Vor 60 Jahren IV: Wie der Browderismus nach Europa verpflanzt wurde

Kurt Gossweiler: Vor 60 Jahren IV: Wie der Browderismus nach Europa verpflanzt wurde – Teil 2

III. Noel Field und die kommunistische Emigration in Frankreich und der Schweiz

Zur Beantwortung der oben gestellten Frage werde ich mich vor allem auf das Buch von Wolfgang Kießling stützen. Das macht es allerdings notwendig, vorher etwas über dessen Verfasser und darüber zu sagen, weshalb er dieses Buch geschrieben hat. Dieses Buch ist eine Verteidigungsschrift für Noel Field und alle, die wegen Kontakten zu ihm und zu seinem Bruder Hermann Field in den sozialistischen Ländern angeklagt, verurteilt oder Untersuchungsverfahren unterworfen wurden, und es ist zugleich eine Anklageschrift gegen ihre Ankläger in den Verfahren gegen sie.

1. Die Prozesse gegen Rajk und Slansky zur Rolle Noel und Hermann Fields

Diese Verfahren waren als erstes der Kostoff-Prozess in Bulgarien im November/Dezember 1949, als zweiter der Rajk-Prozess in Ungarn im September 1949, als dritter der Slansky-Prozess in der Tschechoslowakei vom November 1952, und die im Anschluss an diese Prozesse in der DDR durchgeführten Untersuchungsverfahren der Zentralen Partei-Kontroll-Kommission (ZPKK) der SED gegen Genossen, die in der Emigration mit Noel oder Hermann Field zu tun gehabt hatten. Zunächst also etwas zu diesen Prozessen.

Im Rajk-Prozess sagte der Angeklagte Dr. Tibor Szönyi Folgendes aus:

„Mit dem amerikanischen Geheimdienst knüpfte ich im Herbst 1944 in der Schweiz eine Verbindung an. Während des Krieges hielt ich mich als politischer Emigrant seit Ende 1938 in der Schweiz auf. In der Schweiz befand sich während des Krieges aus den mitteleuropäischen und osteuropäischen Ländern, beinahe aus jedem, eine große Anzahl von politischen Emigranten, unter ihnen auch linkseingestellte kommunistische Gruppen. Unter den links eingestellten politischen Emigranten entfalteten die geheimen Kundschafterorgane Englands und besonders der Vereinigten Staaten bereits im ersten Jahr des Krieges eine sehr aktive Tätigkeit. In der Schweiz war während des Krieges die europäische Zentrale des amerikanischen militärstrategischen Kundschafterdienstes, das sogenannte Office of Strategic Services, (OSS), dessen Leiter als europäischer Beauftragter Allan Dulles war. Offiziell war Allan Dulles Zugeteilter der Berner amerikanischen Gesandtschaft. Tatsächlich war er der europäische Leiter der OSS. Gegen Ende des Krieges, im letzten Jahr, als es im Sommer schon offenbar wurde, dass ein Teil der osteuropäischen und mitteleuropäischen Länder von den Sowjettruppen befreit wird, stellte der amerikanischen Kundtschafterdienst mit Allan Dulles an der Spitze in den Mittelpunkt seiner Tätigkeit die Aufgabe, dass er aus den dortigen politischen Emigranten, besonders aus links eingestellten kommunistischen Gruppen, Spione eingliedere, mit der Zielsetzung, dass er diese in jenen Gebieten, die von den Sowjettruppen befreit werden, in die Minierarbeit gegen die kommunistischen Parteien einstelle. Im Laufe dieser Tätigkeit kam auch ich mit der amerikanischen Spionageorganisation in Verbindung. Der Hauptmithelfer und unmittelbare Mitarbeiter des Allan Dulles in dieser Arbeit, nämlich im Anwerben von Spionen unter den politischen Emigranten, war: Noel H. Field, der in der Schweiz offiziell Leiter einer amerikanischen Hilfsorganisation, der unitarischen Hilfsorganisation, Unitarian Service Comitee, tatsächlich aber unmittlbarer Mitarbeiter des Dulles in der Spionageorganisation war. Seine Aufgabe bestand darin, dass er als Leiter der Hilfsorganisation den politischen Emigranten wirtschaftliche Unterstützung und Hilfe zukommen lasse und dadurch mit letzteren eine Verbindung und Freundschaft ausbaue, sowie eine Eingliederungstätigkeit für die amerikanische Spionageorganisation entfalte.”

Im Slansky-Prozess sagte der Beschuldigte Ludvik Frejka aus: „Meine Schuld besteht weiterhin darin, dass ich …in der Zeit des zweiten Weltkrieges Verbindungen… mit dem bedeutenden amerikanischen Spion Hermann Field angeknüpft habe. Field war in dieser Zeit einer der führenden Leute des sogenannten Trust Fund in London, welchen die anglo-amerikanischen Imperialisten unter dem Vorwand der Unterstützung der Emigranten gegründet hatten. In Wirklichkeit aber war dieser Trust Fund ein wichtiges Zentrum der anglo-amerikanischen Spionageorganisationen.”

2. Die Stellungnahmen der SED zu Noel und Hermann Field

Nach den beiden ersten Prozessen veröffentlichte das ZK der SED und ihre Zentrale Parteikontrollkomission am 24. August 1950 eine „Erklärung zu den Verbindungen ehemaliger deutscher politischer Emigranten zu dem Leiter des Unitarian Service Committee, Noel H.Field.” n diesem zwanzigseitigen Dokument wird eine sehr ins Einzelne gehende Darstellung der Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen über die Verbindungen der deutschen kommunistischen Emigranten zu Noel Field gegeben. n der Erklärung wird u.a.gesagt: Die Prozesse gegen Rajk und Kostoff …in Ungarn und Bulgarien erbrachten eine Fülle von Beweisen, dass die britischen und amerikanischen Geheimdienste bereits während des zweiten Weltkrieges eine Reihe von Agenten in die illegale Arbeiterbewegung entsandten. In Voraussicht der unvermeidlichen Niederlage Hitlerdeutschlands an der deutsch-sowjetischen Front und unter dem Eindruck des ständig wachsenden Einflusses der Sowjetunion richteten sich ihre Bemühungen vor allem auf eine Zersetzung der kommunistischen Parteien.” (S.71)

An anderer Stelle wird gesagt: „In unserer Partei war es nicht unbekannt, dass eine ganze Reihe deutscher Genossen, die in der Schweiz oder in Frankreich in der Emigration lebten, mit demselben Noel H. Field Beziehungen unterhalten haben. Es war daher notwendig, den Charakter dieser Beziehungen zu untersuchen.” (S.72)

Im Folgenden wird dann die Geschichte der Beziehungen Noel Fields mit deutschen Antifaschisten sehr detailliert dargestellt. Einleitend heisst es:„Der im Rajk-Prozess genannte Noel H. Field tauchte zum ersten Male gegen Ende des spanischen Bürgerkrieges auf. Als Beamter des State Department der USA gehörte er der internationalen Militärkommission des Völkerbundes an, die gegen Ende 1938 in Bisaura del Ter eine Registrierung derjenigen Angehörigen der Internationalen Brigaden vornahm, die in ihre vom Faschismus beherrschten Heimatländer nicht zurückkehren konnten. (s.a. Kießling, S. 29ff.) Offiziell wurde die Registrierung mit einer Evakuierung dieser Interbrigadisten in demokratische Länder begründet, obgleich der Völkerbund getreu seiner zur Unterstützung Francos betriebenen Nichteinmischungspolitik niemals daran dachte, dieses Versprechen zu verwirklichen. In der Tat erfolgte die Registrierung nur deshalb, um den imperialistischen Spionageorganisationen eine lückenlose Namensliste dieser Interbrigadisten zu verschaffen. Nach Beendigung der Kämpfe in Spanien setzte diese Kommission ihre Tätigkeit teilweise noch in den französischen Lagern Argelès sur Mer und St. Cyprien fort. Zu dieser Zeit hatte sie ihren Sitz in Perpignan, die Registrierungsscheine tragen die Originalunterschrift Noel H. Field.

Um die gleiche Zeit betätigte sich sein Bruder Hermann Field bei der Evakuierung der deutschen und tschechoslowakischen Emigranten von der CSR nach England. (Kießling, S. 33 ff.). Auf diese Weise verschafften sich der amerikanische OSS und der britische Intelligence Service umfangreiche personelle Unterlagen über die antifaschistische Emigration und dadurch die für ihre Tätigkeit notwendigen Voraussetzungen.

Im Herbst 1939 brachte Hermann Field seinen Bruder Noel in Zürich mit dem Mitglied der Kommunistischen Partei der Schweiz Sally Liebermann in Verbindung. (Kießling, S.-34). Im Hause des Liebermann verkehrten deutsche kommunistische Emigranten. Hier gelang Noel H. Field der erste Einbruch in die deutsche politische Emigration, indem er feste und dauernde Verbindung zu Bruno Goldhammer aufnahm.

Sein Eindringen in die verschiedensten politischen Emigrationsgruppen vollzog sich stets in der gleichen Art und Weise. Überall wo er auftauchte, verstand er es, sich den Mantel eines Freundes der verfolgten Antifaschisten umzuhängen. Einige sparsame Bemerkungen über seine angebliche große Hilfe für die Interbrigadisten verschafften ihm sofort Freunde.” (S.72 f)

„Field knüpfte gleichzeitig Verbindungen zu dem später als Trotzkisten ausgeschlossenen damaligen Vorsitzenden der KP der Schweiz, Hofmayer, an. (Kießling,S.39, 43). Als neutrales Land bildete die Schweiz eine ausgezeichnete Ausgangsbasis für die zahlreichen als Wohlfahrts- und Hilfsorganisationen getarnten Spionageorgane der imperialistischen Länder. Von 1940 ab erscheint Field als Leiter des amerikanischen Unitarian Service Committee für die Schweiz und Frankreich. (Kießling, S.38). Von Februar 1941 bis zur Besetzung Südfrankreichs im November 1942 unterhielt er in Marseille, 15, Rue Fortune, ein Büro dieser Organisation. Sein Hauptsitz war bereits zu dieser Zeit in Genf im Büro des von Frau Berta Hohermut geleiteten International Emigration Service… Nach der Besetzung Südfrankreichs verlegte er seinen Sitz auch offiziell an diese Stelle.” (S.74). (Kießling, S.87).

„Field hatte sich inzwischen durch seine Unterstützungszahlungen eine große Vertrauensbasis in der deutschen Emigration geschaffen. Im Herbst 1941 war er bereits so tief eingedrungen, dass die deutsche Emigrationsleitung in der Schweiz (das war Paul Bertz, K.G.) ihn als Kurier nach Südfrankreich verwandte. (Kießling, S. 59 ff.). Der inzwischen verstorbene Paul Bertz und der jetzt als langjähriger amerikanischer Agent entlarvte Leo Bauer diktierten Field parteiinterne Angelegenheiten zur Übermittlung an Paul Merker… Merker ermächtigte Paul Bertz ausdrücklich, parteiinterne Mitteilungen über Field zu geben. … Auf diese Weise erfuhr der Chef des OSS, Allan Dulles, von den Plänen des antihitleristischen Kampfes.” (S.79 f)

“Noel H. Field …brachte Bruno Goldhammer mit dem unter dem Namen Dr. Hoffmann an der Charité in Zürich tätigen Dr. Tibor Szönyi zusammen. (Kießling, S.91). … Tibor Szöni verbreitete in Fields Auftrag über die Gruppe der österreichischen Emigranten die Theorie … Browder” (S.82). (Kießling, S .107.)

„Die Zusammenarbeit mit Noel H. Field und der deutschen Emigration trug gegen Ende 1944 bereits antisowjetischen Charakter. Am 19. April 1944 hatte die bereits erwähnte Verbündete Fields, Frau Berta Hohermuth, in der schweizerischen Landeskonferenz für soziale Arbeit ein Referat über „Schweizerische Nachkriegshilfe für kriegsgeschädigte Länder” gehalten. (Kießling, S. 113 ff.). Bei der Schilderung der Notlage der durch Kriegsereignisse vertriebenen Menschen bezichtigte sie die Sowjetunion der gleichen Verbrechen, wie sie der deutsche Faschismus begangen hatte. Das Referat diente der Werbung zur Teilnahme an Kursen zwecks Ausbildung sozialfürsorgerischer Kräfte. Ein solcher Kursus wurde von Field Ende 1944 organisiert und begann im Februar 1945. Obwohl das antisowjetische Programm der „Schweizerischen Nachkriegshilfe für kriegsgeschädigte Länder” bekannt war, nahmen Bruno Goldhammer und Frau sowie Hans Teubner an diesem Kursus teil.” (S.84).

In dem Beschluss des ZK der SED vom 20.Dezember 1952 werden auch Versuche Fields geschildert, nach dem Sieg über den Faschismus in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone die alten Verbindungen weiterzuführen und selbst dort Fuß zu fassen. Dazu heisst es u.a.: „Er versuchte mehrmals Listen von Opfern des Faschismus zu erhalten und wandte sich deshalb an das Zentralsekretariat der SED. Da er hier jedoch abgewiesen wurde, knüpfte er durch fingierte Telefonanrufe eine Verbindung zum Berliner Hauptausschuss der Opfer des Faschisms an, wo es ihm tatsächlich gelang, nach mehreren Besprechungen eine Liste mit 25 Namen zu erhalten.

Seine persönlichen und schriftlichen Verbindungen in Berlin und anderen Orten Deutschlands liefen bis zum Frühjar 1949. Mehrmals versuchte er, Erika Glaser in der Leipziger Universität unterzubringen. Im Jahre 1948 hatte er eine längere Besprechung mit Leo Bauer, der sich in der Folge lebhaft dafür verwandte, Field, Erika Glaser und deren Mann Bob Wallach, ebenfalls ein Offizier des OSS, in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands zu einer Anstellung zu verhelfen. Auch Paul Merker bemühte sich in ähnlicher Weise und schlug im Jahre 1948 Noel H. Field als Dozenten für aussenpolitische Fragen an der Universität Leipzig vor.” (S.86).

„Bei der Untersuchung ergab sich, dass eine Reihe von ehemaligen Emigranten der Partei nicht behilflich waren, die Zusammenhänge einwandfrei zu klären. …Sie gaben nach dem Rajk-Prozess der Partei keine Mitteilung über ihre Beziehungen zu Noel H. Field, sondern mussten erst dazu aufgefordert werden.” (S.. 87)

Dafür einige eindrucksvolle Bestätigungen aus dem Buche Kießlings: S.27/28: „Die im Parteiarchiv liegenden Erinnerungen (Paul Merkers) sind bezüglich Noel Fields ohne Wert. Deutlich gesagt, in den Jahren 1965 bis 1968, als Merker an seinen Memoiren für das Parteiarchiv schrieb, gab er mir das zu Protokoll, was er dort verschwieg.” Kießlings entschuldigende Erklärung dafür: Merker habe „den Lügen der Vernehmer, deren Auftrag darin bestand, ihn dem Henker auszuliefern, nur die eigene Lüge entgegensetzen” können.

Es ging damals aber darum, Klarheit zu schaffen darüber, wie weit es den imperialistischen Geheimdiensten gelungen war, in die kommunistische Parteien einzudringen und sich dort Stützpunkte zu schaffen. Wer sich nicht selbst darauf eingelassen hatte, ein solcher Stützpunkt zu werden, konnte als Kommunist kein anderes Interesse als seine Befrager haben, nämlich, alle möglichen Einbruchsstellen des imperialistischen Gegners aufzudecken! Doch weiter bei Kießling. Über das Verhalten eines Genossen – Hans Teubner -, der in der Schweiz eng mit Paul Merker und Noel Field zusammengearbeitet hatte, nach Kießlings Zeugnis (S. 232) Browder bewunderte und dessen bereits zitierten revisionstischen, antisowjetischen Ansichten nicht nur voll zustimmte, sondern für deren Verbreitung unter den kommunistischen Emigranten sorgte, ist bei Kießling zu lesen: „Auffallend ist, dass Teubner nach der Rückkehr aus dem Exil in seinen Personalpapieren und auch 1975 in seinem Buch den mehr als anderthalbjährigen Aufenthalt in Brissago zu verschleiern suchte und den Eindruck erweckte, er wäre mit den anderen von Gordola nach Brassecourt gegangen. Sogar die Zentrale Parteikontrollkommision (ZPKK) bachte er am 4.Oktiober 1949 auf diese Fährte. … Diese Falschangabe findet sich auch in der internationalen Literatur. Teubner, der von sich sagte, er habe vor der Partei niemals Geheimnisse, und der die Ehrlichkeit ihr gegenüber als das Grundgesetz eines Genossen ansah, erklärte am 8. Juni 1950 vor der ZPKK:‘Browder haben wir glatt abgelehnt. Da gab es keine lange Diskussion bei uns‘ (S.232). … Zwischen Teubner und Field hatte es ein nützliches Zusammenspiel gegeben. …Ihre Korrespondenz der Jahre 1943/44 ist verlorengegangen. (Verloren gegangen??): Teubner hat, als er 1949 in Bedrängnis geriet, Fields Briefe vernichtet. In seinem Schweizbuch von 1975 stehen beider Namen in keinem Zusammenhang. Der Amerikaner wird lediglich als Briefträger zwischen Bertz und Merker und in seiner karitativen Funktion benannt. (S.234).

Und schließlich noch dies: „Auf die Frage, wann er – (Teubner) – Field erstmals begegnete, antwortete er von Anfang an und blieb dabei: ‚In der Sozialen Frauenschule in Zürich, … d.h. frühestens im Januar 1945, als die von Field vermittelte partielle Zusammenarbeit deutscher Kommunisten mit Vertretern der Berner US-Mission bereits angelaufen war – auch mit dem von Allan Dulles geleiteten Nachrichtendienst, dem Office of Strategic Service (OSS), der bis April 1945 unter Mitwirkung von Erica Glaser rund 50 deutsche Genossen, zum Teil bewaffnet und mit Funkgeräten ausgerüstet, ausFrankreich über die Schweiz oder direkt von der Schweiz nach Deutschland schleuste. Es gelang Teubner, der ZPKK zu verbergen, dass er es war, der am Lago Maggiore mit Field die Grundlinie dieser Zusammenarbeit vereinbart hatte.” (S.237).

Die Genossen der Parteiführung hatten also allen Grund zu der Schlußfolgerung, dass jene Genossen, die mit der Wahrheit zurückhielten, sich Noel Field, dem Mitarbeiter von Allan Dulles, stärker verpflichtet fühlten als der Partei, zu deren Führung sie gehörten, und dass sie deshalb in Führungspositionen der Partei nicht mehr tragbar waren. Im Abschnitt „Schlussfolgerungen” des Beschlusses hiess es denn auch: „Spionageorganisationen handeln stets nach dem Grundsatz, einmal in ihre Netze geratene Menschen nicht mehr loszulassen. Daher können besonders die nach 1945 unterhaltenen Beziehungen nicht bagatellisiert werden. Die am engsten mit Field verbundenen Paul Merker, Leo Bauer,… haben dem Klassenfeind in umfangreicher Weise Hilfe geleistet und werden aus der Partei ausgeschlossen”. Andere Genossen, „deren Beziehungen zu Field ebenfalls sehr eng waren, deren Tätigkeit aber nur zu einer mittelbaren Unterstützung des Klassenfeindes führte, werden aller ihrer Funktionen enthoben.” (S.88)

Im Slansky-Prozess kamen zusätzlich neue Namen deutscher Emigranten zur Sprache, die mit Field in der Emigration in Verbindung gestanden hatten.

Dazu wurde in einem Beschluss des ZK der SED vom 20. Dezember 1952 über „Lehren aus dem Prozess gegen das Verschwörerzentrum Slansky” Stellung genommen. Diesem ganzen Komplex war auch ein Hauptpunkt der Tagesordnung der 13. ZK-Tagung der SED, (13.-14. Mai 1953) gewidmet. Das Referat dazu hielt Hermann Matern. Er wiederholte noch einmal, was schon im Beschluss von 1950 als Erkenntnis aus den Prozessen gewonnen worden war, – was man heute aber gar nicht oft genug wieder ins Bewusstsein heben kann, weil es offenbar bei Allzuvielen in tiefe Vergessenheit gefallen ist oder gar ungläubig als stalinistische Erfindung abgetan wird: „Die Prozesse… lehren uns, dass die feindlichen Agenturen auf lange Sicht arbeiten, um Positionen in den kommunistischen und Arbeiterparteien zu erringen. Schon lange vor Beendigung des Weltkrieges war ihnen klar, dass die von der Sowjetarmee befreiten Völker einen antiimperialistischen Weg einschlagen würden und dass die kommunistischen und Arbeiterparteien die führenden Kräfte dabei sein werden. Deshalb haben der anglo-amerikanische Imperialismus und seine Spionagedienste schon frühzeitig begonnen, geeignete Elemente zu bearbeiten und als Agenten zu werben, um sie in führende Positionen der kommunistischen und Arbeiterparteien in den Ländern der Volksdemokratie zu lancieren. Die Prozesse haben uns gezeigt, wie das den feindlichen Agenturen vorübergehend gelungen ist, wie aber auch die Feinde entdeckt und ihre Absichten zerschlagen wurden. Im Prozess gegen Rajk und Konsorten wurde damals die Rolle des amerikanischen Spions Noel H. Field aufgedeckt.” (.S.10)

„Wie raffiniert der Feind seine Agenten in die Reihen der kommunistischen und Arbeiterparteien einzubauen versucht, das zeigt besonders die Methode mit dem amerikanischen Agenten Field. In Spanien tritt er als Helfer der Interbrigaden auf. In Frankreich und in der Schweiz hilft er scheinbar den Emigranten. Vorsichtig wird lanciert, dass er Kommunist ist, aber nicht öffentlich auftreten darf. Überall tritt er als Freund und Helfer auf. Um ihn in die Deutsche Demokratische Republik einzubauen, wird er wegen Unterstützung der Kommunisten von seiner amerikanischen Dienststelle entlassen. Um ihm eine Grundlage in der CSR zu schaffen, wird er vom unamerikanischen Komitee öffentlich als kommunistischer Agent angeklagt. Zur gleichen Zeit aber erhält er von Allan Dulles, dem Leiter der amerikanischen Spionage, seine konkreten Agentenaufträge.” (S.27).

