Der kulturelle Widerspruch im Imperialismus

Thomas Waldeck
Der kulturelle Widerspruch im Imperialismus

Die Kultur der Herrschenden

Der kulturelle Bestandteil des gesellschaftlichen Überbaus wächst gemeinsam mit allen Institutionen samt Polizei, Schulen und Tierschutzverein aus der kapitalistischen Struktur der Gesellschaft (der ökonomischen Basis) heraus und wirkt auf diese zurück.

Es gibt bekanntlich unter kapitalistischen Umständen weder kulturelle Freizügigkeit noch Freiheit der Kunst. Die Produktionsverhältnisse bestimmen die Produktion, auch die Produktion von Sprache, Kunst, Wissenschaft und damit die durch diese hervorgebrachten Werte. Die menschlichen Wesenskräfte müssen sich letztlich der Vermarktung unterordnen. Die Eigen-tümer der wichtigen Produktionsmittel eignen sich auch die schöpferischen Reichtümer der Gesellschaft an, nicht etwa, um ihre Kultur zu entwickeln, sondern um ökonomischen Nutzen daraus zu ziehen. Unter diesen Umständen ist es mit Formung und Entwicklung der menschlichen Wesenskräfte nicht weit her. Der Schriftsteller ordnet sich seinem Verlegerwillen unter, der Fotograf den Anforderungen der Publizistik. Das Erzeugnis muss sofort verkaufbar sein. Für “Experimente” jenseits des Marktes ist kein Platz, denn die Konkurrenz lauert. Neue “Einfälle” sind gefragt, aber sie sind gerichtet auf oberflächliche Bedürfnisbefriedigung. Im Ergebnis werden niedrige Bedürfnisse gezüchtet und die Sinne abgestumpft, anstatt sie zu verfeinern. Auf einen immer gröberen Klotz muss ein stets gröberer Keil.

Marx stellt die Einheit von Kunst-Produktion und Konsumtion fest: “Wenn die Konsumtion aus ihrer ersten Naturrohheit und Unmittelbarkeit heraustritt…, so ist sie selbst als Trieb vermittelt durch den Gegenstand. Das Bedürfnis, dass sie nach ihm fühlt, ist durch die Wahrnehmung desselben geschaffen. (…) Die Produktion produziert die Konsumtion daher 1) indem sie ihr das Material schafft; 2) indem sie die Weise der Konsumtion bestimmt; 3) indem sie die erst von ihr als Gegenstand gesetzten Produkte als Bedürfnis im Konsumenten erzeugt.[3]

Für die Entwicklung der Genußfähigkeit des Menschen müssen seine Sinne geschult werden. Eine solche Schulung leistet sich zwar die herrschende Minderheit gewohnheitsmäßig: Aber auch der Bildhauer ordnet sich dem Geschmack und potentiellen Interesse derjenigen unter, die Geld für seine Skulpturen auszugeben bereit sind und den notwendigen Platz in ihrer weit-läufigen Villa haben. Diese Kultur der Herrschenden für die Herrschenden ist ebenfalls eng begrenzt, denn sie kann sich der Realität nicht gut annehmen. Folglich neigt sie zur Welt-fremdheit und zur Dekadenz. Brecht definiert:”Realistische Kunst ist Kunst, welche die Realität gegen die Ideologien führt und realistisches Fühlen, Denken und Handeln ermöglicht.[4]

Realistische Kunst steht nicht jenseits der Ideologien, sondern führt die Ideologie der histo-rischen Wahrheitsfindung gegen alle übrigen. Plastische, grafische und sprachliche Raffinesse dagegen lassen sich zwar steigern – und gewissermaßen sogar unendlich – aber nur in immer engeren Grenzen, also in kleineren Schritten. Vor allem aber drückt sich darin  n i c h t  die herrschende Kultur aus. Die Kultur  f ü r  die Herrschenden findet nicht auf dem gesamten Markt statt, denn dort ist sie nicht verkäuflich. Dort gibt es massenhaft produzierte Massenkultur mit sprachwitzig-unsinnigen Shirt-Sprüchen und der rohen Instinktübung durch kontrastreiche „events“, auf niedrige Sinnenreizung angelegt; denn sie müssen ohne Anforderungen an geistiges Bemühen jedermann verkäuflich sein. Gängig ist das “Verschönern” – der Kitsch. Die Skulpturen des Volkes sind unverändert die Gartenzwerge. Die herrschende Kultur ist also von Verarmung und Mangel an eigenständigen Impulsen gekennzeichnet – je politisch aktueller, desto gründlicher. Deutlich tritt dies bei der Sprache hervor, dem Nationalismus, Chauvinismus und Militarismus darin und der verzweifelten Suche der Redakteure und Politiker nach möglichst einprägsamen originellen Formulierungen. In Wahrheitist  d i e s  die herrschende Kultur der Bourgeoisie, wenn uns auch – durch ein Schlüsselloch – jener andere Blick geboten wird.

