Arne Taube:
Zur letzten Etappe der Programmdiskussion und zum Verlauf des Parteitags der DKP
Frühjahr letzten Jahres gab der Parteivorstand der DKP einen von vier Autoren – H. H. Holz, Nina Hager, Leo Mayer und Willi Gerns – erarbeiteten Text in die Partei, der als Diskussionsgrundlage für ein neues Parteiprogramm dienen sollte. Es wurde gefordert, diesen Text in allen Parteigliederungen zu diskutieren, um nach Belieben Änderungsanträge zu formulieren und bis spätestens Anfang dieses Jahres einzusenden, damit sie von der Autorengruppe nach Möglichkeit eingearbeitet werden könnten.
Recht unvermittelt erschien dann im Laufe des (verflossenen) Jahres ein Antrag des Parteivorstandes (PV) an den anstehenden (im April abgehaltenen) Parteitag, fordernd, nicht als Entwurf, sondern gleich als fertiges Programm solle die Diskussionsgrundlage verabschiedet werden. Eigentlich war nämlich vorgesehen, nur einen Entwurf abzustimmen, der als Basismaterial für die weitere Diskussion genutzt werden sollte – denn es hing das Diskutieren im dauernden Durchkreuzen und wieder Verwerfen diverser Papiere gewissermaßen unbeweglich in der Luft und bedurfte eines verbindlicheren Dokumentes, um nicht alle Kontur zu verlieren; auch schien es unwahrscheinlich, die disparaten Positionen in einem Programm vereinen zu können. Geplant war also, die Diskussionsgrundlage vorerst unter Mitarbeit der gesamten Partei zu einem Entwurf zu profilieren, aus dem später das eigentliche Programm gestrickt werden sollte.
Einfach besehen könnte sich so der Verdacht ergeben, der Parteivorstand habe mit seinem Vorgehen die Partei übereilt, wenn nicht überrumpelt, und in einem Hauruck-Verfahren ein Programm vom Zaun gebrochen. Betrachtet man die Diskussion jedoch näher, bietet sich eine andere Situation.
Die letzten Schritte
Wie gesagt wurde von Seiten des PV darauf gedrungen, die Diskussionsgrundlage in allen Gliederungen zu diskutieren, um kritische oder ergänzende Anträge einzubringen. Kritik sollte dabei nicht in die Parteizellen eingeschlossen bleiben, vielmehr wurde gewünscht, diese auch parteiöffentlich vorzutragen, wozu die UZ eine Diskussionstribüne einrichtete. Jedoch verlief die Diskussion in den Gliederungen – soweit meine vielleicht subjektive Wahrnehmung reicht – relativ schleppend: der Verschleiß eines vieljährigen Ventilierens immer wieder vorgebrachter programmatischer Aussagen und Gegenaussage[5] machte sich auf der letzten, entscheidenden Wegstrecke bemerkbar. Alle Argumente waren schon zig mal getauscht, und wenig Lust war mehr vorhanden, für oder gegen die altbekannten Positionen – Überraschendes war in der Diskussionsgrundlage ja nicht enthalten – immer wieder bereits tausendmal Vernommenes vorzubringen.
Dies spiegelte sich darin wider, daß gerade einmal drei UZ-Diskussionstribünen im Zeitraum eines dreiviertel Jahres eingerichtet werden mußten. Dort geäußerte Kritik blieb häufig an der Oberfläche (schlechter Stil etc.), war teils richtig, hielt sich aber auch im Richtigen häufig an den Nebensachen auf. Eine Kritik, in der gebotenen Entschiedenheit gegen die Teile zum Imperialismus und Sozialismus gerichtet, fehlte – wobei unwahrscheinlich ist, daß die Redaktion hier Eingesandtes unterdrückte.
