Hermann Jacobs:
Ist die DKP fertig? Wie fertig? Noch eine Antwort auf eine Antwort von Hans Heinz Holz
Ich hatte schon befürchtet, dass es aus den Reihen der DKP zu überhaupt keiner Reaktion auf die in „offen-siv“ geübten Kritiken an der Programmdebatte und am Programm selbst kommen würde – ein Jahr ist schon vergangen. Nun doch Hans Heinz Holz. Aber was schreibt er?
„Die Zeitschrift ‚offen-siv’ hat in einem Sonderheft eine Tagung ihres Herausgeberkreises zur Analyse des DKP-Programms veröffentlicht. Ihr Ergebnis ist nicht nur kritisch, sondern ablehnend: Das Programm sei revisionistisch, die Partei eine revisionistische. Ich möchte in eine Diskussion darüber nicht eintreten. Zu offenkundig ist – in den Diskussionsvoten noch deutlicher als in den Referaten – die Tendenz, in die DKP einen Zwist zu tragen und die Partei zu zersplittern. Zu wessen Nutzen?“.[22]
Hans Heinz Holz verkennt hier etwas: Die historische Situation für die Arbeiterbewegung – und hier im allgemeinen, nicht nur bezogen auf die DKP – ist aber die einer Zersplitterung, und Zwist als der für sie getroffene innere Ausdruck ist noch untertrieben. Jene Einheit, die die Arbeiterbewegung einmal gekennzeichnet hat, ist gründlich verloren gegangen, der Verlust ist von historischer Dimension. (Wir können die Frage auch nicht auf innerparteiliche Einheit reduzieren.) Wir haben es heute mit einer Arbeiterbewegung zu tun, die ihren Gesellschaftsanspruch aufgegeben hat – indem sie den einst realen aufgegeben hat. Worum wir uns bemühen, ist, die Einheit, d.h. deren Basis, wiederherzustellen – darunter auch für die DKP; deshalb bringen wir – darunter die Autoren der „offen-siv“ – Beiträge in die Debatte ein, in denen wesentliche Aspekte eine Analyse erfahren, die Gegenstand der Zersplitterung, d.h. des Auseinanderdriftens der Arbeiterbewegung sind. Wir betreiben im wesentlichen Ursachen-forschung; Parteien, nicht nur die DKP, sind hierbei unsere Ansprechpartner. Und müssen es sein. Wer denn sonst?
Zweitens: Es wäre falsch zu sagen, die DKP nähme an der allgemeinen Zersplitterung bis hin zur Aufteilung in Gegensätze nicht teil. Im Gegenteil, sie nimmt teil; sie ist selbst ein Ausdruck des Gegensatzes.[23] Denn sie hat sich eine bestimmte Form der Kritik am Sozialismus zu eigen gemacht, soweit er real existierte. Obwohl kommunistische Partei im Kapitalismus, ist sie in diesem Sinne Sozialismuspartei geworden, und muss es sich gefallen lassen, dass sie entsprechend behandelt wird.
Logisch, dass dabei auch die Frage des Revisionismus an sie herantritt, denn diese ist wesentlicher Aspekt der inneren Auseinandersetzung im Sozialismus; er erst brachte seine „modernen“, d.h. seine nur in den Sozialismus fallen könnenden Formen auf. Sie sind nicht originär in der DKP entstanden, das können sie historisch auch nicht, aber indem die DKP sich auf eine bestimmte Seite schlägt – was im übrigen ihr gutes Recht ist, und wir freuen uns darüber, dass die DKP ein Sozialismusverhältnis bewahrt -, ist sie auch diese Seite, und muss nun damit rechnen, dass sie auf Herz und Nieren geprüft wird. In einer Debatte, in der es an sich um einen auf die sozialistische Ökonomie bezogenen Revisionismus geht, ist man nur sozialistisch, wenn man nicht revisionistisch ist. D.h. selbst in einer bekennenden Haltung muss das herausgekehrt sein, Nichtrevisionismus muss bekennendes Element in einem revolutionären Verhältnis zum Sozialismus sein. Damit gibt man zu erkennen, dass man den im Sozialismus aufgetretenen Gegensatz verstanden hat. Man kann beim besten Willen eine solche Fragestellung im Programm der DKP nicht erkennen.
Man muss doch in einer heutigen Programmatik eine Positionierung zum heutigen wesentlichen Gegenstand der inneren Zerrissenheit der Arbeiterbewegung haben, Und das ist nun mal die Revolution in ihrer ökonomischen Form.
