„G Strich, Kleine Geschichte des Kapitalismus“

Fritz Dittmar:
Georg Fülberth
„G Strich, Kleine Geschichte des Kapitalismus“

Gut, das Jahrtausend war nichts. Sprechen wir
Von Nummer drei, Genossen, oder vier!
Peter Hacks

Mit diesem „bescheidenen“ Zeitrahmen gibt sich Genosse Fülberth in seinen Betrachtungen nicht zufrieden. „Wie lange das (Funktionieren des Kapitalismus) möglich sein wird, ist unbekannt… Angeblich könnte das Sonnensystem rein physikalisch gesehen weitere 5 Milliarden Jahre währen.“

Ich habe nach dem ersten Befremden über den Auszug in der UZ das Buch gelesen, durchaus an manchen Stellen mit Gewinn. Dennoch würde ich es jungen Genossen nicht empfehlen. Das liegt weniger an inhaltlichen Differenzen in der Darstellung einzelner Aspekte als an der generellen Tendenz.

Zur Einleitung: F sieht sein Buch als Einstieg in eine neue Wissenschaft, die er Kapitalistik nennt. Von der politischen Ökonomie grenzt er sie in mehreren Aspekten ab.

Zum einen will er in die Kapitalistik „Gesellschafts-, Geistes-, Rechts-, und Wirtschaftswissenschaften“ und evl. auch Naturwissenschaft einbeziehen. Das scheint ihm in der bisherigen politischen Ökonomie zu fehlen.

Zum anderen meint er wegen dieser angeblichen Mängel zur Aufgabestellung der Kapitalistik: „Es kömmt…nicht sofort darauf an, die Welt…zu verändern, sondern zu verstehen.“ Schon gar nichts will F mit dem „Wissenschaftlichen Kommunismus“ gemeinsam haben, wie er im Realsozialismus betrieben wurde. Das diente laut F nur der „Selbstbestätigung einer bestehenden…Gesellschaft“.

In beiden Aspekten möchte ich ihm entschieden widersprechen:

Um nur Marx, Engels und Lenin zu nennen, so haben sie sich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit über den Kapitalismus nicht auf politische Ökonomie in engerem Sinne beschränkt. Ich nenne als bekannte Werke den „Anti – Dühring“, „Bürgerkrieg in Frankreich“, „der 18. Brumaire“, „Dialektik der Natur“, „Der Anteil der Arbeit an der Menschwerdung…“, „Materialismus und Empirio – Kritizismus“, „Was tun?“, „Staat und Revolution“, „der linke Radikalismus…“. In allen diesen Werken habe ich den inneren Zusammenhang mit der politischen Ökonomie gesehen, ebenso wie in der gesamten journalistischen Tätigkeit von Engels. Und in seinem Hauptwerk zur politischen Ökonomie, dem Kapital, greift Marx in dem Kapitel über die ursprüngliche Akkumulation weit über die Grenzen des engeren Fachgebiets hinaus, ganz im Sinne von Fs Kapitalistik. Nichts gegen einen Appell, diese Arbeit fortzusetzen und ihr Gebiet auszudehnen, aber die Idee scheint mir nicht so neu oder originell, dass sie die Einführung eines neuen Wissenschaftsgebiets rechtfertigen würde.

Und zu Fs Umformulierung der Feuerbachthese muss ich seine Einschränkung „nicht sofort“ interpretieren. Meint er, der Kapitalismus sei noch nicht so weit entwickelt, dass man planvoll an seinem Sturz arbeiten könne, oder meint er, der Kapitalismus sei dafür noch nicht genügend erforscht? Für letzteres spricht die Aufgabenstellung, den Kapitalismus zu verstehen, für ersteres die Dauer, die F für die Fortexistenz des Kapitalismus in Betracht zieht.

Ich würde beides anlehnen. Weder ist der Kapitalismus das unbekannte Wesen, über das nur vage Vermutungen vorliegen, noch zeichnet sich für mich eine stabile Entwicklung des Kapitalismus ohne Krisen und ernsthafte Erschütterungen ab. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Programmdiskussion, die gegenwärtig in der DKP geführt wird, und hierbei insbesondere auf die Argumentation aus dem Umfeld Holz/Köbele.

Die Arbeiten des „Wissenschaftlichen Kommunismus“ in Bausch und Bogen als Apologetik und Verherrlichung abzutun, erscheint mir reichlich voreilig. Ich denke, zur Aufarbeitung des Realsozialismus gehört stattdessen eine Sichtung dieser Literatur. Wir müssen wissen, was sie zur wissenschaftlichen Erkenntnis beigetragen hat, und auch, ob sie zum Teil des Problems geworden ist.