Die menschlichen Wesenskräfte werden aus der gesellschaftlichen Arbeit, wo der Einzelne n u r  als Produzent benötigt wird, in den privaten, den Bereich der Familie verlagert. Die Familie wird deshalb auch zum bestimmenden  I n h a l t  (wo nicht eben “sex, crime and mystery” anderes gebieten) und zwar auf originell-zynische Weise. Ein hervorragendes Beispiel ist das 90er-Jahre-Filmserienprodukt “Eine schrecklich nette Familie”. Die typische Mischung aus Zynismus und Rührseligkeit  m u s s  originell sein, da sie andere Qualitäten nicht haben kann. In diesem Spannungsfeld bleibt durchaus Spielraum für die Entfaltung der Wesenskräfte des Menschen. Dieser besteht aber nur innerhalb des Gesamtprozesses der Entwertung des mensch-lichen Geistes durch die  V e r wertung, der Entfremdung des Produzenten vom Produkt. Der Gedankenschöpfer unterwirft seine Gedanken dieser Entfremdung.

Was Lenin für den Imperialismus feststellt, trifft auch auf die herrschende Kultur zu, die dadurch ihre Facetten verliert: “Die Konkurrenz wandelt sich zum Monopol. Die Folge ist ein riesenhaftes Fortschreiten der Vergesellschaftung der Produktion. Im besonderen wird auch der Prozess der technischen Erfindungen und Vervollkommnungen vergesellschaftet…. Die qualifizierten Arbeitskräfte werden monopolisiert, die besten Ingenieure angestellt, man bemächtigt sich der Verkehrswege und -mittel…  In seinem imperialistischem Stadium führt der Kapitalismus bis dicht an die allseitige Vergesellschaftung der Produktion heran, er zieht die Kapitalisten gewissermaßen ohne ihr Wissen und Wollen in eine Art neue Gesellschaftsordnung hinein, die den Übergang von der völlig freien Konkurrenz zur vollständigen Vergesellschaftung bildet… Die Produktion wird vergesellschaftet, die Aneignung jedoch bleibt privat. …[5]

Der imperialistische Kultur-Markt

Zur Rolle der deutschen Goethe-Institute orientiert das Auswärtige Amt: „Grundsätzliche Aufgabe der Kulturarbeit im Ausland ist es, »einen unverzichtbaren Beitrag zur Wahrung und Förderung der deutschen Interessen im Ausland zu leisten…“ (1998)[6].

Die bürgerliche Politik-Zeitschrift zib ergänzt: „Der Vorwurf, dass die Auswärtige Kulturpolitik zuweilen zu außenwirtschaftlichen Zwecken instrumentalisiert wird, kann entsprechend auf der Grundlage der vorliegenden Ergebnisse nicht entkräftet werden. Innerhalb des Modells weist nämlich vor allem die Präsenz einer Interessenvertretung der deutschen Wirtschaft in Form von Auslandshandelskammern einen signifikanten Einfluss auf die Zahl der Zweigstellen aus.[7]