Insgesamt ist es den ‚orthodoxen’ Kritikern der programmatischen Linie des Parteivorstands nicht gelungen, ein koordiniertes und konzentriertes Handeln zu entwickeln, um bestimmend in die Diskussion – die mithin zu einer im Wesentlichen akzeptierenden, um Nebensachen gelagerten wurde – einzugreifen; derlei zeichnete sich nie ab und schien auch nirgends wirklich angestrebt worden zu sein. Zwar gab es teils prätentiöse Gegenentwürfe zu ganzen Abschnitten, aber sie wurden eben unabgesprochen und durcheinander, mal von Einzelpersonen, mal von Landesorganisationen vorgebracht, waren von teils recht durchwachsener Qualität und widersprachen sich mitunter gegenseitig in ihren vorgebrachten Theoremen. In desperatem Aktionismus vereinzelt und unabgestimmt, bei welch gutem Willen auch immer vorgebracht, waren sie verurteilt, zur Wirkungslosigkeit zu verpuffen.[6]
Bis zum Endtermin zu Jahresanfang waren dennoch 270 Anträge eingelaufen, die – soweit sie freilich ins Grundkonzept paßten – von der Autorengruppe bis Anfang Februar in die Diskussionsgrundlage eingearbeitet wurden. Zu diesem erneuerten Text nun konnte die Parteibasis Änderungsanträge an den Parteitag stellen, die auf diesem abgestimmt werden sollten, um das Ganze dann als fertiges Programm zu verabschieden. Insgesamt gingen hierzu – bei recht knapper Frist – 345 Anträge ein: zum Abschluß kam also doch noch Bewegung in die Partei.
Der Entwurf, der in Reaktion auf jene 270 Anträge Anfang Februar in die Partei gegeben wurde, war teils gravierend umgearbeitet, verfügte über einen halbwegs akzeptablen Stil – obgleich in weiten Teilen immer noch in einem unglaublich schwerfälligen Beamtendeutsch geschrieben – und erwies sich mitunter als deutlich qualifizierter. Doch blieb der Imperialismusteil weiterhin ein Kompromiß – allerdings ein falscher, da mit deutlicher Schlagseite nach Kautsky[7] hin. Auch problematische Thesen, die man problemlos hätte streichen können, ohne dem Kautsky was zu vergeben, schienen mit einer Hartnäckigkeit sich festgekrallt zu haben, daß kein Antrag daran etwas ändern konnte: so wurde noch immer eine neue Qualität der Spekulation ausgemacht, sie sei „zum zentralen Instrument der Kapitalverwertung“[8] geworden; noch immer wurde der kapitalistische Staat als ein Klassenneutrum vorgestellt, in dessen Souveränität erst im jetzigen „Neoliberalismus“ die Kapitalisten sich einmischten, und noch immer existierte unverändert ein ganzer Abschnitt zur Europäischen Union, in dem ein eurokommunistischer Ton dominierend ist: kaum ein theoretischer Notstand ist auszumachen, der gegenüber der Diskussionsgrundlage beglichen worden wäre (und auch im verabschiedeten Programm blieb all dies unangetastet). Es ist allerdings davon auszugehen, daß Anträge nur ignoriert wurden, wenn zum selben Punkt nur Vereinzeltes vorlag, man also von keinen Mehrheiten ausgehen konnte, im Gegenteil vorhandene, im Schweigen zustimmende verletzen mußte, wenn man Vereinzeltem zuliebe änderte. Zwar weiß ich von einzelnen Anträgen, die begründet die Streichung der benannten Stellen verlangten, aber auch, daß in Diskussionsveranstaltungen, in denen dem Programm kritisch gegenüberstehende Genossen mehrheitlich zugegen waren, diese Stellen mitunter keine Beachtung oder umgekehrt Zustimmung fanden: die Kritiker waren eben in Vielem sich uneins, wodurch die kritische Linie zersplitterte.