Zum Theorieteil: Nach Definition grundlegender Begriffe der Ökonomie behauptet F, „Kapitalismus – spezifisch sind (von diesen Begriffen) nur drei: Gewinn, Investition und Kapital“. Lohn und Lohnarbeit sind für ihn nicht kapitalismus – spezifisch. Hiermit verabschiedet sich F von dem zentralen Punkt der marxschen Analyse. Bei diesem bilden Lohnarbeit und Kapital die Seiten im dialektischen Widerspruch des Kapital – Verhältnisses.

F mag einwenden, dass Jahrhunderte des Handelskapitalismus dem industriellen vorausgingen. Für den Handelskapitalismus hat er aber als wesentliche Quelle des Gewinns die Intransparenz der Märkte angegeben, also eine notwendig nur temporäre Erscheinung. Auf längere Sicht bleiben als Gewinnquellen des Handelskapitals die Dienstleistung der Arbeiter, die den Transport  bewältigen, und der Anteil am industriellen Profit, der die verkürzte Unschlagdauer des Kapitals „entlohnt“.

Wenn aber F schon im Ansatz seiner  Darstellung die Bedeutung der Lohnarbeit gering schätzt, ihre wunderbare Eigenschaft, mehr Wert produzieren zu können als sie enthält, so muss es ihm auch schwer werden, die Perspektive des Kapitalismus richtig zu beurteilen.

F referiert die historische Entwicklung ökonomischer Theorien. Er teilt die Auffassung bürgerlicher Theoretiker, dass mit der Marxschen Theorie von Arbeitswert und Mehrwert die Preise der Waren nicht erklärt werden können. Das begründet er mit dem Widerspruch zwischen Preisen entsprechend der Arbeitszeit und dem Ausgleich der Profitraten zwischen Unternehmen mit unterschiedlichen organischen Zusammensetzungen ihrer Kapiltale. „Die Preise lassen sich nicht in reiner Form auf Arbeitswerte zurückführen. Damit ist auch der Profit nicht alternativlos als Mehrwert darstellbar. Die Mehrwerttheorie gilt nicht als falsch, aber als redundant….Die Frage nach der Quelle des Gewinns (ist) wieder offen.“. Diese Konsequenz scheint mir in keinem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung des noch nicht gelösten Problems zu stehen. Es ist vielmehr so, als hätten die Mediziner, als sie den Eisprung noch nicht kannten und auf das Problem der unfruchtbaren Tage stießen, wegen dieses Problems behauptet: „ Die Theorie der Nachkommen – Zeugung durch Geschlechtsverkehr gilt nicht als falsch, aber als redundant…Die Frage nach der Herkunft der Kinder ist wieder offen.“.

F stellt schlüssig dar, dass reine Darstellung der Preise über die Arbeitswerte bei unterschiedlicher organischer Zusammensetzung verschiedenen Kapitale zu unterschiedlichen Profitraten führen würde. Er sieht die Debatte um dieses Thema „mittlerweile als abgeschlossen“ an, stellt aber im Folgenden dar, dass keine der späteren ökonomischen Theorien das Entstehen von Gewinn als gesetzmäßiges und nicht nur ausnahmsweises  Ergebnis der kapitalistischen Produktion erklärt oder dass sie die Frage nach der Quelle des „regulären“ Gewinns ignorieren. Akzeptiert man diese Lage der Theoriebildung, so gibt man einen wissenschaftlichen Anspruch an die politische Ökonomie überhaupt auf. Eine Theorie, die die nach F zentrale Voraussetzung des Kapitalismus, den Gewinn, zur Ausnahmeerscheinung erklärt, schlägt der täglichen Erfahrung so krass ins Gesicht, dass sich darüber nicht zu sprechen lohnt. Was immer wir mit den Kapitalisten vorhaben, es wäre doch schlicht inhuman, dass der durchschnittliche Kapitalist mitten im Kapitalismus einfach verhungern sollte.

Und wenn Schumpeter nur noch den „Extraprofit“ für Innovationen betrachtet, so übergeht er schnöde das Interesse des Arbeiters, der vielleicht gerne wissen möchte, wieso auch der nicht – innovative Boss täglich reicher wird, im Gegensatz zu ihm selbst. (Siehe Fußnote!)

