Andrea Schön: Südafrika – Willkommen in der Neuen Weltordnung!

Wer heute die südafrikanische Regierungspolitik mit ihrem neoliberalen Deregulierungsprogramm betrachtet, das alle klassischen Elemente des Abbaus sozialer Rechte und Sicherheiten enthält, mag sich zu Recht fragen, was aus der einst so militanten und ruhmreichen Antiapartheid-Bewegung geworden ist.

Die Realität nach acht Jahren ANC-Regierung

Südafrika ist zu einer sub-imperialistischen regionalen Ordnungsmacht geworden, wie sie in Zeiten der Apartheid kaum hätte effektiver sein können: Sie übererfüllt WTO-Standards u.a. mit Niedrigstzöllen, bemüht sich um ein für Direktinvestitionen (Kapitalexport) ideales Investitionsklima mit entsprechenden Steuergeschenken, ist Vorreiter beim sogenannten Nepad (New Partnership for Africa’s Development), um Investitionen nach Afrika zu ziehen, den Weltmarkt für afrikanische Produkte zu öffnen und sich im Gegenzug mit “Rechtsstaatlichkeit und Demokratie” (sprich: legale Absicherung aller gewünschten Ausbeutungsformen) zu revanchieren. Das Land vertritt die Interessen der derzeitigen imperialistischen Hauptmacht (USA) im Lusaka-Friedensprozeß zwischen der DR Kongo und den ugandischen und ruandischen Rebellenarmeen (wie etwa kürzlich beim sogenannten “innerkongolesischen Dialog” im südafrikanischen Sun City, als Thabo Mbeki für eine Übergangsregierung unter Beteiligung mobutistischer Rebellen plädierte).

Was ist geschehen? Schaut man sich die Geschichte der Antiapartheidbewegung genauer an und stellt sie in den Kontext von Mauerfall und Konterrevolution im Weltmaßstab, bleiben wenige Fragen übrig.

Die Schwächen der Bewegung

Die 1953-55 herausgebildete Allianz von ANC, Gewerkschaftsdachverband SACTU (seit 1985 COSATU) und SACP (Südafrikanische KP) hatte eine inhärente Strukturschwäche durch die enge Verzahnung und führungspolitische Personalunion der drei Organisationen. Damit verloren diese ihre jeweilige – relative – Eigenständigkeit. Kommunistische Avantgarde- und Bündnispolitik kamen sich gegenseitig ins Gehege, mangelnde Transparenz der jeweiligen Organisationszugehörigkeiten (oft genug eine Dreifachmitgliedschaft) stieß insbesondere an der Basis in Verbindung mit Strategiedebatten, die auf eine dünne Führungsschicht begrenzt waren, auf zunehmenden Vertrauensverlust. Hinzu kam eine weitgehende Beschränkung der politischen und Guerillaaktivitäten im – vor allem angolanischen – Exil. Die Verbindung mit bzw. Verankerung in einer Massenbasis in Südafrika gelang nur in Ansätzen, u.a. auch wegen einer hocheffektiven Geheimdienststruktur des Apartheidregimes.

Nicht zuletzt hatte die 1955 von der Tripel-Allianz beschlossene “Freedom Charter” ihre ideologischen Schwächen als Ausdruck des letztlich doch recht heterogenen Bündnisses aus religions-, traditions-/stammes- und klassenbewußten Vertretern von Schwarzen, Mischlingen, Indern und Weißen: Es enthielt keine ökonomische Gesamtstrategie, sondern eher Wunschformulierungen wie z.B. “Das Land soll unter jenen geteilt werden, die es bearbeiten” oder “Es soll Behausung, Sicherheit und angenehme Verhältnisse geben”.

Militärisch konnte der bewaffnete Arm des ANC, der Umkhonto we Sizwe (Speer des Volkes), im Exil der angolanischen MPLA in ihrem Kampf gegen die konterrevolutionäre UNITA hilfreich zur Seite stehen; es gelang ihm allerdings über einzelne spektakuläre Sabotageakte hinaus keine kohärente Guerillastrategie gegen den eigentlichen Feind in Südafrika.

