Wider die Reinkarnation der faschistischen Präventivkriegslüge

Ulrich Huar

Wider die Reinkarnation der faschistischen Präventivkriegslüge 

Literaturstudie und Dokumente


Inhalt


Redaktionsnotiz

 „Wir“ sind wieder im Krieg. Nach der „Durchsetzung der Menschenrechte“ in Afghanistan und der „Verhinderung eines neuen Hitlers“ in Jugoslawien wird die Bundeswehr nun die Wahlen im Kongo „absichern“. Größere Pläne liegen in den Schubladen. Der „Verteidigungs“minister der Bundesrepublik Deutschland äußert inzwischen öffentlich die Auffassung, dass man die „Anpassung der verfassungsrechtlichen an die tatsächliche Lage“ in Angriff nehmen müsse – sprich Einsatz der Bundeswehr im Innern und überall auf der Welt, und deshalb darf die Planung und Durchführung eines Angriffskrieges gegen andere Länder nicht länger unter grund-gesetzlicher Strafe stehen. Da sind Bedrohungslügen gern gesehene demagogische Hilfsmittel, um die Heimatfront zu formieren.

Was „uns“ heute bedroht? Da lässte sich einiges aufzählen: Zunächst sind das die so genannten „Despoten“ und „Autokraten“, die „autoritäre Regimes“ errichtet haben in den letzten Resten des besiegten Sozialismus in Europa und die nicht so wollen wie „wir“, sprich: die nicht bereit sind, „uns“ Land und Bevölkerung auf Gedeih und Verderben auszuliefern und die deshalb – so die bürgerliche Propaganda – einer wie der andere dem Hitler gleichen. Und dann ist da natürlich der internationale Terrorismus, zu dessen Bekämpfung alle „zivilisierten Völker“ zusammen stehen müssen, außerdem das Atomprogramm des Iran, das weder die EU noch die USA oder die NATO gutheißen können – und Du, Otto Normalverbraucher bitte auch nicht – , und nicht zu vergessen: die Populisten in Lateinamerika; die betrügen ihre Völker sowieso. Und wer sich jetzt noch nicht ausreichend beroht fühlt, dem führt die Bourgeoisie zusätzlich historische Szenarien vor: Stalins „Sowjetrussland“, „Enthüllungen“ über den Gulag, die Stasi, die DDR-Gefängnisse usw. Merke: es gibt keine Alternative zum Imperialismus. Und wer’s nicht glaubt ist ein Verbrecher.

Ziel der ganzen Propagada: Das imperialistische Deutschland muss kriegsfähig werden. An wirtschaftlicher und militärischer Kraft fehlt es der Bourgeoisie nicht, aber an der ideologischen Front hapert es, hat Deutschland doch so ein unangenehmes Erbe (jedenfalls für die Bourgeoisie): erst der Faschismus und der „verlorene“ Krieg und dann auch noch die DDR! Die ideologische Front ist die wunde Stelle, an der es noch nachzubessern gilt, soll aus den Großmachtplänen der Bourgeoisie etwas werden.

Gut, sie haben die Bild -“Zeitung“, die alltägliche bürgerliche Presse, die „Joy“- und „Fun“-Radios, die TV-Sender von ARD und ZDF bis in jeden Sumpf der Privaten. Und wir haben nur 1.500 Leserinnen und Leser. Aber wir tun unser Möglichstes, um dagegen zu halten.

Schaut Euch an, was damals war. Das kommt wieder, wenn wir uns nicht wehren!

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Red. Offensiv, Hannover

Ulrich Huar: Wider die Präventivkriegslüge

Ulrich Huar: Literaturstudie

Seitdem Ribbentrop am 22. Juni 1941 mit der Verkündung der von Hitler fabrizierten Lüge, einem unmittelbar bevorstehenden Angriff der Roten Armee zuvorgekommen zu sein, die These vom „Präventivschlag” der deutschen Wehrmacht in die Welt gesetzt hatte, wurde die Präventivkriegsthese zum Gegenstand kontroverser Diskussionen unter Historikern und Publizisten.

Nicht nur marxistisch-leninistische Historiker haben die Präventivkriegsthese von Anfang an als faschistische Lüge nachgewiesen, auch bürgerliche Historiker kamen angesichts des erdrückenden Beweismaterials für den Eroberungs- und Vernichtungskrieg des faschistischen deutschen Imperialismus, nicht umhin, die Präventivkriegsthese der Faschisten als ideologisch verklärte Lüge zurückzuweisen, unabhängig von ihren in den meisten Fällen antikommunistischen und speziell antistalinschen Vorurteilen, was zuweilen zu sehr merkwürdigen Erklärungen führte.

Ursprünglich hielt ich das Thema „Präventivkrieg” für endgültig geklärt.

Weit gefehlt! Im Zuge der Gorbatschowschen „Perestroika”, der konterrevolutionären Zerstörung der Sowjetunion, begannen russische Historiker, die „neuen Russen”, erneut die faschistische Lüge vom deutschen Präventivkrieg gegen die Sowjetunion aufzuwärmen, Hitler die Führung eines gerechten Verteidigungskrieges gegen den Bolschewismus zu bescheinigen. Solche Elaborate, die inhaltlich der Goebbels-Propaganda gleichkommen, fanden in der BRD unter rechtskonservativen und neofaschistischen Kreisen wohlwollende Aufnahme und Verbreitung.

Die in den 90er Jahren erschienenen Publikationen über die Präventivkriegsthese sind in ihrem Umfang kaum noch überschaubar. Das gibt Veranlassung, auf dieses Thema erneut einzugehen.

Im vom VEB Bibliographischen Institut in Leipzig am 1. August 1954 herausgegebenen Fremdwörterbuch heißt es unter dem Stichwort „Präventivkrieg”: der; dem (geplanten oder auch nur vermuteten) Angriff des Gegners zuvorkommender Offensivkrieg.

Im Sachwörterbuch der Geschichte Deutschlands und der deutschen Arbeiterbewegung, Dietz Verlag Berlin 1970, Band 2, gibt es eine historisch erklärende Definition des Präventivkrieges als „Offensivkrieg, der einem vermuteten bzw. vorgeblichen Angriff des Gegners zuvorkommen soll. Im System der imperialistischen Kriegstheorie und -ideologie stellt die … Theorie des P. den Versuch dar, die imperialistischen Aggressionspläne zu verschleiern und sie als Verteidigungsbestrebungen erscheinen zu lassen. Die Theorie des P. soll dazu beitragen, eine politisch-moralische Aggressionsbereitschaft der Volksmassen zu schaffen und die Militarisierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens zu rechtfertigen…”

Es folgt der Hinweis auf die Behauptung des deutschen faschistischen Imperialismus, einen Präventivkrieg gegen die Sowjetunion zu führen, die von der imperialistischen Geschichtsschreibung weiterhin kolportiert wird.

Der Historiker Manfred Messerschmidt wies zu Recht darauf hin, daß die Idee des „Präventivkrieges” bereits im preußischen und später deutschen Generalstab eine Rolle spielte. „Der preußische Generalstab verstand seit den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts unter ,Präventivkrieg’ einen Angriffskrieg ohne Vorliegen einer direkten Bedrohung, nämlich ein Unternehmen zwecks Sicherstellung künftiger Optionen oder zur Verhinderung des Aufbaus militärischer Überlegenheit der Nachbargroßmächte. Gedacht war vor allem an ein praevenire zur Vermeidung eines später möglichen Zweifrontenkrieges.” Messerschmidt nennt Feldmarschall Helmuth v. Moltke (den alten M., UH), der einen derartigen Krieg 1877 gegen Rußland forderte, was von Bismarck abgelehnt wurde. Während des russisch-japanischen Krieges 1905/06 glaubte der Generalstabschef Graf v. Schlieffen, daß die Stunde für einen „Präventivschlag” gegen Frankreich gekommen sei.

Am 8. Dezember 1912 habe der Generalstabschef, der jüngere Moltke, erklärt: „Ich halte einen Krieg, für unvermeidbar und: je eher, je besser.” (Manfred Messerschmidt, in: Pietrow-Ennker: Präventivkrieg…?, S.29)

Die Konzeption, einen Angriffskrieg gegen einen vermutlichen Gegner unter dem Deckmantel der Verteidigung, der Verhinderung eines feindlichen Angriffs zu führen, brauchten die deutschen Faschisten nicht erst zu erfinden.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Angriffskrieg völkerrechtlich als „internationales Verbrechen” geächtet. Im w.o. genannten Sachwörterbuch zur Geschichte…, Bd. 1 , wird der Briand-Kellogg-Pakt vom 27. August 1928 genannt. Dieses Abkommen wurde von 15 Staaten unterzeichnet, darunter Frankreich, USA, Großbritannien und Deutschland. „Nach Artikel 1 des Paktes verpflichteten sich die Signatarstaaten, ,den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle (zu) verurteilen und auf ihn als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen (zu) verzichten’. Artikel 2 betonte die Notwendigkeit, alle Streitigkeiten und Konflikte mit friedlichen Mitteln zu lösen. Die UdSSR trat am 6. Sept. 1928 dem Pakt bei, ratifizierte ihn als erster Staat und empfahl ihren Nachbarn in Europa, ein Protokoll über die vorfristige Inkraftsetzung der Verpflichtungen des Paktes zwischen den Teilnehmern dieses Protokoll zu unterzeichnen, ohne eine allgemeine Ratifikation abzuwarten.” Weitergehende Vorschläge der UdSSR, die Forderung nach „Verbot der Kriege” zu präzisieren und mit der „allgemeinen Abrüstung” zu verbinden, wurden von den bürgerlichen Staaten nicht angenommen. 44 Staaten hatten den Pakt ratifiziert. Er trat am 25. Juli 1929 in Kraft.

Das Verdienst, den Reigen derjenigen Perestroika-Historiker eröffnet zu haben, die Hitler bescheinigen, einen Präventivkrieg gegen die Sowjetunion geführt zu haben, kommt offenbar Viktor Suworow alias Wladimir Resun mit seinem Buch „Der Eisbrecher” zu. Resun, Jahrgang 1947, hatte diverse Offiziersschulen und -hochschulen absolviert. Er war seit 1970 Nomenklaturkader des ZK der KPdSU. Seit 1974 war er in der Genfer Residentur der Hauptverwaltung Aufklärung des Generalstabs der Sowjetarmee tätig. Nach dem Osteuropahistoriker Bernd Bonwetsch habe er sich 1983 nach Großbritannien „abgesetzt”. In der Sowjetunion sei er in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. (Nach einer anderen Quelle habe er bereits 1978 in Großbritannien politisches Asyl erhalten.)

Suworow/Resun veröffentlichte sein Buch „Der Eisbrecher” 1989 in der BRD und fand damit, wie Bonwetsch schreibt, „große Resonanz. Noch größer war der Erfolg dieses Buches in Russland, wo es 1993 in Millionenauflage herauskam…” (Bonwetsch, in Pietrow-Ennker: Präventivkrieg?… S.173)

Suworow/Resuns Grundaussagen: Hitler habe einen Präventivkrieg geführt – der Partisanenkrieg sei völkerrechtswidrig gewesen – Leugnung von Verbrechen der Wehrmacht – Unterstellung schwerer Verbrechen der Sowjetarmee – Identifizierung von Weltrevolution mit militärischer Aggression, möglicherweise von Trotzki abgeschrieben und Stalin unterstellt – Hitler habe Europa vor dem Bolschewismus gerettet.

Die Methode der Darstellung: Lügen, Unterstellungen, Sophistereien, vermischt mit einigen Tatsachen – ohne Anführung von Tatsachen lassen sich Lügen nicht „glaubhaft” vermitteln. Die Kennzeichnung von Waffen der Roten Armee als „Aggressionswaffen”, die Gleichsetzung von „Angriff” als militärstrategische und taktische Kategorie mit „Aggression”, d.h. Eroberung von fremdem Territorium, sind Demagogie; als ehemaliger Offizier mit Militär-Hochschulbildung weiß Suworow/Resun natürlich, daß die strategische Verteidigung auch Gegenstöße, Gegenoffensiven und Angriffe kennt und demzufolge auch über „Angriffs”-Waffen verfügt, daß keine Armee der Welt allein durch Verteidigung einen Aggressor zurückschlagen kann.

Sollte er den in der sowjetischen militärtheoretischen Literatur sehr bekannten preußischen Militärtheoretiker Carl von Clausewitz nicht gekannt haben? Das ist unglaubhaft. Clausewitz schrieb über das Verhältnis von „Angriff und Verteidigung”: „Da man aber, um wirklich auch seinerseits Krieg zu führen, dem Feinde seine Stöße zurückgeben muß, so geschieht dieser Aktus des Angriffs im Verteidigungskriege gewissermaßen unter dem Haupttitel der Verteidigung, d.h. die Offensive, deren wir uns bedienen, fällt innerhalb der Begriffe von Stellung und Kriegstheater. Man kann also in einem verteidigenden Feldzuge angriffsweise schlagen, in einer verteidigenden Schlacht angriffsweise seine einzelnen Divisionen gebrauchen, endlich in der einfachen Aufstellung gegen den feindlichen Sturm schickt man ihm sogar noch die offensiven Kugeln entgegen….”

„Hat der Verteidiger einen bedeutenden Vorteil errungen, so hat die Verteidigung das Ihre getan, und er muß unter dem Schutz dieses Vorteils den Stoß zurückgeben, wenn er sich nicht einem gewissen Untergang aussetzen will… Ein schneller, kräftiger Übergang zum Angriff … ist der glänzendste Punkt der Verteidigung…”, den man „gleich in den Begriff der Verteidigung” aufnehmen müsse. „Ferner ist es eine grobe Verwechslung, wenn man unter Angriff immer einen Überfall versteht und sich folglich unter Verteidigung nichts als Not und Verwirrung denkt.” (Clausewitz, Vom Kriege, S. 369 und 384)

Insgesamt ist der „Eisbrecher” ein primitives antistalinsches Machwerk, ohne jeden wissenschaftlichen Wert. Bonwetsch ist zuzustimmen, wenn er meint, daß Suworows „Umgang mit Quellen und Literatur, der seine „Behauptungen aus Vermutungen in den Rang von Tatsachen erhebt”, als „durchgängig unprofessionell und häufig sogar skandalös” zu bezeichnen ist, wobei Bonwetsch sich noch sehr höflich ausgedrückt hat. (Bonwetsch, a.a.O., S.173)

Sergej Slutsch, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Slawenkunde der Akademie der Wissenschaften Russlands, meint, ein „juristisches Gleichheitszeichen” zwischen Stalin und Hitler, den „beiden Aggressoren”, setzen zu müssen, wobei „Stalin … im gewissen Sinne weitergegangen sei als Hitler”. (Pietrow-Enncker, Präventivkrieg?… S.106)

Solche aus der Luft gegriffenen Konstruktionen werden im rechtskonservativen Lager natürlich mit Behagen aufgegriffen.

Wenn Suworow/Resun ein Repräsentant der „neurussischen” Historiographie, für die Umschreibung der Geschichte des Zweiten Weltkrieges ist, so kann man Ernst Topitsch als sein bundesdeutsches Pendant verstehen. Topitsch beruft sich in seinem Buch „Stalins Krieg. Moskaus Griff nach der Weltherrschaft. Strategie und Scheitern” ausdrücklich auf russische Autoren. Es gäbe eine „geradezu fugenlose Übereinstimmung deutscher und russischer Unterlagen” über die „wohl endgültig gesicherten Angriffsabsichten Stalins” (S.8)

Stalin habe Lenins „Langzeitstrategie zur Unterwerfung der ,kapitalistischen’ Welt” gemäß in der „Verwirklichung dieses großangelegten Konzepts eine Rolle gespielt, die von der bisherigen Geschichtsforschung meist noch nicht in ihrer ganzen Bedeutsamkeit erfaßt worden ist.” (S.24 f)

Offenbar haben bisher marxistisch-leninistische Historiker in Lenins Werken dessen „Langzeitstrategie” noch nicht entdecken können. Desgleichen muß ihnen in den Schriften, Reden und in der Politik Stalins dessen Rolle in der „Verwirklichung” dieses „großangelegten Konzepts” entgangen sein.

Topitsch würde sich verdient machen, wenn er auch nur einen einzigen Beweis für seine bemerkenswerten Äußerungen vorbringen könnte. In seinem Buch, immerhin 332 Seiten, habe ich keinen dafür gefunden.

Topitsch versichert uns, daß „nun verfügbare Unterlagen zeigen, daß für den Sommer (1941, UH) ein (sowjetischer, UH) Großangriff geplant war.” Es seien „sogar ernstzunehmende Argumente dafür angeführt, daß Stalin

auf jeden Fall … im Sommer (1941, UH) angreifen mußte.” (S. 29) Die von Topitsch dafür angeführten Äußerungen von sowjetischen Generalen, Bagramjan, Merezkow, Shukow, Wassilewski, sowie andere Dokumente, beweisen nun gerade das Gegenteil von Topitschs Behauptungen.

Von besonders tiefer „Einsicht” zeugt seine geradezu epochale Entdeckung, daß Stalin „das Erbe des Imperialismus der Zaren mit den Grundsätzen eines Marx und Lenin verbunden” habe. (S.30)

Wie Stalin dieses Wunder vollbracht haben soll, bleibt Topitschs Geheimnis. Topitsch versichert uns, daß die „gegenständliche Streitfrage” über die Weisung 2 des Obersten Befehlshabers der Wehrmacht vom 18. Dezember 1940, Plan „Barbarossa” (siehe Anhang) „wohl endgültig entschieden” sei: „…in objektiver Hinsicht trug ,Barbarossa’ präventiven Charakter.” Wenn auch „im engsten, unmittelbar militärischen Sinne” Barbarossa subjektiv nicht als Präventivkrieg bezeichnet werden könne, so „hegte Hitler schon im Sommer 1940 den begründeten Verdacht, England suche nach dem Ausscheiden Frankreichs die Sowjetunion als ,Festlanddegen’ zu gewinnen… Der Diktator stand unter Zugzwang.” (174 f)

Dieser „Verdacht” reicht also schon aus, Plan „Barbarossa” als Präventivkrieg auch „subjektiv” zu rechtfertigen.

Auf weitere Ausführungen Topitschs einzugehen, erübrigt sich. Sein Buch ist eine Legitimation des Eroberungs- und Vernichtungskrieges des faschistischen deutschen Imperialismus gegen die Sowjetunion. Als eine gewöhnliche antistalinsche Agitationsschrift ist es ohne jeden wissenschaftlichen Wert.

Neben diesen Schmähschriften von Autoren aus dem rechten Lager gibt es auch ernstzunehmende Publikationen zur Präventivkriegsthese von bürgerlichen Historikern, die trotz ihrer Vorbehalte gegenüber Stalin zu sachlichen Einschätzungen gelangen. Die kritische Distanz zur marxistisch-leninistischen Historiographie muß nicht zwangsläufig zu Geschichtsfälschungen führen.

Bianka Pietrow Ennker, Osteuropahistorikerin an der Universität Konstanz, weist die Präventivkriegsthese der Faschisten als unhaltbar zurück. Sie begründet ihren Standpunkt aus der Schwäche der Roten Armee zu diesem Zeitpunkt, die gar nicht in der Lage gewesen wäre, einen Aggressionskrieg gegen Deutschland zu führen. Diese Schwäche führt sie jedoch auf die Auswirkungen Stalinscher Politik zurück, wobei sie die Thesen von der „Zwangskollektivierung”, der „Enthauptung der Roten Armee” unkritisch übernimmt. Nun war gerade die Kollektivierung der Landwirtschaft eine der sozial-ökonomischen Voraussetzungen für den Sieg des Sozialismus in der UdSSR und im Zweiten Weltkrieg über die faschistische deutsche Wehrmacht gewesen.

Sie war notwendiger Bestandteil der sozialistischen Revolution. Sozialistische Industrie und privatkapitalistische Landwirtschaft sind nicht miteinander zu vereinen. Die Entwicklungsmöglichkeiten kleiner landwirtschaftlicher Betriebe hatten sich erschöpft, wobei die vom Zarismus ererbte Rückständigkeit der russischen Landwirtschaft und das Kulturniveau der Bauernmassen, in der überwiegenden Mehrheit Analphabeten, zu berücksichtigen ist. Von den kapitalistisch wirtschaftenden Großbauern, den Kulaken, wurde Widerstand gegen die Kollektivierung geleistet, mit Aufständen, Ermordung von Sowjetfunktionären, Zurückhaltung von Getreide. Die Anwendung von Gewalt gegen die Kulaken war die notwendige revolutionäre Maßnahme der Sowjetmacht, das waren etwa 3 bis 5 % der Wirtschaften. Gegen die Masse der Klein- und Mittelbauern wurde keine Gewalt angewendet – aus dem einfachen Grunde, weil es gar nicht ging. Stalin hatte weder die Macht noch den Apparat, noch die erforderlichen bewaffneten Kräfte dafür, denn die Mehrheit der Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere der Roten Armee stammten aus Arbeiter- und Bauernfamilien. Die überwiegende Mehrheit der Sowjetsoldaten waren Söhne von Klein- und Mittelbauern, sogar noch zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Britische Offiziere, die mit sowjetischen Soldaten im Raum von Archangelsk zusammenkamen, wunderten sich darüber, daß sie Soldaten der Roten Armee antrafen, die weder schreiben noch lesen konnten. Der Ver-such, gegen die Masse der Bauern Gewalt anzuwenden, hätte das Bündnis zwischen Arbeiterklasse und Bauernschaft zerstört, die politische Grundbedingung für die Existenz der Sowjetmacht. Wenn Stalin versucht hätte, gegen die Bauernmassen Gewalt anzuwenden, so hätte er das nicht überlebt. Die These von der „Zwangskollektivierung”, der „Gewaltanwendung”, reduziert sich auf die Klasse der Kulaken, die zum größten Teil umgesiedelt wurden. (Ulrich Huar, Stalins Beiträge zur politischen Ökonomie des Sozialismus … S.43)

Desgleichen empfiehlt es sich, zur These von der „Enthauptung der Roten Armee” die neueren aus russischen Archiven veröffentlichten Zahlen zu beachten. Andrea Schön dokumentiert dazu einige Zahlen: „Im Jahre 1937 gab es 144.300 Offiziere und politische Kommissare in Armee und Luftwaffe und 282.300 im Jahre 1939. Während der Säuberungen 1937/38 wurden 34.300 Offiziere und Kommissare aus politischen Gründen entlassen. Bis zum Mai 1940 wurden allerdings 11.596 rehabilitiert und wieder in ihre Posten eingesetzt. Das heißt, zu den Entlassenen zählten 22.705 Offiziere und Kommissare (davon 13.000 Armeeoffiziere, 4.700 Luftwaffenoffiziere und 5.000 andere (politische Gefangene, UH)). Das sind insgesamt 7,7 % aller Offiziere und Kommissare, wovon wiederum nur ein geringer Teil als Verräter verurteilt wurde, während der Rest ins zivile Leben zurückkehrte.” (Andrea Schön, Geschichtslügen…, S.46 f)

Hans Wauer/Hans Jürgen Falkenhagen bestreiten die Behauptung von einer Massenhinrichtung sowjetischer Offiziere: „In der Roten Armee und Flotte wurden von 1937 – 1939 36.898 Offiziere aus Altersgründen, wegen unzureichender Gesundheit, Disziplinarverstößen, moralischer Verfehlungen und mangelndem politischen Bewußtsein sowie wegen politischen Strafverdachts entlassen. Von den aus politischen Gründen Entlassenen wurden 9.579 verhaftet, davon wurden etwa 2.000 wegen erwiesener Unschuld wieder entlassen oder, soweit sie verurteilt waren, rehabilitiert.

Von den entlassenen 36.898 Offizieren wurden bis zum 1.1.1941 insgesamt 15.000 wieder in die Reihen der Roten Armee und Flotte in Offiziersdienstgraden aufgenommen. Weitere Entlassungen und Rehabilitierungen erfolgten während des Großen Vaterländischen Krieges. Darüber liegen uns aber keine genauen Zahlen vor. Auf Grund von Paragraphen über konterrevolutionäre Verbrechen wurden 1937/38 70 Offiziere zum Tode durch Erschießen verurteilt, wobei die Urteile vollstreckt wurden. In den Reihen der Unteroffiziers- und Mannschaftsdienstgrade sind wegen konterrevolutionärer Verbrechen keine Todesurteile ergangen.”

„Zu Beginn des Großen Vaterländischen Krieges dienten etwa 500.000 Offiziere in den Reihen der Roten Armee und Flotte und des NKWD. Die Anzahl der Offiziere im Generals- und Admiralsrang hatte sich seit 1937 mindestens vervierfacht. Von einer Enthauptung der Roten Armee kann also in der Tat keine Rede sein.” (Wauer/Falkenhagen: Nikolai Bucharin… S.47f)

Man muß umgekehrt die Frage stellen, was wäre aus der Roten Armee geworden, wenn es konterrevolutionären Trotzkisten in den sowjetischen Streitkräften gelungen wäre, ihre Kommandohöhen zu besetzen? Zugegeben, diese Frage ist spekulativ, weil nicht zu beantworten. Daß es konterrevolutionäre Offiziere in den höchsten Kommandostellen gegeben hat, darüber besteht kein Zweifel. Es ist auch nicht auszuschließen, daß einige Offiziere Intrigen zum Opfer gefallen sind. Intrigen, Überspitzungen, Dummheiten hat es zur Genüge gegeben, unter denen Unschuldige zu leiden hatten. Sie sind auf menschliche Schwächen, Niederträchtigkeiten von Individuen zurückzuführen.

Lenin bemerkte auf dem VIII. Parteitag der KPR (B) (März 1919): „Wir sind nie Utopisten gewesen und haben uns nie eingebildet, daß wir die kommunistische Gesellschaft mit den fein säuberlichen Händen fein säuberlicher Kommunisten aufbauen werden, die in einer rein kommunistischen Gesellschaft geboren und erzogen werden müssen. Das sind Ammenmärchen … hier und dort” haben sich „Karrieristen, Abenteurer an die Rockschöße gehängt, die sich Kommunisten nennen und uns betrügen, die sich an uns herangemacht haben, weil die Kommunisten jetzt an der Macht sind…” (Lenin; Werke, Bd.29, S.195 f)

Dem deutschen faschistischen Imperialismus stand das gesamte industrielle Potential West- und Südosteuropas zur Verfügung. Die deutsche Wehrmacht hatte Kampferfahrung und war waffentechnisch und zahlenmäßig der Roten Armee überlegen. Die Rüstungsproduktion Deutschlands erzeugte 1941 über 11.000 Flugzeuge, 5.200 Panzer und Panzerkraftwagen, 30.000 Geschütze verschiedenen Kalibers, rund 1,7 Millionen Karabiner, Gewehre, Maschinenpistolen. Hinzu kamen die von den unterworfenen Ländern geraubten Waffen sowie die Waffenproduktion der Satelliten. Die Gesamtstärke der deutschen Wehrmacht betrug im Juni 8.500.000 Mann, das waren 208 voll aufgefüllte Divisionen! (Shukow, Erinnerungen, S. 266 f)

General der Infanterie Kurt v. Tippelskirch gab exakte Angaben über die Stärke der bereitstehenden deutschen Truppen: „Bis zum 22. Juni, dem Tag des Angriffsbeginns, waren 81 Inf.-Div., 1 Kav.-Div., 17 Pz.-Div, 15 mot.Div., 9 Polizei- und Sicherungs-Div. in den Aufmarschräumen versammelt. Als Heeresreserven waren 22 Inf.-Div., 2 Pz.-Div., 2 mot. Div. und 1 Polizei-Div. noch im Antransport. Im ganzen verfügte das Heer also, von Sicherungs- und Polizei-Divisionen abgesehen, über 140 voll kampffähige Verbände.

Die Luftwaffe hatte etwa 1.800 Kampfmaschinen in drei Luftflotten bereitgestellt, die mit den drei Heeresgruppen zusammenwirken sollten….” (Tippelskirch …, S. 175)

Die Gesamtstärke der Roten Armee betrug zu diesem Zeitpunkt rund 5 Millionen Mann. (Shukow, Gedanken… S.268.)

Am Vorabend des 22. Juni waren 170 sowjetische Divisionen „auf einem riesigen Territorium mit etwa viereinhalbtausend Kilometern Frontlänge zwischen der Barentsee und dem Schwarzen Meer in 400 km Tiefe verteilt.” Einbezogen war in diese Frontlänge auch die gesamte Küste, „die lediglich von der Küstenverteidigung und der Seekriegsflotte geschützt wurde. Zwischen Tallin und Leningrad gab es an der Küste überhaupt keine Truppen. Daher standen unsere 170 Divisionen tatsächlich auf 3.375 Kilometer Frontlänge…” (Shukow, a.a.O. S. 306)

Das war das Kräfteverhältnis im Juni 1941, darin bestand die „Schwäche” der Roten Armee. Insofern hat Bianka Pietrow recht, bei einem solchen Kräfteverhältnis war eine Aggression der Roten Armee gegen Deutschland unmöglich.

Bianka Pietrow bestätigt einerseits richtig die sowjetische Sicherheitspolitik, die Politik der „kollektiven Sicherheit”, andererseits behauptet sie dann, daß Stalin mit dem Abschluß des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes die sowjetische Sicherheitspolitik untergraben habe. Der Nichtangriffspakt „stand nicht mehr in der Tradition der kollektiven Sicherheitspolitik und früherer Nichtangriffsverträge. Vielmehr bedeutete er einen Bruch der Vertragspraxis, weil er im Wissen über den bevorstehenden deutschen Angriff auf Polen formuliert worden war. Es fehlte die Klausel, die den Vertragspartner von der vertraglichen Verpflichtung entband, wenn die andere Seite einen Akt der Aggression gegen einen dritten Staat unternahm. Damit begünstigte der Vertrag faktisch den Krieg; der Frieden war nun ,teilbar’ geworden.” (Bianka Pietrow, Präventivkrieg?… S. 80 f)

Abgesehen davon, daß bei der erwähnten „Klausel” der Nichtangriffsvertrag nicht zustande gekommen wäre, ist die Argumentation der Autorin zumindest recht merkwürdig.

Nicht der Vertrag „begünstigte” den Krieg, sondern die Politik der britischen und französischen Regierung, wobei die polnische und rumänische Regierung ihren verhängnisvollen Anteil geleistet haben – im Falle einer deutschen Aggression der Roten Armee den Durchzug über ihr Territorium nicht zu gestatten.

Nicht Stalin hat die Politik der „kollektiven Sicherheit” aufgegeben, sondern die britische und französische „appeasment”Politik gegenüber den Faschisten, in der Erwartung, den deutschen Imperialismus in einen Krieg gegen die Sowjetunion zu lenken. Diese Politik war seit dem Münchener Abkommen, der Preisgabe der CSR an die deutschen Faschisten, dokumentarisch belegt. (siehe Anhang, die Dokumente aus dem „Archiv Dirksens”) Über die deutsch-britischen Kungeleien war Stalin bestens informiert. Über die sowjetisch-britisch-französischen Verhandlungen in Moskau über den Abschluß eines Militärabkommens gegen den faschistischen Aggressor im Sommer 1939 geben die Erinnerungen Admiral Kusnezows und Marschall Shukows Auskunft, wie auch das Archiv Dirksens.

Weder die Briten noch die Franzosen wollten ein bindendes Militärabkommen. (Siehe Anhang Kusnetzow und Shukow)

Selbst Churchill, der aus seiner antikommunistischen und speziell antisowjetischen Haltung nie einen Hehl gemacht hatte, bescheinigte in seinen Memoiren Stalin, daß ihm gar nichts anderes übrig geblieben war, als den Nichtangriffsvertrag mit Deutschland zu unterschreiben und machte dafür die Diplomatie der britischen und französischen Regierung verantwortlich. (Siehe Anhang, Churchill)

Bianka Pietrow identifiziert offenbar die Sicherheitspolitik der UdSSR mit der Politik der „kollektiven Sicherheit”. Nach der Ablehnung dieser Politik durch die britische und französische Regierung, dem durch die beiden westlichen Regierungen gewollten und verursachten Scheitern der Politik der „kollektiven Sicherheit”, erforderte die Sicherheit der Sowjetunion den Abschluß des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes.

Bianka Pietrow gibt noch eins drauf: „Die deutsch-sowjetische Zusammenarbeit (?, UH) nach Abschluß der Verträge vom August und September 1939 sollte der Sowjetführung” die Möglichkeit zur Expansion geben. „Denn neben der Sicherheitsgarantie (?, UH), die die UdSSR vom Reich erhielt, eröffneten sich bei deutscher Rückendeckung Chancen zur Verschiebung der Grenzen und zum Export des Sowjetsystems.” (BiankaPietrow, a.a.O. S. 83)

Diese These wird auch von anderen bürgerlichen Publizisten vertreten, aber weder diese noch die Autorin können für die Expansion und den „Export des Sowjetsystems” auch nur einen einzigen Beweis anführen. Auch hier kann man bei Churchill nachlesen, der, wenn auch in seiner antikommunistischen Diktion, erkannt hat, daß es die Sicherheit der UdSSR erforderte, die Grenzen soweit wie möglich nach Westen zu verschieben, namentlich im Baltikum, den westlichen Gebieten Weißrußlands, der Ukraine und Bessarabiens. (Siehe Anhang, Churchill)

Einerseits lehnt Bianka Pietrow die Präventivkriegsbehauptung des faschistischen deutschen Imperialismus ab, andererseits ist ihre „Begründung” dafür nicht haltbar.

Die baltischen Staaten und Finnland waren bereits in den deutschen Aufmarsch mit einbezogen, desgleichen Rumänien. Es sei daran erinnert, daß die demokratischen Revolutionen im Baltikum und in Finnland unter Einsatz deutscher Truppen 1918 niedergeschlagen wurden. Der Preis, den die finnischen und baltischen Bourgeois und Großgrundbesitzer dafür zu zahlen hatten, war die politische und militärische Unterwerfung unter die deutschen Imperialisten.