3.Die Verwandlung des Dulles-Vertrauten Field in ein Opfer Stalins

In den drei Prozessen wurde auch die Rolle Titos als Helfershelfer bei den imperialistischen Bemühungen zur Unterminierung der sozialistischen Staaten aufgedeckt. Das kam einer Schutzimpfung der kommunistischen Bewegung gegen den Revisionismus-Virus gleich. Die Wirkung dieser Schutzimpfung wurde jedoch 1955 zunichte gemacht durch die bereits erwähnte Aussöhnung Chruschtschows mit Tito. Im Gefolge dieser Totalrehabilitierung Titos und der mit dem XX.Parteitag der KPdSU eingeleiteten „Entstalinisierung und Liberalisierung” wurden, wie John Foster Dulles so zufrieden und zukunftsgewiss konstatiert hatte, die Kräfte freigesetzt, von denen er völlig zu recht die Zerstörung der sozialistischen Ordnung erwartete, falls ihnen nicht Einhalt geboten wurde. Zu dieser „Entstalinisierung” und „Liberalisierung” gehörte auch die Rehabilitierung der Brüder Noel und Hermann Field und aller der in den genannten Prozessen wegen ihrer Verbindung und Zusammenarbeit mit diesen beiden Verurteilten.

Dem von der Chruschtschow-Führung in dieser Richtung ausgeübten Druck nachgebend wurden auch alle in den Jahren 1949 bis 1955 in der DDR wegen ihrer Verbindungen zu Field Verurteilten oder ihrer Funktionen Enthobenen pauschal rehabilitiert. Dass diese Rehabilitierungen indessen nicht das Ergebnis durch neue Nachforschungen gewonnener Erkenntnisse, sondern der „Wünsche” aus Moskau waren, das konnte in der DDR, wer erfahren genug war, schon daran erkennen, dass die solcherart Rehabilitierten nicht in ihre alten Funktionen wiedereingesetzt wurden.

Für nicht wenige andere aber erschienen die Rehabilitierten als Kommunisten, denen böses Unrecht geschehen war, das einige sogar in den Selbstmord getrieben hatte; ein Unrecht, das aber durch die Rehabilitierung nur ungenügend wiedergutgemacht worden war, eben weil den Betreffenden offenkundig verwehrt wurde, in ihre früheren Funktionen wieder zurückzukehren. So sah das wohl auch Wolfgang Kießling.

IV. Wolfgang Kießling und die historische Wahrheit im Falle Merker, Browder und Field

Als er die oben erwähnte Erklärung des ZK der SED vom August 1950 in der Presse las, war Kießling ein junger Lehrer von 21 Jahren an der Schule eines Erzgebirgsdorfes. (S.9) Damals hatte er sicherlich keinen Zweifel daran, dass die Beschuldigungen gegen Field und die deutschen Kommunisten, an erster Stelle Paul Merker, die in der Emigration mit Field zusammengearbeitet hatten, zutrafen. Als er dann aber 1956 im Alter von 27 Jahren lernen musste, dass die damaligen Beschuldigungen zurückgenommen und die Beschuldigten rehabilitiert bzw. aus der Haft entlassen wurden, weil sich die Vorwürfe gegen sie als unberechtigt erwiesen hätten, wurde wahrscheinlich schon der Grund dafür gelegt, dass er später seine Aufgabe darin sah, als Anwalt der zu Unrecht verfolgten Field, Merker und anderer mit vielen Veröffentlichungen aufzutreten. Der entscheidende Anstoß dafür war aber, wie er selbst in seinem Buch berichtet, dass er 1965 die persönliche Bekanntschaft Paul Merkers machte. Er war damals als Redakteur in der zum Institut für Marxismus-Leninismus (IML) des ZK der SED gehörenden Redaktion der Zeitschrift „Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung” (BzG) tätig.

Paul Merker – im Sommer 1950 aus der SED ausgeschlossen, vom November 1952 bis März 1955 in Untersuchungshaft, am 30. März 1955 zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt, – wurde im Januar 1956 aus der Haft entlassen.(S.277 f, 337)

Kießling., der an seiner Dissertation über das Thema der Bewegung „Freies Deutschland” in Mexiko arbeitete, befragte dazu die noch erreichbaren damals dort tätigen Emigranten als Zeitzeugen, also auch Paul Merker. (S.9 f.)

Kießling war tief beeindruckt von der Persönlichkeit Merkers und von dessen Berichten über seine vielseitigen Aktivitäten als Führungskader der KPD und der Komintern, vielleicht noch tiefer betroffen darüber, welches Unrecht an Merker, Field und so vielen anderen Unschuldigen – Paul Merkers Berichten zufolge – verübt worden war; Berichte, an deren Wahrheitsgehalt er nicht zweifelte – wie sollte er auch, hatte doch Chruschtschow, der erste Mann der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, „enthüllt”, dass solches Unrecht die normale Praxis des „stalinistischen Systems” gewesen sei, und hatte doch die SED-Führung selbst im Falle Merkers erklärt, „dass die ihm zur Last gelegten Anschuldigungen in der Hauptsache politischer Natur” seien „die eine strafrechtliche Verfolgung nicht rechtfertigen.” (S.337) Es ist deshalb nicht nur verständlich, sondern spricht durchaus für Kießling, dass er seine künftige Aufgabe darin sah, als Historiker mit seinen Veröffentlichungen den Nachweis für den verleumderischen Charakter der Beschuldigungen und Anklagen gegen die zu Unrecht Beschuldigten zu führen.

So lässt sich denn der Kerninhalt der meisten Nachwende-Veröffentlichungen Kießlings mit den Worten seines Freundes Holger Becker in der „Jungen Welt” in dessen Nachruf-Artikel für den am 1. März 1999 verstorbenen Wolfgang Kießling wiedergeben: „In einer Reihe von Veröffentlichungen arbeitete er heraus, dass es sich hier um Verfolgungen handelte, die der sowjetische Geheimdienst mit dem Ziel steuerte, die nationalen kommunistischen bzw. sozialistischen Parteien zur widerspruchslosen Befolgung des Moskauer Kurses zu disziplinieren. “

1. Paul Merker findet in Wolfgang Kießling einen Jünger

Die Sache hat jedoch einen fatalen Haken: diese nach dem XX. Parteitag offiziell gewordene und von Kießling unter dem dominierenden Einfluss Merkers übernommene Sicht auf die Dinge hat nichts mit der geschichtlichen Wahrheit zu tun, sondern stellt sie auf den Kopf. Das Schlimme bei Kießling ist nun aber, dass er bei dieser die Wahrheit entstellenden Deutung der Dinge auch dann noch blieb, nachdem ihm die ihr entgegenstehenden und sie widerlegenden Tatsachen bekannt geworden sind – wie aus seinem Buche zu ersehen. Die Seiten seines Buches sind voll von Beispielen des krassen Widerspruches zwischen den angeführten Tatsachen und seiner diesen direkt widersprechenden Deutungen oder aber ihrer einfachen Negierung.

An einem einzigen Musterbeispiel sei dies an dieser Stelle als ein Fall von vielen vorgeführt: „Ich (Kießling) fragte Merker, worauf sich der am 1. September 1950 im ,ND’ nachzulesende Vorwurf des ZK und der ZPKK stützte, er habe <<kein Verständnis für den Abschluss des deutsch-sowjetischen Paktes 1939>> gezeigt…Merker antwortete: <<Dass ich kein Verständnis für den Pakt gehabt hätte, basiert auf einer Aussage Anton Ackermanns, die er im Mai 1940 gegenüber Pieck und Ulbricht, möglicherweise auch vor speziellen sowjetischen Dienststellen gemacht hat…>>

Weiter sagte mir Merker zu seinem angeblichen Unverständnis für den Pakt von 1939: <<Ende August 1950 …verlangte Herta Geffke von mir umgehend eine schriftliche Stellungnahme zu der ihr vorliegenden Aussage eines Genossen,… dass ich mich in einer Sekretariatssitzung in Paris gegen den Pakt gestellt hätte. Ich gab es ihr schwarz aufweiss: `Ich habe niemals eine falsche Auffassung zum Nichtangriffsvertrag zwischen Deutschland und der Sowjetunion gehabt. Es hat keine Besprechung in Paris stattgefunden, in der ich die mir vorgehaltenen Äußerungen getan habe.`>>”(S. 15 f.)

Also: Kießling will uns mit seiner Formulierung vom „angeblichen Unverständnis” und der anschließend zitierten Aussage Merkers zeigen, dass auch hier Merker zu Unrecht beschuldigt wurde. Auf S.57 aber gibt er uns wieder, was ihm Merker aus seiner Erinnerung über seine Einschätzung des Nichtangriffsvertrages als Leiter der Auslandsleitung der KPD in Frankreich erzählt hatte: „Die neue Phase des Krieges verlangte von uns die Klärung politischer Fragen, die wir an Wilhelm Pieck nicht stellen konnten, weil längst alle Kontakte nach Moskau abgebrochen waren, und die wir ihm nicht hätten stellen wollen, damit er selbst keinen Ärger bekam. Der Abschluss des Paktes zwischen Nazideutschland und der Sowjetunion war in seinen Folgen für alle kommunistischen Parteien verhängnisvoll. Die Kommunisten konnten nicht mehr unter ihren nationalen Bedingungen arbeiten. Sie waren, und dazu noch unvorbereitet, der höchst zweifelhaften sowjetischen Außenpolitik unterworfen. Wir vom Auslandssekretariat der KPD bekamen dies besonders zu spüren. Der sich in Frankreich verschärfende Antikommunismus -war in bestimmtem Maße der Stalinschen Politik geschuldet” (S.57 f. Unterstreichung von mir, K.G.)

Genau diese Auffassung war Merker von der ZPKK vorgehalten worden, und genau diese geäußert zu haben, hatte er entschieden abgestritten. Kießling aber scheint gar nicht zu bemerken, dass er mit der Anführung dieses Merker-Zitats ein Eigentor geschossen hat. Sein eigener als „nur Antistalinismus” verstandener Antikommunismus ließ ihn den Merkerschen Antisowjetismus als völlig normal und frei von jeder Kritikwürdigkeit erscheinen. Oder richtiger: Für ihn war Merker schon in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre in einem solchen Maße zur unanfechtbaren Quelle der Wahrheit über die Geschichte der Partei und der Emigration geworden, dass er nicht nur den Willen, sondern auch die Fähigkeit zu jeder kritischen Betrachtung und zu jeder Äußerung verlor, die auch nur den leisesten Zweifel am Wahrheitsgehalt der Darstellungen Merkers zu wecken geeignet war. So wurde nach dem Sieg der Konterrevolution nach 1989 aus dem ehemaligen Mitarbeiter des Instituts für Marxismus-Leninismus und DDR-Historiker ein gewendeter Publizist, der mit einer langen Kette von Artikeln im ebenfalls gewendeten ehemaligen Zentralorgan der SED und mit seinem hier genannten Buch über Noel Field wie kaum ein zweiter die Forderung des ehemaligen BRD-Außenministers und Verfassungsschutz-Chefs Kinkel bediente, die DDR zu delegitimieren und als „Unrechtsstaat” nachzuweisen.

2. Noel Field – Kommunist und selbstloser Helfer kommunistischer Emigranten – oder V-Mann von Allan Dulles?

Zur Beantwortung dieser Frage seien hier nochmals in Kürze wichtige Daten des Lebens und Wirkens von Noel Field, deren wichtigste bereits im Dokument der SED aufgezählt wurden, zusammengestellt. (Die Angaben nach Kießling, S.28.ff.) Noel Field wurde als Sohn seines in der Schweiz lebenden US-amerikanischen Vaters und seiner aus England stammenden Mutter 1904 in Zürich geboren. Nach dem Tod des Vaters 1921 und nach Noels Abitur 1922 zog Noels Mutter mit ihren drei Kindern in die USA.

Vom Staatsbeamten zum Leiter einer amerikanischen Hilfsorganisation in der Schweiz.

Nach einem Jura-Studium an der Harvard-Universität wurde er 1926 Mitarbeiter der Westeuropa-Abteilung des US-Außenministeriums, des State Departments. 1936 stieg er zum Vertreter der USA beim Sekretariat des Völkerbundes in Genf, wo er auch mit seiner Frau Wohnung nahm, auf.

1938 wurde er einer der Sekretäre der Völkerbundskommission, die in Spanien den Abzug der Interbrigadisten zu kontrollieren hatte. „Seine Tätigkeit begann mit der Erfassung aller ausländischen Soldaten, mit einer Aufstellung von Listen, auf denen sie entsprechend ihrer Nationalität gruppiert waren. “ (S.31).

1939 nahmen die Fields die 17-jährige Erica Glaser in Pflege, weil das Mädchen, an Typhus erkrankt, nicht mit ihren Eltern, – die beide, der Vater als Arzt, die Mutter als Krankenschwester, der spanischen Republik geholfen hatten -, die Flucht nach Frankreich mit antreten konnte. (S.32). Wie sich zeigen sollte, begann mit dieser Hilfeleistung Noel Fields ein Weg, der Erica Glaser wenige Jahre später geradewegs zu Allan Dulles als dessen Mitarbeiterin im OSS führte.

„Nach der Niederlage der Spanischen Republik lebten die Fields wieder in Vandoeuvres (Vorort von Genf, K. G.). Erica ging in Genf zur Schule. Noel Field war nach wie vor beim Völkerbund beschäftigt und blieb es bis zum 13.Oktober 1940. „Faktisch hatte er für diese Liga der Nationen nichts mehr zu tun. Sein amerikanischer Pass und der Ausweis des Völkerbundes ließen ihn ungehindert die Grenze zwischen der Schweiz und Frankreich passieren und ermöglichten ihm jederzeit, die Internierungslager in Südfrankreich zu besuchen, mit den Flüchtlingen zu sprechen und ihnen in zunehmendem Maße auch zu helfen. ” (S. 32). „Noel Fields Reisen nach Südfrankreich -waren im Mai 1940 wegen des Krieges auf französischem Boden plötzlich zu Ende…” (S.36). Aber es fand sich bald ein ebenbürtiger Ersatz, der ihm die Möglichkeit bot, seine Kontakte mit den Emigranten verschiedener Nationalitäten nicht nur aufrecht zu erhalten, sondern noch zu intensivieren. Ihm wurde die Stellung eines Direktors der Marseiller Filiale der von einer christlichen Gruppierung der Unitarier 1940 in Boston ins Leben gerufenen amerikanischen Hilfsorganisation USC -Unitarian Service Committee – angeboten. Die bereits seit dem Herbst 1940 bestehende USC-Vertretung in Lissabon wurde von einem Dr. Robert Dexter geleitet, der nun sein Chef wurde. Ihm werden wir in Bälde in anderer Eigenschaft wieder begegnen.

Wegen seiner neuen Arbeitsstelle zogen die Fields im Frühjahr von Genf nach Marseille, ließen jedoch Erica in der Schweiz zurück.

„Als sich Noel Field in Basel vom Vorsitzenden der Schweizer KP, Karl Hofmaier, verabschiedete, gab ihm dieser – (ungefragt? K.G.) – einen guten Hinweis. Zwei deutsche Genossinnen, Maria Weiterer und Hilda Maddalena, hatten Hofmaier per Postkarte kundgetan, dass sie sich nach mehr als einjähriger Internierung in dem in den Cevennen gelegenen Frauenlager Rieucros nunmehr am Mittelmeer im Hotel Bompard befinden”, das jetzt eine Außenstelle des Marseiller Polizeigefängnisses war. „Sie bekämen Ausgang, um ihre noch ungewisse Ausreise zu betreiben…. Maria Weiterer und Hilda Maddalena waren sehr überrascht, als sie Noel Field im Hotel Bompard besuchte, sie von ihrem Bekannten aus Basel grüßte, sich als Vertreter des Bostoner Unitarian Service Committee in Marseille vorstellte und sie bat, sie möchten ihm behilflich sein, den notleidenden deutschen Antifaschisten in den Lagern Le Vernet, Rieucros, Gurs und anderswo Lebensmittel sowie den bedürftigen Nichtinternierten soziale und medizinische Betreuung zukommen zu lassen. Ihm ständen dafür genügend Mittel aus Spenden amerikanischer Bürger zur Verfügung. Er brauche Namen und Adressen; denn er müsse der Zentrale garantieren, dass die Solidaritätsgelder tatsächlich diejenigen erreichen, die sie dringend benötigen… Er suche mindestens zwei zuverlässige deutsche Helfer, die sich in Marseille frei bewegen können. “ (S. 36-41). Die beiden Frauen gingen nicht sofort auf Fields Angebot ein, sondern erst, nachdem Hofmaier auf eine briefliche Anfrage Paul Merkers geantwortet hatte, „Field sei Kommunist, vertrauenswürdig und absolut zuverlässig. “ (S.43).

„In seinem Büro sagte ihnen Field – (den Helferinnen, die er durch Vermittlung von Maria Weiterer und Hilda Maddalena bekommen hatte, K.G.) -, er sei auf Helfer verschiedener Länder angewiesen. In den Lagern haben sich die Gefangenen in Landsmannschaften zusammengeschlossen. Folglich brauche er ungarische, italienische, spanische, jugoslawische, polnische und auch deutsche Helfer, die von den Internierten ihrer Nationalität akzeptiert werden…Field erklärte, wie er sich die Arbeit der beiden deutschen Frauen dachte: Sie suchen sich, da sie persönliche Briefe in die Lager schicken können, …jeweils eine Vertrauensperson, von der sie Namenslisten potentieller Paketempfänger erhalten… Field führte die Frauen in das dem Büro des USC angegliederte Lager. Hier stapelten sich per Schiff aus den USA eingetroffene Waren, vor allem Fleischkonserven, Milchpulver, Reis, Zucker, Teigwaren und Textilien wie Decken, Unterwäsche, Oberhemden und Jacken… Henny Stibi erinnerte sich: <<… Vier Monate waren wir noch in Marseille. Wir kauften, packten und transportierten.>> “ (S.46/47).

Als die deutschen Truppen am 10. November 1942 begannen, ganz Frankreich zu besetzen, mussten die Fields fluchtartig Marseille verlassen. Sie kehrten nach Genf zurück und er eröffnete nun hier sein Büro der USC. „Die erzwungene Verlagerung der USC-Arbeit von Marseille nach Genf brachte keine großen Probleme. Die Bankkonten hatte Field sowieso in der Schweiz. Das Lager in Marseille war faktisch leer gewesen… Der tatsächliche Verlust bestand im plötzlichen Abbruch der direkten Kontakte zu seinen Helfern. Aber schon bald, wenn auch nicht im bisherigen Umfang, führte Field die Hilfsaktionen von der Schweiz aus nach Südfrankreich weiter…. Das Büro der USC eröffnete Field in den Räumen des von Berta Hohermuth geleiteten International Emigration Service. “ (S. 86/87).

Just um diese Zeit erhielt Field den Besuch seines Chefs Dexter aus Lissabon. Und was der seinem Untergebenen Field erzählte, schildert uns Kießling so: „Von Robert Dexter, seinem Chefin Lissabon,… erfuhr Field, in den USA sei ein Office of Strategie Services (OSS) geschaffen worden. Es solle Grundlagenstudien für Entscheidungen der politischen und militärischen Führung erarbeiten. Zunächst habe man öffentlich zugängliche Informationen gesammelt und ausgewertet. Nunmehr sei es zentrale Aufgabe, Geheiminformationen zu beschaffen. Geschulte Agenten seien dafür nur bedingt verwendbar. Viel ergiebiger könnte es sein, in neutralen Ländern Europas wie Schweden, Portugal, der Schweiz und der Türkei, zu denen das Deutsche Reich vielfältige Beziehungen unterhält, an Nichtnazis, an Geschäftsleute, Firmenvertreter und Wissenschaftler heranzukommen. Mitarbeiter des OSS bauten unter dem Schutz der Immunität der Gesandtschaft der USA in Bern ihre Europa-Zentrale auf. Robert Dexter wurde in diese Aufsähe einbezogen. (Unterstreichung von mir, K. G.). Als Chef des OSS für Zentraleuropa war Allan Welsh Dulles vorgesehen. Field kannte ihn, wenn auch nur flüchtig, aus seiner Tätigkeit im State Department. Dulles sollte im November 1942 nach Bern kommen. ” (S. 81/82).

Field nutzte seine Bekanntschaft mit dem kommunistischen Emigranten Leo Bauer dazu, Bauer mit seinem Chef, dem OSS-Mann Dexter, bekannt zu machen.. “Leo Bauer fand es nicht abwegig, als ihm Field den Vorschlag machte, sich mit Dexter zu treffen und zu sondieren, ob sie sich gegenseitig nützlich sein könnten. Warum sollte er nicht zu Vertretern der USA, dem Hauptverbündeten der Sowjetunion im Kampf gegen Hitler, in Kontakt treten. In England ließ zur gleichen Zeit die Leitung der KPD-Emigration unter ihren jungen Mitgliedern zum freiwilligen Dienst in der Armee des Gastlandes werben.” (S.82). Bei einem Treffen Bauers mit Dexter brachte der einen zweiten Mann mit, der Bauer fragte, ob er bereit sei, Aufträge von ihm, also dem OSS, anzunehmen. Bauer zeigte dazu Bereitschaft. (S.82/83). Die Verbindung des OSS zu Bauer war besonders wichtig, weil, wie Paul Merker gegenüber Noel Field einmal geäußert hatte, „ der Weg zu Bertz ” – dem in gut geschützter Illegalität in Basel lebenden Leiter der Schweizer Parteiorganisation der KPD – „führe nur über Leo Bauer”. (S.60). Aus Kießlings Schilderung geht also klar hervor – obwohl er das selbst nicht so klar sagt -, dass Field den Kommunisten Leo Bauer dem amerikanischen Geheimdienst OSS zuführte, das ihn mit Erfolg zur Mitarbeit anwarb.