An Nebenschauplätzen und Detailformulierungen wurde im Abschnitt zum Imperialismus aber derart gefeilt, daß hierzu reichlich Anträge eingegangen sein müssen, denen auch Beachtung geschenkt wurde. Da sprang dann schon ins Auge, daß zum Sozialismus überhaupt nichts überarbeitet, nur ein Satz eingefügt wurde, welcher einzelne Opfergruppen des Terrors aufzählt. Nicht einmal stilistische Abwandlungen waren hier merklich. Ergo: hierzu konnten Anträge nur in verschwindender Zahl eingegangen sein, was bedeutet, daß die Parteibasis mit diesem Teil wenigstens im Groben übereinstimmt oder sich zumindest unentschlossen zustimmend verhält. Das ist eine Katastrophe, heißt dies doch, der Partei in ihrer Breite und Tiefe ist der Begriff des Kommunismus abhanden gekommen. Genauer ging auch hier wiederum mindestens ein Antrag ein, der auf Streichung und Ersetzung des gesamten Abschnittes abzielte, dem unsicheren Reformsozialismus mit seinen offenen Eigentumsformen einen gediegneren Kommunismusbegriff auf Grundlage des „Anti-Dührings“ und der „Kritik am Gothaer Programm“ von Marx entgegenzustellen suchte und zum Parteitag wieder eingebracht wurde. Seine Nichtbeachtung ist durch die offenbare Vereinzelung und die allgemeine Rückhaltlosigkeit solchen Unternehmens in der Partei allerdings legitimiert.
Der Parteitag
Mit dem Wiedereinbringen zum Parteitag war längst keine Hoffnung auf einen Erfolg mehr verbunden, jedoch sollte ein Anstoß gegeben werden, nach dem Parteitag in diese Richtung die Diskussion zu forcieren. Überhaupt konnten grundlegende Änderungsanträge jetzt nur noch diese strategische Funktion haben, da vorweg klar war, wie die Mehrheiten in der Partei aussehen. Eine weitere Diskussion müßte dabei eben wesentlich den Sozialismusteil kritisch sprengen, denn in letzter Instanz, bei aller sonstigen Kritik am Abschnitt zum Imperialismus, ist hier das Entscheidende gegeben, worin die DKP ihr Profil als kommunistische Partei verliert und zu einer Partei (klein-)bürgerlichen Reformsozialismus zu verfallen droht, indem das „zentralistisch administrative Sozialismusmodell“, wie es im Programm heißt, also der Zentralismus des Kommunismus als auf Basis des Gemeineigentums an den Produktionsmitteln gesellschaftlich geplante, bewußt durchdrungene Organisation gesellschaftlicher Arbeit, verworfen ist als zu überwindender Historismus[9]. Damit wird Grundlegendes, was durch Marx in der „Kritik des Gothaer-Programms“, durch Engels im „Anti-Dühring“ erfaßt, verlassen; damit ist verlassen, was durch Marx Kapitalanalyse als die Gesellschaft hindurchscheint, die der Arbeit entspricht, die in der Maschinerie der großen Industrie in ihrem gesellschaftlichen Charakter entfaltet ist: der Kommunismus. All dies wird verlassen und durch einen utopischen Sozialismus ersetzt.
Welche Änderungen zum Sozialismus-Abschnitt beschloß nun der Parteitag? Nichts wurde verändert, außer daß nun die Länder des realen Sozialismus als frühsozialistische charakterisiert werden, die es nicht über ein nur erst „frühes Entwicklungsstadium des Sozialismus“ herausgebracht haben[10]. Es scheint also hier doch noch einer mehr als der besagte Antrag eingegangen zu sein und Mehrheiten gefunden zu haben. Das Wenige, was geändert, ist gleich wieder ein Sprung in eine katastrophale Richtung. Das ist Bruch mit dem Gewesenen, das wesentlich bereits die Realisierung der ersten Phase des Kommunismus war, auch wenn die damalige Theorie ihre Schwierigkeiten hatte, dies in den verwirklichten Verhältnissen zu erkennen. Das ist Bruch, der trügerische Freiräume schafft, in denen nichts als künftiger Bankrott haust und die fahrig und bestimmungslos schon jetzt nur lähmend wirken.
