Hermann Jacobs
Programm zweier Willen
(Diesen Artikel von Hermann Jacobs haben wir redaktionell leicht überarbeitet; d. Red.)
Zur „Diskussionsgrundlage des Parteiprogramms der DKP“, den Sozialismus-Teil betreffend
Was die DKP hier versucht, ist noch ein Spagat. Sie verspricht Kontinuität und will Erneuerung – wie das ja auch Willi Gerns und Nina Hager im Titel ihres Artikels in den „Marxistischen Blättern“ 3/2005 zum Ausdruck bringen. Aber ich möchte – in einer ersten Meinungsäußerung – auf einen Irrtum in der gewählten Begrifflichkeit aufmerksam machen: Kontinuität, das ist nicht Erneuerung, und Erneuerung, das ist nicht Kontinuität. Was man also im jeweiligen Fall will, schließt das andere aus. Dagegen kann man entwickeln, weiterführen, aber das ist nicht Erneuerung; Erneuerung ist immer Kritik des Vorausgesetzten, also ist dieses auch als falsch unterstellt.
Im Klartext: Wer den realen Sozialismus als die Gesellschaftsordnung anerkennt, die der Marxismus resp. die Arbeiterbewegung immer wollten, kann sie nicht „erneuern“ wollen. Und wer die Erneuerung, d.h. die Reform des Sozialismus will, kann den realen Sozialismus noch nicht als jene Gesellschaftsordnung anerkennen, die man wollte. Der Spagat, beides zu wollen, ist also nicht möglich.
Konkret bedeutet das, dass man die Problemstellung nicht klar hervorkehrt, sondern sie versteckt. Die „Diskussionsgrundlage“ der DKP ist daher durch das Verstecken der Problemlage, wie sie die Arbeiterbewegung seit gut 15 Jahren durchmacht, gekennzeichnet. Es wird bei der Frage der Kontinuität nicht offen davon gesprochen, dass der reale Sozialismus mit der Gesellschaftsauffassung des Marxismus/Kommunismus identisch ist, sondern der „höchste Satz“ in dieser Richtung lautet, dass „die DDR die sozialistische Alternative zum deutschen Imperialismus, die größte Errungenschaft in der Geschichte der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung (war)“.
Das ist zwar ein guter Satz, das ist ein wichtiger Satz, er entspricht vor allem einer Forderung der ostdeutschen Mitglieder und Sympathisanten der DKP (um den auch gekämpft wurde und dem die DKP nun gerecht wird), aber er ist nicht der höchste (und um den auch bei den ostdeutschen – oder überhaupt „alten“ – Mitgliedern gekämpft werden muß, sie dürfen sich nicht voreilig, zu schnell bedacht sehen). Der höchste Satz muß ein allgemeiner Satz, ein Satz von allgemeiner Gültigkeit und für die ganze Weltbewegung der Arbeiter an sich sein: Ist Euer Kampf gesellschaftsfähig, damit zukunftsfähig, ist das nun bewiesen? D.h. dient der reale Sozialismus als Beweis für die Richtigkeit aller vorsozialistischen, gegen den Kapitalismus gerichteten Kämpfe? Oder allgemeiner gesagt: gilt die Form nach der Revolution als Beweis der Form vor ihr, das wäre dann Kontinuität. Alles andere ist Infragestellung der Revolution ab der Macht.
Und nun in Bezug auf den anderen Punkt, die Erneuerung: Man muß, wenn man „erneuern“, also „Neues“ statt „Altem“ will, klar aussprechen, dass man eine Reform des realen Sozialismus will, dann ist man Erneuerung. Aber der Begriff der Reform, das Bekennen zu dieser Reform, wie sie in aller Munde (seit mehr als 15 Jahren) ist, ist inhaltlich in der Diskussionsgrundlage der DKP zwar stets spürbar, kommt explizit aber nicht vor. Man scheut ein offenes Bekenntnis zu ihr.
Dagegen gibt es allerhand (Einzel-) Kritik am realen Sozialismus, die allesamt, betrachtet man sie genauer, die Kritikpunkte der Reformer sind! Also ist der „Diskussionsentwurf“ ein Bekenntnis zur Reform – und damit kein Bekenntnis mehr zum realen Sozialismus als einer abgeschlossenen, auf richtigem Wege befindlichen Gesellschaftsformation, bloß – es wird nicht klar ausgesprochen, so dass es in der Diskussionsgrundlage – oder eben in der DKP an sich – an zwiefacher Klarheit mangelt: Entweder am Bekenntnis zum realen Sozialismus als Gesellschaftsformation, oder am Bekenntnis zur Erneuerung. Das Erste will man nicht mehr, das Zweite traut man sich noch nicht.