Aber nicht nur Leo Bauer, sondern offenbar auch seine, Fields, Pflegetochter Erica Glaser. Allerdings lässt uns Kießling überraschenderweise völlig im Unklaren darüber, wie der Kontakt Erica Glasers mit dem OSS zustandekam, obwohl er uns sonst mit allen wichtigen Etappen ihrer Entwicklung bekannt macht. Wir erfahren nur ganz beiläufig durch einen Hinweis Kießlings auf eine Äußerung Erica Glasers in ihrem Erinnerungsbuch (Erica Wallach, „Licht um Mitternacht”, München 1969), dass sie bei dem Treffen Leo Bauers mit den OSS-Leuten, bei dem ihm, Leo Bauer, ein Fragebogen des OSS übergeben worden war, ebenfalls zugegen war; (S.83), wir dürfen daraus schlussfolgern, dass sie selbst damals auch schon etwas mit dem OSS zu tun gehabt hat. Indem Kießling uns vor dieser Passage mitteilt, Erica Glaser „war durch Noel Field mit Leo Bauer bekannt geworden. Sie nannte ihn rückblickend ihren <<politischen Lehrer und Freund>>, mit dem sie ein sehr enges, ein Liebesverhältnis hatte “, lässt er der Vermutung Raum, es sei wohl Leo Bauer gewesen – also nicht ihr Pflegevater Noel Field -, der sie dem OSS zugeführt hatte.

Einen weiteren – ebenfalls recht undeutlichen – Hinweis darauf, dass Erica Glaser eine enge Beziehung zum OSS hatte, gibt Kießling zwei Seiten weiter; nachdem er darüber berichtete, dass Leo Bauer kurz nach dem Gespräch mit den OSS-Leuten von der Genfer Geheimpolizei mitsamt dem Fragespiegel, den ihm die OSS-Leute übergeben hatten, verhaftet worden war, lesen wir bei ihm auf S.85: „ Über Erica legte das OSS Bauer nahe, auf keinen Fall die Quelle des Fragebogens zu nennen. Auf Hilfe des OSS könne er nicht rechnen. ” Daraus darf geschlossen werden, dass Noels Pflegetochter schon zu dieser Zeit eine „inoffizielle Mitarbeiterin”, also eine „IM” des Allan Dulles war.

Aber erst viele Seiten weiter – auf S. 121 – erfahren wir: Bei den Verhandlungen mit den Amerikanern darüber, deutschen Kommunisten dabei behilflich zu sein, bewaffnet nach Deutschland zu gelangen, um am Kampf gegen Hitler teilzunehmen, „wirkte Erica Glaser mit, die mit Zustimmung der Schweizer KPD-Leitung in den Dienst der OSS getreten war.” Das aber spielte sich erst Anfang 1945 ab (s.S. 120), die Verhaftung Leo Bauers aber schon im Oktober 1942. Schon damals aber war, wie wir durch Kießling erfuhren, Erica Glaser mit dem OSS liiert; von einer Zustimmung der Schweizer KPD-Leitung dazu hat er an dieser Stelle jedoch nicht gesprochen. Er ließ also – und das sicherlich nicht „aus Versehen” – im Dunkel, wie es zum ersten Kontakt der Erica Glaser mit dem OSS und zu ihrer Übernahme in die Reihen seiner Mitarbeiter kam. Aber es wäre doch immerhin wichtig zu wissen, wer sie auf den Weg einer Spionin brachte, der dazu führte, dass sie 1950 von einem sowjetischen Militärgericht zum Tode verurteilt, dann zu 15 Jahren Lagerhaft begnadigt wurde und einige Jahre – bis zur Annullierung ihrer Strafe und ihrer Entlassung in den Westen – in Workuta zubringen musste.(S.32,238).

Helfer in zwei Richtungen

Noel Fields Tätigkeit als Chef des Genfer USC erfuhr zwei gänzlich entgegengesetzte Einschätzungen..

Seine Beurteilung in den Prozessen von Budapest und Prag und durch die Führung der SED als Helfer von Allan Dulles haben wir schon kennengelernt; erinnert sei nur an die bereits auf S. 17 wiedergegebene Feststellung Hermann Materns: „ Wie raffiniert der Feind seine Agenten in die Reihen der kommunistischen und Arbeiterparteien einzubauen versucht, das zeigt besonders die Methode mit dem amerikanischen Agenten Field. “

Kießling dagegen findet gar nicht genug Worte, um uns Field als einen der edelsten und selbstlosesten Helfer verfolgter kommunistischer Emigranten vorzustellen. In seinem Buch zitiert er – S. 26 – zustimmend einen anderen Autor, der über Field schrieb: „Zweifellos ein empfindsamer, aufrichtiger Idealist – ja, ein guter Mensch… Friede, Gerechtigkeit, Verantwortungs-gefühl, Hilfsbereitschaft… bildeten Sinn und Zweck seines Lebens… War er Kommunist? Zweifellos ja, und dabei ist es gleichgültig, ob er auch formell der Partei beigetreten ist.” An anderer Stelle – S.51 – gibt Kießling als Äußerung von Paul Merker, Maria Weiterer und Georg Stibi wieder: “Field ist ein guter Mensch, eine Samariterseele. Wir alle wären ärmer ohne solche Menschen.”

Und schließlich zitiert er Paul Merker aus einem Gespräch, das er in den sechziger Jahren mit diesem geführt hatte – ( S. 149) : „Wir standen tief in seiner Schuld, obwohl Menschlichkeit niemals aufzuwiegen ist… Er hätte Ehrenbürger eines demokratischen Nachkriegsdeutschland werden müssen.” Welches Field-Porträt trifft zu?

Kießling führt nicht wenige Beispiele von Hilfe Fields für Emigranten an, für die diejenige, denen er sie erwiesen hatte, ihm gegenüber tiefe Dankbarkeit empfanden und oft lebenslang bewahrten. So sorgte er beispielsweise dafür, dass eine im Polizeigefängnis in Frankreich internierte deutsche Emigrantin, Sophie Marum, die im zum Polizeigefängnis umgewandelten Hotel Bompard in Marseille der Geburt eines Kindes entgegensah, aus dem Gefängnis in ein Heim der Quäker überführt wurde, wo sie ihr Kind – eine Tochter Andree – unter weniger bedrückenden Umständen zur Welt bringen konnte. (Kießling, S. 56). Zu den von Kießling angeführten Beispielen zählt auch das der internierten kommunistischen Emigrantin Maria Weiterer, die der Auslieferung an das faschistische Deutschland dadurch entging, dass ihr dank Fields Hilfe gelang, illegal über die Grenze in die Schweiz zu gelangen. (S.80). Und natürlich waren die von Fields USC geleisteten finanziellen Zuwendungen und die Lebensmittelpakete für die in den Lagern internierten Interbrigadisten eine willkommene Hilfe.

Aber: sind solche Hilfeleistungen etwa ein Beweis dafür, dass es sich bei Field keinesfalls um einen Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes gehandelt haben kann? Natürlich nicht. Davon könnte nur dann die Rede sein, wenn diesen Hilfeleistungen nicht auch andere Tatsachen zu Seite stünden, die auf eine Geheimdienst-Verbindung hinweisen. Ist es doch eine Binsenweisheit, dass, wer in eine feindliche Organisation eindringen will, dies am besten dadurch bewerkstelligt, dass er sich als deren Freund und Sympathisant ausgibt und, um Vertrauen zu erwerben, durch Taten für behauptete Freundschaft auch Beweise liefert. Und welche Taten wären mehr geeignet, solches Vertrauen zu schaffen, als Hilfeleistungen für Menschen in existenziell gefährdeten Situationen?

Im Falle Noel Field nun enthalten nicht nur die Materialien der Prozesse gegen Rajk und Slansky und der Untersuchungen der ZPKK der SED solche Tatsachen über Fields Tätigkeit als Mitarbeiter von Allan Dulles und dessen OSS; nein, auch in Kießlings Buch finden wir Hinweise auf solche Tatsachen in nicht geringer Zahl, und zudem erstaunliche Widersprüche in Kießlings Ausführungen, mit denen er alle Vorwürfe gegen Field als unbegründet und konstruiert nachzuweisen sucht..

Field und das USC. Dexter und das OSS des Allan Dulles

Wie wir sahen, war Field, von seiner Dienststelle, dem US-Außenministerium, 1936 zum Völkerbund delegiert, ab 1938 als einer der Sekretäre des Völkerbundes mit der listenmäßigen Erfassung der aus Spanien abgezogenen Interbrigadisten beschäftigt. (Kießling, S.31). Dass Zweitschriften der dabei erstellten Listen auch vom State-Department verlangt und ihm geliefert wurden, versteht sich am Rande. Klar war, dass sich unter den darin Aufgelisteten nicht wenige besonders einflussreiche Angehörige der Kommunistischen Parteien aus verschiedenen Ländern, besonders aus Deutschland, befinden mussten, über die Näheres – ihre Funktionen, ihre Verbindungen und ihre späteren Aufenthaltsorte und Tätigkeiten – zu wissen für die US-Kommunistenbekämpfer von erstrangigem Interesse war. Man brauchte dazu aber nicht nur Namenslisten, sondern persönliche Kontakte. Die zu bekommen, war unter den gegebenen Umständen ziemlich einfach, waren die Interbrigadisten doch größtenteils in französischen Lagern interniert. Den Weg zu ihnen wiesen die aus der Solidarität linker Organisationen für die Spanienkämpfer und überhaupt für die aus ihren Ländern vertriebenen Antifaschisten entstandenen Hilfskomitees, wie zum Beispiel das von den Kommunisten der USA ins Leben gerufene „North American Committee to Aid Spanish Democracy”, dessen Leitung der parteilose New Yorker Chirurg Edward K. Barsky übernommen hatte, (daher auch „Barsky-Komitee”).

Es lag nahe, demjenigen, der schon die ersten persönlichen Kontakte mit den Interbrigadisten bei deren listenmäßiger Erfassung gehabt hatte, auch ihre weitere Betreuung (in doppelter Hinsicht) zu übertragen. Eine solche Erklärung für Fields Wechsel seines Arbeitsplatzes ist jedenfalls sehr viel plausibler als die Erklärung, dieser Wechsel sei das Ergebnis gewesen von Fields unbändigem Wunsch, Menschen in Not zu helfen, oder gar das Ergebnis dessen, dass er Kommunist gewesen sei.

Field blieb bis Oktober 1940 als Angehöriger des State Department beim Völkerbund beschäftigt, (Kießling,S.32), danach übernahm er – wie schon erwähnt, (s.o., S.22), die Leitung des Genfer Büros der USC. Darüber, wer ihn für diesen Posten vorgeschlagen hat, stellt Kießling merkwürdigerweise Vermutungen an, ob es der Vertreter des Christlichen Vereins Junger Männer gewesen sei, wie die Field-Biografin Flora Lewis meinte, oder Dr. Edward Barsky, (S.38), obwohl doch die Lösung ziemlich nahe liegt, nämlich: dass dies der Mann war, dessen Untergebener er in der neuen Funktion wurde – Dr. Robert Dexter. Doch es ist verständlich, wenn Kießling bemüht war, nicht den Eindruck großer Nähe Fields zu Dexter aufkommen zu lassen, war der doch, wie schon erwähnt, (s.o., S. 24) ein Mitarbeiter von Allan Dulles beim Aufbau der Europa-Zentrale des USA-Geheimdienstes OSS, dem Vorläufer der CIA, in Bern. Und derselbe Dexter war es, der Field darum bat, ihm zu helfen, Leute ausfindig zu machen, die für die Aufgaben des OSS nützlich sein könnten, woraufhin Field dem Dexter Leo Bauer zuführte. (S. ebenda). Und es kann ja wohl auch nicht gegen den Willen Fields geschehen sein, dass seine Pflegetochter Erica Glaser – zuerst inoffiziell, später dann ganz offiziell – in den Apparat des OSS eingebaut wurde. Übrigens war ihr Mann, Bob Wallach, ebenfalls ein Offizier des OSS, (s. Matern, S.86). Von Kießling wird dieser Mann allerdings überhaupt nicht erwähnt.

Immerhin: Kießling kommt, wie gezeigt, nicht umhin, Tatsachen aufzuführen, die eindeutig beweisen, dass Fields christlich-wohltätiges „Unitarian Service Committee” mit dem OSS des Allan Dulles zusammenarbeitete.

Dagegen verheddert sich Kießling erheblich bei seinen Versuchen, uns Field als überzeugten Kommunisten vorzustellen.

Noel Field – Kommunist oder nicht?

Wir erfahren, dass in den dreißiger Jahren Field Bekanntschaft mit dem damaligen Vorsitzenden der KP der USA, Earl Browder, machte. Kießling dazu: „Fields Gespräche mit Browder und die Lektüre marxistischer Literatur führten dazu, dass er von sich meinte, er sei Kommunist. Eingetragenes Mitglied der KP zu werden und sich am Parteileben zu beteiligen, hätte zum baldigen Ende seiner Lau/bahn als Regierungsbeamter geführt. ” (Kießling, S.30). Auf S. 132 zitiert Kießling sogar aus einer Antwort Paul Merkers auf eine Anfrage Franz Dahlems über Field vom 26. November 1946 – zu dieser Zeit waren beide, Dahlem und Merker, Mitglieder des Parteivorstandes der SED – : „Ich teile nicht die Auffassung der Genossin Änne von Fischer, dass es sich bei Field um einen amerikanischen Agenten handelt. Field gehört der KP Amerikas an. “ (Unterstreichung von mir, K.G.)

In der bereits zitierten Erklärung des ZK und der ZPKK der SED vom 24.August 1950 ist zu der angeblichen KP-Mitgliedschaft Fields jedoch auf S. 85 ausgeführt: “Im Sommer 1945 begab Field sich nach Mexiko, um auch dort die bereits in Marseille angeknüpften Verbindungen wieder aufzunehmen. Paul Merker, der mit ihm dort eine längere Unterredung hatte, trifft der schwere Vorwurf, die Verbindung zu Field wieder aufgenommen zu haben, obgleich das ZK der KP der USA ihm keine Auskunft über Field erteilt hatte. Merker beruhigte sich damit, dass das der KP der USA nahestehende Barsky-Komitee ebenfalls mit Field in Verbindung stand.”

Kießling ist diese Feststellung keine Beachtung wert, sie wird deshalb in seinem Buche nicht erwähnt. Dafür aber zitiert er nach der Erklärung: „Ich bin mit ihm eins” aus dem Buche „Schauprozesse” des Ungarn Georg Hermann Hodos: „War er (Field) Kommunist? Zweifellos ja, und dabei ist es gleichgültig, ob er auch formell der Partei beigetreten ist. ” (Kießling, S.26). Um diese Feststellung zu untermauern, stellt uns Kießling Noel Field auch als einen naivgläubigen Verehrer der Sowjetunion vor, indem er uns erzählt, was ihm einmal Georg Stibi über ein Gespräch mit Field berichtet habe. Stibi war kommunistischer Emigrant, der in Moskau und ab 1937 in Madrid die Leitung deutschsprachiger Radiosendungen innehatte, danach in Frankreich interniert wurde und dort Field kennenlernte. Ihn fragte Field einmal nach seinen Erfahrungen in der Sowjetunion, und, so berichtete er Kießling, in seiner Antwort habe er ihm nichts von seinen dortigen negativen Erlebnissen mitgeteilt; er habe Field nichts von ihnen sagen können, denn: „Er hätte annehmen müssen, ich wolle an seinen Glauben rühren. Seine idealistisch begründete Verehrung für die Sowjetunion war eine Wurzel seiner Solidarität mit allen vom Faschismus Verfolgten. ” (Kießling, S.49).

Wir werden weiter unten durch keinen anderen als Kießling Handlungen von Field kennenlernen, die mit einer von Stibi angenommenen und uns von dem gleichen Kießling präsentierten Verehrung Fields für die Sowjetunion beim besten Willen nicht in Einklang zu bringen sind.

Aber nun noch eine andere Äußerung zu Merkers Behauptung von Fields KP-Mitgliedschaft. Auf S. 145 zitiert Kießling eine Aussage der Witwe Egon Erwin Kischs, Gisl Kisch, vom September 1953. „Bei einem Besuch von Field in meiner Wohnung (im September 1948) teilte mir dieser mit, dass er mit der Aufenthaltsverlängerung in der CSR Schwierigkeiten habe und bat mich um Rat, was er in dieser Sache unternehmen soll. Konkret hat er mich gefragt, ob ihm die KPTsch nicht helfen könne. Ich habe ihm geantwortet, es wird schwer gehen, da er kein Parteigenosse ist. “. (Unterstreichung von mir, K.G.) Was der Gisl Kisch bekannt war, das war mit Sicherheit erst recht Paul Merker, der zu Field ein viel längeres und viel engeres Verhältnis hatte als sie, bekannt. Den Widerspruch zwischen den beiden von ihm zitierten Aussagen bagatellisiert Kießling mit der Erklärung, für Merker sei der Unterschied zwischen „Kommunist” und „Parteimitglied” „nur eine Nuance” gewesen, habe er doch „oft genug erfahren, dass nicht das Parteibuch einen Kommunisten ausmacht, sondern sein Verhalten “. (S.44/45). Das schafft aber die Tatsache nicht aus der Welt, dass Merker die Partei mit seiner Behauptung, Field sei Mitglied der KP der USA, bewusst belogen hat.

Die Schlüsselfrage zu Fields Hilfeleistungen: Cui bono?

Die Fragwürdigkeit oder auch „Ambivalenz” – um ausnahmsweise einmal diesen von manchen mit Vorliebe zum Ausweis von Wissenschaftlichkeit benutzten Ausdruck zu benutzen – der Hilfe von imperialistischen Geheimdiensten für Kommunisten möchte ich – exemplarisch für das Wesentliche solcher “Hilfe” – an einem Fall, der Hilfe Fields für Paul Merkers Flucht nach Mexiko, dartun. Um die Doppeldeutigkeit dieser Hilfe deutlich zu machen, werde ich zwei Fragen nachgehen:

Erstens: Wer und welche Institutionen waren an dieser Hilfe beteiligt? Das Material zur Beantwortung dieser Frage werde ich ausschließlich dem Buche Kießlings entnehmen. (S. 55, 63-65, 73-75).

Und zweitens: Wer – außer den oder dem direkt Betroffenen, in diesem Falle Paul Merker, – ist noch Nutznießer dieser Hilfe? Zur Beantwortung dieser Frage werde ich auf die Erklärung des ZK der SED zurückgreifen. (Matern, S.78-80).

Zur ersten Frage. Paul Merker war es in Frankreich gelungen, Ausreisepapiere nach Mexiko zu erhalten. Um aber ausreisen zu können, fehlte ihm das französische Ausreisevisum. Das hätte er nur gegen Vorlage eines Entlassungsscheins des Lagers Les Milles, in dem er interniert war, beantragen können. Einen solchen Schein konnte er aber nicht vorweisen, weil er das Lager illegal verlassen hatte und untergetaucht war. Sein Retter war Noel Field. Er erreichte, dass Merker von der französischen Ausländerbehörde ein Ausreisevisum erhielt. Die Einzelheiten dieser Rettung grenzen an ein Wunder. Folgen wir Kießling, vergessen wir dabei jedoch nicht, dass er die wiedergegebenen Dialoge nicht aus einem Protokolldokument zitiert, sondern sich auf Erinnerungsberichte Merkers und anderer bezieht, und dass er mit denen das Interesse gemeinsam hat, nachzuweisen, die Beschuldigung, bei Field habe es sich um einen amerikanischen Geheimdienstagenten gehandelt, sei aus der Luft gegriffen und entbehre jeder Grundlage. Dies sollte man beim Lesen des Folgenden immer im Hinterkopf haben: „Lex Ende beriet sich mit dem Anwalt Jerome Ferucci, seinem Verbindungsmann zur französischen Partei. Ferucci wusste, dass in der Ausländerbehörde der Präfektur eine Madame Esmiol die Ausreiseanträge bearbeitete. Sie sei eine Gegnerin des Vichy-Regimes und sympathisiere mit der gaullistischen Bewegung Freies Frankreich. Trotzdem wäre es… leichtfertig, darauf zu bauen. Die Ausländerbehörde unterstand dem Innenministerium und wurde offiziell vom Zweiten Büro, der Geheimpolizei, kontrolliert. Frau Esmiol war verpflichtet, sich jedes Visum vom Innenministerium in Vichy bestätigen zu lassen. Dennoch gab es keine andere Wahl. Diese Madame Esmiol musste direkt gefragt werden. Nur ein Unbeteiligter konnte, ohne sich selbst zu gefährden, zu ihr gehen und die Lage sondieren. Noel Field war dazu sofort bereit… Er brachte von der Präfektur die Nachricht, die Beamtin Esmiol werde ausnahmsweise die Anträge – (außer Merker handelte es sich dabei noch um drei weitere Genossen, die mit Merker das Lager Les Milles illegal verlassen hatten) – auch ohne Entlassungsscheine des Lagers Les Milles annehmen. Daraufhin habe er ihr die vier Namen genannt, und sie ließ durch ihn übermitteln, die Männer könnten unbesorgt zu ihr kommen. Paul Merker erinnerte sich: <<Frau Esmiol… empfing uns freundlich. Sie hatte sich bereits telefonisch vom Lager Les Mildes bestätigen lassen, dass wir dort geführt waren. Wir füllten die Anträge aus und sollten die Visa am folgenden Tag abholen. Als wir schon im Korridor waren, kam uns Frau Esmiol nach. Sie fasste mich am Ärmel und zog mich beiseite: ,Monsieur Merker, es tut mir sehr leid. Sie können das Visum nicht bekommen. Sie stehen auf der Fahndungsliste des Innenministeriums. Die deutsche Seite verlangt Ihre Auslieferung. Ich bin laut Gesetz verpflichtet, Sie verhaften zu lassen. Von mir haben Sie nichts zu befürchten. Meine Ehre als Französin verbietet es mir, einen deutschen Antinazi seinen Henkern auszuliefern. Auch wenn ich Ihren Namen übersehen haben würde, Sie haben nach meinem Ermessen keine Chance, an Bord eines Schiffes zu gelangen. Im Hafen werden alle Reisenden dreifach kontrolliert: vom Zoll, von französischer Gendarmerie und von deutschen Geheimpolizisten in Wehrmachtsuniform. Ich rate Ihnen, wieder unterzutauchen und Marseille zu meiden. Denken Sie daran, Ihr Besuch bei mir und unser Gespräch haben nie stattgefunden.’>>”

Schon bis hierher ist das eine Geschichte, die fast an ein Wunder grenzt. Gerade deshalb wirft sie schon hier einige Fragen auf, z. B.: Hätte es nicht viel näher gelegen, dass der Anwalt Ferucci, der die Dame Esmiol ja offenbar recht gut, vielleicht sogar persönlich kannte, es übernahm, bei ihr zu sondieren, als ein ihr unbekannter Ausländer?

