Dr. Siegmar Eßbach:
Zum „Triumph” unserer Regierung
Wie immer die wirtschaftliche, soziale, kulturelle o. dergl. Situation in Deutschland auch ist, die rosa-grüne Regierung mit ihrem Chef Gerhard Schröder bejubelt sie als einen großen Erfolg ihrer Reformpolitik.
Über 5 Millionen Arbeitslose – eine Arbeitslosenzahl, wie es sie bisher in Deutschland noch nie gegeben hat – eine skandalöse Zahl für ein so reiches Land wie die BRD, wo die Profite ständig ins unermeßliche steigen, die Reichen immer reicher werden und die Zahl der Bürger, die unterhalb der Armutsgrenze leben immer größer wird. Doch das ist keine Misére, sondern – lt. Wirtschaftsminister Clement – ein „Erfolg der Politik.” Konnte dadurch ja ein statistisches Manko ausgeglichen werden, indem nun diejenigen als arbeitslos erfaßt werden konnten, die arbeiten können, von den Kommunen aber bisher Sozialhilfe bezogen haben!
Die neue „Gesundheitsreform” mit der Entrichtung von 10 € „Eintrittsgeld” beim ersten Arztbesuch im Quartal und der Streichung vieler Medikamente für die Verordnung auf Kassenrezepten, die vom Patienten nur noch auf Privatrezept für den vollen Preis erworben werden können, von der rosa-grünen Regierung 2004 in Kraft gesetzt, feiern die Gesundheitsministerin und die Regierung als Erfolg ihrer Reformpolitik. Dieser „Triumph” wurde und wird von den gleichgeschalteten Medien in gebührlicher Weise verbreitet. Als „Erfolge” wurden und werden besonders gefeiert: Der Rückgang der Zahl an Arztbesuchen, die Senkung des Medikamentenverbrauchs (Lt. Presseberichten haben die Kassen 2004 gegenüber 2003 2,5 Milliarden € = 11% weniger für Medikamente ausgegeben <!>) und der Rückgang der Zahl an Krankmeldungen. Ursachen dafür wurden nicht genannt, wie die Tatsache, daß manche Bürger nicht in der Lage sind (Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Arbeitende mit Mindestlöhnen, alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern und andere), die dafür notwendigen Ausgaben wie Praxisgebühr, Zuzahlung zu Rezepten oder den Preis für auf Privatrezepten verordnete Medikamente aufzubringen. Als Beispiel sei eine junge Frau aus dem Land Brandenburg genannt, die um den Jahreswechsel 2004/05 mit einem starken fieberhaften Infekt nicht zum Arzt ging und das Risiko eingegangen ist, die Erkrankung ins neue Jahr zu verschleppen, weil sie in den letzten Tagen des Jahres nicht 10 € bezahlen und wenige Tage später, im neuen Jahr, nicht gleich wieder 10 € auf den Tisch legen konnte. Und der Rückgang der Tage für Krankschreibungen dürfte doch wohl (sofern es sich bei den Kranken nicht um Beamte handelt) mit der Furcht um den Verlust des Arbeitsplatzes zusammenhängen. Wirklich ein grandioser Erfolg der Gesundheitsreform!
Im Rahmen der Triumphmeldungen ist jedoch nichts dazu gesagt worden, wie viele Kranke deshalb früher als notwendig schon gestorben sind
Durch diese Erfolge der Reform einschließlich der Praxisgebühr konnten die Kassen wieder schwarze Zahlen schreiben und erhebliche Einnahme verbuchen. Anlaß dafür, die Gehälter der Vorständler der Kassen beachtlich zu erhöhen, anstatt die lange vom Gesundheitsministerium geforderte Senkung der Mitgliedsbeiträge für die Versicherten umzusetzen. Diese Amoralität dürfte kaum dazu beitragen, das Vertrauen der Versicherten zu ihren Krankenkassen, die doch die Anwälte ihrer Mitglieder zur Sicherung deren Rechte in Sachen Gesundheit und Leben in dieser Gesellschaft sein sollten, zu wahren.
