Kurt Gossweiler:
Schlußwort auf der Geburtstagsfeier am 17. November 2007
Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freunde,
das war ja fast ein Trommelfeuer von Lob und Anerkennung, – aber 90 wird man ja nur einmal, und zu diesem Anlass kann man sich das anhören, ohne deshalb gleich Gefahr zu laufen, dem Größenwahn zu verfallen.
Schon gar nicht dann, wenn man weiß und nicht vergessen hat, wieviel von dem, was man geleistet hat, man den Leistungen anderer verdankt, und da habe ich an erster Stelle meine Frau zu nennen, der gegenüber ich immer ein Schuldgefühl habe, weil Last und Freude in unserer Ehe so ungleich verteilt sind: sie trägt fast die volle Last des Haushaltes alleine, meine Arbeit dagegen ist mehr Freude und Bedürfnis als Last; überdies nahm und nimmt sie noch immer an meiner Arbeit mehr Anteil als ich an ihrer.
Der unerwartete – aber mit Sicherheit nur zeitweilige – Sieg der Konterrevolution hat meine Forschungen von ihrem ursprünglichen Gegenstand, dem Faschismus, umgelenkt auf die Suche nach der Antwort auf die Frage nach den Ursachen unserer keineswegs unvermeidlichen Niederlage.
Diese Niederlage hat uns tief getroffen, sie ist eine Katastrophe nicht nur für die Völker der ehemals sozialistischen Länder, sondern für die ganze Menschheit. Es genügt, sich vor Augen zu führen, wo überall vorher Frieden war und wo danach imperialistische Kriege wieder entfesselt wurden und immer weitere Kriege drohen.
Aber in der dunkelsten Zeit nach der sogenannten „Wende“ hat sich die Dialektik des Geschichtsganges damit bestätigt, dass selbst diese bösesten Ereignisse auch Gutes hervorbrachten: sie führten Menschen zusammen, die – ohne es zu wissen – schon lange zusammengehörten, und die ohne diese bösen Ereignisse sich wohl nie begegnet wären: Ich meine damit einmal die Zusammenführung von Kommunisten wie „Kled“, also Karl-Eduard von Schnitzler und Martha Raffael, Heinz und Ruth Keßler, Ulrich Huar, Hermann Leihkauf, mich u.a.,- mit Theologen, wie Hanfried Müller und Rosemarie Müller-Streisand, Pfarrerin Renate Schönfeld und anderen.
Zum Zweiten das Zusammenfinden von parteigebundenen und parteilosen Kommunisten der DDR mit ebensolchen Kommunisten der BRD, sowohl der älteren wie der jüngeren Generation.
Doch zunächst, wie es bei mir zum Kontakt zu Theologen kam, die zu meiner großen Überraschung in sogenannten weltlichen Fragen ihren Marx und Engels besser kannten als mancher Genosse, und die vor allem auch als Marxisten gegen die neuen Herren klar und kompromislos Stellung nahmen, während nicht wenige meiner früheren Kollegen und Genossen zu Anpassern und Wendehälsen mutierten.
Wenn ich mich recht erinnere, wurde noch in den letzten Monaten der DDR der Bund der Antifaschisten gegründet. In seiner Leitung wurde bei der Beratung über seine Satzung auch von irgend jemand gefordert, der BdA müsse in seine Satzung auch eine Verurteilung des Stalinismus hineinschreiben. Über diese Beratung berichtete das ND, und in diesem Bericht war zu lesen, dass eine Pfarrerin Schönfeld entschieden gegen diese Forderung aufgetreten war. Das war eine ebenso ungewöhnliche wie erfreuliche Meldung, und so schrieb ich ans ND und bat um die Adresse dieser ungewöhnlichen Pfarrerin und erhielt sie auch. Ich schrieb ihr ein Dankeschön und einen Solidaritätsgruß für ihr Auftreten, was dazu führte, dass wir sie bald darauf bei uns als Gast begrüßen durften. Bei dieser ersten Begegnung erfuhr ich, dass sie in jedem Monat eine Veranstaltung im Hause der Bezirksleitung der PDS in Marzahn durchführte, die deshalb den Namen „Marzahner Runde“ bekam, den sie noch heute trägt, obwohl wir inzwischen schon lange im Bezirk Mitte tagen.
Bei meinem ersten Besuch dieser Runde Ende 1990 sprach der damalige Referent über den Rückschlag, den der Sozialismus erlitten hat; nicht ohne einen resignativen Unterton, etwa in der Richtung, es sei das wohl unvermeidlich gewesen. Das ging mir sehr gegen den Strich, aber als Neuling hielt ich mich zurück. Renate Schönfeld hat dann diesen Neuling dem Kreis vorgestellt als Spezialist für Faschismusfragen und mich gefragt, ob ich nicht in der nächsten Sitzung im Januar ein Referat zu Fragen des Faschismus übernehmen könnte.