Es ist klar, dass damit der Diskussionsgrundlage für einen Entwurf zu einem Parteiprogramm der DKP die einheitliche Grundlage fehlt.
Ich will einzelne Punkte auflisten, in denen der Spagat der DKP, oder der dieser „Diskussionsgrundlage“, erscheint, und schicke im übrigen vorweg, dass er nichts als der weitergeführte Spagat der SED ist, dem diese in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten ihrer Existenz anheim fiel – und den die DKP, statt mit ihm zu brechen, nun für ihre Partei übernimmt. D.h. die DKP tritt auf ihre Weise das Erbe der SED an: von gebrochener Kontinuität in Bezug auf ihre gesellschaftliche Geschichte zu werden und zur „Erneuerung“ überzugehen.
So heißt es zum Beispiel gleich am Beginn des Sozialismusteils: „Ziel der Deutschen Kommunistischen Partei ist der Sozialismus“.
Das klingt „wie immer“. Ist es aber nicht. Man sollte richtig formulieren: „Ziel der Deutschen Kommunistischen Partei ist der Kommunismus“.
Dann wäre es sofort um die Dialektik von erster und zweiter Phase des Kommunismus gegangen. Der Kommunismus hat mit der ersten Phase begonnen, d.h. die erste Phase ist eine Dialektik von Allgemeinem, schon entwickelt Kommunistischem, und Besonderem, sich auf dem Wege zum Kommunismus schon Befindlichem. Aber sie ist nicht „der Sozialismus“ als ein eigenes, vom kommunistischen System verschiedenes System.
Da haben wir den Pferdefuß, der Sozialismus als etwas Selbstständiges, Formatives. Der Sozialismus muß aufgebaut sein, damit zum Kommunismus übergegangen werden kann, ergo kann der Sozialismus es noch nicht sein, ergo ist er ein anderes als kommunistisches System. Darum geht ja der ganze Kampf: Wird, was bisher nur eine Phase im Rahmen einer Ordnung war, in den Rang einer eigenen Gesellschaftsformation gehoben? Eigentlich müßte es in der „Grundlage“ heißen (wenn wir ihr formell folgten): „Der Übergang zur 2. Phase des Kommunismus wird über einen langen geschichtlichen Prozess der ersten Phase des Kommunismus vorbereitet“, d.h. diese erste Phase dauert länger als wir bisher vermuteten (und nun: Warum?). Warum wird in der Zielbestimmung der Terminus „1. Phase“ verlassen und der Terminus „Sozialismus“ gewählt?
Wir kommen nun zu den Kritikpunkten der DKP an den Gesellschaften des realen Sozialismus.
Aussage vom „rückschrittlichen Beginn Rußlands“: „Diese Rückständigkeit sowie die dauernde äußere Bedrohung durch die imperialistischen Mächte machten es unerlässlich, in kurzer Frist durch die Zentralisierung aller Kräfte eine moderne Industrie aus dem Boden zu stampfen und eine kulturelle Revolution in Angriff zu nehmen“.
Die Rückständigkeit macht den Zentralismus erforderlich?[6] Falsch, grundfalsch. Das hebt geradezu die marxistische Gesellschaftskritik auf. Der Zentralismus im Eigentlichen, der den Sozialismus/Kommunismus charakterisiert, erklärt sich aus der Aufhebung des Privateigentums in der Ökonomie (egal, auf welcher Entwicklungsstufe sich dieses am Beginn der Revolution befand). Man muß folglich jeden Zentralismus im Kommunismus immer mit der Aufhebung des kapitalistischen Eigentums begründen, die zentrale, allgemeine und völlige Aufhebung von Eigentum an der besonderen Gegenständlich – wie Lebendigkeit an Arbeit erklärt sich immer aus der Gemeinsamkeit der Aneignung, Zentralismus ist also konstituierendes Element des Kommunismus an sich, Kommunismus ist nicht anders zu erklären als durch Zentralismus (Einheit) im Verhalten zu den Grundbedingungen des Lebens, dieser Gedanke des Systems im Verhalten/Verhältnis ist nicht historisierbar, weil von allgemeinem Historismus, allgemeiner Gültigkeit.