Letztlich: Die DKP gibt sich als „fertig“, Hans Heinz Holz hat die Debatte beendet, er sieht die DKP als marxistische bestätigt. Wie werden die Mitglieder der DKP darüber denken, die nun erleben, was „wir“ über den Sozialismus diskutieren und was sie? Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Partei, die an sachlich begründetem Wissen über eine reale geschichtliche Praxis eben jener neuen Gesellschaft, die die Arbeiterbewegung anstrebt, interessiert ist, sich auf Dauer einer Debatte entziehen kann, die sich – so jedenfalls stellt sich die Lage aus Sicht des „offen-siv“ dar – um eben das höhere Wissen über die realen Verhältnisse des Sozialismus bemüht.
Es wird die Meinung in die Welt gesetzt, dass, wer Kritik an der Warenökonomie im real existierenden Sozialismus übe, Linksradikalismus betreibe. Dann war natürlich die Planwirtschaft linksradikal – und damit haben wir den revisionistischen Ansatz am Gesellschafts“modell“ Sozialismus/Kommunismus (egal, ob man sonst, in anderer Beziehung, Marxist bleibt); denn die Planwirtschaft war eine bestimmte erste Art der Überwindung der Wertform als einem gesellschaftlichen Verhältnis; und Rückbildung dieser Entwicklung durch warenökonomische Reformen sind dann Revisionismus. Das ist nun mal so.
Hans Heinz Holz meint (an anderer Stelle seines Beitrages), in „nicht-revolutionären Perioden … lauert die Gefahr des Revisionismus“ („wie auf der anderen Seite scheinrevolutionäre Strategien ins Abseits des Linksradikalismus führen“).
Nein, lieber Hans Heinz Holz: Der Revisionismus bemächtigt sich immer der revolutionären Form, er tritt in einer revolutionären Periode auf, liquidiert das revolutionäre Element des Marxismus/Kommunismus, und dass er sehr früh, vor einigen Jahrzehnten schon im realen Sozialismus seinen Beginn erlebte, schließt nicht aus, dass er in heutigen kommunistischen Parteien im Kapitalismus seine letzten Zuckungen erlebt, wie erleben muss. Auch die vorausgesetzte Form muss ja revidiert werden, dann hat die bürgerliche Gesellschaft ein für alle Mal Ruhe.
Und der Linksradikalismus bekämpft das revolutionäre Element dadurch, dass er es übertreibt, es aus den Bedingungen herausführt, in denen es gedeihen kann. Auch sein Erscheinen ist an die revolutionäre Periode gebunden. Aber Planwirtschaft ist das, was wir verteidigen, und Planwirtschaft war nicht Linksradikalismus. Man darf es sich nicht zu leicht machen.[24]
Unser Problem ist nur, wie lange uns beide Abweichungen beuteln, praktisch wie theoretisch (die theoretische heute mehr). Nichtrevolutionäre Perioden bilden die Freiheitsräume für den Reformismus in seiner direkten Erscheinung, d.h. sie bedeuten den realen Übergang der Arbeiterbewegung in die bürgerliche Gesellschaft, sie sind eine direkt bürgerliche Entwicklung. In solchen Perioden begnügt sich der Reformismus nicht mit dem Revisionismus. Ist es also ein revisionistisches Problem, wenn die so genannten Reformideen der Planwirtschaft, nachdem sie die sozialistischen Parteien ergriffen haben, nun auch in die kommunistischen Parteien innerhalb des Kapitalismus zurückgreifen, so ist aber das eigentliche Problem dieser Parteien, wenn sie sich dem Reformismus, d.h. dem Übergang in die bürgerliche Gesellschaft ausliefern. Als postrevolutionäre Erscheinung ist der Revisionismus eher eine Übergangsform in den Reformismus.
Also, heute geht es real darum, ob ein Revisionismus, der inmitten des Sozialismus hoch gekommen ist, in direkten Reformismus hinüber gleitet. Und wir müssen klarstellen, was seine Grundlage im realen Sozialismus war, wovon alles ausgegangen ist.[25]
Sind wir linksradikal? Übertreiben wir den revolutionären Anspruch? Aber dann müßte dieser ja erst einmal „uns“ gegenüber definiert werden; Man müßte sich also an sich gegen die Warenökonomie aussprechen, um eine „übertriebene Form“ ihrer Negation erkennen zu können. Auch hier wieder fehlt das Wichtigste: Klarheit über die sozialistische Praxis. Bei denen, deren Sinn es ist, die in „offen-siv“ geäußerten Auffassungen „aus der Familie“ auszugrenzen und das – frei nach Lenin – mit dem Argument des linken Radikalismus am ehesten noch erreichen, wird man vergeblich nach einer Analyse der wirklichen „Wert-, Preis-, Geld-Beziehungen“ in der Planwirtschaft suchen. Man erfährt immer nur, mit Reformen wäre es besser gegangen, erfolgreicher verlaufen; ein Versagen der Planwirtschaft „ist immer dabei“.