Aber – vielleicht war Field für die Dame Esmiol gar kein Unbekannter, sondern sie war durchaus im Bilde darüber, in welcher Eigenschaft er sich in Marseille aufhielt? Denn: kann man sich vorstellen, dass die Dame Esmiol, die immerhin von Amts wegen auch mit dem französischen Geheimdienst verbandelt war, auf die Anfragen irgendeines „Unbeteiligten” hin das Risiko eingeht, sich sofort bereit zu erklären, aus ihrem Lager ausgebrochene deutsche Internierte nicht nur nicht zu verhaften, sondern ihnen überdies ohne die dazu erforderlichen Unterlagen Ausreisepapiere auszustellen?

Nein, das ist unvorstellbar. Dieses Wunder konnte nur jemand bewirken, der eine Autorität hinter sich hatte, die selbst vom französischen Zweiten Büro respektiert wurde, zum Beispiel das US-State Department oder, noch wahrscheinlicher, ein US-Geheimdienst. Und das gilt noch viel mehr für den zweiten Teil dieser Geschichte. Denn da es für Merker keine Möglichkeit gab, unter seinem richtigen Namen über die Grenze oder auf ein Schiff zu gelangen, musste er die Ausreise mit falschen Papieren auf einen anderen Namen unternehmen. Aber woher falsche Papiere bekommen? Wieder war der Retter Noel Field. Doch lassen wir wieder Wolfgang Kießling erzählen. Bei einem Abschiedsessen im Oktober 1941 für Merkers Frau, die mit dem nächsten Schiff ausreisen konnte, „stand Field plötzlich vom Tisch auf und erklärte, er werde noch einmal mit Madame Esmiol sprechen. Es müsse einen Ausweg geben. Zumindest wolle er von ihr hören, ob sie wenigstens einen Rat hat… Seine Vorsprache war nicht umsonst… Madame Esmiol versicherte: Merker erhält eine Ausreise, wenn er sie auf einen anderen Namen beantragt. Voraussetzung sei, dass die Reisedokumente echt und nicht gefälscht sind. Aber wie? Das war die Frage. Merker musste eine andere Identität erhalten. Das aber war nur möglich, wenn für dieses Vorhaben die mexikanische Regierung und ihr Konsul in Marseille als Partner gewonnen werden. Dr. Leo Zuckermann, der zu denen gehörte, die am 18. Oktober Marseille verließen, erhielt den Auftrag, in Mexiko die notwendigen Schritte einzuleiten…

Ende April, Merker hatte inzwischen von der Hicem erfahren, dass für Siegmund Ascher (das war der Name, auf den seine neuen Papiere ausgestellt waren; wer für ihn diese Papiere besorgt hat und auf welchem Wege, bleibt unerörtert. K.G.) eine Schiffspassage bezahlt ist, kam plötzlich die überraschende Nachricht, in einer Woche werde ein portugiesisches Schiff von Lissabon über Casablanca nach Veracruz fahren… Jerome Ferucci füllte einen Schein aus. Er belegte Aschers Entlassung aus einem Lager. Die Reisegesellschaft Hicem gab es am 27. April 1942 schriftlich, dass für Herrn Ascher ein Platz auf der “Guinée” bezahlt sei und er in wenigen Tagen von Marseille abfahren müsse. Jetzt stand der entscheidende Gang bevor: der Weg zur Präfektur. Sieben Monate waren seit der Zusage von Frau Esmiol vergangen, Merker das Visum bei Vorlage echter Papiere mit anderem Namen zu geben. Konnte sie jetzt dieses Versprechen einlösen?… Nicht er, nur Field vermochte ohne Risiko die Antwort einzuholen. Field nahm sein Auto und fahr zur Präfektur. Nach einer halben Stunde hatte Merker die Antwort: Madame Esmiol steht zu ihrem Wort. Er möge kommen. Sie werde ihn fraglos wiedererkennen… Dazu Merker selbst: <<Ich kam unmittelbar vor Büroschluss in die Präfektur. Mitarbeiter von ihr waren schon im Aufbruch. Zu einem von ihnen sagte sie, er solle ruhig gehen, sie werde den Antrag allein entgegennehmen. Zwischen uns fiel kaum ein Wort. Sie sah sich meine Unterlagen sehr genau an. Schließlich sagte sie, offensichtlich selbst erleichtert, ich könnte am nächsten Tag das Ausreisevisum abholen. Doch es zog sich in die Länge, weil, wie mir Madame Esmiol sagte, die Erlaubnis für die marokkanische Durchreise… noch nicht vorliege. Vier Tage hintereinander war ich in ihrem Büro. Jedes Mal sagte sie, ich solle wiederkommen. Es würde noch rechtzeitig alles da sein. Ich erhielt das Visum erst am Tage der Abreise, am 4. Mai…>> Als Siegmund Ascher verließ Paul Merker faktisch in letzter Minute Frankreich.”

Als Merker von der ZPKK 1954 über seine Tätigkeit in der Emigration und seine Verbindungen zu Field befragt wurde, betraf eine der Fragen auch die Rolle Fields bei den Kontakten mit Madame Esmiol, was durchaus verständlich ist angesichts der außergewöhnlichen Bereitschaft dieser Dame, nach Unterredungen mit Field Merker in der geschilderten Weise hilfreich zu sein. Die Genossen der ZPKK dürften mit Recht davon ausgegangen sein, dass, wäre Field nur ein gewöhnlicher Leiter einer der verschiedenen amerikanischen Emigranten-Hilfsorganisationen gewesen, seine Fürsprachen nicht solche Wirkungen gezeitigt hätten. Kießling schreibt: „Eine an ihn gerichtete Frage lautete: <<Warum ließen Sie die Angelegenheit mit der Mitarbeiterin des französischen Geheimdienstes gerade durch den Agenten Noel H. Field erledigen?>> Antwort: <<Weil niemand weiter da war, der die Frau Esmiol persönlich kannte.>>” Diese Begründung steht in einem bemerkenswerten Widerspruch zu der, die wir auf S. 63 lasen; dort war es der französische Anwalt Ferucci, der die Esmiol kannte; dagegen wurde Field – so die Erklärung auf S.63 – deshalb als der richtige Mann angesehen, weil er „ein Unbeteiligter” war. Davon, dass nicht nur Ferucci, sondern auch Field diese Dame persönlich kannte, war mit keinem Wort die Rede.

Die Antwort auf die erste der eingangs gestellten Frage ist nach alledem: Die Hilfeleistung für Merker erfolgte von einem amerikanischen Beamten des US-State Departments, dessen Einfluss stark genug war, um auch eine Beamtin des französischen Geheimdienstes seinem Wunsche gemäß handeln zu lassen. Die Schlussfolgerung, dass es sich bei ihm also um einen Mann des USA-Geheimdienstes handelt, kann in keiner Weise als weit hergeholtes Konstrukt betrachtet werden.

Zur Beantwortung der zweiten Frage zitiere ich, wie angekündigt, aus dem ZK-Beschluss der SED vom August 1950, (Matern, S. 78-80):

Zwischen dem ZK der KPF und dem Genossen Walter Beling als Leiter der deutschen Emigrationsleitung in Südfrankreich wurde Ende 1940 eine Übereinkunft getroffen, die den Einsatz des größten Teiles der deutschen Emigration für die politische Agitation unter den deutschen Soldaten vorsah. Nach dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion erhielt dieser Kampf gegen den Faschismus eine erhöhte Bedeutung….

Es lag jedoch nicht in den Plänen des anglo-amerikanischen Imperialismus, große deutsche Truppenmassen in Frankreich zu fesseln und dadurch eine Erleichterung für die sowjetischdeutsche Front zu schaffen. Wie sie die Schaffung der zweiten Front hinauszögerten, so hemmten sie auch die Entfaltung der Widerstandsbewegung. Durch ihren Agenten Noel H. Field wirkten sie daher auf die Leitung der deutschen Emigration ein, um die Durchführung der mit dem ZK der KPF getroffenen Vereinbarungen zu hintertreiben….

Im Frühjahr 1942 waren die Voraussetzungen für einen größeren Einsatz deutscher Emigranten in der nordfranzösischen Widerstandsbewegung geschaffen. In einem besonderen Beschluss forderte das ZK der KPF die Entsendung einer größeren Zahl deutscher Emigranten nach Paris. Die deutsche Leitung in Marseille war jedoch zu diesem Zeitpunkt bereits so stark unter den politischen Einfluss Fields geraten, dass sie diesen Beschluss missachtete. Obgleich Paul Merker und Lex Ende durch den Genossen Beling von der Übereinkunft mit dem ZK der KPF vollinhaltlich unterrichtet waren, bezweifelten beide die Echtheit des Beschlusses. Ohne sich um diesen Beschluss zu kümmern, floh Paul Merker nach Mexiko, während Lex Ende zum offenen Verrat überging. Mit Hilfe von Willy Kreikemeyer übergab er Noel H. Field den Text des Beschlusses des ZK der KPF zur Weitergabe an Paul Bertz. Auf diese Weise erfuhr der Chef des OSS, Allan Dulles, von den Plänen des antihitleristischen Kampfes. Die Antwort wurde mit Wissen von Leo Bauer durch Bertz und Field gemeinsam ausgearbeitet und lag in der Richtung der Ablehnung des Beschlusses des ZK der KPF. Diese Haltung entsprach der Politik des amerikanischen Imperialismus, der an der zweiten Front zu diesem Zeitpunkt nicht interessiert war. Sein Ziel war vielmehr, die Frühjahrsoffensive der deutschen Faschisten nicht zu behindern, um eine weitmöglichste Schwächung der Sowjetarmee herbeizuführen. Aus dem gleichen Grund war der USA-Imperialismus ebenfalls nicht an einer Ausbreitung der antifaschistischen Widerstandsbewegung in Frankreich interessiert.” Bei diesem Sachverhalt kann auch nicht als weit hergeholt und konstruiert betrachtet werden, wenn als Antwort auf die zweite Frage festgestellt wird: Mit- und Hauptnutznießer der Hilfe Fields an Merker und seine Genossen waren jene Kräfte in der US-Außenpolitik, deren Ziel es war, die Sowjetunion im Kampf gegen das faschistische Deutschland maximal zu schwächen.

Der Ausbau des Beziehungsnetzes des Noel Field

Wie schon weiter oben wiedergegeben, wird in den Beschlüssen des ZK der SED ausgeführt, Field habe systematisch sich ein Stützpunkt-Netz unter den kommunistischen Emigranten in Frankreich und in der Schweiz geschaffen. Kießling hat sein Buch geschrieben, um den Nachweis zu fuhren, dass alle derartigen Beschuldigungen eine Fiktion seien: „Aus dem Mann Noel H. Field war eine Fiktion gleichen Namens geworden, eine künstliche Schöpfung, eine immaterielle sowjetische Wunderwaffe, gedacht als Garant des Sieges in der großen Schlacht des Kalten Krieges zwischen Ost und West.” (Kießling, S. 21)

Schaut man sich in seinem Buch an, wie er die Entstehung der Beziehungen Fields zu den kommunistischen Emigranten schildert, dann findet man alles bestätigt, was in den SED-Beschlüssen an diesbezüglichen Fakten aufgeführt wird. Was jedoch dort als Ergebnis systematischen Vorgehens Fields zum Zwecke des Aufbaus von Stützpunkten für seine Geheimdiensttätigkeit gewertet wird, das schildert uns Kießling ganz anders, nämlich als häufig genug durch glückliche Zufalle entstandene Beziehungen, die sich einzig und allein aus Fields grenzenlosem Drang, möglichst vielen Menschen in Not zu helfen, ergaben. Aber auch wer sich an Kießlings Darstellung hält, kommt nicht umhin, die Feststellung in den SED-Beschlüssen bestätigt zu sehen, am Ende habe Field die Fäden zu so vielen Genossen, vor allem zu den führenden, in den Händen gehalten und sei von ihnen selbst über ganz interne Parteiangelegenheiten informiert worden, dass er das ganze Parteileben der kommunistischen Emigranten in der Schweiz und in Südfrankreich unter seiner Kontrolle hatte. Den ersten Kontakt zu den in der Schweiz lebenden deutschen Kommunisten erhielt Noel Field kurz vor Beginn des zweiten Weltkrieges nach seiner Ankunft in Zürich. Er machte dort einen Besuch im Hause eines Sally Liebermann, mit dem die getrennt von ihrem Mann lebende Frau seines Bruders Hermann zusammenlebte; der war wenige Monate vor ihm ebenfalls dort zu Besuch gewesen, zur „endgültigen Klärung seiner Beziehungen” zu seiner Frau. Dabei hatte er den bei den Liebermanns verkehrenden deutschen Kommunisten Bruno Goldhammer kennengelernt; für Hermann Field, der sich, wie sein Bruder Noel, mit der Hilfe für kommunistische Emigranten befasst hatte, – dies allerdings in der Tschechoslowakei -, war Bruno Goldhammer sicherlich eine hochinteressante Persönlichkeit, selbst wenn ihm nicht bekannt geworden sein sollte, dass Goldhammer zur Abschnittsleitung Süd der KPD gehörte. Anzunehmen ist jedoch, dass Hermann seinem Bruder Noel über seine Bekanntschaft mit Goldhammer hatte Nachricht zukommen lassen. Jedenfalls verkehrten die Fields – Noel, seine Frau und Erica Glaser – nach ihrer Ankunft in Zürich des öfteren bei Liebermann. „Bruno Goldhammer war der einzige deutsche Kommunist, der noch vor Kriegsbeginn beide Fields kennenlernte und der erste, der sich wiederholt mit Field unterhielt. Deswegen und mit der Begründung, er sei <<der Hauptschuldige für das Eindringen Noel H. Fields in die deutsche Emigration in der Schweiz>>, wurde er am 28. April 1954 in einem Geheimprozess vor dem Obersten Gericht der DDR zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt”, aber im Zuge der Rehabilitierungen aus der Haft entlassen. Die Fields… behandelten Goldhammer, als würde er zur Familie Liebermann gehören. Erica lernte er bald näher kennen. .. Vertrauen und Akzeptanz verspürte er auch bei allen Gesprächen mit Noel Field, dem er bis Mitte 1940 mehrmals im Hause Liebermann begegnete. Im Juli wurde Goldhammer von der Kantonalpolizei festgenommen und beschuldigt, als Ausländer Schweizer Jugendliche politisch beeinflusst zu haben… Die meisten der im Lande lebenden kommunistischen Emigranten erhielten den Ausweisungsbeschluss des Bundesrates, vollstreckt in Form ihrer Internierung. Das plötzliche Ende von Bruno Goldhammers Besuchen im Hause Liebermann bedeutete nicht den Abbruch der Kontakte zu Noel Field und Erica Glaser. Sie blieben bestehen, bis Goldhammer 1945 die Schweiz in Richtung Deutschland verließ.” (Kießling, S.34-36.)

In der Erklärung des ZK der SED vom 24. August 1950 wird zur Verbindung Field – Goldhammer ausgeführt: „Bruno Goldhammer ist der Hauptschuldige für das Eindringen Noel H. Fields in die deutsche Emigration in der Schweiz. Sein Verhalten veranlasste andere kommunistische Emigranten, gleichfalls mit diesem amerikanischen Agenten in Verbindung zu treten. In unverantwortlicher Weise unterließ er es, Erkundigungen über Field einzuziehen. Er beruhigte sich damit, dass Liebermann und Erika Glaser Fields lügenhafte Erzählungen über seine Tätigkeit in Spanien bestätigten, obgleich er genau wusste, dass deren einzige Informationsquelle Field selbst war. “ (Matern, S. 74). In der Schweiz „hatte zunächst nur eine Verbindung zwischen Field und Bruno Goldhammer bestanden. Die Internierung fast der gesamten politischen Emigration sowie ihre geringe zahlenmäßige Stärke ließen ihre Bedeutung hinter der starken Emigration in Südfrankreich in den Hintergrund treten. Noel H. Field beschränkte sich daher in der Schweiz zunächst auf die Verbindung mit Bruno Goldhammer und baute über diesen seine Mitarbeiterin Erika Glaser – (und mit ihr eine „IM” von Allan Dulles’ OSS! K.G.) – in die kommunistische Emigration ein. Über seine enge Verbindungen mit Bruno Goldhammer kam er mit dem Genossen Hans Teubner in Beziehung. Er verschaffte Bruno Goldhammer häufig Urlaub aus dem Internierungslager und brachte ihn mit dem unter dem Namen Dr. Hoffmann an der Charite in Zürich tätigen Dr. Tibor Szönyi zusammen.” (Matern, S.81/82).

Wie weiter oben schon geschildert, hatte Field vor seinem Umzug nach Marseille im Frühjahr 1941 durch einen Hinweis von Hofmaler, dem damaligen Vorsitzenden der KP der Schweiz, die Adresse von zwei dort in Südfrankreich internierten deutschen Kommunistinnen, Maria Weiterer und Hilda Maddalena, erhalten, hatte mit denen den Kontakt aufgenommen und durch sie die Lebensgefährtin und spätere Frau Paul Merkers, Grete Menzel, und Henny Stibi als Mitarbeiterinnen für seine USC-Filiale in Marseille gewinnen können. Kießling: „Die Arbeit von Henny Stibi und Grete Merker für das USC <<brachte es mit sich>>, dass Field auch deren Männer kennenlernte.” Welch ein Glück für ihn! Denn Merker war der wichtigste Mann der Leitung der KPD in Marseille. Er, Paul Bertz und Franz Dahlem hatten bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges zum Auslandssekretariat der KPD, das damals seinen Sitz in Paris hatte, gehört. Mit dem Vorsitzenden der KP der Schweiz, Hofmaier, war er ja schon länger gut bekannt; nun hatte er auch eine persönliche Beziehung zum Leiter der KPD in Frankreich geknüpft, die sich bald zu einem Verhältnis unbegrenzten Vertrauens Merkers zu Field entwickelte. Um aber seine Aufgabe auch unter den in der Schweiz lebenden Kommunisten leisten zu können, fehlte ihm noch der persönliche Kontakt zum Leiter der KPD-Organisation in der Schweiz. Paul Merker half ihm dabei, die persönliche Bekanntschaft mit Paul Bertz herzustellen. In Kießlings Darstellung war es allerdings nicht Merker, der Field half, sondern umgekehrt Field, der selbstlos sich bereit erklärte, Merker zu helfen, die fehlende Verbindung aus Marseille zu Bertz in der Schweiz herzustellen.. Bei Kießling liest sich das so: „Mit Bertz waren politische Probleme zu besprechen und Kaderfragen zu klären. Nur einer kam als Mittelsmann in Frage. Und dieser eine war Noel Haviland Field. Der Amerikaner reagierte auf Merkers Bitte im ersten Moment vor allem praktisch. Er sah eine gute Gelegenheit, diesmal nicht als Leiter des Marseiller USC, sondern als inoffizieller Vertreter des Barsky-Komitees in Europa tätig zu werden und illegalen deutschen Antifaschisten, die in ihr Heimatland hinüberwirken, Geld für ihren Lebensunterhalt zu geben. Als er hörte, der Weg zu Bertz fuhren nur über Leo Bauer, der unter einem französischen Namen an einem nicht bekannten Ort in Genf lebe, aber Verbindung zu Leon Nicole in Genf habe, sah Field keine besondere Schwierigkeit, Merkers Wunsch zu erfüllen. Merker konnte ihm bedenkenlos diesen zu Bertz führenden Weg aufzeigen. Zwar kannte er Nicole nicht persönlich, aber Hofmaier hatte ihn in seinem Brief an Merker als einen Mann genannt, der sich für Field verbürge. Leon Nicole, seit Jahrzehnten ein bekannter sozialdemokratischer Politiker der französischen Schweiz und Mitte der dreißiger Jahre Präsident des Staatsrates im Kanton Genf, wurde 1939 wegen seiner zunehmenden Annäherung an die Kommunisten aus der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz ausgeschlossen. Nach der 1940 durch den Bundesrat erzwungenen Auflösung der Schweizer KP gründete Nicole mit Linkssozialisten und Kommunisten die inzwischen, im Mai 1941, verbotene Föderation Socialiste Suisse. Nicole wiederzusehen reizte Field zusätzlich. Bedenken hatte er, als ihm Merker den von seinem Wesen her nicht leicht zugänglichen Paul Bertz beschrieb. Vorausgesetzt, Bertz ist überhaupt bereit, sich mit Field zu treffen, müsse er zunächst dessen Misstrauen jedem Fremden gegenüber abbauen. Gelingt es ihm, das Vertrauen von Paul Bertz zu gewinnen, werde er einen zuverlässigen Partner und auch einen liebenswerten Menschen kennenlernen. Merker habe mit ihm immer gut zusammengearbeitet. Er hoffe, Field werde schon dadurch Zugang zu Bertz finden, dass er ihm sage, er käme im Auftrag von Merker und Willi Kreikemeyer.. ” (S.60). Merker hatte also Field gründlich auf die Begegnung mit dem schwierigen und misstrauischen Bertz vorbereitet, was Field sehr half, den Zugang zu Bertz zu finden.