Die Abstimmungsverhältnisse auf dem Parteitag waren eindeutig: Dreiviertel der Delegierten votierten für die Verabschiedung des Programms, die übrigen stimmten dagegen oder enthielten sich. Daß – was ja einzig zu hoffen war – auf dem Parteitag sich Positionen kristallisierten, an denen ein Fortgang der Diskussion abzulesen gewesen wäre, trat nicht ein: zu inhaltlichen Diskussionen einzelner Anträge kam es überhaupt nicht mehr. Diese wurden in Blöcken abgestimmt und waren bereits mit einer Empfehlung auf Annahme oder Ablehnung versehen, der stets gefolgt wurde, sonst hätte auch die Gefahr der Sprengung des Parteitags bestanden und der Wille der Parteimehrheit, gleich was es koste endlich ein Programm zu beschließen, war eindeutig. Aus all dem – daß Anträge in Blöcken abzustimmen, kein Raum für inhaltliche Diskussionen blieb, sowie Gäste und nicht delegierte Genossen, was sonst nicht die Norm, vom Parteitag ausgeschlossen waren – könnte geschlossen werden, es habe sich um formal fragwürdige Überrumpelungsaktionen des Parteivorstands gegenüber kritischen Teilen der Basis gehandelt. Aber der Ablauf war nichts anderes als Ausdruck der Bewußtseinslage und der Mehrheitsverhältnisse in der Partei. Hätte man noch ein Jahr länger diskutiert, Gäste zugelassen, jeden Antrag einzeln, auch inhaltlich diskutiert: nichts Wesentliches hätte sich geändert. Zwar lehnten etliche Delegierte den Entwurf mit der Begründung ab, es sei ja vorgesehen gewesen, kein neues Programm, sondern eben erst einen Entwurf zu verabschieden, der erst weiter zu qualifizieren sei. Bei der ersichtlichen Mehrheitslage in der Partei wäre dies aber nur ein Aufschub mit gleichem Resultat gewesen: es war kein Wille mehr vorhanden, schon längst Ausgemachtes noch einmal durchzukauen, die Mehrheit zur Akzeptanz des Textes als Programm entschieden.
Die Kräfteverhältnisse erwiesen sich als derart eindeutig, daß dem PV sogar eine zugeständige Gutwilligkeit gegenüber ihm eigentlich mißliebigen Positionen einzuräumen ist, denn angesichts des Verlaufs der Diskussion ist kaum anzunehmen, daß die Verhältnisse auf dem Parteitag bedeutend zuungunsten der durch den PV vertretenen Linie ins Rutschen geraten wären, hätte man die wenigen gegenüber den ‚Orthodoxen’ zugeständigen Passagen im Entwurf gänzlich eliminiert. Mag der PV ideologisch mit diesen Genossen auch nicht im Einvernehmen stehen, scheint er sie doch nicht vergraulen, gar aus der Partei haben zu wollen. Und sicherlich war die – wenn auch zerstreute – Mühsal der Parteilinken zuletzt doch nicht gänzlich umsonst.
Konsequenzen
Ich selbst, als Mitglied der DKP, respektiere das Programm zunächst als in überragender demokratischer Mehrheit zustandegekommen. Diese, nicht dunkle Ränke des Parteivorstands, stehen wesentlich dahinter. Inhaltlich aber ist mir als Kommunist die Akzeptanz des Programms durch seinen Gehalt selbst verwehrt. Heißt dies nun, die DKP habe von der Mission der Arbeiterklasse sich abgelöst und es sei für einen Kommunisten an der Zeit, auszutreten? Mitnichten. Angesichts der verwesenden gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse der BRD, diesem hinter allem Menschenrechtsgefrömmel zu allen Verbrechen aufgelegten, banalsten, erbärmlichsten und hinterhältig feig gemeinsten aller imperialistischen Länder, das sich geistverlassenen Behagens grunzend suhlt in schwärzester Reaktion[11], ist das Programm noch immer ein revolutionäres. Den Grund des strengen Kommunismus hat es in seinem Sozialismusteil zwar vorerst verlassen, ist nur noch eines der extrem linken Sozialdemokratie im guten alten Sinne, mehr USPD als KPD. Aber darin Enthaltenes bedeutet in seiner Durchsetzung tatsächlich proletarische Revolution, auch wenn man, nach Programm, danach beginnt mit etwelchen phantastischen Eigentumsformen herumzuexperimentieren und sich an basisdemokratischen Marginalien aufhält, der eigentliche Kommunismus in der Ökonomie nicht mehr erfaßt ist.