Die Handlungen der Sowjetregierung waren legitime Verteidigungsmaßnahmen, Maßnahmen revolutionärer Klassenpolitik, wie sie Kurt Gossweiler richtig bezeichnet hat. Man hätte Stalin kritisieren müssen, wenn er es nicht getan hätte. „Vor allem aber … war dieser Schritt der Sowjetunion vom Klassenstandpunkt aus nicht nur berechtigt, sondern kühn und revolutionär. Er durchkreuzte nicht nur – wie sich bald zeigte – imperialistische Intrigen, sondern drängte mit dem Einflußgebiet des deutschen Faschismus auch zugleich das des Imperialismus zurück und dehnte das des Sozialismus aus, sprengte damit den ,cordon sanitaire’, den der Imperialismus vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer um den Sowjetstaat gelegt hatte, und holte aus dem imperialistischen Herrschaftsbereich alle Gebiete zurück, die nach dem ersten Weltkrieg unter Ausnutzung der jungen Sowjetmacht dieser gewaltsam entrissen worden waren.” (Gossweiler, S.183)

Zu diesen befreiten Gebieten gehörten die westlichen Gebiete der Belorussischen- und der Ukrainischen Sowjetrepublik bis zur Curzon-Linie, die 1920 von der Pilsudski-Regierung völkerrechtswidrig annektiert wurden. Die Ententemächte hatten Polen während des Interventionskrieges gegen Sowjetrußland mit umfangreichem Kriegsmaterial aufgerüstet. Von den USA erhielten die Polen im ersten Halbjahr 1920 200 Panzer, 300 Flugzeuge, 20.000 Maschinengewehre. Frankreich lieferte 2.000 Geschütze, 3.000 Maschinengewehre, 500.000 Gewehre und 350 Flugzeuge. Die Gesamtstärke der polnischen Armee betrug rund 740.000 Mann. Etwa 700 französische Offiziere, darunter 38 Generale und Oberste übernahmen die Rolle von Instrukteuren der polnischen Armee. Wie Churchill in seinen Memoiren schrieb, wurde die polnische Armee von dem französischen General Weygand beraten und von der britischen Mission unter Lord d’Abernon unterstützt. (Churchill, Der Zweite Weltkrieg, Berlin – München – Wien, Neuauflage 1989 S. 185)

Die von den „neuen Russen” im Zuge der konterrevolutionären Zerstörung der Sowjetunion verkündete These, wonach Hitler einen Präventivkrieg gegen einen bevorstehenden Angriff der Roten Armee geführt und damit Europa vor dem Bolschewismus gerettet habe, stößt bei anderen russischen Historikern und auch bei deutschen bürgerlichen Historikern als unhaltbar auf Widerspruch. Auch in den kürzlich aus russischen Archiven freigegebenen Dokumenten finden sich keine Beweise für einen geplanten Angriff der Roten Armee auf Deutschland. Umgekehrt finden sich Aggressionspläne gegen die UdSSR im politischen Programm Hitlers – die „Lebensraumgewinnung” im Osten – und in den militärischen Planungen des Krieges gegen die Sowjetunion des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW), nicht nur und nicht erstmalig im Plan „Barbarossa”. Es ist bemerkenswert, daß in keinem Dokument Hitlers und des OKW auch nur ein Hinweis auf eine Bedrohung durch die Rote Armee, über die Notwen

digkeit eines „Präventivkrieges” zu finden ist, dafür um so mehr aber über „vernichten”, „ausrotten”, „erschießen” und über die Deutschen als „Herrenmenschen” über die slawischen Völker. Die „Defensivvorstellungen” Hitlers, der Wehrmachtsführung und „Wehrwirtschaftsführer”, d.h. des deutschen Monopol- und Bankkapitals, gingen davon aus, Rußland bis zu einer Linie von Archangelsk über die mittlere Wolga bis Astrachan zu besetzen.

Man kann Stalin vorwerfen, daß er trotz Kenntnis über die deutschen Aggressionsabsichten nur unzureichende Verteidigungsmaßnahmen hat durchführen lassen. Es gab einen „Präventivschlagsplan” vom Mai 1941, vorgelegt von Shukow, Chef des Generalstabs, und Timoschenko, Volkskommissar für Verteidigung, den Stalin sehr energisch abgelehnt hat. Unter Berufung auf Lev A. Bezymenskij zitiert Alexander I. Boroznjak eine Bemerkung Stalins gegenüber Shukow und Timoschenko auf deren „Offensivplan” sowie zu seiner Rede vom 5. Mai 1941 vor Absolventen der Militärhochschulen: „Ich habe dem Volk gesagt, daß die Wachsamkeit erhöht werden muß. Und Sie müssen wissen, daß Deutschland nie allein gegen Rußland kämpfen wird. Wenn Sie jedoch an der Grenze die Deutschen reizen und Truppen ohne Erlaubnis vorschieben, dann ziehen Sie in Betracht, daß Köpfe fallen werden.” (Boroznjak, in Ueberschär/Bezymenskij… S. 122)

Stalin wolte auf keinen Fall den deutschen Faschisten auch nur den geringsten Anlaß für einen Überfall geben.

Sicher war der Präventivschlagsplan Shukows/Timoschenkos unter militärischem Gesichtspunkt richtig, solange sich die deutschen Truppen noch in der Formierung, in der Beziehung ihrer Ausgangsstellungen befanden.

Aber welche politischen Auswirkungen hätte ein solcher Präventivschlag gehabt? Darüber kann man nur spekulieren. Hätte man nicht die „gewünschten” Fakten gehabt, um die UdSSR – Stalin! – der Führung eines Aggressionskrieges gegen Deutschland zu bezichtigen?

Auf die Frage, was Stalin „im Sinne hatte”, antwortet Bernd Bonwetsch: „Niemand weiß es, aber es spricht weiterhin vieles für die auf zahlreiche Indizien gestützte Vermutung, daß Stalins zögernde, unentschiedene Haltung im Mai und Juni 1941 von der Hoffnung bestimmt wurde, den drohenden Krieg mit Deutschland noch bis 1942 hinauszögern und unter Bedingungen führen zu können, die für die Sowjetunion günstiger waren als die von 1941. Eine wirkliche Klärung steht allerdings noch aus.” (Bonwetsch, a.a.O. S. 185)

Dokumente

Dokument 1:

Stalin: Rechenschaftsbericht an den XVIII. Parteitag(B), März 1939. Auszug.

2. Die Verschärfung der internationalen politischen Lage, der Zusammenbruch des Nachkriegssystems der Friedensverträge, der Beginn des neuen imperialistischen Krieges

Hier eine Aufzählung der wichtigsten Ereignisse in der Berichtsperiode, die den neuen imperialistischen Krieg einleiteten. Im Jahre 1935 überfiel Italien Abessinien und annektierte es. Im Sommer 1936 organisierten Deutschland und Italien die militärische Intervention in Spanien, wobei Deutschland sich im Norden Spaniens und in Spanisch-Marokko und Italien im Süden Spaniens und auf den Balearen festsetzte. Im Jahre 1937 brach Japan, nach der Annexion der Mandschurei, in Nord- und Zentralchina ein, besetzte Peking, Tientsin, Schanghai und begann seine ausländischen Konkurrenten aus der Okkupationszone zu verdrängen. Anfang 1938 annektierte Deutschland Österreich und im Herbst 1938 das Sudetengebiet der Tschechoslowakei. Ende 1938 bemächtigte sich Japan Kantons und Anfang 1939 der Insel Hainan.

Somit zog der Krieg, der sich so unmerklich an die Völker herangeschlichen hat, mehr als 500 Millionen Menschen in seinen Bannkreis; der Krieg hat seine Aktionssphäre auf ein gewaltiges Gebiet ausgedehnt: von Tientsin, Schanghai und Kanton über Abessinien bis Gibraltar.

Nach dem ersten imperialistischen Kriege schufen die Siegerstaaten, hauptsächlich England, Frankreich und die USA, ein neues Regime der Beziehungen zwischen den Ländern: das Friedensregime der Nachkriegszeit. Die wichtigsten Grundpfeiler dieser Regimes waren im Fernen Osten der Neunmächtepakt und in Europa der Versailler Vertrag und eine ganze Reihe anderer Verträge. Der Völkerbund war dazu bestimmt, die Beziehungen zwischen den Ländern im Rahmen dieses Regimes auf der Grundlage einer Einheitsfront der Staaten, auf der Grundlage der kollektiven Verteidigung der Sicherheit der Staaten zu regeln. Die drei aggressiven Staaten und der von ihnen begonnene neue imperialistische Krieg haben jedoch dieses gesamte Friedensregime der Nachkriegszeit über den. Haufen geworfen. Japan hat den Neunmächtepakt, Deutschland und Italien haben den Versailler Vertrag zerrissen. Um freie Hand zu bekommen, sind alle diese drei Staaten aus dem Völkerbund ausgetreten.

Der neue imperialistische Krieg wurde zur Tatsache.

In unseren Zeiten ist es nicht so leicht, sich mit einem Male von der Kette loszureißen und sich geradewegs in den Krieg zu stürzen, ohne auf Verträge verschiedener Art und auf die öffentliche Meinung Rücksicht zu nehmen. Den bürgerlichen Politikern ist dies sehr wohl bekannt. Auch den faschistischen Machthabern ist das bekannt. Daher entschlossen sich die faschistischen Machthaber, bevor sie sich in den Krieg stürzten, die öffentliche Meinung in bestimmter Weise zu bearbeiten, d.h. sie irrezuführen, sie zu betrügen.

Ein Kriegsblock Deutschlands und Italiens gegen die Interessen Englands und Frankreichs in Europa? Gott bewahre! Ist das etwa ein Block? „Wir” haben keinerlei Kriegsblock. „Wir” haben lediglich eine harmlose „Achse Berlin-Rom”, d.h. eine Art geometrische Formel für eine Achse. (Heiterkeit)

Ein Kriegsblock Deutschlands, Italiens und Japans gegen die Interessen der USA, Englands und Frankreichs im Fernen Osten? Nichts dergleichen! „Wir” haben keinerlei Kriegsblock. „Wir” haben lediglich ein harmloses „Dreieck Berlin-Rom-Tokio” – das ist ein kleiner geometrischer Zeitvertreib. (Allgemeine Heiterkeit).

Ein Krieg gegen die Interessen Englands, Frankreichs, der USA? Unsinn! „Wir” führen Krieg gegen die Komintern und nicht gegen diese Staaten. Glaubt ihr es nicht, so lest den „Antikomintern-Pakt”, den Italien, Deutschland und Japan miteinander abgeschlossen haben.

So gedachten die Herren Aggressoren die öffentliche Meinung zu bearbeiten, obwohl es nicht schwer war zu begreifen, daß all dies eine plumpe, durchsichtige Maskerade war, denn es ist lächerlich, „Stützpunkte” der Komintern in den Wüsten der Mongolei, in den Bergen Abessiniens, in den Felsschluchten Spanisch-Marokkos zu suchen. (Heiterkeit).

Aber der Krieg ist unerbittlich. Man kann ihn hinter keinerlei Kulissen verstecken. Denn hinter keinerlei „Achsen”, „Dreiecken” und „Antikomintern-Pakten” läßt sich die Tatsache verstecken, daß Japan während dieser Zeit ein gewaltiges Gebiet Chinas, Italien, Abessinien, Deutschland, Österreich und das Sudetengebiet, Deutschland und Italien gemeinsam Spanien an sich gerissen haben, all dies entgegen den Interessen der nichtaggressiven Staaten. Der Krieg blieb Krieg, der Kriegsblock der Aggressoren blieb ein Kriegsblock und die Aggressoren blieben Aggressoren.

Ein kennzeichnender Zug des neuen imperialistischen Krieges besteht darin, daß er noch nicht zu einem allgemeinen, zu einem Weltkriege geworden ist. Der Krieg wird von den aggressiven Staaten geführt, die die Interessen der nichtaggressiven Staaten, vor allem Englands, Frankreichs und der USA, in jeder Weise schädigen; die letzteren weichen jedoch zurück, treten den Rückzug an, machen den Aggressoren ein Zugeständnis nach dem anderen.

Somit vollzieht sich vor unseren Augen eine offene Neuaufteilung der Welt und der Einflußsphären auf Kosten der Interessen der nichtaggressiven Staaten, wobei diese keinerlei Versuche zur Abwehr unternehmen, in gewisser Weise sogar jene begünstigen.

Unglaublich, aber wahr.

Wodurch ist dieser einseitige und seltsame Charakter des neuen imperialistischen Krieges zu erklären?

Wie konnte es geschehen, daß die nichtaggressiven Länder, die über gewaltige Möglichkeiten verfügen, so leicht und ohne Widerstand zugunsten der Angreifer ihre Positionen preisgaben und sich von ihren Verpflichtungen lossagten?

Ist dies etwa durch die Schwäche der nichtaggressiven Staaten zu erklären? Natürlich nicht! Die nichtaggressiven, demokratischen Staaten sind zusammen unzweifelhaft stärker als die faschistischen Staaten, sowohl in ökonomischer als auch in militärischer Hinsicht.

Wodurch sind also in diesem Falle die systematischen Zugeständnisse dieser Staaten an die Aggressoren zu erklären?

Man könnte dies zum Beispiel mit der Furcht vor der Revolution erklären, die ausbrechen könnte, wenn die nichtaggressiven Staaten in den Krieg eintreten und der Krieg zu einem Weltkriege wird. Die bürgerlichen Politiker wissen natürlich, daß der erste imperialistische Weltkrieg den Sieg der Revolution in einem der größten Länder mit sich gebracht hat. Sie fürchten, der zweite imperialistische Weltkrieg könnte ebenfalls zum Siege der Revolution in einem oder in mehreren Ländern führen.

Aber das ist zur Zeit nicht die einzige und nicht einmal die wichtigste Ursache. Die wichtigste Ursache besteht darin, daß sich die meisten nichtaggressiven Länder und vor allem England und Frankreich von der Politik der kollektiven Sicherheit, von der Politik der kollektiven Abwehr der Aggressoren losgesagt haben, daß sie die Position der Nichteinmischung, die Position der „Neutralität” bezogen haben.

Formal gesehen könnte man die Politik der Nichteinmischung wie folgt charakterisieren: „Jedes Land möge sich gegen die Aggressoren verteidigen wie es will und wie es kann, wir scheren uns nicht darum, wir werden sowohl mit den Aggressoren als auch mit ihren Opfern Handel treiben.” In Wirklichkeit bedeutet jedoch die Politik der Nichteinmischung eine Begünstigung der Aggression, die Entfesselung des Krieges und folglich seine Umwandlung in einen Weltkrieg. In der Politik der Nichteinmischung macht sich das Bestreben, der Wunsch geltend, die Aggressoren bei der Ausführung ihres dunklen Werkes nicht zu hindern, zum Beispiel Japan nicht zu hindern, sich in einen Krieg gegen China, noch besser aber gegen die Sowjetunion einzulassen, zum Beispiel Deutschland nicht zu hindern, sich in die europäischen Angelegenheiten zu verstricken, sich in einen Krieg gegen die Sowjetunion einzulassen, alle Kriegsteilnehmer tief in dem Morast des Krieges versinken zu lassen, sie im stillen dazu anzuspornen, dazu zu bringen, daß sie einander schwächen und erschöpfen, dann aber, wenn sie genügend geschwächt sind, mit frischen Kräften auf dem Schauplatz zu erscheinen und, natürlich, „im Interesse des Friedens” aufzutreten, um den geschwächten Kriegsteilnehmern die Bedingungen zu diktieren.

Wie billig und wie nett!

Nehmen wir zum Beispiel Japan. Es ist charakteristisch, daß alle einflußreichen französischen und englischen Zeitungen vor dem japanischen Einfall in Nordchina schreiend verkündeten, daß China schwach sei, daß es unfähig sei, Widerstand zu leisten, daß Japan mit seiner Armee in zwei, drei Monaten China unterwerfen könnte. Daraufhin nahmen die europäischen und amerikanischen Politiker eine abwartende Stellung ein und spielten den Beobachter. Und dann, als Japan die Kriegshandlungen entfaltete, trat man ihm Schanghai ab, das Herz des ausländischen Kapitals in China, trat man Kanton ab, den Stützpunkt des englischen Monopoleinflusses in Südchina, trat man Hainan ab, ließ man Hongkong einkreisen. Nicht wahr, all das sieht einer Ermunterung der Aggressoren sehr ähnlich: Mögen sie sich weiter in den Krieg verstricken, man wird dann schon sehen.

Oder nehmen wir zum Beispiel Deutschland. Man trat Deutschland Österreich ab, ungeachtet der Verpflichtung, die Selbständigkeit Österreichs zu verteidigen, man trat ihm das Sudetengebiet ab, überließ die Tschechoslowakei ihrem Schicksal, womit man allen und jeden Verpflichtungen zuwiderhandelte, und begann dann in der Presse lärmend zu lügen, daß die „russische Armee schwach”, die „russische Luftflotte zersetzt” sei, daß es in der Sowjetunion „Unruhen” gebe, wodurch man die Deutschen anstachelte, weiter nach Osten vorzustoßen, ihnen leichte Beute versprach und ihnen zuredete: Fangt nur den Krieg gegen die Bolschewiki an, weiter wird alles gut gehen. Man muß zugeben, daß dies ebenfalls einem Antreiben, einer Ermunterung des Aggressors sehr ähnlich sieht.

Kennzeichnend ist der Lärm, den die englische, französische und nordamerikanische Presse um die Sowjetukraine erhob. Die Vertreter dieser Presse schrien sich heiser, daß die Deutschen gegen die Sowjetukraine marschieren, daß sie gegenwärtig die sogenannte Karpato-Ukraine in Händen haben, die etwa 700.000 Einwohner zählt, und daß die Deutschen nicht später als im Frühling dieses Jahres den Anschluß der Sowjetukraine mit mehr als 30 Millionen Einwohnern an die sogenannte Karpato-Ukraine vollziehen würden. Es hat den Anschein, als ob dieser verdächtige Lärm den Zweck hatte, bei der Sowjetunion Wut gegen Deutschland zu erregen, die Atmosphäre zu vergiften und einen Konflikt mit Deutschland zu provozieren, ohne daß dazu sichtbare Gründe vorliegen.

Es ist allerdings sehr wohl möglich, daß es in Deutschland Verrückte gibt, die davon träumen, einen Elefanten, d.h. die Sowjetukraine, einer Mücke, d.h. der sogenannten Karpato-Ukraine, anzugliedern. Wenn es dort wirklich solche wahnwitzigen Leute gibt, so ist nicht daran zu zweifeln, daß sich in unserem Lande in genügender Zahl Zwangsjacken für solche Verrückten finden würden. (Beifallssturm). Lassen wir aber die Verrückten beiseite und wenden wir uns normalen Menschen zu: Ist es etwa nicht klar, daß es lächerlich und dumm wäre, im Ernst von einem Anschluß der Sowjetukraine an die sogenannte Karpato-Ukraine zu sprechen? Man bedenke nur. Die Mücke kommt zum Elefanten und sagt zu ihm, die Hände in die Seiten gestemmt: „He, du, mein lieber Bruder, wie tust du mir doch leid… Du lebst dahin ohne Gutsbesitzer, ohne Kapitalisten, ohne nationale Unterdrückung, ohne faschistische Machthaber, was ist das für ein Leben… Ich schaue dich an und kann nicht umhin zu bemerken: Es gibt keine Rettung für dich, als dich mir anzuschließen… (Allgemeine Heiterkeit). Wohlan denn, ich erlaube dir, dein kleines Gebiet meinem unermeßlichen Territorium anzuschließen…” (Allgemeine Heiterkeit und Beifall).

Noch kennzeichnender ist es, daß gewisse Politiker und Pressevertreter in Europa und in den Vereinigten Staaten, die in Erwartung eines „Feldzugs gegen die Sowjetukraine” die Geduld verloren haben, selber dazu übergehen, die wahren Hintergründe der Nichteinmischungspolitik zu enthüllen. Sie erklären geradeheraus und geben es schwarz auf weiß zu, daß sie von den Deutschen schwer „enttäuscht” seien, da diese, statt weiter nach Osten, gegen die Sowjetunion, vorzustoßen, sich – man denke nur – nach Westen wenden und Kolonien verlangen. Der Gedanke liegt nahe, man habe den Deutschen Gebiete der Tschechoslowakei als Kaufpreis für die Verpflichtung gegeben, den Krieg gegen die Sowjetunion zu beginnen, daß sich aber die Deutschen nunmehr weigern, den Wechsel einzulösen, und den Gläubigern die Türe weisen.

Ich bin weit davon entfernt, über die Nichteinmischungspolitik zu moralisieren, von Verrat, von Treubruch und dergleichen zu sprechen. Es wäre naiv, Leuten, die die menschliche Moral nicht anerkennen, Moral zu predigen. Politik ist Politik, wie die alten durchtriebenen bürgerlichen Diplomaten sagen. Es ist jedoch notwendig zu bemerken, daß das große und gefährliche politische Spiel, das die Anhänger der Nichteinmischungspolitik begonnen haben, für sie mit einem ernsten Fiasko enden kann. So sieht in Wirklichkeit die heute herrschende Nichteinmischungspolitik aus.

Das ist die politische Lage in den kapitalistischen Ländern.

3. Die Sowjetunion und die kapitalistischen Länder

Der Krieg hat eine neue Lage in den Beziehungen zwischen den Ländern geschaffen. Er hat in diese Beziehungen eine Atmosphäre der Unruhe und Unsicherheit hineingetragen. Der Krieg hat die Grundlagen des Friedensregimes der Nachkriegszeit untergraben, die elementarsten Begriffe des Völkerrechts über den Haufen geworfen und dadurch den Wert internationaler Verträge und Verpflichtungen in Frage gestellt. Pazifismus und Abrüstungsprojekte sind begraben worden. An ihre Stelle ist das Rüstungsfieber getreten. Alle Staaten, die kleinen wie die großen, rüsten auf, darunter vor allem diejenigen Staaten, die Nichteinmischung betreiben. Niemand glaubt mehr den salbungsvollen Reden, daß die Münchener Zugeständnisse an die Aggressoren und das Münchener Abkommen eine neue Ära, eine Ära der „Befriedung”, eingeleitet hätten. Auch die Teilnehmer des Münchener Abkommens selbst, England und Frankreich, schenken ihnen keinen Glauben; sie steigern ihre Rüstungen nicht weniger als die anderen.

Es ist klar, daß die Sowjetunion über diese unheilschwangeren Ereignisse nicht hinwegsehen konnte. Es ist nicht zu bezweifeln, daß jeder, selbst der kleinste Krieg, der irgendwo in einem entfernten Weltwinkel von den Aggressoren begonnen wird, für die friedliebenden Länder eine Gefahr darstellt. Eine um so ernstere Gefahr bedeutet der neue imperialistische Krieg, der bereits mehr als 500 Millionen Menschen in Asien, Afrika und Europa in seinen Bannkreis gezogen hat. Infolgedessen hat unser Land, das unbeirrt die Politik der Erhaltung des Friedens betreibt, gleichzeitig auch eine große Arbeit zur Stärkung der Kampfbereitschaft unserer Roten Armee und unserer Roten Kriegsmarine entfaltet.

Zugleich entschloß sich die Sowjetunion im Interesse der Festigung ihrer internationalen Positionen, auch einige andere Schritte zu unternehmen. Ende 1934 trat unser Land dem Völkerbund bei, ausgehend davon, daß er sich, ungeachtet seiner Schwäche, als eine Stätte zur Entlarvung der Aggressoren eignen und als ein gewisses, wenn auch schwaches, Friedensinstrument dienen könne, das imstande wäre, die Entfesselung des Krieges zu hemmen. Die Sowjetunion ist der Ansicht, daß man in so unruhigen Zeiten auch eine so schwache internationale Organisation wie den Völkerbund nicht ignorieren soll. Im Mai 1935 wurde zwischen Frankreich und der Sowjetunion ein Beistandsvertrag für den Fall eines eventuellen Angriffs von Seiten der Aggressoren abgeschlossen. Gleichzeitig wurde ein analoger Vertrag mit der Tschechoslowakei unterzeichnet. Im März 1936 schloß die Sowjetunion einen Beistandsvertrag mit der Mongolischen Volksrepublik ab. Im August 1937 wurde ein auf Gegenseitigkeit beruhender Nichtangriffspakt zwischen der Sowjetunion und der Chinesischen Republik abgeschlossen.

Unter diesen schwierigen internationalen Verhältnissen führte die Sowjetunion ihre Außenpolitik durch, die Sache der Erhaltung des Friedens verfechtend.

Quelle: Stalin: Werke, Bd. 14. Verlag Roter Morgen, Dortmund 1976


Dokument 2:

Winston S. Churchill: Der Zweite Weltkrieg…

Vom ersten Augenblick an, da Molotow Außenkommissar geworden war, verfolgte er die Politik einer Vereinbarung mit Deutschland auf Kosten Polens. Die russisch-britischen Verhandlungen schleppten sich hin. Am 19. Mai kam das ganze Problem im Unterhaus zur Sprache. Die Debatte, kurz und ernst, blieb auf die Parteiführer und einige prominente frühere Minister beschränkt. Lloyd George, Eden und ich wiesen die Regierung nachdrücklich auf die lebenswichtige Notwendigkeit hin, mit Rußland unverzüglich ein Abkommen umfassendster Art zu treffen, einen Vertrag zwischen zwei gleichberechtigten Mächten. Der Premierminister antwortete und gab uns zum erstenmal seine Ansichten über das Angebot der Sowjetunion bekannt. Die Aufnahme, die er ihm bereitete, war ausgesprochen kühl, ja verächtlich, und deutete auf den nämlichen Mangel an Gefühl für die Bedeutung der Dinge, wie wir ihn schon ein Jahr früher bei der Ablehnung der Vorschläge Roosevelts erlebt hatten. Attlee, Sinclair und Eden sprachen über die unmittelbare Gefahr im allgemeinen und über die Notwendigkeit der russischen Allianz. Es steht wohl außer Zweifel, daß dies alles jetzt zu spät war. Unsere Bemühungen waren auf einem anscheinend unüberwindlichen toten Punkt festgefahren. Die Regierungen von Polen und Rumänien nahmen zwar die britische Garantie an, waren aber nicht bereit, eine ähnliche Verpflichtung in der gleichen Form von der russischen Regierung entgegenzunehmen. Eine ähnliche Haltung herrschte in einem andern strategisch lebenswichtigen Gebiet – in den baltischen Staaten. Die Sowjetregierung gab unmißverständlich zu verstehen, daß sie einem gegenseitigen Beistandspakt nur dann beitreten werde, wenn Finnland und die baltischen Staaten in eine allgemeine Garantie miteinbezogen würden. Alle die vier Staaten weigerten sich aber, eine derartige Bedingung anzunehmen, und vielleicht würden sie sich vor lauter Schrecken noch lange geweigert haben. Finnland und Estland erklärten sogar, daß sie eine Garantie, die ohne ihre Zustimmung auch auf sie ausgedehnt würde, als einen Angriffsakt betrachten würden. Am 7. Juni unterzeichneten Estland und Lettland Nichtangriffspakte mit Deutschland. Auf diese Weise drang Hitler mühelos in die letzten gebrechlichen Verteidigungswerke der unentschlossenen Koalition ein, die sich viel zu spät gegen ihn gebildet hatte.

Die britische und die französische Regierung unternahmen nochmals einen Versuch zur Verständigung mit Sowjetrußland. Es wurde beschlossen, einen Sondergesandten nach Moskau zu schicken. Eden, der einige Jahre vorher mit Stalin wertvolle Beziehungen angeknüpft hatte, stellte sich dafür zur Verfügung. Dieses hochherzige Angebot wurde vom Premierminister abgelehnt. Statt dessen wurde am 12. Juni ein tüchtiger Beamter, der aber außerhalb des Foreign Office kaum bekannt war, William Strang, mit dieser ungemein wichtigen Mission betraut. Das war ein weiterer Fehler. Die Entsendung einer so untergeordneten Figur wurde geradezu als Beleidigung empfunden. Es ist zweifelhaft, ob es ihm auch nur gelang, die äußere harte Schale des Sowjetorganismus aufzubrechen. Übrigens war es jetzt ohnedies zu spät. Seit im September 1938 Maiskij zu mir nach Chartwell geschickt worden war, hatte sich manches ereignet. Vor allem München. Die Heere Hitlers hatten sich ein weiteres Jahr vorbereiten können. Seine durch die Skodawerke ergänzten Rüstungsbetriebe arbeiteten durchwegs mit Hochdruck. Der Sowjetregierung hatte viel an der Tschechoslowakei gelegen, aber die Tschechoslowakei war verschwunden. Benesch war im Exil. In Prag herrschte ein deutscher Reichsprotektor.

Polen dagegen stellte Rußland eine ganz andere Reihe uralter politischer und strategischer Probleme. Zum letztenmal hatte Rußland 1920 in der Schlacht um Warschau gegen Polen gekämpft, als die von Kamenew geführten bolschewistischen Invasionsarmeen von Pilsudski, der von General Weygand beraten und von der britischen Mission unter Lord d’Abernon unterstützt wurde, zurückgeschlagen und daraufhin mit blutiger Rache verfolgt worden waren. Seither war Polen immer ein starker Exponent des Antibolschewismus gewesen. Mit der linken Hand hielt es die Verbindung und Unterstützung der antisowjetischen baltischen Staaten aufrecht. Mit der rechten aber hatte es in den Tagen von München bei der Ausplünderung der Tschechoslowakei mitgewirkt. Die Sowjetregierung war überzeugt, daß die Polen sie haßten, aber auch davon, daß Polen einem deutschen Überfall nicht standzuhalten vermöchte. Sie war sich jedoch auch der sie bedrohenden Gefahren vollkommen bewusst. Unter diesen Verhältnissen bestanden keine großartigen Aussichten für Strangs Mission.

Die Verhandlungen drehten sich immer wieder um die Frage der Abneigung Polens und der baltischen Staaten, sich von Sowjetrußland vor Deutschland retten zu lassen. In diesem Punkt wurde kein Fortschritt erzielt. Den ganzen Juli hindurch kam man immer wieder auf dieses Problem zurück. Schließlich machte die Sowjetregierung den Vorschlag, die Besprechungen auf militärischer Grundlage mit französischen und britischen Vertretern fortzusetzen. Die britische Regierung schickte daraufhin am 10. August Admiral Drax mit einer Mission nach Moskau. Die Offiziere hatten keine schriftliche Ermächtigung zu Verhandlungen. An der Spitze der französischen Mission stand General Doumenc. Auf russischer Seite amtete Marschall Woroschilow. Es ist jetzt bekannt, daß zur nämlichen Zeit die Sowjetregierung ihre Zustimmung zur Reise eines deutschen Unterhändlers nach Moskau gab. Die Militärkonferenz scheiterte rasch an der Weigerung Polens und Rumäniens, den Durchmarsch russischer Truppen zu gestatten. Die polnische Haltung lief darauf hinaus: „Mit den Deutschen riskieren wir, unsere Freiheit einzubüßen, mit den Russen verlieren wir unsere Seele.” (Zitiert in Reynaud, La France a sauve l’Europe, Bd. I, S. 587.)

Im August 1942 setzte mir Stalin im Kreml in einer frühen Morgenstunde einen Aspekt der Stellungnahme der Sowjets auseinander. „Wir gewannen den Eindruck”, meinte Stalin, „daß die britische und die französische Regierung nicht zum Krieg entschlossen waren, wenn Polen überfallen würde, daß sie aber hofften, die diplomatische Demonstration Englands, Frankreichs und Rußlands werde Hitler einschüchtern. Wir waren vom Gegenteil überzeugt.” „Wieviele Divisionen”, hatte damals Stalin gefragt, „wird Frankreich gegen Deutschland mobilisieren können?” Die Antwort lautete: „Etwa hundert.” Darauf fragte er: „Wieviele schickt England ins Feld?” Die Antwort lautete: „Zwei und später noch zwei.” „So, so, zwei und später noch zwei”, hatte Stalin wiederholt. „Wissen Sie”, fragte er dann, „wieviele Divisionen wir auf der russischen Front aufstellen müssen, wenn es zum Krieg mit Deutschland kommt?” Nach einer Pause: „Mehr als dreihundert.” Stalin sagte mir nicht, wann und mit wem diese Unterredung stattgefunden hatte. Man muß zugeben, daß Stalin dabei auf festem Boden stand, der aber für Strang und für das Foreign Office nicht vorteilhaft war.

Stalin und Molotow hielten es aus Verhandlungsgründen für notwendig, ihre wahren Absichten bis zum letzten Augenblick zu verheimlichen. Beiden Seiten gegenüber bewiesen Molotow und die ihm untergeordneten Beamten eine beachtenswert geschickte Doppelspurigkeit in ihrer Haltung. Am Abend des 19. August unterrichtete Stalin das Politbureau über seine Absicht, einen Pakt mit Deutschland zu unterzeichnen. Am 22. August blieb Marschall Woroschilow bis zum Abend für die alliierten Missionen unerreichbar. Am folgenden Tag traf Ribbentrop in Moskau ein. In einer Geheimabmachung erklärte Deutschland, daß es an Lettland, Estland und Finnland politisch nicht interessiert sei, Litauen jedoch als in seiner Einflußsphäre liegend betrachte. …

In den baltischen Staaten beanspruchte Deutschland nur wirtschaftliche Interessen. Der deutsch-russische Nichtangriffspakt und die Geheimabmachung wur-den am 23. August spät in der Nacht unterzeichnet. (Nuremberg Documents, Pt. 10, S. 210 ff.)

Es ist fraglich, ob Hitler oder Stalin das Ganze mit größerem Abscheu betrachtete. Beide wußten genau, daß es sich nur um ein zeitweiliges Behelfsmittel handelte. Die Gegensätze zwischen den beiden Reichen und den beiden Systemen waren unüberbrückbar. Unzweifelhaft hatte Stalin das Gefühl, daß Hitler nach einem Jahr Krieg mit den Westmächten für Rußland ein weniger lebensgefährlicher Gegner sein würde. Hitler befolgte einfach seine Methode, einen nach dem andern zu erledigen. Die Tatsache aber, daß der Abschluß eines derartigen Abkommens überhaupt möglich war, stellt den Höhepunkt der diplomatischen Mißerfolge dar, welche die britische und die französische Außenpolitik seit mehreren Jahren zu verzeichnen hatten.

Vom Standpunkt der Sowjetregierung aus muß gesagt werden, daß es für sie lebenswichtig war, das Aufmarschgebiet der deutschen Armeen so weit wie möglich im Westen zu halten, damit die Russen mehr Zeit gewinnen konnten, ihre Streitkräfte aus allen Teilen des ungeheuren Reiches zusammenzuziehen. Sie erinnerten sich noch lebhaft an das Verhängnis, das 1914 über ihre Armeen gekommen war, als sie eilig zum Angriff auf die Deutschen vorgestoßen waren, obschon sie erst eine Teilmobilmachung vollzogen hatten. Jetzt aber lagen ihre Grenzen viel weiter östlich als im vorhergehenden Krieg. Sie mußten daher die baltischen Staaten und einen großen Teil von Polen … besetzen, bevor sie selbst angegriffen wurden. Wenn ihre Politik kaltblütig war, so war sie jedenfalls damals auch im höchsten Maße realistisch.

Quelle: Winston S. Churchill: Der Zweite Weltkrieg… von Churchill selbst bearbeitete einbändige Fassung seines 12-bändigen Memoirenwerkes. Frankfurt am Main, 2003.


Dokument 3:

Bericht des deutschen Botschafters in London, Dirksen, an Staatssekretär Weizsäcker, 1. 8. 1939, Luftposttelegramm

LUFTPOST-TELEGRAMM, Auswärtig Berlin, Nr. 278 vom 1. 8. 1939. Auf Telegramm Nr. 289 vom 31. 7.  Für Staatssekretär persönlich.

1.) Hinsichtlich Unterhaltung Wohltat/Sir Horace Wilson und meiner Stellungnahme hierzu verweise auf Drahtbericht Nr. 277 vom 31.7. Dass Wohltat bei Unterhaltung Preisgabe Einkreisungspolitik nicht ausdrücklich angeregt hat, ist auf seine Verabredung mit mir zurückzuführen, sich im allgemeinen rezeptiv zu verhalten.

2.) Trotzdem das Gespräch nach der politischen Seite hin nicht vertieft wurde, habe ich den Eindruck, dass uns auf dem Wege über wirtschaftspolitische Fragen ein umfassendes konstruktives Programm nahegebracht werden sollte. Die Schwierigkeiten der Durchführung dieses Programms für britische Regierung bei gegenwärtig herrschender Stimmung Öffentlichkeit habe ich in meinem Bericht vom 24.7 -A. 2974- geschildert.