Ich sagte zu, ein Referat zu übernehmen, aber nicht über den Faschismus, sondern im Anschluß an das heutige Referat zur Frage, ob der Sozialismus in Deutschland nach 1945 keine Chance gehabt hat.
Damit waren alle einverstanden, und so habe ich im Januar 1991 in der Marzahner Runde meine erste Ausarbeitung zu den Ursachen unserer Niederlage vorgetragen.
Die Marzahner Runde war aber nicht der einzige von Theologen, in diesem Falle von einer Theologin geleitete linke Kreis. Durch Renate erfuhr ich, dass es noch einen zweiten Kreis gäbe, geleitet von dem Theologenpaar Hanfried Müller und Rosemarie Müller-Streisand, der ebenfalls in jedem Monat einmal tagt.
Durch Renate wurde ich auch in diesen Kreis eingeführt und mit den beiden Theologen-Professoren bekannt gemacht, die nicht nur diesen Kreis leiteten, sondern auch eine Zeitschrift herausgaben, die Weißenseer Blätter, von denen ich bisher nie etwas gehört und erst recht nichts gelesen hatte.
Und ausgerechnet diese Zeitschrift, hinter deren Namen zu lesen war: „Herausgegeben im Auftrag des Weissenseer Arbeitskreises (kirchliche Bruderschaft in Berlin-Brandenburg)“ wurde nun nicht nur für mich, sondern auch für solche von den Feinden der DDR seit eh und je mit wütendem Hass verfolgten, aber nun jeder Publikationsmöglichkeit beraubten Kämpfern gegen den BRD-Imperialismus, wie Kled Schnitzler, zu ihrem einzigen, auf Jahre hinaus auf jeden Fall wichtigsten Publikationsorgan. Wer hätte sich zu DDR-Zeiten eine solche Kombination vorstellen können!
Das zeigt: wir Kommunisten hatten in Sachen antiimperialistisches Bündnis noch viel hinzuzulernen!
Mein Vortrag in der Marzahner Runde wurde von Hanfried Müller für wert befunden, in den Weißenseer Blättern veröffentlicht zu werden – und erschien in Heft 2/1991 unter der Überschrift: „Hatte der Sozialismus nach 1945 keine Chance?“ Dies war meine erste Publikation auf meinem neuen Forschungsgebiet, dem „modernen Revisionismus“.
In der Nachfolgepartei meiner Partei SED, in der PDS, hielt ich es zwar noch bis 2001 aus, aber es war dies nicht mehr meine politische Heimat, die hatten wirkliche Kommunisten zusammen mit ihrem Staat, der DDR, verloren.
In den beiden von Theologen geleiteten Kreisen fand nicht nur ich, sondern fanden auch andere politisch heimatlos gewordene Genossinnen und Genossen Gemeinschaften von Gleichgesinnten in der Trauer und im Zorn über den Verlust der DDR und in ihrer unveränderten sozialistischen Zukunftsgewissheit , Gemeinschaften, die für sie unentbehrlich wurden.
Den – manchmal durchaus auch kontroversen – Debatten und dem Erfahrungs- und Gedankenaustausch in diesen Kreisen verdanke ich viele Anregungen und neue Erkenntnisse, wofür ich an dieser Stelle ihren Leitern, Renate Schönfeld und Hanfried Müller und Rosemarie Müller-Streisand, ausdrücklich Dank sagen möchte.
Nach Erscheinen meines ersten Artikels machte ich eine überraschende Erfahrung – dass nämlich die Weißenseer Blätter, die ich vorher gar nicht gekannt hatte, und von denen ich meinte, sie könnten nur einen sehr kleinen Leserkreis haben, offenbar deutschlandweit und sogar noch weiter aufmerksam gelesen wurde. Dieser eine Artikel von mir hatte nämlich ganz unerwartete Folgen. Ich erhielt Anfangs 1993 eine Einladung aus Belgien zur Teilnahme an der Feier des 1. Mai und am anschließenden Seminar der Partei der Arbeit Belgiens mit dem Angebot, dort ein Referat zu halten über die Ursachen des Unterganges der DDR. Natürlich folgte ich mit großer Spannung dieser Einladung und hatte dazu einen Vortrag zu einem von den Einladern vorgeschlagenen Thema vorbereitet, das unter der Überschrift „Stärken und Schwächen im Kampf der SED gegen den Revisionismus“ veröffentlicht wurde.