Es gehört aber zum Grundkurs des Revisionismus des Sozialismus/Kommunismus, die Verifizierbarkeit/Austauschbarkeit des Systematischen Ansatzes im Kommunismus der Bedingungen des Aufbaus der neuen, der sozialistischen bzw. kommunistischen Gesellschaft ins Gespräch zu bringen, deshalb der Versuch der Revisionisten, ihn den Zentralismus zu historisieren, in ein Verhältnis zu einem historisierbaren Faktor des Kommunismus zu bringen, ihn möglichst an den Anfang zu verlagern, der auch bald historisch so schnell wie möglich zu überwinden möglich sei, und um so schneller auf den „eigentlichen ‚Zentralismus‘“, den ihrer Meinung nach anzustrebenden Dezentralismus, die Aufhebung des Anfangs, zu sprechen zu kommen. Dass sie damit die Grundlagen des Sozialismus/Kommunismus abschaffen würden, sagen sie nicht, meinen sie aber.
Das ist das Musterbeispiel für die indirekte, unausgesprochene Annäherung der Revolution an die Reform (der DKP an die PDS auch, oder einfach der Anpassung an das scheinbar richtig Gewordene, an den „sozialistischen“ Mainstream).
Marxistisch ist also, den Zentralismus (Plan, herrschendes Subjekt über das Objekt usw.) immer mit resp. aus der Aufhebung des Privateigentums zu begründen; nur dadurch wird das Subjekt des Kommunismus, der Arbeitende, frei, gesellschaftlich frei. Vom Ansatz her ist es falscher Marxismus, das Machtverhältnis des Kommunismus aus einem historischen Element, also nicht dem maßgebenden formatorischen Moment, dem Eigentumsverhältnis, zu begründen. Diese ganze Textpassage müßte also dem Rotstift anheim fallen.
„Dies wurde allerdings dann noch beibehalten (d.h. der Zentralismus, führende Rolle des ökonomisch-politischen Subjekts – sprich Partei wurde dann noch „beibehalten“!), als sich im Ergebnis der Industrialisierung und der Kulturrevolution die Bedingungen (sic!) verändert hatten. Partei und Staat verschmolzen mehr und mehr zu einem administrativ-bürokratischen Apparat. (Es klingt ja gerade so, als würde man sich den Sozialismus ohne jegliche Administration vorstellen, als sei er die Rückkehr zu der einfachsten Form der menschlichen Existenz.) An die Stelle wirklicher Vergesellschaftung trat mehr und mehr bloße Verstaatlichung. Die Folge war eine zunehmende Entfremdung vom sozialistischen (!) Eigentum”. (Zunehmende, am Anfang also gleich Null Entfremdung?).
Apropos: Das ist der Standardsatz, mit dem die DKP ihre eigene Entfremdung vom realen Sozialismus zum Ausdruck bringt. Und nun lese man alle vorherigen bekennenden Sätze noch einmal. Was ist denn das jetzt noch wert? „Entfremdung“ vom Sozialismus – als „höchste Errungenschaft“?
Partei und Eigentum (Ökonomie) sollen also nicht verschmelzen? Das Subjekt nicht mit dem Objekt? Der Arbeiter als gemeinsamer nicht mit der Arbeit als ganzer?
Bekenntnis zur Planwirtschaft?
„Durch die staatliche Durchdringung (was, bitte, ist das anderes als Planung der Wirtschaft, oder ‚durchdringt‘ der Staat zweimal, als Plan – und als was noch?) aller Bereiche der Gesellschaft (ja, warum nicht der Gesellschaft, was wäre denn besser als weniger als alle, als die ganze?) wurde die Eigeninitiative gehemmt“.
Wie war das noch? Das Proletariat erobert das Kapital, das Kapital ist die vergegenständlichte Arbeit der Gesellschaft; indem also das Proletariat, der Arbeiter, das Kapital erobert, erobert er die gegenständlichen Bedingungen seiner Existenz und setzt sich als Subjekt. Aber dann wird laut DKP-Programmentwurf alles anders: Er vernichtet, indem er erobert, nur die Bedingungen seiner Eigeninitiative, er beraubt sich – so die DKP – der Fähigkeit, eigeninitiativ zu sein. Und wodurch? Dadurch, dass er alle Bereiche der Gesellschaft durchdringt! Also dadurch, dass er alle Bedingungen besitzt, statt sich in dienerhafter Bescheidenheit mit einigen wenigen zufrieden zu geben. Was für ein Depp ist er doch, dass er den Einzelbesitz, den er nicht einmal besaß, gegen den Gesamtbesitz austauscht, den er nun besitzt, mit dem er nun in die Geschichte eintritt. Für den DKP-Entwurf ist nun schon alles falsch und deshalb ist alles zu Ende…Schon der Anfang des Kommunismus, das Setzen des Proletariats als herrschende Klasse, wird als falsch und als dem Kommunismus wesensfremd hingestellt. Wie … restaurativ!