Das hatte aber Kießling anscheinend schon vergessen, als er folgende überschwängliche Eloge auf den feinfühligen Noel Field zu Papier brachte: „Die humanitären Leistungen des Unitarien Service Committee in Europa sind ohne Noel Haviland Field undenkbar. Sie waren geprägt von seiner Persönlichkeit, von seinem feinfühligen Umgang mit den Helfern aus vielen Nationen, von seinem Einfühlungsvermögen in unterschiedliche Mentalitäten. Er besaß die Gabe, sich hineinzudenken in die Lebensumstände der ihm anvertrauten Flüchtlinge. Die Liebe zum Mitmenschen, sein Verständnis für die Not derer, zu deren Betreuung er berufen war, entsprang seiner christlichen Motivation und hatte sich seit dem Spanienkrieg mit seiner antifaschistischen Überzeugung untrennbar verbunden… Die Erinnerungen derjenigen, die mit ihm zu tun hatten, bezeugen, dass er sich auf die unterschiedlichsten Menschen einzustellen und auf sie einzugehen vermochte. Völlig problemlos hatte er den Zugang zu dem von anderen als äußerst schwierig beschriebenen Paul Bertz gefunden. “. (S.77. Unterstreichung von mir, K.G.). Doch weiter in Kießlings Bericht:

„<<Wir haben dann>>, berichtete Merker, <<alle Fragen durchgesprochen, die er mit Bertz klären sollte. Field notierte sich Stichworte in einer für andere unleserlichen Schrift. An Hand seiner Merkworte wiederholte er alles. Das war notwendig, um auch nichts in Nuancen zu verändern….>>

Mit Fields Versprechen, er werde alles versuchen, Merkers Wunsch zu erfüllen, waren beide im September 1941 in Marseille auseinandergegangen… In Genf suchte Field unverzüglich Leon Nicole auf. Dieser hatte keine Ahnung von einem Leo Bauer. Doch Nicols Sohn Pierre sagte, er könne vielleicht helfen. Die Erklärung, er käme im Auftrag von Freunden aus Marseille und habe Grüße zu bestellen, genüge nicht. Field müsse ihm Fakten nennen, die ihn als Emissär glaubhaft machen. Daraufhin erhielt Pierre exakte, obwohl unverbindliche Angaben und begab sich… zur Wohnung des Bankangestellten Paul-Eric Perret alias Leo Bauer. Nachdem dieser vernommen hatte, was ihm Pierre von Field. zu sagen wusste, schrieb er, es war Montag der 29. September, mit Geheimtinte einen Brief… (an Bertz, K.G.). Leo Bauer schickte den Brief an Arthur (Paul Fels) in Basel. Nur dieser kannte das Haus, in dem Paul Bertz wohnte. .. Paul Bertz war einverstanden, sich mit Field zu treffen… am Montag, dem 6. oder am Dienstag, dem 7. Oktober begegneten sich Field und Bertz erstmals. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass sie irgendwelche Schwierigkeiten hatten, sich zu verständigen, denn von nun an trafen sie sich in kürzeren oder längeren Abständen dreieinhalb Jahre lang, bis Bertz 1945 nach Deutschland zurückkehrte.” (S.59-62).

Das war aber noch nicht alles. Kießling berichtet auch: „Einst hatte Field den Kontakt zwischen Merker in Marseille und Bertz in Basel hergestellt. Nunmehr half er, die Verbindungen der deutschen Kommunisten innerhalb der Schweiz zu knüpfen: Zwischen dem Illegalen Paul Bertz, den legal lebenden Schauspielern und ihrem Umfeld in Zürich und der Mehrheit der KPD-Genossen, die 1943 im Sonderlager für `Linksextremisten` in Gordola nördlich von Locarno interniert waren und mit Hans Teubner, Bruno Fuhrmann und Fritz Sperling die engere Leitung bildeten.”

Diese Rolle Fields als Mittelsmann von Merker und Bertz wird in der Erklärung des ZK der SED vom August 1950 wie folgt gewertet: „Field hatte sich inzwischen durch seine Unterstützungszahlungen eine große Vertrauensbasis in der deutschen Emigration geschaffen. Im Herbst 1941 war er bereits so tief eingedrungen, dass die deutsche Emigrationsleitung in der Schweiz ihn als Kurier nach Südfrankreich verwandte. Der inzwischen verstorbene frühere Reichtagsabgeordnete Paul Bertz und der jetzt als langjähriger amerikanischer Agent entlarvte Leo Bauer diktierten Field parteiinterne Angelegenheiten zur Übermittlung an Paul Merker. Letzterer bediente sich ab Januar 1942 im Einverständnis mit Lex Ende und Maria Weiterer des gleichen Weges. Er übergab Field eine Einschätzung der Lage mit Anweisungen, ‘wie man sich dementsprechend einstellen müsse’. Merker ermächtigte Paul Bertz ausdrücklich, parteiinterne Mitteilungen über Field zu geben. Von nun an wurden in der Schweiz alle internen Fragen durch den Agenten Leo Bauer an Field gegeben, während Willi Kreikemeyer dieselbe Aufgabe in Marseille erfüllte. “ (Matern,S.79/80). Man wird in der Geschichte der Kommunistischen Parteien in der Zeit bis 1945 wohl kaum ein weiteres Beispiel dafür finden, dass führende Genossen einer Person, von der bekannt war, dass sie mit dem imperialistischen Geheimdienst zusammenarbeitet, freiwillig einen vollen Einblick in die Interna der Parteiarbeit gewährten und ihm erlaubten, ein Verbindungsnetz in der Parteiorganisation aufzubauen, dessen Fäden in seiner Hand lagen.

V. Field als Propagandist und Verbreiter der „Browdwer-Ideen”

Am Schluss des Abschnitts 2 kam ich als Ergebnis der Kennzeichnung der Konzeption Browders durch Kießling als bewusste und gewollte Gegenkonzeption gegen den Marxismus-Leninismus zu der Feststellung, der Browderismus sei die amerikanische Urform des „modernen Revisionismus”, – also des Revisionismus in der Kommunistischen Bewegung. Und ich stellte die Frage: wie und von wem ist der Browderismus über den großen Teich in die europäischen Kommunistischen Parteien eingeschleust worden?

Nun endlich kann die Antwort daraufgegebene werden: Auch dies war das Werk Noel Fields. Diese Seite seiner „Hilfstätigkeit” enthüllt deren wirklichen Charakter am deutlichsten. Mit ihr erzielte er die verhängnisvollsten und nachhaltigsten, bis in die Gegenwart und darüber hinaus reichenden Wirkungen. Lassen wir auch dazu unseren Kronzeugen Kießling sprechen. Folgt man ihm, dann hat Browder Field zum Kommunisten gemacht:

„Es ist fraglich, ob Noel Field ohne den ideellen, den weltanschaulichen Einfluss Earl Russel Browders (1891-1973) und die Bekanntschaft mit ihm zum überzeugten Kommunisten geworden wäre. Der um fünfzehn Jahre ältere und seit 1929 unangefochten amtierende Generalsekretär der KPUSA war ihm Vorbild und Beispiel als pragmatischer Politiker und theoretischer Denker. Er bewunderte ihn als glänzenden Essayisten und brillanten Verfechter seiner Auffassungen..” (S.96).

„Anfang 1943 erhielt Field über die Gesandtschaft in Bern Browders neueste Publikation, das Buch , Victory and After’ (Der Sieg und nach dem Sieg). …Browder schrieb: ‘Dieser Krieg ist nicht ,für oder gegen den Kommunismus’…, deshalb wird auch nicht der Kommunismus gewinnen, sondern das Recht jeder Nation auf Selbstbestimmung, das heißt: gewinnen wird die Demokratie.’ Das Ziel der Alliierten sei die nationale Freiheit der Völker. Daraus folgt, dass alles der Aufgabe, den Krieg zu gewinnen, untergeordnet werden muss. Browder erklärte, dass die amerikanischen Kommunisten aus diesem Grunde die Sozialismuspropaganda für die Dauer des Krieges zurückgestellt haben. Ein Jahr später kam er zu dem Schluss, auch nach dem Krieg stehe die Forderung nach einer sozialistischen Umgestaltung der amerikanischen Gesellschaft nicht auf der Tagesordnung. Die KPUSA, die ‚einzige Partei des Sozialismus in diesem Lande’, müsse ihre Programmatik an den nationalen Realitäten messen. Und diese besagen, die überwiegende Mehrheit des amerikanischen Volkes wünscht keine grundlegende Veränderung der Gesellschaft, man könne auch sagen, ,dass das amerikanische Volk subjektiv sehr schlecht für eine tiefgehenden Veränderung in Richtung auf den Sozialismus vorbereitet ist.; dass Nachkriegspläne mit einem derartigen Ziel die Nation nicht einigen, sondern sie noch weiter spalten würden. Und sie würden gerade das demokratische und fortschrittliche Lager weiter zersplittern und schwächen, während sie die reaktionären Kräfte im Lande einigen und stärken würden.’ Browder meinte, ,für die vereinigten Staaten ist die Perspektive der Nachkriegszeit nicht eine Perspektive des Sozialismus, sondern des Wiederaufbaus auf einer kapitalistischen Basis.'” (S.98/99).

Diese Ausführungen Browders unterstreichen noch einmal, dass die US-Justizbehörden guten Grund hatten, Browder in der Gewissheit aus dem Gefängnis zu entlassen, das läge “im Interesse der Einheit der nationalen Front.”

Browders Argumentation ist im übrigen ein Musterbeispiel dafür, dass für Revisionisten die Zeit für den Sozialismus nie reif ist: in einem kapitalistisch schwach entwickelten Land kommt eine sozialistische Revolution „zu früh”, „weil die objektiven Bedingungen für den Sozialismus noch nicht reif sind”; aber in einem kapitalistisch hoch entwickelten Land kommt sie auch „zu früh”, „weil die überwiegende Mehrheit auf den Sozialismus sehr schlecht vorbereitet ist.” (Diese Zwischenbemerkung zum Nachdenken für alle, die dazu neigen, jenen recht zu geben, die erklären, die Sowjetunion sei nach 70 Jahren, in denen die sozialistische Gesellschaftsordnung das Land innerhalb von 20 Jahren zur politisch und wirtschaftlich zweitstärksten Macht der Erde werden ließ, daran zugrunde gegangen, dass 1917 Russland noch nicht reif gewesen sei zur sozialistischen Revolution und deshalb von Anfang an keine Überlebenschance gehabt habe!)

Doch zurück zu Field und Browder. Folgen wir weiter Kießling: „Nachdem Noel Field den Wortlaut der Rede Earl Browders und die dazugehörigen Kommentare und Erläuterungen in der theoretischen Zeitschrift ,New Masses’ erhalten hatte, zeigte er sich bei einer Begegnung mit Bruno Goldhammer besonders von den wirtschaftspolitischen Aspekten, wie sie sich später im Marshallplan, den die Sowjetunion für sich und ihren Einflussbereich radikal ablehnte, wiederfanden, beeindruckt…

Die breite und dennoch viele Themen ausklammernde Wiedergabe der Browderschen Gedankengänge ist notwendig, um Noel Field besser kennenzulernen und zu verstehen. Wie die überwältigende Mehrheit der amerikanischen Kommunisten… stimmte ihnen Field zu. Dabei fiel besonders ins Gewicht, dass er für sie in Europa eintrat und sie in der Schweiz und damit auch unter den kommunistischen Emigranten aus mehreren Ländern verbreiten half. (Hervorhebung von mir, K. G.) Mit der Leitung der Partei der Arbeit der Schweiz kam er überein, Browders Rede vom 10. Januar 1944 und ergänzende Materialien aus , New Masses’ zu übersetzen und ihren Druck finanziell zu unterstützen.. Die 68 Seiten umfassende Schrift von E.R. Browder ,Krieg oder Frieden?’, erschien, herausgegeben von der Partei der Arbeit, (in Wirklichkeit von Field und Allan Dulles!, K.G.), Zürich-Wiphingen, 1944 in einer deutschen und einer französischen Ausgabe. ” (S. 102/103).

In einem Nachwort der Partei der Arbeit wird versucht, den Bruch Browders mit den Grundsätzen der kommunistischen Bewegung zu vertuschen, indem gesagt wurde, die Orientierung, die Browder gäbe, enthalte „nichts grundsätzlich Neues” (S. 103). Doch weiter im Kießling-Text:

„Browders Schrift wurde von den deutschen Internierten ebenso lebhaft diskutiert wie von den Kommunisten am Züricher Schauspielhaus und denen in der Illegalität. Die meisten der von Browder aufgeworfenen Fragen stellten sich ihnen auch, jetzt und in naher Zukunft, wenn sie ihren Platz wieder in Deutschland einnehmen würden. Hans Teubner, Bruno Goldhammer, Ernst Eichelsdörfer, Fritz Sperling, Walter Fisch, Leo Bauer und andere fanden besonders gut, dass Earl Browder vorausschauend neue Entwicklungsprobleme erkannte und Lösungsvorschläge machte, die ihn als klugen Marxisten auswiesen. ” (S. 104). Kießling sagt, womit er durchaus recht hat, dass Browders Ansichten eine „Absage an die marxistisch-leninistische Partei neuen Typus war.”

Da aber genau dies auch die Einschätzung des ZK der SED war und der Vorwurf gegen Merker, Teubner und die anderen Genossen gerade der war, dass sie Browders Ansichten zugestimmt hätten, wogegen sie sich der ZPKK gegenüber damit verteidigten, sie hätten das damals nicht durchschaut, sieht sich Kießling einer Schwierigkeit gegenüber: er will mit seinem Buch doch beweisen, dass die Vorwürfe und Beschuldigungen gegen Field und gegen die mit ihm verbundenen Genossen jeglicher Grundlage entbehrten; dass diese Vorwürfe nur stalinistische Erfindungen waren. Diese seine Kernthese würde er aber selbst ad absurdum führen, würde er diese Genossen für ihre Zustimmung zu Browders „Absage an die marxistisch-leninistische Partei neuen Typs” loben und damit bestätigen, dass die Vorwürfe der ZPKK nicht aus der Luft gegriffen waren, sondern zutrafen. Also lesen wir bei ihm, sie, diese Genossen, „durchschauten aus der geographischen Ferne kaum, dass es die Absage… an die marxistisch-leninistische Partei neuen Typus war”. Aber Kießlings weitere Ausführungen bezeugen, dass dem keineswegs so war:

„Bemerkenswert, aber nicht verwunderlich ist, dass Hans Teubner in seinem 1975 in der DDR erschienen Buch über das kommunistische Exil in der Schweiz weder die Diskussionen über Earl Browders Konzeptionen noch überhaupt den Namen des Amerikaners erwähnt. Selbst Karl Hans Bergmann, der als Kommunist sicherlich an den Gesprächen über Browder teilgenommen hatte oder zumindest den hohen Stellenwert Browders in der Schweiz kannte, schwieg sich in seinem 1974 in der BRD erschienenen Buch über das Schweizer Exil von 1943 bis 1945 darüber aus. Nur von Paul Bertz ist bekannt, dass er Vorbehalte gegen Browders Konzept hatte….Als Bertz vierzehn Tage nach dem Rajk-Prozess vom September 1949 Hermann Matern gegenüber seine Kontakte zu Field erklären musste, stellte er sich, obwohl er nicht wissen konnte, was Field selbst ausgesagt hatte, auch in der Frage Earl Browder schützend vor ihn: ,Bei allgemeinen politischen Unterhaltungen stand F(ield). immer positiv zur Sowjetunion. Und als Browder seine bekannte Rede hielt,… verurteilte F,. nach kurzen Schwankungen Browders Theorie. “

Dass dies eine Lüge war, stellt Kießling mit den sofort anschließenden Zeilen klar: „Tatsächlich hatte Field nicht nur den Druck der Browderschen Broschüre veranlasst, sondern viele Gelegenheiten genutzt, darüber zu sprechen. Die junge Schweizer Kommunistin Rosemarie Muggli, die später den deutschen Emigranten Walter Trautzsch heiratete und hier Mitglied der SED wurde, war im Sommer 1944 wegen ihrer Bewerbung um Teilnahme an einem vom USC mitgetragenen Sozialkurs in Fields Wohnung bestellt worden. Daran erinnerte sie sich, als sie 1950 von der ZPKK der SED vernommen wurde. Nachdem sie damals, 1944, ihr Schreiben bei Field abgegeben hatte, ,wurde ich gefragt, ob ich die Rede Browders kenne. Ich sagte, ich hätte davon gehört, sie aber noch nicht gelesen, worauf Field erwiderte, sie sei hoch interessant und wirklich lesenswert.’ Wenig später, während dieses Lehrganges von Schweizern und Emigranten, an dem nicht nur Kommunisten teilnahmen, ,wurde viel vom Geist von Teheran gesprochen. Unsere Gruppe diskutierte eingehend die Rede Browders. Sie stieß nicht auf Ablehnung….Meine Einwendungen gegen Browders Politik waren nur schwach und dahingehend, dass eine kommunistische Partei doch etwas ganz anderes bedeute als nur eine kommunistische Vereinigung und dass eine KP doch wohl auch wirksamer gegen den Faschismus kämpfen könne als ein Verein. Als aber die Schweizer Partei die gleiche Stellung zur Browderrede einnahm wie die Genossen im Schulungskurs sie vertraten, nahm ich diese Argumentation auch an..’ (S. 104-106).

Über Teubners Stellung zu Browder schreibt Kießling an anderer Stelle (S.231/32): „Teubner, in Brissago von anderen Arbeiten befreit, verfasste politische Analysen, schrieb Material für die sich in Zürich herausbildende Bewegung Freies Deutschland in der Schweiz und Flugblätter für die illegale Arbeit in Süddeutschland. 1944 überwarf er sich mit Paul Bertz wegen einer spektakulären Rede des Vorsitzenden der KP der USA, Earl Browder…. Teubner pries in einem Brief vom 6. August 1944 an die Genossen in Brassecourt ,die Wichtigkeit der Rede Browders.’ Er habe in Locarno Freunde getroffen, … die ihm berichteten: ,Helm (Deckname für Bertz) führt eine wüste Hetze gegen die Browder-Rede und erklärt, für Browder stünden nur aus der Gemeinschaft (der kommunistischen Parteien) Ausgeschlossene ein. Ich habe dessen ungeachtet den Freunden eingeschenkt, dass sie ‘s H. ordentlich geben könnten.’ Bertz nannte Teubners Position opportunistisch und reformistisch und verwahrte sich gegen den Versuch, ‚ auch mich auf diesen Unsinn festzulegen.’

Mit dieser Meinung stand Bertz aber ziemlich alleine. Merker, Teubner, Bauer und die meisten anderen deutschen Genossen der schweizer Emigration waren mit Field Anhänger und Verbreiter der Browder-Ideen. Kießling weiß zu berichten: Als Field Paul Merker im Dezember 1945 in Mexiko besuchte, „bedauerten Merker und Field, dass die Kommunisten der USA von dem von Earl Browder vorgezeichneten nationalen Weg abgebracht wurden.” (S.127).

Diese Bemerkung bezog sich darauf, dass der Kampf der amerikanischen Kommunisten unter Führung William Fosters um die Wiederherstellung der kommunistischen Partei der USA am 20. Mai 1945 dazu geführt hatte, dass Browder als Generalsekretär der Communist Political Association abgesetzt, diese Organisation Ende Juli 1945 aufgelöst, die KP der USA neu konstituiert und Foster wieder zu ihrem Vorsitzenden gewählt wurde.

Zum „nationalen Weg” des Earl Browder gehörte auch, wie wir oben sahen, die Idee des „Wiederaufbaus des zerstörten Europa und der Sowjetunion mit amerikanischer Finanzhilfe”, also das, was dann als „Marshallplan” von den USA lanciert wurde. Dessen Ablehnung wurde nicht nur von den deutschen Field- und Browder-Freunden heftig missbilligt. Leo Bauer veröffentlichte 1956 einen Erinnerungsartikel, in dem er sich und seine tschechischen Gesinnungsgenossen als Anhänger dieser ursprünglichen Browder-Idee und zugleich als Tito-Freunde vorstellte: „Im Sommer 1948 hatte ich anlässlich eines Aufenthaltes in Prag die Gelegenheit, mit einigen jener Männer zu sprechen, die später … den Tod am Galgen fanden. Slansky selbst, Clementis, André Simone und andere erzählten mir über die Ereignisse des Jahres 1947, als die Tschechoslowakei sich für den Marshall-Plan aussprach und nur unter dem Druck von Moskau die bereits ausgesprochene Zustimmung zurückziehen musste … Was mir Slansky, Clementis und andere sagten, war mir nicht fremd. Aus ihren Worten sprach die große Unzufriedenheit mit dieser Entwicklung. Denn die Gespräche fanden nach dem Bruch des Kominform mit Tito statt”. (S.142).

Das ist ein Hinweis darauf, dass die Sympathisanten der Browder-Ideen auch Sympathisanten der Tito-Ideen waren Und das ist im Grunde selbstverständlich, da Tito und die jugoslawischen Revisionisten ihre Ideen nicht selbst erfunden, sondern von Browder und Field übernommen haben. Tibor Szönyi – wir haben ihn schon als einen Arzt Dr. Hoffmann an der Züricher Charité kennengelernt, dem Noel Field Bruno Goldhammer als Patienten zuführte –, deckte im Rajk-Prozess auch die Verbindungen von Allan Dulles und Field zur Tito-Gruppierung auf.15 Aus seiner ausführlichen Schilderung sei nur das Folgende zitiert:

„Weitere Mithelfer und unmittelbare Mitarbeiter des Allan Dulles …waren die jugoslawischen Spione. Namentlich war Mischa Lompar, der damals in Zürich offiziell als Leiter der dortigen jugoslawischen Emigrantengruppe figurierte, in Wirklichkeit schon damals amerikanischer Spion und direkter Mithelfer Dulles’. Später wurde Mischa Lompar Generalkonsul in Zürich, also Berufsdiplomat….Unter dem politischen Einfluss des Mischa Lompar, bei dem die Theorie des früheren Leiters der Amerikanischen Kommunistischen Partei, Browder, eine große Rolle spielte, wurden diese Ansichten im Auftrag der amerikanischen Geheimorgane von Lompar und Field in der Schweiz in französischer und deutscher Sprache in großer Auflage gedruckt und verbreitet.”

Es handelt sich dabei um die von der Partei der Arbeit herausgegebene Schrift, von der oben schon die Rede war und mit der Field dem „Browderismus” den Weg nach Europa bereitet hatte. Stellen wir noch einmal die Kernsätze Kießlings nebeneinander, mit denen er hervorhob, was er als ein besonderes Verdienst Fields hielt, was aber in Wahrheit stärker als alles übrige Kießling und seine krampfhaften Bemühungen widerlegt, uns Field als überzeugten Kommunisten und treuen Freund der Sowjetunion vorzuführen:

„Dabei fiel besonders ins Gewicht, dass er (Field) für sie (die Browderschen Gedankengänge) in Europa eintrat und sie in der Schweiz und damit auch unter den kommunistischen Emigranten aus mehreren Ländern verbreiten half”.(S.103). Und: „Noch ehe die sowjetische Nachkriegspolitik in ihrem europäischen Einflussbereich in Aktion trat, lag mit Browders Programmatik ein kommunistischer (?!K.G.) Gegenentwurf vor. Und Noel H.Field war derjenige, der ihn kolportiert hatte.” (S.104)

Berücksichtigen wir die Beurteilung des „Browderismus” durch solch hervorragende Führer der kommunistischen Bewegung, wie William Foster und Jaques Duclos, sowie das, was uns Kießling selbst als den wesentlichen Inhalt der Browder-Ideen vorgeführt hat, dann kann man als Kommunist zu keinem anderen Ergebnis kommen als zu dem: Diese von Kießling so positiv bewertete „Leistung” des Noel Field bestätigt die Auffassung derer, die in Field einen besonders fähigen und dadurch besonders gefährlichen V-Mann des Allan Dulles sahen und es daher für notwendig hielten, dementsprechende Maßnahmen zum Schutze der jungen antifaschistisch-demokratischen bzw. sozialistischen Staatswesen und der in ihnen führenden kommunistischen und Arbeiterparteien zu ergreifen.

