Wolfgang Hoss:
Zu den Grundprinzipien der sozialistischen Produktionsweise
In der März-Ausgabe von “offen-siv” 2007 formulierte Frank Flegel ein Grundanliegen der Sozialismusdiskussion und Sozialismusforschung in der heutigen Zeit wie folgt:
“Bei unserem Ziel, dem Sozialismus, der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft, handelt es sich ja bekanntlich um einen gesellschaftlichen und damit vor allem ökonomischen Epochenwechsel, der nicht weniger tiefgreifend ist als beispielsweise jener, der das Römische Reich untergehen ließ oder derjenige, der die Herrschaft von Klerus und Adel beseitigte. Es geht um eine neue Produktionsweise.
Wir haben in „offen-siv“ schon seit längerem Beiträge zu ökonomischen Problemen veröffent-licht. …. Inzwischen haben wir die Situation, dass nach einem mehr als zehnjährigen Schweigen doch der Beginn einer Diskussion über die ökonomischen Grundlagen sowohl des Kapitalis-mus/Imperialismus als auch des Sozialismus spürbar wird. Wir begrüßen das sehr, denn ohne ein klares sozialistisches und damit auch gesellschaftlich-ökonomisches Ziel wird die Bestimmung des Weges dorthin nicht entschieden werden können.
Die ökonomische Debatte bezieht sich vor allem auf ein grundlegendes Problem: das Wertgesetz. Hier scheiden sich aktuell heute und auch schon so lange, wie es eine sozialistische Bewegung gibt, die Geister. Die Frage ist: Ist das Wertgesetz der konzentrierte Ausdruck der kapitalistischen Ökonomie und muss es deshalb im Sozialismus überwunden werden oder ist das Wertgesetz von grundsätzlicher, überhistorischer Bedeutung, also eine Grundlage allen menschlichen Wirtschaftens und muss es deshalb im Sozialismus respektiert werden? Man tue diese Frage nicht als spitzfindig oder scholastisch ab! Die Antwort auf diese Frage entscheidet das Schicksal der angestrebten neuen Epoche der Menschheit, des Sozialismus. Deshalb muß sie beantwortet werden.” (offen-siv, März 2007, S. 3).
Diese den Kern der Sache treffende Formulierung führt weiter zu der Frage, was die wesent-lichen Ursachen des Scheiterns des Sozialismusversuchs in der Sowjetunion, der DDR und anderen Ländern des Ostens waren, es stellt sich insbesondere die Frage, ob dieser Versuch gescheitert ist, weil nach der Vorgabe durch Marx und Engels versucht wurde die Waren-produktion und ihr Gewinn- bzw. Profitsystem durch eine grundsätzliche neue Produktionsweise zu ersetzten, oder umgekehrt gerade deshalb, weil man diesen Versuch aufgegeben hat und heimlich still und leise zur Warenwirtschaft zurückgekehrt ist.
Aber durch welche neuen praktikablen Prinzipien sollen die Grundprinzipien der Warenwirt-schaft ersetzt werden? Offenbar gibt es in dieser Hinsicht auch heute noch ungelöste Probleme. Eines dieser Probleme, und vielleicht das wichtigste, ist die Wert- und Preisbildung im Sozialismus, die sich grundsätzlich von der Preisbildung der Warenmärkte unterscheiden muß.
Meines Erachtens ist es nicht verwunderlich, daß in einem ökonomischen System, dessen Basis das Volkseigentum ist, die Preisbildung der Warenmärkte nicht mehr funktionieren kann. Dies entspricht den Erfahrungen z.B. in der DDR, man hatte in der DDR keinen gleichwertigen oder überlegenen Ersatz für die Preisbildung der Warenmärkte gefunden. Teilweise hat man krampfhaft versucht, die Preise des Weltmarktes der Privatwirtschaft zu übernehmen. Aber für eine solche Preisbildung wäre der Erhalt der Warenwirtschaft in großen Teilen der Welt notwendige Voraussetzung dafür, daß in der sozialistischen Wirtschaft die “richtigen” Preise gefunden werden können.
