Die Wirtschaftsgeschichte der Sowjetunion von Mitte der 50er Jahre bis zum Ende

Harpal Brar:
Die Wirtschaftsgeschichte der Sowjetunion von Mitte der 50er Jahre bis zum Ende – Grundrisse der ökonomischen Zerstörung des Sozialismus in der UdSSR[10]

UdSSR 1952: „Gegenwärtig existieren bei uns zwei grundlegende Formen der sozialistischen Produktion: die staatliche, volkseigene, und die kollektivwirtschaftliche, die man nicht als volks-eigene bezeichnen kann. In den staatlichen Betrieben sind die Pro­duktionsmittel und die Erzeugnisse der Produktion allgemeines Volkseigentum. In den kollektivwirtschaftlichen Betrie-ben hingegen sind, obwohl die Produktionsmit­tel (Boden, Maschinen) auch dem Staat gehören, die Erzeugnisse der Produktion jedoch Eigentum der einzelnen Kollektivwirtschaften, da es sich in den Kollektiv­wirtschaften sowohl um eigene Arbeit als auch um eigenes Saatgut handelt, wäh­rend die Kollektivwirtschaften über den Boden … faktisch wie über ihr Eigentum verfügen, obwohl sie ihn weder verkaufen noch kaufen, weder verpachten noch ver­pfänden dürfen.

Dieser Umstand führt dazu, daß der Staat nur über die Erzeugnisse der staatlichen Betriebe verfügen kann, während über die kollektivwirtschaftlichen Erzeugnisse nur die Kollektivwirt-schaften als über ihr Eigentum verfügen. Aber die Kollektivwirt­schaften wollen ihre Produkte nicht anders als in Form von Waren veräußern, für die sie im Austausch die von ihnen benötig-ten Waren erhalten wollen. Andere ökono­mische Verbindungen mit der Stadt als Waren-beziehungen, als Austausch durch Kauf und Verkauf sind für die Kollektivwirtschaften gegen-wärtig nicht annehmbar. (…)

Wenn an die Stelle der zwei grundlegenden Produktionssektoren, des staatlichen und des kollek-tivwirtschaftlichen, ein allumfassender Produktionssektor mit dem Verfügungsrecht über alle Konsumgüter des Landes getreten sein wird, dann wird natürlich die Warenzirkulation mit ihrer ‘Geldwirtschaft’ als unnötiges Element der Volkswirtschaft verschwinden.” (Ökonomische Pro-bleme des Sozialismus in der UdSSR, StALIN Werke, Bd. XV, Seiten 268-69)

Mit dem weiteren Wachstum des Sozialismus muß die Warenzirkulation durch ein System des Produktenaustauschs ersetzt werden. „Wir haben noch kein entwickeltes System des Pro-duktenaustauschs”, sagt Stalin, „aber wir haben Keime des Produktenaustauschs… Die Aufgabe besteht darin, diese Kei­me des Produktenaustauschs in allen Zweigen der Landwirtschaft zu fördern, sie zu einem weitverzweigten System des Produktenaustauschs zu entwickeln, damit die Kollektivwirtschaften für ihre Erzeugnisse nicht nur Geld, sondern vor allem die not-wendigen Erzeugnisse erhalten. Ein solches System erfordert eine gewaltige Stei­gerung der von der Stadt an das Dorf gelieferten Produktion, deshalb sollte man es ohne Überstürzung, entsprechend der Anhäufung der von der Stadt hergestellten Erzeugnisse, einführen. Einführen muß man es jedoch unentwegt, ohne zu schwan­ken, indem man Schritt für Schritt den Wirkungsbereich der Warenzirkulation ein­engt und den Wirkungsbereich des Produkten-austauschs erweitert.” (ebd., S. 342-43, Herv. d. H.B.)

Warum war Stalin gegen den Verkauf der grundlegenden Produktionsinstrumente an die Kol-chosen ?

Im folgenden beantworten wir die Frage, warum Stalin sich gegen den Vorschlag von Sanina und Wensher (zwei versteckt revisionistische Ökonomen, die nach 1956 offen Farbe bekannten) sträubte, die in den Maschinen-Traktoren-Stationen zusam­mengefaßten grundlegenden Produk-tionsinstrumente an die Kolchosen zu verkau­fen und sie damit in deren Eigentum übergehen zu lassen, den Staat so von notwendigen Kapitalinvestitionen in die Landwirtschaft zu entlasten und die Verantwortung für den Unterhalt und die Entwicklung der Maschinen-Traktoren-Stationen den Kolchosen selbst zu übertragen.

Stalins Argumente gegen den Vorschlag, die Maschinen-Traktoren-Stationen staatlicherseits an die Kolchosen zu verkaufen, sollte man sich angesichts ihrer Tragwei­te ins Gedächtnis rufen, denn erstens erlebte die sowjetische Landwirtschaft nach Stalins Tod eine erhebliche Schwä-chung und zweitens eine Rückentwicklung, die Degenerierung zum Kapitalismus – und nicht etwa die Anhebung der niederen Stufe des Kommunismus auf seine zweite, höhere Stufe.

Stalin betonte mit Nachdruck, daß – angesichts der Kollektivbewegung und der Aufbau-entwicklung der Kolchosen – der einzige Weg zur Sicherstellung einer höhe­ren Expansionsrate der Kolchosproduktion über die Konzentration der Produktions­instrumente in den Händen des Staates führt. So äußerte er sich zu diesem Punkt:

„Wir alle freuen uns über das kolossale Wachstum der landwirtschaftlichen Pro­duktion unseres Landes, über das Wachstum der Getreideproduktion, der Produkti­on von Baumwolle, Flachs, Zuckerrüben usw. Wo ist die Quelle dieses Wachstums? Die Quelle dieses Wachstums ist die moderne Technik, sind die zahlreichen moder­nen Maschinen, die für alle diese Produk-tionszweige arbeiten. Es handelt sich hier nicht nur um die Technik schlechthin, sondern darum, daß die Technik nicht auf der Stelle treten darf – sie muß sich ständig vervollkommnen -, daß die veraltete Tech­nik ausrangiert und durch eine moderne und die moderne wiederum durch die mo­dernste ersetzt werden muß. Anders ist das Vorwärtsschreiten unserer sozialistischen Land-wirtschaft undenkbar, sind weder die hohen Erträge noch der Überfluß an land­wirtschaftlichen Produkten denkbar. Aber was bedeutet es, Hunderttausende von Rädertraktoren auszurangieren und durch Raupentraktoren zu ersetzen, neue Ma­schinen für, sagen wir, technische Nutz-pflanzen zu schaffen? Das bedeutet Milliar­denausgaben, die sich erst in sechs bis acht Jahren bezahlt machen können. Können etwa unsere Kollektivwirtschaften diese Summen aufbringen, selbst wenn sie Mil­lionäre sind? Nein, das können sie nicht, weil sie nicht in der Lage sind, Milliarden auszugeben, die sich erst in sechs bis acht Jahren bezahlt machen können. Diese Ausgaben kann nur der Staat übernehmen, denn er – und nur er – ist in der Lage, die Verluste auf sich zu nehmen, die entstehen, wenn man die alten Maschinen ausran­giert und durch neue ersetzt, denn er – und nur er – ist in der Lage, diese Verluste sechs bis acht Jahre lang zu ertragen, um erst nach Ablauf dieser Zeit für die von ihm verausgabten Summen entschädigt zu werden.

Was bedeutet es nach alledem, wenn man fordert, daß die MTS den Kollektivwirt­schaften durch Verkauf übereignet werden? Das bedeutet den Kollektivwirtschaften große Verluste zufügen und sie ruinieren, die Mechanisierung der Landwirtschaft ge­fährden und das Tempo der kollek-tivwirtschaftlichen Produktion herabsetzen.

Daraus folgt: Mit ihrem Vorschlag, die MTS den Kollektivwirtschaften durch Ver­kauf zu über-eignen, machen die Genossen Sanina and Wensher einen Schritt zurück zur Rückständigkeit und versuchen, das Rad der Geschichte zurückzudrehen.” (ebd., Seiten 338-39)

„Nehmen wir einen Augenblick lang an, daß wir den Vorschlag der Genossen Sanina und Wensher akzeptiert und damit begonnen hätten, den Kollektivwirtschaf­ten durch Verkauf die Hauptproduktionsinstrumente, die Maschinen- und Trakto­renstationen, zu übereignen. Was würde sich daraus ergeben?