Das „Verdienst” Fields, den „Browderismus”, diese Urform des „modernen Revisionismus”, in die kommunistischen Bewegung in Europa implantiert zu haben, ist in ihren Auswirkungen so weittragend, dass Noel Field nach Browder und zusammen mit Tito, Chruschtschow und Gorbatschow ein „Ehrenplatz” in der Galerie der verdienstvollsten Köpfe von Führern der von den imperialistischen Geheimdiensten gesteuerten Fünften Kolonnen im kommunistischen Lager gebührt.

Was sich aus dieser Einschleusung des Browderismus in die europäische kommunistische Bewegung an Folgen ergab, unterstreicht die Berechtigung und Notwendigkeit der Warnung Dimitroffs, mit der wir diesen Teil IV einleiteten. Mit Betrachtungen zu diesen Folgen wird sich der nun folgende und letzte Abschnitt beschäftigen.

VI. Zum Anteil des Revisionismus an der Niederlage des Sozialismus in Europa

1. Hat der Revisionismus überhaupt etwas mit der Niederlage des Sozialismus zu tun?

Schon Marx und Engels, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht bekämpften den Revisionismus als eine bürgerliche Ideologie der Sozialismus-Verhinderung, und die Kommunistischen und Arbeiterparteien charakterisierten den Revisionismus auf ihren Internationalen Konferenzen als eine Agentur der Bourgeoisie zur Sozialismus-Liquidierung.

Selbst in den Erklärungen der Beratungen von 1957 und 1960, die – als Kompromissprodukte des erbitterten Kampfes der Marxisten-Leninisten mit den Vertretern der KP Chinas an der Spitze gegen die Revisionisten mit Chruschtschow als deren Hauptvertreter – ein Gemisch von marxistisch-leninistischen und revisionistischen Aussagen darstellen, wird festgestellt:

„Die Beratung betont die Notwendigkeit, Revisionismus und Dogmatismus in den Reihen der kommunistischen und Arbeiterparteien entschlossen zu überwinden. … Während die kommunistischen Parteien den Dogmatismus verurteilen, sehen sie unter den gegenwärtigen Umständen die Hauptgefahr im Revisionismus oder mit anderen Worten im rechten Opportunismus als einer Ausdrucksform der bürgerlichen Ideologie, die die revolutionäre Energie der Arbeiterklasse lähmt und die Erhaltung oder Restauration des Kapitalismus fordert”.

Zur Abschwächung dieser Konzentration des Feuers auf den Revisionismus als der aktuellen Hauptgefahr setzten die Revisionisten – das Trio Chruschtschow, Gomulka, Kadar als deren Hauptvertreter – als nächsten Satz folgende Ergänzung durch: „Jedoch können auch Dogmatismus und Sektierertum in bestimmten Entwicklungsphasen einzelner Parteien die Hauptgefahr darstellen. Jede kommunistische Partei entscheidet, welche Gefahr für sie im gegebenen Zeitpunkt die Hauptgefahr ist.”

Den Marxisten-Leninisten gelang es allerdings wiederum, einen Katalog der wichtigsten Merkmale und Zielsetzungen des modernen Revisionismus in das Dokument zu bringen:

„Der moderne Revisionismus ist bemüht, die große Lehre des Marxismus-Leninismus in Verruf zu bringen, er erklärt sie für ‚veraltet’, behauptet, sie habe heute ihre Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung verloren. Die Revisionisten sind bestrebt, die revolutionäre Seele des Marxismus auszumerzen und den Glauben der Arbeiterklasse und des schaffenden Volkes an den Sozialismus zu erschüttern. Sie wenden sich gegen die historische Notwendigkeit der proletarischen Revolution und der Diktatur des Proletariats beim Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus, sie leugnen die führende Rolle der marxistisch-leninistischen Partei, sie lehnen die Prinzipien des proletarischen Internationalismus ab, sie fordern Verzicht auf die grundlegenden Leninschen Prinzipien des Parteiaufbaus und vor allem auf den demokratischen Zentralismus, sie fordern, dass die kommunistische Partei aus einer revolutionären Kampforganisation in eine Art Diskutierklub verwandelt wird.”16

Es gelang jedoch nicht, die Träger des Revisionismus aus der Anonymität herauszuholen und sie im Dokument mit Namen und Adresse zu nennen; kein Wunder, hätte dann doch gleich nach dem Namen „Tito” der Name „Chruschtschow” stehen müssen.

Die Erklärung der Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien vom November 1960 trägt den gleichen zweideutigen Kompromisscharakter wie jene von 1957.Einerseits wird die Gefahr des Revisionismus bagatellisiert, indem in völligem Widerspruch zur Realität behauptet wird: „Die kommunistischen Parteien haben die Revisionisten in ihren Reihen, die sie vom marxistisch-leninistischen Weg abzubringen versuchten, ideologisch zerschlagen. Im Kampf gegen den Revisionismus haben sich die einzelnen kommunistischen Parteien wie die kommunistische Weltbewegung in ihrer Gesamtheit ideologisch und organisatorisch noch mehr gefestigt.”

Dann jedoch erfolgt – was 1957 Chruschtschow noch zu verhindern gelang – eine scharfe Kennzeichnung und Verurteilung des Revisionismus der Tito-Partei, (womit jedoch – da nur sie genannt wurde – zugleich alle anderen und vor allem der gefährlichste Revisionist, Chruschtschow selbst -, bestätigt bekamen, einwandfreie Marxisten-Leninisten zu sein):

„Die kommunistischen Parteien haben die jugoslawische Spielart des internationalen Opportunismus, die einen konzentrierten Ausdruck der ‚Theorien’ der modernen Revisionisten darstellt, einmütig verurteilt. Die Führer des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens, die den Marxismus-Leninismus verrieten, indem sie ihn für veraltet erklärten, haben der Erklärung von 1957 ihr antileninistisches revisionistisches Programm entgegengestellt. Sie haben den BdKJ der gesamten kommunistischen Weltbewegung entgegengestellt, ihr Land vom sozialistischen Lager losgerissen, es von der sogenannten Hilfe der amerikanischen und anderen Imperialisten abhängig gemacht und damit die Gefahr heraufbeschworen, dass das jugoslawische Volk seiner im heroischen Kampf erzielten revolutionären Errungenschaften verlustig geht. Die jugoslawischen Revisionisten betreiben eine Wühlarbeit gegen das sozialistische Lager und die kommunistische Weltbewegung. Unter dem Vorwand einer blockfreien Politik entfalten sie eine Tätigkeit, die der Einheit aller friedliebenden Kräfte und Staaten Abbruch tut. Die weitere Entlarvung der Führer der jugoslawischen Revisionisten und der aktive Kampf dafür, die kommunistische Bewegung wie auch die Arbeiterbewegung gegen die antileninistischen Ideen der jugoslawischen Revisionisten abzuschirmen, ist nach wie vor eine unerlässliche Aufgabe der marxistisch-leninistischen Parteien….Die Interessen der weiteren Entwicklung der kommunistischen und Arbeiterbewegung erfordern auch in Zukunft, wie es in der Erklärung der Moskauer Erklärung von 1957 heißt, einen entschiedenen Zweifrontenkampf: gegen den Revisionismus, der die Hauptgefahr bleibt, und gegen den Dogmatismus und das Sektierertum.

Indem der Revisionismus, der Rechtsopportunismus den Marxismus-Leninismusentstellt und ihn seines revolutionären Geistes beraubt, widerspiegelt er die bürgerliche Ideologie in Theorie und Praxis, lähmt er den revolutionären Willen der Arbeiterklasse, entwaffnet und demobilisiert er die Arbeiter, die Massen der Werktätigen im Kampf gegen das Joch der Imperialisten und Ausbeuter, im Kampf für Frieden, Demokratie, nationale Befreiung und den Triumph des Sozialismus.”17

So treffend diese Charakteristik auch war: ihr Pferdefuß zeigte sich darin, dass alle anderen von Revisionisten geführten Parteien und deren Führer – an ihrer Spitze Chruschtschow – ungenannt

blieben und damit die Möglichkeit erhielten, die jetzt zu recht gebrandmarkte Tito-Partei samt ihrem Chef wieder – wie schon 1955 – als „teurer Genosse Tito!” wieder in die Festung hereinzuholen und dann den Spieß gegen seine Ankläger zu richten – wie es ja dann auch wenig später geschah. Dennoch habe Ich diese Passagen aus zwei Gründen so ausführlich zitiert:

Erstens bringen sie eindeutig die marxistische Erkenntnis zum Ausdruck, dass eine revisionistische Politik zum Untergang des Sozialismus, zur Restauration des Kapitalismus führt.

Zweitens lässt die Aufzählung der Merkmale revisionistischer Politik –

– den Marxismus-Leninismus für veraltet erklären

– die revolutionäre Seele des Marxismus ausmerzen,

– die Überzeugung der Werktätigen an die Richtigkeit des Sozialismus erschüttern,

– Leugnung der Notwendigkeit der proletarischen Revolution

– Leugnung der Diktatur des Proletariats

– Leugnung und Verneinung der führenden Rolle der marxistisch-leninistischen Partei,

– Ablehnung der Prinzipien des proletarischen Internationalismus,

– Verzicht auf die grundlegenden Leninschen Prinzipien des Parteiaufbaus, besonders auf den demokratischen Zentralismus,

– Verwandlung der kommunistischen Partei aus einer revolutionären Kampforganisation in eine Art Diskutierklub –

keinen Zweifel daran, dass die Politik nicht nur Titos, sondern auch Chruschtschows, Gomulkas und Kadars revisionistisch war, also zur Liquidierung des Sozialismus führen musste, falls ihr nicht Einhalt geboten wurde. Das geschah jedoch nicht, sondern sie wurde fortgeführt und durch Gorbatschow zur Vollendung, also zur völligen Liquidierung des Sozialismus in der Sowjetunion und in den europäischen sozialistischen Staaten geführt.

In diesen Erklärungen ist die Antwort auf die Frage enthalten nach den Ursachen für die Niederlage des Sozialismus in Europa gegen Ende des Jahrhunderts, von dem wir erwarteten und erhofften, es würde das Jahrhundert des nicht mehr rückgängig zu machenden Triumphes des Sozialismus werden, das Jahrhundert der endgültigen Befreiung der Mehrheit der Menschheit von der Herrschaft des Kapitals.

Diese Antwort lautet: Weil der Revisionismus – trotz der Warnungen der Beratungen der kommunistischen Parteien vor dem Revisionismus als der Hauptgefahr für den Bestand des Sozialismus – in der führenden Partei des sozialistischen Lagers, in der KPdSU, über den Marxismus-Leninismus siegte, konnte der Imperialismus über den Sozialismus in der Sowjetunion und Europa siegen.

So selbstverständlich die Feststellung, dass der Sozialismus nur auf dem Wege des wissenschaftlichen Sozialismus mit Erfolg aufgebaut werden kann, jedes Abweichen von diesem Wege aber den Sozialismus ruiniert, für jeden Marxisten auch sein müsste – sie ist es nicht.

Und leider gehören zu denen, die dieser Feststellung widersprechen und sie zu widerlegen suchen, auch so erprobte und geschulte Kommunisten, wie der im vorigen Jahr verstorbene Antifaschist, Spanienkämpfer und Hochschullehrer in Fragen des Marxismus-Leninismus, Genosse Fred Müller. In verschiedenen Artikeln und in zwei großen Sonderheften von „Offensiv” hat er – neben Vielem, dem ich nur aus vollem Herzen zustimmen konnte –, Thesen aufgestellt, über die ich mit ihm schon zu seinen Lebzeiten gestritten habe und über die ich meinen genossenschaftlichen Streit mit ihm weiter führen wollte. Sein Tod hat das verhindert.

Aber diese seine Thesen können nicht unwidersprochen bleiben, erstens, weil sie meiner Ansicht nach nicht Klärung, sondern Verwirrung bewirken, und zweitens, gerade weil sie von ihm kommen und also ernst genommen werden müssen.

Fred Müllers Erklärung lautet, kurz gesagt, so: Der Niedergang des Sozialismus ist nicht die Folge falscher Politik, sondern die Folge dessen, dass er infolge des Ausbleibens der Weltrevolution nicht nur die ganze Zeit über schwächer blieb als der Imperialismus, sondern nach dem Sieg der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg im Verhältnis zum Imperialismus sogar noch schwächer wurde als vor dem Kriege. Deshalb war sein Untergang unvermeidlich, denn über Sieg oder Niederlage entscheidet nur das Kräfteverhältnis, nicht die höhere gesellschaftliche Qualität. Bei Fred Müller liest sich das so: „Lenin hat zur Hauptfrage ‚wer – wen’ nie ein Hehl daraus gemacht, dass es der Stärkere sein wird, der sie zu seinen Gunsten entscheidet. …

Wenn eine real existierende sozialistische Gesellschaft nicht mehr die wirtschaftliche Potenz besitzt, um im internationalen Kräfteverhältnis die erforderliche politische und militärische Unabhängigkeit zu garantieren, ist sie dem Niedergang und schließlich der Niederlage ausgesetzt.

Das internationale Kräftemessen stand seit der Oktoberrevolution unerbittlich vom ersten Tage an für die beiden antagonistischen Systeme auf der Tagesordnung und wurde nicht dadurch entschieden, wer die historisch höhere Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern wer zur Aufrechterhaltung seiner Ordnung die dazu erforderliche Macht besaß!”18

Fred Müller hat mit diesen Sätzen Lenin kräftig missdeutet. Lenin sagte nirgends, dass im Kampfe „Wer-Wen?” gesetzmäßig der Stärkere siegen müsse. Wäre es so, brauchte man den Kampf erst gar nicht anzufangen. Denn jede neue Gesellschaftsordnung, die aus der alten hervorgeht, ist zunächst einmal für längere Zeit der schwächere Teil. Lenin sagte vielmehr, der Kampf ‚wer-wen’ werde in letzter Instanz durch die höhere Arbeitsproduktivität entschieden.

Müller hat nicht beachtet und nicht erwähnt, dass die Sowjetunion in den ersten drei Jahrzehnten ihrer Existenz aufgrund der höheren Arbeitsproduktivität der sozialistischen Planwirtschaft einen Großteil des Rückstandes Russlands aufgeholt hat und nach nur zwei Jahrzehnten, zu Beginn des Zweiten Weltkrieges, in der Liste der Industriemächte bereits den zweiten Platz hinter den USA einnahm und imstande war, nach deren Überfall auf die Sowjetunion die bis dahin größte und stärkste imperialistische Kriegsmaschine, die des deutschen Faschismus, zu zerschmettern.

Fred Müller registrierte zwar, dass dann in den fünfziger Jahren der „unaufhaltsame”, – wie er meint, – Niedergang begann. (S.28). Aber er nahm nicht Kenntnis davon, dass an die Stelle einer bisher vom wissenschaftlichen Sozialismus geleiteten Gesellschafts- und Wirtschafts- Politik in der Sowjetunion nach dem XX. Parteitag der KPdSU eine Politik beurieben wurde, die immer deutlicher jene oben aufgeführten Merkmale aufwies, die von der 1957er Beratung als Merkmale des modernen Revisionismus aufgelistet wurden. Es muss auffallen, dass in seinem Geschichtsbild die scharfe Auseinandersetzung mit dem Revisionismus in der Kommunistischen Bewegung nicht vorkommt. Selbst den Begriff des modernen Revisionismus wird man bei ihm vergeblich suchen. Statt dessen finden wir bei ihm dies: „Manche suchen die Gründe in der Entartung des Systems vor allem im Eindringen des ideologisch zersetzenden Einflusses des Klasssenfeindes. Des weiteren in dem politischen und fachlichen Unvermögen, den Fehlern und Verfehlungen, die sogar kriminellen Charakter annehmen konnten, der verantwortlichen Funktionäre…. Die fast ein Jahrhundert bestehende Sowjetunion hat unter Beweis gestellt, dass nicht irgendwelche Fehler und Verfehlungen ihre Existenz gefährdeten, sondern der Verlust der materiellen, besonders wirtschaftlichen Grundlagen zur Aufrechterhaltung des Systems.” (S.17)

Fred Müller bestreitet hier eine der unbestreitbaren marxistischen Erkentnisse: dass nämlich, da der Sozialismus eine Wissenschaft ist, auch der Aufbau der sozialistischen Ordnung nur erfolgreich sein kann, wenn er wissenschaftlich betrieben wird, dass also Sieg oder Niederlage nicht nur von objektiven Bedingungen, sondern natürlich auch davon abhängen, ob die Politik der führenden Partei den gesellschaftlichen Bedingungen entspricht und ob sie die ökonomischen Gesetze kennt und berücksichtigt.

Das alles gibt es bei Fred Müller aber nicht, und deshalb stellt er auch gar nicht erst die Frage, woher es denn wohl kommt, dass in der Sowjetunion auf einmal „das System entarten” konnte und „die materiellen, besonders wirtschaftlichen Grundlagen zur Aufrechterhaltung des Systems” verloren gingen. Denn er weiß ja mit Bestimmtheit, dass die Ursache dafür „nicht im subjektiven Handeln”, sondern darin liegt, dass „die Folgen des Krieges, den die Sowjetunion gegen den Faschismus geführt und gewonnen hatte, nicht nur die Befreiung der Völker des eigenen Landes und vieler Völker der Welt bedeutete, sondern auch den eigenen Niedergang und die Niederlage einleiteten und unvermeidbar machten.!” (S.28. Unterstreichung von mir, K.G.)

Wenn Fred Müllers Erklärung für den Untergang der Sowjetunion und der mit ihr verbündeten europäischen sozialistischen Staaten zutreffend wäre, dann wäre es nur durch ein Wunder zu erklären, dass das sozialistische Kuba auch 12 Jahre nach dem Verlust seines stärksten ökonomischen, politischen und militärischen Rückhaltes noch immer dem übermächtigen USA-Imperialismus standgehalten hat. Warum bloß hat er das nicht selbst gesehen, und uns statt dessen eine Erklärung vorgelegt, die einen Gorbatschow vom Vorwurf, zum Untergang der Sowjetunion aktiv beigetragen zu haben, freispricht, ihm vielmehr den Rang eines Vollstreckers des Urteils der Geschichte zuweist ?

Denn – so wieder Fred Müller: „Bedeutete denn die Erweiterung durch die Länder der Sozialistischen Staatengemeinschaft eine spürbare Verbesserung? Nein, im Gegenteil. Sie bedeutete neben den anderen internationalen Verpflichtungen eine zusätzliche schwere Belastung für die Sowjetunion.” (S.31).

Schließlich noch dieses Argument von Fred Müller: „Nur durch die siegreiche Weltrevolution ist der endgültige Sieg des Sozialismus gewährleistet. Weil diese Voraussetzung nicht vorhanden war, ist dies der Hauptgrund, dass die Bedingungen für die Entwicklung der Übermacht des Imperialismus so wirksam werden konnten, dass der Niedergang und die Niederlage des real existierenden Sozialismus nicht mehr verhindert werden konnten.” (S.17.)

Es muss verwundern, dass Fred Müller einerseits beklagt, dass „die siegreiche Weltrevolution” ausblieb und darin eine Ursache für die Unvermeidlichkeit des Niederganges und der Niederlage im Kampfe „Wer-Wen?” sah, andererseits aber die Ereignisse, die doch tatsächlich Glieder der sich in Etappen vollziehenden Weltrevolution waren, nämlich die Erweiterung des Machtbereiches des Sozialismus „durch die Länder der Sozialistischen Staatengemeinschaft”, ebenfalls zur Ursache für die Unvermeidlichkeit der Niederlage erklärte – wegen der „zusätzlichen schweren Belastung für die Sowjetunion”, die dazu geführt habe, den USA einen „großen, sehr schnell wachsenden wirtschaftlichen Vorsprung” zu verschaffen. (S.29).

Fred Müller kam nicht in den Sinn, dass es keine Stärkung, sondern eine Schwächung des Imperialismus bedeutet,

– wenn sein Macht- und Ausbeutungsbereich um die Hälfte Europas, um das nach der Sowjetunion größte und volkreichste Land der Erde, um China, um Nordkorea und Vietnam, verkleinert wurde; – wenn er in Korea und Vietnam militärische Niederlagen einstecken musste, weil sein Atomwaffenmonopol gebrochen wurde und der Sozialismus auf allen Kontinenten, Australien ausgenommen, Fuß gefasst hat;

– wenn damit dem an sich grenzenlosen Streben des Imperialismus nach Auspressung von Superprofiten aus allen anderen Ländern und Völkern Grenzen gesetzt wurden, weil ihnen das sozialistische Lager in ihrem Kampf um Unabhängigkeit und Abwehr der imperialistischen Erpressungsversuche Rückhalt bot!

All dies sieht Fred Müller nicht – statt dessen: eine Stärkung des Imperialismus durch die Schrumpfung seines Machtbereiches und eine Schwächung des Sozialismus durch die Ausdehnung seines Herrschaftsbereiches auf ein Drittel statt eines Sechstels des Erdballs!

Ich vermisste bei Fred Müller ferner, dass er bei seiner Suche nach den Ursachen für die Niederlage nicht wenigstens die Frage stellte, ob zur Schwächung des Sozialismus nicht doch auch die Spaltung des sozialistischen Lagers durch die feindliche Konfrontation der Sowjetunion gegen Volks-China beigetragen hat. Und ich frage mich, ob er diese Spaltung ebenfalls als unabhängig von der Politik nur als Folge der objektiven Gegebenheiten erklärt hätte.