Die Tage auf der Veranstaltung der belgischen Genossen waren ein bleibender Höhepunkt meiner Erlebnisse in der Zeit nach dem Sieg der Konterrevolution, war es doch ein Treffen von internationalem Ausmaß, mit Vertretern aus kommunistischen und antiimperialistischern Parteien vieler, auch außer-europäischer Länder. Unvergesslich das überwältigende Hochgefühl, als alle Teilnehmer, zum Abschluß des Seminars auf der Bühne versammelt, gemeinsam, jeder in seiner Sprache, unsere Hymne, die Internationale sangen.
Dieses Seminar wurde auch eine Stätte der Begegnung von deutschen Kommunisten, die sich vorher nur dem Namen nach oder überhaupt nicht kannten. So hatte ich dort die erste persönliche Begegnung mit Kled und Martha Raffael, eine Wiederbegegnung mit Klaus von Raussendorff und erste Begegnungen mit Stefan Eggerdinger, Michael Opperskalski und Hans Wauer.
Ich habe damit Namen von Genossen genannt, denen ich ebenfalls als solchen zu danken habe, die einen großen Anteil an dem haben, was heute von den Rednern an Leistungen meinem Konto gutgeschrieben wurde.
Wer die Zeitschrift „Streitbarer Materialismus“ und den „Verlag zur Förderung der wissenschaftlichen Weltanschauung“ und seine Publikationen kennt, weiß schon viel von dem, was ich dem Verleger Stefan Eggerdinger, aber noch nichts von dem, was ich ihm als Freund und Genosse und den Gesprächen mit ihm verdanke.
Durch Stefan bekam ich erstmals Kenntnis von und Kontakt zum „Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD“. Die Genossinnen der KAZ-Fraktion des Arbeiterbundes – Renate Hennecke und Renate Münder luden mich im Oktober 1993 zu einem Vortrag nach München ein, was dazu führte, dass ich auch in der KAZ ein weiteres Publikationsorgan fand..
Ähnliches wie zu Stefan Erggerdinger wäre auch zu Klaus von Raussendorff zu sagen. Wie er es schafft, so umfangreich und stetig über die finsteren Machenschaften der imperialistischen „Anti-Terror“-Krieger zu recherchieren und aufzuklären, kann ich nur staunend bewundern. Obwohl also auf keinen Fall an Langeweile leidend, schlug er vor Jahren mir, dem absoluten Laien in Sachen Internet, vor, meine wichtigsten Arbeiten doch auch für ein breiteres Publikum ins Internet zu stellen, und übernahm es, dies zusammen mit dem Genossen Dieter Vogel für mich zu tun. Nur dadurch habe ich mich gezwungen gesehen, meinen PC ans Internet anschließen zu lassen; bis dahin war er für mich nicht mehr als eine vervollkommnete Schreibmaschine gewesen. Seitdem kommen zu der Post und den Telefongesprächen gemailte Briefe und Grüße von zumeist unbekannten Personen, die mich gezwungen haben, auf meine alten Tage nun auch noch zu lernen, elektronische Post auf gleichem Wege zu beantworten. Und siehe da, es geht und macht sogar Spaß!
Durch Michael Opperskalski erhielt ich nach dem Brüsseler treffen mehrfach Einladungen zu einem Vortrag im Allerweltshaus in Köln und konnte mich dadurch etwas vertrauter machen mit den Bedingungen, unter denen er und die Genossen in der alten BRD zu arbeiten haben. Ich lernte auch seine Zeitschrift „Geheim“ kennen, die ihre Aufgabe ebenfalls darin sieht, imperialistische Machenschaften aufzudecken, dies aber auf einem ganz speziellen Gebiet, dem der imperialistischen Geheimdienste.
Schließlich erfuhr ich durch die Begegnung mit dem Genossen Wauer in Brüssel, dass es nicht nur in der alten BRD eine kommunistische Partei, die DKP, gibt, sondern dass 1991 auf dem Gebiet der DDR sich eine KPD konstituiert hat, zu der ich durch ihn Beziehungen einer genossenschaftlichen Zusammenarbeit pflegte, die bis heute andauert.
Mit der Schriftenreihe der KPD, die nach deren Spaltung durch die KPD(B) – die Partei, an deren Bildung Hans Wauer führend beteiligt war, fortgeführt wird – die jetzige KPD hat nach der Spaltung begonnen, ihrerseits eine eigene Schriftenreihe herauszugeben -, haben die organisierten wie die parteilosen Kommunisten eine weitere Möglichkeit erhalten, ihre Arbeiten zu veröffentlichen.