Daraus würde sich ergeben, daß erstens die Kollektivwirtschaften Eigentümer der Haupt-produktionsinstrumente würden, das heißt, sie würden eine Sonderstellung einnehmen, wie sie kein einziger Betrieb in unserem Lande einnimmt, denn bekannt­lich sind nicht einmal unsere nationalisierten Betriebe Eigentümer von Produktions-mstrumenten. Womit ließe sich diese Sonderstellung der Kollektivwirtschaften be­gründen, mit welchen Argumenten des Fortschritts und der Weiterentwicklung? Kann man etwa sagen, daß eine solche Stellung dazu beitragen würde, das kollektivwirt­schaftliche Eigentum auf das Niveau des allgemeinen Volkseigentums zu heben, daß sie den Übergang unserer Gesellschaft vom Sozialismus zum Kommunismus be­schleunigen würde? Wäre es nicht richtiger zu sagen, daß eine solche Stellung den Abstand zwischen kollektivwirtschaftlichem Eigentum und allgemeinem Völksei­gentum nur vergrößern und nicht zur Annäherung an den Kommunismus, sondern im Gegenteil dazu führen würde, daß man sich von ihm entfernt?

Daraus würde sich zweitens eine Erweiterung des Wirkungsbereichs der Waren­zirkulation ergeben, denn ungeheure Mengen von Produktionsinstrumenten der Land­wirtschaft würden in die Bahn der Warenzirkulation geraten. Was denken die Ge­nossen Sanina und Wensher: Kann die Erweiterung des Wirkungsbereichs der Wa­renzirkulation unsere Entwicklung zum Kommu-nismus fördern? Wäre es nicht rich­tiger zu sagen, daß sie unsere Entwicklung zum Kommu-nismus nur hemmen kann?

Der Hauptfehler der Genossen Sanina und Wensher besteht darin, daß sie die Rolle und die Bedeutung der Warenzirkulation im Sozialismus nicht begreifen, nicht begreifen, daß die Warenzirkulation mit der Perspektive des Übergangs vom Sozia­lismus zum Kommunismus unvereinbar ist. Sie glauben anscheinend, daß man auch bei der Warenzirkulation vom Sozia-lismus zum Kommunismus übergehen könne, daß die Warenzirkulation das nicht verhindern könne. Das ist ein großer Irrtum, der dadurch entstanden ist, daß man den Marxismus nicht ver-standen hat.2

Und hier Stalins marxistisch-leninistischer Plan für die Hebung des Kollektivei­gentums auf die Gemeineigentumsstufe, die ihrerseits die Grundlagen für die Elimi­nierung des Marktes schafft (für das Absterben der Warenproduktion und Warenzir­kulation, des Wertes und seiner Formen sowie des Wertgesetzes):

„Was muß nun letzten Endes unternommen werden, um das kollektivwirtschaftli­che Eigentum auf das Niveau des allgemeinen Volkseigentums zu heben?

Die Kollektivwirtschaft ist kein gewöhnlicher Betrieb. Die Kollektivwirtschaft arbeitet auf Boden und bearbeitet Boden, der schon längst allgemeines Volkseigen­tum und nicht kollek-tivwirtschaftliches Eigentum ist. Folglich ist die Kollektivwirt­schaft nicht Eigentümer des von ihr bearbeiteten Bodens.

Weiter: Die Kollektivwirtschaft arbeitet mit Hauptproduktionsinstrumenten, die nicht kollektiv-wirtschaftliches Eigentum, sondern allgemeines Volkseigentum sind. Folg­lich ist die Kollek-tivwirtschaft nicht Eigentümer der Hauptproduktionsinstrumente.

Weiter: Die Kollektivwirtschaft ist ein genossenschaftlicher Betrieb, bedient sich der Arbeit ihrer Mitglieder und verteilt die Einkünfte unter die Mitglieder nach Ta­gewerken, wobei die Kollektivwirtschaft über eigenes Saatgut verfügt, das jährlich erneuert und für die Produktion verwendet wird.

Es fragt sich: Was besitzt die Kollektivwirtschaft eigentlich, welches ist das kol­lektiv-wirt-schaftliche Eigentum, über das sie völlig frei, nach eigenem Ermessen ver­fügen kann? Ein solches Eigentum sind die Erzeugnisse der Kollektivwirtschaft, die Erzeugnisse der kollektiv-wirtschaftlichen Produktion: Getreide, Fleisch, Fett, Ge­müse, Baumwolle, Rüben, Flachs usw., nicht gerechnet die Gebäude und die persön­liche Wirtschaft der Kollektivbauern auf dem Hofland. Es ist so, daß ein erheblicher Teil dieser Erzeugnisse, die Überschüsse der kollektivwirtschaftlichen Produktion, auf den Markt gelangen und auf diese Weise in das System der Warenzirkulation einbezogen werden. Eben dieser Umstand ist es jetzt auch, der der Hebung des kol­lektivwirtschaftlichen Eigentums auf das Niveau des allgemeinen Volkseigentums hinderlich im Wege steht. Deshalb muß man gerade von dieser Seite her die Arbeit zur Hebung des kollektivwirtschaftlichen Eigentums auf das Niveau des allgemei­nen Volkseigentums entfalten.

Um das kollektivwirtschaftliche Eigentum auf das Niveau des allgemeinen Volks­eigentums zu heben, muß man die Überschüsse der kollektivwirtschaftlichen Pro­duktion aus dem System der Warenzirkulation herausziehen und in das System des Produktenaustauschs zwischen der staat-lichen Industrie und den Kollektivwirtschaf­ten einbeziehen. Das ist das Wesentliche.” (ebd., Seiten 341-42, Herv. d. H.B.)

Nach dem Tode Stalins übergaben die Chruschtschow-Revisionisten die Maschi­nen-Traktoren-Stationen aufgrund der Vorschläge Wenshers den Kolchosen, was mit einem Schlag die sow-jetische Landwirtschaft durch die verlangsamte Produktions­entwicklung der Kolchosen, wie Stalin voraussagte, untergrub und die Sphäre der Warenzirkulation in riesigem Umfange ausdehnte. Dabei wurde „eine gigantische Masse landwirtschaftlicher Produktionsinstrumente” in Umlauf gebracht, eben wie Stalin im voraus warnte. Diese revisionistische Maßnahme drehte das Rad der Ge­schichte wahrhaftig zurück; die imperialistische Bourgeoisie war vollauf befriedigt (so auch die käuflichen Trotzkisten, ihres Zeichens „Markt-Sozialisten”) – und sie äußerte ihre Befriedigung mit hämischer Schadenfreude.

Während Stalin die orthodoxe marxistische Position behauptete, die Unverein­barkeit der Waren-produktion und Warenzirkulation sowie des Marktes mit dem Kom­munismus und daher die Ab-schaffung des Marktes als eine der wesentlichen Aufga­ben des Sozialismus vertrat, glaubte der Revisionismus – im Kielwasser solcher bürgerlicher Ökonomen wie von Mises und Brutzkus – ganz im Gegenteil an einen ..Markt-Sozialismus”. Nach der revisionistischen Theorie ist die fortdauernde Exi­stenz der Warenbeziehungen unter dem Sozialismus nicht bloß ein Erbe des Kapita­lismus, das die unvollkommene Kapitalismusentwicklung in einer der Arbeiterklas­se überkommenen Ökonomie darstellt, sondern eine der sozialistischen Ökonomie innewohnende Notwendigkeit, welche nicht bloß das Weiterbestehen des Marktes erfordert, sondern auch dessen Expansion. Während der orthodoxe Marxismus die Auffassung vertritt, daß der Kapita-lismus die höchste Form der Warenproduktion ist, tragen die revisionistischen Ökonomen die Ansicht vor, daß der Kapitalismus lediglich die Warenproduktion vererbe und es die Aufgabe des Sozialismus sei, die Warenproduktion auf den höchsten Entwicklungsstand anzuheben, um den Markt von den Verzerrungen, die ihm unter dem Kapitalismus widerfahren seien, zu „reini­gen” und zu „befreien”.