In diesen Tagen findet in Cottbus ein “Festival des osteuropäischen Filmes” statt. Dieser (öffentlich geförderte) hehre Platz für die Verbindung mit der östlichen Kultur ist ein Marktplatz. Er orientiert die Kapitalverwerter über (noch) unverbrauchte Ideen und Einfälle – für zukünftige Verwertung. Die osteuropäische Kunst bietet sich in diesem Wissen an. Filme beherrschen den Markt, die dem Westeuropäer bieten, was er sehen will, Szenen mit Sentiment, die ihn „anrühren“ und letztlich meist erfreuen. Die östlichen Produzenten nehmen mit neuen Kulturfragmenten die Marktlücke wahr, welche die verflachte (monopolistische) amerikanische und westeuropäische Kino-Kultur öffnet. Damit erfolgt also nicht – wie deklariert – eine Annäherung des Westens an den Osten, sondern im Gegenteil die kulturelle  Annäherung des Ostens an die herrschende Kultur der westlichen Imperialisten. Der linksliberale „Freitag“ greint: Enttäuschende Marktrealitäten:Osteuropäische Filme kommen nur selten in die Kinos…, es sei denn, sie bestätigen die herrschenden Klischees. Filme aus Ost- und dem östlichen Mitteleuropa gehören im deutschen Kino seit jeher zu den Raritäten. Dabei sind mit Cottbus und Wiesbaden gleich zwei mittelgroße Festivals von internationalem Rang auf diese Region spezialisiert … Das politisch und cinéastisch interessierte Fachpublikum wird mit Erfolg bedient, größere Kassenerfolge bleiben jedoch aus … Nach einer Studie der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle, die den Marktanteil von Filmen aus Drittländern in der Europäischen Union zwischen 1996 und 2001 untersuchte, kommt Mittel- und Osteuropa auf einen Marktanteil von 0,054 Prozent.[8]

Das muss so ein – denn nicht die osteuropäischen Produktionen stehen im Blick des Kapitals, sondern deren Produzenten.

Brecht sagt: “Wie immer das Kunstwerk und wozu immer es entstanden gedacht wird, nun kommt es zum Verkauf und zu einem, der im Gesamtsystem der menschlichen Beziehungen eine ganz neuartig wichtige Rolle spielt. Der Verkauf, quantitativ so mächtig geworden, regelt nicht nur die alten Beziehungen durch gleichgültige…, sondern er bringt ganz neue Zwecke in die Verwertung hinein und somit auch  in die Herstellung.[9]

Auch der kleinstädtische Kulturhausleiter fungiert als Mittler dieser Veränderung. In seiner Einrichtung gibt es vielleicht einen Töpferkurs für Jugendliche. Dies Angebot ist zwar für die sinnliche Schulung und die Motorik nützlich und bindet den Jugendlichen über die Erzeugnisse an diese Prozesse. Es hat jedoch nichts (gewöhnlich) Spektakuläres an sich, was Aufmerk-samkeit auf den Leiter zieht und seiner  Karriere zugute kommt. Der Kurs wird folglich zu-gunsten eines vergleichbar aufwendigen “events” in möglichst grellen Farben gestrichen.

Was ein Kunstwerk sagt, ist einmalig, also auf keine andere Weise sagbar. Jede künstlerische Äußerung verfügt über eine völlig eigenständige Sprache. “Da ist nichts im Werk, was nicht in seiner sprachlichen Klanggestalt erscheint“, schreibt der DDR-Kunsttheoretiker Wolfgang Heise über ein Goethe-Gedicht.[10] Zugleich wird diese nur kommunikativ wirksam: “Doch das, was es sagt, ist nicht mit dieser Gestalt identisch, sondern wird erst in der kommunikativen Bewegung realisiert.[11]

Diese besondere Eigenschaft der Kunst kann sich als Teil der herrschenden Kultur im Imperialismus kaum bewähren. Unter imperialistischen Verhältnissen wird die Fessel des Künstlers nochmals enger, das Spektrum der Vermarktbarkeit weiter verknappt. Denn die Wahrnehmung und damit die Bedürfnisse werden vereinheitlicht. Die Monopol-Bourgeoisie ist nicht mehr nur darauf angewiesen, ihre eigene Moral zu transportieren. Der Transport selbst wird zwangsläufig monopolisiert. Die herrschende Kultur verhält sich nicht mehr nur als Ware, und vermittelt als Kern ihrer Botschaft die Heilslehre der Warenförmigkeit, sondern sie wird obendrein vergesellschaftet.

Der Künstler ist nicht mehr nur zur Vermarktung gezwungen. Er hat zudem immer weniger Aussicht auf Vermarktung, je eigenständiger er sich äußert, weil die Kunst zur massenhaften Produktion gezwungen ist, wodurch sie aufhört, Kunst zu sein. Seine Ware verliert den Kunstcharakter, weil sie ihre eigene Sprache verliert. (Auf dem Kunstmarkt ist das vor allem bedingt durch die Monopolisierung der Massenmedien.) Die künstlerische Individualität fällt der gewöhnlichen Entfremdung vollends zum Opfer. Sie wird fast auf ein Nichts eingeengt, so dass die herrschende Kultur im Imperialismus nur noch Wiederholungscharakter hat und nur noch fortwährend neuer Impulse bedarf.