Aber es ist eben im Programm der Antagonismus von Bourgeoisie und Proletariat deutlich enthalten, die Notwendigkeit, daß die Kapitalisten zu enteignen sind, kein Ausgleich mit ihnen zu haben und ihre anarchische Produktion durch eine gesamtgesellschaftlich geplante zu ersetzen ist – was freilich durch die Abschnitte zum Sozialismus wieder konterkariert wird. Es ist enthalten, daß dies nicht auf parlamentarischem Weg, nur revolutionär und nur zentral organisiert durch eine kommunistische Partei zu erreichen ist – wenngleich die Avantgarderolle tendenziell dementiert ist und selbst noch für den Sozialismus behauptet wird, die Partei stehe im freien Wettbewerb mit anderen gesellschaftlichen Kräften um die besten Initiativen. Und nicht zuletzt ist enthalten, das in der Revolution Erreichte sei mit allen Mitteln, selbstredend also auch reaktiver Gewalt, gegen Anschläge der Bourgeoisie zu verteidigen. Die DKP ist also von einem Zustand des ideologischen Zerfalls, in dem sich die kommunistischen Parteien der übrigen imperialistischen Staaten befinden, noch immer unendlich entfernt, was nicht bedeutet, daß sie in Zukunft davor gefeit ist, nicht auch in solchen überzugehen – der Verlauf der Diskussion zeigt, daß auch jetzt schon Raum für ein bedeutend schlechteres Programm gewesen wäre. Jedoch markieren noch immer das errungene Programm wie die Partei als Organisation eine Position, die nur urteilen läßt, daß die Arbeiterklasse in der BRD heute de facto über keine Organisation verfügt, die so entschieden wie die DKP ihre Interessen vertritt: sie ist die größte Organisation der revolutionären Linken, besitzt vorerst eine in den Rudimenten noch immer revolutionäre Programmatik – wie mangelhaft sie gemessen an den Forderungen der Klassiker auch erscheint – und ist auf dem Gebiet der alten BRD zumindest teilweise recht gut gewerkschaftlich verbunden. Hieraus folgt, daß auch mit dem neuen Programm jedem Kommunisten weiterhin zu raten ist, in die DKP einzutreten (oder zumindest die Nähe zu suchen), sich dabei jedoch ihrer organisatorischen und programmatischen Schwächen bewußt zu sein.
Kritik an der DKP kann keine zerschlagende, sie muß eine aufhelfende sein, auch wenn die Partei in der Regel solche „Anmaßung“ verärgert ablehnen wird. Prinzip der Kritik muß sein, zur Rückgewinnung kommunistischen Begreifens in der DKP zu wirken. Eine Reorganisation entschieden kommunistischen Kampfes kann nach derzeitigem Stand nicht ohne und nicht gegen, nur in solidarischer Verzahnung mit den Genossen der DKP und aus dieser heraus erfolgen. Angesichts der Kräfteverhältnisse in der Partei und der ideologischen Zersplittertheit selbst noch der Parteilinken kann dies nahezu aussichtslos erscheinen, aber die Verhältnisse diktieren dies.