Bürgerliche Ansichten zur politischen Ökonomie wurden hauptsächlich in sowje­tischen Fach-zeitschriften für Ökonomie geäußert, überdies in einer gleichzeitig weit­schweifigen und schwerfälligen Sprache – jedenfalls bis mit dem Erscheinen Gor­batschows die Quantität der Zeit ihren qualitativen Umschlag erfuhr, bürgerliche Ideen nunmehr in allen Sphären des Lebens offener, freimütiger, häufiger und mas­senhaft zum Ausdruck kamen (das Feld der politischen Ökonomie eingeschlossen). In der Zeit vor Gorbatschow bildeten tschechische revisionistische Theoretiker, hier besonders Ota Sik, eine Ausnahme von dieser Regel. Ohne Umschweife und offen verbreiteten sie ihre bürgerlichen Ideen. Ihr Eintreten für einen „Markt-Sozialis­mus” unterscheidet sich aufgrund der (zu jener Zeit) größeren Ausdehnung des Marktes in der Tschechoslowakei durch seine Ausdrucksklarheit von demjenigen ihrer sowjetischen Eben-bilder, die mit ganz besonderer Vorsicht und zitternder Hand zu Werke gehen mußten, weil die damalige offizielle Ideologie noch der Marxismus war. Deshalb die obskure Sprache der revisionistischen Wirtschaftstheoretiker in der Sowjetunion der späten 50er und 60er Jahre – eine Sprache, die nur von ihren Schöpfern verstanden werden kann.

In diesem Falle beginnen wir mit einem Zitat von Ota Sik, dem man es schließlich lassen muß, von all diesen Wirtschaftstheoretikern des Revisionismus die wohl gründlichste Auslegung des „Markt-Sozialismus” ge­geben zu haben. Sik sagt, daß Stalin „schwerwiegende theoretische Fehler… began­gen hat, die in hohem Maße dem damaligen Zustand der Ökonomie entsprangen … Er stellte die Theorie auf, daß Ware-Geld-Beziehungen ihrem Wesen nach ein frem­des Element in einer sozialistischen Ökonomie darstellten, welche sie nur deswegen erdulden müsse, weil ihre Existenz ihr durch die kooperativen Formen des soziali­stischen Eigentums [d.h. durch die kollektiven Landwirtschaften] aufgezwungen sei; und welche er als niedere Formen betrachtete, in denen sozialistische Prinzipien unzulänglich verkörpert seien.

Er glaubte, daß es für das Rechnen mit und Registrieren von Werten im sozialisti­schen Staats-sektor nur hinsichtlich äußerer Beziehungen Raum geben könne (mit Kooperativen und anderen Ländern) und daß zwischen sozialistischen Staatsbetrie­ben keine wirklichen Ware-Geld-Bezie-hungen existieren könnten … Diese Theorie Stalins, an der zu seinen Lebzeiten strikt festgehalten wurde und die immer noch weitestgehend praktiziert wird, wurde zu einem tief verwurzelten Dogma mit schwe­ren Konsequenzen für das sozialistische Wirtschaftswachstum.” (Ota Sik, Socialist Market Relations and Planning included in: Socialism, Capitalism and Economic Growth: Essays Presented to M. Daub [Sozialistische Marktbeziehungen und Pla­nung, aus: Sozialismus, Kapitalismus und Wirtschaftswachstum], Cambridge Uni-versity Press, 1967)

Gemäß diesem Gelehrten des Revisionismus wäre also der Markt nicht nur eine Hinter-lassenschaft des Kapitalismus und es sei auch nicht die Aufgabe des Sozialis­mus, ihn zu beseitigen. Im Gegenteil, so sagt er, gäbe es „in einer sozialistischen Ökonomie” eine „objektive Notwendigkeit für die Existenz von Ware-Geld-Bezie­hungen und den Markt”, und zwar wegen der „Unmöglichkeit, ökonomische Kon­flikte zu lösen, wenn diese Beziehungen durch die alte Methode der administrativen Planung beschränkt oder unterdrückt werden. Marktverhältnisse erklären sich durch … die inneren Widersprüche sozialistischer Arbeit auf einer gegebenen Stufe der Produktivkraftentwicklung – und deshalb” sei „im Rahmen der sozialistischen Pla­nung der Markt eine notwendige ökonomische Form zur Lösung dieser Widersprü­che.” (ebd., S. 148)

Siks Ebenbilder in der Sowjetunion hatten ähnliche Ansichten in den 50er und 60er Jahren geäußert. Der dem verehrten Leser bereits wohlbekannte Wensher schrieb 1958:

„Sozialistische Warenproduktion ist eine Warenproduktion besonderer Art, deren Entwicklung direkt mit der Stärkung und Ausdehnung der Ware-Geld-Beziehungen und mit dem allmäh-lichen Absterben der natürlichen ökonomischen Verhältnisse verbunden ist. Wegen der gesell-schaftlichen Vielgestaltigkeit behält die Arbeit un­ter dem Sozialismus ihren Doppelcharakter, und die durch die Arbeit erschaffenen Güter werden gemäß der in ihnen vergegenständlichten Summe abstrakter Arbeit ausgetauscht. Deswegen besitzen alle Produkte eine Warenform.

Sozialistische Produktion ist im Maßstab der gesamten Volkswirtschaft geplante Warenpro-duktion auf hoher Stufenleiter.

Sozialistischer Austausch wird auf der Basis des Wertgesetzes realisiert.” (Wa­renproduktion im Sozialismus und die Kollektivwirtschaften, Woprosy Ekonomiki, August 1958)

„Unter dem Sozialismus werden Produkte und Dienstleistungen ebenfalls als Waren hervor-gebracht und gleichfalls für Geld verkauft.” (B.G. Liberman, Flirten wir mit dem Kapitalismus? Nutzen und „Profite”, Sowjetisches Leben, Juli 1965)

Die Schriften dieser revisionistischen Ökonomen – Wenshers, Libermans, Siks und etlicher mehr – sind nichts anderes, als die in ,Marxscher’ Ausdrucksweise wiederholten Behauptungen bürger-licher politischer Ökonomie (einschließlich der­jenigen der Trotzkisten), daß effiziente ökono-mische Rechnungsführung ohne Markt andenkbar sei. Da wir wissen, daß der Marxsche Sozia-lismus – und es gibt keinen anderen Sozialismus – die Aufhebung des Marktes, die Aufhebung der Warenpro­duktion und Warenzirkulation anstrebt, ist dies nur ein anderer Weg zu sagen, der Marxsche Sozialismus sei eine utopische Unmöglichkeit, der Kapitalismus hinge­gen die höchste Stufe menschlicher Gesellschaftsentwicklung und unmöglich nur eine vorübergehende Gesell-schaftsform.

Um ihre Theorie von einem „Markt-Sozialismus” unter die Leute bringen zu kön­nen, mußten sich revisionistische Wirtschaftstheoretiker einer vollständigen Ent­stellung und Revision der Marxschen politischen Ökonomie widmen, insbesonde­re der Marxschen Lehre vom Charakter der Waren und der Warenproduktion; die Angriffe auf Stalin dienten nur als eine Ablenkung von dieser Verfälschung.

Engels definiert Waren als Gegenstände, „die innerhalb einer aus Privatproduzen­ten beste-henden Gesellschaft, von diesen Privatproduzenten für Privatrechnung pro­duziert und gegen-einander ausgetauscht werden.” (Anti-Dühring, BML, S. 183)

„Gebrauchsgegenstände werden überhaupt nur Waren, weil sie Produkte vonein­ander unab-hängig betriebner Privatarbeiten sind.” (MEW, Bd. XXIII, S. 87)

Mit Blick auf die obigen Zitate wird völlig klar, daß nach der marxistischen Lehre die Produkte sich nur dann in Waren verwandeln, wenn sie von Privatproduzenten hergestellt werden, und zwar „nicht für den Selbstverbrauch, sondern für den Ver­brauch durch andre, also für den gesellschaftlichen Verbrauch. Sie treten ein in den gesellschaftlichen Verbrauch durch den Austausch”. Da es nach Marx und Engels die Aufgabe des Sozialis­mus ist, die Warenproduktion zu beseitigen, leuchtet es ein, daß sie nicht etwa die Theorie eines „Markt-Sozialismus” stützten – also eines Sozialismus, der auf der Warenproduktion basieren soll. Sie wandten sich vehement gegen die Vertreter die­ser Theorie, namentlich gegen Proudhon und Dühring (siehe Marx, „Das Elend der Philosophie” in Widerlegung des ersteren und Engels, „Anti-Dühring” in Widerle­gung des zweiten).

Folgendes sagte Engels zu diesem Punkt:

„Die unmittelbar gesellschaftliche Produktion wie die direkte Verteilung schlie­ßen allen Waren-austausch aus, also auch die Verwandlung der Produkte in Waren (wenigstens innerhalb der Gemeinde), und damit auch ihre Verwandlung in Werte.

