modells auf Lateinamerika und die Welt, siehe etwa der „Havannagipfel der blockfreien“). Auch den verzweifelt tapferen Versuch des kleinen asiatischen Davids Nordkorea, sich gegen Goliath zu wehren, möchte ich hier anführen und die Parteien Griechenlands und der Türkei, die Schimmer einer Klarheit in die Welt strahlen.

Die Zeitung „ND“ kann man ja aus Gründen der Inkonsequenz und des Opportunismus kaum noch lesen, ebenso wenig wie den „Freitag“, der doch aus ganz anderen Organen hervorging.

Eine in diesem Umfeld geradezu glänzende Ausnahme macht hier die „junge Welt“, die wirklich eine große Hilfe für eine neue Bewegung sein kann, aber sie steht nicht nur ziemlich allein, sondern ist auch empfänglich für opportunistische oder revisionistische Thesen, siehe etwa Berichterstattung zum 50. Jubiläum des XX. Parteitages der KPdSU, die teilweise hinter die der bürgerlichen Presse zurückfiel oder jüngst zum Jahrestag der ungarischen konterrevolutionären Umtriebe von 1956. Die Rosa-Luxemburg-Konferenzen der „jungen Welt“ spielen eine wichtige mobilisierende Rolle. Initiativen wie die Brechtkonferenz oder die medienkritische Konferenz sind zwar im Grundsatz eine gute Sache, aber zum Inhalt und Ablauf ließe sich Vieles im obigen Sinne Kritikwürdiges anführen. Das Beste an der Brechtkonferenz war fast noch der faszinierende Vortrag des von Brecht selbst bearbeiteten Manifests, des Inhalts wegen.

Abschließend möchte ich hiermit anregen, eine Diskussionsveranstaltung zu initiieren, an der Menschen aus dem Umfeld von Dr. Gossweiler und den genannten Publikationen gleichberechtigt teilnehmen können. Vor allem scheint es mir auch dringend geboten, jüngere Menschen einzubeziehen, vielleicht vom Jugendverband Solid oder der SdAJ oder aus dem Marxismus-Studienkreis des Blattes „offen-siv“.

Trotz des hier gesagten oder gerade deswegen ist dem Initiator und Moderator der Schöneberger Gespräche ganz besonders zu danken, weil er sich doch bemüht, den Diskurs öffentlich voranzutreiben, vielleicht auch einmal mit Vertretern der hier genannten Strömungen.

Edith Dökmeci,
Berlin

Die Autorin ist Studienrätin, GEW-Mitglied und Mitglied der mitten im ersten Weltkrieg konstituierten NGO WILPF/IFFF