Der internationale Kontext

Als entscheidend für die Entwicklung in Südafrika erwies sich jedoch die in der Sowjetunion eingeleitete Konterrevolution: 1986 begann Gorbatschow mit dem Gipfeltreffen in Reykjavik, zusammen mit dem neu entdeckten “Kollegen” Ronald Reagan Konfliktlösungsstrategien für die sogenannten “regionalen Konflikte” zu erörtern, was schließlich in multilaterale Friedensabkommen zwischen den Regierungen Südafrikas, Angolas, Cubas – und dem ANC mündete. Das führte u.a. zur Legalisierung der Antiapartheid-Organisationen, der Amnestierung politischer Gefangener, “freier Wahlen” etc. Eine “Wahrheitskommission” sollte zum krönenden Abschluß der Übergangsperiode Transparenz für begangenes Unrecht auf beiden Seiten herstellen und Opfer wie Täter miteinander versöhnen (siehe auch Interview mit Zenzile Khoisan).

Die ganze Farce derartiger “Konfliktlösung”, wie sie bereits in Chile, Haiti, El Salvador etc. exerziert wurde, war wie gesagt in erster Linie der periphere Ausläufer der Konterrevolution in der Sowjetunion, die Versöhnung nichts weiter als die Einladung der bisherigen Bourgeoisie an den einstigen Gegner, an ihrer Macht ein bißchen zu partizipieren. Und im Falle Südafrikas der endliche Eintritt in die “Normalität” der multikulturellen Ausbeutungsgesellschaft, in der die schwarze Mehrheit nicht de jure, sondern de facto vom gesellschaftlichen Reichtum ausgeschlossen ist – die “Normalität” der sozialen Apartheid, die dem Kapital den durch unökonomische Farbenlehre reglementierten Zugang zu billigen Arbeitskräften und Konsumenten endlich freigibt.

Hier nur einige Schlüsseldaten zur sozialen Lage:

Die Arbeitslosigkeit liegt bei offiziell 29%, wird aber auf tatsächlich 46% geschätzt. (So wurden z.B. 1997 76% der ländlichen weiblichen Bevölkerung als ökonomisch “nicht aktiv” eingestuft und gelten demnach nicht als arbeitslos.) Der Anteil der Teilzeit- und Gelegenheitsarbeiter stieg in manchen Regionen bis zu 45%. Es handelt sich dabei um zumeist prekäre, ungeschützte Arbeitsverhältnisse in Schwitzbuden, privaten Haushalten (Dienstpersonal) bzw. Heimarbeit – in der Regel ohne gewerkschaftliche Interessenvertretung und zu Minimallöhnen, die kaum zum Leben reichen, geschweige denn die vielen arbeitslosen Familien- und Verwandtschaftsmitglieder miternähren können. Hunger und Verelendung sind die Folge.

Weniger als die Hälfte aller Haushalte (44%) hat einen eigenen Wasseranschluß, 57,2% haben keinen Stromzugang. Telefonanschluß hat in der Stadt lediglich ein Drittel der afrikanischen Haushalte, auf dem Land sind es gar nur 10%, während in Stadt und Land immerhin 80% der weißen Haushalte Telefon haben. Die “weißen” Löhne sind im Durchschnitt 7,5% höher als die der Schwarzen.

Eine Landreform ist bisher ausgeblieben. Die schwarze Bevölkerungsmehrheit sitzt immer noch auf zumeist unfruchtbaren Böden, ohne Wasser, und wartet auf die regelmäßige Heimkehr jener Männer, die sich für den Lebensunterhalt ihrer Familien für ein paar Rand mit Gelegenheitsjobs in den Städten verdingen.

Sieben kommunistische Minister im Kabinett und Dutzende im Parlament haben es nicht vermocht, der Deregulierungs- und Privatisierungspolitik eine Wende zu geben – im Gegenteil: Funktionäre, die an ehemalige sozialistische Ideale gemäß dem SACP-Parteiprogramm erinnern, werden aus der Partei ausgeschlossen – wie im vergangenen Jahr der Vorsitzende des Bezirks Johannesburg.