Sobald die Gesellschaft sich in den Besitz der Produktionsmittel setzt und sie in unmittelbarer Vergesellschaftung zur Produktion verwendet, wird die Arbeit eines jeden, wie verschieden auch ihr spezifisch nützlicher Charakter sei, von vornherein und direkt gesellschaftliche Arbeit. Die in einem Produkt steckende Menge gesell­schaftlicher Arbeit braucht dann nicht erst auf einem Umweg festgestellt zu werden; die tägliche Erfahrung zeigt direkt an, wieviel davon im Durchschnitt nötig ist. Die Gesellschaft kann einfach berechnen, wieviel Arbeitsstunden in einer Dampfma­schine, einem Hektoliter Weizen der letzten Ernte, in hundert Quadratmeter Tuch von bestimmter Qualität stecken. Es kann ihr also nicht einfallen, die in den Produk­ten nieder-gelegten Arbeitsquanta, die sie alsdann direkt und absolut kennt, noch fernerhin in einem nur relativen, schwankenden, unzulänglichen, früher als Notbe­helf unvermeidlichen Maß, in einem dritten Produkt auszudrücken und nicht in ih­rem natürlichen, adäquaten, absoluten Maß, der Zeit.” (ebd., S. 288, Herv. wie im Original)

„ …jede auf Warenproduktion beruhende Gesellschaft hat das Eigentümliche, daß in ihr die Produzenten die Herrschaft über ihre eignen gesellschaftlichen Beziehun­gen verloren haben … Aber die Warenproduktion, wie jede andre Produktionsform, hat ihre eigentümlichen, inhärenten, von ihr untrennbaren Gesetze; und diese Geset­ze setzen sich durch, trotz der Anarchie, in ihr, durch sie. Sie kommen zum Vor­schein in der einzigen fortbestehenden Form des gesellschaftlichen Zusammenhangs, im Austausch, und machen sich geltend gegenüber den einzelnen Produzenten als Zwangsgesetze der Konkurrenz. Sie sind diesen Produzenten also anfangs selbst unbekannt und müssen erst durch lange Erfahrung nach und nach von ihnen ent­deckt werden. Sie setzen sich also durch ohne die Produzenten und gegen die Produ­zenten, als blindwirkende Naturgesetze ihrer Produktionsform. Das Produkt be­herrscht die Produzenten.” (Anti-Dühring, S. 253)

Wie der „Markt-Sozialismus” das Konzept der „sozialistischen Werts” als grundle­gende Kom-ponente benötigt, so braucht er das Konzept des „sozialistischen Werts” und des „sozialistischen Wertgesetzes”, das in der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft durch die Kategorien der „sozialistischen” Rente, Zins und Profit un­terstützt wird.

„’Ware’, ‘Geld’, ‘Preis’, ‘Profit’ und andere Kategorien der sozialistischen Öko­nomie … sind sozialistischen Produktionsverhältnissen inhärent, sind unveräußer­lich mit ihnen verbunden.” Jedoch: „Unter dem Sozialismus sprechen wir von einem Gesetz der Ware-Geld-Beziehungen und von einem Wertgesetz – mit einem gesell­schaftlichen Inhalt und einer gesellschaftlichen Rolle, die sich gänzlich von denen unter dem Kapitalismus unterscheiden, von einem Wertgesetz und Ware-Geld-Be­ziehungen, derengleichen niemals zuvor in der Geschichte existierten.” (Sowjetskije Nowosti, Nr. 9, April 1964, Nachdruck aus der Prawda)

Liberman schrieb:

„Die Bedeutung des Profits in der Sowjetunion wurde aufgrund einer gewissen Mißachtung des Wertgesetzes unterschätzt. Manche sowjetischen Ökonomen hiel­ten das Gesetz fälschlicher-weise für eine unangenehme Hinterlassenschaft des Ka­pitalismus und meinten, wir müßten es so schnell wie möglich loswerden.” Aber das ..Wertgesetz ist nicht ein Gesetz des Kapitalismus, sondern das Gesetz jeglicher Warenproduktion, einschließlich der geplanten Warenproduktion im Sozialismus.”

Der einzige Unterschied zwischen diesem „sozialistischen Wertgesetz” und dem­jenigen, wel-ches unter dem Kapitalismus wirkte, bestünde darin, so wird uns er­klärt, daß das erstere frei von den Verzerrungen des „kapitalistischen Wertgesetzes” sei. Dieses gereinigte „sozialistische Wertgesetz” sei Marx und Engels völlig bekannt gewesen. Hier nun das, was Engels zu diesem Punkte im „Anti-Dühring” zu sagen hatte:

„Die kapitalistische Produktionsform abschaffen wollen durch Herstellung des wahren Werts’, heißt daher den Katholizismus abschaffen wollen durch die Her­stellung des ‘wahren’ Papstes oder eine Gesellschaft, in der die Produzenten endlich einmal ihr Produkt beherrschen, her-stellen durch konsequente Durchführung einer ökonomischen Kategorie, die der umfassendste Ausdruck der Knechtung der Produ­zenten durch ihr eigenes Produkt ist.” (ebd., S. 289)

„ … das Wertgesetz, ist das Grundgesetz grade der Warenproduktion, also auch jer höchsten Form derselben, der kapitalistischen Produktion. Es setzt sich in der heutigen Gesellschaft durch in derselben Weise, in der allein ökonomische Gesetze einer Gesellschaft von Privat-produzenten sich durchsetzen können: als in den Dingen und Verhältnissen liegendes, vom Wollen oder Laufen der Produzenten un­abhängiges …. Indem Herr Dühring dies Gesetz zum Grundgesetz seiner Wirtschaftskommune erhebt und verlangt, daß diese es mit vollem Bewußtsein durchführen soll, macht er das Grundgesetz der bestehenden Gesellschaft zum Grundgesetz sei­ner Phantasiegesellschaft. Er will die bestehende Gesellschaft, aber ohne ihre Miß­stände. Er bewegt sich dabei ganz auf demselben Boden wie Proudhon. Wie dieser will er die Mißstände, die aus der Entwicklung der Warenproduktion zur kapitalisti­schen Produktion entstanden sind, beseitigen, indem er ihnen gegenüber das Grund­gesetz der Warenproduktion geltend macht, dessen Betätigung grade diese Mißstän­de erzeugt hat. Wie Proudhon will er die wirklichen Konsequenzen des Wertgeset­zes aufheben durch phantastische, (ebd., S. 291)

Stalin vertrat die Marxsche Position des Wertgesetzes und sagte:

„Der Wert ist, wie auch das Wertgesetz, eine historische Kategorie, die mit der Existenz der Warenproduktion verbunden ist. Mit dem Verschwinden der Waren­produktion verschwinden auch der Wert mit seinen Formen und das Wertgesetz.” (Die Frage des Wertgesetzes im Sozialismus, Ökonomische Probleme …, Werke, Bd. XV, S. 274)

„Ökonomische Reformen”, welche die Revisionisten nach Stalins Tod in Kraft setzten, wurden in ähnlicher Art auch zu Lebzeiten Stalins vertreten und man suchte sie auch zu verwirklichen. Der Staranwalt dieser Reformen – obwohl nicht der ein­zige – war Nikolaj Wosnessenski, der 1947 ein Buch unter dem Titel „Die Kriegsökonomie der UdSSR während der Periode des Großen Vaterländischen Krieges” veröffentlichte. In diesem Buch behauptete er, daß das Wertgesetz als ein Regulator der Produktion in der UdSSR funktioniere (er meinte zumindest, es müsse funktio­nieren), soll heißen, daß es die Verteilungsverhältnisse der Arbeit zwischen den ver­schiedenen Wirtschaftszweigen bestimme – je rentabler ein Betrieb, desto mehr Ar­beit und Investitionen würde angezogen werden. Er trat deshalb dafür ein, daß die Warenpreise ihren Wert widerspiegeln sollten (die Produktionspreise), und bei der Organisation der Produktion legte er großen Wert auf „Kostenrechnung”, die auf der Rentabilität individueller Betriebe und Industrien beruhen sollte, desgleichen auf materiellen Anreizen wie Zuschläge und höhere Löhne für die Belegschaften in ein­zelnen Betrieben.