3.) Dass ein Ausgleich mit Deutschland nicht mit gleichzeitiger Durchführung Einkreisungspolitik zu vereinbaren wäre, ist hiesigen leitenden Persönlichkeiten klar. Die hierfür maßgebenden Gedankengänge bewegen sich etwa in folgender Richtung:

a) Ein Ausgleich mit Deutschland würde das Problem Danzig gewissermaßen chemisch auflösen und den Weg für eine deutsch-polnische Regelung, an der England nicht mehr interessiert zu sein brauchte, freimachen.

b) Der Fortgang der Paktverhandlungen mit Russland wird trotz – oder gerade wegen – der Entsendung einer Militärmission skeptisch beurteilt. Dafür spricht die Zusammensetzung englischer Militärmission: Der Admiral, bisher Kommandant von Portsmouth, ist praktisch im Ruhestand und war nie im Admiralstab; der General ist ebenfalls reiner Frontoffizier; der Fliegergeneral hervorragend als Flieger und Fluglehrer, aber nicht als Stratege. Dies spricht dafür, dass Militärmission mehr den Auftrag hat, Gefechtswert der Sowjetarmee festzustellen, als operative Abmachungen zu treffen. Ein hoher Offizier Luftfahrtministeriums äusserte kürzlich Luftattache gegenüber die Überzeugung, dass weder britische noch russische Seite Abschluss Abkommens ernstlich wolle.

c) Hinsichtlich militärischer Bewertung Polens bestehen weiterhin Zweifel, die in finanzieller Zurückhaltung Ausdruck finden. Auch soll Bericht General Ironsides keineswegs übermässig positiv gewesen sein.

d) Der über beste Beziehungen verfügende, der Arbeiterpartei angehörende Politiker Rhoden Buxton (Bruder von Lord Noel Buxton) hat im Gespräch mit Botschaftsrat ähnliche Gedankengänge wie Wilson entwickelt und Aufgabe Einkreisungspolitik als selbstverständliche Folge Ausgleichs mit Deutschland bezeichnet. Aufzeichnung über Unterhaltung mit Buxton folgt mit gleicher Luftpost.

4.) Der Eindruck, dass die Möglichkeiten einer prinzipiellen Einigung mit Deutschland im Laufe der nächsten Wochen festgestellt werden sollen, um Klarheit über Wahlparole zu gewinnen (vergleiche Bericht vom 24.7.2 -A. 2974), verstärkt sich immer mehr. Man hofft, dass die mit Ferieneintritt zu erwartende politische Beruhigung Voraussetzungen schaffen wird, um Verhandlungsprogramm festzustellen, das Aussicht auf Verwirklichung hat.

Quelle: Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR. Dokumente und Materialien der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges. Band II. Das Archiv Dirksens (1938 – 1939)


Dokument 4:

Bericht des deutschen Botschafters in London, Dirksen, an Staatssekretär Weizsäcker, 1. 8. 1939, Berichtsdurchschläge, 1. Anlage, Inhalt: Deutsch-englische Beziehungen

SOFORT Herrn Staatssekretär vorzulegen.

Ich überreiche hiermit Abschrift einer Aufzeichnung, die Botschaftsrat Kordt über eine Unterredung gefertigt hat, die er am vergangenen Sonnabend mit dem Labourpolitiker Mr. Charles Roden Buxton hatte. Wenn auch Herr Roden Buxton nicht der Regierungspartei angehört und mit seinen aussenpolitischen Ideen im Gegensatz zu der Mehrheit der Arbeiterpartei steht, so glaube ich doch, dass seine Ausführungen einiges Interesse beanspruchen können. Der Begriff „Interessensphäre” im Sinne einer Abgrenzung der Grossräume der Hauptmächte ist auch von Sir Horace Wilson in seiner Unterredung mit Herrn Staatsrat Wohlthat gebraucht worden. Es ist ferner bemerkenswert, dass Chamberlain – ebenso wie Buxton – in seiner gestrigen Unterhausrede den britisch-französischen Ausgleichsvertrag aus dem Jahre 1904 und den britisch-russischen Vertrag aus dem Jahre 1907 ausdrücklich erwähnt hat, allerdings in anderem Zusammenhang: Der Ministerpräsident wies darauf hin, dass 1904 neun Monate und 1907 fünfzehn Monate Ver-handlungen notwendig waren, um zum erfolgreichen Abschluss zu gelangen. Chamberlain wollte damit den Vorwurf einer übermässig langen Hinauszögerung der Verhandlungen mit der Sowjetregierung entkräften.

gez. von Dirksen

Heute, am 29. Juli 1939, suchte mich nach vorheriger Anmeldung der frühere Labour-Abgeordnete, Mr. Charles Roden Buxton, Bruder des bekannten Labour-Peers, Lord Noel Buxton, zu einer privaten Rücksprache auf. Herr Roden Buxton, der jetzt kein Mandat mehr innehat, ist in der Leitung der Labour-Party in einer Stellung tätig, die man etwa mit der eines leitenden Generalstabsoffiziers in der Operationsabteilung vergleichen könnte. Er hat ein besonderes Büro im House of Commons und arbeitet politische Gutachten für die Labour-Party aus. In Deutschland sind er und seine Frau bekannt geworden durch ihr mutiges Eintreten für die deutschen Zivileinwohner während der französischen Besetzungen des oberschlesischen und des Ruhrgebiets. Mr. Roden Buxton ist Quäker und geniesst wegen seiner Kenntnis der europäischen Probleme und seiner ausgezeichneten Charaktereigenschaften auch bei seinen politischen Gegnern einen besonders guten Ruf.

Herr Roden Buxton begann mit dem Hinweis darauf, dass er weder für die Labour-Party noch für die Regierung zu mir spreche. Er wünsche mir aber seine Gedanken über die Möglichkeiten auseinanderzusetzen, die sich nach seiner Ansicht noch bieten, um einer Konflagration zu entgehen. Er habe sich davon überzeugen müssen, dass die öffentliche Erörterung von Möglichkeiten, den Frieden zu erhalten, heute nicht mehr zum Ziele führen könne. Die Erregung der Völker sei derart angestiegen, dass jeder Ansatz zu einer vernünftigen Regelung in der Öffentlichkeit sofort sabotiert würde. Es werde also nötig sein, zu einer Art Geheimdiplomatie zurückzukehren. Die massgebenden Kreise Deutschlands und Grossbritanniens müssten versuchen, in Besprechungen, die völlig unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattzufinden hätten, einen Weg zu finden, der aus den unerträglichen Schwierigkeiten herausführe. Er habe hier einen Weg im Auge, der es seinerzeit im Jahre 1904 Lord Landsdowne ermöglicht habe, die Spannung mit Frankreich zu überwinden, und der sich auch 1907 bei der Ausräumung der Spannung mit Russland durchaus bewährt habe. 1904 und 1907 habe England im Grunde vor den gleichen Problemen gestanden wie heute. In der Zeit von 1898 bis 1904 habe Frankreich jede Gelegenheit benutzt, um dem Britischen Empire in der Welt Schwierigkeiten zu bereiten, weil es der Ansicht war, dass es keinen Ausweg aus den bestehenden Spannungen gebe als den, für den bevorstehenden Krieg möglichst viele Bundesgenossen zu gewinnen. Die unter Ausschluss jeder Öffentlichkeit eingeleiteten Besprechungen hätten dann zu dem Abkommen von 1904 geführt, das Frankreich auf Nordwestafrika und Grossbritannien auf Nordostafrika verwies. Dasselbe sei der Fall gewesen vor 1907. Damals habe Russland das Empire in Südpersien, in Afghanistan und in Tibet zu unterminieren versucht. Durch das Abkommen von 1907 sei wiederum im Wege der Schaffung von Interessengebieten der Gegensatz ausgeräumt worden.

Er frage sich, ob es nicht möglich sein würde, dasselbe Verfahren heute Deutschland gegenüber zur Anwendung zu bringen. Der vom Führer geprägte Begriff des Lebensraumes verweise ja schon in diese Richtung. Ich unterbrach hier Herrn Roden Buxton, um ihn darauf hinzuweisen, dass die britische Politik gerade das Gegenteil getan habe. Sie habe sich in Angelegenheiten gemischt, die in keinem Fall in ihre Interessengebiete fielen. Sie habe sogar Garantien an Staaten gegeben, die dieser Garantien gar nicht bedürften, und sie habe die Polnische Regierung zu einem völlig intransigenten Verhalten vernünftigen deutschen Vorschlägen gegenüber ermutigt. Aus der Antwort des Herrn Roden Buxton ging hervor, dass er diese Politik, obwohl selbst Anhänger der Labourparty, in keiner Weise gutheisst. Das sei aber gerade der Grund, weshalb er zu mir gekommen sei. Die Gegensätze hätten sich so verschärft, dass eigentlich nur noch die Alternative Krieg oder vernünftige Verständigung übrigbliebe. Herr Roden Buxton skizzierte dann folgenden Plan: Grossbritannien erkläre sich bereit, mit Deutschland ein Abkommen über die Abgrenzung von Interessensphären zu schliessen. Unter Abgrenzung von Interessensphären verstehe er einerseits die Nichteinmischung anderer Mächte in diese Interessensphäre, andererseits die Aktivlegitimation für die begünstigte Grossmacht, die in ihrem Interessengebiet gelegenen Staaten davon abzuhalten, eine Politik gegen sie zu betreiben. Konkret angewandt würde das bedeuten:

1) Deutschland verspricht, sich nicht in die Angelegenheiten des britischen Empire einzumischen.

2) Grossbritannien verspricht, die deutschen Interessensphären in Ost- und Südosteuropa voll zu respektieren. Das würde zur Folge haben, dass Grossbritannien auf die gewissen Staaten in der deutschen Interessensphäre gegebenen Garantien verzichtet. Ferner verspricht Grossbritannien dahin zu wirken, dass Frankreich sein Bündnis mit der Sowjetunion und seine Bindungen in Südosteuropa löst.

3) Grossbritannien verspricht, die zurzeit laufenden Paktverhandlungen mit der Sowjetunion aufzugeben. – Sonderbarerweise erwähnte Herr Roden Buxton in diesem Zusammenhang auch das Fallenlassen des tschechisch-sowjetrussischen Vertrages.

Dagegen soll Deutschland, ausser der vorerwähnten Nichteinmischung, versprechen:

1) sich zu einer europäischen Zusammenarbeit bereitzuerklären (Herr Roden Buxton erwähnte in diesem Zusammenhang Ideen ähnlich dem Viermächte-pakt Mussolinis),

2) in einem späteren Stadium den Ländern Böhmen und Mähren eine Art von Autonomie zu gewähren (ich wies darauf hin, dass diese Kulturelle Autonomie ja bereits bestände, worauf Herr Roden Buxton den Gedanken nicht weiter vertiefte),

3) in eine allgemeine Herabsetzung der Rüstungen einzuwilligen. Diese Rüstungsherabsetzung solle keinesfalls einseitig Deutschland zugemutet werden; es komme darauf an zu erreichen, dass die Ausgaben für Rüstungen nicht alle Völker völlig ruinierten. Auf meine Frage meinte Roden Buxton, dass das Rüstungspotentiale der Staaten das gleiche bleiben könne, nur auf einem herabgesetzten Niveau.

So wie etwa eine Familie, die bisher im fünften Stock eines modernen Wohnhauses gelebt habe, sich – um Miete zu sparen – mit den gleichen Räumen im zweiten Stock zufrieden gebe. Ein derartiges Zugeständnis sei erforderlich, um es Chamberlain und Lord Halifax überhaupt zu ermöglichen, in vernünftige und realpolitische Besprechungen mit uns einzutreten.

Es sei klar, dass ein so weitreichendes Programm, das im übrigen auch die Kolonialfrage in einem für Deutschland positiven Sinn regeln würde, nur ganz vertraulich besprochen und in einer Atmosphäre gebesserten Vertrauens durchgeführt werden könnte.

Ich habe mich im wesentlichen rezeptiv verhalten, zum Schluss aber nachdrücklich auf die Reden des Führers verwiesen, der bekanntlich schon vor langem England ermahnt habe, sich nicht in Dinge einzumischen, die es nichts angingen.

Zum Schluss fragte ich Mr. Roden Buxton, ob er seine Gedanken mit Mitgliedern der Britischen Regierung erörtert habe. Herr Roden Buxton wollte nicht recht mit der Sprache heraus. Ich glaube aber, seinen etwas gewundenen Ausführungen entnehmen zu können, dass Sir Horace Wilson, und demnach auch der Ministerpräsident Chamberlain, sich mit derartigen Gedanken beschäftigen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Herr Roden Buxton einen Fühler ausstrecken wollte. Ich hatte jedoch den Eindruck, dass die Gedankengänge des Herrn Roden Buxton auf einer genauen Durcharbeitung der Materie beruhen.

London, den 31. Juli 1939. gez. Th. Kordt

Quelle: Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR. Dokumente und Materialien der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges. Band II. Das Archiv Dirksens (1938 – 1939)


Dokument 5:

Vermerk des deutschen Botschafters in London, Dirksen, über eine Unterhaltung mit Lord Kemsley, 2. 8. 1939

Lord Kemsley, bei dem ich heute Tee trank, sagte mir über die Eindrücke seiner Reise nach Deutschland Folgendes: Er ist einen Tag in Berlin gewesen, war zum Frühstück bei Reichsleiter Rosenberg eingeladen, ist dann im Auto über Leipzig nach Bayreuth gefahren und hat unterwegs ein Arbeitsdienstlager besucht, war im „Parsifal”, wurde mit seiner Frau in der Pause dem Führer vorgestellt und hatte dann eine mehr als einstündige Unterhaltung mit dem Führer. Er hat auch Reichsminister Goebbels längere Zeit gesprochen und ist dann über Ostende nach England zurückgefahren.

Lord Kemsley war sehr beeindruckt von dem Enthusiasmus (keenness) aller der deutschen Persönlichkeiten, mit denen er zusammenkam; insbesondere nannte er auch den Gauleiter Waechtler, der ihm die Bauten von Nürnberg zeigte, bis hinunter zu den jüngeren Beamten. Er sagte wiederholt, dass ihm dies sehr grossen Eindruck gemacht hätte. Dann hob er auch sehr stark hervor, dass es eigentlich eine Unmöglichkeit sei, wenn das deutsche und das englische Volk in einen Krieg miteinander verwickelt würden.

Über seine Unterhaltung mit dem Führer sprach er mit einiger Zurückhaltung. Er sagte, dass der Führer ihn auch sehr ausgiebig habe zu Worte kommen lassen und dass er Gelegenheit gehabt hätte, den englischen Standpunkt eingehend darzulegen. Er habe die hier herrschende Stimmung geschildert und sei sich mit dem Führer darüber einig gewesen, dass eine gefährliche Spannung bestünde, die man zu beseitigen versuchen müsse. Er habe dem Führer auch auseinandergesetzt, dass ebenso wie eine von Chamberlain im Unterhause mitgeteilte Kriegserklärung die einstimmige Zustimmung des Parlaments finden würde, die Ankündigung Chamberlains, dass er einen Ausgleich mit Deutschland für bevorstehend und erreichbar halte, die gleiche Zustimmung finden würde. Er hatte den Eindruck, dass der Führer besonders frisch und gesundheitlich kräftig ausgesehen habe.

Sehr erfreut sprach sich Lord Kemsley auch über seine Unterhaltung mit Reichsleiter Rosenberg (charming Personality – charmante Persönlichkeit) aus, dem er auseinandergesetzt habe, dass Chamberlain in seiner Art der Führer Englands sei, ebenso wie Hitler und Mussolini. Das habe auf Rosenberg sichtlich Eindruck gemacht.

Auch von der Persönlichkeit des Reichministers Goebbels, der ein sehr kluger und vielseitig gebildeter Mann sei, sei er stark beeindruckt worden.

Mit dem Reichspressechef Dr. Dietrich habe er natürlich auch längere Unterhaltungen gehabt; dieser habe ihm auseinandergesetzt, dass jetzt nicht der rich-tige politische Augenblick zum Austausch der ursprünglich in Aussicht genommenen Zeitungsartikel sei; es sei besser, eine politisch günstigere Zeit dafür abzuwarten, die vielleicht schon bald eintreten könne. Lord Kemsley schien sich diesen Argumenten nicht zu verschließen und zeigte keine besondere Verstimmung über diesen Aufschub.

Er sagte dann noch, dass er zum Parteitag eingeladen worden sei, aber noch nicht wisse, ob er die Zeit habe, der Einladung Folge zu leisten.

London, den 2. August 1939. [Dirksen]

Quelle: Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR. Dokumente und Materialien der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges. Band II. Das Archiv Dirksens (1938 – 1939)


Dokument 6:

Bericht des deutschen Botschafters in London, Dirksen, an das Auswärtige Amt, 3. 8. 1939,

MIT ANLIEGENDER AUFZEICHNUNG ÜBER EINE UNTERHALTUNG MIT HORACE WILSON

Ganz geheim!

1 Anlage (3fach) Politischer Bericht. Inhalt: Aufzeichnung über eine Unterhaltung mit Sir Horace Wilson.

In der Anlage lege ich mit Bezugnahme auf meine anderweitige drahtliche Berichterstattung vom 31.7. -Nr. 277- und vom 1.8. -Nr. 278- eine Aufzeichnung über eine Unterhaltung vor, die ich am 3. August d. J. mit Sir Horace Wilson gehabt habe.

gez. von Dirksen

An das Auswärtige Amt Berlin, ANLAGE ZUM BERICHT V. 3.8.1939.

Nachdem sich in der Unterhaltung von Herrn Kordt mit Mr. Butler ergeben hatte, dass Sir Horace Wilson mich im Anschluss an seine Unterhaltung mit Herrn Wohlthat gern sprechen möchte, wurde verabredet, dass ich ihn heute um 4 Uhr in seiner Wohnung aufsuchen würde. Die Unterhaltung hat dann stattgefunden und fast zwei Stunden gedauert.

Ich habe Wert darauf gelegt, mir von Sir Horace Wilson die Notizen bestätigen zu lassen, die ich auf Grund meiner Besprechungen mit Herrn Wohlthat über dessen Gespräche mit Sir Horace Wilson gemacht hatte. Es erschien mir wesentlich, diese Feststellungen zu treffen, um über diese wichtigen Punkte volle Klarheit zu haben, zumal da seitdem die Hudson-Indiskretion vorgekommen war und eine neue Kampagne gegen die Chamberlainsche Befriedungspolitik eingesetzt hatte. Es ergab sich, dass die Basis der Unterhaltung Wohlthat/Wilson dieselbe geblieben ist. Sir Horace Wilson bestätigte mir, daß er Herrn Wohlthat folgendes Verhandlungsprogramm an die Hand gegeben hat:

1.) Abschluß eines „Non-Aggression”-Vertrages, in dem beide Parteien sich verpflichten, auf einseitiges aggressives Vorgehen als Methode ihrer Politik zu ver-zichten. Die innere Absicht der englischen Regierung bei diesem Punkt erklärte mir Sir Horace Wilson, als ich ihn im Laufe der Unterhaltung fragte, wie sich denn ein Abkommen mit Deutschland in Einklang mit der Einkreisungspolitik der englischen Regierung bringen ließe. Er sagte hierauf, dass ein deutsch-englisches Abkommen mit dem Verzicht auf die Aggression gegenüber dritten Mächten die britische Regierung von den von ihr jetzt übernommenen Garantie-Verpflichtungen gegenüber Polen, Türkei usw. los und ledig werden lassen würde; diese Verpflichtungen seien nur für den Fall des Angriffs übernommen und in ihrer Formulierung darauf abgestellt. Mit dem Wegfall dieser Gefahr würden auch die Verpflichtungen hinfällig.

2.) Eine deutsch-englische Erklärung des Inhalts, dass beide Mächte die poli-tische Lage entspannen (improve) wollten, um die Möglichkeiten eines Zu-sammenwirkens bei der Verbesserung der wirtschaftlichen Weltlage zu schaffen.

3.) Besprechungen über die Hebung des Außenhandels.

4.) Besprechungen über die Wirtschaftsinteressen Deutschlands im Südosten.

5.) Besprechungen der Rohstoff-Frage. Sir Horace Wilson betonte, dass hierunter auch die Kolonialfrage fallen solle. Es sei im gegenwärtigen Augenblick nicht zweckmässig, sich in diese Materie zu vertiefen, da es eine sehr delikate Frage sei. Es genüge die Feststellung, dass die Kolonialfrage behandelt werden solle.

6.) Nichteinmischungsabrede. Sir Horace Wilson führte aus, dass die deutscherseits erforderliche Erklärung schon in der Rede des Führers vom 28. April enthalten sei. Englischerseits würde man bereit sein, eine Nichteinmischungserklärung für Gross-Deutschland (Greater Reich) abzugeben. Hierunter werde zum Beispiel auch die Danzig-Frage fallen. Sir Horace Wilson vermied es hinsichtlich der deutschen Interessensphäre sich so klar auszusprechen, wie gegenüber Herrn Wohlthat, oder wie dies Mr. Roden Buxton gegenüber Herrn Kordt getan hat, wenn man auch aus seiner Gesprächsführung entnehmen konnte, dass die deutsche Forderung unter diesem Programmpunkt behandelt werden könnte.

7.) Rüstungen (armaments). Sir Horace Wilson sagte hierbei, dass er ausdrücklich hervorheben wolle, es sei nicht Abrüstung gemeint, sondern Besprechungen über Rüstungen im allgemeinen. Aus dem weiteren Verlauf des Gesprächs ging hervor, dass er sich der Schwierigkeiten aller Abreden über Rüstungsbegrenzung wohl bewußt war. ebenso auch der Tatsache, dass sich dies erst über Jahre hinaus ankurbeln und auswirken würde.

8.) Ich bat bei dieser Gelegenheit Sir Horace Wilson auch um eine Mitteilung, wie die Zeitungsgerüchte über die von Mr. Hudson in Aussicht gestellte grosse „Abrüstungsanleihe” entstanden seien, da Herr Wohlthat mir gegenüber nichts davon erwähnt hätte. Sir Horace Wilson meinte, dass der Gedanke, wie die mit einer Rüstungsbeschränkung zu befürchtenden finanziellen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten behoben werden könnten, wiederholt erörtert worden sei. Hudson habe diesen Gedanken vielleicht aufgegriffen und weiter ausgebaut. Diese Frage sei aber jetzt erledigt und käme nicht mehr in Betracht. Er persönlich glaube, dass gegebenenfalls eine Periode von 3 – 6 Monaten eintreten werde, in der finanzielle Schwierigkeiten entstehen würden, die aber mehr auf währungstechnischem Gebiet zu suchen seien.

Im Anschluss an die Rekapitulation der Unterhaltung Wohlthat/Sir Horace Wilson führte dieser eingehend aus, dass die Anknüpfung vertraulicher Besprechungen mit der deutschen Regierung für Chamberlain mit grossem Risiko verbunden sei. Wenn etwas davon bekannt würde, so würde es einen Riesen-Skandal geben und Chamberlain wahrscheinlich zum Rücktritt gezwungen werden. Der Labour-Abgeordnete Dalton habe schon gestern im Unterhaus auf die Gerüchte von neuen „Befriedungsversuchen” Chamberlains hingewiesen und er – Wilson – habe soeben selbst ein anonymes Schreiben bekommen, in dem er bezw. Chamberlain vor solchen Manövern gewarnt werde.

Auf meinen Einwand, dass es mir fraglich erschiene, ob es überhaupt einer englischen Regierung bei der jetzt hier vorherrschenden Geistesverfassung – es werde ja ein jeder, der für einen Ausgleich mit Deutschland eintrete, für einen Verräter gehalten und als solcher beschimpft – möglich sei, zu irgendwelchen bindenden Abmachungen mit Deutschland zu gelangen.

Sir Horace Wilson erwiderte, dass dies zwar möglich sei, aber es bedürfe des ganzen Geschicks der englischerseits beteiligten Persönlichkeiten, um bei diesem Vorhaben nicht zu scheitern. Vor allem sei im gegenwärtigen Stadium strengste Geheimhaltung erforderlich. Es stelle sich die Frage, wie und in welcher Form denn später die Öffentlichkeit mit den Plänen der Regierung bekanntgemacht werden könne. Hierbei wies Wilson darauf hin, dass auf englischer Seite – ob zu Recht oder zu Unrecht lasse er dahingestellt – das Vertrauen in Deutschland und dessen friedliche Absichten erschüttert sei, es käme vor allem darauf an, der britischen Öffentlichkeit die Überzeugung, beizubringen, dass sie Vertrauen haben könne. Dazu komme die Befürchtung, dass in den nächsten Wochen oder Monaten sich Entwicklungen vollziehen könnten, die eine neue Krise herbeiführen würden. Der britischen Regierung lägen Berichte vor, dass demnächst 2 Millionen Mann deutscher Truppen zu den Fahnen einberufen werden sollten; dass an der polnischen Grenze für Polen bedrohliche Manöver mit zahlreichen Flugzeugen abgehalten werden sollten; ziehe man weiter die noch kürzlich von Reichsminister Goebbels getane Äusserung von dem fortzusetzenden Nervenkrieg in Betracht, so könne sich eine Lage ergeben, die weitere Besprechungen nicht aussichtsreich erscheinen lassen würde. Es hätte ja keinen Sinn, über einen Ausgleich zu verhandeln, wenn eine neue gefährliche Krise in Aussicht stehe. Es sei zu zugeben, dass sich ein gewisser circulus vitiosus insofern ergäbe, als man einerseits die Öffentlichkeit nicht durch die Erklärung von bevorstehenden Verhandlungen beruhigen könne (weil man dadurch die Verhandlungen gefährde), während man andererseits auf deutscher Seite ablehne, beruhigende Erklärungen abzugeben, bevor man nicht ein klareres Bild hinsichtlich der Verhandlungen hätte. Für Chamberlain sei es infolge der demokratischen Verfassung Englands schwer, mit einer Befriedungserklärung an die Öffentlichkeit zu treten, da er dann voraussichtlich mit dem Kabinett zum Rücktritt gezwungen werden würde. Der circulus vitiosus würde sich daher vielleicht eher brechen lassen, wenn der Führer, der keine innerpolitischen Angriffe zu fürchten habe, seinerseits die Initiative zu einer solchen Befriedungserklärung ergreifen würde. Er könne dies umso eher tun, als er nicht nur ein grosser, sondern auch erfolgreicher Staatsmann sei, der aus dem Gefühl der Stärke und der errungenen Vorteile ohne Prestigegefährdung oder innere Erschütterungen das Wort ergreifen könne.

Ich wies demgegenüber darauf hin, dass die deutscherseits geplanten umfangreichen Manöver in keinem Vergleich mit den von den anderen Mächten getroffenen militärischen Maßnahmen stünden: die Polen hätten seit vier Monaten eine Million Mann mobil gemacht und an unseren Grenzen stehen (Sir Horace Wilson bestritt, dass es noch so viele wären, erhob aber keinen Widerspruch gegen die Zahl 900.000); die englischen Streitkräfte zu Lande, zu Wasser und in der Luft seien mehr oder weniger mobil; Frankreich habe umfassende Mobilmachungsmassnahmen getroffen. Man könne doch unmöglich von uns verlangen, dass diese Maßnahmen rückgängig gemacht oder die Manöver abgesagt würden.

Sir Horace Wilson erwiderte, dass ihm dies auch nicht vorgeschwebt habe; es bestünden aber doch wesentliche Unterschiede in der Art, in der Manöver abgehalten würden; man könne sie so anlegen, dass die andere Seite sie als eine unmittelbare Bedrohung und Herausforderung auffasse, man könne sie aber auch anders, und zwar als gewöhnliche Friedensmanöver aufziehen.

Ich fuhr fort, darauf hinzuweisen, dass wir hinsichtlich der Frage des angeblich getäuschten Vertrauens durchaus anderer Meinung seien als die englische Seite; jedenfalls sei es aber Tatsache, dass die englische Politik in den letzten Monaten die Bildung einer gegen Deutschland gerichteten Weltkoalition zum Ziel gehabt habe und bis heute die einzelnen Glieder der Koalition finanziell und militärisch zu einem eventuellen Vorgehen gegen Deutschland in den Stand setze. Wir müssten Gewißheit darüber haben, wie die englische Regierung diese Politik mit der Möglichkeit eines Ausgleichs mit Deutschland in Einklang bringe. Für den Führer käme es sicherlich nicht in Frage, beruhigende oder freundliche Erklärungen abzugeben, ohne zu wissen, mit welcher Stellungnahme englischerseits gegenüber den berechtigten deutschen Forderungen er zu rechnen habe.

Sir Horace Wilson gab hierauf hinsichtlich der englischen Einkreisungspolitik die oben bereits erwähnte Erklärung ab, dass diese durch den Abschluss eines NonAggression-Vertrages mit Deutschland hinfällig werden würde. Was nun die Frage betreffe, wie weit der Führer Gewißheit über englischerseits zu machende Konzessionen haben müsse, bevor er gewissermaßen die Friedenspalme zeigen könne, so bestehe eben auch hier die Schwierigkeit, vorweg zu konkreten Resul-taten zu kommen; es müsse aber doch für die deutsche Seite eine gewisse Sicher-heit sein, über das Verhandlungsprogramm Bescheid zu wissen; man sei ja eng-lischerseits bereit, über alle deutscherseits vorgebrachten Punkte zu sprechen. Wie weit sich eine Einigung ermöglichen lassen würden könne jetzt allerdings noch nicht gesagt werden.

Das Gespräch wandte sich dann der Frage zu, in welcher Form die mit Herrn Wohlthat begonnene Unterhaltung fortgesetzt werden solle, vorausgesetzt, dass auf deutscher Seite der Wunsch nach ihrer Fortsetzung bestünde. Sir Horace Wilson sagte hierbei, dass es für die englische Seite eine schwere Enttäuschung bedeuten würde, wenn der Faden von uns nicht weitergesponnen würde. Dann bliebe eben nichts weiter übrig, als der Katastrophe entgegenzutreiben (heading on to the catastrophe). Es sei daher für ihn von grossem Interesse zu wissen, wie seine Unterhaltung mit Wohlthat in Berlin aufgenommen worden sei.

Ich erwiderte, dass ich ihm hierüber keine bestimmten Angaben machen könnte. Ich selber könne mir kein richtiges Bild machen, wie, rein technisch gesehen, eine Fortsetzung dieser Besprechungen möglich sei; zum Beispiel käme eine erneute Reise von Herrn Wohlthat nach London wegen der Indiskretion von Hudson nicht mehr in Frage.

Sir Horace Wilson meinte, dass sich da schon ein Ausweg finden lassen würde; man könne darüber sprechen, wenn es so weit sei. Es wäre möglich, dass die beiden Abgesandten sich in der Schweiz oder anderswo träfen.

Aus den vorstehend skizzierten Ausführungen schälten sich allmählich einige festere Punkte heraus, die Sir Horace Wilson dahin zusammenfaßte:

1.) Welche Instruktionen hat der Führer gegeben hinsichtlich der weiteren Behandlung des von Wohlthat erstatteten Berichts und was sind die Gedanken der deutschen Regierung hinsichtlich des nächsten, jetzt zu ergreifenden Schrittes?

2.) Wird es dem Führer möglich sein, die Ereignisse in den nächsten Wochen, soweit es an ihm liegt, so zu bestimmen, dass sie keine Verschärfung der Lage herbeiführen?

3.) Vorausgesetzt, dass das Programm und die einzelnen zu behandelnden Punkte ausgearbeitet sind, wodurch würde der Führer dann seinen Entschluß kundgeben können, die Initiative zu ergreifen, um eine Atmosphäre zu schaffen, dass das Verhandlungsprogramm mit Aussicht auf Erfolg erörtert werden könnte?

Auf meine Frage, was denn die englische Vorleistung sei, die eine solche Vorleistung deutscherseits rechtfertigen würde, erwiderte Sir Horace Wilson, dass die britische Regierung ihren guten Willen und ihre Initiative ja dadurch gezeigt hätte, daß sie die vorerwähnten Punkte mit Herrn Wohlthat erörtert und dadurch der deutschen Regierung ihre Bereitschaft zu Verhandlungen bekannt gegeben hätte.

Aus der ganzen Gesprächsführung von Sir Horace Wilson ging hervor, dass er das Herrn Wohlthat gegebene und mir gegenüber bestätigte Verhandlungsprogramm als einen offiziellen englischen Fühler ansah, auf den nun eine deutsche Antwort erwartet werde. Unverkennbar war die schwere Sorge, die auf der englischen Seite über die schwierige Lage besteht, in der sich die britische Regierung befindet, bezw. in die sie sich hineinmanövriert hat: Auf der einen Seite eine durch ihre Politik und ihre Beeinflussung gegen Deutschland aufgepeitschte öffentliche Meinung, auf der anderen Seite der Wunsch, durch einen Ausgleich mit Deutschland einen sonst für unvermeidbar gehaltenen Krieg zu verhindern. Die Besorgnis, dass ihre Einkreisungspolitik Schaden erleiden könne, schien mir demgegenüber in zweiter Linie zu stehen; hier war wohl das Gefühl voherrschend, dass gegenüber einem wirklichen Ausgleich mit Deutschland die in den letzten Monaten ins Leben gerufenen Bindungen mit anderen Mächten nur Behelfsmittel seien, die hinfällig werden, wenn das allein wichtige und erstrebenswerte Ziel der Einigung mit Deutschland einmal wirklich erreicht sei. Auch die Zuziehung Frankreichs und Italiens spielte nur eine untergeordnete Rolle in der Unterhaltung. Sir Horace Wilson sagte beiläufig, dass die Abmachung zwischen Deutschland und England zu treffen sei; natürlich könne man auch, wenn es für erwünscht gehalten würde, Italien und Frankreich hinzuziehen.

London, den 3. August 1939. gez. von Dirksen

Quelle: Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR. Dokumente und Materialien der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges. Band II. Das Archiv Dirksens (1938 – 1939)


Dokument 7:

Aufzeichnung des deutschen Botschafters in London, Dirksen, über eine Unterhaltung mit Lord Halifax, 9. 8. 1939

Geheim!

Nachdem ich Lord Halifax den Zweck meines Besuchs – Verabschiedung vor Urlaubsantritt – mitgeteilt hatte, kam er bald auf die Lage in Danzig zu sprechen und fragte, ob ich Anhaltspunkte für die Verschärfung in der Sprache der beiderseitigen Presse hätte. Ich bejahte dies, wies auf den provozierenden Artikel des „Czas” hin und fügte hinzu, dass darüber hinaus auf deutscher Seite zweifellos Besorgnis und Erbitterung über die Äusserung des polnischen Generalkommissars Chodacki bestünde, der dem Völkerbundskommissar Burckardt gesagt hatte, eine Öffnung der Zollgrenzen Danzigs gegenüber Ostpreußen bedeute den Krieg. Dies zeige erneut die Berechtigung der Besorgnis, dass eine Gefährdung des Friedens durch lokale polnische Stellen jederzeit erfolgen könne.

Lord Halifax erwiderte hierauf, ich möge versichert sein, dass er und die britische Regierung ihr Möglichstes täten, um die Polen zur Mäßigung zu veranlassen. Er sei auch der Überzeugung, dass sowohl Beck wie Rydz-Smigly keinen Konflikt mit Deutschland wollten.

Ich entgegnete, dass eine Vielfalt von politischen Äusserungen und Ansichten stets die innere Schwäche Polens gebildet habe; dies sei auch jetzt der Fall. Der friedlichen Gesinnung verschiedener Persönlichkeiten stünden kriegerische Strömungen anderer politischer Gruppen gegenüber.

Auf die Bemerkung von Lord Halifax, dass es höchst erwünscht sei, wenn beiderseits Mäßigung gezeigt würde, damit Beruhigung einträte und die Möglichkeit einer Einigung auf dem Wege der Verhandlungen sich eröffnete, erwiderte ich, dass wir unsererseits diese Ruhe und Mäßigung weitgehend gezeigt hätten, wie z.B. durch die Haltung des Senats (Gemeint ist der Danziger Senat.) während der letzten Tage und durch die Dementis, mit denen wir beunruhigenden Nachrichten der Weltpresse entgegengetreten wären.