Die Zeitschrift „öffen-siv“ ist nach meiner Kenntnis die einzige in der gegenwärtigen Arbeiterbewegung (in der Welt), die sich der ökonomischen Form des Revisionismus bzw. der Frage stellt, was denn in Bezug auf die Ökonomie des Sozialismus/Kommunismus nun wirklich revolutionär ist, oder doch wieder nur zur bürgerlichen Form der Ökonomie zurückführen würde. Die Dimension DKP, oder überhaupt erst Arbeiterbewegung unter Bedingung noch des Kapitalismus, ist hier also längst durchbrochen, sie ist auf die sozialistische gesellschaftliche Praxis erweitert.
Es geht gar nicht hauptsächlich darum, dass wir etwas entdecken wollen, was nur in der DKP zu entdecken wäre, sondern es ist etwas zu entdecken, was nur/erst im Sozialismus zu entdecken war, und wir halten daran fest, weil wir trotz der Tatsache, dass es in den sozialistischen Gesellschaften zu einer bürgerlichen Restauration gekommen ist, einen realen Erkenntnisstand über den Sozialismus nicht aufgeben dürfen.
Es reicht nicht, den Sozialismus gegen die bürgerliche Restauration zu verteidigen – wir verteidigen ihn nur, wenn wir uns seiner inneren Kämpfe, gewisser wirklicher Kämpfe in seiner Realität bewußt werden. Und das gehört ins Programm, sonst ist es keines.
Es irrt, wer meint, zur Verteidigung des Sozialismus genüge es, sich gewisser sozialer Errungenschaften, eines umfassenden humanistischen Niveaus auf dem Gebiet der Kultur zu vergewissern, was aber den (ökonomischen usw.) Rest angehe, so sei er „zusammen-gebrochen, weil gescheitert, Sackgasse gewesen, nicht lebensfähig gewesen“. Genau das ist schon Ausdruck des Revisionismus/Reformismus.
Und genau hier haben wir unsere Schwierigkeiten mit den heutigen kommunistischen Parteien, den revolutionären Parteien im Kapitalismus. Sie haben sich diese Sicht auf den Sozialismus übernommen. Sie glauben – in letzter Konsequenz -, dass die Planwirtschaft falsch ist, eine Sackgasse war. Und sie glauben – in der „logischen Folge“ –, dass Planwirtschaft über eine „längere geschichtliche Zeit“ noch durch ein waren- und wertökonomisches System ersetzt bleiben muss.
Wo dies so oder in Variationen weitergetragen wird, geht das Verständnis des Kommunismus verloren, gibt die Bewegung der Arbeiter – „bestätigt durch den Sozialismus“ – ihre gesellschaftliche Kritik an der bürgerlichen Geschichte auf und wird sie früher oder später eine Erscheinungsform des Reformismus.
Hermann Jacobs, Berlin
- [22]„Offen-siv“ 1/2007. Zu: Hans Heinz Holz: „Eine Antwort“, in: „Theorie und Praxis“, Nr. 7, Dezember 2006.
- [23]So einfach, wie Nina Hager die Sache darstellt und wie sie wohl für die DKP gerne gesehen werden möchte, ist das nämlich nicht: „Mit dem Beschluss über unser Parteiprogramm haben wir im vergangenen Jahr die Eigenständigkeit sowie die eindeutige antikapitalistische Orientierung der DKP und ihr sozialistisches Ziel bestätigt“. UZ vom 23. März 2007, Seite 2. Aber das „sozialistische Ziel“ enthält eine Abgrenzung von der gewesenen Realität, und wie antikapitalistisch ist eine – Utopie? Es kann vom Objektiven her keinen anderen Sozialismus geben, der sich gleichfalls der Aufhebung des privaten Eigentums an der Arbeit stellt.
- [24]Der einzige Linksradikalismus, den ich in dieser Frage kenne, führt auf Ideen Trotzkis zurück bzw. bestand in der Idee der sofortigen Abschaffung des Geldes. Aber das war nie Absicht der Planwirtschaft. Wir müssen endlich lernen, zwischen Aufhebung des Geldes und Aufhebung der Wertform der Ware zu unterscheiden – dann verstehen wir die Planwirtschaft und die warenökonomische Kritik des Kommunismus.
- [25]Es versteht sich von selbst, dass ein Reformismus, der auf ein Versagen der Planwirtschaft zurückgeführt werden kann, kein wirklicher Reformismus mehr ist, sondern der Arbeiterbewegung als ein Ausweg aus einem Nichts vorgeführt werden wird. Aber inwiefern unterscheidet sich eine solche absolute und offene Kritik an der Planwirtschaft von einer relativen, die die Planwirtschaft ihres Verhältnisses zur Warenökonomie kritisiert? Vom Wesen her ist das doch der gleiche gesellschaftliche Ansatz, nämlich der der bürgerlichen Ökonomie.