Raul Castro:
Wenn wir nicht überzeugen, tut es der Feind
Bericht an des Politbüro der KP Cubas, März 1996, Auszüge
… In der Gegenwart muss die Revolution die massive Ausübung der verschiedenen selbständigen Tätigkeiten akzeptieren. … Die Zahl der privaten Bauern weist eine steigende Tendenz auf. Ihre privilegierte wirtschaftliche Lage stimuliert ihre Söhne und sonstigen Erben, nach und nach in die Fußstapfen der gegenwärtigen Eigentümer zu treten. Die Psychologie der Privatproduzenten und selbständig Tätigen, die sich aus deren Tätigkeit mit persönlichem und familiärem Gepräge und dem Ursprung ihrer Einkommen – dem privaten Handel mit Erzeugnissen oder Dienstleistungen – ergibt, neigt im allgemeinen zum Individualismus und ist nicht Ursprung sozialistischen Bewusstseins. Die negativen Folgen, die durch die selbständige Tätigkeit hervorgebracht werden, sind nicht wenige, wie z.B. die Stimulierung alter und die Förderung neuer Formen der Kriminalität, der Begünstigung, der übermäßigen Bereicherung, die Herausbildung von Grundlagen für Zusammenschlüsse, Vereinigungen und organisiertes Handeln, die im Widerspruch zum Staat stehen – und die Schaffung eines Nährbodens für subversive Tätigkeiten des Feindes. …
Was die Bauern angeht, die nicht an die kooperative Produktionsweise gebunden sind, also die Privatbauern, … so schafft die Mehrheit von ihnen mit ihrer ehrlichen Arbeit ausreichende Erträge für einen anständigen Lebensunterhalt. … Wieder andere, die zwar eine Minderheit darstellen, aber die wohlhabendsten sind auf Grund der Abmessung und der Qualität ihrer Ländereien oder von Vorteilen und Möglichkeiten in ihrem Beschäftigungsfeld, verbunden mit ihrer Geschäftstüchtigkeit und manchmal auch ihrer Skrupellosigkeit, die sie alle Arten von Geschäften eingehen lässt, selbst wenn diese undurchsichtig oder schlichtweg illegal sind, häufen größere Geldmengen an, die sie je nach ihren Möglichkeiten in neue Geschäfte investieren oder ganz einfach horten. Die letztgenannten Bauern und ein Teil der Selbständigen in den Städten, zu denen wir in ganz besonderem Maße die Zwischenhändler zählen können, bilden die Schicht der Neureichen, die im Land entsteht. …
Es liegt in unseren Händen, jene Faktoren, die natürliche Verbündete der inneren Konterrevolution sind, wie z.B. gesellschaftliche Disziplinlosigkeit, Diebstahl, Raub, und Kriminalität entschlossener zu bekämpfen. … Man versteht, dass im Grunde bei allem die Ideologie im Spiele ist: beim wirtschaftlichen Kampf, beim politischen Kampf und bei der Auseinandersetzung mit jenen Faktoren, die dem Sozialismus fremd sind, mit denen wir aber leben müssen, ohne zu erlauben, dass sie das gesellschaftliche Bewusstsein zu sehr schädigen. …
Unsere Forschungsinstitutionen müssen in erster Linie den Interessen unseres Volkes dienen. … Eine neutrale oder unklare Haltung zu vertreten, um einer Auseinandersetzung oder einem heiklen Thema auszuweichen, bedeutet, vor dem Gegner eine Schwäche zu zeigen, die inakzeptabel ist. … Mit wem müssen wir diese Probleme erörtern? Mit allen und überall! Nicht nur mit jenen, die sich – mit dem Parteibuch in der Tasche – seit geraumer Zeit zu einer Ideologie bekennen, die nicht unsere ist, und mit denen man konsequent umgehen muss, sondern auch mit jenen, die in diesen Forschungsinstituten eine passive, selbstgefällige und verantwortungslose Haltung gegenüber Sachverhalten einnehmen, die sie von den Zielen, für die sie der revolutionäre Staat geschaffen hat, ablenken. Es ist notwendig, dass die Mitglieder der Partei und der Jugendorganisation innerhalb dieser Institutionen und in der gesamten akademischen Sphäre eine sofortige Untersuchung hinsichtlich der Rolle vornehmen, die sie bei den negativen Strömungen spielen, die seit einiger Zeit vorherrschen und gelegentlich, getarnt mit der Sprache scheinbarer Freidenker, in Erscheinung treten. In Wirklichkeit denken jene, die unter dem Druck unserer Feinde auf eine neue, ent-ideologisierende Form der Nachäfferei verfallen, weder selbständig, noch handeln sie wie Revolutionäre. …
Da finden auf der Suche nach Informationen ständig Reisen durch alle Provinzen statt und Versuche des Eindringens in die so genannte Welt der Intellektuellen, in das Schulwesen, das Gesundheitswesen, oder man wendet sich an jugendliche Persönlichkeiten oder Idole. All dies sind Bereiche, die sie für empfänglich oder anfällig halten. Kurz, es ist eine ganze Sammlung von geplanten Aktivitäten, die das gesamte Universum unserer Gesellschaft umfassen und darauf gerichtet sind, unser Volk zu entzweien, es zu verwirren und es ideologisch zu unterwandern, um zu versuchen, uns aus dem Gleichgewicht zu bringen. …
Track One (Teil Eins) der anticubanischen US-Strategie ist die Blockade mit dem Ziel der wirtschaftlichen Erdrosselung.
Track Two (Teil Zwei) ist die interne Subversion, um uns subtil von innen heraus zu zermürben.
Beide Teile ergänzen sich.