Hans Wauer und die KPD(B) haben sich auch mit dem kostenlosen Druck der Studienmaterialien für die Studenten des Fernunterrichts-Kurses der Zeitschrift „Offensiv“ um die Gewinnung von jugendlichem Nachwuchs für die kommunistische Bewegung verdient gemacht.
Damit bin ich zu der Zeitschrift und dem Personenkreis gekommen, denen ich persönlich für die Möglichkeit, meine Gedanken und meine Forschungsergebnisse zu den Ursachen unserer Niederlage und zu den Bedingungen eines neuen Aufstieges öffentlich zu machen, seit Jahren an erster Stelle zu danken habe; die Zeitschrift auch, die meiner Kenntnis und Meinung nach an der Spitze aller Zeitschriften steht, die sich die Verbreitung der unverfälschten Theorien von Marx, Engels und Lenin und den Kampf gegen deren revisionistische Verfälschung zum Ziel setzen – der Zeitschrift „Offensiv“ und ihren Initiatoren und Herausgebern Frank Flegel und Anna Heinrich. Ich weiß, dass ich mit dieser Formulierung unkorrekt bin – Herausgeber ist seit seiner Gründung der „Verein zur Förderung demokratischer Publizistik e.V“. Aber Anna und Frank sind – wie alle Offensiv-Leser mit jedem Heft erneut erleben – die Seele des Ganzen.
Aber zu danken ist auch allen, die durch ihre aktive Mitarbeit und Unterstützungsbereitschaft, sei es als Vorstandsmitglied, wie Michael Opperskalski, als Funktionsträger im Förderverein, wie Andrea und André Vogt, oder als Autor oder Leser, ermöglicht haben und weiter ermöglichen, dass diese tatsächlich unabhängige Zeitschrift nicht nur überleben konnte, sondern wachsen, gedeihen und an Einfluß und Ausstrahlung stetig zunehmen kann.
Diese meine Aufzählung derer, denen ich für positiven Einfluß auf meine Arbeiten zu Dank verpflichtet bin, ist notwendigerweise unvollständig. Dazu gehörte auch eine beträchtliche Zeit die Gruppe Nord-Ost der DKP und ihr Organ, der Rotfuchs und dessen Schöpfer, Klaus Steiniger.
Beide, Offensiv und Rotfuchs, haben mehrere wichtige Konferenzen gemeinsam durchgeführt. Das war nicht nur für sie, sondern vor allem für die Sache, die beide als ihre Sache betrachten, die Arbeit für das Wiedererstehen einer starken marxistisch-leninistischen Partei in Deutschland, von großem Nutzen. Als Mitglied des Förderkreises beider, des Rotfuchs und von Offensiv, habe ich die Bemühungen von „Offensiv“-Seite begrüßt, der weiteren erfolgreichen Zusammenarbeit beider durch ein Arbeitsabkommen eine feste Grundlage zu geben. Leider wurde dies von Rotfuchs-Seite schroff abgelehnt – zu beiderseitigem Schaden, wie ich meine.
Ich hoffe sehr, dass die Redaktion des Rotfuchs und die Leitung seines Fördervereins auch gegenüber den Kommunisten und Sozialisten um „Offensiv“ den Weg finden, sich entsprechend dem selbstgestellten Ziel zu verhalten – der Zusammenführung von Kommunisten und Sozialisten.
Ich ende meine schon viel zu lange Rede mit diesem Wunsch und meinem nochmaligen Dank an Euch, Frank und Anna, die Ihr neben all Eurer großen beruflichen Belastung und der nicht minder großen Beanspruchung als Herausgeber unserer Zeitschrift noch die Zeit und Kraft aufgewendet habt für das Zustandekommen dieser Veranstaltung und sogar noch einer Festschrift. Damit habt Ihr und haben mir alle, die dazu einen Beitrag geleistet haben, eine ganz besondere, unerwartete Freude bereitet, für die ich ganz herzlich danke.
Mein Dank gilt schließlich euch allen, die ihr die Mühe auf Euch genommen habt, heute hier teilzunehmen.
Ich kann Euch kaum etwas Besseres wünschen, als dass Ihr Euren 90. Geburtstag im Kreise eben solch guter Freunde und Genossen begehen könnt, wie ich heute, aber – wenigstens die Jüngeren von Euch – in einem Deutschland, das nicht mehr von den Bank – und Konzernherrn beherrscht wird, sondern von seinem werktätigen Volk!
Kurt Gossweiler, Berlin