Wosnessenskis Thesen waren durchaus nicht nur von akademischem Interesse. Er nutzte seine Position als Vorsitzender der Staatlichen Plankommission und erfreute sich beträchtlicher Rückendeckung seitens höchster Ränge in Partei und Staat sowie einer erklecklichen Zahl hoher Ökonomen wie Gatowski und Leontjew, die öffent­lich seine Behauptungen stützten (und die gleichfalls durch die energische Unter­stützung der Thesen Libermans an der Durchführung ähnlicher „ökonomischer Re­formen” während der Breshnew-Jahre mitwirkten). Wosnessenski ging daran, eine „ökonomische Reform” einzuführen, um seinen Thesen Taten folgen zu lassen. Un­ter dieser „Reform”, die am 1. Januar 1949 in Kraft trat, wurden die Großhandels­preise zwecks Anpassung an ihre Werte (oder Produktionspreise – Kostpreis plus einer Durch-schnittsprofitrate) neu festgesetzt – mit dem Resultat, daß sich die Preise vieler grundlegender Produkte über Nacht verdoppelten oder verdreifachten. Inner­halb weniger Wochen nach Ein-führung der „ökonomischen Reformen” von Wos­nessenski schlugen seine Opponenten unter der Führung Stalins zurück. Anfang März 1949 wurde Wosnessenski seines Amtes als Vorsitzender der Staatlichen Plankom­mission enthoben und im Juli 1949 auch aus der Partei ausgeschlossen. Ende 1949 wurde Wosnessenski übrigens zusammen mit ein paar anderen verhaftet und 1950 in seinem Fall unter anderem angeklagt, geheime Papiere der Staatlichen Plankommis­sion an einen fremden Staat weitergegeben zu haben. Einige der Angeklagten im Zusammenhang mit dieser später als „Leningrader Affaire” bekannt gewordenen Sache, darunter Wosnessenski, wurden zum Tode verurteilt und am 30. September hingerichtet. Wosnessenskis „ökonomische Reform” aus dem Jahre 1949 wur­de in zwei Stufen zurückgenommen – am 1. Januar und am 1. Juli 1950.

Stalin widerlegte die Behauptungen Wosnessenskis öffentlich, ohne ihn nament­lich zu er-wähnen; in seinem letzten, unsterblichen Werk tat er dies mit folgenden Worten:

„Mitunter wird die Frage gestellt: Besteht und wirkt bei uns, in unserer sozialisti­schen Ordnung, das Wertgesetz?

Ja, es besteht und wirkt. Dort, wo es Waren und Warenproduktion gibt, muß es auch das Wertgesetz geben.” (ebd., S. 271) (…)

Bedeutet dies alles jedoch, daß die Wirkungen des Wertgesetzes bei uns den gleichen Spielraum haben wie im Kapitalismus, daß das Wertgesetz bei uns der Re­gulator der Produktion ist? Nein, das bedeutet es nicht. In der Tat ist der Wirkungs­bereich des Wertgesetzes in unserer ökonomischen Ordnung streng begrenzt, sind diesem Wirkungsbereich Schranken gesetzt. Es wurde bereits gesagt, daß der Wir­kungsbereich der Warenproduktion in unserer Ordnung begrenzt ist und ihm Schran­ken gesetzt sind. Das gleiche muß über den Wirkungsbereich des Wertgesetzes ge­sagt werden. Ohne Zweifel muß das Fehlen des Privateigentums an Produk-tionsmit­teln und die Vergesellschaftung der Produktionsmittel sowohl in der Stadt als auch auf dem Lande den Wirkungsbereich des Wertgesetzes und seine Einwirkung auf die Produktion einschränken.” (ebd., S. 273)

„Völlig falsch ist auch die Behauptung, daß in unserer gegenwärtigen Ordnung… das Wertgesetz angeblich die ‘Proportionen’ der Verteilung der Arbeit zwischen den verschiedenen Produktions-zweigen reguliere.

Wenn das stimmte, dann ist es unverständlich, warum bei uns nicht die Leichtin­dustrie als die rentabelste mit aller Macht entwickelt wird, warum ihr nicht der Vor­rang gegeben wird vor der Schwerindustrie, die oftmals weniger rentabel und bis­weilen überhaupt nicht rentabel ist.

Wenn das stimmte, dann ist es unverständlich, warum bei uns eine Reihe vorläu­fig noch unrentabler Betriebe der Schwerindustrie … nicht geschlossen wird und nicht neue Betriebe der zweifellos rentablen Leichtindustrie eröffnet werden …

Wenn das stimmte, dann ist es unverständlich, warum bei uns die Arbeiter aus den wenig rentablen, aber für die Volkswirtschaft sehr notwendigen Betrieben nicht in rentablere Betriebe übergeführt werden im Einklang mit dem Wertgesetz, das an­geblich die ‘Proportion’ der Verteilung der Arbeit zwischen den Produktionszwei­gen reguliert. (…)

(D)as Wertgesetz [kann] nur im Kapitalismus … Regulator der Produktion sein.(…)

Wenn man die Rentabilität nicht vom Standpunkt einzelner Betriebe oder Pro­duktionszweige betrachtet und nicht den Maßstab eines Jahres anlegt, sondern sie vom Standpunkt der gesamten Volkswirtschaft betrachtet und den Maßstab von etwa 10 bis 15 Jahren anlegt, was die einzig richtige Fragestellung wäre, dann steht die zeitweilige und labile Rentabilität einzelner Betriebe oder Produktionszweige in gar keinem Vergleich zu der höheren Form der sicheren und ständigen Rentabilität, die uns die Wirkung des Gesetzes der planmäßigen Entwicklung der Volkswirtschaft und die Planung der Volkswirtschaft gewährleisten, indem sie uns vor den periodi­schen Wirtschaftskrisen, die die Volkswirtschaft zerrütten und der Gesellschaft ge­waltigen materiellen Schaden zufügen, bewahren und uns das ununterbrochene au­ßerordentlich schnelle Wachstum der Volkswirtschaft sichern.” (ebd., Seiten 275-76)

Bald nach der Veröffentlichung von Stalins Schrift „Ökonomische Probleme …” erschien ein von Michail Suslow verfaßter Artikel in der Prawda. Die Zeitung zitier­te zum erstenmal aus einem Beschluß des Zentralkomitees, der drei Jahre zuvor im Zusammenhang mit der „Lenin-grader Affaire” gefaßt wurde – und in dem (wieder­um zum erstenmal) bei namentlicher Erwähnung Wosnessenskis Thesen als revisio­nistisch gebrandmarkt wurden:

 „Diese Broschüre von Wosnessenski [„Die Kriegsökonomie der UdSSR…”] ver­fehlte völlig die Lösung der Probleme der politischen Ökonomie des Sozialismus und stellte ein Durcheinander voluntaristischer Anschauungen bezüglich der Rolle dar, welche die Pläne und der Staat in der sowjetischen Gesellschaft zu spielen hät­ten, sowie einen Wertgesetz-Fetischismus, nach dem das Wertgesetz angeblich die Arbeitsteilung zwischen den einzelnen Sektoren der Volks-wirtschaft der UdSSR beherrsche.” (M. Suslow in der Prawda vom 24. Dezember 1952)

Der Artikelveröffentlichung von Suslow folgte eine intensive ideologische Kam­pagne, die gegen die Thesen Wosnessenskis gerichtet war. Vom 9. – 11. Januar ka­men annähernd 1000 Ökonomen zu einer Konferenz zusammen, auf der die Irrtümer jener Berufskollegen verurteilt wurden, welche die Behauptungen Wosnessenskis unterstützt hatten. Ein Leitartikel in der Prawda verglich den Kampf gegen die Wosnessenski-Thesen mit jenem, der gegen „ … die trotzkistischen Abenteurer und die rechten Kapitulanten” geführt wurde. (Prawda, 12. Januar 1953)

Am 28. Januar benannte die Zeitschrift „Kommunist” eine Reihe von Ökonomen und Philo-sophen und rügte sie öffentlich, da sie die Wosnessenski-Thesen unter­stützt hatten.

Nach dem Tode Stalins am 5. März 1953 kam die Kampagne gegen die Thesen Wosnessenskis zu einem abrupten Stillstand. Auf dem XX. Parteitag, vier Jahre nach Stalins Tod, fühlten sich Chruschtschow-Revisionisten stark genug, Stalin der „Er­mordung” vieler „guter Kommunisten” zu beschuldigen, charakterisierten Wosnes­senski und Kusnezow als „ … talentierte und bedeutende Führer” und rehabilitierten die Verurteilten der „Leningrader Affaire”, welche selbst wiederum als Fälschung dargestellt wurde (siehe Chruschtschows Geheimrede auf dem XX. Parteitag).