Zwar wurde Marxens Hinweis, daß die Arbeitszeit der Preisbildung im Sozialismus zugrunde liegen soll von manchen Theoretikern aufgegriffen, aber es wurde hauptsächlich versucht, die Wert- und Preisbildung der Warenmärkte durch Arbeitszeitrechnungen nachzuahmen. Man hätte hierzu die Arbeitszeiten einer riesigen Zahl von Erzeugnissen und Zuliefererzeugnissen der ganzen Welt kennen müssen, auch die Arbeitszeiten, die in der Vergangenheit bei der Herstellung der im aktuellen Jahr gekauften und verbrauchten Produktionsmittel aufgewandt wurden. Zum großen Teil sind diese Zeiten der Vergangenheit nicht dokumentiert, und im Grunde wäre der Riesenaufwand sinnlos, wenn diese Preise auf dem Warenmarkt selbsttätig gebildet werden können. Außerdem, wie soll man den weltweit durchschnittlichen Arbeitszeitaufwand z.B. für ein Fernsehgerät berechnen, wenn es keine zwei gleichen Fernsehgerätetypen verschiedener Hersteller gibt. Die Fernsehgeräte der verschiedenen Hersteller unterscheiden sich in der Regel im Gebrauchswert bzw. in der Gesamtheit ihrer technischen Merkmale ganz erheblich. Und unterschiedliche Gebrauchswerte liegen vorrangig bei den meisten Erzeugnissorten und Erzeugnisarten vor. Wenn man einen Weltdurchschnitt der aufgewandten Arbeitszeiten für eine bestimmte Warensorte berechnen will, dann müßte man für Hundertemillionen Erzeugnistypen Klassen mit hoher Ähnlichkeit bilden, und das wäre, abgesehen von der Schwierigkeit oder Unmöglichkeit die Kriterien der Zugehörigkeit der Typen zu einer bestimmten Klasse objektiv zu bestimmen, mit einem Riesenarbeitsaufwand verbunden. Es ist meines Erachtens von vorn herein ein Irrweg, wenn man einen weltwirtschaftlich durchschnittlichen Arbeitszeitaufwand für das “gleiche” Erzeugnis und auf diese Weise den Preis bestimmen will, denn es ist gar nicht nötig und auch nicht sinnvoll die Preisbildung der Warenmärkte ins sozialistische ökonomische System zu übernehmen. In einem Wirtschaftssystem ohne Warenproduktion benötigt man die Preisbildung der Warenmärkte gar nicht, man benötigt vielmehr eine neue, überlegene Form der Preisbildung.
Das Problem des möglicherweise großen Aufwands aller Formen der Preisbestimmung, die auf einer direkten Ermittlung der aufgewandten Arbeitszeit basieren, könnte meines Erachtens mit einer anderen, näherliegenden Methode vermieden werden, und zwar durch eine Methode, durch die letztlich ebenfalls arbeitszeitbestimmte Preise gebildet werden könnten. Wenn der sozialistische Staat die zirkulierende Geldmenge planmäßig mit der Rate des Wachstums der neu aufgewandten Gesamtarbeitszeit wachsen läßt, dann wächst auch die monetäre Gesamtnachfrage und das Gesamtprodukt der Volkswirtschaft nominal etwa mit der Rate der Arbeitzeit. Und wenn die Summe des Werts aller Produkte arbeitszeitbestimmt ist, dann sind auch die Werte und Preise