Die Wiederholungsfrequenz steigt zugleich, da auch hier die Konkurrenz im Imperialismus fortbesteht. Im Endeffekt heißt das: Die Frequenz steigt im selben Maße, in dem die Grenzen des Imperialismus offenkundiger und spürbarer werden. Die Lähmung der menschlichen Wesenskräfte wird sowohl angestrebt als auch nie erreicht. Es kommt zur Kulmination der Kultur und völligen Erstarrung der Kunst in einer gigantomanischen Pose – der Ausdrucksform des Faschismus, zu dem der Imperialismus gesetzmäßig neigt.

Die Produktivkräfte werden destruktiv, der kulturelle Widerspruch des Imperialismus verschärft sich zusehends. Welche kommerzielle Zeitschrift sucht nicht rasend nach noch skurrileren Schlagzeilen? Welche Fernseh-Produktionsfirma verzweifelt nicht auf der Suche nach noch nicht dagewesnen Show-Ideen? Die Ergebnisse sind von Mal zu Mal sowohl dümmer und einfallsloser als auch schmutziger.

Geistige Versklavung

Die Vergesellschaftung der Produktion und Machtkonzentration der Imperialisten führt zur Konzentration ihrer Machtmittel und auch zugleich zur Aneignung der Gedanken, der geistigen Versklavung. Die herrschende Kultur kennt zweierlei: Das offizielle, immer homogenere Bild (“Zivilisation”, “freiheitliche Demokratie”, Samaritertum…) – die Fassade und sie vermittelt die Wirklichkeit, die tatsächlich herrschende Moral der Monopol-Bourgeoisie, die dem Gegenteil entspricht.

Die gewünschten Verwertungsbotschaften werden zugleich gezielt eingebracht. Dies steht im direkten Interesse der Monopole, die  z u g l e i c h  Fernsehbilder  u n d  die Produkte herstellen, die dort beworben werden. Das erkannte die bürgerliche Soziologie und interpretiert diese Erscheinung sozusagen im luftleeren Raum, jenseits der ökonomischen Basis: “Die 68er (‘Jugend/ Atombombengeneration’) nahm zur Grundlage ihres Tätigwerdens nur noch eine unhistorische, ‘eindimensionale’ Kritik der Gesellschaft: ‘Sie sah und erkannte, daß ein riesiger Zwangs- und Herrschaftsapparat sowie eine gewaltige und gut funktionierende Bewusstseins – und Kulturindustrie die <Übereinstimmung> des Denkens, Wollens und Handelns der Massen mit der sogenannten Konsumgesellschaft täglich herstellte.’ … Ihnen ‘war die rein passive Rolle des bloßen <Funktionierens>…zugedacht. Der total integrierte Mensch sollte nicht über den Rahmen dieser Gesellschaft hinausblicken. Dieser ‘eindimensionale Mensch’, wie ihn Herbert Marcuse bezeichnete, war aber nicht allein der Fähigkeit verlustig gegangen, in die Zukunft zu blicken, sondern auch die Initiative und Tatkraft zu sozialer Aktion.[12]

Marcuses Idealismus sieht die gesellschaftliche Befreiung in der Orientierung auf neue Sinn-lichkeit, Befreiung aus durch entfremdeter Arbeit resultierender Abstumpfung und im offen-barenden Ergebnis “Schönheit” als Negation der Warenwelt.