Ökonomen wie Evsei Liberman wurden darauf angesetzt, eine Kampagne für „Wirt-schaftreformen” zu betreiben, die in wachsendem Maße Beifall von offizi­eller Seite bekamen. Abgesehen von der oben bereits erwähnten Übergabe der Ma­schinen-Traktoren-Stationen an die Kollektivwirtschaften und dem damit verbun­denen breiten Anwachsen der Warenzir-kulationssphäre durch das Einbringen riesi­ger Mengen landwirtschaftlicher Produktions-instrumente in den Umlauf, führte die Chruschtschow-Administration 1964 ein Pilotprojekt ein, durch welches man die ..ökonomischen Reformen” auf experimenteller Basis auf zwei Beklei-dungsfabri­ken anwandte.

Obwohl Chruschtschow im Oktober 1964 gestürzt wurde und seine Nachfolger – Breshnew und Kossygin – ihn auf eine Null reduzierten, warfen sie dennoch nicht die „ökonomischen Reformen” über Bord, die während der Chruschtschow-Jahre eingeleitet wurden. Sie wurden im Gegenteil in großem Umfange intensiviert und untergruben zu gegebener Zeit die sozialistische Grundlage der sowjetischen Ge­sellschaft durch die systematische Anwendung bürgerlicher Normen: Profit als Pro­duktionsregulator, die Preisreform, durch welche die Preise in erhöhtem Maße die Werte (Produktionspreise) widerspiegeln sollten, die verstärkte Betonung materiel­ler Anreize und die Rentabilität und „Unabhängigkeit” individueller Betriebe, die für den Markt produzierten und deren Produkte sich im Markt als Waren gegenüber­standen. Dies untergrub die Zentralplanung und machte sie mit der Zeit bedeutungs­los. Sobald in der Produktion der Warenform die Vorherrschaft überlassen wird, sind die einzigen ökonomischen Gesetze und Kategorien, die noch irgendeinen öko­nomischen Sinn machen, diejenigen der Gesetze und Kategorien des Kapitalismus. Jedes Produktionssystem hat seine eigenen, von ihm untrennbaren Gesetze. Wenn man davon ausgeht, daß der Sozialismus ein System der Warenproduktion ist, wie es die Revisionisten tun, bekommen die Advokaten der „Reformen” Recht und einen vernünftigen Grund für die Realisierung eines funktionierenden Marktes. In der UdSSR jedoch, mit ihrer fünfundzwanzigjährigen Geschichte der Wirtschaftspla­nung, konnte 1956 ein voll funktionsfähiger Markt nicht plötzlich entstehen. Das wäre nicht nur ein politisches Ding der Unmöglichkeit gewesen, sondern auch eine ökonomische Unmöglichkeit. Wäre die umfassend zentralisierte Planwirtschaft über Nacht abgeschafft und wären alle Beschränkungen für den Markt aufgehoben wor­den, wäre das Ergebnis der ökonomische Kollaps gewesen – und nicht ein funktio­nierender Markt. Um also einen funktionierenden Markt hervorzubringen, mußte der Markt umsichtig wiederaufgebaut werden:

„In einem derart umfangreichen und komplizierten Organismus wie der sowjetischen Volks-wirtschaft wäre es ausgeschlossen,… radikale Änderungen im Preisbil­dungssystem einzuführen, bis nicht ein neues System in allen Einzelheiten ausgear­beitet und getestet worden ist. Und vielleicht sollte der gesamte Übergang allmäh­lich vollzogen werden, wenn die Voraussetzungen dafür geschaffen und die Bedin­gungen dafür reif sind.” (S. Perwuschkin, Das Wertgesetz und die Preise, Planwirt­schaft, 1961, Nr. 7)

Mit diesem Ziel im Hinterkopf machten sich die Revisionisten an die Arbeit, um stufenweise die Bedingungen für einen funktionierenden Markt zu schaffen. Während sie vorgaben, ihre „Wirt-schaftsreformen” zielten auf die Konsolidierung der Zentral­planung ab, eröffneten die Revisionisten ein wahres propagandistisches Sperrfeuer und denunzierten die zentrale Wirt-schaftsplanung als „bürokratisch”, „restriktiv”, „ver­altet” und – natürlich – als Resultat der „Stalinschen Verzerrung des Sozialismus”:

„Diese Unzulänglichkeiten in der Wirtschaftsleitung sollten nicht dadurch besei­tigt werden, daß die Planung weiter verkompliziert, detaillierter und noch zentralistischer wird, sondern durch Entwicklung der ökonomischen Initiative und Unab­hängigkeit der Betriebe … Den Betrieben muß eine breitere Initiative ermöglicht werden; sie dürfen nicht durch kleinliche Gängelei und bürokratische Planungsme­thoden durch das Zentrum gefesselt werden.” (E.G. Liberman, Kostenrechnung und materieller Anreiz für Industriebelegschaften, Woprosy Ekonomiki, Nr. 6, 1955)

„Stalin … der ökonomische Instrumente der Wirtschaftsleitung durch nackte Be­fehlsverwaltung ersetzte … Die Vorschriften für die finanzielle Ressourcen Verwendung der Betriebe sollten dort aufgehoben werden, wo sie ausufern und ins einzelne gehen, und den Betrieben sollte mehr Gelegenheit gegeben werden, mit diesen Ressourcen zu manövrieren.” (L. Gatowski, Die Rolle des Profits in einer sozialistischen Ökonomie, Kommunist, Nr. 18, 1962)

Die „Wirtschaftsreform” von 1965 und die Unterminierung der Zentralplanung Nach diesem Propagandafeuer gegen die Zentralplanung beschloß das Zentralkomi­tee offiziell die „Wirt-schaftsreform” vom September 1969:

„Ein ernster Mangel der industriellen Leitung ist die Tatsache, daß an die Stelle ökonomischer Notwendigkeiten administrative Methoden getreten sind … Die Be­fugnisse der Betriebe hin-sichtlich ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit sind begrenzt.

Die Arbeit der Betriebe ist durch zahlreiche Vorgaben reglementiert, die die Selb­ständigkeit und Initiative der Betriebsbelegschaften einschränken und ihr Verant­wortungsgefühl für die Verbes-serung der Produktionsorganisation verringern …

Es wurde für zweckmäßig erachtet, den Überregulierungen der Betriebsaktivitä­ten ein Ende zu setzen und die Zahl der den Betrieben von oben auferlegten Planvor­gaben zu reduzieren.” (Zentralkomitee der KPdSU, Beschluß „Zur Leitungsverbes­serung der Industrie, Vervoll-kommnung der Planung und Erhöhung ökonomischer Anreize in der Industrieproduktion”)

Es handelte sich jedoch nicht nur um die Erweiterung der wirtschaftlichen Eigen­ständigkeit und Initiative der Betriebe – sowie um die Reduzierung der „den Betrie­ben von oben auferlegten Planvorgaben”, sondern um die Verkürzung der noch verbliebenen Vorgaben auf simple „Richtlinien”. Es gab also keine für die Betriebe verbindlichen Anweisungen mehr, sondern ausschließlich „Richtlinien”, welche die Betriebe befolgen oder allesamt ignorieren konnten:

„Planziffern werden … in allgemeiner, geschätzter Form aufgestellt und an die Wirt-schaftssektoren vergeben. In derselben Form werden sie an die Betriebe weiter­gegeben, nicht als genaue Direktiven, sondern mehr als Richtlinien für ihre Planauf­stellung.” (E.G. Liberman, Plan, Direktbindungen und Rentabilität, Prawda, 21. November 1965)

Nachdem die Betriebe unter das Regime des so „reformierten” Systems gebracht wurden, be-gannen diese ihre eigene Produktion zu planen; dabei bestimmten sie sogar die Art und die Qualität der zu produzierenden Güter. Das Ganze wurde dann von den revisionistischen Ökonomen „Planung von unten” genannt, und unter den vorherrschenden Bedingungen dieser Art „Planung” nahm die „zentrale” Wirtschafts­planung nun vollständig die Form der Gesamtheit der Wirtschaftspläne all dieser individuellen Betriebe an; und weil die einzelnen Betriebe im Verlauf einer „Pla­nungsperiode” häufig ihre Pläne änderten, daher der zentrale Wirtschaftsplan von vornherein nicht die geringste Ähnlichkeit mit den Endresultaten aufwies, überrascht es wenig, daß führende Köpfe unter den revisionistischen Ökonomen selbst sagen mußten: „Es ist schier unmöglich, einen Fünfjahrplan zusammenzustellen.” (A. Komin, Probleme in der Methodologie und Praxis der Preisgestaltungsplanung, Planowoje Chosjajstwo, Nr. 9, 1972)