Für wen ist hier Geschichte geschrieben? Für den Kapitalisten wäre das ja noch logisch, aber wieso auch für den Arbeiter, den An-sich-Nichtbesitzer? Der als Einzelbesitzer nicht besitzen kann, sondern nur mit allen anderen Einzelnen gemeinsam. Was ist denn das für eine gesellschaftliche Form? Das muß doch die DKP beantworten können. Denn das war doch beantwortet, die Geschichte der Antwort ist doch da.
Aber nennt sie doch mal, die Eigeninitiative, die Nichtentfremdung von der Bewegung. Was durften wir denn nicht sein?
Die Kommunisten haben seit der Konterrevolution das Problem, sich gedanklich das zu erhalten, was der Sozialismus/Kommunismus an Geschichte vorzuweisen hat; sie müssen ringen um diesen Bestand, dürfen ihn nicht aufgeben, sonst wird der Kommunismus nicht weiterhin sein, wird er nicht wiederkehren.
Dies als kleiner Denkanstoß für alle Kommunisten, die weiterhin denken wollen.
Die DKP glaubt nicht mehr, die Aussage treffen zu können, dass der reale Sozialismus die Umsetzung der gesellschaftsformatorischen Vorstellung des Kommunismus/Marxismus war, und sie glaubt aber auch nichtin die kapitalistische Gesellschaft (oder BRD) zurückkehren zu müssen. Sie nimmt also weder die Vergangenheit noch an, noch die Gegenwart schon auf. Sie will eine andere, neue Zukunft, eine solche Zukunft, die die Vergangenheit wiederholt, aber auf bessere Weise.
Auf den Leidensweg, den die Entwürfe eines neuen Parteiprogramms für die DKP durchlaufen, ist schon mehrfach hingewiesen worden. Wird es nun mit jener „Diskussionsgrundlage“ für ein neues Programm, der die DKP auf der ersten Tagung ihres neuen Parteivorstandes im März die Zustimmung gab, anders sein? Ich denke nicht.[7] Diese Diskussionsgrundlage ist einfach noch nicht die Notwendige. Dafür lässt sie zuviel von dem, was zu sagen ist, aus, sie legt einfach noch nicht „den Finger auf die Wunde“ (ich meine den Sozialismus-Teil betreffend). Sie wird den Notwendigkeiten bzw. Problemen, die die Entwicklung des realen Sozialismus aufgeworfen hat, nicht gerecht, spiegelt diese zum Teil gar nicht wider oder reflektiert sie falsch. Ohne offen auszusprechen um was es geht, reflektiert sie die maßgebliche Frage des realen Sozialismus gerade in dem Sinne, die bereits eine Parteinahme bedeutet und mit der man eben aus Gründen der Kontinuität nicht einverstanden sein kann. Das gilt insgesamt für die „östliche Meinung“, d.h. den Teil der Kommunisten, die die DDR real erlebt haben. Eine Programm-Diskussion wird es zwar geben, aber diese wird, wenn sie kommt, über diese veröffentlichte Grundlage hinaus gehen müssen, und dann wird sich zeigen, ob die DKP noch folgt und die Diskussion als die ihre anerkennt.
Das Problem DKP ist in Wahrheit das Problem DDR resp. SED. Ich will das Problem kurz nennen: Der reale Sozialismus war nicht der reale Sozialismus, sondern er war an einen Zustand der Spaltung geraten, es hatten sich zwei Auffassungen im resp. vom Sozialismus entwickelt, und das kann nicht aus einer heutigen Auffassung oder Diskussion heraus genommen sein, sondern muß ihren Gegenstand bilden; er ist auch offen auszusprechen und nicht indirekt und „verborgen“, wie in der Diskussionsgrundlage der DKP geschehen. Von einer Programmdiskussion in der DKP, die länger lebt als die SED, ist zu erwarten, dass sie der SED nicht mehr nur folgt, sondern dass sie sich über sie stellt, d.h. sie kritisch verarbeitet. Aber wie nun? Jedenfalls nicht so.