Den ersten Teil des Abschnitts „Geschichte“ fand ich lesenswert. Ich möchte ihn auch allen interessierten, politisch gefestigten Genossen empfehlen. Für mich war er ein gut geschriebenes, gut lesbares Repetitorium. Darüber hinaus berücksichtigte er viele, auch neuere Forschungsergebnisse, die mir nicht bekannt waren. Z.B. wusste ich bisher noch nichts über die Ansätze zu eigenständiger kapitalistischer Entwicklung in Indien, Japan und China. An manchen Punkten hatte ich Widersprüche und ungeklärte Fragen, aber das mindert für mich nicht den Wert dieses Abschnitts, auch als Anregung zu weiteren Studien.

Je näher die Darstellung aber an die Gegenwart herankam, umso mehr wuchs mein Unbehagen. Das beginnt mit Fs Darstellung des ersten Weltkriegs. Auf vier Seiten (215 -220) geht er auf viele Einzelaspekte und Details ein. Dabei kriegt z.B. die Bedrohung des Adelsprivilegs auf die deutschen Offiziersstellen fast das Gewicht einer Kriegsursache, obwohl sicher jedem Politiker und Militär klar sein musste, dass gerade der Krieg mit seinen Millionenheeren das Privileg vernichten musste. Vollständig ignoriert F die von Lenin im „Imperialismus als höchstes Stadium…“ aufgeworfene These, dass Imperialismus die ungleichmäßige Entwicklung der Zentren gesetzmäßig hervorbringt, und dass hieraus notwendig Versuche folgen, die Aufteilung der Welt gewaltsam dem veränderten Kräfteverhältnis anzupassen. Wenn diese These zutrifft, rückt das schon allein die Frage nach der möglichen Dauer des Kapitalismus in ein ganz anderes Licht.

Die Oktoberrevolution und die SU bis zum Ende des zweiten Weltkriegs handelt F auf knapp vier Seiten ab. Das verwundert schon sehr. Ich bin mir sicher: Hätte es mitten im Feudalismus ein Beispiel gegeben, dass ein kapitalistischer Staat sich trotz andauernder Aggression des Ancien Regimes in 50 Jahren zur zweiten Weltmacht aufgeschwungen hätte und dann nach 20 Jahren Niedergang wieder verschwunden wäre, dann hätte F diesem Phänomen wohl intensivste Aufmerksamkeit und gründlichste Analyse gewidmet. Stattdessen teilt er über den Sozialismus solche Belanglosigkeiten mit, wie, dass Stalins Name eigentlich Dschugaschwili ist. (Die entsprechenden Informationen über Lenin/Uljanow und Trotzki/Bronstein scheint ihm weniger mitteilenswert.) Die vier Seiten bieten eine äußerst oberflächliche Beschreibung der SU – Geschichte als einer Zeit von Krieg, Not und Terror. Wie es die SU vermocht hat, unter den äußerst ungünstigen Voraussetzungen ein ökonomisches, politisches und soziales System zu werden, das den Faschismus besiegen konnte, bleibt hierbei unverständlich. F könnte einwenden, dass der Sozialismus nicht sein Thema war. Aber auch sein goldenes Zeitalter des „wohlfahrtsstaatlichen Kapitalismus“ von 45 bis 73 wird m.E. nur verständlich, wenn man die Bereitschaft der Kapitalisten in Rechnung stellt, angesichts der bedrohlichen   Systemkonkurrenz die Proleten in den Metropolen bei Laune zu halten.

Dasselbe gilt für Fs Darstellung des „neoliberalen Kapitalismus“ seit 1974. Er beschreibt die Rückkehr zu Formen der „Sozialpolitik“, die zum Teil schon seit hundert Jahren überwunden waren. Zur Erklärung dieses radikalen Wechsels in der Wirtschafts – und Sozialpolitik führt er einen Paradigmenwechsel in der ökonomischen Diskussion an, erklärt aber nicht, welche politischen und ökonomischen Entwicklungen den Wechsel herbeiführten. Wer am materialistischen Ansatz festhalten will, sollte doch versuchen, die Entwicklung der Ideen , hier der ökonomischen Theorien, als Reflex von Entwicklungen in der Realität zu erklären, statt umgekehrt.

Ein platter, aber vielleicht dennoch diskussionswürdiger Ansatz könnte ja sein, dass die von 45 bis 73 zugestandenen Konzessionen mit der Krise des Realsozialismus nicht mehr so nötig erschienen und seit 89 gänzlich zur Disposition stehen.