Da die umfassende zentrale Wirtschaftsplanung demontiert und durch die „Pla­nung von unten” ersetzt wurde, reduzierte sich die Rolle des Staates ausschließlich auf die Aufstellung von Richtlinien und auf Versuche, durch verschiedene ökonomi­sche Hebel wie Kreditvergabe, Zinsrate u.s.w. auf die einzelnen Betriebe einzuwir­ken. An die Stelle der vom vereinten Proletariat übernommenen Produktion, an die Stelle der gesellschaftlichen Verteilung von Arbeitskraft und Produktionsmitteln in den verschiedenen Produktionszweigen – so wie es früher der Fall war – trat die im Anschluß an die „Wirtschaftsreformen” eingerichtete Produktion, die (gesellschaft­lich) aufgebrochen und zersplittert, in wachsendem Maße Privatproduktion wurde, d.h. Warenproduktion. Und wenn Warenproduktion einmal die all-gemeine Form der Produktion angenommen hat, kann dies nur kapitalistische Produktion bedeuten. Dies „sozialistische Warenproduktion” zu nennen, ändert die Sache keinen Deut.

„Wir müssen dem Profit und der Rentabilität mehr Bedeutung verleihen”, sagte Nikita Chruschtschow auf dem XXII. Parteitag. Die „Wirtschaftsreform” Breshnews und Kossygins erhöhte die Bedeutung des Profits noch weiter als „eines der ökono­mischen Instrumente des Sozialismus. Eine beträchtliche Erhöhung seiner Rolle in der sozialistischen Ökonomie ist eine unabdingbare Voraussetzung für das Kosten­rechnungssystem.” (Leitartikel „Ökonomische Politik und Arbeit für den Kommu­nismus”, Prawda, 14. Januar 1966)

Und Kostenrechnung (Chosrastschot) wird als Leitungsmethode definiert, um die Rentabilität jedes einzelnen Betriebes zu erreichen. Tatsächlich wird der Profit unter diesem System der Kostenrechnung’ zu einem „Kriterium, das den höchsten Wir­kungsgrad des Betriebes darstellt.” (Trapesnikow, Zur flexiblen ökonomischen Lei­tung der Betriebe, Prawda, 17. August 1964)

Ein anderer revisionistischer Ökonom fügt noch hinzu: „Das Kostenrechnungssy­stem veranlaßt jeden Betrieb, einen größeren Profit zu erlangen.” (Gatowski)

Das Effektivitätskriterium unter dem „Kostenrechnungssystem” fand seinen Aus­druck in dem, was sowjetische Ökonomen euphemistisch „Rentabilitätsindex” nann­ten, d.h. die in einem Pro-zentsatz auf die gesamten Vermögenswerte berechneten jährlichen Profite eines Betriebes. In gewöhnlicher Sprache nennt sich das „Profitrate” – ein Ausdruck, der von revisionistischen Öko-nomen zu jener Zeit wegen sei­ner offensichtlich kapitalistischen Assoziationen und Begriffs-inhalte vermieden wurde – und mit denen sie als Erbauer des „Kommunismus” natürlich nichts zu tun haben konnten! Doch die „sozialistische Profitrate” der einzelnen Betriebe – in „Rentabi-li­tätsindex” umgetauft – das war eine ganz andere Sache!

Mit der Durchsetzung der „Wirtschaftsreformen” sollte – langsam aber sicher – die umfassend zentralisiert geplante Produktion durch die Privatproduktion einzel­ner Betriebe, die für den Markt produzierten und deren Produkte sich im Markt gegenüberstanden, ersetzt werden. Der Profit (das Wertgesetz, welches ein Gesetz der Warenproduktion darstellt und unter dem Kapitalismus als ein Produktionsregu­lator fungiert) wurde zu einem Regulator der Produktion in der UdSSR.

Bis in die 50er Jahre wurden den Betrieben die Produktionsmittel zugeteilt, die sie in Über-einstimmung mit den vom Staat erstellten Plänen verwendeten. Entsprechend gingen die Pro-duktionsmittel nicht in die Warenkategorie ein. Darüber hinaus ge­hörten die Produkte (abgesehen von den Kolchosprodukten) ebenfalls dem Staat. Somit hatten die Betriebe kein Ver-fügungsrecht über das Produkt.

In einem solchen System, welches das vorherr­schende System zu jener Zeit in der UdSSR war, konnte die Profitrate eines Betrie­bes sich kaum verwirklichen. Um sie Wirklichkeit werden zu lassen, fuhren die Wirt­schaftstheoretiker des Revisionismus eine Kampagne, deren Forderung darin be­stand, daß die Betriebe für ihre Vermögenswerte, d.h. die Produktionsmittel, zahlen sollten:

„Die Zeit ist reif für die Beseitigung einer Situation, in der allen möglichen Produktions-einheiten zur Verfügung gestellte fixe Vermögenswerte überhaupt nicht in Rechnung gestellt werden.” (W.S. Nemtschikow, Das Planziel und der materielle Anreiz, Prawda, 21.September 1962)

Das Zentralkomitee der KPdSU billigte die Grundsatzentscheidung, daß die Be­triebe für die Produktionsmittel zu zahlen hätten.

„Es ist notwendig, zugunsten des Staatsbudgets Abzüge von den Profiten der Be­triebe ein-zuführen, die dem Wert der ihnen überlassenen fixen und zirkulierenden Vermögenswerte entsprechen; mit diesen Abzügen, die als Abgaben aus Produkti­onsguthaben betrachtet werden…

In Zukunft stellen Vermögensabgaben den wichtigsten Teil des Staatseinkommens, während andere Zahlungen, einschließlich die Umsatzsteuer, entsprechend an Be­deutung verlieren werden.” (A.N. Kossygin, Zur Leitungsverbesserung der Indu­strie, Vervollkommnung der Planung und Erhöhung ökonomischer Anreize in der Industrieproduktion, Iswestija, 28. September 1965)

Die Notwendigkeit der Kreditaufnahme für die Betriebe zur Begleichung ihrer Produk-tionskosten ergab einen mächtigen Stimulus für ein gewaltiges Aufblähen der Bankkredite und damit die steigende Bedeutung der Zinsrate.

Sogar schon 1965 wurden 40% der zirkulierenden Masse der Betriebsvermögen durch Bank-kredite finanziert und dieser Anteil wuchs auf 50% im Jahre 1976.

„Derzeit stammt jeder zweite Rubel des zirkulierenden Industrievermögens aus Krediten, zusammen mit dem Kreditanteil der Landwirtschaft, des Handels und an­derer Zweige ist dieser Betrag sogar noch höher.” (A.N. Kossygin, Richtlinien zur volkwirtschaftlichen Entwicklung der UdSSR für die Jahre 1976-1980, XXV. Par­teitag der KPdSU, Moskau, 1976, Seiten 42-43)

So wurde Schritt für Schritt das frühere System, im dem der Staat Eigentümer der Produk-tionsmittel war und den verschiedenen Betrieben als staatliche Vertretungen (und nicht als Eigentümer) unentgeltlich diese Produktionsmittel zur Nutzung über­ließ, durch ein System ersetzt, in dem die Betriebe für ihr Produktionsvermögen zahlen mußten und schließlich zu Eigentümern dieser Werte wurden.

Unter den „Wirtschaftsreformen” wurden die Produktionsmittel in die Warensphäre erhoben. Nachdem ihre Käufer – die individuellen Betriebe – für sie gezahlt hatten, erwarben sie sich damit die Verfügungsgewalt über diese Produktionsmittel. Bereits im September 1965 ver-sprühte Premier Kossygin sein Lob auf fünf Transportorga­nisationen, die überzählige Last-kraftwagen und überflüssiges Zubehör verkauft hat­ten. Er fügte hinzu:

„Durch die Verwendung … des aus dem Verkauf überschüssiger Ausrüstungen und anderer materieller Werte erworbenen Geldes werden sich die Betriebe breiterer Machtbefugnisse erfreuen können.” (A.N. Kossygin, Zur Leitungsverbesserung der Industrie, Vervollkommnung der Planung und Erhöhung ökonomischer Anreize in der Industrieproduktion, op. cit.)