Fred Müllers Postulat der Erklärung der Niederlage ausschließlich als Ergebnis objektiver Gegebenheiten kann von ihm selbst nicht durchgehalten werden: Wie wir sahen, erklärt er einerseits, nicht Fehler der sowjetischen Politiker hätten die Niederlage verursacht, sondern das Ausbleiben der Weltrevolution. Warum aber blieb sie aus? Wäre er konsequent gewesen, hätte er auch dafür objektive Gegebenheiten anführen müssen. Wie aber erklärte er ihr Ausbleiben tatsächlich? In einer Erwiderung auf Einwände von mir 19 gegen einige Punkte seiner Darlegung schrieb er: Der Verrat der Sozialdemokratie war ausschlaggebend, dass der Rote Oktober nicht in den Sieg der Weltrevolution überging.”20 (Unterstreichung von mir, K.G.)

Wenn aber der Verrat der Sozialdemokratie das Ausbleiben der Weltrevolution verursachen konnte, – warum sollte dann „der Verrat des Revisionismus” nicht das Ausbleiben des Sieges des Sozialismus bewirken können?

Lassen wir uns also nicht länger davon abhalten, den Anteil des Revisionismus an der Niederlage des Sozialismus näher zu betrachten. (Fortsetzung folgt)

Antwort auf die Frage: „Warum konnte der Revisionismus in der KPdSU über den Marxismus-Leninismus siegen?” – mit folgenden Unterpunkten: a) „Zum Problem von objektiven und subjektiven Ursachen”; b) „Gemeinsamkeiten und Unterschiede von „altem” und „modernem” Revisionismu;” c) „Der Imperialismus geschwächt, aber mit neuen Waffen ausgerüstet” – und die über diese Unterpunkte hinausgehende weitere Fortsetzung der Arbeit von Kurt Gossweiler im nächsten Heft! Die Red.

 

Kurt Gossweiler: Vor 60 Jahren IV: Warum konnte der Revisionismus siegen?

2. Warum konnte der Revisionismus in der KPdSU über den Marxismus-Leninismus siegen?

a) Zum Problem von objektiven und subjektiven Ursachen

Die Tatsache, dass es auch in der kommunistischen Bewegung opportunistisch und revisionistische Tendenzen, ja sogar Strömungen gibt, macht keine Erklärungsschwierigkeiten. Ein echtes Problem stellt aber die Tatsache dar, dass der Revisionismus in der Mutterpartei des Marxismus-Leninismus, in der KPdSU, die Oberhand gewinnen konnte über den Marxismus-Leninismus.

Nun ist dieses Ereignis ja nicht ohne Beispiel in der Geschichte der Arbeiterbewegung. Etwas durchaus Gleichartiges geschah ja auch schon der Mutterpartei des Marxismus, der noch von Marx und Engels von ihrer Gründung an mit Rat und Tat begleiteten Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.

Es könnte scheinen, das würde die Antwort auf die Frage, warum es dazu kommen konnte, erleichtern: gleichartige Ereignisse haben in der Regel ja auch gleichgeartete Ursachen. Und die Antwort auf die Frage nach den Entstehungsursachen und auch nach den Ursachen für den Sieg des Revisionismus in den Parteien der II. Internationale haben ja im Ansatz schon Marx und Engels und hat nach ihnen grundlegend und allgemeingültig Lenin gegeben.

Friedrich Engels wies schon 1858 in einem Brief an Marx auf den Zusammenhang hin zwischen der Ausbeutung der Welt durch die englische Bourgeoisie und der Verbürgerlichung der englischen Arbeiterklasse, indem er schrieb, „ dass das englische Proletariat faktisch mehr und mehr verbürgert, so dass diese bürgerlichste aller Nationen es schließlich dahin bringen zu wollen scheint, eine bürgerliche Aristokratie und ein bürgerliches Proletariat neben der Bourgeoisie zu besitzen. Bei einer Nation, die die ganze Welt exploitiert, ist das allerdings gewissermaßen gerechtfertigt.”21

Lenin hat vor allem in seinem Werk „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus” und in zahlreichen anderen Arbeiten – zu nennen sind hier vor allem die Schriften „Der Opportunismus und der Zusammenbruch der II. Internationale” , geschrieben im Januar 1916, und „Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus”, geschrieben im Dezember 1916, den Zusammenhang von Imperialismus und Opportunismus herausgearbeitet. In seinem Hauptwerk über den Imperialismus schrieb er: „Der Imperialismus, der die Aufteilung der Welt und die Ausbeutung nicht allein Chinas bedeutet, der monopolistisch hohe Profite für eine Handvoll der reichsten Länder bedeutet, schafft die ökonomische Möglichkeit zur Bestechung der Oberschichten des Proletariats und nährt, formt und festigt dadurch den Opportunismus. … Der Imperialismus hat die Tendenz, auch unter den Arbeitern privilegierte Kategorien auszusondern und sie von der Masse des Proletariats abzuspalten.”22

Das Entstehen und das Wuchern des Revisionismus in den Parteien der II. Internationale hängen also ursächlich mit Veränderungen in der Ökonomie, mit dem Übergang vom Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Monopolkapitalismus, zum Imperialismus, zusammen. Was liegt da näher, als die Ursachen für das Entstehung und für den Sieg des Revisionismus in kommunistischen Parteien ebenfalls in Veränderungen in der Ökonomie zu suchen, und Erklärungen, welche die Ursachen nicht nur dort, sondern auch in der Politik suchen, als unmarxistisch, idealistisch und personalistisch zu empfinden..

Sogar Rolf Vellay, der schon 1989 gesehen und geschrieben hatte: “Michail Gorbatschow als Generalsekretär, das ist die Konterrevolution an der Spitze der KPdSU! Michail Gorbatschow als Staatspräsident der UdSSR, das ist das Ende des Sozialismus in der Sowjetunion!”, wandte in einem Brief an mich vom 18.Mai 1998 gegen meine Ursachenerklärung für den Sieg des Revisionismus in der Sowjetunion ein:

„So interessant es ist, wenn Du die Linien der ideologischen Auseinandersetzungen in der KPdSU und in der kommunistischen Weltbewegung nachzeichnest,… beantwortet es für mich doch nicht zu voller Zufriedenheit die Frage, wie es ‚dazu hat kommen können’. Ich denke, in letzter Instanz haben politische Veränderungen grundsätzlicher Art ihre Ursachen in der Ökonomie. In der einst revolutionären deutschen Sozialdemokratie konnten deshalb die Reformisten am Ende das Übergewicht gewinnen, weil der sich entwickelnde Imperialismus mit Hilfe der Bismarck’schen Sozialgesetzgebung einerseits und dem’ sozialen’ Wirken z.B. solcher Unternehmer wie Krupp, Bosch, Abbé materielle Voraussetzungen schufen für die sich ausbreitende Illusion vom ‚friedlichen Weg’, vom ‚Hineinwachsen in den Sozialismus’, Ohne diese für einen Teil der Arbeiter und die sich herausbildende Schicht von Funktionsträgern der Arbeiterbewegung bereits im Kapitalismus spürbare Besserung der sozialen Situation, verbunden mit der Hoffnung, dass es mit der Zeit für noch größere Teile des Proletariats noch besser würde – das war die Voraussetzung, dass Bernstein und Konsorten mit ihrem Reformismus Anhang finden konnten. Umgekehrt denke ich mir, dass die Revisionisten in der KPdSU und am Ende in den Parteien der anderen europäischen sozialistischen Länder nicht deshalb die Oberhand gewannen, weil die prinzipientreuen, revolutionären Genossen politische Fehler gemacht hätten – z. B., wie Du am Schluss Deines Beitrages 23 ausführst ,die Gegensätze nicht offen vor den Volksmassen auszutragen -, sondern dass die unbefriedigenden Ergebnisse sozialistischer Ökonomie den Revisionisten die Plattform lieferten, um in den entscheidenden Parteigremien schließlich das Übergewicht zu erlangen.” (Unterstreichung von mir, K.G.)

Rolf hatte natürlich recht mit der Feststellung, alle politischen Veränderungen grundsätzlicher Art hätten ihre Ursache in letzter Instanz in der Ökonomie. Aber eben – in letzter Instanz! Und mitunter durch eine lange Kette von Vermittlungsgliedern im nicht-ökonomischen Bereich! Ohne Erforschung und Kenntnis dieser Vermittlungsglieder direkt auf die Ökonomie als Verursacherin zu schließen muss zu Fehleinschätzungen führen, wie das auch Rolf in diesem Falle passiert ist.

Analogieschlüsse vom „alten” Revisionismus in den Parteien der II. Internationale auf den „modernen” Revisionismus in den Parteien der III., der Kommunistischen Internationale, führen gar zu leicht zu Fehlschlüssen, wenn sie die gravierenden Unterschiede außer acht lassen, die trotz grundlegender Gemeinsamkeiten zwischen beiden bestehen.

b) Gemeinsamkeiten und Unterschiede von „altem” und „modernem” Revisionismus

Gemeinsam ist dem alten wie dem neuen, dem „modernen” Revisionismus, dass beide innerhalb der revolutionären marxistischen bzw. marxistisch-leninistischen Arbeiterbewegung den revolutionären Antikapitalismus und Anti-Imperialismus zu verdrängen und zu ersetzen suchten durch eine Ideologie und Praxis des Reformismus, der Klassenzusammenarbeit, und dass beide sehr bald zu Agenturen der Bourgeoisie, zu Instrumenten der bourgeoisen Konterrevolution wurden.

Ein Grund dafür ist, dass die Bourgeoisie ein wachsames Auge auf alle politischen Organisationen wirft, ein ganz besonders wachsames auf die kommunistischen Parteien, und dass sie die ihr gefährlich erscheinenden Organisationen nicht nur durch Repression, sondern auch durch Diversion bekämpft. Mit größter Aufmerksamkeit verfolgen ihre dafür zuständigen Organe innerparteiliche Auseinandersetzungen in den kommunistischen Parteien, und jede innerparteiliche Opposition besitzt eine magische Anziehungskraft auf Mitarbeiter dieser Organe. Auf allen möglichen und unmöglichen Wegen suchen sie Kontakt zu solchen Oppositionellen, aber nicht nur Kontakt, sondern die Möglichkeit, auf solche Oppositionsgruppen – sei es von außen, noch besser aber von innen – Einfluss zu nehmen und schließlich sie in eine gewünschte Richtung zu steuern.

Aber die Aufgabe, die sich der alte Revisionismus der sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien stellte, und jene, vor die sich der modernen Revisionismus in den regierenden kommunistischen und Arbeiterparteien gestellt sah, waren trotz Einigkeit im Ziel geradezu gegensätzlich:

Der alte Revisionismus hatte zum Ziel, den revolutionären Sturz der bestehenden Ordnung, des Kapitalismus, zu verhindern, also die bestehende Ordnung, ein bisschen reformiert, zu erhalten.

Der moderne Revisionismus hatte zum Ziel, die bestehende Ordnung, den Sozialismus, zu beseitigen, durch „Liberalisierung” und schrittweise Rückkehr zu kapitalistischen Verhältnissen.

Der „alte” und der „moderne” Revisionismus sind auch auf unterschiedliche Weise entstanden.

Zwar sind beide aus dem Boden des Imperialismus erwachsen, aber in doch recht unterschiedlicher Weise und unter ganz unterschiedlichen Bedingungen.

Der alte Revisionismus entstand, wie schon oben abgehandelt, als ideologische und politische Strömung der vom Imperialismus privilegierten Oberschichten der Arbeiterklasse, die ihren Frieden mit der gegebenen kapitalistischen Ordnung gemacht hatten. Diese Strömung und ihre Ideologen und Wortführer in der Spitze der Sozialdemokratie fanden die kräftige Unterstützung der klügsten Vertreter der imperialistischen Bourgeoisie. Wo die revisionistischen Führer die Partei in die Hand bekamen, wandelten sie diese um in Parteien, für die Kurt Tucholsky das treffende Bild vom Radieschen fand: außen rot und innen weiß. Im ersten Weltkrieg erwies sich, dass diese Parteien bereits zu Stützen der imperialistischen Ordnung, zu Agenturen des Imperialismus in der Arbeiterklasse, geworden waren.

Anders entstand der moderne Revisionismus. Ich rechne die linken und rechten Strömungen, die es in der Geschichte der kommunistischen Bewegung und vor allem in der KPdSU in den Jahren vor dem zweiten Weltkrieg gab, nicht dem modernen Revisionismus zu, sondern zu seinen Vorläufern. Dies deshalb, weil sie nie zur Formulierung eines solch umfassenden Gegenprogramms gelangten, wie es das in ersten Grundzügen von Browder verfasste, dann aber von den jugoslawischen Revisionisten unter Führung Titos weiterentwickelte Programm des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens war, dessen Kerngehalt in der Erklärung der internationalen Moskauer Beratung vom November 1957 beschrieben, und das – systematisiert und kodifiziert -1958 auf dem Ljubljanaer Parteitag der Tito-Partei als Gegenprogramm gegen das noch auf dem Marxismus-Leninismus beruhenden Programm der KPdSU angenommen wurde.

Die Besonderheit der Entstehung des modernen Revisionismus besteht nun darin, dass bereits seine ersten Schritte sich des erwartungsfrohen Segens des USA-Imperialismus erfreuten: Wir erinnern an die Begründung des Weißen Hauses, mit der Browder aus dem Gefängnis entlassen wurde – die Entlassung liege „im Interesse der Einheit der nationalen Front” – und daran, dass es der Vertrauensmann von Allan Dulles, Noel Field war, der für die Verbreitung der Browder-Thesen unter den Mitgliedern der europäischen kommunistischen Parteien, insbesondere unter den deutschen, tschechischen, polnischen und ungarischen kommunistischen Emigranten, sorgte.

Bei der Geburt der Urform des modernen Revisionismus, der „Browderismus”, waren also US-Staatsorgane wenn nichtGeburtshelfer, so doch Pate und Entwicklungshelfer. Und dabei blieb es nicht nur, sondern diese Sorge der imperialistischen Geheimdienste um das Wohl und Wehe und Gedeihen des modernen Revisionismus wurde vor allem nach der Bildung antifaschistisch-demokratischer und sozialistischer Staaten im Osten Europas immer intensiver.

Browders „nationale Einheitsfront”-Thesen waren zum einen das Produkt des enormen Drucks des amerikanischen Kapitalismus und seines Staates auf die kommunistische Bewegung (Verbotsdrohung!) und auf ihn selbst, (Verurteilung zu vier Jahren Gefängnis), zum anderen des ganz ungewöhnlichen und vorher für unmöglich gehaltenen Bündnisses der imperialistischen Führungsmacht USA mit der so lange verfemten und zum Reich des Bösen erklärten sozialistischen Sowjetunion in der Anti-Hitler-Koalition, und schließlich der Bemühungen des US-Geheimdienstes, die Bindung der Kommunistischen Partei der USA an die Sowjetunion und die Komintern zu lösen und sie zu einer das System mittragenden reformistischen Organisation umzuwandeln..

Browders Wirken als Generalsekretär der KP USA nach seiner Haft-Entlassung lag ganz auf der Linie der Erfüllung der Wünsche der Herrschenden: Auflösung der KP und ihre Verwandlung in einen Verein, Loslösung nicht nur organisatorisch, sondern auch politisch-ideologisch von der Komintern und der KPdSU, Verkündung der Zurückstellung der sozialistischen Zielsetzung zugunsten der Bildung einer dauerhaften klassenübergreifenden nationalen Einheitsfront, dies mit der Begründung, das sei der Beitrag der Kommunisten der USA zur Fortführung der Zusammenarbeit USA – UdSSR auch nach dem Kriege und damit zur Sicherung des Friedens.

Als es Browder zunächst gelang, die Mehrheit der Parteimitglieder für seinen „nationalen Weg” und für die Umwandlung der Partei in einen „politischen Verein” zu gewinnen, erkannten die us-amerikanischen Spezialisten für die Bekämpfung des Kommunismus sehr schnell, dass der „Browderismus”, wenn es gelang, ihn zu internationalisieren und in alle kommunistischen Parteien zu implantieren, insbesondere in jene, die im Osten Europas voraussichtlich bald Regierungsparteien sein würden, geeignet war, neben dem Trotzkismus eine neue wirkungsvolle Waffe zur Schwächung und Zersetzung der kommunistischen Bewegung von innen zu werden.

Welche praktischen Schlussfolgerungen daraus gezogen wurden, haben wir am Beispiel des Wirkens von Noel und Hermann Field gesehen. Mit den Ergebnissen der Bemühungen von nur zwei Jahren, also bis zum Jahr 1946, um das Einpflanzen von Keimen des modernen Revisionismus in weitere kommunistische Parteien konnten Field und Dulles hochzufrieden sein:

Die inzwischen zur regierenden Partei gewordene Kommunistische Partei Jugoslawiens wurde ausschließlich von Verfechtern des modernen Revisionismus beherrscht.24 Jugoslawien wurde von den Führern der KPJ mit dem Spitzentrio Tito, Kardelj und Rankovic in Koordinierung mit dem britischen und us-amerikanischen Geheimdienst zu einem Gegenzentrum gegen die Sowjetunion ausgebaut, während die KPJ selbst die Rolle eines Trojanischen Pferdes des Imperialismus in der Festung der Kommunistischen Parteien und zugleich die Rolle eines Leitzentrums des modernen Revisionismus für die Stützpunkte in anderen kommunistischen Parteien übernahm.

Noch während die kommunistischen Parteien im Osten Europas im Kampfe gegen die faschistischen Okkupanten standen, war es in einigen von ihnen Funktionären, die auf nationalistischen, antisowjetischen, prowestlichen, also auf Browder- und Tito-Positionen standen, gelungen, Schlüsselpositionen zu besetzen:

In der Polnischen Arbeiter-Partei war seit 1943 Erster Sekretär Wladylaw Gomulka, auf den Tito große Hoffnungen setzte, dass es ihm gelingen werde, die PAP zu einer Partei nach dem Vorbild der KPJ umzugestalten.25

In der Kommunistischen Partei Ungarns war es Laszlo Rajk26, – Mitglied der Kommunistischen Partei seit Anfang der 30er Jahre, 1931 Verhaftung durch die Horthy-Polizei, freigekommen, nachdem er eine Bereitschaftserklärung zur Zusammenarbeit mit der Polizei unterzeichnet hatte, 1937 mit Auftrag der Polizeibehörde nach Spanien zum Rákosi-Bataillon, dort im Juni 1938 aus der Partei ausgeschlossen, 1939 in Frankreich im Lager Vernet interniert, dort Anschluß an eine Gruppe jugoslawischer Trotzkisten und Besuch auch von Noel Field, 1941 zur Arbeit nach Deutschland verbracht, von dort im August 1941 nach Budapest zurückgekehrt, – dem es gelang, – da den Genossen nichts von allem ihn Belastenden bekannt war -, zunächst Sekretär der Budapester Parteiorganisation zu werden, und nach dem Sturz des faschistischen Szalasi-Regimes und der Bildung der ersten kommunistisch geführten Regierung der Ungarischen Republik im Februar 1946 sogar zum Innenminister in der Regierung aufzusteigen, die von Imre Nagy als Ministerpräsident geleitet wurde -, auch dieser ein – wie sich zehn Jahre später zeigen sollte – Parteigänger Titos.27

In der Kommunistischen Partei Bulgariens wurde Traitscho Kostow im März 1945 1. Sekretär des ZK und damit der Stellvertreter Georgi Dimitroffs in Bulgarien bis zu dessen Rückkehr aus Moskau Ende 1945. Kostoff arbeitete mit dem englischen und dem jugoslawischen Geheimdienst zusammen.28

In der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei bekleidete den Posten des Generalsekretärs Rudolf Slansky, seit 1921 Mitglied und schon seit den späten zwanziger Jahren leitender Funktionär der Partei. Er benutzte seine Machtvollkommenheit, um Leute in Schlüsselpositionen im Staats- und Wirtschaftsapparat einzubauen, von denen ihm bekannt war, dass sie eine feindliche, antikommunistische und antisowjetische, prowestliche und pro-titoistische Einstellung hegten, und auch solche, deren Verbindung zu imperialistischen Geheimdiensten und feindlichen, darunter auch zionistischen Organisationen ihm bekannt waren. Auf diese Weise wurde er, wie es die Anklage formulierte, zum Leiter eines staatsfeindlichen Verschwörerzentrums.29

An dieser Stelle sei an den Bericht Leo Bauers über sein Begegnung mit Slansky, Clementis und André Simone im Sommer 1948 erinnert, in dem er deren große Unzufriedenheit über „den Druck aus Moskau” zur Zurückziehung der Zustimmung zum Marshall-Plan und über „den Bruch des Kominform mit Tito” beschrieb.

In der Deutschen Demokratischen Republik hatten viele von Fields Freunden und der von ihm in der Emigration Betreuten wichtige Funktionen in der Partei, im Staatsapparat, in den Massenorganisationen und im Kultur- und Medien-Bereich inne. Der, mit dem Field die engsten Beziehungen unterhalten hatte, Paul Merker, war erwartungsgemäß Mitglied im Politbüro der SED geworden, ebenfalls Franz Dahlem, den Field auch aus dessen Internierung in Frankreich kannte. Field selbst kehrte nach dem Ende des Krieges nur für kurze Zeit in die Staaten zurück, suchte jedoch, wie wir schon gesehen haben, in der DDR oder in der Tschechoslowakei eine Anstellung zu finden. Wie schon aus dem Matern-Bericht zitiert, wurde Field, „um ihn in die Deutsche Demokratische Republik einzubauen,…wegen Unterstützung der Kommunisten von seiner amerikanischen Dienststelle entlassen. Um ihm eine Grundlage in der CSR zu schaffen, wird er vom unamerikanischen Komitee öffentlich als kommunistischer Agent angeklagt.”