Absoluten Widerspruch fordert das letzte Kapitel dieses Abschnitts, „Ende des Kapitalismus?“ heraus. F hält eine weitere Dauer von 500 Jahren für plausibel, hält aber auch astronomische Zeiträume für denkbar, wie eingangs zitiert. Zu dieser Betrachtung kommt er nach Kritik verschiedener, z.T. mathematischer Modelle des Kapitalismus von mehr oder weniger bekannten, mehr oder weniger marxistischen Autoren wie Marx selbst, Lenin, Hilferding, Luxemburg, Bauer, Bucharin und Kurz. All diesen bescheinigt er, dass sich aus ihren Theorien nicht zwingend ein ökonomischer Zusammenbruch ergibt. So weit, so gut, oder auch nicht.

Ich kenne allerdings keinen marxistischen Autor, der die Aufgabe einer siegreichen Revolution durch den Selbstlauf der kapitalistischen Ökonomie ersetzen will. Aus gutem Grund: Die Beispiele revolutionärer Krisen aus der Geschichte hatten nichts mit einem allgemeinen Zusammenbruch der kapitalistischen Ökonomie zu tun. Ich nenne als wichtigste 1848, die Pariser Commune, 1905 und 1917 in Russland, 1918 in Deutschland, die Zerschlagung des deutschen Faschismus 1945. In all diesen Krisen ging es nicht um einen Zusammenbruch der kapitalistischen Verwertungsmechanismen. Bis auf 1848 waren sie alle Folgen von (verlorenen) Kriegen.

Umgekehrt: Die einzige ökonomische Krise, die weltweit die Fortexistenz des Kapitalismus in Frage zu stellen schien, die von 1929 nach dem „schwarzen Freitag“, führte nicht zu revolutionären politischen Krisen.

Als Beleg für die unvorhersehbar lange mögliche Dauer führt F die auch heute noch wachsenden Produktivkräfte im Kapitalismus an. Zur Bekräftigung zitiert er Marx: „ Eine Gesellschaftsordnung geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist…“ Seine Anwendung dieses Zitats auf den heutigen Kapitalismus scheint mit einseitig. Ich verstehe Marx an dieser Stelle so: Wenn die heranreifende neue Gesellschaft prinzipiell die Produktivkräfte schneller und effektiver entwickeln kann als die vorhandene, ist die Umwälzung historisch herangereift, auch wenn die alte Gesellschaft noch irgendwie funktioniert und sogar noch den einen oder anderen Entwicklungsschritt leisten kann. Ein Beispiel: In der deutschen Bildungspolitik wurde unter dem Sputnik – Schock die Bildung reformiert und das allgemeine Niveau deutlich angehoben. (Abiturientenanteile von 33% statt früher 5% der Bevölkerung). Seit aber die Systemkonkurrenz fehlt, geht es heftig rückwärts, wie die PISA – Ergebnisse zeigen.

Ob der Kapitalismus reif zum Untergang ist, hängt also davon ab, ob er insgesamt zu einer Fessel der Produktivkraft – Entwicklung geworden ist, ob der Sozialismus hierin leistungsfähiger ist. Für F. ist diese Frage absolut offen, bis dahin, ob es überhaupt der Sozialismus ist, der gegebenenfalls den Kapitalismus ablöst.

„Der Politik“ stellt F. für die unüberschaubare Restlaufzeit des Kapitalismus zwei Aufgaben:

„1. die Gefahren dieses Gesellschaftssystems… zu blockieren“ und

„2. dafür zu sorgen, dass (Naturwissenschaft, Technik und Medizin) zur Erleichterung des menschlichen Lebens genutzt werden.“ Dem folgt eine höchst mystische Andeutung: „Dabei wird sich zeigen,…wie lange eine solche Praxis möglich ist, ohne dass „die materiellen Existenzbedingungen“ für „neue höhere Produktionsverhältnisse… ausgebrütet worden sind.“