Die im Jahr 2004 durchgesetzte “Gesundheitsreform” mit ihren üblen Folgen für die Bedürftigsten des Volkes ist jedoch nicht der Anfang der sozialen Barbarei. Sie begann schon gegen Ende der neunziger Jahre gleichsam als Fortsetzung des bereits von der schwarz-gelben Koalition eingeleiteten rigorosen Sozialabbaus insbesondere im Bildungs- und Gesundheitswesen, und das justament zur gleichen Zeit, als der Spitzenfunktionär der PDS, Gregor Gysi, in einem Interview mit dem Tagesspiegel „bezweifelte, daß das gesellschaftliche System in Deutschland ausschließlich kapitalistisch sei”. Er sehe vielmehr „Hunderte von Elementen”, die vom kapitalistischen Standpunkt her nicht erklärbar seien. Als Beispiel nennt er die `Bypass-Operation´ eines Siebzigjährigen, die rein marktwirtschaftlich nicht zu erklären sei. Laut Gysi gäbe es in der BRD einige sozialistische Elemente. Diese aufgestellte Behauptung, daß unsere Gesellschaft nicht nur mehr nur kapitalistisch sei, sondern daß er in ihr sozialistische Elemente erkennen kann, war nicht nur eine isolierte subjektive Meinung, sondern entsprach und entspricht dem Grundkonsens der PDS-Ideologie von der „Transformation des Kapitalismus”. Diese von ihm als modern kreierte Version ist aber nicht neu bzw. „modern”. „Der erste Verfechter der Theorie der ´Transformation des Kapitalismus` war E. Bernstein. In den Arbeiten dieses Ahnherrn des Reformismus aus der Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ist in nahezu fertiger Form das gesamte ´Sortiment` an reformistischen Argumenten und Ideen enthalten, die von heutigen ´Vordenkern` (der PDS) gepflegt werden. Dieses Gedankengut aufgreifend, wollen sie sich als modern präsentieren. Bernstein behauptete bereits in seinen ´Sozialen Problemen`, der Kapitalismus habe sich von Grund auf verändert, die Marxsche Analyse und Theorie seien auf ihn nicht mehr anwendbar. Es war Bernstein, der bereits vor mehr als hundert Jahren im Schoße der kapitalistischen Gesellschaft die ´Keime`, die ´Elemente` der neuen Gesellschaft ´entdeckte`….” (Prof. Dr. Anton Latzo: „Wohin? Der ´dritte Weg´ der PDS”. In: `Mitteilungen der KPF der PDS´, Heft 1/2005, S. 19)
Bei der 1998/99 in vollem Gang befindlichen sogenannten Gesundheitsreform ging es schon damals um den Abbau von Krankenhausbetten, um die Schließung ganzer Krankenhäuser, um die Streichung von Medikamenten, die von Ärzten nicht mehr auf Kassenrezept verordnet werdend dürfen. Es ist eine Tatsache, daß seit dieser Zeit hinter vorgehaltener Hand, und oft auch schon offen, bekrittelt wird, daß die vielen zähen Alten nicht sterben wollen, das Budget der Krankenkassen belasten und die Existenz der jungen Generation gefährden!
Die immer wieder neue Budgetierung der Arzneimittelverordnungen durch die Gesundheitsministerin der Rosa-Grünen Regierung veranlaßte damals den Präsidenten der Bundesärztekammer zu der 1998 zum „Unwort” gekürten Aussage: „Dann müssen die Patienten mit weniger Leistung zufrieden sein, und wir müssen insgesamt überlegen, ob die Zählebigkeit anhalten kann, oder ob wir das sozialverträgliche Frühableben fördern müssen! (Vgl. „junge Welt”, 21. 1. 2000. „Sozialverträgliches Frühableben” ist im „Lexikon der Unwörter” 2000 aufgenommen).
War man damals im Volk der Meinung, schlimmer könne es nicht mehr kommen, so war das weit gefehlt. Wie sich unterdessen gezeigt hat, ist der Erfindungsreichtum der Herrschenden Klasse und der sie vertretenden Regierung zur Auspowerung und Disziplinierung der Besitzlosen, der Armen und Ausgebeuteten unermesslich. Was die sich als Gesundheitsministerin versuchende Sonderschullehrerin neuerdings, offensichtlich mit der „Überlegung vom sozialverträglichen Frühableben” im Hinterkopf, seit 2004 als „Gesundheitsreform” auf den Weg gebracht hat, ist schon der Gipfel der Unmenschlichkeit, und doch kann noch keiner sagen, ob das schon das Ende der asozialen Politik einer menschenfeindlichen Regierung gegenüber den Besitzlosen (und zugunsten der Besitzenden, der Unternehmer, der Konzerne, der Besserverdienenden) sein wird.