Ich setzte Lord Halifax im Anschluss daran auseinander, dass die Gefahr der Weltlage weniger in der unmittelbaren Notwendigkeit eines direkt bevorstehenden gewaltsamen Ausbruchs beruhe, als darauf, dass auf allen Seiten die Möglichkeiten einer Entwirrung der Gegensätze auf dem Verhandlungswege blockiert seien. Der Komplex Danzig sei durch die einengenden Erklärungen Chamberlains vom 12. Juli für Verhandlungen so gut wie unzugänglich gemacht worden, ganz abgesehen von der polnischen Haltung und der Erregtheit der Weltpresse durch Lügennachrichten. Eine Beruhigung der Weltlage im allgemeinen sei durch die Aufrichtung der Nichtangriffsfront unmöglich gemacht worden, dauernd wechselten beunruhigende Nachrichten von der Entsendung von Militärkommissionen nach Polen oder nach Moskau ab mit Nachrichten über finanzielle Stärkung potentieller Gegner Deutschlands. Es sei selbstverständlich, dass wir diese Entwicklung sorgfältig und entschlossen beobachteten und unsere Folgerungen daraus zögen. Der Komplex der deutsch-englischen Beziehungen schliesslich sei dadurch blockiert, dass die englische öffentliche Meinung jeden Versuch eines Ausgleichs seitens der englischen Regierung mit einem Aufschrei der Empörung über angeblich begangenen Verrat beantworte.

Lord Halifax wiederholte hierauf seinen schon bekannten Standpunkt, dass durch den deutschen Einmarsch in Prag, für den sich zweifellos, ebenso wie für die anderen deutschen überraschenden Akte, viel sagen ließe, das Vertrauen, insbesondere des englischen Volkes sehr erschüttert worden sei; und ehe nicht eine Beruhigung bezw. Wiederherstellung des Vertrauens erfolgt sei, müsse auch diese Spannung anhalten. Der Führer sei der einzige Mann in der Welt, der dieses Vertrauen wiederherstellen könne, indem er gewissermaßen das Zeichen zur Entspannung gäbe. Er – Halifax – habe den Sinn der englischen Politik in seiner Rede im Chatham House darzulegen versucht, und anscheinend mit Erfolg, denn er habe zahlreiche Zustimmungserklärungen aus allen Teilen des Landes bekommen. Die englische Politik verfolge ein doppeltes Ziel: einerseits die Abwehr von künftigen Angriffsakten urch Zusammenschluß einer Mächtegruppe, andererseits die Herstellung bessrer Beziehungen zu Deutschland durch Erörterung von dessen Forderungenund Beschwerden auf dem Verhandlungswege. Er sei sicher, dass wenn das Eis erst einmal gebrochen sei, man englischerseits sehr weit gehen werde, um einen Ausgleich mit Deutschland zu finden.

Im weiteren Verlauf des Gesprächs sagte Lord Halifax mir, er wolle mir jetzt seine Gedanken und Ansichten schildern, wie sie nach München bestanden und sie sich seitdem geändert hätten. Nach München sei er der Überzeugung gewesen, dass ein 50jähriger Weltfriede etwa auf folgender Basis gesichert sei: Deutschland die vorrherrschende Macht auf dem Kontinent mit vorwiegenden Rechten im europäischen Südosten, besonders handelsüblischer Art; England würde nur in bescheidendem Umfange dort Handel treiben; England und Frankreich in Westeuropa vor Konflikten mit Deutschland durch die beiderseitigen Festungslinien geschützt und bestrebt, defensiv ihren Besitz festzuhalten und zu entwickeln; Freundschaft mit Amerika; Freundschaft mit Portugal; Spanien ein vorläufig unbestimmter Faktor, der für die nächsten Jahre jedenfalls notwendigerweise sich aus allen Mächtekombinationen heraushalten müsse; Russland ein abseits gelegenes grosses und schwer überschaubares Gebiet; Bestreben Englands, seinen Weg durch das Mittelmeer über Aden, Colombo, Singapore nach den Dominien und dem Fernen Osten hin zu sichern. Dann sei der Einmarsch in Prag gekommen, der alles geändert und vor allen Dingen die Vorstellung von der Stabilität des erreichten Weltbildes zerstört hätte. Dann seien die Zweifel entstanden, und ob Deutschland Halt machen werde, und der Wunsch, sich gegen weitere Überraschungen zu sichern.

Ich erwiderte, dass sich naturgemäss vom deutschen Standpunkt aus diese Entwicklung völlig anders ausnehme; ich wolle nicht davon sprechen, wie oft unser Vertrauen getäuscht worden sei und durch welche trüben Erfahrungen wir gezwungen worden wären, uns statt auf Verhandlungen auf schnelle eigene Entschlüsse zu verlassen. Die Darstellung Lord Halifax’ von einer bezw. der britischen Politik sei mir geläufig, andererseits aber müsse er sich in die Mentalität eines deutschen Staatsmannes versetzen. Dieser sehe nur, wie eine immer grössere Koalition gegen Deutschland zustande gebracht werde und wie die Zahl des Kriegspotentiells gegenüber Deutschland sich ständig zu dessen Ungunsten verändere und vergrössere. Im günstigsten Falle könne man die Politik Englands mit der eines Mannes vergleichen, der einem anderen ein Fischnetz über den Kopf wirft und ihm sagt, wenn er still halte, geschehe ihm nichts, sobald er sich aber bewege, zöge er sich schwere Nachteile zu. Es sei kein Wunder, dass Deutschland auf Grund näherer Überlegung die Erklärungen englischer Staatsmänner über den Willen zu einer Berücksichtigung der deutschen Forderungen freiwillig und im Verhandlungswege recht skeptisch ansähe. Ich könne auch die dauerndes Bezugnahmen auf das zerstörte Vertrauen nicht für berechtigt halten. Vertrauen und Glauben an die Ehrlichkeit des Vertragspartners stellten sich erst im Laufe langer und nicht enttäuschter Geschäftsbeziehungen ein. Das brauche aber nicht das Vertrauen auszuschliessen, das zum Abschluss eines Vertrages erforderlich sei; dieses Vertrauen werde durch die Kenntnis der eigenen Stärke erzeugt. Sicherlich könne England auf Grund der hinter ihm stehenden Mächtekombination dieses Vertrauen aufbringen. Statt dessen aber rege sich die öffentliche Meinung aufs äusserste auf, wenn einmal ein deutsch-englisches Gespräch zur Erörterung über die Bereinigung der deutsch-englischen Beziehungen, wenn auch nur auf wirtschaftlichem Gebiet geführt werde, wie dies bei der Unterhaltung Wohlthat/Hudson der Fall gewesen sei. Dies schiene mir zu zeigen, dass auf der englischen Seite, insbesondere bei dem dem demokratischen System und der ungeschulten Haltung der Presse die Voraussetzungen für eine solche friedliche Bereinigung fehlten.

Lord Halifax setzte mir auseinander, dass wenn Chamberlain im Unterhaus aufstünde und erklärte, infolge bestimmter Vorgänge Deutschlands bliebe nichts anderes übrig als der Krieg, so würde ihm das Parlament einmütig folgen; ebenso aber würde dies ihm zustimmen, wenn er erklärte, dass er die Möglichkeiten für einen Ausgleich mit Deutschland sähe. Diesen Ausgleich wolle im Grunde jeder Englander. Er habe kürzlich bei einem Gartenfest auf seinen Landsitz Unterhaltungen mit vielen Bergarbeitern und deren Sekretären gehabt. Diese hätten ihm einstimmig bestätigt, dass die Labour-Abgeordneten der Opposition im Unterhause nicht die wahre Meinung des arbeitenden Mannes darstelle. Das hätte sich auch anlässlich der Reise des Premierministers nach Südwales gezeigt; dies sei ein schwieriges Gebiet; trotzdem aber habe der Premierminister einen geradezu enthusiastischen Empfang gehabt, Es sei ihm – Halifax – auch hierbei bestätigt worden, dass die Bergarbeiter, mit denen er sprach, die Politik der Regierung verstünden und teilten: keine weitere Aggression mehr, aber der Wunsch nach friedlicher Beilegung der bestehenden Schwierigkeiten. Er müsse mir zugeben, dass jetzt die öffentliche Meinung sehr erregt sei und mißtrauisch gegenüber Besprechungen mit Deutschland. Die von mir genannten Schwierigkeiten seien wohl zurzeit unlösbar. Ebenso sicher aber sei es, dass eine Periode der Ruhe zur Befriedung der öffentlichen Meinung ein ganz anderes Bild ergeben würde als das bisherige; dann werde es zweifellos möglich sein, Befriedungsfragen zu diskutieren. Die britische Regierung habe den lebhaften Wunsch, dass es dazu kommen möge und werde dann sehr weit gehen, um dieses Ziel zu erreichen.

London, den 9. August 1939. gez. von Dirksen

Quelle: Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR. Dokumente und Materialien der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges. Band II. Das Archiv Dirksens (1938 – 1939)


Dokument 8:

Brief des deutschen Botschafters in London, Dirksen, an Staatssekretär Weizsäcker mit anliegender Aufzeichnung über die voraussichtliche Haltung Englands im Falle eines deutsch-polnischen Konflikts, 19. 8. 1939

Persönlich und Vertraulich.

Lieber Herr von Weizsäcker! Auf Grund unserer letzten Unterhaltung in Berlin habe ich mich entschlossen, meine Auffassung über die Haltung Englands in einem deutsch-polnischen Konflikt in einer Aufzeichnung für Herrn von Ribbentrop niederzulegen. Hierdurch wird der Zweck, mich zu Gehör zu bringen, wohl noch sicherer erreicht, als durch ein Schreiben an den Herrn Reichsaußenminister, in dem ich mich nochmals um einen Vortrag bei ihm bemühen würde.

In der Anlage lege ich Ihnen daher die Aufzeichnung mit der Bitte vor, sie an den RAM weiterleiten zu wollen, wenn Sie keine Bedenken gegen den Inhalt haben. Sollte dies der Fall sein, so wäre ich für entsprechende Mitteilung dankbar. Ich hoffe aber, daß Sie einverstanden sein werden, da ich mich bemüht habe – im Bewußtsein meiner Verantwortlichkeit – mich möglichst klar und abgewogen auszudrücken.

Schließlich wäre ich dankbar, wenn Ihr Büro die für den Geschäftsgang erforderlichen Durchschläge herstellen und einen davon an die Botschaft London gelangen lassen wollte. Ich habe diese Durchschläge aus Mangel an den technischen Voraussetzungen hier und im Interesse möglichster Beschleunigung nicht selbst angefertigt.

Zu den mir gestern von Ihnen telefonisch übermittelten Mitteilungen habe ich nicht Stellung genommen, da ich den Inhalt der mir zugeschriebenen Aeußerungen nicht kenne und beim besten Willen nicht weiß, was1 an den wenigen Worten zu beanstanden wäre, die ich in dieser kaum 5 Minuten währenden Unterhaltung getan habe.

Mit den besten Grüßen und Heil Hitler stets Ihr Dirksen

1 Im Original ist der weiter unten angeführte ursprüngliche Schluß des Briefes von Dirksen durchgestrichen und handschriftlich durch die oben gebrachten Worte ersetzt. Der durchgestrichene Schlußteil des Briefes lautete: „daran beanstandet werden könnte. Auf die Mitteilung A[ttolico]s, daß man bei uns an die Teilnahme Englands im Konfliktfalle nicht glaube, habe ich lediglich in einigen Worten meinem Zweifel an der Richtigkeit dieser Mitteilung Ausdruck gegeben, da diese höchst wahrscheinliche Möglichkeit bei uns sicherlich in Betracht gezogen würde. Und als A[ttolico] hinzufügte, daß ich aufklärend wirken müsse, sagte ich, ich würde selbstverständlich meinen Bericht erstatten. Die ganze Unterhaltung dauerte kaum 5 Minuten.” Siehe die Aufzeichnung über eine Unterhaltung Dirksens mit Attolico, Dokument Nr. 26. (Nicht aufgenommen, da ohne Bedeutung. U.H.)

ANLAGE

Geheim

AUFZEICHNUNG ÜBER DIE VORAUSSICHTLICHE HALTUNG ENGLANDS IM FALLE EINES DEUTSCH-POLNISCHEN KONFLIKTS.

I). Angesichts der zunehmenden Spannung in den deutsch-polnischen Beziehungen gewinnt die Frage nach der voraussichtlichen Haltung Englands im Fall eines deutsch-polnischen Konflikts steigende Bedeutung. Die Beantwortung dieser Frage muß sich aus einer Analyse der Gründe ergeben, die Großbritannien zu einer so engen Bindung an Polen veranlaßt haben.

II). Die außenpolitischen Gründe für diese Bindung sind bekannt und bedürfen nur einer schlagwortartigen Zusammenfassung: die schon in den Jahren 1933-1936 lebendige Sorge Englands wegen der Erstarkung Deutschlands wurde weiter gesteigert durch den Anschluß Oesterreichs und die Rückkehr des Sudetenlands zum Reich. Die Ergebnisse von München wurden als eine diplomatische Niederlage empfunden. Die zunehmende Sorge um eine Bedrohung der britischen Weltstellung brachten nach der Angliederung Böhmens und Mährens im März d. Js. den Entschluß zur Reife, weiteren, einseitig vorgenommenen Machtverschiebungen zugunsten Deutschlands entgegenzutreten. Dies sollte durch eine Neuauflage der alten Konzeption von der kollektiven Sicherheit mit der neuen Firmierung der „Bildung einer Nichtangriffsfront” – d.h. also durch eine Einkreisung Deutschlands – erreicht werden. Der Eckstein dieser Nichtangriffsfront ist Polen geworden, das durch eine verlogene Pressekampagne im März zum nächsten „Opfer” der deutschen „Aggression” gestempelt wurde. Solange England an der Einkreisungspolitik festhält, wird es die Erfüllung der an Polen gegebenen Zusicherungen als eine Frage ansehen müssen, von der sein außenpolitischer Ruf weitgehend abhängt.

III). Ueber das außenpolitische Gebiet hinaus wirken noch andere wichtige Faktoren psychologischer Art auf die Haltung Englands gegenüber Polen ein. Die lange Reihe diplomatischer Niederlagen Englands in den vergangenen Jahren (Ostasien, Abessinien, Spanien, Oesterreich, München, Böhmen-Mähren, Zusammenbruch der Völkerbundspolitik) wirkten je länger desto mehr auf das englische Selbstgefühl deprimierend ein. Die Preisgabe des Negus, Sehuschniggs, Beneschs wurde allmählich als moralische Minderwertigkeiten empfunden, die England in den Augen der Welt als schwach, unzuverlässig und politischen Kredits unwürdig erscheinen lassen mußten. Mit dem außenpolitischen Ruck, den sich England nach dem 15. März durch die Neu-Orientierung seiner Politik gab, ging ein moralischer Ruck Hand in Hand. England will nunmehr an Hand der neu eingegangenen Verpflichtungen seine Vertragstreue, seine Kraft und seinen politischen guten Ruf unter Beweis stellen. Es will auch gleichzeitig vor sich selbst seinen Minderwertigkeits-Komplex überwinden. Dies ist der innere Grund für die dauernde, fast hysterisch anmutende Wiederholung des Satzes durch Chamberlain und andere britische Staatsmänner, daß Großbritannien einer gegen den Willen Polens erfolgenden Angliederung Danzigs an Deutschland – ganz zu schweigen von weiteren Rückgliederungen ehemaliger deutscher Gebiete – nicht tatenlos zusehen könne, sondern dann den Bündnisfall als gegeben ansehen müsse. Danzig ist daher der Punkt, auf den die englische Oeffentlichkeit hypnotisiert und wie von einer fixen Idee befangen hinsieht.

Die Berücksichtigung dieses psychologischen Faktors ist von Bedeutung, weil sie Rückschlüsse auf die Haltung Englands bei der weiteren Entwicklung des deutsch-polnischen Verhältnisses zuläßt.

IV). Ein weiterer, vom außenpolitischen Gebiet abliegender Umstand spielt bei der Haltung Englands gegenüber dem deutsch-polnischen Fragenkomplex eine große Rolle: die Unkenntnis Englands von Polens wahrem Gesicht. Die dem Deutschen aus jahrhunderte langer Nachbarschaft geläufige Kenntnis der Brüchigkeit des polnischen Staats, seines Größenwahnsinns, seiner Eroberungslust und der rücksichtslosen Unterdrückung der nationalen Minderheiten ist dem Engländer aus verschiedenen Gründen fremd geblieben: wegen seiner angeborenen Abneigung, sich in fremde Verhältnisse und Gedankengänge zu vertiefen; wegen seiner gegenwärtigen Verstocktheit gegenüber allen für Deutschlands Forderungen vorteilhaften Beweisgründen; und schließlich deswegen, weil während des fünfjährigen Waffenstillstandes in der deutsch-polnischen Auseinandersetzung 1934-1939 die der deutschen Minderheit zugefügten Unbilden nicht mit vollem Nachdruck ausgewertet konnten. Daher herrscht gegenwärtig in der englischen Oeffentlichkeit Zurückhaltung und Mißtrauen gegenüber deutschen und danziger Meldungen über die unerhörten polnischen Gewaltakte vor, und es besteht die Neigung im Zweifelsfall zugunsten Polens Partei zu ergreifen.

V). Auf Grund der vorstehenden Darstellung der wägbaren und der stimmungsmäßigen Momente in der Einstellung Englands zum deutsch-polnischen Fragenkomplex kann die Frage jetzt gestellt werden, welche Haltung England voraussichtlich in einem deutsch-polnischen Konflikt einnehmen wird.

1). Die allgemeine Bemerkung ist vorauszuschicken, daß Großbritannien sich nicht im Vorhinein zu 100 % gebunden hat, Polen in jedem Konfliktsfall beizustehen. Das würde der englischen Mentalität, sich immer noch eine Ausweichmöglichkeit offen zu halten, widersprechen. Daher die Abmachung, daß für England der Bündnisfall erst einträte, wenn Polens Unabhängigkeit bedroht sei. Damit ist eine gewisse Elastizität gewährleistet. Es wird auch behauptet, ist aber noch nicht erwiesen, daß Polen sich verpflichtet habe, bevor es zu den Waffen greife, sich vorher die englische Zustimmung dazu einzuholen. Dies würde freie Hand für England im Falle einer eigenmächtigen Kriegserklärung Polens bedeuten.

Ebensowenig wie ein automatisches Hineingezogenwerden Englands in einen deutsch-polnischen Konflikt um Danzig oder um den Korridor wahrscheinlich ist, ebenso falsch wäre es, sich die Fragestellung des Artikels des französischen Politikers Deat zu eigen zumachen: „Pourquoi mourrir pour Dantzig?”(„Warum für Danzig sterben?”) und sie auf England anzuwenden. Eine solche Fragestellung würde an dem eigentlichen Problem vorübergehen. England ist nicht an Danzigs Schicksal vital interessiert, wohl aber daran, unter Beweis zu stellen, daß es die von ihm ausgestellten politischen Wechsel auch honoriert.

2). Aus dem zu 1) Gesagten geht hervor, daß die Frage, ob England in einen deutsch-polnischen Konflikt eingreifen wird, sich nicht allgemein mit Ja oder Nein beantworten läßt. Es muß vielmehr an Hand des Einzelfalls versucht werden, sich über die jeweilige Haltung Englands klar zu werden. Es ergeben sich dann folgende Möglichkeiten:

a). Danzig erklärt – durch Senatsbeschluß oder Volksabstimmung – seine Rückkehr zum Reich. Polen beantwortet dies nicht mit militärischer Aktion. Es finden keine Kämpfe statt, sondern höchstens lokale Schießereien. In diesem Fall würde sich England heraushalten.

b). Wenn Polen auf einen „Heimkehr zum Reich”-Beschluß des Senats mit militärischem Einmarsch antworten und den Bündnisfall als eingetreten erklären sollte, würde England Polen gemäß den wiederholt abgegebenen Erklärungen von Chamberlain und Halifax militärisch zu Hilfe kommen.

c). Falls polnischerseits eine Provokation in Szene gesetzt werden sollte – etwa Beschießung eines deutschen Dorfs durch einen wildgewordenen polnischen Batteriechef oder Abwerfen von Bomben auf deutsche Ortschaften durch einen polnischen Flieger -, so wäre für die Haltung Englands von entscheidender Bedeu-tung, daß erstens der Tatbestand einwandfrei für die Weltöffentlichkeit klar ist, und daß zweitens die englische Oeffentlichkeit Zeit hätte, sich über den Tatbestand und die polnische Alleinschuld klar zu werden. Andernfalls würde die Gefahr bestehen, daß England bei der Voreingenommenheit gegenüber Deutschland zugunsten Polens Partei ergreift und im Falle von sich anschließenden militärischen Aktionen dem polnischen Hilferuf stattgibt (vgl. hierzu die Ausführungen zu IV).

d). Falls Deutschland aus irgendwelchen Gründen militärischer Art – etwa um einem als bevorstehend angenommenen polnischen Angriff zu begegnen – sich zu einem militärischen Vorgehen gegen Polen genötigt sehen sollte, so wäre damit zu rechnen, daß England Polen zu Hilfe kommen würde. Es wäre auch nicht wahrscheinlich, daß England neutral bleiben würde, falls Polen in einem solchen Krieg mit Deutschland in ganz kurzer Zeit militärisch niedergekämpft würde. Auch in diesem Fall würde es seine Entscheidungen nicht im Hinblick auf Polens Wohl oder Wehe treffen, sondern im Hinblick auf die Wahrung seiner Weltstellung.

VI). Die vorstehend dargelegte Haltung Englands gegenüber Polen und dem deutsch-polnischen Fragenkomplex ist keine für alle Zukunft unveränderliche Größe. Das englisch-polnische Bündnis ist trotz der äußeren Starre intern dauernden Aenderungen unterworfen. Das zeigt sich schon in den wenigen Monaten seines Bestehens. Je weiter England in die verschlungenen Pfade der Ostpolitik einbezogen wird, desto mehr machen sich Zweifel und Bedenken geltend. Der unstillbare Geldbedarf Polens hat schon die Finanzverhandlungen zum teilweisen Scheitern gebracht. Die unverschämte Sprache der polnischen Presse wird zwar in der englischen Presse sorgfältig verschwiegen, aber doch in maßgebenden Kreisen mit Mißbehagen vermerkt. Die militärische Stärke Polens erscheint bei näherer Prüfung fragwürdig. Die den Wert Polens als Bundesgenossen mindernde besondere Schwierigkeit des polnisch-russischen Verhältnisses wird allmählich erkannt. Die Ostpolitik Englands ist – wie das schon durch die Fortdauer der Verhandlungen mit der Sovjetunion bedingt ist – gegenwärtig noch im Fluß. Dazu trägt ferner der englischerseits als noch nicht endgültig geklärt angesehene Stand der Beziehungen zu Deutschland bei. Als ein fester Faktor in der englischen Gesamthaltung ist der Entschluß in Rechnung zu stellen, die um sich greifende Meinung zu widerlegen, daß England dekadent, unzuverlässig und schwach sei. Gerade in seiner Haltung gegenüber Polen wird sich Großbritannien bis auf Weiteres von diesem Gedankengang bestimmen lassen.

von Dirksen

Quelle: Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR. Dokumente und Materialien der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges. Band II. Das Archiv Dirksens (1938 – 1939)


Dokument 9:

N.G. Kusnezow: Am Vorabend…

In Europa ist Krieg

Die Kriegsgefahr in Europa wurde immer größer. Es bestand kein Zweifel darüber, daß das faschistische Deutschland unser Gegner sein würde. Die Partei bereitete die öffentliche Meinung darauf vor. Mir scheint, daß nicht zufällig gerade in dieser Zeit die Filme „Alexander Newski” – über den heldenhaften Kampf russischer Menschen gegen den deutschen Ritterorden – und „Professor Mamlock” – über das bestialische Wesen des Faschismus – anliefen.

Ermuntert durch die Unentschlossenheit und die heuchlerische Politik der Westmächte, war es dem deutschen Imperialismus möglich, Österreich und die Tschechoslowakei zu besetzen. Er bereitete, sich auf neue Eroberungen fremder Territorien vor und wurde immer dreister. Nur mit koordinierten und energischen Aktionen konnte ihm Einhalt geboten werden. In dieser Situation schlug die Sowjetregierung bekanntlich Großbritannien und Frankreich vor, einen Pakt abzuschließen. Die Verhandlungen begannen bereits im April 1939. Geführt wurden sie in Moskau, London und Paris. Sie wurden dann nach Genf verlegt, als sich die Diplomaten dort zu den Sitzungen des Völkerbunds versammelten.

Mitte 1939 wurde die Lage immer gespannter – die deutschen Faschisten bedrohten Polen, und der Beistandspakt zwischen den drei Mächten war noch nicht abgeschlossen. Um die Sache zu beschleunigen, schlug die Sowjetregierung vor, unverzüglich an den Abschluß einer Militärkonvention zu gehen, die dem Pakt noch mehr Gewicht geben sollte.

Die Westmächte nahmen den sowjetischen Vorschlag sehr kühl auf; schließlich willigten sie jedoch ein, ihre Militärmissionen zu Verhandlungen nach Moskau zu schicken.

Auf diese Verhandlungen möchte ich näher eingehen. Ich hatte selbst Gelegenheit, an ihnen teilzunehmen.

Der Beschluß über die Verhandlungen der Militärmissionen wurde am 23. Juli 1939 gefaßt. Zwei Tage später lud Außenminister Lord Halifax unseren damaligen Botschafter in London, Maiski, zu sich und machte ihm davon Mitteilung. Maiski wußte jedoch bereits von dem Beschluß durch eine Information des Volkskommissariats für Auswärtige Angelegenheiten. Er drückte seine Genugtuung aus und fragte, wann die Verhandlungen beginnen könnten.

Halifax erwiderte, daß die Verhandlungen wohl in sieben bis zehn Tagen beginnen könnten.

Diese Antwort verhieß nichts Gutes. Die Lage in Europa hatte sich so zugespitzt, daß man keine Minute verlieren durfte. Maiski wollte wenigstens klären, wie die britische Mission zusammengesetzt sein würde, doch Halifax konnte oder wollte nichts Bestimmtes dazu sagen.

Noch eine Woche verging, bevor Chamberlain im Parlament erklärte, daß das Kabinett die Leitung der britischen Mission Sir Regjnald Drax übertragen habe. Eine unpassendere Kandidatur konnte man sich gar nicht vorstellen. Drax gehörte zum Gefolge des Königs, er war ein alter verabschiedeter Admiral, der schon längst jede Verbindung zu den aktiven Streitkräften Großbritanniens verloren hatte. Die anderen Mitglieder der Delegation Luftmarschall Burnett und Generalmajor Heywood – gehörten ebenfalls nicht zu den einflußreichen Persönlichkeiten der britischen Armee. Wenn die Regierung Chamberlain die ernste Absicht gehabt hätte, eine Militärkonvention abzuschließen, dann hätte ihre Wahl natürlich anders ausfallen müssen.

Die französische Regierung folgte dem Beispiel der britischen. Zum Leiter ihrer Delegation wurde ein Greis, Korpsgeneral Doumenc, ernannt, zu ihren Mitgliedern der Fliegergeneral Vallin und Kapitän zur See Guillaume.

Bei einem Frühstück, das Anfang August in der sowjetischen Botschaft in London gegeben wurde, fand zwischen Maiski und Admiral Drax ein bezeichnendes Gespräch statt.

Maiski: „Sagen Sie bitte, Admiral, wann begeben Sie sich nach Moskau?”

Drax: „Das steht noch nicht endgültig fest, jedenfalls in den nächsten Tagen.”

Maiski: „Sie fliegen natürlich? Die Zeit drängt. Die Atmosphäre in Europa ist äußerst gespannt.”

Drax: „Oh nein! Unsere beiden Delegationen zählen mit dem Hilfspersonal an die vierzig Personen, wir haben viel Gepäck … Da wäre es unbequem zu fliegen.”

Maiski: „Wenn ein Flugzeug nicht in Frage kommt, fahren Sie vielleicht auf einem Ihrer schnellen Kreuzer in die Sowjetunion? Das wäre der richtige Stil und sehr eindrucksvoll: Militärdelegationen auf einem Kriegsschiff… Und Sie brauchten auch nicht viel Zeit, um von London nach Leningrad zu kommen.”

Drax (mit saurer Miene): „Nein, ein Kreuzer kommt auch nicht in Frage. Wenn wir einen Kreuzer benutzten, müßten wir ja an die zwanzig Offiziere aus ihren Kajüten aussiedeln, um selbst Platz zu finden. Wozu so viele Umstände? Nein, nein! Wir werden keinen Kreuzer nehmen …”

Maiski: „Dann reisen Sie vielleicht mit einem Ihrer schnellen Passagierschiffe? Ich wiederhole, die Zeit drängt. Sie müssen möglichst bald in Moskau sein!”

Drax (mit offenkundiger Abneigung, das Gespräch fortzusetzen): „Ich kann Ihnen da wirklich nichts sagen… Das Handelsministerium ist beauftragt worden, die Beförderung zu organisieren. Alles hängt von ihm ab. Ich weiß nicht, wie das vor sich gehen wird.”

Tatsächlich reisten die beiden Delegationen erst am 5. August 1939 in die Sowjetunion ab. Das Handelsministerium hatte für sie ein „bequemes” Transportmittel – den Passagierfrachter „City of Exeter” – gefunden, der dreizehn Knoten lief. Erst am 10. August trafen sie schließlich in Leningrad ein.

Dieses Theater spielten die britischen und französischen Akteure drei Wochen vor Beginn des zweiten Weltkriegs. Das war jedoch nur ihr erster Akt. Die Politik der endlosen Verzögerung wurde die ganze Zeit fortgesetzt, während der die Verhandlungen geführt wurden.

Die „City of Exeter” machte an der Wassiljewski-Insel fest. Die britische und französische Delegation wurden von den höchsten Vertretern der Roten Armee und Flotte in Leningrad empfangen.

Am 11. August trafen die Gäste in Moskau ein. Am selben Tag wurde in einer Villa des Volkskommissariats für Auswärtige Angelegenheiten in der Spiridonjowka ein Essen gegeben. Ohne besondere Umstände setzten sich die Delegationsleiter und -mitglieder an den runden Tisch. Hier waren auch die Botschafter Großbritanniens und Frankreichs sowie Vertreter des Volkskommissariats für Auswärtige Angelegenheiten anwesend.

Aufmerksamkeit erregte Admiral Drax. Der hagere, weißhaarige Engländer verhielt sich steif und hochmütig. Betont wahrte er alle Feinheiten der Etikette, sprach wichtigtuerisch und langsam und bevorzugte die von der wichtigen Angelegenheit wegführenden Themen. Wir mußten sein albernes Geschwätz über die letzte Segelregatta in Portsmouth über uns ergehen lassen. Es hatte den Anschein, als sei Drax zur Erholung gekommen und nicht zur Lösung bedeutender und dringender Fragen.

Die Gäste wurden vom Volkskommissar für Verteidigung, Woroschilow, empfangen. Mitglieder der sowjetischen Delegation waren der Chef des Generalstabs, Schagoschnikow, der Chef der Luftstreitkräfte, Laktionow, der Stellvertreter des Chefs des Generalstabs, Smorodinow und ich. Die Briten und die Franzosen spürten, mit welcher Aufrichtigkeit und Herzlichkeit wir sie in Moskau umgaben und wie groß unser Wunsch war, schließlich doch zu einer Einigung zu gelangen. Der hochmütige Drax berichtete seinem Minister Chatfield, daß „die maßgebenden Beobachter unter dem starken Eindruck dieses Empfangs standen”. Es schien, als könnten wir doch noch in fruchtbare Verhandlungen eintreten.

Als wir am folgenden Tag zusammengekommen waren, wiesen wir unsere Vollmachten vor, „mit der britischen und der französischen Militärmission Verhandlungen zu führen und eine Militärkonvention über Fragen der Organisation der militärischen Verteidigung Großbritanniens, Frankreichs und der UdSSR gegen eine Aggression in Europa zu unterzeichnen”. Aber da zeigte es sich, daß unsere Partner nicht über die notwendigen Dokumente verfügten. Das Schriftstück, das der französische General Doumenc vorlegte, war von seinem Inhalt her sehr unkonkret. In ihm wurde gesagt, daß der General bevollmächtigt sei, „mit dem Oberkommando der sowjetischen Streitkräfte über alle Fragen Vereinbarungen zu treffen, die mit der Einleitung einer Zusammenarbeit zwischen den Streitkräften beider Seiten zusammenhängen”.

Admiral Drax konnte überhaupt keine Dokumente vorweisen. Er besaß auch keine schriftlichen Vollmachten. Ein derartiges, gelinde gesagt, unseriöses Auftreten konnte niemand als Zerstreutheit oder Vergeßlichkeit des dem Hof nahestehenden Admirals und britischen Diplomaten werten.

Drax spielte seine Rolle schlecht und wurde nicht einmal verlegen. Er erklärte, wenn wir die Verhandlungen nach London verlegen würden, könnte er die entsprechenden Vollmachten schnell vorzeigen.

Jemand bemerkte unter allgemeinem Gelächter, daß es doch viel einfacher sei, die Dokumente nach Moskau zu schicken, als die Delegationen nach London zu befördern.

Es erhob sich die Frage, ob wir überhaupt mit den Verhandlungen beginnen konnten. Nachdem der Admiral versprochen hatte, bei seiner Regierung dringend die notwendigen Vollmachten anzufordern, wurde beschlossen, die Gespräche fortzusetzen. Die Zeit drängte, und wir mußten Klarheit darüber gewinnen, wel-che Absichten unsere Partner hatten.

Wir tauschten Informationen über die Stärke der Streitkräfte aus. Zuerst referierten die Franzosen. Aus den Angaben, die General Doumenc machte, ging hervor, daß Frankreich 110 Divisionen, 4000 Panzer, 3000 großkalibrige Geschütze (von 15 Millimeter an aufwärts) und etwa 2 000 Flugzeuge bereitstellen konnte.

Die Briten wollten nicht bekannt geben, über welche Kräfte sie verfügten. Sie teilten lediglich mit, was sie auf den Kontinent verlegen könnten. Es stellte sich heraus, dass sie im Kriegsfall in der Lage waren, 6 Divisionen sofort zur Verfügung zu stellen, schnell 9 aufzustellen und später 16 weitere Divisionen zum Abtransport bereitzustellen. Wann dieses „später” sein würde, sagten sie nicht. Die britische Luftwaffe bestand nach Marschall Burnetts Worten aus 3 000 Flugzeugen.

Admiral Drax erging sich in Lobreden über die britische Flotte, deren Stärke, wie er erklärte, aller Welt bekannt sei und natürlich die Deutschlands überträfe.

Der Chef des Generalstabs der Roten Armee, Marschall der Sowjetunion Scha-goschnikow, teilte mit, über welche Kräfte die Sowjetunion im Falle einer Aggres-sion in Europa verfügen würde: 120 Infanterie- und 16 Kavalleriedivisionen, 19000 Panzer, mehr als 5000 Geschütze großen Kalibers und über 5 000 Flugzeuge.

Es war bekannt, daß das faschistische Deutschland über starke Streitkräfte verfügte, die darauf gedrillt waren, andere Völker zu überfallen. Folglich hatte die Sowjetunion ihre Hauptkräfte gegen den Aggressor aufgestellt. Ihr folgte Frankreich. Großbritannien mit seinen 6 Divisionen, die zum unverzüglichen Einsatz bereit waren, machte einen äußerst schwachen Eindruck.