Das Erste, was wir Revolutionäre begreifen müssen, ist, daß die Verabschiedung des Helms-Burton-Gesetzes, das den Teil Eins auf wahnsinnige Art verschärft, nicht bedeutet, daß der Feind den Teil Zwei aufhebt.
Die Versuche, Verwirrung, fehlendes Vertrauen und Zwietracht zu sähen und das cubanische Volk zu spalten, um Unzufriedenheit, zivilen Ungehorsam und eventuell Ausschreitungen zu provozieren, die den extremistischen Yankee-Kreisen einen Vorwand für militärische Aktionen liefern, sind weit davon entfernt, nachzulassen. Sie werden zunehmen. Der Feind wird neue Wege der Einflussnahme suchen und die bereits vorhandenen Kanäle, von Europa und verschiedenen Orten unseres Kontinents aus, verstärkt zu nutzen.
Wie bereits gesagt, der Feind verheimlicht seine Absichten nicht, einen Teil der so genannten Nichtregierungsorganisationen, die in den letzten Jahren in Cuba gegründet wurden, zu benutzen, um mit diesem Trojanischen Pferd die Spaltung und Subversion zu verstärken. (…)
Wir wären dumm, wenn wir die Manipulationsversuche nicht erkennen würden, die man mit Hilfe anderer so genannter NGO’s (Nichtregierungsorganisationen, d.Red.) unternimmt, deren einziges Ziel es ist, unser Land erneut zu versklaven und es in ein noch abhängigeres Puerto Rico zu verwandeln.
Und sie suchen immer wieder Ansatzpunkte in Cuba, um sich in unsere inneren Angelegenheiten einzumischen.
Es muss hinzugefügt werden, dass wir lange gebraucht haben, diese Manöver gründlich zu untersuchen und konsequent zu handeln. Beginnen wir damit, uns mit der Situation der Studienzentren auseinanderszusetzen, die dem Zentralkomitee der Partei nahe stehen. Ab 1976 wurden sie ins Leben gerufen, was berechtigt war und ist. Doch ohne, daß wir rechtzeitig reagierten, verfingen sich manche Genossen Schritt für Schritt im Spinnennetz ausländischer Kubanologen, die in Wirklichkeit Diener der US-Politik zur Bildung einer fünften Kolonne waren, wobei sich Naivität mit Pedanterie verbunden haben, Aufgabe der Klassenprinzipien mit der Versuchung, zu reisen und Artikel und Bücher nach dem Geschmack derjenigen zu ver-legen, die sie finanzieren können. So ist es mit dem Zentrum für Amerikastudien geschehen. …
Im Licht der bitteren Erfahrungen mit dem Institut für Amerikaforschungen muss die Arbeit des Instituts für Europaforschung und die aller anderen untersucht werden. Es ist notwendig, daß die Partei auf Grundlage ihrer Beschlüsse eine Analyse zum Abschluss bringt, und wir schnellstens eine einheitliche und konsequente, unnachgiebige Politik umsetzen, die es erlaubt, im derzeitigen internationalen Umfeld zu handeln, aber innerhalb der Grenzen, die in der aktuellen Lage vernünftig sind, damit sich diese Einrichtungen nicht in Instrumente verwandeln, die unsere Gegner beanspruchen. …
Eine weitere Angelegenheit, die dringend die Aufmerksamkeit des Zentralkomitees und der gesamten Partei verdient, bezieht sich auf eine Variante von „Glasnost“, die in Cuba in der letzten Zeit einige subtile Ausdrucksformen angenommen hat. Die so genannte „Glasnost“, die die UdSSR und andere sozialistische Länder unterminiert hat, bestand darin, die gesamten Informationsmedien, eins nach dem anderen, den Feinden des Sozialismus zu überlasse.
Anfänglich, als es diesen Feinden darum ging, das ganze Volk zu mobilisieren, präsentierten sie sich als Bahnbrecher und Vorkämpfer des Volkes – und danach löschten sie alles Revolutionäre aus, das es in der Geschichte gegeben hat; mit den Folgen, die wir alle kennen, einschließlich der Auflösung des größten Landes der Welt.
Alarmiert durch diese Erfahrungen und dank der Einsicht Martís, dass im Krieg die Schützengräben der Ideen wichtiger sind als die Schützengräben aus Stein, halten wir daran fest und werden weiter daran festhalten, dass die wirklich frei Presse jene Presse ist, die der Freiheit des Volkes dient und nicht den Ausbeutern, die in Miami auf der Lauer liegen. …
Die revolutionäre Wachsamkeit wird niemals vernachlässigt werden. Die Geschichte lehrt uns mit allzu viel Beredsamkeit, dass jene, die dieses Prinzip missachten, diesen Fehler nicht überleben. …
Wir glauben, dass unser Zentralkomitee und die übrigen Leitungsorgane der Partei bessere Möglichkeiten haben, den Problemen mit der erforderlichen Gründlichkeit und Systematik entgegenzutreten, wenn die Probleme ohne Umschweife dargestellt und klar beim Namen genannt werden.
Unerlässliche Voraussetzung für die Erfüllung dieser Aufgabe ist an erster Stelle, sich auf eine starke Partei verlassen zu können, die ihre Arbeitsweise ständig verbessert und deren Ansehen bei den Menschen in dem historischen Augenblick, in dem wir es am dringendsten brauchen, noch weiter steigt. …
Wenn wir dazu übergehen, diese von der Realität diktierten Lehrsätze umzusetzen, müssen wir den Grundsatz aufstellen:
die Reinheit der Revolution muss gewahrt werden.
Raul Castro,
Havanna, März 1996;
vollständig abgedruckt in: Granma internacional, Nr. 5, Mai 1996.