Bei der neuen „Gesundheitsreform”, in Verbindung mit „Hartz IV” betrachtet, drängt sich der Verdach auf, daß das Arbeitslosenproblem auf diese Weise, gemäß dem Slogan: „Weil du arm bist mußt du früher sterben” biologisch gelöst werde soll. Mit Hartz dürfte das in einem überschaubaren Zeitraum problemlos zu realisieren sein! Auf diese Weise kann sich ein Staat, eine Gesellschaft von den sogenannten „Ballastexistenzen” auf „elegante Weise” (was heißt, ohne Gewalt wie zu früheren Zeiten) befreien. Das assoziiert bei noch lebenden Bürgern meiner Generation Erinnerungen an eine barbarische Vergangenheit!
1925 veröffentlichte der deutsche Philosoph Ernst Mann (Pseudonym von E. Hofmann) sein Machwerk „Die Erlösung der Menschheit vom Elend”, in dem er die These vertrat, daß die Menschheit sich nur vom Elend erlösen könne, „wenn sie sich von den Elenden”, das heißt, „von den Kranken und Krüppeln befreit…. Das Elend kann nur aus der Welt geschafft werden durch die schmerzlose Vernichtung der Elenden….Wünscht man den Aufstieg eines Volkes, so muß man vor allem dazu beitragen, daß die Zahl der Arbeitsunfähigen möglichst verringert wird – Wer nicht arbeiten kann, soll auch nicht essen”, so seine Devise. (A.a.O., S. 61) Womit er noch über die Forderung des christlichen Apostels Paulus hinausgeht, der da in seinen Briefen schrieb: „So jemand nicht will arbeiten, der soll auch nicht essen”. Mann ersetzt das im Prinzip gerechte will durch das inhumane, barbarische kann.
Unter „Elenden” verstand er alle unheilbar Kranken und alle möglichen Formen von Behinderten: von Blinden über geistig Behinderten bis zu Körperbehinderten und alle anderen Leidenden. Und diese „Ballastexistenzen” sollten nach Ernst Mann „der Vernichtung anheimfallen”! Ärzte, die alles unternehmen, um Kranke gesund zu machen, macht er für die Verelendung der Menschheit mitverantwortlich.
Ernst Mann hat für die wirksame Durchsetzung seiner „Idee” eine effektive Strategie entwickelt. Aufgabe des Arztes sei es nicht, so Mann, schwer kranke Menschen gesund zu machen, sondern dafür zu sorgen, daß eine durchweg kerngesund Bevölkerung ohne „Ballastexistenzen” (ohne Behinderte und Schwerkranke) besteht und erhalten bleibt, was voraussetzt, Wege zu finden, sich ihrer” zu entledigen! Dazu hat Mann seine Idee von „Selektionsärzten” entwickelt. Danach sollten die Wohngebiete (Städte. Dörfer etc.) in Distrikte eingeteilt und für jeden Distrikt ein „Selektionsarzt” eingesetzt werden, der in regelmäßigen Abständen alle Bewohner seines Distrikts zu einer Kontrolluntersuchung zusammenruft, um „das Minderwertige zur Tötung auszulesen”. Wer den Kriterien eines gesunden, leistungsfähigen Bürgers nicht entspricht, hat sein Recht zum Weiterleben verwirkt! Diesen „Selektionsärzten sei Polizeigewalt gegeben, ihr Amt auch gegen den Willen mancher Kranken durchzusetzen”. (a.a.O., S.66)
So makaber einerseits und unrealistisch andererseits eine derartige Vision auch erscheinen mag und als Utopie abgehakt werde könnte, so hat diese Idee bei den Hitlerfaschisten ihre Akzeptanz gefunden. Nachdem bereits 1939 die von dem Leipziger Professor für Kinderheilkunde, Werner Catel, initiierte Kindermordaktion T 4 in Berlin (Tiergartenstraße 4) beschlossen worden war, in deren Verlauf Tausende behinderte Kinder ermordet und psychisch kranke Erwachsene im Gas (wie in Bernburg) umgebracht worden sind, war das für die Hitlerfaschisten die Strategie, wie nach dem Krieg und erhofftem Sieg das deutsche Volk kerngesund seine Führungs-(Unterdrückungs-)Aufgabe gegenüber den besiegten Völkern wahrnehmen kann! Und so wurde denn diese Methode in großem Stil erprobt. Experimentierfeld waren die Konzentrationslager der SS. Als das bekannteste Beispiel sei Auschwitz-Birkenau genannt!