Wie ich mich erinnere, fragte mich Schaposchnikow, wieviel Zeit man für den Transport der 6 britischen Divisionen zum Kontinent benötige. Dabei fügte er hinzu, daß er nicht so recht daran glaube, daß die übrigen britischen Divisionen in den nächsten 2 bis 3 Monaten bereitgestellt werden könnten. Ich antwortete, wenn es diese Divisionen wirklich gebe, könnte die britische Flotte sie auf dem See- und Luftweg innerhalb von einigen Tagen nach Frankreich befördern.

Trotz des geringen britischen Kontingents wären die gemeinsamen Kräfte der Dreierkoalition, wenn sie zustande gekommen wäre, der faschistischen Aggressionsarmee überlegen gewesen. Aber die herrschenden Kreise Großbritanniens und Frankreichs dachten gar nicht daran, dem deutschen Imperialismus Einhalt zu gebieten. Sie hegten nach wie vor die Hoffnung, ihn auf uns zu hetzen. Die Vernunft trat vor dem Wunsch zurück, im trüben zu fischen. Sie spekulierten darauf, daß unsere Divisionen, die wir gegen den gemeinsamen Gegner bereit waren aufzustellen, im Kampf gegen die faschistische Kriegsmaschinerie verbluten würden.

In der Sitzung vom 14. August erhob sich bereits die Frage, wie sich Großbritannien und Frankreich den Einsatz der gewaltigen Streitmacht der Verbündeten im Falle eines deutschen Angriffs auf Polen vorstellten. Es war wahrscheinlieh, daß Polen das erste Opfer der faschistischen Aggression sein würde. Man mußte auch mit einem Griff Deutschlands nach den rumänischen Ölfeldern und mit einem Überfall auf die baltischen Länder rechnen.

Da begann ein Lied ohne Ende. Unsere Partner verzögerten in jeder Weise die Verhandlungen und weigerten sich, konkrete Beschlüsse zu fassen. Die sowjetische Seite stellte die direkte Frage, ob die Generalstäbe Großbritanniens und Frankreichs auch davon ausgingen, daß den sowjetischen Truppen auf polnischem und rumänischem Territorium Durchmarschsrecht gewährt werden müsse, damit sie mit dem Gegner überhaupt in unmittelbare Berührung kommen könnten, falls dieser Großbritannien und Frankreich angreife.

Was für eine reale Grundlage für den Abschluß einer Konvention sollte geschaffen werden, wenn die sowjetischen Truppen nicht die Möglichkeit erhielten, den Opfern der faschistischen Aggression zu Hilfe zu kommen? … Die Ver-handlungen gerieten in eine Sackgasse. Die britische Delegation suchte immer neue Ausflüchte, und die wichtigste Frage blieb ungelöst.

Der Leiter der sowjetischen Mission begab sich regelmäßig nach den Abendsitzungen zu Stalin zum Vortrag. Zwei- oder dreimal begleiteten ihn Marschall Schaposchnikow und ich. Stalin hörte sich die Berichte über die Ergebnisse der ersten Sitzungen an und empfahl, weiterhin die wirkliche Position Großbritanniens und Frankreichs zu sondieren. Wie ich mich erinnere, interessierte ihn besonders die Einstellung unserer Partner, ob ihr Wunsch, einen Pakt zu schließen, aufrichtig war. Er interessierte sich auch für Admiral Drax und dessen Auftreten in den Verhandlungen.

Aber je länger sich die Verhandlungen hinzogen, desto geringer wurden die Erfolgschancen.

Am 19. und 20. August 1939 erreichten die Verhandlungen ihren Höhepunkt.

Die internationale Lage verschärfte sich von Tag zu Tag; es durfte keine Zeit verloren werden. Man hatte versprochen, uns eine endgültige Antwort zum Durchmarsch unserer Truppen durch Polen und Rumänien zu geben. Die Briten und Franzosen hatten es offensichtlich nicht eilig und hielten an ihrer Sabotagetaktik fest. Am 21. August konnte unserer Delegation wiederum keine Antwort gegeben werden. Ihr Leiter gab daraufhin eine schriftliche Erklärung ab, in der darauf hingewiesen wurde, wer an dem Scheitern der Verhandlungen die Schuld trug.

„So, wie sich die britischen und amerikanischen Truppen im vorigen Weltkrieg” – heißt es in dieser Erklärung „nicht an der militärischen Zusammenarbeit mit den bewaffneten Kräften Frankreichs hätten beteiligen können, wenn sie nicht die Möglichkeit gehabt hätten, auf dem Territorium Frankreichs zu operieren, so können auch die sowjetischen Streitkräfte nicht an einer militärischen Zusammenarbeit mit den bewaffneten Streitkräften Frankreichs und Englands teilnehmen, wenn ihnen nicht gestattet wird, das Territorium Polens und Rumäniens zu betreten. Das ist ein militärisches Axiom.”

„In Anbetracht des Dargelegten”, wurde weiter in der Erklärung betont, „fällt die Verantwortung für die Verzögerung der militärischen Verhandlungen sowie für die Unterbrechung dieser Verhandlungen natürlich auf die französische und die britische Seite.”

So endeten diese militärischen Verhandlungen infolge der britischen und französischen Sabotage in einer Sackgasse. Aus der entstandenen Lage mußte ein Ausweg gefunden werden. Eine sofortige Wende in unserer Außenpolitik war notwendig. Davon hing die Sicherheit der Heimat ab.

Die Sowjetunion trieb kein Doppelspiel, wie das einige Geschichtsfälscher im Westen behaupten. Mit Deutschland waren im Frühling und Sommer des Jahres 1939 normale diplomatische Verhandlungen, hauptsächlich über Fragen des Handels, im Gange. Allen Versuchen der faschistischen Regierung, unser Abkommen mit Großbritannien und Frankreich zu vereiteln, erteilte die Sowjetregierung eine entschiedene Abfuhr. Als jedoch Mitte August endgültig klar wurde, daß die Regierungen Großbritanniens und Frankreichs den Abschluß eines Beistandspakts hintertrieben, mußte die Sowjetregierung einen anderen Weg suchen.

Am 20. August 1939 wandte sich Hitler an Stalin und bat nachdrücklich darum, Ribbentrop zur Unterzeichnung eines Nichtangriffspakts zwischen Deutschland und der UdSSR zu empfangen. Die Antwort wurde am 21. August gegeben, als die militärischen Verhandlungen mit den beiden Westmächten faktisch gescheitert waren. Am 23. August traf Ribbentrop in Moskau ein, und am selben Tag wurde der Nichtangriffspakt unterzeichnet.

Ich war nicht in die Einzelheiten der in jenen Tagen stattfindenden Verhandlungen mit Deutschland eingeweiht und erwartete deshalb – wie übrigens kaum jemand – kein so schnelles Übereinkommen. Aber wenn man die komplizierte Situation jener Zeit in Betracht zieht, blieb uns kein anderer Ausweg.

Eine weitere Verzögerung wäre gefährlich geworden. Das hätte Wasser auf die Mühle derjenigen bedeutet, die davon träumten, Deutschland so schnell wie möglich auf den Osten zu hetzen. Der Beschluß wurde erst gefaßt, nachdem sich unsere Regierung endgültig von der Unmöglichkeit überzeugt hatte, sich mit Großbritannien und Frankreich zu einigen.

Und noch ein Umstand zwang unsere Regierung, im Interesse der Sicherheit unseres Landes diesen Beschluß zu fassen: Im August 1939 löste Japan einen Konflikt am Chalchin-Gol aus. In jenen Tagen war noch nicht abzusehen, wie weit sich dieser Konflikt ausdehnen würde. Die Gefahr, im Westen und im Osten – in Europa und Asien – Krieg führen zu müssen, veranlaßte unsere Führung, die Gefahr in der entscheidenden, der westlichen Richtung zu bannen.

Woroschilow erklärte in seinem Interview vom 27. August den Vertretern der westlichen Presse, daß „die militärischen Verhandlungen mit Großbritannien und Frankreich nicht deshalb abgebrochen wurden, weil die UdSSR einen Nichtangriffspakt mit Deutschland geschlossen hat. Im Gegenteil: Die UdSSR hat den Nichtangriffspakt mit Deutschland geschlossen, weil die militärischen Verhandlungen mit Frankreich und Großbritannien infolge unüberwindlicher Meinungsverschiedenheiten in eine Sackgasse geraten waren.”

Im Moment der Verhandlungen der Militärmissionen war unsere Lage wirklich sehr kompliziert. Wir hatten das faschistische Deutschland gegen uns; Japan provozierte schon seit langem im Fernen Osten an den sowjetischen Grenzen; die Hoffnungen auf ein Abkommen mit Großbritannien und Frankreich wurden trotz unserer Anstrengungen nicht von Erfolg gekrönt. Polen nahm eine unverhüllt feindselige Haltung ein. Was sollte man von der Erklärung des damaligen polnischen Regierungschefs Beck an den damaligen Oberbefehlshaber der polnischen Armee Rydz-Smigty halten: „Mit den Deutschen riskieren wir, unsere Freiheit zu verlieren. Mit den Russen werden wir unsere Seele verlieren.” Die folgenden Ereignisse haben die ganze Blindheit dieses erbärmlichen Potentaten gezeigt. Die deutschen Faschisten zerschmetterten Polen und stürzten sein Volk in einen tiefen Abgrund. Seine Befreiung aber kam aus dem Osten.

Das Ergebnis des Vertrages mit Deutschland war ein fast zweijähriger Aufschub der Auseinandersetzungen mit dem faschistischen Aggressor.

Natürlich fiel es unserer Regierung nicht leicht, ein Abkommen mit dem faschistischen Staat zu schließen. Aber die Interessen des Landes verlangten, daß ein Ausweg gefunden wurde, und wir hatten keine Wahl.

Quelle: N.G. Kusnezow: Am Vorabend…, Moskau 1969. 3. Auflage, Berlin 1984.


Dokument 10:

G.K. Shukow: Erinnerungen…

Der Volkskommissar für Verteidigung konnte auf dem XVIII. Parteitag natürlich keine absoluten Ziffern über die Stärke der Armee anführen. Aber bei den Verhandlungen der Militärmissionen der UdSSR, Großbritanniens und Frankreichs im August 1939, die verständlicherweise hinter verschlossenen Türen geführt wurden, legten wir konkrete Angaben vor.

Diese Verhandlungen sind von großem Interesse. Sie zeigen, mit welchem Ernst und Verantwortungsbewußtsein die Sowjetregierung ein System der kollektiven Sicherheit in Europa anstrebte, und beweisen, daß wir sachlich und real dafür sogar, zu manchen Zugeständnissen bereit waren. Die Sowjetregierung hatte ihre Militärbeauftragten eigens ermächtigt, eine „Militärkonvention über die Organisation der militärischen Verteidigung Großbritanniens, Frankreichs und der UdSSR gegen eine Aggression in Europa” zu unterzeichnen.

Großbritannien und Frankreich hingegen schickten zu den Verhandlungen nur zweitrangige Vertreter, die immer nur „vorfühlen” und „sondieren” sollten, ohne aufrichtiges Interesse für eine erfolgreiche militärische Zusammenarbeit zu zeigen. In einer geheimen Instruktion an die britische Mission wurde unverblümt darauf hingewiesen, daß die Regierung Großbritanniens „keinerlei bestimmte Verpflichtungen zu übernehmen wünscht”, die ihr „die Hände binden” könnten. Die Mission wurde beauftragt, die Verhandlungen „sehr langsam” zu führen, den Russen mit „Zurückhaltung zu begegnen” und in einem militärischen Abkommen „möglichst bei allgemeinen Formulierungen zu bleiben”.

Ich zitiere auszugsweise Protokolle aus jener Zeit; sie geben Aufschluß über die Kampfmöglichkeiten unserer Armee, die bereit war, an den Westgrenzen unseres Landes aufzumarschieren.

Niederschrift der Sitzung der Militärmissionen der UdSSR, Großbritanniens und Frankreichs, 15. August 1939, Sitzungsbeginn: 10.07 Uhr – Ende: 13.20 Uhr

Armeekommandeur B.M. Schaposchnikow: Wir haben uns in den vorigen Sitzungen den Plan für den Aufmarsch der französischen Armee im Westen angehört. Auf Ersuchen der Militärmissionen Großbritanniens und Frankreichs lege ich im Auftrag der Militärmission der UdSSR den Aufmarschplan der Streitkräfte der UdSSR, an deren Westgrenzen dar.

Die Rote Armee entfaltet im europäischen Teil der UdSSR gegen eine Aggression in Europa und verlegt an die Front: 120 Infanteriedivisionen, 16 Kavalleriedivisionen, 5000 schwere Geschütze – Kanonen und Haubitzen -, 9000 bis 10000 Panzer, 5000 bis 5500 Kampfflugzeuge, das heißt Bomben- und Jagdflugzeuge – ohne Hilfsflugzeuge.

In dieser Zahl sind nicht inbegriffen: die Truppenteile der Befestigten Räume, der Luftverteidigung, des Küstenschutzes und die Reservetruppen, in denen die Ergänzung ausgebildet wird, sowie die Rückwärtigen Dienste.

Ohne im einzelnen auf die Organisation der Roten Armee einzugehen, möchte ich kurz feststellen: Eine Infanteriedivision setzt sich aus drei Schützen- und zwei Artillerieregimentern zusammen. Die Kriegsstärke der Division beträgt 19000 Mann. Das Korps besteht aus 3 Divisionen mit 2 Regimentern eigener Artillerie. (Admiral Drax erkundigt sich im Gespräch mit General Heywood, ob jemand von den Offizieren die Information des Armeekommandeurs Schaposchnikow mitnotiert, und erhält eine bejahende Antwort.)

Die Armee, bestehend aus 5 bis 8 Korps, verfügt über eigene Artillerie, Flugzeuge und Panzer.

Die Truppen der Befestigten Räume werden innerhalb von 4 bis 6 Stunden in Gefechtsbereitschaft versetzt.

Befestigte Räume besitzt die UdSSR entlang ihrer gesamten Westgrenze, vom Nördlichen Eismeer bis hin zum Schwarzen Meer.

Die Konzentrierung der Armee erfolgt innerhalb von 8 bis 20 Tagen. Das Eisenbahnnetz ermöglicht es, die Armee in den genannten Fristen nicht nur an den Grenzen zu konzentrieren, sondern mit ihnen auch entlang der Front zu manövrieren. Wir besitzen längs der Westgrenze in einer Tiefe bis zu 300 Kilometern 3 bis 5 Rochaden.

Wir verfügen jetzt über eine ausreichende Anzahl von hochleistungsfähigen großen Dampflokomotiven und zweimal größeren Güterwagen wie früher. Unsere Eisenbahnzüge laufen jetzt mit doppelt so großer Tragfähigkeit. Die Geschwindigkeit der Züge hat sich erhöht.

Wir besitzen ein beträchtliches Kraftfahrzeugtransportwesen und Rochadestraßen, auf denen die Transporte entlang der Front konzentriert werden können…

Ich will nun die von der Militärmission der UdSSR gebilligten drei Varianten eventueller gemeinsamer Aktionen der Streitkräfte Großbritanniens, Frankreichs und der UdSSR im Falle einer Aggression in Europa darlegen.

Erste Variante: für den Fall, daß der Block der Aggressoren Großbritannien und Frankreich angreift. In diesem Fall stellt die UdSSR 70 Prozent der Streitkräfte, die von Großbritannien und Frankreich unmittelbar gegen den Hauptaggressor – Deutschland – eingesetzt werden. Ich erläutere. Wenn zum Beispiel Frankreich und Großbritannien gegen Deutschland unmittelbar 90 Infanteriedivisionen aufstellen würden, so würde die UdSSR 63 Infanteriedivisionen und 6 Kavalleriedivisionen mit entsprechender Anzahl von Artillerie, Panzern, Flugzeugen in Gesamtstärke von rund 2 Millionen Mann bereitstellen…

Die Nordmeerflotte der UdSSR führt Kreuzeroperationen vor den Küsten Finnlands und Norwegens außerhalb ihrer Hoheitsgewässer gemeinsam mit einem britisch-französischen Geschwader durch… Die Baltische Flotte der UdSSR kann Kreuzeroperationen und Unterseebootaktionen unternehmen sowie vor den Küsten Ostpreußens und Pommerns Minen legen. Die U-Boote der Baltischen Flotte der UdSSR werden den Transport von Rohstoffen aus Schweden für den Hauptaggressor stören.

(Während Armeekommandeur Schaposchnikow den Aktionsplan vorträgt, tragen Admiral Drax und General Heywood die Lage in ihre Karten ein.)

Zweite Variante für den Beginn der Kampfhandlungen: Aggression gegen Polen und Rumänien… Teilnahme der UdSSR am Kriege kann nur dann erfolgen, wenn Frankreich und Großbritannien mit Polen und möglichst auch mit Litauen sowie mit Rumänien den Durchmarsch unserer Truppen und deren Operationen durch den Korridor von Vilnius sowie über Galizien und Rumänien vereinbaren.

In diesem Falle stellt die UdSSR 100 Prozent der Streitkräfte, mit denen Großbritannien und Frankreich unmittelbar gegen Deutschland antreten. Wenn zum Beispiel Frankreich und Großbritannien gegen Deutschland 90 Infanteriedivisionen einsetzen, stellt die UdSSR 90 Infanteriedivisionen, 12 Kavalleriedivisionen mit entsprechenden Artillerie-, Flieger- und Panzerkräften.

Die Flotten Großbritanniens und Frankreichs haben dieselben Aufgaben wie nach der ersten Variante…

Im Süden sperrt die Schwarzmeerflotte der UdSSR das Donaudelta gegen das Eindringen von Unterseebooten des Aggressors und von eventuellen anderen Marinekräften und riegelt den Bosporus ab, um Überwasserkräften und Unterseebooten des Gegners den Zugang zum Schwarzen Meer zu verwehren.

Dritte Variante: für den Fall, daß der Hauptaggressor seinen Angriff über das Territorium Finnlands, Estlands und Lettlands gegen die UdSSR richtet. In diesem Falle werden Frankreich und Großbritannien unverzüglich in den Krieg gegen den Aggressor oder den Aggressorenblock eintreten.

Durch Verträge mit Großbritannien und Frankreich verbunden, wird Polen unbedingt gegen Deutschland auftreten und unsere Truppen auf Grund von Vereinbarungen der Regierungen Großbritanniens und Frankreichs mit der Regierung Polens durch den Korridor von Vilnius und durch Galizien passieren lassen.

Oben wurde bereits darauf hingewiesen, daß die UdSSR 120 Infanteriedivisionen, 16 Kavalleriedivisionen, 5000 schwere Geschütze, 9000 bis 10000 Panzer, 5000 bis 5500 Flugzeuge entfaltet. Frankreich und Großbritannien müssen in diesem Falle 70 Prozent der eben genannten Kräfte der UdSSR aufstellen und unverzüglich aktive Handlungen gegen den Hauptaggressor eröffnen.

Die Handlungen der britisch-französischen Kriegsflotte sollen wie in der ersten Variante verlaufen …

Niederschrift der Sitzung der Militärmissionen der UdSSR, Großbritanniens und Frankreichs 17. August 1939, Sitzungsbeginn: 10.07 Uhr – Ende: 13.43 Uhr

Marschall K.J. Woroschilow (Vorsitzender): Ich eröffne die Sitzung der Militärmissionen.

Auf der heutigen Sitzung werden wir eine Information über die Luftstreitkräfte der Sowjetunion entgegennehmen. Sollte es keine Fragen geben, erlaube ich mir, dem Chef der Luftstreitkräfte der Roten Arbeiter-und-Bauern-Armee, Armeekommandeur zweiten Ranges Loktionow, das Wort zu erteilen.

Armeekommandeur A.D. Loktionow: Der Generalstabschef der Roten Armee, Armeekommandeur ersten Ranges Schaposchnikow, hat in seinem Bericht hier mitgeteilt, daß die Rote Armee auf dem westeuropäischen Kriegsschauplatz 5000 bis 5500 Kampfflugzeuge entfalten werde. Das entspricht den Fliegerkräften der ersten Linie ohne Reserve.

Von der genannten Anzahl entfallen 80 Prozent auf moderne Flugzeuge mit folgenden Geschwindigkeiten: Jagdflugzeuge 465 bis 575 Kilometer in der Stunde und mehr, Bomber 460 bis 550 Kilometer in der Stunde. Die Reichweite der Bomber beträgt 1800 bis 4000 Kilometer. Die Bombenladung erreicht 600 Kilogramm bei Flugzeugen alter Typen und bis zu 2500 Kilogramm…

Die Verhältniszahlen zwischen Bomben-, Jagdflieger- und Heeresfliegerkräften betragen in Prozent 55:40:5.

Die Flugzeugwerke der Sowjetunion arbeiten augenblicklich in einer Schicht und nur einige in zwei Schichten und liefern für den nötigen Bedarf durchschnittlich 900 bis 950 Kampfflugzeuge monatlich sowie Zivil- und Schulflugzeuge. Angesichts der sich ausbreitenden Aggression in Europa und im Osten hat unsere Flugzeugindustrie die erforderlichen Vorkehrungen getroffen, um ihre Produktion bis zu den für die Deckung des Bedarfs unerläßlichen Höchstleistungen auszubauen …

Die wichtigsten Fliegerverbände können innerhalb von 1 bis 4 Stunden einsatzbereit sein. Die diensthabenden Verbände befinden sich in ständiger Gefechtsbereitschaft.

In der Anfangsperiode des Krieges werden die Luftstreitkräfte gemäß den vom Generalstab ausgearbeiteten Plänen handeln. Das allgemeine Prinzip der Handlungen der Luftstreitkräfte ergibt sich aus dem Erfordernis, alle Mittel, sowohl die Land- als auch die Luftstreitkräfte, in der Hauptstoßrichtung zu konzentrieren. Infolgedessen werden die Fliegerkräfte eng mit den Landtruppen auf dem Schlachtfeld und in der Tiefe der jeweiligen Operation zusammenwirken.

Ziele der Bomber werden sein: Truppen und wichtige militärische Objekte des Gegners. Außerdem werden die Bomber Aufträge für Einsätze gegen militärische Ziele im tieferen Hinterland des Gegners erhalten. Die sowjetischen Luftstreitkräfte stellen sich nicht die Aufgabe, die Zivilbevölkerung anzugreifen.

Die Jagdfliegerkräfte haben die Aufgabe, eine Reihe wichtiger militärischer Objekte, Eisenbahnlinien und Straßen zu verteidigen sowie auch Konzentrierungen von Landtruppen und Fliegerkräften zu decken, große Städte im engen Zusammenwirken mit den übrigen Luftabwehrmitteln – Flak-Artillerie und son-stigen Mitteln – zu schützen, die Fliegerkräfte des Gegners zu bekämpfen und die Einsätze von Bombern und Schlachtflugzeugen auf dem Gefechtsfeld in engem Zusammenwirken mit ihnen zu sichern …

Marschall K.J. Woroschilow: Das Wort hat Marschall Burnett.

Marschall Burnett: Ich möchte General Loktionow im Namen der französischen und der britischen Mission unseren Dank aussprechen für die exakte Berichterstattung. Die Tatkraft und Organisiertheit, mit denen die Sowjetunion so hervorragende Leistungen in der Schaffung ihrer Fliegerkräfte zu erzielen vermochte, haben mich tief beeindruckt. …

Historiker und Memoirenautoren fragen gern: „Was wäre, wenn…?” Tatsächlich: Wenn die Regierungen Großbritanniens und Frankreichs 1939 bereit gewesen wären, ihre militärischen Kräfte mit der Sowjetunion gegen den Aggressor zu vereinigen, wie wir vorschlugen, hätte sich das Schicksal Europas anders entwickelt…

Quelle: G.K. Shukow: Erinnerungen und Gedanken. Bd. 1, Moskau 1969/Berlin 1973, 4. überarbeitete Auflage.

Quelle: G.K. Shukow, a.a.O.


Dokument 11:

Hitlers Weisung an das OKH vom 21. Juli 1940, Vorbereitungen zum Krieg gegen die Sowjetunion einzuleiten (Auszug aus dem Kriegstagebuch des Chefs des Generalstabes des Heeres, Generaloberst Franz Halder, vom 22. Juli 1940)

10.00 Uhr Besprechung [mit] ObdH.

1. Berichterstattung über Vorbereitungen England an ObdH.

2. ObdH berichtet über Berlin: Besprechung beim Führer am 21. 7. (1)

a) Üblicher Rahmen.

b) Führer: Unklar, was in England wird. Die Vorbereitungen zur Waffenentscheidung müssen so schnell wie möglich getroffen werden. Der Führer will sich die militärpolitische Initiative nicht aus der Hand nehmen lassen. Sobald Klarheit, wird politische und diplomatische Initiative wieder aufgenommen werden.

c) Gründe für Fortsetzung des Krieges durch England:

1. Hoffnung auf Umschwung in Amerika: (Roosevelt unsicher, Industrie will nicht investieren. England läuft Gefahr, die Stellung als erste Seemacht an Amerika abzugeben).

2. Hoffnung auf Rußland. (…)

7. Stalin kokettiert mit England, um England im Kampf zu erhalten und uns zu binden, um Zeit zu haben, das zu nehmen, was er nehmen will und was nicht mehr genommen werden kann, wenn Frieden ausbricht.

Er wird Interesse haben, daß Deutschland nicht zu stark wird. Aber es liegen keine Anzeichen für russische Aktivität uns gegenüber vor.

8. Russisches Problem in Angriff nehmen. Gedankliche Vorbereitungen treffen. (2)

Dem Führer ist gemeldet (3):

a) Aufmarsch dauert 4-6 Wochen.

b) Russisches Heer schlagen oder wenigstens so weit russischen Boden in die Hand nehmen, als nötig ist, um feindliche Luftangriffe gegen Berlin und schlesisches Industriegebiet zu verhindern.

Erwünscht, so weit vorzudringen, daß man mit unserer Luftwaffe wichtigste Gebiete Rußlands zerschlagen kann.

c) Politisches Ziel: Ukrainisches Reich, Baltischer Staatenbund, Weiß-Rußland-Finnland, Baltikum „Pfahl im Fleisch”. (4)

d) Nötig 80-100 Divn.; Rußland hat 50-75 gute Divn.

Wenn wir in diesem Herbst Rußland angreifen, wird England luftmäßig entlastet.

Amerika kann an England und Rußland liefern. (5)

e) Operation (6): Welche Operationsziele können wir stellen?

Welche Kräfte?

Zeit und Raum der Bereitstellung?

Operationsbahnen: Baltikum, Finnland-Ukraine

Berlin und schlesische Gebiete schützen.

Rumänische Ölzentren schützen.

Dazugehörige Anm.:

(1) Mitteilung des Gen. Feldm. v. Brauchitsch an den Chef des Genst. d. H. über die Ausführungen Hitlers am 21. Juli 1940. – […]

(2) Damit hatte der ObdH zum ersten Mal die Weisung erhalten, Vorbereitungen für einen Feldzug gegen die Sowjetunion zu treffen. Vorüberlegungen hatte das OKH bereits auf Grund der Anregungen Hitlers seit Anfang Juli angestellt. Zu den militärischen Planungen „Barbarossa” (Ostfeldzug): Vgl. Fabry, a.a.O. (S. 5, Anm. 1), S. 249ff.; Weinberg, a.a.O. (S. 5, Anm. 1), S. 106ff.; Philippi/Heim, a.a.O. (S. 5, Anm. 1), 19ff.; Uhlig, H., Das Einwirken Hitlers auf Planung und Führung des Ostfeldzuges in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage z. Wochenzeitung „Das Parlament”, 16. und 23.3.1960.

(3) Es ist nicht mehr mit Sicherheit zu klären, wer die nachfolgende Meldung gemacht hat. Da das OKW (Keitel und Jodl) wenige Tage später in einer Denkschrift darauf hinwies, daß der „Aufmarsch der deutschen Wehrmacht in den neu gewonnenen Ostgebieten bestimmte Einrichtungen erfordere, die sich in wenigen Wochen nicht schaffen ließen …” (Greiner. a.a.O., S. 292), ist kaum anzunehmen, daß es wenige Tage vorher fast das Gegenteil gemeldet hatte.

(4) Als politische Ziele des geplanten Feldzuges nannte Hitler: die Neubildung eines Ukrainischen Reiches, eines Baltischen Staatenbundes und Weißrußlands; Finnland sollte vergrößert werden. Im übrigen würde das Baltikum für die Sowjetunion immer ein „Pfahl im Fleische” bleiben. – Vgl. auch: Gruchmann, L., Nationalsozialistische Großraumordnung, Stuttgart 1962, S. 71ff.

(5) Das OKW hatte durch eine Denkschrift (unterschrieben von Keitel) Hitler davon überzeugt, daß es aus verschiedenen zwingenden Gründen unmöglich sei, die Offensive gegen die Sowjetunion bereits im Herbst 1940 auszulösen. Vgl. Anm. 9: Warlimont. a.a.O. (S.21, Anm. 9), S. 127ff.

(6) Die nachfolgenden Fragen waren an den ObdH gerichtet. „Operationsbahnen: Baltikum, Finnland-Ukraine” deuteten an. daß Hitler die Operationen mit Schwerpunkt über die baltischen Randstaaten und durch die Ukraine geführt wissen wollte. Vgl. auch: Philippi/Heim, a.a.O. (S. 5. Anm. 1), S. 28.

Quelle: Halder. KTB. Bd. II, S. 30-33.


Dokument 12:

Hitlers Entschluß zum Krieg gegen die UdSSR vom 31. Juli 1940 (Auszug aus dem Kriegstagebuch des Chefs des Generalstabes des Heeres, Generaloberst Franz Halder)

11.30 Uhr Berghof (Abflug [von Fontainebleau] 06.45 Uhr).

Englands Hoffnung ist Rußland und Amerika. Wenn Hoffnung auf Rußland wegfällt, fällt auch Amerika weg, weil Wegfall Rußlands eine Aufwertung Japans in Ostasien in ungeheurem Maß folgt.

Rußland ostasiatischer Degen Englands und Amerikas gegen Japan. Hier für England ungenehmer Wind. Japaner haben ihr Programm wie Rußland, das vor Kriegsende noch erledigt werden soll.

Siehe russischen Kriegsfilm über russischen Krieg! [Seitliche Notiz links.]

Rußland Faktor, auf den England am meisten setzt. Irgend etwas ist in London geschehen! Die Engländer waren schon ganz down, nun sind sie wieder aufgerichtet. Abgehörte Gespräche. Rußland unangenehm berührt von schneller Entwicklung der westeuropäischen Lage.

Rußland braucht England nie mehr zu sagen, als daß es Deutschland nicht groß haben will, dann hofft England wie ein Ertrinkender, daß in 6-8 Monaten die Sache ganz anders sein wird.

Ist aber Rußland zerschlagen, dann ist Englands letzte Hoffnung getilgt. Der Herr Europas und des Balkans ist dann Deutschland. (1)

Entschluß: Im Zuge dieser Auseinandersetzung muß Rußland erledigt werden. Frühjahr 1941.

Je schneller wir Rußland zerschlagen, um so besser. Operation hat nur Sinn, wenn wir Staat in einem Zug schwer zerschlagen. Gewisser Raumgewinn allein genügt nicht. Stillstehen im Winter bedenklich.

Daher besser warten (2), aber bestimmter Entschluß, Rußland zu erledigen. Notwendig auch wegen Lage an der Ostsee. 2. Groß-Staat [Rußland] an Ostsee nicht brauchbar.

[Beginn des Feldzuges:] Mai 1941. 5 Monate Zeit zur Durchführung. Am liebsten noch in diesem Jahre. Geht aber nicht, um Operation einheitlich durchzuführen.

Ziel: Vernichtung der Lebenskraft Rußlands. Zerlegen in:

1. Stoß Kiew Anlehnung an Dnjepr. Luftwaffe zerstört Übergänge Odessa.

2. Stoß Randstaaten mit Richtung Moskau. (3)

Schließlich Zusammenfassung aus Norden und Süden.

Später Teiloperation auf Ölgebiet Baku.

Inwieweit man Finnland und Türkei interessiert, wird man sehen.

Später: Ukraine, Weißrußland, Baltische Staaten an uns. Finnland bis ans Weiße Meer. (4)

7 Div. Norwegen (autark machen!), Munition,

50 Div. Frankreich,

3 Div. Holland, Belgien.

120 für Osten

Mit je mehr Verbänden wir kommen, um so besser. Wir haben 120 plus 20 Urlaubsdiv.

Aufstellung [der 40 neuen Div.] durch Herausziehen in 3 Abschnitten eines Btls. aus jeder Div. aus den Divn.

Nach einigen Monaten wieder 1 Btl. pp. 1/3 herausziehen.

Tarnen: Spanien, Nordafrika, England. (5) Neuaufstellung in luftgeschützten Räumen.

Neuaufstellungen: Im Ostraum: 40 Divn. aus kampferprobten Mannschaften.

Dazugehörige Anmerkungen:

(1) Zu Hitlers Hegemonialbestrebungen: Vgl. Gruchmann, a.a.O. (S.33, Anm. 10), S.71 ff.; Moltmann, G., Weltherrschaftsideen Hitlers, in: Europa und Übersee. Festschrift für Egmont Zechlin, Hamburg 1961, S.197 ff.

(2) Dies bezieht sich auf den ursprünglichen Gedanken, die Sowjetunion noch im Herbst 1940 anzugreifen. Vgl. S.32 f., Anm. 8.

(3) „1.” bzw. „2. Stoß” bedeuteten zwei gleichzeitig zu führende Operationen. Dabei sollte die Luftwaffe die Flankenbedrohung von Odessa her ausschalten. Der ObdH und Gen. Oberst Halder beschränkten sich darauf, Hitlers Absichten zur Kenntnis zu nehmen. Halder wollte alle Erörterungen darüber so lange wie möglich vermeiden; auch, um die Entscheidung über die Auslösung des Feldzuges zu verzögern. Er wartete ab, bis Hitler selbst darauf zurückkam und das OKH zur Darlegung seiner Gedanken aufforderte. Zu den späteren Differenzen zwischen Hitler und dem OKH über die Führung der Operationen: vgl. Philippi/Heim, a.a.O. S.28ff.

(4) Hitlers Kriegsziele im Osten waren zu diesem Zeitpunkt: die Einverleibung der Ukraine, Weißrußlands und der Baltischen Staaten; Finnlands Grenzen sollten bis an das Weiße Meer vorgeschoben werden.

(5) Die Vorbereitungen zur Offensive sollten so getarnt werden, als ob Unternehmungen gegen Gibraltar mit Spanien, gegen Nordafrika oder Ägypten mit Italien und gegen England vorbereitet würden.

Quelle: Halder, KTB, Bd. II, S. 49-50.


Dokument 13:

Weisung Nr. 21, Fall Barbarossa

Zur Vorbereitung des deutsch-sowjetischen Agriffskrieges vor dem 22. Juni 1941

Geheime Kommandosache

Der Führer und Oberste Befehlshaber der Wehrmacht, den 18.12.40

OKW/WFSt/Abt. L (I) Nr. 33408/40 gK Chefs.

Nur durch Offizier

Fall Barbarossa

Die deutsche Wehrmacht muß darauf vorbereitet sein, auch vor Beendigung des Krieges gegen England Sowjetrußland in einem schnellen Feldzug niederzuwerfen (Fall Barbarossa).

Das Heer wird hierzu alle verfügbaren Verbände einzusetzen haben mit der Einschränkung, daß die besetzten Gebiete gegen Überraschungen gesichert sein müssen.