Perspektive
In der nächsten Zeit, vielleicht sogar in den nächsten Jahren wird programmatisch in der Partei wenig zu bewegen sein – obgleich alle Gelegenheiten, am Programm zu bessern, genutzt werden müssen. Die Mehrheiten sind eindeutig, die Mitglieder auf noch nicht absehbare Zeit nicht willens, fundamental in Fundamentalem wie den Abschnitten zum Imperialismus und Sozialismus zu ändern. Daher wohl auch die Stille, die seit dem Parteitag über die Partei ausgebreitet ist und in einem seltsamen Mißverhältnis steht zur vorigen, in vielen Dokumenten belegbaren, schon ans Hysterische reichenden Nervosität des Parteivorstands gegenüber der Diskussion, sowie zum Eifer, mit dem von der Parteilinken Papiere vorbereitet und Initiativen ausgerufen (und oft auf halbem Wege mutlos eingestellt) wurden, so daß zuletzt aller Hader und Aufruhr ein Sturm im Wasserglas gewesen zu sein scheint, der jedoch in den besseren Stellen des Programms seine Spuren hinterlassen hat.
So wird sich nun die orthodoxe Richtung weniger durch und sei es auch noch so bündige Argumentation durchsetzen können als vielmehr – was bliebe denn auch sonst noch? – durch konkrete Praxis, was bedeutet, das labyrinthische Reformgeflecht, in welches das Programm in seinen auf die gegenwärtige Politik abzielenden Teilen sich verstrickt, mit wirklich revolutionären Losungen und Aktionen lichten zu müssen. Denn es ist ja schleierhaft, wie man die werktätigen Massen für etwas ihrer unmittelbaren Lebenslage derart Entlegenes wie die „demokratische Einflußnahme auf den staatsmonopolistischen Regulierungsmechanismus“, die „Heranbildung kritisch denkender mündiger Staatsbürger“[12] oder die „demokratische Kontrolle über die Entwicklung und Anwendung von Wissenschaft und Technik“ zum Kampf mobilisieren will, zumal es zuvor ja schon in opportunistischem Tonfall bremsend hieß, daß die „Spielräume“ für Reformen der „enormen Staatsverschuldung“ wegen „außerordentlich eng geworden sind.“ Daß man Banken enteignen und Schulden, die nichts als imaginäre Anspruchstitel auf überhaupt noch nicht geleistete Arbeit sind, annullieren kann, ohne daß davon ein Sack Reis irgendwo umfällt, höchstens ein paar Kapitalisten in Tränen und Deklamieren ausbrechen, was niemanden zu interessieren braucht, sei hier nur nebenher erwähnt. Es bleibt der Parteilinken nun wenig mehr, als diesen Programmpunkten, die unmittelbar ein wirkungslos verpuffendes Handeln anlegen, wirklich revolutionär mobilisierende Aktionen entgegenzusetzen – die um so schwerer Resonanz erwarten können, als noch immer die Kernteile der Arbeiterklasse in der BRD durch die Zerstörung des Kommunismus, die eigene Gewerkschaftsführung, Reihenhaus und Kulturindustrie konformistisch narkotisiert sind. Gelingt ihnen die Entwicklung einer solchen wirklichen Arbeiterpolitik in der Partei, dann erst können die Parteilinken, mit einer ganz neuen Autorität versehen, einen wesentlich ändernden Einfluß auf das Programm erlangen, wohingegen jetzt noch der Mehrheit der Basis jedes theoretische Argumentieren gegen die Abschnitte zum Imperialismus und Sozialismus – zu Unrecht freilich – als abgehoben scholastisch erscheinen wird. Es wäre so auch für die offen-siv bedenkenswert, jene Entwicklung nach Möglichkeit ebenso solidarisch wie kritisch zu unterstützen.
Arne Taube,
Mahlow
Anmerkungen:
- Genauer ziehen sie sich ja schon seit beinah einem Jahrhundert eintönig durch die Arbeiterbewegung.
- Hervorgehoben sei allerdings die von Parteilinken initiierte Zeitschrift „Theorie und Praxis“ in der wertvolle Texte auch zur konkreten Politik zu finden sind. Auf den Parteitag scheint sie aber keine nennenswerte Wirkung gehabt zu haben. Die Notwendigkeit ihres weiteren Erscheinens bleibt hiervon unberührt.