der Einzelprodukte im volkswirtschaftlichen Durchschnitt arbeitszeitbestimmt. Wenn in diesem Fall, also unter Ausschaltung der Inflation, die Werte und Preise der Einzelprodukte durch die individuellen betrieblichen Kosten und einen Aufschlag auf diese Kosten bestimmt werden, der durch den Staat als Steueraufschlag vorgegeben wird, so daß die Wert- und Preisformel gilt, dann erhält man nicht nur eine Preisbildung, die durch die betrieblichen Kosten und einen Anteil für die öffentlichen Kosten (Steueraufschlag) bestimmt ist, sondern man erhält auch Preise, die im volkswirtschaftlichen Durchschnitt arbeitszeitbestimmt sind. Mehr ist meines Erachtens in der ersten Entwicklungsetappe der sozialistischen Wirtschaft nicht nötig. (Eine ausführliche Beschreibung dieser Preisbildungsmethode findet man im Buch “Modell einer sozialistischen Marktwirtschaft”, Abschnitt 3.4.2.) Und diese Methode basiert auf Kostenrechnungen, wie sie ohnehin heute schon in der Wirtschaftspraxis üblich sind. Ein übermäßiger Aufwand zur Bestimmung der Preise fällt bei einer solchen Kostenpreisbildung mit Sicherheit nicht an. Es handelt sich in diesem Fall um eine reine Kostenpreisbildung, d.h. der Preis ist bestimmt durch die betrieblichen Kosten und einen Steueraufschlag, der den anteiligen öffentlichen Kosten entspricht. Wenn der Steueraufschlagsatz richtig vorgegeben ist, dann realisiert der Staat Steuereinnahmen in solchem Gesamtbetrag, daß alle öffentlichen Kosten gedeckt werden können, einschließlich der Kosten für die sozialen Sicherungssysteme und für den Zuwachs des produktiven Vermögens des sozialistischen Unternehmenssektors, also einschließlich der Geldmittel, die dem Nationaleinkommen für die erweiterte Reproduktion entnommen werden müssen. Ein Gewinnaufschlag wird völlig überflüssig. Alle Kosten der Unternehmen und des Staates könnten beständig gedeckt werden, wenn die Preise durch die betrieblichen Kosten zuzüglich einem richtig bemessenen Steueraufschlag gebildet werden würden.
Wenn aber in einem postkapitalistischen System der Gewinn nicht mehr Maß der Leistung der Unternehmen sein kann, was dann?
An sich liegt es auf der Hand, daß die Steigerung der Arbeitsproduktivität die wichtigste Kennziffer für die ökonomische Leistung bzw. für die Leistungsverbesserung ist. Die Arbeitsproduktivität ist definiert als das Verhältnis des produzierten Gebrauchswerts Q zur insgesamt aufgewandten Arbeitszeit t, also einschließlich der Arbeitszeit, die in den ver-brauchten Produktionsmitteln steckt. Es gilt für die Arbeitsproduktivität allgemein . Aber in einem System der Warenwirtschaft mit ihrem Wert- und Preisbildungssystem ist die im Produkt enthaltene Arbeitszeit t nicht bekannt. Die Messung der Steigerung der Arbeits-produktivität ist daher in der Warenwirtschaft nur in sehr eingeschränkter Form möglich.