Eine grundsätzlich Bemerkung, wenn es um ein Programm gehen soll: Frage an eine kommunistische Partei ist immer die nach ihrer Gesellschaftsauffassung, dies gilt für alle kommunistischen Parteien auf dieser Welt; nur als besondere Gesellschaft ist der Kommunismus-Gedanke von Interesse. Eine Form der Kritik am Kapitalismus, selbst eine sehr radikale Kapitalismus-Kritik, muß man nicht schon deshalb kommunistisch, Kommunismus nennen. Kommunistisch ist sie nur, sofern sie die Kritik bis auf die Frage nach der eigenen Gesellschaft nur der Arbeit und der Arbeiter ausdehnt.[8] Und diese Frage muß man, an eine Partei gestellt, entweder für die Theorie der Partei stellen, oder, sofern vorhanden oder geschichtlich schon einmal gegeben, an die Praxis dieser Partei. Also: War der reale Sozialismus diese Gesellschaft des Kommunismus? Das muß in einer Diskussion (oder auch in einem Entwurf zu einem Programm resp. diesem Programm selber) beantwortet werden. Und diese Aussage fehlt. Es fehlt dieser Satz des eindeutigen, verlangbaren Bekenntnisses: Ja, der reale Kommunismus war resp. ist der Kommunismus in der Kommunismusvorstellung des Marxismus resp. der Arbeiterbewegung. Die historische Situation, in der die DKP (oder andere sozialistische/kommunistische Parteien) heute existieren – sie war eine des realen Kommunismus -, verlangt entweder dieses klare Ja, oder wenn nicht, eben ein ebenso klares Nein. Ein Ja ist eine Integration der jetzigen in jede frühere Bewegung, ein Nein – dieser Form! – eine Gegenüberstellung der jetzigen zur bisherigen Bewegung. Im bejahenden Urteil wahrt man die Kontinuität, denn das war ja die Meinung der herrschenden kommunistischen Parteien bis 1989/90, und dann braucht man die Bewegung nicht zu erneuern, im verneinenden Urteil muß man erneuern, von einer Erneuerung, von neuen Sozialismus-Vorstellungen sprechen, und kann dies entweder offen und direkt oder versteckt und indirekt aussprechen, indem man beispielsweise ein Bekenntnis der geringeren Güte zum Sozialismus ablegt oder eine Kritik der Art vorlegt, die nur noch eine gründliche Reform des bisherigen Sozialismus, also seine gesellschaftliche Kritik zulässt.
Man muß der DKP dankbar sein, dass sie überhaupt ein Programm aufgrund der sozialistischen Erfahrungen bestimmen will. Immerhin ist die DKP die einzige Partei in Deutschland, die noch ein Programm für notwendig hält, wo auch der Begriff Sozialismus – oder Kommunismus – drin vorkommt. Das zeichnet sie vor allen anderen („linken“) Parteien in Deutschland aus. Woanders liest man ja nur vom Bruch (und wenn, auch unter dem Pseudonym Stalinismus). Damit sind die Traditionen der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung auf die DKP übergegangen, zumindest dem Diskurs nach. Sie ist – wie unterschiedlich man im Einzelnen an dieses Programm herangeht – ein Hort für die Wahrung des Kommunismus geworden; sofern von Kontinuität (dieser Art) gesprochen werden kann, ist sie in der DKP aufgehoben. Damit ist aber auch eine gewisse Pflicht verbunden. Wenn wir von der DKP als einem Unterschied bis Gegensatz zur PDS z.B. sprechen, so ist das auf diesen programmatischen Unterschied (oder Unterschied im Verhältnis zur Programmatik oder im Verhältnis zum realen Sozialismus) zurückzuführen. Andere Parteien (die ebenfalls aus dieser Geschichte sich herleiten) tun dies ja nicht; sie brechen lieber. Das also tut die DKP nicht, sie tut es jedenfalls nicht direkt. Aber sie will erneuern, sie ist auch eine Partei der Erneuerung; eine Partei des Bekenntnisses und eine Partei der Erneuerung (gegenüber der Gesellschaftsauffassung (!) des Kommunismus). Geht das überhaupt? Ist das nicht ein Spagat, wird das nicht ein Spagat?