Für die Luftwaffe wird es darauf ankommen, für den Ostfeldzug so starke Kräfte zur Unterstützung des Heeres freizumachen, daß mit einem raschen Ablauf der Erdoperationen gerechnet werden kann und die Schädigung des ostdeutschen Raumes durch feindliche Luftangriffe so gering wie möglich bleibt. Diese Schwerpunktbildung im Osten findet ihre Grenze in der Forderung, daß der gesamte von uns beherrschte Kampf- und Rüstungsraum gegen feindliche Luftangriffe hinreichend geschützt bleiben muß und die Angriffshandlungen gegen England, insbesondere seine Zufuhr, nicht zum Erliegen kommen dürfen.

Der Schwerpunkt des Einsatzes der Kriegsmarine bleibt auch während eines Ostfeldzuges eindeutig gegen England gerichtet.

Den Aufmarsch gegen Sowjetrußland werde ich gegebenenfalls acht Wochen vor dem beabsichtigten Operationsbeginn befehlen.

Vorbereitungen, die eine längere Anlaufzeit benötigen, sind – soweit noch nicht geschehen schon jetzt in Angriff zu nehmen und bis zum 15. 5. 41 abzuschließen.

Entscheidender Wert ist jedoch darauf zu legen, daß die Absicht eines Angriffes nicht erkennbar wird.

Die Vorbereitungen der Oberkommandos sind auf folgender Grundlage zu treffen:

I. Allgemeine Absicht:

Die im westlichen Rußland stehende Masse des russischen Heeres soll in kühnen Operationen unter weitem Vortreiben von Panzerkeilen vernichtet, der Abzug kampfkräftiger Teile in die Weite des russischen Raumes verhindert werden.

In rascher Verfolgung ist dann eine Linie zu erreichen, aus der die russische Luftwaffe reichsdeutsches Gebiet nicht mehr angreifen kann. Das Endziel der Operation ist die Abschirmung gegen das asiatische Rußland aus der allgemeinen Linie Wolga – Archangelsk. So kann erforderlichenfalls das letzte Rußland verbleibende Industriegebiet am Ural durch die Luftwaffe ausgeschaltet werden.

Im Zuge dieser Operationen wird die russische Ostseeflotte schnell ihre Stütz-punkte verlieren und damit nicht mehr kampffähig sein.

Wirksames Eingreifen der russischen Luftwaffe ist schon bei Beginn der Operation durch kraftvolle Schläge zu verhindern.

II. Voraussichtliche Verbündete und deren Aufgaben:

1. Auf den Flügeln unserer Operation ist mit der aktiven Teilnahme Rumäniens und Finnlands am Kriege gegen Sowjetrußland zu rechnen.

In welcher Form die Streitkräfte beider Länder bei ihrem Eingreifen deutschem Befehl unterstellt werden, wird das Oberkommando der Wehrmacht zeitgerecht vereinbaren und festlegen.

2. Rumäniens Aufgabe wird es sein, zusammen mit der dort aufmarschierenden Kräftegruppe den gegenüberstehenden Gegner zu fesseln und im übrigen Hilfsdienste im rückwärtigen Gebiet zu leisten.

3. Finnland wird den Aufmarsch der aus Norwegen kommenden abgesetzten deutschen Nordgruppe (Teile der Gruppe XXI) zu decken und mit ihr gemeinsam zu operieren haben. Daneben wird Finnland die Ausschaltung von Hangö zufallen.

4. Mit der Möglichkeit, daß schwedische Bahnen und Straßen für den Aufmarsch der deutschen Nordgruppe spätestens von Operationsbeginn an zur Verfügung stehen, kann gerechnet werden.

III. Die Führung der Operationen:

A. Heer (in Genehmigung der mir vorgetragenen Absichten):

In dem durch die Pripetsümpfe in eine südliche und eine nördliche Hälfte getrennten Operationsraum ist der Schwerpunkt nördlich dieses Gebietes zu bilden. Hier sind 2 Heeresgruppen vorzusehen.

Der südlichen dieser beiden Heeresgruppen – Mitte der Gesamtfront – fällt die Aufgabe zu, mit besonders starken Panzer- und mot. Verbänden aus dem Raum um und nördlich Warschau vorbrechend die feindlichen Kräfte in Weißrußland zu zersprengen. Dadurch muß die Voraussetzung geschaffen werden für das Eindrehen von starken Teilen der schnellen Truppen nach Norden, um im Zusammenwirken mit der aus Ostpreußen in allgemeiner Richtung Leningrad operierenden nördlichen Heeresgruppe die im Baltikum kämpfenden feindlichen Kräfte zu vernichten. Erst nach Sicherstellung dieser vordringlichsten Aufgabe, welcher die Besetzung von Leningrad und Kronstadt folgen muß, sind die Angriffsoperationen zur Besitznahme des wichtigen Verkehrs- und Rüstungszentrums Moskau fortzuführen.

Nur ein überraschend schnell eintretender Zusammenbrach der russischen Widerstandskraft könnte es rechtfertigen, beide Ziele gleichzeitig anzustreben.

Die wichtigste Aufgabe der Gruppe XXI bleibt auch während der Ostoperationen der Schutz Norwegens. Die darüber hinaus verfügbaren Kräfte sind im Norden (Geb.-Korps) zunächst zur Sicherung des Petsamo-Gebietes und seiner Erzgruben sowie der Eismeerstraße einzusetzen, um dann gemeinsam mit finnischen Kräften gegen die Murmansk-Bahn vorzustoßen und die Versorgung des Murmansk-Gebietes auf dem Landwege zu unterbinden.

Ob eine derartige Operation mit stärkeren deutschen Kräften (23 Div.) aus dem Raum von Rovaniemi und südlich geführt werden kann, hängt von der Bereitwilligkeit Schwedens ab, seine Eisenbahnen für einen solchen Aufmarsch zur Verfügung zu stellen.

Der Masse des finnischen Heeres wird die Aufgabe zufallen, in Übereinstimmung mit den Fortschritten des deutschen Nordflügels möglichst starke russische Kräfte durch Angriff westlich oder beiderseits des Ladoga-Sees zu fesseln und sich in den Besitz von Hangö zu setzen.

Bei der südlich der Pripetsümpfe angesetzten Heeresgruppe ist der Schwerpunkt im Raum von Lublin in allgemeiner Richtung Kiew zu bilden, um mit starken Pz. Kräften schnell in die tiefe Flanke und den Rücken der russischen Kräfte vorzugehen und diese dann im Zuge des Dnjepr aufzurollen.

Der deutsch-rumänischen Kräftegruppe fällt am rechten Flügel die Aufgabe zu

a) den rumänischen Raum und damit den Südflügel der Gesamtoperation zu schützen,

b) im Zuge des Angriffs am Nordflügel der Heeresgruppe Süd die gegenüberstehenden feindlichen Kräfte zu fesseln und bei fortschreitender Entwicklung der Lage im Verein mit der Luftwaffe ihren geordneten Rückzug über den Dnjestr im Nachstoß zu verhindern.

Sind die Schlachten südlich bzw. nördlich der Pripetsümpfe geschlagen, ist im Rahmen der Verfolgung anzustreben: im Süden die frühzeitige Besitznahme des wehrwirtschaftlich wichtigen Donez-Beckens, im Norden das schnelle Erreichen von Moskau. Die Einnahme dieser Stadt bedeutet politisch und wirtschaftlich einen entscheidenden Erfolg, darüber hinaus den Ausfall des wichtigsten Eisenbahnknotenpunktes.

B. Luftwaffe:

Ihre Aufgabe wird es sein, die Einwirkung der russischen Luftwaffe soweit wie möglich zu lähmen und auszuschalten sowie die Operationen des Heeres in ihren Schwerpunkten, namentlich bei der mittleren Heeresgruppe und auf dem Schwerpunktflügel der südlichen Heeresgruppe, zu unterstützen. Die russischen Bahnen werden je nach ihrer Bedeutung für die Operationen zu unterbrechen bzw. in ihren wichtigsten nahegelegenen Objekten (Flußübergänge!) durch kühnen Einsatz von Fallschirm- und Luftlandetruppen in Besitz zu nehmen sein.

Um alle Kräfte gegen die feindliche Luftwaffe und zur unmittelbaren Unterstützung des Heeres zusammenfassen zu können, ist die Rüstungsindustrie während der Hauptoperattonen nicht anzugreifen. Erst nach dem Abschluß der Bewegungsoperationen kommen derartige Angriffe, in erster Linie gegen das Uralgebiet, in Frage.

C. Kriegsmarine:

Der Kriegsmarine fällt gegen Sowjetrußland die Aufgabe zu, unter Sicherung der eigenen Küste ein Ausbrechen feindlicher Seestreitkräfte aus der Ostsee zu verhindern. Da nach dem Erreichen von Leningrad der russischen Ostseeflotte der

letzte Stützpunkt genommen und diese dann in hoffnungsloser Lage sein wird, sind vorher größere Seeoperationen zu vermeiden.

Nach dem Ausschalten der russischen Flotte wird es darauf ankommen, den vollen Seeverkehr in der Ostsee, dabei auch den Nachschub für den nördlichen Heeresflügel über See, sicherzustellen (Minenräumung!)

IV.

Alle von den Herren Oberbefehlshabern auf Grund dieser Weisung zu treffenden Anordnungen müssen eindeutig dahin abgestimmt sein, daß es sich um Vorsichtsmaßnahmen handelt für den Fall, dass Rußland seine bisherige Haltung gegen uns ändern sollte. Die Zahl der frühzeitig zu den Vorarbeiten heranzuziehenden Offiziere ist so klein wie möglich zu halten, weitere Mitarbeiter sind so spät wie möglich und nur in dem für die Tätigkeit jedes Einzelnen erforderlichen Umfang einzuweisen. Sonst besteht die Gefahr, daß durch ein Bekanntwerden unserer Vorbereitungen, deren Durchführung zeitlich noch gar nicht festliegt, schwerste politische und militärische Nachteile entstehen.

V.

Vorträgen der Herren Oberbefehlshaber über ihre weiteren Absichten auf Grund dieser Weisung sehe ich entgegen.

Die beabsichtigten Vorbereitungen aller Wehrmachtteile sind mir, auch in ihrem zeitlichen Ablauf, über das Oberkommando der Wehrmacht zu melden.

(Unterschrift): Adolf Hitler (mit den Paraphen von v. Loßberg, Jodl, Warlimont und Keitel)

Quelle: BA-MA, RW 4 / v. 522.


Dokument 14:

Oberkommando der Wehrmacht: Richtlinien auf Sondergebieten zur Weisung Nr. 21 (Fall Barbarossa) vom 13.3.1941.

Geheime Kommandosache. Chefsache! Nur durch Offiziere!

Richtlinien auf Sondergebieten zur Weisung Nr. 21 (Fall Barbarossa)

I. Operationsgebiet und vollziehende Gewalt

1. In Ostpreußen und im Generalgouvernement werden spätestens 4 Wochen vor Operationsbeginn durch OKW die innerhalb der Wehrmacht für ein Operationsgebiet gültigen Befehlsbefugnisse und Bestimmungen für die Versorgung in Kraft gesetzt werden. Vorschlag legt OKH zeitgerecht nach Einvernehmen mit Ob. d. L. vor.

Eine Erklärung Ostpreußens und der Generalgouvernements zum Operationsgebiet des Heeres ist nicht beabsichtigt. Dagegen ist der Ob. d. H. auf Grund der nichtveröffentlichten Führererlasse vom 19. und 21. 10. 1939 berechtigt, diejenigen Maßnahmen anzuordnen, die zur Durchführung seines militärischen Auftrages und zur Sicherung der Truppe notwendig sind. Diese Ermächtigung kann er auf die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen und Armeen weiter übertragen. Derartige Anordnungen gehen allen anderen Obliegenheiten und den Weisungen ziviler Stellen vor.

2. Das im Zuge der Operationen zu besetzende russische Gebiet soll, sobald der Ablauf der Kampfhandlungen es erlaubt, nach besonderen Richtlinien in Staaten mit eigenen Regierungen aufgelöst werden.

Hieraus folgert:

a) Das mit dem Vorgehen des Heeres über die Grenzen des Reiches und der Nachbarstaaten gebildete Operationsgebiet des Heeres ist der Tiefe nach soweit als möglich zu beschränken. Der Ob. d. H. hat die Befugnis, in diesem Gebiet die vollziehende Gewalt auszuüben mit der Ermächtigung, sie auf die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen und Armeen zu übertragen.

b) Im Operationsgebiet des Heeres erhält der Reichsführer SS zur Vorbereitung der politischen Verwaltung Sonderaufgaben im Auftrage des Führers, die sich aus dem endgültig auszutragenden Kampf zweier entgegengesetzter politischer Systeme ergeben. Im Rahmen dieser Aufgaben handelt der Reichsführer SS selbständig und in eigener Verantwortung. Im übrigen wird die dem Ob. d. H. und den von ihm beauftragten Dienststellen übertragene vollziehende Gewalt hierdurch nicht berührt. Der Reichsführer SS sorgt dafür, daß bei Durchführung seiner Aufgaben die Operationen nicht gestört werden. Näheres regelt das OKH mit dem Reichsführer SS unmittelbar.

c) Sobald das Operationsgebiet eine ausreichende Tiefe erreicht hat, wird es rückwärts begrenzt. Das neubesetzte Gebiet rückwärts des Operationsgebietes erhält eine eigene politische Verwaltung. Es wird entsprechend den volkstumsmäßigen Grundlagen und in Anlehnung an die Grenzen der Heeresgruppen zunächst in Nord (Baltikum), Mitte (Weißrußland) und Süd (Ukraine) unterteilt. In diesen Gebieten geht die politische Verwaltung auf Reichskommissare über, die ihre Richtlinien vom Führer empfangen.

3. Zur Durchführung aller militärischen Aufgaben in den politischen Verwaltungsgebieten rückwärts des Operationsgebietes werden Wehrmachtsbefehlshaber eingesetzt, die dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht unterstehen.

Der Wehrmachtsbefehlshaber ist der oberste Vertreter der Wehrmacht in dem betreffenden Gebiet und übt die militärischen Hoheitsrechte aus. Er hat die Aufgaben eines Territorialbefehlsbabers und die Befugnisse eines Armee-Oberbefehlshabers bezw. Kommandierenden Generals.

In dieser Eigenschaft obliegen ihm vor allem folgende Aufgaben:

a) Enge Zusammenarbeit mit dem Reichskommissar, um ihn in seiner politischen Aufgabe zu unterstützen.

b) Ausnutzung des Landes und Sicherung seiner wirtschaftlichen Werte für die Zwecke der deutschen Wirtschaft (s. Ziff. 4).

c) Ausnutzung des Landes für die Versorgung der Truppe nach den Anforderungen des OKH.

d) Militärische Sicherung des gesamten Gebietes, vor allem der Flughäfen, Nachschubstraßen und Nachschubeinrichtungen gegen Aufruhr, Sabotage und feindliche Fallschirmtruppen.

e) Straßenverkehrsregelung.

f) Regelung der Unterkunft für Wehrmacht, Polizei und Organisationen, für Kriegsgefangene, sofern sie in den Verwaltungsgebieten bleiben.

Gegenüber den zivilen Dienststellen hat der Wehrmachtsbefehlshaber das Recht, die Maßnahmen anzuordnen, die zur Durchführung der militärischen Aufgaben erforderlich sind. Seine Anordnungen auf diesem Gebiet gehen allen anderen, auch denen der Reichskommissare, vor. Dienstanweisung, Aufstellungsbefehl und Anweisungen über die Zuteilung der erforderlichen Kräfte folgen gesondert. Der Zeitpunkt der Befehlsübernahme durch die Wehrmachtsbefehlshaber wird befohlen werden, sobald die militärische Lage einen Wechsel in den Befehlsverhältnissen ohne Störung der Operationen zuläßt. Bis dahin bleiben die vom OKH eingesetzten Dienststellen nach denselben Grundsätzen, wie sie für die Wehrmachtsbefehlshaber festgelegt sind, in Tätigkeit.

4. Mit der einheitlichen Leitung der Wirtschaftsverwaltung im Operationsgebiet und in den politischen Verwaltungsgebieten hat der Führer den Reichsmarschall beauftragt, der diese Aufgabe dem Chef des WiRü Amtes übertragen hat. Besondere Richtlinien hierzu ergehen vom OKW/WiRü Amt.

5. Die Masse der Polizeikräfte wird den Reichskommissaren unterstellt. Forderungen und Unterstellungen von Polizeikräften im Operationsgebiet werden vom OKH frühzeitig an OKW/WFSt/Abt. Landesverteidigung erbeten.

6. Das Verhalten der Truppe gegenüber der Bevölkerung und die Aufgaben der Wehrmachtgerichte werden gesondert geregelt und befohlen werden.

II. Personen-, Waren- und Nachrichtenverkehr

7. Für die vor Beginn der Operationen erforderlichen Maßnahmen zur Beschränkung des Personen-, Waren- und Nachrichtenverkehrs nach Rußland ergehen durch OKW/WFSt besondere Richtlinien.

8. Mit Beginn der Operation ist die deutsch-sowjetrussische Grenze, später die rückwärtige Grenze des Operationsgebietes durch den Ob. d. H. für jeden nichtmilitärischen Personen-, Waren- und Nachrichtenverkehr mit Ausnahme der vom Reichsführer SS nach Weisung des Führers einzusetzenden Polizeiorgane, zu sperren. Unterkunft und Versorgung dieser Organe regelt OKH-Gen. Qu., der hierzu beim Reichsführer SS die Abstellung von Verbindungsoffizieren anfordern kann. Die Grenzsperre erstreckt sich auch auf leitende Persönlichkeiten und Beauftragte der Obersten Reichsbehörden und Dienststellen der Partei. OKW/WFSt wird die Obersten Reichsbehörden und Parteidienststellen dementsprechend benachrichtigen. Über Ausnahmen von dieser Grenzsperre entscheiden der Ob. d. H. und die von ihm beauftragten Dienststellen.

Von den für die Polizeiorgane des Reichsführers SS nötigen Sonderregelungen abgesehen, sind Anträge auf Einreisegenehmigungen ausschließlich an den Ob. d. H. zu leiten.

III. Richtlinien für Rumänien, Slowakei, Ungarn und Finnland

9. Die erforderlichen Vereinbarungen mit diesen Staaten werden entsprechend den Anträgen der Oberkommandos vom OKW in Verbindung mit dem Auswärtigen Amt getroffen. Soweit darüber hinaus im weiteren Verlauf der Operationen besondere Rechte sich als notwendig erweisen sollten, sind sie beim OKW zu beantragen.

10. Polizeiliche Maßnahmen zum unmittelbaren Schutz der Truppe sind, unabhängig von der Übertragung besonderer Rechte, zulässig. Weitere Anordnungen hierüber ergehen später.

11. Besondere Anordnungen für den Bereich dieser Staaten über: Beschaffung von Verpflegung und Futtermitteln, Unterkunft und Gerät, Ankauf und Warenversand, Geldversorgung und Zahlungsregelung, Besoldung, Schadensersatzansprüche, Post- und Telegrafenwesen, Verkehrswesen, Gerichtsbarkeit, folgen später.

Wünsche der Wehrmachtteile und Dienststellen des OKW auf diesen Gebieten an die Regierungen dieser Länder sind dem OKW/WFSt/Abt. Landesverteidigung bis zum 21. März 1941 anzumelden.

IV. Richtlinien für Schweden

12. Da Schweden lediglich Durchmarschgebiet werden kann, sind für den Befehlshaber der deutschen Truppen keine besonderen Befugnisse vorgesehen. Er ist jedoch berechtigt und verpflichtet, den unmittelbaren Schutz der Eisenbahntransporte gegen Sabotageakte und Angriffe sicher zu stellen.

Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, (Unterschrift): Keitel

Quelle: IMT, Bd. 26, S. 53 ff.


Dokument 15:

Aufzeichnungen des Generaloberst Halder: Auszug aus Hitlers Ausführungen vom 30. 3. 1941

Aufzeichnungen von Generaloberst Halder, 30. 3. 1941 (Sonntag)

11.00 Uhr Generals-Versammlung beim Führer: Fast 2½ stündige Ansprache: Lage nach dem 30. 6. 1940. Fehler Englands, die Möglichkeit eines Friedens auszuschlagen. Schilderung der weiteren Ereignisse. Scharfe Kritik an italienischer Kriegführung und Politik. Vorteile für Englands Lage aus den Mißerfolgen Italiens.

England setzt seine Hoffnung auf Amerika und Rußland. Höchstleistung erst in 4 Jahren; Transportproblem.

Rußlands Rolle und Möglichkeiten. Begründung der Notwendigkeit, die russische Lage zu bereinigen. Nur so werden wir in der Lage sein, in zwei Jahren materiell und personell unsere Aufgaben in der Luft und auf den Weltmeeren zu meistern, wenn wir die Landfragen endgültig und gründlich lösen. Unsere Aufgaben gegenüber Rußland: Wehrmacht zerschlagen. Staat auflösen. […] Frage des russischen Ausweichens. Nicht wahrscheinlich, da Bindung an Ostsee und Ukraine. Wenn der Russe sich absetzen sollte, müßte er es sehr frühzeitig tun, sonst kommt er nicht mehr in Ordnung weg.

Nach Lösung der Aufgaben im Osten werden 50-60 Divisionen (Panzer) genügen.

Ein Teil der Landmacht wird entlassen werden können für Rüstungsarbeiten für Luftwaffe und Marine, ein Teil wird für andere Aufgaben benötigt sein, z.B. Spanien.

Koloniale Aufgaben!

Kampf zweier Weltanschauungen gegeneinander. Vernichtendes Urteil über Bolschewismus, ist gleich asoziales Verbrechertum. Kommunismus ungeheure Gefahr für die Zukunft. Wir müssen von dem Standpunkt des soldatischen Kameradentums abrücken. Der Kommunist ist vorher kein Kamerad und nachher kein Kamerad. Es handelt sich um einen Vernichtungskampf. Wenn wir es nicht so auffassen, dann werden wir zwar den Feind schlagen, aber in 30 Jahren wird uns wieder der kommunistische Feind gegenüberstehen. Wir führen nicht Krieg, um den Feind zu konservieren. Künftiges Staatenbild: Nordrußland gehört zu Finnland. Protektorate Ostseeländer, Ukraine, Weißrußland.

Kampf gegen Rußland: Vernichtung der bolschewistischen Kommissare und der kommunistischen Intelligenz. Die neuen Staaten müssen sozialistische Staaten sein, aber ohne eigene Intelligenz. Es muß verhindert werden, daß eine neue Intelligenz sich bildet. Hier genügt eine primitive sozialistische Intelligenz. Der Kampf muß geführt werden gegen das Gift der Zersetzung. Das ist keine Frage der Kriegsgerichte. Die Führer der Truppe müssen wissen, worum es geht. Sie müssen in dem Kampf führen. Die Truppe muß sich mit den Mitteln verteidigen, mit denen sie angegriffen wird. Kommissare und GPU-Leute sind Verbrecher und müssen als solche behandelt werden.

Deshalb braucht die Truppe nicht aus der Hand der Führer zu kommen. Der Führer muß seine Anordnungen im Einklang mit dem Empfinden der Truppe treffen.

Der Kampf wird sich sehr unterscheiden vom Kampf im Westen. Im Osten ist Härte mild für die Zukunft.

Die Führer müssen von sich das Opfer verlangen, ihre Bedenken zu überwinden.

Quelle: Generaloberst Haider: Kriegstagebuch Bd. II, S. 335 ff. (Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart)


Dokument 16:

Oberkommando der Wehrmacht: Richtlinien für das Verhalten der Truppe in Rußland.

I.

1. Der Bolschewismus ist der Todfeind des nationalsozialistischen deutschen Volkes. Dieser zersetzenden Weltanschauung und ihren Trägern gilt Deutschlands Kampf.

2. Dieser Kampf verlangt rücksichtsloses und energisches Durchgreifen gegen bolschewistische Hetzer, Freischärler, Saboteure, Juden und restlose Beseitigung jedes aktiven oder passiven Widerstandes.

II.

3. Gegenüber allen Angehörigen der Roten Armee – auch den Gefangenen – ist äußerste Zurückhaltung und schärfste Achtsamkeit geboten, da mit heimtückischer Kampfesweise zu rechnen ist. Besonders die asiatischen Soldaten der Roten Armee sind undurchsichtig, unberechenbar, hinterhältig und gefühllos.

4. Bei der Gefangennahme von Truppeneinheiten sind die Führer sofort von den Mannschaften abzusondern.

III.

5. Der deutsche Soldat sieht sich in der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (U.d.S.S.R.) nicht einer einheitlichen Bevölkerung gegenüber. Die U.d.S.S.R. ist ein Staatengebilde, das eine Vielzahl von slawischen, kaukasischen und asiatischen Völkern in sich vereinigt und das zusammengehalten wird durch die Gewalt der bolschewistischen Machthaber. Das Judentum ist in der U.d.S.S.R. stark vertreten.

6. Ein großer Teil der russischen Bevölkerung, besonders die durch das bolschewistische System verarmte Landbevölkerung steht dem Bolschewismus innerlich ablehnend gegenüber. Im nichtbolschewistischen russischen Menschen ist das Nationalbewußtsein mit tiefem religiösen Gefühl verbunden Freude und Dankbarkeit über die Befreiung vom Bolschewismus werden ihren Ausdruck häufig in kirchlicher Form finden. Dankgottesdienste und Prozessionen sind nicht zu verhindern oder zu stören.

7. In Gesprächen mit der Bevölkerung und im Verhalten gegenüber Frauen ist größte Vorsicht geboten.

Viele Russen verstehen deutsch, ohne es selbst sprechen zu können.

Der feindliche Nachrichtendienst wird gerade im besetzten Gebiet besonders am Werk sein, um Nachrichten über militärisch wichtige Einrichtungen und Maßnahmen zu erhalten. Jede Leichtfertigkeit, Wichtigtuerei und Vertrauensseeligkeit kann deshalb schwerste Folgen haben.

IV.

8. Wirtschaftsgüter aller Art und militärische Beute, insbesondere Lebens- und Futtermittel, Betriebsstoff und Bekleidungsgegenstände sind zu schonen und sicherzustellen. Jede Vergeudung und Verschwendung schädigt die Truppe. Plünderungen werden nach den Militärstrafgesetzen mit den schwersten Strafen geahndet.

9. Vorsicht beim Genuß von erbeuteten Lebensmitteln! Wasser darf nur in gekochtem Zustand genossen werden (Typhus, Cholera). Jede Berührung mit der Bevölkerung birgt gesundheitliche Gefahren. Schutz der eigenen Gesundheit ist soldatische Pflicht.

10. Für Reichskreditkassenscheine und -münzen sowie für deutsche Scheidemünzen im Wert von 1 und 2 Pfennig sowie 1, 2, 5 und 10 Reichspfennig oder Rentenpfennig besteht Annahmezwang. Anderes deutsches Geld darf nicht verausgabt werden.

Quelle: BA-MA, RW4/v. 524.


Dokument 17:

Der Oberbefehlshaber des Heeres: Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare vom 6. 6. 1941

mit Ergänzungen des ObdH vom 8. 6. 1941. Geheime Kommandosache

Betr.: Behandlung politischer Kommissare.

Nachstehender Erlaß des OKW vom 6. 6.41 – WFSt/Abt. L (IV/Qu) Nr. 44822/41 g. Kdos. Chefs. – wird bekanntgegeben.

Zusätze:

Zu I Ziffer l:

Das Vorgehen gegen einen politischen Kommissar muß zur Voraussetzung haben, daß der Betreffende durch eine besonders erkennbare Handlung oder Haltung sich gegen die deutsche Wehrmacht stellt oder stellen will.

Zu l Ziffer 2:

Die Erledigung der politischen Kommissare bei der Truppe hat nach ihrer Absonderung außerhalb der eigentlichen Kampfzone unauffällig auf Befehl eines Offiziers zu erfolgen.

gez.: von Brauchitsch.

Geheime Kommandosache. Oberkommando der Wehrmacht F. H. Qu.,den.6. 6. 1941

Im Nachgang zum Führererlaß vom 14. 5. über die Ausübung der Kriegsgerichtsbarkeit im Gebiet „Barbarossa” (OKW/WFSt/Abt. L. (IV/Qu) Nr. 44718/41 g. Kdos. Chefs.) werden anliegend „Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare” übersandt.

Es wird gebeten, die Verteilung nur bis zu den Oberbefehlshabern der Armeen bezw. Luftflottenchefs vorzunehmen und die weitere Bekanntgabe an die Befehlshaber und Kommandeure mündlich erfolgen zu lassen.

Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht

I.A. gez.: Warlimont.

Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare

Im Kampf gegen den Bolschewismus ist mit einem Verhalten des Feindes nach den Grundsätzen der Menschlichkeit oder des Völkerrechts nicht zu rechnen. Insbesondere ist von den politischen Kommissaren aller Art als den eigentlichen Trägern des Widerstandes eine haßerfüllte, grausame und unmenschliche Behandlung unserer Gefangenen zu erwarten.

Die Truppe muß sich bewußt sein:

1. In diesem Kampfe ist Schonung und völkerrechtliche Rücksichtnahme diesen Elementen gegenüber falsch. Sie sind eine Gefahr für die eigene Sicherheit und die schnelle Befriedung der eroberten Gebiete.

2. Die Urheber barbarisch asiatischer Kampfmethoden sind die politischen Kommissare. Gegen diese muß daher sofort und ohne Weiteres mit aller Schärfe vorgegangen werden.

Sie sind daher, wenn im Kampf oder Widerstand ergriffen, grundsätzlich sofort mit der Waffe zu erledigen.

Im übrigen gelten folgende Bestimmungen:

I. Operationsgebiet.

1. Politische Kommissare, die sich gegen unsere Truppe wenden, sind entsprechend dem „Erlaß über Ausübung der Gerichtsbarkeit im Gebiet Barbarossa” zu behandeln. Dies gilt für Kommissare jeder Art und Stellung, auch wenn sie nur des Widerstandes, der Sabotage oder der Anstiftung hierzu verdächtig sind.

Auf die „Richtlinien über das Verhalten der Truppe in Russland” wird verwiesen.

2. Politische Kommissare als Organe der feindlichen Truppe sind kenntlich an besonderem Abzeichen – roter Stern mit goldenem eingewebten Hammer und Sichel auf den Ärmeln – (Einzelheiten siehe „Die Kriegswehrmacht der UdSSR.” OKH/GenStdH O Qu IV Abt. Fremde Heere Ost (II) Nr. 100/41 g. vom 15. 1. 1941 unter Anlage 9 d). Sie sind aus den Kriegsgefangenen sofort, d.h. noch auf dem Gefechtsfelde, abzusondern. Dies ist notwendig, um ihnen jede Einflussmöglichkeit auf die gefangenen Soldaten zu nehmen. Diese Kommissare werden nicht als Soldaten anerkannt; der für Kriegsgefangene völkerrechtlich geltende Schutz findet auf sie keine Anwendung. Sie sind nach durchgeführter Absonderung zu erledigen.

3. Politische Kommissare, die sich keiner feindlichen Handlung schuldig machen oder einer solchen verdächtig sind, werden zunächst unbehelligt bleiben. Erst bei der weiteren Durchdringung des Landes wird es möglich sein, zu entscheiden, ob verbliebene Funktionäre an Ort und Steile belassen werden können oder an die Sonderkommandos abzugeben sind. Es ist anzustreben, daß diese selbst die Überprüfung vornehmen.

Bei der Beurteilung der Frage, ob „schuldig oder nicht schuldig”, hat grundsätzlich der persönliche Eindruck von der Gesinnung und Haltung des Kommissars höher zu gelten, als der vielleicht nicht zu beweisende Tatbestand.

4. In den Fällen 1. und 2. ist eine kurze Meldung (Meldezettel) über den Vorfall zu richten:

a) von den einer Divison unterstellten Truppen an die Division (Ic),

b) von den Truppen, die einem Korps-. Armeeober- oder Heeresgruppenkommando oder einer Panzergruppe unmittelbar unterstellt sind, an das Korps- usw. Kommando (Ic).

5. Alle oben genannten Maßnahmen dürfen die Durchführung der Operationen nicht aufhalten. Planmäßige Such- und Säuberungsaktionen durch die Kampftruppe haben daher zu unterbleiben.

II. Im rückwärtigen Heeresgebiet.

Kommissare, die im rückwärtigen Heeresgebiet wegen zweifelhaften Verhaltens ergriffen werden, sind an die Einsatzgruppe bezw. Einsatzkommandos der Sicherheitspolizei (SD) abzugeben.

III. Beschränkung der Kriegs- und Standgerichte.

Die Kriegsgerichte und die Standgerichte der Regiments- usw. Kommandeure dürfen mit der Durchführung der Maßnahmen nach I und II nicht betraut werden.

Quelle: BA-MA. RH 2/v. 2082.


Dokument 18:

Generalstab des Heeres: Lagebericht Nr. 1 des GenStdH Abt. Fremde Heere Ost vom 15. März 1941:

Beurteilung: Teilmobilisierung und Aufschließen russischer Truppen zur Grenze ist Defensiv-Massnahme und dient lediglich zur Verstärkung der Grenzsicherung.

I.A. (gez) Kinzel

Quelle: BA-MA Freiburg, RH 19 III/722


Dokument 19:

Generaloberst Franz Halder: Aus: Besprechung bei O.K.H. am 4. Juni 1941

„Der russische Aufmarsch kann präventiven und defensiven Charakter haben. Defensive Absichten sind anzunehmen. Die Russen mit ihren weiten Räumen haben nicht nötig nach vorwärts ihr Vorfeld noch zu erweitern. Auch ihre bisherige politische Haltung und die Gesamtlage sprechen dagegen. Immerhin sind besonders nach Ansicht des Führers einzelne offensive Varianten möglich, besonders gegen Rumänien, hier bis der Druck des deutschen Angriffs eine solche Operation stilllegen wird.” (Chef des Generalstabs des Heeres war Generaloberst Franz Halder)

Quelle: BA -MA Freiburg, RH 20-17/23.


Dokument 20:

Marschall Timosenko, Armeegeneral Zukov: Präventivkriegsplan der Führung der Roten Armee vom 15. Mai 1941

Überlegungen von Marschall Timosenko und Armeegeneral Zukov für den strategischen Aufmarsch der Streitkräfte der UdSSR für den Fall eines Krieges gegen Deutschland und seine Verbündete [Mai 1941]

Der Volkskommissar für die Verteidigung der UdSSR

Streng geheim. Besonders wichtig. Nur persönlich. Einzige Ausfertigung

An den Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare der UdSSR. Genossen Stalin

Ich trage Ihnen zur Begutachtung die Überlegungen für den strategischen Aufmarschplan der Streitkräfte der Sowjetunion für den Fall eines Krieges gegen Deutschland und seine Verbündeten vor.

I. Zur Zeit hat Deutschland ungefähr 230 Infdiv., 22 Pzdiv., 20 mot.Div., 10 Flgdiv. und 4 Kavdiv. – gesamt ca. 284 Divisionen aufmarschieren lassen.

Davon sind mit Stand 15.5.1941 86 Infdiv., 13 Pzdiv., 12 mot.Div. und 1 Kavdiv. – insgesamt 120 Divisionen – an den Grenzen zur Sowjetunion zusammengezogen.

Es ist anzunehmen, daß Deutschland angesichts der gegenwärtigen politischen Situation im Falle eines Überfalls auf die UdSSR gegen uns ca. 137 Infdiv., 19 Pzdiv., 15 mot.Div., 4 Kavdiv. und 5 LLdiv. – insgesamt 180 Divisionen – aufstellen kann.

Die übrigen 104 Divisionen werden sich vermutlich befinden:

Aller Wahrscheinlichkeit nach werden die Hauptkräfte des deutschen Heeres in einer Stärke von 76 Infdiv., 11 Pzdiv., 8 mot.Div. und 5 Flgdiv. – im gesamten 100 Divisionen – südlich von Demblin aufmarschieren, um in Richtung Kovel, Rovno und Kiev einen Stoß zu führen.