Der wirkliche Grund für sein Bleiben in Europa war, dass die eigentliche Arbeit für ihn ja jetzt erst begann: nun, da seine „Schützlinge” hohe und höchste Funktionen in den kommunistisch regierten Ländern innehatten, wurde die Verbindung zu ihnen erst richtig wertvoll und von größter Wichtigkeit. Das Netz in der Emigration zu knüpfen – das war nur Vorbereitungsarbeit gewesen. Jetzt stand der wichtigere Teil bevor: dieses Netz zum Einsatz zu bringen, mit ihm zu arbeiten und es nach Möglichkeit durch Gewinnung neuer Adressen noch dichter zu machen! Diese Arbeit konnte keinem anderen übertragen werden – ihr Erfolg beruhte ganz auf dem Vertrauensverhältnis, das Field zu seinen „Schützlingen” aufgebaut hatte.

Von Fields Bemühungen, neue zusätzliche Adressen zu gewinnen, hatten wir schon im Matern-Bericht Kenntnis erlangt. Diese Bemühungen hat auch Kießling erwähnt. Field hatte durch Vermittlung von Walter Bartel Franz Dahlem in Bartels Wohnung getroffen. „Ein Ergebnis der Begegnung Dahlems mit Field war zweifellos, dass zwischen Field und der VVN, (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, K.G.) vertreten durch Helmut Bock, Spenden des USC vereinbart wurden.” (Kießling, S.132).

Kießling ist zu dieser Auffassung offenbar durch die Darstellung im Beschluss des ZK der SED vom 20.Dezember 1952 gekommen, in dem ausgeführt wurde: „Er (Field) versuchte mehrmals Listen von Opfern des Faschismus zu erhalten und wandte sich deshalb an das Zentralsekretariat der SED. Da er hier jedoch abgewiesen wurde, knüpfte er durch fingierte Telefonanrufe eine Verbindung zum Berliner Hauptausschuss der Opfer des Faschismus an, wo es ihm tatsächlich gelang, nach mehreren Besprechungen eine Liste mit 25 Namen zu erhalten.”

Beide Darstellungen stimmen so nicht.

Als mir Helmut Bock, mit dem ich befreundet war, einmal von dieser Begegnung mit Field erzählte, bat ich ihn, das doch aufzuschreiben. Das tat er. Hier sein Bericht vom 17.7.1992:

„Nach meiner nicht mehr genauen Erinnerung, es kann in der wärmeren Jahreszeit im Jahr 1948 gewesen sein, auf jeden Fall war es noch vor der Spaltung, da erhielt ich in meiner Dienststelle (ich war damals Leiter des Hauptamtes Opfer des Faschismus im Berliner Magistrat) einen Anruf von der Amerikanischen Militärregierung. Der Mann am Apparat stellte sich als Noel Field vor, und er bestellte mich zu einer Unterredung in die Wohnung von Walter Bartel, der damals in Schöneberg wohnte, Straße weiß ich nicht mehr. Als ich zum verabredeten Zeitpunkt im Treppenhaus emporstieg, kam mir von oben ein großer, sehr schlanker Mann entgegen, der zu mir sagte, er wäre Field, bei Bartels wäre niemand zu Hause, er bat mich, in seinem Straßenkreuzer Platz zu nehmen, und auf der Fahrt fand dann ein Gespräch statt: Er sei Mitarbeiter einer Hilfsorganisation der amerikanischen Militärregierung, und sie wollen Opfer des Faschismus materiell unterstützen. Es wurde ein Termin vereinbart, an dem ich mich, wenn ich wollte, mit einem meiner Mitarbeiter, in einem Büro der amerikanischen Besatzungsmacht einfinden sollte. Das geschah dann auch, mit meiner Kameradin Ilse Haak (lebt nicht mehr) ging ich dorthin ( an den Ort des Büros kann ich mich nicht mehr erinnern). Field empfing uns und verwies uns an eine Frau in mittleren Jahren, und kümmerte sich dann nicht mehr um uns, saß irgendwo hinten im Raum an einem Schreibtisch. Die Frau sagte uns, dass sie die Opfer des Faschismus mit wertvollen Lebensmitteln unterstützen möchten (Carepakete), nicht nur die Berliner, sondern auch die OdF im Bereich der sowjetischen Besatzungszone. Wenn es uns möglich wäre, sollten wir ihr doch eine entsprechende Adressenliste zur Verfügung stellen. Zunächst waren wir angenehm berührt von dieser, wie wir meinten humanen Geste. Im Gespräch mit Genossen des ZK wurden wir aber gewarnt, die Amerikaner könnten hinterhältige Zwecke damit verbinden, und der Bitte der amerikanischen Frau wurde nicht stattgegeben. Adressenlisten sind nicht übergeben worden.”

Jedenfalls nicht von Helmut Bock. Field hat offenbar nach dem Fehlschlag bei Helmut Bock mit Hilfe seiner einflußreichen Freunde andere Wege gefunden, an neue Adressen heranzukommen.

Es verdient übrigens Beachtung, dass der angeblich in den USA als Kommunistenfreund angeklagte Field in Berlin als Angehöriger der US-Militärregierung mit der Sammlung von Adressen von Opfern des Faschismus, die ja größtenteils Kommunisten waren, beauftragt war!

c)Der Imperialismus geschwächt, aber mit neuen Waffen ausgerüstet

Die Niederlage des faschistischen deutschen Imperialismus war zugleich auch eine Niederlage des Weltimperialismus, war ihm doch damit eine Waffe zerschlagen worden, die von ihm in langen Jahren aufgezogen und aufgerüstet worden war als Stoßkeil, der die Sowjetunion ins Herz treffen sollte.

Der Sieg der Sowjetarmee über den Faschismus war zugleich ein Sieg der um ihre Befreiung von nationaler und kolonialer Unterdrückung und Ausplünderung durch den Imperialismus kämpfenden Völker.

In kurzer Zeit machte der weltrevolutionäre Prozess solche Fortschritte, dass die Grenze zwischen Imperialismus und Sozialismus in Europa bis zur Elbe nach Westen verlegt wurde und in Asien bis ans Chinesische Meer. Die strangulierende kapitalistische Umkreisung der Sowjetunion war gesprengt, die Periode des „Sozialismus in einem Lande” war zu Ende, begonnen hatte die Periode des sozialistischen Lagers, das bereits ein Drittel des Erdballs umfasste , darunter auch hochentwickelte Industrieländer wie die DDR und die Tschechoslowakei.

Damit war die Perspektive einer für den Imperialismus im höchsten Maße alarmierenden Entwicklung eröffnet: Wenn dieses sozialistische Lager zu einer Wirtschaftsgemeinschaft zusammenwachsen und nach einem einheitliche Plan von einem gemeinsamen Leitungszentrum geleitet würde, zu dem offenbar der 1949 gegründete Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe entwickelt werden sollte, dann bestand für den Imperialismus die reale Gefahr, für die Menschheit aber die reale Chance, dass dieses sozialistische Lager im gleichen Sturmschritt, wie die Sowjetunion in den Jahren von 1917 bis 1941, seinen Rückstand gegenüber der kapitalistischen Welt verringern würde und am Ende des Jahrhunderts die Welt sich so verändert haben könnte, dass man nun das Wort von der kapitalistischen Umkreisung des einzigen sozialistischen Landes umkehren und von der sozialistischen Umkreisung des Restkapitalismus sprechen müsste.

Eine solche Perspektive war keineswegs irreal, waren doch die Völker Asiens – Koreas, Vietnams, Laos’, Indiens, Indonesiens, der Philippinen -, Mittel- und Südamerikas und Afrikas , angespornt vom Sieg der Sowjetunion über den deutschen und japanischen Aggressor, und vom begeisternden Sieg der chinesischen Volksrevolution, in Bewegung geraten und hatten begonnen, um ihre Befreiung vom kolonialen und halbkolonialen Joch zu kämpfen.

Soviel war jedenfalls klar: So, wie der Hauptinhalt der Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Kampf der alten kapitalistische Gesellschaftsordnung gegen die neue, aufkommende und um ihre Behauptung kämpfende sozialistische Gesellschaftsordnung war, so würde der Hauptinhalt auch der zweiten Hälfte und damit des ganzen Zwanzigsten Jahrhundert die Systemauseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus sein.

In diesem Kampfe hatte bisher die alte kapitalistische Gesellschaftsordnung der neuen, sozialistischen eine gewaltige Überlegenheit der Produktivkraftentwicklung in allen Bereichen entgegenzusetzen. Sie war damit auf allen Gebieten – wirtschaftlich, politisch, militärisch – um ein Vielfaches stärker als die in einem ruinierten Land mit einer schwach entwickelten, durch den Krieg weitgehend zerstörten Industrie an die Macht gekommenen Sowjetordnung.

Und sie hatte dennoch den Aufstieg der sozialistischen Macht zur Weltmacht Nummer Zwei nicht verhindern können! Ihre Chancen, die nächste Runde der Auseinandersetzung in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts besser zu bestehen, wären sehr gering gewesen, hätte sie dem Sozialismus wie bisher nur ihre ökonomische Überlegenheit entgegenzusetzen gehabt.

Aber im Kriege hatte der Imperialismus für seinen Kampf gegen den Sozialismus zwei neue Waffen entwickelt, von denen er sich erhoffte, sie würden ihm einen raschen und endgültigen Erfolg sichern. Das war erstens die Atombombe, und das war zweitens das Trojanische Pferd des Browderismus, des neuen Revisionismus.

Die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945, mit denen die USA-Piloten das Leben hunderttausender Japaner auslöschten, waren, wie jedermann weiß oder wenigstens wissen sollte, für den Kriegsausgang ohne Bedeutung. Japans Niederlage und baldige Kapitulation war schon gewiss. Am gleichen Tage, an dem der US-Pilot seine Bombe auf Nagasaki abwarf, am 9. August, trat die Sowjetunion in den Krieg gegen Japan ein. Was das für die Kriegsentscheidung bedeutete, darüber heißt es in einer fünfbändigen „Geschichte des Krieges im Stillen Ozean”, verfasst von japanischen Autoren, dass „diese Nachricht ein betäubender Schlag für die Führer der japanischen Regierung war… Nicht einmal der Einsatz der Atombombe führte zu Veränderungen in der Staatspolitik, die der Höchste Rat für Kriegführung festlegte… Der Eintritt der Sowjetunion in den Krieg aber zerstörte alle Hoffnungen, ihn fortsetzen zu können.”30

Die Sowjetarmee zerschlug in nur zehn Tagen die größte japanische Armee, die Kwantung-Armee auf dem chinesischen Festland. Am 2. September 1945 erfolgte die bedingungslose Kapitulation Japans.

Natürlich wusste Präsident Truman, dass Japans Kapitulation auch ohne den Atombombenabwurf kurz bevorstand. Aber diese Demonstration des Alleinbesitzes einer Waffe von unvergleichlicher Zerstörungskraft zielte ja in Wahrheit auch auf einen ganz anderen Adressaten – auf die Sowjetunion. Ihren Führern sollte klar gemacht werden, dass ihrem Land die atomare Vernichtung drohe, wenn sie noch länger der Neuordnung der Welt nach den Wünschen und Forderungen der USA im Wege stehen und Widerstand leisten sollten.

War der Monopolbesitz der Atomwaffen die Wunderwaffe der USA für den äußeren Angriff auf die Sowjetunion, so sollte es der zum modernen Revisionismus entwickelte Browderismus für die Eroberung der sozialistischen Festung von innen werden.

Sehr rasch brachten aber die sowjetischen Führer mit Unterstützung der Führer der kommunistischen und Arbeiterparteien die imperialistischen Hoffnungen auf die Wirkung dieser Wunderwaffen zum Platzen. Präsident Truman hatte schon auf der Potsdamer Konferenz (17. 7. – 2. 8. 1945 ) versucht, Stalin mit der Ankündigung, die USA hätten eine neue Waffe von noch nie dagewesener Zerstörungskraft entwickelt, zum Nachgeben zu bewegen. Zur großen Enttäuschung aber war Stalin davon in keiner Weise beeindruckt. Truman schrieb später verwundert, „der russische Premier” habe „kein sonderliches Interesse” gezeigt.31 Noch viel schlimmer: Am 25.September 1949 wird das Atomwaffenmonopol der USA durch die erfolgreiche Erprobung einer sowjetischen Atombombe gebrochen!

Die sowjetische Führung hat unter Führung Stalins dafür gesorgt, dass der Traum des amerikanischen Imperialismus von der Verwirklichung der Weltbeherrschung durch das Atomwaffenmonopol ausgeträumt war. Nicht besser erging es der Spekulation auf die zweite Wunderwaffe des Imperialismus, auf sein Trojanisches Pferd, den Staat gewordenen modernen Revisionismus, den Tito-Revisionismus. Die Tito-Führung der KPJ verfolgte zielstrebig das Ziel, eine Vereinigung Bulgariens und Albaniens mit Jugoslawien zu erreichen, unter dem verlogenen Vorwand, damit das schon seit den zwanziger Jahren von der Kommunistischen Internrationale propagierte Ziel einer Balkanföderation unter sozialistischem Vorzeichen zu verwirklichen, in Wahrheit jedoch mit dem Ziel, auf dem Balkan einen Block zu schaffen, der dem Einfluss der Sowjetunion entzogen war und ihm in den anderen sozialistischen Staaten entgegenwirken sollte.

Diese Zielsetzung war aber nur dem engsten Kreise der Führung der KPJ bekannt. Nach außen hin führte sie eine Politik durch, die den Außenstehenden den Eindruck vermittelte, als sei Jugoslawien das sozialistische Land, das am meisten dem Vorbild der Sowjetunion nacheiferte und von allen am meisten „sowjetisiert” sei. Das schien auch uns Genossen in der DDR so. Ich werde nie folgende Episode vergessen: In der Berliner Landesparteischule der SED stand eines Tages – es muss im Mai oder Juni 1948 gewesen sein -, die Entwicklung der Länder der Volksdemokratie auf dem Lehrplan. Als Referent kam zu uns der Genosse Kurt Schneidewind vom ZK der SED. Von allen volksdemokratischen Staaten erhielt von ihm Jugoslawien die höchsten Noten, weil, wie er sagte, Jugoslawiens Entwicklungsstand als sozialistischer Staat sich von allen am meisten dem der Sowjetunion angenähert hätte. Das hat bei uns überhaupt keine Überraschung ausgelöst, weil wir alle das auch so sahen, denn gerade ein solches Bild hatte unsere Berichterstattung bisher von Jugoslawien gegeben. Und auch in der Sowjetunion wurde das lange Zeit genau so gesehen. Das bestätigte auch der sowjetische Außenminister A.Y.Wyschinski, der im Sommer 1948 über die Beziehungen Jugoslawiens zur Sowjetunion äußerte: „Nach dem Sieg über Hitlerdeutschland wurden zwischen der Sowjetunion und Jugoslawien die brüderlichsten Beziehungen hergestellt, es wurden wichtige Beschlüsse gefasst, Jugoslawien wirtschaftlich, militärisch und politisch in der internationalen Arena zu helfen, das wir als einen unserer treuesten und ideologischen Verbündeten betrachteten.”32

Das erklärt, weshalb bei der Gründung des „Informationsbüro der Kommunistischen und Arbeiterparteien” im September 1947 als dessen Sitz Belgrad festgelegt wurde.33 Das erklärt auch, weshalb Anfang 1948 der Herstellung der Balkanföderation nichts mehr im Wege zu stehen schien, da ihr auch Georgi Dimitroff als Ministerpräsident Bulgariens zugestimmt hatte. Aber im Frühjahr 1948 hatte die jugoslawische Führung damit begonnen, der Sowjetunion gegenüber eine immer feindseligere Haltung zum Ausdruck zu bringen, was schließlich dazu führte, dass die Sowjetführung, nachdem ihre Briefe und Proteste wirkungslos geblieben waren, im April 1948 ihre Berater und Militärspezialisten aus Jugoslawien abzog. Genau das hatte aber die jugoslawische Führung beabsichtigt. Sie begann damit das zu realisieren, was als Absicht der Tito-Führung schon im November 1944 der engste Tito-Mitarbeiter Kardelj bei seinem Aufenthalt in Sofia Traitscho Kostoff gegenüber eröffnet hatte:

„Die Amerikaner und Engländer seien, so sagte Kardelj, fest entschlossen, auf keinen Fall zuzulassen, dass sich Länder, die von der Sowjetarmee befreit werden mochten, vom Block der westlichen Kräfte losrissen. Auf dieser Grundlage sei zwischen Tito einerseits und den Amerikanern und Engländern andererseits schon während des Krieges eine bestimmte Vereinbarung erzielt worden. … Kardelj erklärte, die jugoslawische Regierung beabsichtige, die UdSSR zu bitten, dass die Sowjettruppen Jugoslawien verlassen sollten, sobald die Kampfhandlungen auf seinem Gebiet abgeschlossen sein würden. ’Dies aber ist nicht ausreichend’, so sagte mir Kardelj, ‚die Sowjettruppen müssen auch Bulgarien verlassen, denn die Amerikaner und die Engländer sind außerordentlich daran interessiert,, dass sich der sowjetische Einfluss südlich der Donau nicht durchsetzt.’. Kardelj bemerkte, dass Tito und überhaupt die ganze jugoslawische Leitung einen sofortigen Anschluss Bulgariens an Jugoslawien als bestes Mittel zur Erreichung dieses Ziels ansähen, wobei die unter den Völkern Jugoslawiens und Bulgariens äußerst populäre Idee der Föderation der Südslawen im Interesse der jugoslawischen Leitung ausgenützt werden könnte. ‚Dann’, so erläuterte mir Kardelj, ‚ wird Bulgarien nicht länger als feindlicher Staat angesehen werden, es wird zum Bestandteil einer alliierten Macht werden, und die Anwesenheit sowjetischer Truppen auf seinem Territorium wird sich als überflüssig, als durch nichts gerechtfertigt, erweisen.’

Aus dem „sofortigen Anschluss” wurde damals nichts, weil, wie Kostoff aussagte, von Georgi Dimitroff aus Moskau eine kategorische Warnung einging, „man solle sich mit einem Anschluss Bulgariens an Jugoslawien nicht beeilen.” Die Föderierung könne „ohne vorherige außenpolitische Vorbereitung unerwünschte Folgen haben.” Im März 1945 erhielt Kostoff den Besuch eines anderen Mitglieds der jugoslawischen Führung, Milovan Djilas. Der war unzufrieden damit, dass es Kostoff nicht gelungen war, den sofortigen Anschluss durchzusetzen, und erklärte, “trotz des Misserfolges werde unser gemeinsames Ziel nicht von der Tagesordnung abgesetzt.”34

Über die Frage, wie man den Anschluss Bulgariens an Jugoslawien endlich verwirklichen könne, hatte Kostoff noch verschiedene Gespräche, darunter auch mit Tito selbst, das letzte mit diesem im November 1947, danach mehrere Unterredungen mit dem jugoslawischen Vertreter in Bulgarien, Cicmil. Bei seinem letzten Gespräch mit Cicmil, im April 1948, informierte der ihn darüber, dass Tito ihn beauftragt hatte, Kostoff „den bevorstehenden endgültigen Abbruch der Beziehungen zwischen Jugoslawien einerseits sowie der UdSSR und den Ländern der Volksdemokratie andererseits anzukündigen.”35

Der angekündigte Bruch wurde von Tito dann dadurch durchgeführt, dass der Vorschlag der Sowjetunion und der anderen Parteien des Informationsbüros, „die Lage in der jugoslawischen kommunistischen Partei auf der Sitzung des Informbüros auf den gleichen, normalen parteigenössischen Grundlagen zu prüfen, auf denen bei der ersten Beratung des Informbüros die Tätigkeit anderer kommunistischer Parteien erörtert wurden,”36 , mit der Begründung abgelehnt wurde, die KP Jugoslawiens wäre bei einer solchen Beratung in eine „nicht gleichberechtigte Lage” versetzt. In der Resolution der daraufhin ohne Teilnahme der Vertreter der KP Jugoslawiens in der zweiten Junihälfte 1948 in Rumänien durchgeführten Beratung der übrigen Parteien des Informationsbüros – also der Bulgarischen Arbeiterpartei, der Rumänischen Arbeiterpartei, der Ungarischen Partei der Werktätigen, der polnischen Arbeiterpartei, der KP der Sowjetunion (Bolschewiki), der KP Frankreichs, der KP der Tschechoslowakei und der KP Italiens, – wurde dazu gesagt:

„In dem Bestreben, der gerechten Kritik der brüderlichen Parteien im Informbüro auszuweichen, erfanden die jugoslawischen Führer die Version von ihrer angeblich ‚nicht gleichberechtigten Lage’. Man muss sagen, dass in dieser Version kein einziges Wort wahr ist. Es ist allgemein bekannt, dass die kommunistischen Parteien bei der Gründung des Informbüros von der unbestreitbaren Tatsache ausgingen, dass jede Partei vor dem Informbüro rechenschaftspflichtig ist, genau so wie jede Partei das Recht der Kritik an den anderen Parteien besitzt. Bei der ersten Beratung der neun kommunistischen Parteien nahm die jugoslawische Kommunistische Partei dieses Recht weitgehend in Anspruch. Die Weigerung der Jugoslawen, über ihre Handlungen vor dem Informbüro Rechenschaft abzulegen und die kritischen Bemerkungen anderer kommunistischer Parteien anzuhören, bedeutet eine tatsächliche Verletzung der Gleichberechtigung kommunistischer Parteien und ist gleichbedeutend mit der Forderung, für die KPJ eine privilegierte Stellung im Informbüro zu schaffen.”

Die Parteien des Informbüros kommen in ihrer Resolution zu dem unausweichlichen Schluss, „dass das ZK der KPJ sich und die jugoslawische Kommunistische Partei dadurch außerhalb der Familie der brüderlichen kommunistischen Parteien, außerhalb der kommunistischen Einheitsfront und folglich auch außerhalb der Reihen des Informbüros stellt.”37

So endete der erste Versuch des Imperialismus, seine zweite Wunderwaffe, die staatliche Inkarnation des modernen Revisionismus, Tito-Jugoslawien, ins Spiel zu bringen, um mit ihr die kommunistische Einheitsfront zu sprengen, mit einem völligen Fiasko und mit der Schutzimpfung der kommunistischen Weltbewegung gegen die Krankheits- und Zersetzungskeime, die diese Waffe in alle kommunistischen Parteien pflanzen sollte. Die KPdSU und die kommunistische Weltbewegung blieben auf Leninschem Kurs und damit weiterhin auf dem Weg künftiger Siege.

(Fortsetzung folgt! Kurt Gossweiler, Berlin