Wenn hingegen in einem sozialistischen Wirtschaftssystem die Zeitpreisbildung praktiziert wird, entweder durch direkte Ermittlung der aufgewandten Arbeitszeit, oder nach der Kostenpreisbildung , dann wird die Messung der Steigerung der Arbeitsproduk-tivität von einem Jahr zum nächsten Jahr ganz einfach, solange sich die Gebrauchswerte pro Mengeneinheit bzw. die Qualität der Produkte des Unternehmens innerhalb der Jahrsperiode nicht ändern. Wenn durch ein Unternehmen mehrere Erzeugnistypen hergestellt werden, vielleicht auch mit ganz unterschiedlichen Mengeneinheiten, Stück, kg, l usw., dann kann die Steigerung der Produktion real, also die Steigerung der produzierten Mengen der Erzeugnisse bewertet mit konstanten Preisen, als Index für die aggregierte Mengensteigerung (Steigerung der Produktion real) verwendet werden. Und bei unverändertem Gebrauchswert pro Erzeugnis-einheit gibt damit die Steigerung der Produktion real die Steigerung des Gebrauchswerts insgesamt an. (Die Ermittelung der betrieblichen Produktion real , also der Produktion bei konstanten Preisen, war übrigens auch in der DDR-Praxis üblich). Und wenn die Preise genau oder annähernd durch die individuell aufgewandte Arbeitszeit bestimmt werden, dann ändert sich die Produktion nominal Y etwa proportional zur insgesamt aufgewandten Arbeitszeit t, und damit kann die Steigerung der Arbeitsproduktivität einfach als Verhältnis der Produktion real zur Produktion nominal Y gemessen werden. Es gilt dann für die Steigerung der Arbeitsproduk-tivität von der 0.Periode zur 1.Periode , vorausgesetzt, wie gesagt, daß der Gebrauchswert aller Erzeugnisse sich innerhalb des Jahres nicht ändert. Steigt die Produktion real des Betriebes und damit die Gesamtmenge z.B. von Geldeinheiten auf Geldeinheiten, und bleibt die insgesamt aufgewandte Arbeitszeit und damit die Produktion nominal unverändert, dann steigt die Arbeitsproduktivität um 10%. Mit dem gleichen Aufwand an Arbeitszeit sind dann 10% mehr Produkte des gleichen Typs bzw. des gleichen Gebrauchswerts hergestellt worden.
Der Wert des Produkts (Produktion nominal) setzt sich aus den Anlageproduktionsmittelkosten (Abschreibungen) den Umlaufproduktionsmittelkosten (Vorleistungen), darunter den Materialkosten, sowie dem neu produzierten Wert N zusammen, so daß gilt. Der neu produzierte Wert enthält die Lohnkosten und die Steuern ST, wobei letztere in ihrer Gesamtheit die öffentlichen Kosten decken müssen. Wenn daher im Jahr die gleiche Menge produziert wird, und wenn gleichzeitig die Gesamtkosten gesenkt werden, dann steigt die Arbeitsproduktivität. Also bei dieser neuen Methode der Berechnung der Arbeitsproduktivitätssteigerung, die in einem System mit arbeitszeitbasierten Preisen möglich wird, wird die Senkung der Kosten bei gleicher Mengenproduktion belohnt. Bei entsprechender Belohnung könnte eine solche Triebkraft zur Kostensenkung sogar stärker wirken als die Triebkraft zur Kostensenkung im Profitsystem. Prinzip wäre es dann also, das Betriebskollektiv für Steigerungen der Arbeitsproduktivität reichlich zu belohnen.
Wenn die Erzeugnisse des Unternehmens innerhalb des Jahres in der Qualität bzw. im Gebrauchswert verbessert werden, dann kann die Produktion real mit einem Index der Gebrauchswertsteigerung multipliziert werden, so daß für die Steigerung der Arbeits-produktivität gilt. Der Index der Gebrauchswertsteigerung muß zwar zumeist subjektiv eingeschätzt werden, aber der Käufer auf dem Markt schätzt den Gebrauchswert des Produkts in der Regel ja ebenfalls subjektiv ein. Eine Verschlechterung im Vergleich zur Warenwirtschaft ergibt sich dadurch also nicht. Und das Kombinat kann den Index der Gebrauchswertsteigerung für seine Betriebe jederzeit so festlegen, daß hineichende Anreize für Qualitätsverbesserungen gesetzt werden. Und selbst dann, wenn nur Mengensteigerungen und Kostensenkungen berücksichtigt werden, verfügt man über eine gute universelle Kennziffer zur Messung der Steigerung der betrieblichen Leistung.
Gäbe es eine Preisbildung durch die Arbeitszeit, dann könnte die Steigerung der Arbeitsproduk-tivität also sehr einfach ermittelt und als universelle ökonomische Leistungskennziffer genutzt werden. Sie könnte eine stärkere und wirksamere Triebkraft werden als die Steigerung der Arbeitsproduktivität über den Umweg des Profitsystems.
Wolfgang Hoss,
Berlin