Dieser Stoß wird gleichzeitig im Norden durch einen Stoß aus Ostpreußen in Richtung Wilnius und Riga sowie durch konzentrisch geführte Angriffe aus dem Raum Suwalki und Brest in den Raum Volkovysk und Baranovici ergänzt.

Im Süden sind folgende Operationen zu erwarten:

a) ein Schlag der rumänischen Armee, die durch deutsche Divisionen unterstützt wird,

b) in Richtung Munkas, Lvov und

c) Sanok, Lvov.

Die wahrscheinlichen Verbündeten Deutschlands können gegen die UdSSR bereitstellen:

Finnland – ca. 20 Infdiv., Ungarn – 15 Infdiv., Rumänien – ca. 25 Infdiv.

Insgesamt kann Deutschland mit seinen Verbündeten gegen die UdSSR ca. 240 Divisionen aufmarschieren lassen.

Wenn man in Betracht zieht, daß Deutschland sein gesamtes Heer einschließlich rückwärtiger Dienste mobilisiert hat, so besteht die Möglichkeit, daß es uns beim Aufmarsch zuvorkommt und einen Überraschungsschlag führt.

Um das zu verhindern, halte ich es für notwendig, dem deutschen Oberkommando unter keinen Umständen die Initiative zu überlassen, dem Gegner beim Aufmarsch zuvorzukommen und das deutsche Heer schon dann anzugreifen, wenn es sich im Aufmarschstadium befindet und noch keine Front aufbauen sowie den Kampf der verbundenen Waffen noch nicht organisieren kann.

II. Als erstes strategisches Ziel haben die Truppen der Roten Armee die Hauptkräfte des deutschen Heeres, die südlich vom Frontabschnitt Brest, Demblin aufmarschiert sind, zu zerschlagen und bis zum 30. Tag der Operation die allgemeine Frontlinie Ostrolenka, Fluß Narev, Lowitsch, Lodz, Kreuzburg, Oppeln und Olmütz zu erreichen. Als folgendes strategisches Ziel haben sie durch Angriff aus dem Raum Kattowitz nach Norden und Nordwesten die Hauptkräfte der zentralen und nördlichen Flügel von der deutschen Front zu vernichten und das Territorium des ehemaligen Polen und Ostpreußens in Besitz zu nehmen, wofür erforderlich ist:

a) den Hauptschlag mit den Kräften der Südwestfront in Richtung Krakau, Kattowitz zu führen und somit Deutschland von seinen südlichen Verbündeten abzuschneiden;

b) den Nebenschlag mit dem linken Flügel der Westfront in Richtung Siedlice, Demblin zu führen, um die Kräftegruppierung um Warschau zu binden und Warschau in Besitz zu nehmen sowie die Südwestfront bei der Vernichtung der Kräftegruppierung bei Lublin zu unterstützen;

c) gegen Finnland, Ostpreußen, Ungarn und Rumänien eine aktive Verteidigung zu führen, um bei günstiger Lage zur Führung eines Schlages gegen Rumänien bereit zu sein.

Somit hat die Rote Armee die Offensive vom Frontabschnitt Cisov, Ljutovissino mit Kräften von 152 Divisionen gegenüber 100 deutschen Divisionen. In den übrigen Grenzabschnitten ist eine bewegliche Verteidigung vorgesehen.

III. Ausgehend von der Absicht des strategischen Aufmarsches, ist für die Streitkräfte der UdSSR folgende Kräftegruppierung vorgesehen:

1. Die Landstreitkräfte der Roten Armee in Stärke von 198 Schtzdiv., 61 Pzdiv., 31 mot.Div., 13 Kavdiv. – gesamt 303 Divisionen – und 74 Art.Rgter. der Reserve des Oberkommandos (ROK) sind wie folgt zu verteilen:

a) die Hauptkräfte in der Stärke von 163 Schtzdiv., 58 Pzdiv., 30 mot.Div. und 7 Kavdiv. (insgesamt 258 Divisionen) und 53 Art.Rgter. als ROK stehen im Westen zur Verfügung. Davon sind im Bestand der Nord-, Nordwest-, West- und Südwestfront 136 Schtzdiv., 44 Pzdiv., 23 mot.Div., 7 Kavdiv. (insgesamt 210 Divisionen) und 53 Art.Rgter. als ROK. Im Bestand der Reserve des Oberkommandos gehören zur Südwest- und Westfront 27 Schtzdiv., 14 Pzdiv., 7 mot.Div. – insgesamt 48 Divisionen.

b) Die übrigen Kräfte in der Stärke von 35 Div., 3 Pzdiv., 1 mot.Div., 6 Kavdiv. (gesamt 45 Divisionen) und 21 Art.Rgter. als ROK werden für die Verteidigung der fernöstlichen, südlichen und der nördlichen Grenze der UdSSR eingesetzt, davon:

– im Fernen Osten und MB Transbaikal 22 Schtzdiv., 3 Pzdiv., 1 mot.Div., 1 Kavdiv. (insgesamt 27 Divisionen) und 14 Art.Rgter. des ROK;

– in Zentralasien 2 Gebirgsjäger- und 3 Kav.Divisionen (insgesamt 5 Divisionen);

– in Transkaukasien 8 Schtz.- und 2 Kavdiv. (insgesamt 10 Divisionen) und 2 Art.Rgter. als ROK;

– zur Verteidigung der Schwarzmeerküste des Nordkaukasus und der Krim 2 Schtzdiv.,

– an der Küste des Weißen Meeres 1 Schtzdiv.

Eine detaillierte Kräftegruppierung zeigt die Beilagekarte.

2. Die Luftstreitkräfte der Roten Armee in der Stärke der heutzutage verfügbaren und gefechtsfähigen 97 Jagdfliegergeschwader, 75 Nahbombergeschwader, 11 Jagdbombergeschwader, 29 Fernbombergeschwader und 6 schwere Bombergeschwader – insgesamt 218 Fliegergeschwader – verteilen sich wie folgt:

a) die Hauptkräfte in der Stärke von 66 Jagdfliegergeschwader, 64 Nahbombergeschwader, 5 Jagdbombergeschwader, 25 Fernbombergeschwader und 5 schwere Bombergeschwader – insgesamt 165 Fliegergeschwader – sind im Westen zu entfalten. Davon sind:

– im Bestand der Nord-, Nordwest-, West- und Südwestfront 63 Jagdfliegergeschwader, 64 Nahbombergeschwader, 5 Jagdbombergeschwader, 11 Fernbombergeschwader und 1 schwere Bombergeschwader insgesamt 164 Fliegergeschwader;

– im Bestand der Reserve des Oberkommandos für Südwest- und Westfront 14 Fernbombergeschwader und 4 schwere Bombergeschwader – insgesamt 21 Fliegergeschwader;

b) Die übrigen Kräfte in der Stärke von 31 Jagdfliegergeschwader, 11 Nahbombergeschwader, 6 Jagdbombergeschwader, 4 Fernbombergeschwader und 1 schweres Bombergeschwader – insgesamt 53 Fliegergeschwader – sind zur Verteidigung der Grenzen im Fernen Osten, im Süden und Norden und auf den Luftverteidigungsstützpunkten in Moskau zu belassen, darunter:

– im Fernen Osten und im MB Transbaikal 14 Jagdfliegergeschwader, 9 Nahbombergeschwader, 5 Jagdbombergeschwader, 4 Fernbombergeschwader und 1 schweres Bombergeschwader – insgesamt 33 Fliegergeschwader;

– im MB Zentralasien 1 Jagdfliegergeschwader und 1 Jagdbombergeschwader – insgesamt 2 Fliegergeschwader;

– im MB Transkaukasien 9 Jagdfliegergeschwader, 2 Nahbombergeschwader – gesamt 11 Fliegergeschwader;

– im Militärbezirk Archangelsk 1 Jagdfliegergeschwader.

Für die Verteidigung Moskaus sind 6 Jagdfliegergeschwader zu belassen.

Eine detaillierte Kräftegruppierung zeigt die Beilagekarte.

Außer den momentan verfügbaren Luftstreitkräften gibt es noch sich in Aufstellung befindende und nicht einsatzfähige 52 Jagdfliegergeschwader, 30 Nahbombergeschwader, 4 Jagdbombergeschwader, 7 Fernbombergeschwader und 22 Fernjagdgeschwader – insgesamt 115 Fliegergeschwader, mit deren voller Einsatzbereitschaft man bis 1.1.1942 rechnen kann.

Je nach Einsatzbereitschaft sollen diese Fliegergeschwader wie folgt verteilt werden: Für den Westen sind 41 Jagdfliegergeschwader, 30 Nahbombergeschwader, 4 Jagdbombergeschwader, 5 Fernbombergeschwader, 14 Fernjagdfliegergeschwader – insgesamt 94 Fliegergeschwader – vorgesehen; davon:

– zu den Fronten 41 Jagdfliegergeschwader, 33 Nahbombergeschwader, 6 Jagdbombergeschwader, 7 Fernfliegergeschwader – gesamt 87 Fliegergeschwader:

– zur Reserve des Oberkommandos – 4 Jagdfliegergeschwader, 3 Fernjagdfliegergeschwader – gesamt 7 Fliegergeschwader;

– zur fernöstlichen Front und MB Transbaikal 10 und für den MB Transkaukasien 6 Fliegergeschwader;

– für die Verteidigung Moskaus sind 5 Jagdfliegergeschwader zu belassen.

Ungefähre Zeitangaben hinsichtlich der Einsatzbereitschaft dieser Fliegergeschwader sind den Karten zu entnehmen.

IV. Zusammensetzung und Aufträge für die im Westen aufgebauten Fronten (Karte 1:1000 000)

Nordfront (MB Leningrad) – 3 Armeen in der Stärke von 15 Schtzdiv., 4 Pzdiv. und 2 mot.Div. – gesamt 21 Divisionen -. 18 Fliegergeschwader und die Nordflotte mit dem Hauptauftrag Verteidigung von Leningrad, des Hafens von Murmansk, der Eisenbahnlinie von Kirov und die gemeinsame Sicherstellung mit der Baltischen Flotte der vollen Seeherrschaft über den Finnischen Meerbusen. Mit demselben Ziel soll vom Baltischen Sonder-Militärbezirk an die Nordfront die Verteidigung der Nord- und Nordwestküste der Estnischen SSR übertragen werden.

Die Frontgrenzen rechts sind Ostaskov, Ostrov, Vyru, Viljandi, Bucht von Maatsalu, einschließlich der Inseln Ösel und Dagö.

Der Stab der Front ist Pargolovo.

Nordwestfront (Baltischer Sonder-MB) – 3 Armeen in der Stärke von 17 Schtzdiv., 4 Pzdiv., 2 mot.Div. (insgesamt 23 Divisionen) und 13 Fliegergeschwader mit dem Auftrag, in beharrlicher Verteidigung die Richtung nach Riga und Wilnius nachhaltig zu sichern, das Eindringen des Feindes aus Ostpreußen zu verhindern; die Westküste – die Inseln Ösel und Dagö zu verteidigen und eine Landung von feindlichen Seelandungstruppen zu verhindern.

Die Frontgrenzen links sind Polock, Oämjany, Druskeniki, Marggrabova, Lötzen.

Der Stab der Front ist Ponevjez.

Westfront (der Westliche Sonder-MB) – 4 Armeen in der Stärke von 31 Schtzdiv., 8 Pzdiv., 4 mot.Div. und 2 Kavdiv. (insgesamt 45 Divisionen) und 21 Fliegergeschwader.

Aufträge:

– In beharrlicher Verteidigung im Frontabschnitt Druskeniki, Ostrolenka die Richtung nach Lida und Bjelostok nachhaltig zu sichern.

– Mit dem Übergang der Armeen der Südwestfront zum Angriff mit einem Stoß des linken Flügels der Front in der allgemeinen Richtung nach Warschau und Siedice, Radom die Warschauer Gruppierung zu zerschlagen und Warschau in Besitz zu nehmen, im Zusammenwirken mit der Südwestfront die feindliche Kräftegruppierung im Räume Lublin – Radom zu vernichten, zur Weichsel vorzurücken und Radom in Besitz zu nehmen.

Die Frontgrenze links: Fluß Pripjat, Pinsk, Vlodava, Demblin, Radom.

Der Stab der Front ist in Baranovici.

Südwestfront – 8 Armeen in der Stärke von 74 Schtzdiv., 28 Pzdiv., 15 mot.Div. und 5 Kavdiv. (gesamt 122 Divisionen) und 91 Fliegergeschwader mit folgenden Aufgaben:

a) In einem konzentrisch geführten Stoß durch die Armeen des rechten Flügels der Front ist die feindliche Hauptgruppierung ostwärts der Weichsel im Räume Lublin einzukesseln und zu vernichten.

b) Gleichzeitig sind durch einen Schlag von der Front Senjava, Peremysl, Ljutoviski feindliche Kräfte in Richtung Krakau und Sandomir-Kelec zu zerschlagen, den Raum Krakau, Kattowitz, Kelec in Besitz zu nehmen, in der Absicht, aus diesem Raume den Angriff nach Norden bzw. nach Nordwesten fortzusetzten, um starke Kräfte des feindlichen Nordflügels zu vernichten und das ehemalige Polen und Ostpreußen in Besitz zu nehmen.

c) Die Staatsgrenze zu Ungarn und Rumänien ist nachhaltig zu bewachen. Man muß sich vorbereiten, konzentrische Schläge gegen Rumänien aus dem Raume Cernowitz und Kiäinev zu führen, um nachfolgend den Nordflügel der rumänischen Armee zu zerschlagen und die Linie Fluß Moldau Jassy zu erreichen.

Um die Realisierung der oben dargelegten Absicht sicherzustellen, sind rechtzeitig nachstehende Maßnahmen durchzuführen, ohne die die Führung eines Überraschungsschlags gegen den Feind sowohl in der Luft als auch auf dem Festland unmöglich ist.

1. Unter dem Anschein von Übungsmaßnahmen für Soldaten der Reserve ist eine geheime Mobilmachung der Truppe durchzuführen.

2. Unter dem Anschein, in Ausbildungslager auszurücken, sind die Truppen geheim näher zur Westgrenze zusammenzuziehen, vorrangig sind alle Armeen der Reserve des Oberkommandos zusammenzuziehen.

3. Aus den entlegenen Militärbezirken sind die Luftstreitkräfte geheim auf Feldflugplätze zu verlegen, und mit dem Aufbau der rückwärtigen Dienste der Luftstreitkräfte ist sogleich zu beginnen.

4. Unter dem Anschein von Ausbildungsvorhaben und Übungen für die rückwärtigen Dienste sind diese und die Grundeinrichtungen für die Sanitäter allmählich einzurichten.

V. Die Gruppierung der Reserven des Oberkommandos.

Die Reserve des Oberkommandos verfügt über 5 Armeen, die wie folgt zusammenzuziehen sind:

– 2 Armeen in der Stärke von 9 Schtzdiv., 4 Pzdiv. und 2 mot.Div. (insgesamt 12 Divisionen) im Räume Vjasma, Sycevka, Jelnja, Brjansk, Suchinici;

– 1 Armee in der Stärke von 4 Schtzdiv., 2 Pzdiv., 2 mot.Div. (insgesamt 8 Divisionen) im Raum Vilenka, Novogrudok, Minsk;

– 1 Armee in der Stärke von 6 Schtzdiv., 4 Pzdiv. und 2 mot.Div. (insgesamt 12 Divisionen) im Räume Sepetovka, Proskurov, Berdiöev.

– 1 Armee in der Stärke von 8 Schtzdiv., 2 Pzdiv. und 2 mot.Div. (insgesamt 12 Divisionen) im Räume Bjelaja Zerkov, Svenogorodka, Cerkassy.

VI. Die Sicherung der Konzentration und des Aufmarsches:

Um sich vor einem möglichen feindlichen Überraschungsschlag zu sichern, die Konzentration und den Aufmarsch der eigenen Truppen zu decken und ihren Übergang zum Angriff vorzubereiten, ist es notwendig:

1. Unter Einsatz aller verfügbaren Truppen der Grenzmilitärbezirke sowie fast der gesamten für den Aufmarsch an der Westgrenze bestimmten Fliegerkräfte ist eine nachhaltige Verteidigung und Sicherung der Staatsgrenze einzurichten.

2. Einen detaillierten Plan für die Heimatluftverteidigung auszuarbeiten und die Mittel der Luftabwehr in volle Bereitschaft zu versetzen.

Zu diesen Fragen sind von mir schon Anordnungen ergangen, und die Ausarbeitung von Plänen für die Verteidigung der Staatsgrenze und der Luftabwehr wird bis 1. 6.1941 völlig abgeschlossen sein.

Die Zusammensetzung und Gruppierung der Deckungstruppen [erfolgt] laut Beilagekarte.

VII. Die Aufträge an die Seekriegsflotte sind entsprechend meiner von Ihnen zuvor genehmigten Berichte ergangen.

VIII. Der Aufmarsch der Truppen und ihr Einsatz werden durch die nachstehend angeführten Vorräte sichergestellt:

An Munition:

Kleinkalibergranaten – für 3 Wochen

Mittelkalibergranaten – für 1 Monat

Großkalibergranaten – für ½ Monat

Minen – für ½ Monat

An Fla[Flugabwehr]-Munition:

37 mm – für 5 Tage

76 mm – für 1,5 Monate

85 mm – für 11 Tage

An Fliegermunition:

Sprengbomben – für 1 Monat

panzerbrechende Munition – für 10 Tage

betonbrechende Munition – für 10 Tage

Splitterbomben – für 1 Monat

Brandbomben – ½ Monat

An Treib- und Schmierstoffen:

Benzin B-78 – für 10 Tage

Benzin B-74 – für 1 Monat

Benzin B-70 – für 2,5 Monate

PKW-Benzin – für 1,5 Monate

Diesel – für 1 Monat

Die Kraftstoffe, die für die westlichen Militärbezirke vorgesehen sind, sind in beträchtlicher Menge (wegen fehlender Fassungskapazitäten auf ihrem Territorium) in den inneren Militärbezirken gestaffelt.

IX. Ich ersuche:

1. Den vorgelegten Plan für den strategischen Aufmarsch der Streitkräfte der UdSSR und den Einsatzplan für den Fall eines Krieges gegen Deutschland zu bestätigen.

2. Die konsequente Durchführung der geheimen Mobilmachung und der geheimen Truppenkonzentration, in erster Linie aller Armeen der Reserve des Oberkommandos und der Luftstreitkräfte rechtzeitig zu genehmigen.

3. Das Volkskommissariat für Verkehrswesen zu verpflichten, den Plan des Eisenbahnaufbaus für 1941 im vollen Umfang und termingerecht zu erfüllen, insbesondere in Richtung Lwow.

4. Die Industrie verbindlich zu verpflichten, den Produktionsausstoßplan von Panzer- und Flugzeugtechnik sowie den Plan der Herstellung und Zufuhr von Munition und Kraftstoff innerhalb der vorgegebenen Termine auf das genaueste zu erfüllen. Den Vorschlag über den Bau neuer befestigter Räume zu bestätigen.

Quelle: Zentralarchiv und militärische Gedenkstätte des Generalstabs der Streitkräfte Rußlands. Verzeichnis 2951, f. 16, d. 237. Nr. 1,1-15.


Dokument 21:

Volkskommissar für die Verteidigung der Union der SSR: Direktive der Führung der Roten Armee an den Befehlshaber des Kiever Sonderwehrkreises vom Mai 1941

Streng geheim. Höchst wichtig

An den Befehlshaber der Truppen des Kiever Sonderwehrkreises

Für die Deckung der Mobilmachung, Konzentration und Entfaltung der Truppen des Wehrkreises haben Sie persönlich zusammen mit dem Stabschef und dem Leiter der Operationsabteilung bis zum 25. Mai folgendes auszuarbeiten:

1. Einen detaillierten Plan der Verteidigung der Staatsgrenze vom See Svitjaskoje bis Lipkana.

2. Einen detaillierten Luftverteidigungsplan.

I. Die Aufgaben der Verteidigung sind:

1. Das Eindringen des Gegners auf das Territorium des Wehrkreises sowohl des Land- als auch des Luftgegners nicht zuzulassen.

2. Die Mobilmachung, Konzentration und Entfaltung der Wehrkreistruppen durch hartnäckige Verteidigung der Befestigungsanlagen, die Staatsgrenze zuverlässig zu sichern.

3. Das normale Funktionieren von Eisenbahnen und die Konzentration der Wehrkreistruppen durch Luftverteidigung und Lufttätigkeit zu gewährleisten.

4. Rechtzeitig den Charakter der Konzentration und die Gruppierung der Gegnertruppen durch alle Arten der Aufklärung zu ermitteln.

5. Die Luftherrschaft durch aktive Lufttätigkeit zu erringen und durch mächtige Luftangriffe auf Haupteisenbahnknotenpunkte, Brücken und gegnerische Truppenkonzentrationen und die Entfaltung dieser Truppen zu stören und zu verhindern.

6. Den Fallschirmabwurf und das Absetzen gegnerischer Landetruppen und Sabotagegruppen auf dem Wehrkreisterritorium zu unterbinden.

II. Die Verteidigung der Staatsgrenze ist zu organisieren, ausgehend von folgenden grundlegenden Weisungen:

1. Grundlage der Verteidigungsstrategie ist die hartnäckige Verteidigung der befestigten Räume und Feldbefestigungen, die entlang der Grenze errichtet worden sind, unter Ausnutzung aller Kräfte und Möglichkeiten für ihre weitere und umfassende Entwicklung. Die Verteidigung soll den Charakter aktiver Kampfhandlungen tragen. Jegliche Versuche des Gegners, unsere Verteidigung zu durchbrechen, sind unverzüglich durch Gegenangriffe von Korps- und Armeereserven zu verhindern.

2. Besonderer Wert ist auf die Panzerabwehr zu legen. Im Fall des Frontdurchbruchs feindlicher motorisierter Verbände in großer Zahl ist der Kampf und die Durchbruchsabwehr mittels unmittelbarer Weisung des Wehrkreisoberkommandos zu organisieren, und zwar unter massiertem Einsatz von motorisierten Korps, panzerabwehrenden Artilleriebrigaden und der Luftstreitkräfte. Die Aufgabe der panzerabwehrenden Artilleriebrigaden besteht darin, auf den vorbereiteten Abschnitten den gegnerischen Panzern mit starkem Artilleriefeuer zu begegnen und zusammen mit Luftstreitkräften ihr Vordringen bis zum Heranrücken und Gegenschlag unserer motorisierten Korps aufzuhalten. Die Aufgabe der motorisierten Korps ist es, sich unter Deckung durch unsere panzerabwehrenden Artille-riebrigaden zu entfalten und die motorisierten gegnerischen Verbände durch kräftige konzentrische Stöße und Flankenstöße zusammen mit den Luftstreitkräften endgültig zu vernichten und den Durchbruch abzuwehren.

3. Als besonders verantwortliche Richtungen gelten:

a) Cholm, Kovel, Rovno;

b) von der Front aus Grubesev, Krystynopol zu Brody,Ternopol;

c) Tomacuv, Lvov;

d) Jaroslav, Lvov;

e) von der Front aus Przemysl, Lisko zu Sambor, Drogobyc;

f) Station Uäok, Sambor;

g) Mukacovo, Ctrij;

i) Keresmese, Stanislav;

j) von der Front aus Redeutzi, Dorochoj zu Cernowitz, Kolomyja;

k) Darabani, Kamenec-Podolck.

4. Bei günstigen Bedingungen sollen alle abwehrenden Truppen und Armeereserven des Wehrkreises bereit sein, nach der Weisung des Oberkommandos Angriffsoperationen zur Zerschlagung der gegnerischen Gruppierungen zu erteilen, die Kampfhandlungen auf sein Territorium zu übertragen und günstige Abschnitte einzunehmen.

III. Rechter Nachbar – der westliche Wehrkreis. Sitz des Stabs ab dem 3. Tag der Mobilmachung ist Baranovici. Seine 4. Armee auf der linken Flanke organisiert die Verteidigung an der Front Drogicin, ausgenommen den See Switjaskoje, der Armeestab ist in Kobrin.

Die Grenze zum Westlichen Wehrkreis ist die Linie Fluß Pripjat, Pinsk, Vladava, Demblin, Radom. Alle Orte gehören zum Westlichen Wehrkreis.

Linker Nachbar – der Odessaer Wehrkreis. Sitz des Stabs ab dem 3. Tag der Mobilmachung ist Tiraspol. Sein 35. Schützenkorps auf der rechten Flanke verteidigt die Front Korseutzy, ausgenommen Leovo.

Die Grenze zum Odessaer Wehrkreis bildet die Linie Chudjaki, Uman, Vpnjarka, ausgenommen Dsurin, Kalus, ausgenommen Korseutzy, Paskani.

IV. Das ganze Grenzgebiet des Kiever Wehrkreises ist für die Organisation der Verteidigung in der Anfangsperiode der Mobilmachung und Kräftekonzentration in vier Deckungsräume aufzuteilen.

Quelle: Zentralarchiv des Ministeriums der Verteidigung der Russischen Föderation Moskau, f. 16 a, op.2951, d. 264.


Dokument 22:

Direktive der Führung der Roten Armee an den Befehlshaber des Westlichen Sonderwehrkreises vom 14. Mai 1941

Streng geheim. Höchst wichtig

Zum Zweck der Absicherung von Mobilmachung, Konzentration und Entfaltung der Wehrkreistruppen haben Sie persönlich zusammen mit dem Stabschef und dem Leiter der Operationsabteilung bis zum 20. Mai 1941 folgendes auszuarbeiten:

a) einen detaillierten Plan der Verteidigung der Staatsgrenze von einschl. Kapcamiestis bis zum See Switjas;

b) einen detaillierten Luftverteidigungsplan.

I. Die Aufgaben der Verteidigung sind es:

1) das Eindringen von gegnerischen Land- als auch Luftstreitkräften auf das Territorium des Wehrkreises zu verhindern;

2) durch hartnäckige Verteidigung der Befestigungslinie entlang der Staatsgrenze die Mobilmachung, Konzentration und Entfaltung der Wehrkreistruppen zuverlässig abzusichern;

3) durch Luftverteidigung und Lufttätigkeit das normale Funktionieren von Eisenbahnen und die Truppenkonzentration zu gewährleisten;

4) durch alle Arten der Aufklärung des Wehrkreises den Charakter der Konzentration und die Gruppierung der Gegnertruppen rechtzeitig zu ermitteln;

5) durch aktive Lufttätigkeit die Luftherrschaft zu erringen und durch mächtige Angriffe auf Haupteisenbahnknotenpunkte, Streckenabschnitte und Truppengruppierungen die Konzentration und Entfaltung der Gegnertruppen zu stören und aufzuhalten;

6) den Abwurf und die Landung von Landetruppen und Sabotagegruppen des Gegners auf das Territorium des Wehrkreises zu verhindern.

II. Die Verteidigung der Staatsgrenze ist gemäß folgender grundlegender Weisungen zu organisieren:

1) Grundlage der Abwehr ist die hartnäckige Verteidigung befestigter Räume und der entlang der Staatsgrenze neu geschaffenen Befestigungen unter Ausnutzung aller Kräfte und Möglichkeiten für ihre weitere Entwicklung. Die Verteidigung ist offensiv zu führen. Jegliche Versuche des Gegners, die Verteidigung zu durchbrechen, sind durch Gegenangriffe von Korps- und Armeereserven unverzüglich abzuwehren.

2) Besondere Beachtung ist auf die Panzerabwehr zu legen.

Im Fall des Frontdurchbruchs durch große motorisierte Verbände des Gegners ist ihre Bekämpfung und Vernichtung auf unmittelbare Anordnung des Wehrkreiskommandos durchzuführen, wozu der größte Teil der panzerabwehrenden Artilleriebrigaden, motorisierten Korps und Luftstreitkräfte eingesetzt werden soll. Die Aufgabe der panzerabwehrenden Artilleriebrigaden wird es sein, Panzer auf der vorbereiteten Verteidigungslinie mit mächtigem Artilleriefeuer zu begegnen und zusammen mit Luftstreitkräften ihr Vordringen bis zum Heranrücken und Gegenschlag unserer motorisierten Korps aufzuhalten. Die Aufgabe der motorisierten Korps wird es sein, sich unter Deckung der Panzerabwehrbrigaden zu entfalten und die gegnerischen Kräfte durch mächtige konzentrische Stöße und Flankenstöße gemeinsam mit den Luftstreitkräften endgültig niederzuwerfen und den Durchbruch zu beseitigen.

3) Vorzusehen sind Gegenangriffe von motorisierten Korps und Luftstreitkräften im Zusammenwirken mit Schützenkorps und Panzerabwehrbrigaden.

4) Die rückwärtigen Verteidigungsabschnitte sind in der ganzen Tiefe der Verteidigung einschließlich des Flusses Beresina zu erkunden und vorzubereiten. Für den Fall eines notwendigen Rückzuges ist ein Plan zur Errichtung von Panzer-sperren in der ganzen Tiefe und ein Plan zur Verminung von Brücken, Eisenbahnknotenpunkten und eventuellen Stellen der Konzentration des Feindes (Truppen, Stäbe, Sanitätseinrichtungen usw.) auszuarbeiten.

5) Es ist ein Einsatzplan zur vollen Gefechtsbereitschaft von befestigten Räu-men entlang der ehemaligen Staatsgrenze innerhalb des Wehrkreises auszuarbeiten.

Es ist auszuarbeiten:

a) ein Plan zur Alarmierung der Truppen und zur Bereitstellung der Grenztruppen zwecks Unterstützung;

b) ein Plan der Bewachung und Verteidigung wichtiger Industriebetriebe, Einrichtungen und Objekte;

7) Für den Fall des erzwungenen Rückzugs ist ein Plan der Evakuierung von Fabriken, Werken, Banken und anderer wirtschaftlicher Betriebe, Regierungsämter. Lager von Kriegs- und Staatsgut, von Wehrpflichtigen, Verkehrsmitteln auszuarbeiten […]

Der Volkskommissar für Verteidigung der UdSSR, Marschall der Sowjetunion S. Timosenko

Der Chef des Generalstabs der Roten Armee, Armeegeneral G. Zukov

Quelle: Zentralarchiv des Ministeriums der Verteidigung der Russischen Föderation Moskau, f. 16. op.2951, d. 243,1.1-3.


Dokument 23:

Überlieferte Kurzfassung der Rede des Genossen Stalin vor den Absolventen der Akademien der Roten Armee im Kreml am 5. Mai 1941:

Besymenski weist darauf hin, daß bisher keine authentische Fassung der Rede Stalins vom 5. Mai 1941 aufgefunden werden konnte. Die vorliegende Fassung ist eine Rekonstruktion dieser Rede nach der Mitschrift eines Zuhörers. Diese Rekonstruktion deckt sich mit den allerdings spärlichen Eintragungen Dimitroffs in seinem Tagebuch vom 5. Mai 1941.

Genosse Stalin sprach in seiner Rede über die Veränderungen, die in der Roten Armee in den letzten drei bis vier Jahren vor sich gegangen sind, über die Ursachen der Niederlage Frankreichs, warum England eine Niederlage erleidet, Deutschland aber Siege erringt und auch darüber, ob die deutsche Armee tatsächlich unbesiegbar sei.

Genossen, erlauben Sie mir, Sie im Namen der Sowjetregierung und der Kommunistischen Partei zur Beendigung Ihrer Ausbildung zu beglückwünschen und Ihnen Erfolg in unserer Arbeit zu wünschen.

Genossen, Sie haben die Armee vor drei bis vier Jahren verlassen, jetzt kehren Sie in Ihre Reihen zurück, und Sie werden die Armee nicht wiedererkennen. Die Rote Armee ist nicht mehr das, was sie vor einigen Jahren war.

a) Was stellte die Rote Armee vor drei bis vier Jahren dar?

Die Infanterie war die Haupt-Truppengattung. Sie war bewaffnet mit einem Gewehr, das nach jedem Schuß neu geladen wurde, mit leichten und schweren Maschinengewehren, mit Haubitzen und Kanonen, deren Anfangsgeschwindigkeit bis zu 900 m/sek. war. Die Geschwindigkeit der Flugzeuge betrug 400-500 km pro Stunde.

Die Panzer hatten eine dünne Panzerung, die einer 37-mm-Kanone widerstand.

Unsere Division war bis zu 18 Tausend Mann stark, dies sagte aber noch nichts über ihre Kampfkraft aus.

b) Was stellt die Rote Armee gegenwärtig dar?

Wir haben unsere Armee umgestaltet, wir haben sie mit moderner Militärtechnik ausgerüstet. Zuallererst muß man aber sagen, daß viele Genossen die Bedeutung der Ereignisse am Chassan-See und am Chalchin-Gol vom Standpunkt der Kriegserfahrung überbewerten. Da hatten wir es nicht mit einer modernen Armee, sondern mit einer veralteten Armee zu tun. Euch das alles nicht zu sagen, hieße Euch belügen.

Gewiß, Chassan und Chalchin-Gol hatten ihre positive Rolle gespielt. Deren positive Rolle besteht darin, daß wir im ersten und im zweiten Fall die Japaner geschlagen haben. Die wirkliche Erfahrung für die Umgestaltung unserer Armee haben wir aus dem russisch-finnischen Krieg und aus dem gegenwärtigen Krieg im Westen gewonnen.

Ich sagte, daß wir eine moderne, mit der neuesten Technik ausgerüstete Armee besitzen. Was stellt unsere Armee jetzt dar?

Früher gab es in der Roten Armee 120 Divisionen. Jetzt haben wir im Bestand der Armee 300 Divisionen. Die Divisionen selbst sind etwas kleiner, beweglicher geworden. Früher war eine Division 18000-20000 Mann stark. Jetzt sind daraus 15000 Mann geworden.

Ein Drittel der Gesamtzahl der Divisionen sind mechanisierte Divisionen. Davon spricht man nicht, Ihr müßt es aber wissen. Von 100 Divisionen sind zwei Drittel Panzer- und ein Drittel motorisierte Divisionen. Die Armee wird in diesem Jahr über 500000 Traktoren und Lastwagen verfügen.

Unsere Panzer haben ihre Gestalt verändert. Früher waren alle dünn gepanzert. Dies genügt jetzt nicht. Heute benötigt man eine drei- bis viermal dickere Panzerung.

Wir besitzen Panzer der ersten Linie, die die Front durchbrechen werden. Es gibt Panzer der zweiten und dritten Linie – das sind Begleitpanzer für die Infanterie.

Die Feuerkraft der Panzer ist größer geworden.

Über die Artillerie

Früher war die Begeisterung für Haubitzen groß. Der moderne Krieg brachte hier eine Korrektur an und hat die Rolle der Kanonen vergrößert. Der Kampf mit den Befestigungen und den Panzern des Gegners erfordert den Direktbeschuß und eine größere Anfangsgeschwindigkeit des Geschoßfluges – bis zu 1000 und mehr Meter pro Sekunde. Eine große Rolle wird in unserer Armee der Kanonen-Artillerie zugewiesen.

Die Luftstreitkräfte

Früher wurde eine Geschwindigkeit der Luftstreitkräfte von 400-500 km in der Stunde als ideal angesehen. Heute ist dies überholt. Wir verfügen über genug Flugzeuge, die 600-650 km pro Stunde erreichen, und wir stellen sie in der Masse her. Dies sind Flugzeuge der ersten Linie. Im Kriegsfall werden diese Flugzeuge zuerst eingesetzt. Sie werden den Weg für unsere relativ veralteten Flugzeuge 1-15, 1-16, 1-53 (Cajka) und SB freimachen. Wenn wir diese Maschinen zuerst ins Gefecht schicken würden, würde man sie abschießen.