Ansonsten aber muß man nicht euphorisch sein. Wichtig ist, dass wir uns nicht in Bezug auf den realen Sozialismus wie zu einem Bekenntnis verhalten können, sondern nur zu einem Bekenntnis unter Bedingung eines Verhältnisses zur Kritik am realen Sozialismus. Es kann also nicht um ein einfaches Bekenntnis gehen, in dem alle Schwierigkeit ausgeblendet ist, sondern nur um ein Bekenntnis, in dem die Kritik an ihm der Gegenstand ist. Die Dialektik der Auseinandersetzung ist nicht nur eine objektive, sie ist zugleich eine subjektive, zugleich eine der Politik. Es muß um Parteinahme, um Parteilichkeit gehen.
Unter dem Gesichtspunkt der Kritik ist zu fragen, ob denn die Reformen (von 1962 usw.) erst die Frage beantworten, wie denn die Gesellschaftsformation des Kommunismus auszusehen habe; waren die Reformen berechtigt, oder sind sie im Gegenteil der Übergang des Kommunismus zum Revisionismus und zurück zur bürgerlichen Restauration. Erschöpft sich damit der Gegenstand der Kritik, oder ist eine andere Auffassung von Kritik am realen Sozialismus notwendig und möglich. Muß sie – als eine neue Form der revolutionären Überprüfung des Kommunismus/Marxismus – der restaurativen des Reformismus entgegengesetzt werden, so dass gegenüber dem Revisionismus der reale Sozialismus als revolutionär und richtig verteidigt werden muß, aber gleichzeitig besser, richtiger noch verteidigt werden kann; d.h. ist die gewisse Ambivalenz, das Janusköpfige was im realen Sozialismus angelegt war – und sowohl den Revisionismus als auch die höhere Form der Revolution herausgefordert hat – zu überwinden, als der neue Ausblick in den zukünftigen Kommunismus?
Man kann sich a) mit der bloßen Verteidigung des realen Sozialismus begnügen, b) zur revisionistischen Kritik übergehen, c) zur revolutionären Kritik des realen Sozialismus übergehen, die, vom realen Sozialismus als der realen Revolution ausgehend die revolutionäre Kritik anwendet und das Verständnis dessen, was Kommunismus ist, beantwortet und endlich auf seine richtige Grundlage stellt.
Also: Die Grundlage verteidigen, die Grundlage erweitern und verständlicher machen.
Davon ausgehend beurteilen wir nun die „Diskussionsgrundlage“, inwieweit sie den genannten Anforderung genügt resp. entgegenkommt, sie auch ausspricht. 1. Die Erweiterung auf die Aussage, der reale Sozialismus war die erste Form/Erscheinung der kommunistischen Gesellschaftsordnung, sie war der Kommunismus, fehlt; man bleibt beim Begriff der „höchsten Errungenschaft“ hängen; 2. Die Charakteristik der Reform als revisionistisch fehlt. Die Reformen werden überhaupt nicht erwähnt. D.h. die „Diskussionsgrundlage“ umgeht die beiden entscheidenden Fragestellungen – in der direkten Reflektion, wenn auch nicht in der indirekten.
Wir kommen dahin, dass die DKP ein schwaches Bekenntnis zum (realen) Sozialismus ablegt, aber mit einer starken Kritik an ihm aufwartet. Im Grunde genommen ist der reale Sozialismus von der DKP verworfen, auf alle Fälle seine „letzte Entwicklung“. (Oder eher seine erste?) Ohne dass die Reform ausgesprochen ist, dass ein Bekenntnis zu ihr abgelegt worden wäre, werden aber alle die Punkte bedient, die den Kern der revisionistischen Kritik am realen Sozialismus ausmachen.
Hermann Jacobs, Berlin
[6] Dass Überwindung von Rückständigkeit ihn auch erforderlich machen kann, macht ja nicht seine Gesellschaftlichkeit. Das aber ist zu erkennen: Die Gesellschaftlichkeit des kommunistischen Zentralismus!
[7] Ich muß mich insofern revidieren, als der Vorabdruck eines Beitrages von Willi Gerns und Nina Hager aus den „Marxistischen Blättern“ 3/05 in der UZ vom 27. Mai („Kontinuität und Erneuerung“) offensichtlich eine Richtungsbestimmung sichtbar macht, deren Wert sich erst herausstellen sollte.
[8] Darin ist ausgesprochen, dass die Probleme des Arbeiters nur in einer anderen Gesellschaftsordnung, nicht in einem verbesserten Kapitalismus gelöst werden können; d.h. ihre Lösung verlangt eine andere gesellschaftliche Form als bürgerliche gesellschaftliche Form (was nicht ausschließt, dass man natürlich um den besten Kapitalismus für den Arbeiter kämpfen muß).