- Fällt denn eigentlich keinem Vertreter dieser Ultraimperialismus-Linie auf, wie absurd die Vorstellung ist, einstmals möge ja Lenin gegen Kautsky Recht gehabt haben – denn niemand in der DKP würde dies für Lenins Zeit in Abrede stellen -, nun aber, im neuen Imperialismus, bekomme plötzlich Kautsky gegen Lenin recht? Verliefe Geschichte so, wäre sie keine dialektisch Vernunft entfaltende mehr, sondern ein sinnloser Treppenwitz, mit dem sich näher zu beschäftigen nichts taugte.
- Dies und alle weiteren Zitate sind dem Programm der DKP entnommen. Zur These sei bemerkt, Kapital kann nur im Produktionsprozeß, nur als produktives Kapital sich verwerten: nur hier, in der Ausbeutung der Arbeitskraft der Produzenten entsteht Mehrwert, verwertet sich Kapital. Niemals in der Spekulation, in welcher die Kapitalisten untereinander sich um schon aus den Proletariern herausgeschlagnen Mehrwert ‚erleichtern’. Sie ist kein Instrument der Kapitalverwertung, am allerwenigsten ein zentrales.
- Vgl. Hermann Jacobs, Über den Sozialismus und die DKP, offen-siv Nr. 3/2006
- Völlig rätselhaft, wie man derlei annehmen, und noch immer für etwas kämpfen kann, daß bei seiner ersten Realisierung über sieben Dekaden nicht übers bloß Embryonale sich zu erheben vermochte. Wäre ich von so etwas überzeugt, ich legte die Hände in den Schoß und wartete auf den Messias. Das wäre dann nämlich aussichtsreicher.
- Erinnert sei an Atomwaffen-Merkel, die Chirac zustimmte, Frankreich könne den Terrorismus unterstützende Länder nuklear und präventiv vertilgen, und die dennoch von allen geliebt wird. Erinnert sei weiterhin an den Bund der Sudetendeutschen, die jüngst unter dem Motto „Vertreibung ist Völkermord“, recht lebendig diese Behauptung prompt Lügen strafend, tagten, wobei jedes von der Presse abfotografierte Gesicht die Redewendung von der häßlichen Fratze des Imperialismus mit neuem Leben erfüllte. Erinnert sei zuletzt an die so armselige wie entsprechend omnipräsente Plapperpuppe des Antikommunismus, den unverwüstlichen Hubertus Knabe („Hohenschönhausen ist das Dachau des Kommunismus“) und die eben verflossene Fußball-WM, durch deren Stadien, wenn die Auswahl der BRD nicht spielte, es lauthals in Sprechchören schallte: „Wer ein Deutscher ist, steht auf! Wer ein Deutscher ist, steht auf! Wer … etc“ – und die sämtlich Geistesschwachen standen auf. Angesichts dieses konzentrierten, gutgelaunt grinsenden Schwachsinns, der in keinem imperialistischen Land mit ähnlicher Unappetitlichkeit zu finden, ist das DKP-Programm eben wirklich ein revolutionärer Hort der Vernunft.
- Wohlgemerkt: es geht hier um Reformen innerhalb des kapitalistischen Systems. Seltsam, warum sich Kommunisten ins Programm schreiben sollten, mündig mit ihrem kapitalistischen Staat sich identifizierende Bürger heranzubilden. Als Kommunist, Antagonist aller bürgerlichen Verhältnisse, sollte man es doch eigentlich, frei nach Marx, auf die Zerschlagung der bürgerlichen Staatsmaschine, satt auf die Züchtung kritischer Patrioten abgesehen haben, die ihre einfältige Nationalhymne um so begeisterter absingen werden, je freier die kapitalistischen Verhältnisse ihnen ein Kritisieren gestatten. Jedenfalls werfen ungebildete Muschiks sich oft entschiedener in eine Revolution, als kritisch mündige Staatsbürger, die bildungsbegüterten Trottel des Mittelstands – durch die ja doch nur Privateigentum und Großkapital bauchrednern – die immer wachsam sind, daß bei allem Kritisieren die geheiligten, verfassungsmäßigen Verhältnisse nicht angetastet werden.