“Neoliberales Wohlverhalten” nicht honoriert

Die südafrikanische Regierung kürzte bereits im Jahre 1994 die Zölle um 50% über den GATT-Richtlinien und reduzierte sie zwischen 1995 und 1999 nochmals von 41,2% auf 28,9%. Das Ergebnis: Dutzende von Pleiten im Textil- und Lebensmittelbereich. Allein im Schuhgeschäft gingen zwischen 1990 und 1999 über 40% der Jobs verloren, Tendenz weiterhin steigend.

Der monopolistische Kapitalverkehr, der sich lediglich an unverbindliche Richtlinien im Devisenhandel zu halten hat, sorgte Ende des vergangenen Jahres, als der Rand im letzten Quartal weitere 25% seines Werts verlor (2001 insgesamt 37%), für einen bis heute nicht ganz ausgestandenen bzw. aufgeklärten Skandal:

Im Herbst 2001 kaufte die südafrikanische Mineralölgesellschaft Sasol die deutsche Chemiefirma Condea. Es handelte sich um eine sogenannte Offshore-Transaktion, bei der das benötigte Kapital durch die Ausgabe neuer Sasol-Aktien seitens der Deutschen Bank und deren Weiterverkauf an die britische Filiale (Deutsche Bank UK) mobilisiert wurde: Die beim Auslandsverkauf eingestrichenen Provisionen konnte Sasol nämlich in die Übernahme von Condea stecken.

Die Deutsche Bank UK hingegen verkaufte die Aktien zurück an den südafrikanischen Markt und sorgte dabei für einen entsprechenden Kapitalabfluß, der wiederum zu einer Abwertung des Rand führte. “Ganz zufällig” engagierte sich die Deutsche Bank UK parallel in einem Hedge-Geschäft gegen den Rand, d.h. sie verkaufte Kaufoptionen short und machte damit bei der erwarteten Randabwertung ein dickes Geschäft (d.h. die Kaufoptionen wurden aufgrund des Randverfalls nicht ausgeübt, die Bank erhielt die jeweils vereinbarte Optionsgebühr).

Dies ist nur das jüngste Beispiel der realen Machtlosigkeit der ANC-Regierung im Kräfteparallelogramm der Konzerne und imperialistischen Zentren.

Was gänzlich auf der Strecke blieb, ist eine revolutionäre Partei der Arbeiterklasse, die neben den zunehmenden Klagen über die “Globalisierungsopfer” auch über eine antikapitalistische Strategie verfügt. Sieht man sich allerdings das Bildungsmaterial von COSATU und SACP an, muß man feststellen, daß bei allen Forderungen nach langfristig verbesserten Arbeitsbedingungen und einer gerechteren Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums eines fehlt: die alles entscheidende Eigentumsfrage.

Bei den sich drastisch verschlechternden Arbeitsbedingungen, einer AIDS-Infiziertenrate von über 11% und zunehmender Gewalt wird diese Frage aber bald wieder an Aktualität gewinnen – und sei es in Form der argentinischen Variante …

Andrea Schön, Dortmund

Literatur:

Ellis, Stephen and Sechaba, Tsepo: “Comrades against Apartheid”, James Currey London & Indiana University Press Bloomington & Indianapolis, 1992

MacQuene, Althea und Jansen, Helga: “Globalisation: Abuse of women takes on a new name” in: “Is there an alternative?: South African workers confronting globalisation”, Cape Town, 2001

Mosoetsa, Sarah: Integrating to exclude: The economic integration of South Africa’s footwear industry and the consequent marginalisation of its workforce” in: ibid.

Nyman, Roseline: Globalisation and the South African economy – does it benefit the working class?” in: ibid.

Pape, John: “The myth of ‘sound fundamentals’ – South Africa and the global economic crises” in: ibid.