Hans Heinz Holz: Es gilt, die Einheit der Gegensätze herzustellen
Antwort auf Repliken zum Artikel »Richtungskämpfe müssen ausgefochten werden«, junge Welt, 20.01.2005
Visualisierung wirkt heute nachdrücklicher als Verbalisierung. Die redaktionelle Bildbeigabe zu meiner Analyse der in den kommunistischen Parteien Europas bestehenden Richtungsgegensätzen hat offenbar mehr Erregung hervorgerufen als die Analyse selbst. Eine Zeitung hat natürlich ein berechtigtes Interesse, das Allgemeine auf das besondere Aktuelle zu beziehen. Wenn aber bei Lesern der Eindruck entstanden ist, es gehe in der DKP um einen Streit zwischen Personen, so möchte ich das korrigieren. Ich wollte zeigen, daß es aus historischen Gründen in der gegenwärtigen Phase der Neuformierung weltpolitischer Fronten zwei Tendenzen im Kampf gegen den Imperialismus gibt; daß diese Tendenzen einen objektiven Widerspruch der Situation widerspiegeln; und daß es für die kommunistische Bewegung verhängnisvoll wäre, wenn nicht beide Tendenzen zusammen das Bewußtsein und die Handlungsbreite kommunistischer Parteien bestimmen: defensiv bis reformerisch (nicht reformistisch!) und offensiv bis revolutionär. Die Dominanz der einen Richtung würde zu einer »Sozialdemokratisierung« führen, die Dominanz der anderen Richtung geriete in die Gefahr eines abenteuerlichen Linksradikalismus. Dialektik ist das Aushalten und Fruchtbarmachen dieses Widerspruchs. Natürlich wird sich dies in Personen manifestieren, die die unterschiedlichen Positionen vertreten – aber auf dem Boden der Einheit der Partei und des gegenseitigen Respekts. Niemand kann den Anspruch erheben, die alleinige Wahrheit zu besitzen. Als Wissenschaftler halte ich es mit der relativen Wahrheit im Sinne von Lenins Erkenntnistheorie, dies jedoch mit der Genauigkeit des Begriffs, gegen pluralistische Beliebigkeit und postmodernen Firlefanz.
Argumente gefragt
In der Tat haben Heinz Stehr und ich in einigen grundsätzlichen Fragen verschiedene Auffassungen – z.B. über das Verständnis der Avantgarde-Rolle der Partei, über die Vorstellungen von einem zukünftigen Sozialismus, über die Ursachen der Niederlage von 1989. Aber nicht darum ging es mir’ und ich habe mich bisher auch jeder publizistischen Polemik enthalten, Argumente und nicht Anwürfe müssen ausgetauscht werden. Durch prononciert einseitige Stellungnahmen hat Heinz sich in die Schußlinie kritischer Genossen gebracht. Das ist nicht gut, in der Funktion eines Parteivorsitzenden liegt die Aufgabe der Integration, nicht der Polarisierung. Ich fürchte nicht, wie Robert Steigerwald meint, daß die Partei in Richtung auf Reformismus abdriftet; nach einigen hundert Parteiveranstaltungen in den letzten Jahren glaube ich, die Basis der DKP gut genug zu kennen, um diesem Defätismus nicht zu verfallen. Aber ich bemerke mit Besorgnis, daß die begriffliche Klarheit und politische Eindeutigkeit in den Verlautbarungen der Parteiführung zu verschwimmen droht, und ich messe mit Robert und vielen anderen Genossen der ideologischen Arbeit erstrangige Bedeutung für die Stabilität und Handlungsfähigkelt der Partei bei.
Richtig ist der Hinweis von Pierette, daß in der Analyse auch die veränderte Klassensituation hätte berücksichtigt werden müssen (was ja auch bei Robert anklingt). In den Metropolen des Imperialismus konnte das Kapital unter dem Druck der Systemkonkurrenz mit dem Sozialismus die Arbeiterklasse durch spürbare soziale Zugeständnisse in dem Glauben wiegen, eine reformistische Politik werde den Kapitalismus entschärfen. Zudem veränderte die Verschiebung im Gewicht von Produktions- und Dienstleistungssektor die Bewußtseinslage der Lohnabhängigen — und Klassenbewußtsein gehört nun einmal zur Konstitution einer »Klasse für sich«. Aber der grundlegende Gegensatz zwischen Lohnarbeit und Kapital ist damit nicht aufgehoben, und der aus der Akkumulation des Kapitals entspringende Selbstwiderspruch der kapitalistischen Gesellschaft bleibt deren Bewegungsform. Das bedeutet, daß marxistische Theorie die soziologische Veränderung der Klassenverhältnisse im Rahmen der Konstanz des Klassenkampfes analysieren muß. Und nur wenn sie diese ihre Erkenntnisse in das gemeinsame Handeln mit Bündnispartnern in den Protestbewegungen einbringt, erweist sich eine kommunistische Partei eben als kommunistische. Das gilt für alle europäischen Länder und vor allem für jene Kommunisten, die nach einer Regierungsbeteiligung schielen.
Wir leben in einer Phase weltpolitischer Transformationen und Übergänge. Daß dabei Einschätzungsdifferenzen auftreten, die zu unterschiedlichen Strategien führen, versteht sich von selbst. Der Streit darum ist ein Zeichen für die Lebendigkeit der Partei, er sollte deshalb auch lebhaft geführt werden. Ich fürchte allerdings, daß es manchen an der Bereitschaft fehlt, die Positionen zusammenzuführen und die »Einheit der Gegensätze« (Lenin) herzustellen. Einseitigkeiten durchsetzen zu wollen, müßte die Partei zerreißen und lähmen. Vor dieser Gefahr wollte ich warnen, indem ich über ihre Ursprünge nachdachte. Die offene Diskussion darüber kann nur nützen, sie muß zum Stil kommunistischer Selbstverständigung gehören. junge Welt, 20. 1. 2005,
Hans Heinz Holz, S. Abbondio