Hier zeigt sich ein verhängnisvoller Mangel in Fs Kapitalistik. Er teilt nicht die Einsicht in das Wesen des Staats, wie es von Engels in „Ursprung der Familie…“, von Marx in „Kritik des Gothaer Programms“ und von Lenin in „Staat und Revolution“ herausgearbeitet wurde. Der Staat im herrschenden Kapitalismus ist danach Staat der Kapitalisten, ihre Diktatur, unabhängig von der jeweiligen Verfasstheit des Staats. Er dient dazu, ihre Herrschaft zu sichern und ihre Interessen durchzusetzen. Da aber zu diesen Interessen eben das gehört, was F als „die Gefahren dieses Gesellschaftssystems“ bezeichnet, die es zu blockieren gelte, nämlich „ Krieg, Verschleiß von Resourcen…und Ausbeutung“ und da die „Erleichterung des menschlichen Lebens“ leider nicht oder höchstens als Nebeneffekt beim Streben nach Profit die Kapitalisten interessiert, muss es sich nicht mehr zeigen, „ob …eine solche Praxis möglich ist“ Es sollte Kommunisten vielmehr klar sein, dass eine solche Politik im Rahmen des Kapitalismus irreal ist. Sie kann nur auf den alten, ausgetretenen Pfad des Opportunismus führen, den vor uns Sozialdemokraten und Grüne, PDS und Attac gegangen sind oder noch gehen, und der vielleicht auf Ministersessel führt, aber gewiss nicht zu einer Humanisierung des Kapitalismus.

Fritz Dittmar, Hamburg

Anhang:

Ich akzeptiere, dass in einem noch nicht von Monopolen geprägten Markt über den Konkurrenzmechanismus ein Ausgleich der Profitraten stattfinden musste, und dass dann eine Übereinstimmung der Preise mit den Werten nicht möglich war.

Man muss aber weiterhin die Erklärung des Gewinns in der Gesellschaft aus dem Mehrwert beibehalten und das Verhältnis der Preise zu den Arbeitswerten erklären. Dies will ich an einem Beispiel erläutern:

Das Kapital einer Gesellschaft bestehe aus 48 Teilen, von denen 12 Teile in einem Bereich 1 mit einer organischen Zusammensetzung c1:v1 = 2 eingesetzt werde und  36 Teile mit c2:v2 = 1. Somit wäre c1 = 8, v1 = 4, c2 = v2 = 18.

Die Mehrwertrate betrage in beiden Bereichen 150%. Dann wäre m1 = 6 und m2 = 27. In der gesamten Gesellschaft wäre der Mehrwert 6+27 = 33, und die gesellschaftliche Profitrate

33 : 48 = 68,75%. (Die unkorrigierte Profitrate in Bereich 1 wäre 6 :12 = 50%, und in Bereich 2  27 : 36 = 75%.)

Um die beiden Profitraten dem gesellschaftlichen Durchschnitt anzugleichen, müssen wir für die Preise der Produkte Korrekturfaktoren f1 und f2 einführen. Der Ansatz muss sein, dass in beiden Bereichen der Preis des Produkts das 1,6875 – fache des eingesetzten Kapitals beträgt.

Für Bereich 1: (12 + 6) * f1 = 1,6875 * 12,

also                                  f1 = 1,6875 * 12 : 18 = 1,125,

das heißt, die Preise in diesem Bereich würden um 12,5% von den Arbeitswerten nach oben abweichen.

Für Bereich 2: (36 + 27) * f2 = 1,6875 * 36,

also                                    f2 = 1,6875 * 36 : 63 = 0,9643 = 1 – 0,0357,

das heißt, die Preise in diesem Bereich würden um 3,57% nach unten korrigiert.

Diese Korrekturen finde ich nicht so aufregend, dass ich wie F ihretwegen die Frage nach der Quelle des Gewinns für offen halten würde. (Hinzu kommt, dass die Korrekturen geringer ausfallen, wenn man realistischere Werte für die organische Zusammensetzung annimmt. Setzt man in die Rechnung für die Zusammensetzungen 19 und 14 ein statt 2 und 1, ergeben sich als Preiskorrekturen 1,74% Anhebung  bzw. 0,57% Absenkung)

Es ist klar, dass das Beispiel ausgearbeitet werden müsste. Zum einen müsste die Verteilung des gesamten gesellschaftlichen Kapitals nach  organischer Zusammensetzung und Mehrwertraten berücksichtigt werden, zum anderen die Preiskorrekturen, die bereits in v und c enthalten sein könnten. Das wäre eine aufwändige Arbeit. Letzten Endes müsst man für die Gesellschaft eine Buchführung der Arbeitszeiten neben die vorhandene Buchführung der Preise stellen. Ich sehe aber nicht ein, warum sie nicht grundsätzlich möglich sein sollte und die realen Preise nicht sollte erklären können (so weit sie nicht heute ohnehin durch Monopolbildung modifiziert sind).