Man kann gute Kommandeure haben, wenn man aber keine moderne Militärtechnik besitzt, kann man den Krieg verlieren. Früher hat man einer so billigen Artillerie, aber wertvollen Waffengattung wie Granatwerfer keine Aufmerksamkeit geschenkt. Man hat sie vernachlässigt. Heute besitzen wir unter unseren Waffen moderne Granatwerfer verschiedener Kaliber.

Früher gab es keine Radfahreinheiten. Jetzt haben wir sie geschaffen – diese motorisierte Kavallerie, und wir haben sie in ausreichender Menge.

Um diese ganze neue Technik – die neue Armee – zu leiten, braucht man Führungskader, die die moderne Kriegskunst vollkommen beherrschen.

Eben solche Veränderungen sind in der Organisation der Roten Armee vor sich gegangen. Wenn Sie zu den Einheiten der Roten Armee kommen, werden Sie die vor sich gegangenen Veränderungen sehen.

Ich würde darüber nicht sprechen, aber unsere Schulen und Akademien bleiben hinter der modernen Armee zurück.

c) Unsere militärischen Lehranstalten bleiben hinter dem Wachstum der Roten Armee zurück.

Hier trat der Referent Genosse Smirnov auf und sprach über die Absolventen, über ihre Ausbildung auf der Grundlage neuer Kriegserfahrung. Ich bin mit ihm nicht einverstanden. Unsere Schulen bleiben noch hinter der Armee zurück.

Sie werden noch an alter Technik ausgebildet. Man sagte mir, daß in der Artillerie-Akademie die Ausbildung an der Drei-Zoll-Kanone erfolge. Ist es so, Genossen Artilleriesten? (Wendet sich an die Artilleristen.) Die Schule hinkt der Armee hinterher. Die Luftstreitkräfte-Akademie bildet noch an alten Maschinen 1-15, 1-16, 1-153, SB aus. Man darf nicht an der alten Technik ausbilden. An der alten Technik ausbilden, bedeutet rückständige Menschen entlassen.

Dieses Zurückbleiben begünstigen auch die Lehrpläne. Denn um Neues zu lehren und auf neue Art auszubilden, muß man den Lehrplan ändern, dafür muß man aber viel arbeiten. Es ist ja viel leichter, nach den alten Lehrplänen auszubilden, man hat weniger Sorgen und Scherereien. Unsere Schule muß und kann ihre Ausbildung der Führungskader an Hand der neuen Technik umgestalten und die Erfahrung des modernen Krieges nutzen.

Unsere Schulen bleiben zurück, dieses Zurückbleiben ist gesetzmäßig. Man muß es liquidieren.

Sie werden zur Armee kommen, Sie werden die Neuerungen sehen. Um Ihnen die Sache zu erleichtern, habe ich von der Reorganisation unserer Armee erzählt.

Warum hat Frankreich eine Niederlage erlitten. Deutschland aber siegt? Ist die deutsche Armee wirklich unbesiegbar?

Ihr werdet aus der Hauptstadt in Eure Einheiten kommen. Euch werden Rotarmisten und Kommandeure fragen, was jetzt geschieht. Ihr habt an Akademien studiert. Ihr standet dort den Vorgesetzten näher, berichtet doch, was sich ringsum tut. Warum wurde Frankreich besiegt? Warum erleidet England eine Niederlage, Deutschland aber siegt? Ist die deutsche Armee wirklich unbesiegbar? Ein Kommandeur muß nicht nur kommandieren, befehlen, das ist zu wenig. Man muß lernen, mit den Soldaten zu sprechen, ihnen die Ereignisse zu erläutern, mit ihnen ein aufrichtiges Gespräch zu führen. Unsere großen Heerführer waren stets eng mit den Soldaten verbunden. Man muß handeln wie Suvorov.

Man wird Euch fragen, wo die Gründe dafür liegen, daß Europa umgekrempelt wurde, warum Frankreich eine Niederlage erlitt, warum Deutschland siegt. Warum erwies sich Deutschlands Armee als besser? Es ist eine Tatsache, daß sich Deutschlands Armee sowohl in bezug auf die Technik als auch auf die Organisation als besser erwiesen hat. Wie ist das zu erklären?

Lenin sagte, daß geschlagene Armeen gut lernen. Dieser Gedanke Lenins gilt auch für Nationen. Geschlagene Nationen lernen gut. Die deutsche Armee, die 1918 geschlagen wurde, lernte gut.

Die Deutschen haben die Gründe für ihre vernichtende Niederlage kritisch überprüft und Wege gefunden, um ihre Armee besser zu organisieren, auszubilden und auszurüsten.

Das militärische Denken der deutschen Armee kam voran. Die Armee wurde mit neuester Technik ausgerüstet. Sie wurde in neuen Kriegführungsmethoden ausgebildet. Überhaupt hat diese Frage zwei Aspekte.

Es genügt nicht, eine gute Technik und Organisation zu haben, man muß mehr Verbündete haben.

Gerade weil geschlagene Armeen gut lernen, hat Deutschland die Erfahrungen der Vergangenheit berücksichtigt.

1870 schlugen die Deutschen die Franzosen. Warum? Weil sie an einer Front kämpften. Die Deutschen erlitten in den Jahren 1916-1917 eine Niederlage.

Warum? Weil sie an zwei Fronten kämpften.

Warum haben die Franzosen aus dem vergangenen Krieg der Jahre 1914-1918 nichts gelernt?

Lenin lehrt: Parteien und Staaten gehen zugrunde, wenn sie ihre Augen vor Mängeln verschließen, wenn sie sich an ihren Erfolgen begeistern, auf ihren Lorbeeren ausruhen und sich ihre Erfolge zu Kopf steigen lassen.

Den Franzosen stiegen die Siege, die Selbstzufriedenheit zu Kopf. Die Franzosen verpaßten und verloren ihre Verbündeten. Die Deutschen nahmen ihnen die Verbündeten weg. Frankreich ruhte sich auf seinen Erfolgen aus. Das militärische Denken in seiner Armee kam nicht voran. Es blieb auf dem Stand von 1918. Man kümmerte sich nicht um die Armee, gab ihr keine moralische Unterstützung. Eine neue Moral entstand, die die Armee zersetzte. Die Militärs behandelte man verächtlich. Die Kommandeure begann man als Pechvögel, als die letzten Gestalten anzusehen, die, da sie keine Fabriken, Werke, Banken und Geschäfte besaßen, gezwungen waren, zur Armee zu gehen. Selbst junge Mädchen heirateten keine Militärs. Nur bei einer solchen verächtlichen Haltung gegenüber der Armee konnte es geschehen, daß der militärische Apparat in die Hände von Gamelins und Ironsides gelangen konnte, die von militärischen Dingen wenig verstanden. Die gleiche Haltung gegenüber Militärs herrschte in England. Die Armee muß äußerste Fürsorge und Liebe von Volk und Regierung genießen – darin liegt die größte mora-lische Kraft der Armee. Die Armee muß man hegen und pflegen. Wenn eine solche [verächtliche] Moral im Lande entsteht, wird es keine starke und kampffähige Armee geben. So geschah es auch mit Frankreich.

Um sich gut auf den Krieg vorzubereiten, muß man nicht nur eine moderne Armee haben, sondern auch den Krieg politisch vorbereiten.

Was heißt, den Krieg politisch vorbereiten? Den Krieg politisch vorbereiten heißt, in ausreichender Zahl zuverlässige Verbündete und neutrale Länder zu haben. Deutschland hat, als es den Krieg begann, die Aufgabe bewältigt, England und Frankreich aber haben diese Aufgabe nicht bewältigt.

Eben darin liegen die politischen und militärischen Gründe für Frankreichs Niederlage und für Deutschlands Siege.

Ist die deutsche Armee wirklich unbesiegbar?

Nein. Es gibt und es gab auf der Welt keine unbesiegbaren Armeen. Es gibt besonders gute, gute und schwache Armeen. Deutschland begann den Krieg und ging in die erste Phase unter der Losung der Befreiung vom Joch des Versailler Vertrages. Diese Losung war populär, fand Unterstützung und Mitgefühl bei allen, die durch Versailles gekränkt waren. Jetzt hat sich die Situation verändert.

Jetzt kämpft die deutsche Armee unter anderen Losungen. Sie ersetzte die Losungen der Befreiung von Versailles durch Eroberungsparolen.

Die deutsche Armee wird unter den Losungen eines räuberischen Eroberungskrieges keinen Erfolg haben. Diese Losungen sind gefährlich.

Napoleon I. fand, solange er den Krieg unter den Losungen der Befreiung von der Leibeigenschaft führte, Unterstützung, er hatte Sympathien, hatte Verbündete, hatte Erfolg. Als Napoleon I. zu Eroberungskriegen überging, machte er sich viele Feinde, und er erlitt eine Niederlage.

Da die deutsche Armee den Krieg unter der Losung der Unterwerfung anderer Länder, der Unterordnung anderer Völker unter Deutschland führt, wird ein solcher Wechsel der Losung nicht zum Sieg führen.

Vom militärischen Standpunkt aus gibt es bei der deutschen Armee auch nichts

Besonderes, weder bei den Panzern noch bei der Artillerie oder der Luftwaffe.

Ein bedeutender Teil der deutschen Armee verliert seinen Elan, den es zu Beginn des Krieges gab.

Überdies tauchten in der deutschen Armee Prahlerei, Selbstzufriedenheit und Arroganz auf. Das militärische Denken kommt nicht voran, die militärische Technik bleibt nicht nur gegenüber unserer Technik zurück. Amerika beginnt, in bezug auf die Luftstreitkräfte Deutschland zu überholen.

Wie konnte es geschehen, daß Deutschland Siege erringt?

1. Das gelang Deutschland deswegen, weil seine geschlagene Armee lernte, sich umgestaltete und alte Werte revidierte.

2. Das geschah deswegen, weil England und Frankreich, die im letzten Krieg erfolgreich waren, nicht nach neuen Wegen suchten, nicht lernten. Die französische Armee war die dominierende Armee auf dem Kontinent.

Eben deshalb ging es mit Deutschland bis zum gewissen Augenblick bergauf. Doch Deutschland führt Krieg bereits unter der Flagge der Unterjochung anderer Völker.

Während die alte Losung gegen Versailles die mit Versailles Unzufriedenen vereinte, bringt sie Deutschlands neue Losung auseinander.

Im Hinblick auf das weitere militärische Wachstum hat die deutsche Armee die Lust an einer weiteren Verbesserung der militärischen Technik verloren. Die Deutschen meinen, daß ihre Armee die idealste, die beste und die unbesiegbarste sei. Das stimmt nicht. Eine Armee muß tagtäglich vervollkommnet werden.

Jeder Politiker, jeder Staatsmann, der ein Gefühl der Selbstzufriedenheit zuläßt, kann mit einer Überraschung konfrontiert werden wie Frankreich mit der Katastrophe. Noch einmal gratuliere ich Euch und wünsche Erfolg.

Dritte Ansprache des Genossen Stalin auf dem Empfang:

Das Wort ergreift ein Generalmajor der Panzertruppen. Er bringt einen Trinkspruch aus auf die friedliche Außenpolitik Stalins.

Genosse Stalin (erwidert -Verf.): Gestatten Sie mir eine Korrektur.

Die friedliche Politik hat für unser Land den Frieden gesichert. Die friedliche Politik ist eine gute Sache. Bis zu einer bestimmten Zeit haben wir die Linie der Verteidigung vertreten, bis zum Zeitpunkt, bis wir unsere Armee noch nicht umgerüstet haben, die Armee noch nicht mit modernen Kampfmitteln ausgerüstet haben.

Jetzt aber, da wir unsere Armee umgestaltet haben, sie reichlich mit Technik für den modernen Kampf ausgestattet haben, jetzt, da wir stark geworden sind, jetzt muß man von der Verteidigung zum Angriff übergehen.

Bei der Verwirklichung der Verteidigung unseres Landes sind wir verpflichtet, offensiv zu handeln. Wir müssen von der Verteidigung zur Militärpolitik des offensiven Handelns übergehen. Wir müssen unsere Erziehung, unsere Propaganda, Agitation, unsere Presse im offensiven Geist umbauen. Die Rote Armee ist eine moderne Armee, eine moderne Armee aber ist eine offensive Armee.

Im Grunde genommen hatte Stalin nicht viel Neues enthüllt, zumal die sowjetische Doktrin auch damals den unbedingten Übergang von der Verteidigung zur Offensive vorsah, und die These von der „modernen Angriffsarmee” war nach 1940 fast schon banal. Schließlich wollte Stalin den Krieg gewinnen und nicht verlieren. Somit erfüllte die These über den Übergang zur Offensive eine „Dopingfunktion” für die Zuhörer. Hier liegt die Lösung des Rätsels, über das sich Gustav Hilger so sehr den Kopf zerbrochen hat, als er in seinen Memoiren die später so oft „ausgebeuteten” Angaben der gefangenen sowjetischen Offiziere selbst für kaum glaubwürdig gehalten hat. Man kann Bianka Pietrow beipflichten, wenn sie meint, daß unter den Bedingungen der Gefangenschaft und des psychischen Drucks es den sowjetischen Offizieren und deren Befragern natürlich leichtfiel, eine „offensive Armee” in eine Armee zu verwandeln, die einen Angriff vorbereitete.

Die Frage, warum nach einer solchen Rede dennoch keine genügenden Abwehrmaßnahmen getroffen wurden, haben sich viele gestellt.

General Nikolaj Ljascenko erinnert sich: „Irgendwann in den 60er Jahren traf ich Marschall Timocenko. Ich war damals in Taschkent als Kommandeur des Wehrkreises; er kam zu mir als Inspekteur…. Abends saßen wir … zusammen, und ich fragte ihn: Warum haben wir eigentlich damals vor dem Krieg so geschlafen? Stalin hat doch damals auf dem Empfang am 5. Mai 1941 gesprochen. Warst du dabei? fragte er mich. Ja. ich war dabei, antwortete ich. Dann hör mal zu. Irgend-wann Mitte Juni gelang es mir zusammen mit Zukov, daß uns das Politbüro anhörte. Zukov trug den Bericht vor. Wir hatten eine Karte mit den Gruppierungen der faschistischen Truppen vorbereitet. Zukov begann seinen Vortrag mit lauter Stimme und wies auf den großen Truppenaufmarsch des Feindes hin und darauf, daß wir nicht vorbereitet seien, den Angriff abzuwehren. Stalin begann, böse zu werden, was ich daran erkannte, daß er mit der Pfeife auf den Tisch schlug. Dann stand er auf, ging zu Zukov und begann, ihn anzubrüllen: Was wollen Sie, sind Sie gekommen, uns mit dem Krieg zu schrecken, oder wollen Sie den Krieg, bedeuten Ihnen Auszeichnungen oder Posten nichts? Zukov verlor die Selbstbeherrschung, man führte ihn in ein anderes Zimmer.

Stalin kehrte zum Tisch zurück und sagte grob: Das macht alles der Timocenko, er versetzt alle in Kriegsstimmung, aber ich kenne ihn ja noch als ausgezeichneten Haudegen aus der Bürgerkriegszeit. (…) Genug, sagte Stalin.- Ich wandte ein: Auf dem Empfang für die Absolventen der Akademien haben Sie doch selbst allen gesagt, der Krieg sei unvermeidlich. Darauf antwortete Stalin: Timocenko ist gesund und hat einen großen Kopf, aber offensichtlich nur ein kleines Gehirn. Er hob den Zeigefinger: Das habe ich für das Volk gesagt, man muß seine Wachsamkeit erhöhen, Sie aber müssen begreifen, daß Deutschland niemals allein mit Rußland Krieg führen wird. Das müssen Sie begreifen, sagte er und ging. Dann öffnete er die Tür und sagte laut: `Wenn ihr da an der Grenze die Deutschen reizt, wenn ihr ohne unsere Genehmigung die Truppen verschiebt, dann rollen die Köpfe. Merkt euch das’, und schlug die Tür zu.”15

Quelle: Gerd R. Ueberschär/Lev Bezymenskij (Hrsg): Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion 1941. Die Kontroverse um die Präventivkriegsthese. Darmstadt 1998. ISBN 3-89678-084-0.


Dokument 24:

Tagebucheintragungen von G. Dimitroff vom 5. Mai und vom 21. und 22.6. 1941

Abends im Kreml Festsitzung der Absolventen der Militärakademie und anschließend Empfang.

Auf der Festsitzung hielt J[ossif] W[issarionowitsch] [Stalin] eine Rede.

Die Rote Armee wurde auf der Basis der Erfahrungen des modernen Krieges grundlegend umgestaltet und umgerüstet. Aber unsere [Militär-]Schulen bleiben hinter diesem Prozeß in der Armee zurück. Sie führen die Ausbildung nicht auf der Grundlage neuester Waffentechnik durch. Man muß die gewaltigen Veränderungen im Militärwesen und die Erfahrungen des gegenwärtigen Weltkrieges berücksichtigen.

Warum wurde Frankreich zerschlagen, warum erleidet England Niederlagen und warum haben die Deutschen Erfolge zu verzeichnen? Die Hauptursache ist, daß Deutschland, als besiegtes Land, neue Mittel und Wege gesucht und gefunden hat, um die schwierige Lage zu überwinden, in die es nach dem Ersten Weltkrieg geraten war. Es hat eine Armee und Kader geschaffen und reichlich aufgerüstet, vor allem die Artillerie und die Luftwaffe. Frankreich und England unterdessen gerieten nach ihren Erfolgen in einen Siegestaumel, prahlten mit ihrer Macht und ließen es an der notwendigen militärischen Vorbereitung fehlen. Lenin hat recht behalten, er sagte, daß Parteien und Staaten zugrunde gehen, wenn ihnen der Erfolg zu Kopfe steigt. Eine Armee, die sich für unbesiegbar und weitere Vervollkommnung für unnötig hält, ist zum Untergang verurteilt. Ist die deutsche Armee unbesiegbar? Nein. Sie ist nicht unbesiegbar. Erstens hat Deutschland den Krieg unter der Losung „Befreiung von Versailles” begonnen. Und es konnte auf das Wohlwollen jener Völker zählen, die unter dem Versailler System litten. Aber jetzt setzt Deutschland den Krieg unter dem Banner der Unterwerfung, der Unterdrückung anderer Völker, unter dem Banner der Hegemonie fort. Das ist ein großes Minus für die deutsche Armee. Sie verfügt nicht mehr über das bisherige Wohlwollen einer Reihe von Ländern und Völkern, sondern hat im Gegenteil viele von ihr okkupierte Länder gegen sich aufgebracht. Eine Armee, die auf feindlichem Boden kämpfen muß und im Hinterland feindliche Territorien und Massen hat, ist ernsthaften Gefahren ausgesetzt. Das ist das andere Minus für die deutsche Armee.

Außerdem beginnen die deutschen Führer bereits an Größenwahn zu leiden. Sie glauben, sie könnten alles, ihre Armee sei stark genug, und es sei nicht notwendig, sie weiter zu vervollkommnen.

All dies zeigt, daß die deutsche Armee nicht unbesiegbar ist.

Auch Napoleon hatte große militärische Erfolge, solange er einen Krieg zur Befreiung von der Leibeigenschaft führte, als er jedoch begann, einen Unterwerfungskrieg zu führen, einen Krieg zur Unterordnung anderer Völker, erlitt seine Armee Niederlagen…

Unsere Armee muß ständig stärker werden, sich vervollkommnen. Und unsere Militärschulen müssen mit ihr Schritt halten und dürfen nicht zurückbleiben.

Während des Empfangs brachte J[ossif] W[issarionowitsch] einige Toasts aus. Er war ausgesprochen guter Laune.

…Das wichtigste ist eine gut ausgerüstete Infanterie. – Aber die Hauptrolle spielt die Artillerie (Kanonen, Panzer). – Zur Erfüllung dieser Rolle bedarf die Artillerie der Luftwaffe. – Die Luftwaffe allein entscheidet nicht über den Ausgang des Kampfes, aber im Zusammenwirken mit Infanterie und Artillerie spielt sie eine außerordentlich wichtige Rolle. – Ausschlaggebend sind dabei nicht die Langstreckenflugzeuge (die braucht man für Diversionsakte im tiefen Hinterland des Gegners), sondern die Flugzeuge mit normaler Reichweite (Bombenflugzeuge und Sturzkampfflugzeuge). Diese Flugzeug schützen die Aktionen der Artillerie und der anderen Truppengattungen. – Die Kavallerie hat ihre Bedeutung im modernen Gefecht nicht verloren. – Sie ist besonders wichtig, um den aus seinen Stellungen vertriebenen Gegner zu verfolgen und ihm nicht die Möglichkeit zu geben, sich in neuen Stellungen zu verschanzen. – Nur bei einem richtigen Verhältnis aller Truppengattungen kann man den Erfolg sicherstellen.

…Unsere Politik des Friedens und der Sicherheit ist gleichzeitig eine Politik der Kriegsvorbereitung. Es gibt keine Verteidigung ohne Angriff. Man muß die Armee im Geist des Angriffs erziehen. Man muß sich auf den Krieg vorbereiten.

21.6.41

– Im Telegramm von Tschou En-lai aus Chongqing nach Yan’an (an Mao Tse-tung) wird unter anderem darauf hingewiesen, daß Tschiang Kai-schek hartnäckig behauptet, Deutschland werde die UdSSR überfallen, und er nennt sogar das Datum – den 21. 6. 41!

– Die Gerüchte über den bevorstehenden Überfall mehren sich von allen Seiten.

– Man muß auf der Hut sein …

– Am Morgen rief ich Molotow an. Ich bat ihn, mit Joss[if] Wissajtsch [Stalin] die Lage und die notwendigen Weisungen für die kommunistischen Parteien zu besprechen.

– Mol[otow]: „Die Lage ist unklar. Es wird ein großes Spiel gespielt. Nicht alles hängt von uns ab. Ich werde mit J[ossif]W[issanonowitsch.] reden. Wenn es irgend etwas Besonderes gibt, rufe ich an!”

22.6.41 – Sonntag.

– Um 7 Uhr morgens wurde ich dringend in den Kreml beordert.

– Deutschland hat die UdSSR überfallen.

Der Krieg hat begonnen.

– Im Vorzimmer treffe ich Poskrebyschew, Timoschenko, Kusnezow [d.i. Nikolai Kusnezow], Mechlis (wieder in Uniform), Berija (der telefonisch verschiedene Anweisungen erteilt).

– In Stalins Arbeitszimmer sind Molotow, Woroschilow, Kaganowitsch, Malenkow.

– Stal[in] zu mir: „Sie haben uns angegriffen, ohne irgendwelche Forderungen zu stellen, ohne irgendwelche Verhandlungen zu verlangen, haben uns niederträchtig überfallen, wie Räuber. Nach dem Überfall, nach der Bombardierung von Kiew, Sewastopol, Shitomir und anderen Orten erschien Schulenburg mit der Erklärung, dass Deutschland sich durch die Konzentration sowjetischer Truppen an der Ostgrenze bedroht fühlte und Gegenmaßnahmen ergriffen habe. Die Finnen und die Rumänen sind auf Seiten der Deutschen. Bulgarien nimmt die Vertretung der Interessen Deutschlands in der UdSSR wahr.” – Nur die Kommunisten können die Faschisten besiegen …

– Erstaunlich sind die Ruhe, Festigkeit und Zuversicht Stalins und aller anderen.

– Die Erklärung der Regierung, die Molotow im Radio verlesen soll, wird redigiert.

– An die Armee und Marine werden Anweisungen erteilt.

– Maßnahmen zur Mobilisierung und zum Kriegszustand.

– Ein unterirdischer Sitz für die Arbeit des ZK und des Stabes ist vorbereitet.

– Die diplomatischen Vertreter, sagt Stalin, müssen aus Moskau weg und an einen anderen Ort gebracht werden, z. B. nach Kasan. Hier können sie Spionage betreiben.

– Haben uns über unsere Arbeit verständigt. Die Komintern soll vorerst nicht öffentlich auftreten. – Die Parteien vor Ort entfalten eine Bewegung zur Verteidigung der UdSSR. Die Frage der sozialistischen Revolution ist nicht aufzuwerfen. Das sowjetische Volk führt einen vaterländischen Krieg gegen das faschistische Deutschland. Es geht um die Zerschlagung des Faschismus, der eine Reihe von Völkern versklavt hat und danach strebt, auch andere Völker zu versklaven…

– In der Komintern wurden die Sekretäre und die führenden Mitarbeiter zusammengerufen. Wir erläuterten ihnen unsere Haltung und die Aufgaben zum jetzigen Zeitpunkt.

– Haben Weisungen an die kommunistischen Parteien in Amerika, England, Schweden, Belgien und Frankreich, Holland, Bulgarien, Jugoslawien und China geschickt.

– Eine Reihe von organisatorischen Maßnahmen beschlossen.

Erklärten, alle unsere Kräfte zu mobilisieren.

Quelle: Georgi Dimitroff: Tagebücher 1933 – 1943. Hrsg. von Bernhard H. Bayerlein. Aus dem russischen und bulgarischen von Weadislaw Hedder und Birgit Schliewenz, Berlin 2000.

Literaturverzeichnis

– Bershin, I.B.: Geschichte der UdSSR 1917 – 1970. Moskau 1966/Berlin 1971.

– Besymenskij, Lew A.: Wjatscheslaw Molotows Berlin-Besuch vom November 1940 im Licht neuer Dokumente. In: Pietrow-Ennker: Präventivkrieg?…

– Bonwetsch, Bernd: Die Forschungskontroverse über die Kriegsvorbereitungen der Roten Armee 1941. In: Pietrow-Ennker: Präventivkrieg?…

– Boroznjak, Alexander I.: Ein russischer Historikerstreit? Zur sowjetischen und russischen Historiographie über den deutschen Angriff auf die Sowjetunion. In: Ueberschär/Besemenskij…

– Clausewitz, von Carl: Vom Kriege. Jubiläumsausgabe Januar 2003. München. Geschichte des Zweiten Weltkrieges in zwölf Bänden. 1939 – 1945. Bd. 1, Moskau 1973, DDR-Ausgabe Berlin 1975.

– Geschichte der KPdSU in sechs Bänden. Bd. V, Progreß Verlag Moskau 1974.

– Gorkow, Juri: 22. Juni 1941: Verteidigung oder Angriff? Recherchen in russischen Zentralarchiven. In: Pietrow-Ennker: Präventivkrieg?…

– Gossweiler, Kurt: Betrachtungen zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag und zur Rolle Stalins im zweiten Weltkrieg. In: Kurt Gossweiler: Wider den Revisionismus. München 1997.

– Huar, Ulrich: Stalin als Theoretiker des Marxismus-Leninismus. Beiträge zur politischen Ökonomie des Sozialismus. Teil 1. In Schriftenreihe für marxistische-leninistische Bildung der Kommunistischen Partei Deutschlands. Heft Nr. 86/II-1, Berlin August 2002. und in: offen-siv, Zeitschrift für Sozialismus und Frieden; Heft 8/02.

– Derselbe: Stalins Beiträge zur marxistisch-leninistischen Militärtheorie und -politik 1941 – 1942/43. In: Schriftenreihe… Heft Nr. 150/1, Berlin, November 2003. und in: offen-siv, …Heft 14/03.

– Die Kommunistische Partei der Sowjetunion in Resolutionen und Beschlüssen der Parteitage, Konferenzen und Plenen des ZK. Bd. X. Berlin 1957.

– Lenin, W.I.: VIII. Parteitag der KPR (B), 18. – 23. März 1919. In: Werke, Bd. 29. Dietz-Verlag Berlin 1965.

– Messerschmidt, Manfred: Zur Kontroverse um die deutsche Außen- und Militärpolitik vor dem Angriff auf die Sowjetunion. In: Pietrow/Ennker: Präventivkrieg?…

– Pietrow – Ennker, Bianka: Präventivkrieg? Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion. 2. Auflage, Frankfurt am Main, Juni 2000. (Sammelband)

– Dieselbe: „Mit den Wölfen heulen…” Stalinistische Außen- und Deutschlandpolitik 1939 – 1941. In: ebd.

– Schön, Andrea: Geschichtslügen: Fundamente des Anti-Stalinismus. In: offen-siv Heft 7/2002. Ausgabe Juli – August 2002.

– Shukow, G.K.: Erinnerungen und Gedanken. Bd. 1, 4. überarbeitete Auflage. Moskau 1969/Berlin 1973.

– Slutsch, Sergej: Die deutsch-sowjetischen Beziehungen im Polenfeldzug und die Frage des Eintritts der UdSSR in den Zweiten Weltkrieg. In: Pietrow-Ennker: Präventivkrieg?…

– Stoecker, Sally W.: Tönerner Koloß ohne Kopf: Stalinismus und Rote Armee. In: Pietrow-Ennker: Präventivkrieg?…

– Suworow, Viktor: Der Eisbrecher. Hitler in Stalins Kalkül. 2. Auflage, Stuttgart 1989

– Tippelskirch, von Kurt: Geschichte des Zweiten Weltkrieges. 3. unveränderte Auflage, Bonn 1959.

– Topitsch, Ernst: Stalins Krieg. Moskaus griff nach der Weltherrschaft. Strategie und Scheitern. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage. Herford: Busse Seewald, 1998.

– Ueberschär, Gerd R./Besymenskij, Lew A.: Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion 1941. Die Kontroverse um die Präventivkriegsthese. Darmstadt 1998.

– Ueberschär, Gerd R./Wette, Wolfram: Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion. „Unternehmen Barbarossa” 1941. Überarbeitete Neuausgabe. Frankfurt am Main 1991.

– Ueberschär, Gerd R.: Hitlers Überfall auf die Sowjetunion 1941 und Stalins Absichten. Die Bewertung in der deutschen Geschichtsschreibung und die neuere „Präventivkriegsthese”. In: Ueberschär/Besymenski…

– Derselbe: Hitlers Entschluß zum „Lebensraum”-Krieg im Osten. Programmatisches Ziel oder militärstrategisches Kalkül? In: Ueberschär/Wette…

– Wette, Wolfram: Die propagandistische Begleitmusik zum deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941. In: Ueberschär/Wette…

– Derselbe: Juden, Bolschewisten, Slawen. Russenideologische Rußland-Feindbilder Hitlers und der Wehrmachtsgeneräle. In: Pierow-Ennker: Präventivkrieg?…

– Wauer, Hans/Falkenhagen, Hans-Jürgen: Nikolai Bucharin: Revisionist, Renegat, Verräter. In: Schriftenreihe … Nr. 21/III, Berlin Januar 2001.

Verzeichnis der Personen

d’Äbernon, Lord, Viccount, eng. Diplomat

Attolico, B., italienischer Diplomat, 1935-1940 Botschafter in Berlin

Beck, J., polnischer Außenminister 1932-1939

Butler, R., 1938-1941 Stellv. des brit. Außenministers

Buxton, C.R., engl. Publizist, Mitglied der Labourparty.

Chamberlain, N., Führer der engl. Konservativen Partei, 1937-1940 Premierminister

Chodacki, M., poln. Diplomat, 1937-1939 poln. Generalkommissar in Danzig.

Dalton, H., Labourführer, Mitglied des engl. Parlaments

Dietrich, O., 1937-1945 Reichspressechef des Goebbels’schen Propagandaministeriums.

Dirksen, H., dt. Diplomat, 31. März 1938 – 3. September 1939 Botschafter in England

Doumenc, J., Französischer General

Drax, Sr. Reginald, eng. Admiral

Eden, A., Dez. 1935 – Febr. 1938 engl. Außenminister, 1939 – 1940 Minister für die brit. Dominions

Halifax, E., Lord, März 1938 – Dezember 1940 engl. Außenminister

Hesse, F., 1938-1939 Pressebeirat der dt. Botschaft in London.

Hudson, R., engl. konservativer Politiker, 1937-1940 Überseehandelsminister

Kemsley, J., Lord, Inhaber engl. Zeitungen: „Sunday Times”, „Sunday Chronicle”, „Sunday Empire News” u.a.

Kordt, Th., dt. Diplomat, 1938 Botschaftsrat in London.

Lloyd George, D., Earl, engl. Staatsmann, Liberale Partei, 1916-1922 Premierminister

Maisky, I.M., sowjetischer Botschafter in England, 1932-1943

Pilsudskij, J., 1918-1919 Staatspräsident und Oberbefehlshaber der polnischen Armee, reaktionärer Feind der Sowjetunion.

Rosenberg, A., 1919-1938 Hauptschriftleiter des „Völkischen Beobachters”, 1941-1944 Minister für die besetzten Ostgebiete, Hauptkriegsverbrecher. Vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Rydz-Smigly, E., poln. General

Sinclair, Sir, Thurso, Viscount, engl. Politiker

Strang, Sir William, Botschaftsrat im engl. Außenministerium, 1938-1939 Chef der Abtlg. Zentraleuropa.

Waechtler, F., seit 1935 Gauleiter von Bayern, Hauptamtleiter in der Reichsleitung der NSDAP und Reichswalter des NS Lehrerbundes

Weizsäcker, E., 1936-1938 Leiter der Politischen Abteilung des AA, 1938-1943 Staatssekretär im AA.

Weygand, M. französischer General

Hannoversche Allgemeine Zeitung:
Eine Option: Luftangriffe gegen Iran

US-Regierung bereitet Bündnispartner im Nahen Osten angeblich schon auf Eingreifen vor

München. „Die Regierung von US-Präsident Bush bereitet derzeit ihre wichtigsten Bündnispartner im Nahen Osten in Geheimgesprächen auf einen möglichen Luftangriff gegen Ziele im Iran im kommenden Jahr vor. Das bestätigten westliche Sicherheitskreise am Freitag der Nachrichtenagentur ddp.

Nach diesen Angaben soll CIA-Chef Porter Goss am Montag voriger Woche in der türkischen Hauptstadt Ankara Ministerpräsident Erdogan darum gebeten haben, die nach derzeitigem Stand für 2006 geplanten Luftangriffe auf iranische Nuklear- und Militäranlagen vor allem mit dem rückhaltlosen Austausch geheimdienstlicher Informationen zu unterstützen.

In der vergangenen Woche sollen auch die Regierungen in Saudi-Arabien, Jordanien, Oman und Pakistan im Ansatz über die Militärpläne unterrichtet worden sein.

CIA-Chef Goss soll türkischen Sicherheitsbehörden nun in Ankara auch drei Dossiers übergeben haben, von denen eines angeblich belege, dass Teheran mit der Terrororganisation Al Quaida kooperiere. Ein weiteres Dossier betreffe den Stand der iranischen Atomrüstung, hieß es. Nach Angaben aus deutschen Sicherheitskreisen hat Goss in Ankara zugesichert, die türkische Regierung wenige Stunden vor dem möglichen Luftangriff zu informieren und der Türkei schon jetzt „grünes Licht“ dafür gegeben, an jenem Tag auch Lager der separatistischen PKK auf iranischem Gebiet anzugreifen.

Nach ddp vorliegenden Informationen wurde auch der türkische Generalstabschef Yasar Buyukanit bei einem Aufenthalt in Washington vor wenigen tagen darum ersucht, die türkische Armee „mittelfristig“ auf einen möglichen amerikanischen Militärschlag gegen Ziele im Iran vorzubereiten.

Auch Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer, der als enger Verbündeter Washingtons gilt und vor wenigen Tagen die Türkei besucht hatte, soll nach Informationen deutscher Sicherheitskreise über den Stand der Vorbereitungen eines möglichen amerikanischen Luftangriffes auf Ziele im Iran unterrichtet worden sein.“

Hannoversche Allgemeine Zeitung,
Weihnachtsausgabe, 24. 12. 2005