Beim Eintreffen der Transporte mit den Deportierten an den Konzentrationslagern standen die „Selektionsärzte” der SS an der Rampe und wählten die Gefangenen danach aus, wer sich als kräftig und arbeitsfähig für den „Verleih” an Konzerne und sonstige Unternehmen für eine Reichsmark pro Tag (in die Kasse der SS) eignete. Diese durften noch einige Zeit, bis zu ihrer Auspowerung durch die unmenschliche Ausbeutung in der Kriegsindustrie in den Baracken der KZs überleben. Wer jedoch diesen Kriterien nicht entsprach, der durfte von der Rampe aus sofort den Marsch ins Gas antreten: Mütter mit ihren Kindern auf dem Arm und an der Hand, Alte, Kranke und Schwache, die sich nach langem Transport kaum noch auf den Beinen halten konnten,
Diese von den Faschisten vorprogrammierte Lösung ist dem deutschen Volk Dank ihrer Zerschlagung durch die Sowjetarmee und ihrer Verbündeten erspart geblieben!
Es dürfte nicht uninteressant sein zu wissen, daß besagter Ernst Mann von sich behauptete, daß er mit den Faschisten nichts gemein hatte und auch nicht in ihrer Partei war. Das zeigt, daß man nicht unbedingt in einer faschistischen oder neofaschistischen Partei organisiert sein muß, um eine solcherart konservativ-verbrecherische oder angenäherte Ideologien zu entwickeln. Wenn sich heute manche konservativen Politiker „demokratischer” Parteien unterschiedlicher Farben und Funktionäre des Industrie- und Bankkapitals äußern, erleben wir das ja fast täglich. Ein klassisches Beispiel dazu hat ja gerade eben der „Jugendfunktionär” der „Freien Demokraten” mit seiner Aufforderung an die Alten, den „Löffel abzugeben”, geliefert. Auch die Ausfälle von Merkel, Hund, Klose u.a. gegen das im Gespräch befindliche Antidiskriminierungsgesetz liefern beredte Beispiele usw. Was uns die Mahnung Julis Fuciks: „Menschen, ich hatte Euch lieb. Seid wachsam!” aufdrängt.
Bei der Ungewißheit, was von der heutigen und der künftigen Regierung noch alles an asozialen „Reformen” zum Schaden der Lohnabhängigen, der Arbeitslosen, der Obdachlosen, Behinderten, Kranken und sonstigen sozial Schwachen in die Wege geleitet wird, ist man versucht zu fragen, wie lange sich das die unmittelbar und am meisten Betroffenen noch gefallen lassen werden!
Es gab und gibt Proteste. Jedoch noch nicht ausreichend koordiniert und organisiert. Und diese, oft noch durch kleinlichen Streit zwischen den Organisatoren über Art und Form der Proteste zersplitterten Aktionen haben nicht die erwarteten Ergebnisse gezeigt. Millionen empörte Bürger sind, getrennt marschierend, gegen „Hartz IV” auf die Straße gegangen, ohne daß die Regierenden hinreichend beeindruckt waren. Das ist die „Demokratie” in unserem Land, die doch korrekt „Volksherrschaft” heißt! Der Wille von „Millionen Volk” in diesem Land wird ignoriert, und eine handvoll Regierender macht, im Interesse der besitzenden Klasse, gegen dieses Volk was sie will. Dem „national und global agierenden Kapital” und der es stützenden und schützenden Regierung ist es „in den letzten Jahren gelungen – nicht zuletzt begünstigt durch die erfolgreiche Konterrevolution und der Zerstörung des Sozialismus in Europa – den Widerstand der Arbeiterklasse und ihrer oft getrennt marschierenden Organisationen in Grenzen zu halten. Spalten und einzeln schlagen: Das ist die Methode des Kapitals. Dem müssen wir – jetzt! – die Schaffung der Aktionseinheit der Kommunisten, Sozialisten und aller anderen antiimperialistischen Organisationen und Kräfte entgegenstellen!, schreibt der Chefredakteur von „Die Rote Fahne”, Uwe Langer, im Leitartikel von „Die Rote Fahne” Januar 2005 auf Seite 2. Dieses Angebot ist sehr ernst gemeint auch für Genossen der Basis in sich als links verstehenden Parteien, die nicht (bzw. noch nicht) durch Diskriminierung anderer linker Parteien und durch das revisionistische Geschwätz ihrer Führung ideologisch deformiert worden sind.
Dr. Sigmar Eßbach, Berlin