„Der sozialistische Markt für Produktionsmittel ist die Sphäre …, wo die ökonomi­schen Be-ziehungen direkt als Beziehungen zwischen Angebot und Nachfrage wirken und im Akt des Kaufs und Verkaufs von Produktionsmitteln aufgehen.” (W. Budaragin, The Price Mechanism and Circulating of the Means of Production in: Scientific Reports of Higher Schools: Economic Science [Preismechanismus und Zirkulation der Produktionsmittel, in: Wissenschaftsbericht der Hochschulen: Ökonomische Wis­senschaft], Nr. 11,1971, aus: Probleme der Ökonomie, Bd. XV, Nr. 3, Juli 1972, S. 74)

In der Folge der „Wirtschaftsreformen” wurde der Ankauf und Verkauf von Pro­duktionsmitteln über Jahre hinweg Großhandelsorganisationen übertragen – und 1971 repräsentierten zwei Drittel des durch den Markt vermittelten Gesamthandelsumsat­zes der UdSSR Produktionsmittel (siehe Budaragin, op. cit.)

Laut „Satzung über den Sozialistischen Staatlichen Produktionsbetrieb” wurden die Eigen-tumsrechte am Betrieb nun auch seinem Direktor übertragen, der „ … ohne Vollmacht im eigenen Namen handeln und über das Eigentum sowie das Vermögen des Betriebes verfügen darf.”

Und nun ein exemplarischer Blick auf die Wirtschaftspolitik der Sowjetunion zur Zeit Gorbatschows am Beispiel der Landwirtschaft:

Die im Juni 1988 abgehaltene 19. Parteikonferenz markiert eine wichtige Etappe auf dem Weg, die sozialistische Planwirtschaft zu diskreditieren und sie durch eine Marktwirtschaft zu ersetzen. Es sind nun nicht mehr die tacken auf Bürokratie und überzentralisierte Leitung, obschon sie manchmal noch als Deckmäntelchen für die Einschleusung bürgerlicher „Reformen“ Erwähnung finden. Wir entdecken aber zum ertsen Mal in einer Rede Gor-batschows das offene Eingeständnis, dass seine Reformen nicht nur auf die Verbesserung der Leitung und der Verwaltungsstrukturen der landwirtschaftlichen Staats- und Kollektivbetriebe abzielen sollen, sondern auf die Veränderung der „Produktionsverhältnisse unter den land-wirtschaftlichen Betrieben“ das ist etwas Grundsätzliches und berührt die Klassenstruktur der sowjetischen Landbevölkerung. Lassen wir Gorbatschow sprechen:

„Kurz, Genossen, die aktuelle Agrarpolitik besteht im wesentlichen darin, die Produktions-verhältnisse unter den landwirtschaftlichen Betrieben  zu ändern. Wir müssen das ökonomische Gleichgewicht zwischen Stadt und Land wieder herstellen und das Potential der landwirtschaft-lichen Kollektiv- und Staatsbetriebe durch Förderung diverser Vertrags- und Pachtsysteme außerordentlich entfalten. Wir müssen die Entfremdung zwischen dem Bauern und dem Land überwinden.“

Nur ein Eklektiker, ein Heuchler oder ein Befürworter der kapitalistischen Restauration kann die Behauptung aufstellen, dass „das Potential der landwirtschaftlichen Kollektiv- und Staats-betriebe“ ausschließlich durch „Förderung diverser Vertragssysteme“ entfaltet werden könne; in Wahrheit untergräbt die eine Form die andere.

Gorbatschow verlangt in seinem Bericht die Annahme eines „Sondergesetzes“ über Pachtbesitz und fügt hinzu, dass diese Pachtungen „langfristiger Natur sein sollten und für einen Zeitraum von etwa 25 30 und sogar 50 Jahren überlassen werden sollten. Allgemein müsste das Problem so gestellt werde: Niemand hat das Recht, Menschen die Möglichkeit vorzuenthalten, auf Pachtvertragsbasis zu arbeiten.“ (Zeitungsbeilage zur Moskowskije Nowosti, Nr. 33, 1988) So würde der Staat zum fiktiven Eigner des Landes werden, der Pächter zum tatsächlichen Beistzer. Zum ersten Mal seit Ende der NEP gab es die Erlaubnis zur Anwendung von Lohnarbeit; damit war die Tür zur Zerstörung von Staats- und Kollektivwirtschaften und ihre Ablösung durch eine private Landwirtschaft weit geöffnet.

Die Dikreditierungsversuche in Bezug auf das System der Kollektivwirtschaften, der staatlichen Landwirtschaft und der zentral geplanten sozialistischen Industrie nahmen 1988/89 an Häufigkeit und Intensität zu. Inzwischen gaben sich höchste sowjetische Regierungsfunktionäre nicht einmal mehr die Mühe, ihre Plattformen und Programme für die allseitige Restauration des Kapitalismus unter rituellen Lippenbekenntnissen zu verstecken, so wie es Dr. Leonid Abalkin, Leiter der sowjetischen Kommission für Wirtschaftsreformen und stellvertretender Minister-präsident der UdSSR 1990 in einem Interview tat:

„Nur ein paar Worte über einige grundsätzliche Maßnahmen der Reform und ihr Konzept.

Erstens, es ist eine radikale Reform. Es ist keine Verschönerung eines heruntergekommenen Hauses, sondern der Abriss eines administrativen Kommandosystems und seine Ersetzung durch ein qualitativ neues Modell für die sozialistische Wirtschaft.

Zweitens kann die Wirtschaftsreform nur in Verbindung mit Veränderungen in der politischen Sphäre des Lebens effektiv sein.

Drittens, die Reform betrifft die eigentlichen Grundlagen des ökonomischen Systems.

Sie ist darauf ausgelegt, die Eigentumsverhältnisse in ihrer Gesamtheit zu erneuern.“ (Morning Star, 11.5.1990)

Der Revisionismus entstand weder im Jahr 1956 noch im Jahr 1989 plötzlich und auch nicht auf einmal. Im imperialistischen Kampf gegen den Sozialismus auf dem Feld der ökonomischen Theorie spielte vor allem ein Argument eine wachsende Hauptrolle, nämlich, dass eine leistungsfähige Ökonomie ohne Markt nicht möglich sei. Und weiter so die Argumentation müsse der Sozialismus mit seinem Ziel der Abschaffung des Marktes in immer größerer Ineffizienz und Bürokratie enden, die wiederum Bedingungen für eine unheilbare Krise schafften, in welcher sich der Markt erneut durchsetzen würde. Dies ist aber nur ein anderer Weg zu behaupten, dass das kapitalistische Produktionssystem keine historisch bedingte, vorübergehende Phase der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft ist, sondern die Endstufe der Gesellschaftsentwicklung. Die Entstehung des Revisionismus und seine weitere Entwicklung wird durch diese Behauptung erklärt und der Revisionismus selbst misst diesem Argument größte Bedeutung bei.

Und die Fakten? W. L. Makarow, Direktor des Zentralinstitutes für Ökonomie und Mathematik der sowjetischen Akademie der Wissenschaften (und Gorbatschow-Anhänger) musst am 29. Mai 1988 in der New York Times zugeben:

„Von 1928 bis 1955 war die Wachstumsrate der sowjetischen Wirtschaft relativ hoch (zwischen 5 und 10 Prozent), und innerhalb dieses Zeitraums wurde die Sowjetunion in ökonomischer Hinsicht zur zweitgrößten Macht der Welt. Zur selben Zeit gab es deutliche Fortschritte im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben der Menschen: man konnte ihnen ökonomische Stabilität, Vollbeschäftigung und Sicherung des Einkommensniveaus garantieren. Wir bekamen den Eindruck, dass wir alles erreicht hatten, was wir uns wünschen konnten.

Es gab jedoch eine Abschwächung derjenigen Faktoren, die zu langfristigem Wirtschafts-wachstum beitrugen. Während der letzten 15 oder 20 Jahre sank die Wachstumsrate beständig, die Qualität und die Vielfalt der Konsumgüter nahm ab, die Leute standen dem politischen und wirtschaftlichen Leben immer gleichgültiger gegenüber und es gab weniger Anreize für sie, hart zu arbeiten oder an schwierigen Unternehmungen mitzuwirken.“

Harpal Brar,
London

  • [10]Überschrift von der Redaktion „offen-siv“. Auszugsweiser Nachdruck aus dem Buch „Perestrojka“ (Pahl-Rugenstein-Verlag Nachfolger, Breite Str. 52, 53111 Bonn) von Harpal Brar.