“… in Europa seit etwa Mitte der sechziger Jahre, traten in der spätbürgerlichen Kultur und Kunstszenerie starke Wandlungen in Erscheinung. Die ‘Post-Moderne’ mit ihrer Vorliebe für triviale Gegenstände der industriellen Zivilisation wurde als sogenannte ‘Pop-Kultur’ aus der Taufe gehoben. Die darunter zusammen gefaßten Erscheinungen sind äußerst unterschiedlicher Art. Die bunt schillernde Vielfalt der ästhetischen Warenwelt des Pop, von der Anti-Kunst, Nicht-Kunst, Un-Kunst – auch Kunst ist gelegentlich dabei – bis zum Gebrauchsartikel und billigen Kitsch, hält gleichsam für jedermann etwas bereit… Angesprochen wurde vor allem die Jugend, denn die Industrie, der Handel usw. hatten rasch ihre großen Gewinnchancen erkannt. Aus der Sicht kapitalistischer Werbepsychologie ist Pop nichts weiter als die geradezu terroristische Verpflichtung zum Modewechsel,… Konsumzwang, letztlich zu einer unkritischen Verbrauchermentalität. Von einer Rebellion oder gar <Revolution> der Jugend, die in der Popkultur angeblich zum Ausdruck komme, kann ebensowenig die Rede sein wie von einer Bedrohung der Herrschenden oder gar, <daß hier eine neue Gesellschaft im Entstehen begriffen ist>… Das Ganze ist nicht mehr als eine neue Konsumgebärde…[13] (Soweit eine bürgerliche Untersuchung zu Beginn der siebziger Jahre.) Die undialektische Wertung, dass nicht zugleich auch Rebellion zum Ausdruck komme; “das Ganze” sei  n u r “eine neue Konsumgebärde” ist natürlich selbst “spätbürgerlich”. Jedoch: “Umfassend greift die kapitalistische Produkt-gestaltung nach der ökonomischen Existenz und nach dem Bewußtsein der Bevölkerung[14]. Das stellte Richard Hiepe auf einer Arbeitstagung der DKP1973 fest.

Die sogenannte Konsumgesellschaft ist die Inszenierung eines Konsumtheaters  mit ästhe-tischen Mitteln, wie der holländische Werbefachmann und Soziologie-Professor Ernest Zahn bestätigt; die Inszenierung dient aber nicht nur der Mehrwertrealisierung,… sondern weltanschaulicher Bindung der Massen an die Monopole…[15]

Dem Geschehen im Theater ist sie (die Werbung-T.W.) näher als dem Geschehen im Gerichtssaal. Die <Kreation> einer Annonce oder eines Plakats wird als Schaffung einer… <Botschaft> (message) verstanden, deren bildlicher Ausdruck sich in der Schlagzeile verdichten soll… <Texter>, das wurde der Beruf der zeitgenössischen Aphoristiker und die Zu-sammenbauer der Text- und Bildelemente… wurden die sachverständigen Konstrukteure jener <Szenen>, in denen nun nicht mehr nur ein Produkt gezeigt, sondern ein ganzes soziales Theater des Konsums vorgespielt wird.[16]

Diese Ästhetisierung des Massenkonsums hat Konsequenzen für den gesamten Kulturprozess: ‘Einem so umfassenden Konsumbegriff werden auch herrschende Ansichten und Konventionen, Geschmacksrichtungen, Moden und Leitideen, schließlich die Sexualität und die Politik untergeordnet’.[17]

Darum ist diese Sklaverei leicht überschaubar.

Die Kultur der Anderen bzw. die beherrschte Kultur

Lenin stellte fest, dass es in jeder antagonistischen Gesellschaft zwei Kulturen gibt. Neben der imperialistischen gibt es auch heute nach wie vor die “soziale, demokratische“.[18]

Es versteht sich von selbst, wie sich diese Kultur während der Revolution verhält. Obwohl sich dies von selbst versteht, wurde es im realen Sozialismus nicht beachtet: Eine DDR-Unter-suchung stellte in den siebziger Jahren (ergebnislos) fest: “In den USA steht die Kommu-nikationsindustrie nach Öl und Chemie an dritter Stelle… Sie exportieren zweimal so viel TV-Programme wie alle anderen Länder zusammen. … So ist die ‘nordamerikanische Kom-munikationsindustrie zum viertgrößten Industriezweig der Welt’ geworden…. In der DDR stammten die zu den abendlichen Hauptsendezeiten ausgestrahlten Spielfilme zu 58 Prozent, in der Sowjetunion zu 68 Prozent, in Ungarn zu 98 Prozent aus westlichen Importen.[19]

Je weiter der proletarische Klasseninstinkt (und die revolutionäre Kraft) ausreift, desto eigenständiger reift auch die Entwicklung der proletarischen Kultur, die sich abgrenzt von der bürgerlichen, dabei nicht vor allem in der Abgrenzung besteht, sondern deren progressive Elemente einbezieht und eigene Verständigungsschlüssel ausbildet.

Die herrschende Kultur verschlingt sich in grotesker Hast zu einem ekelerregenden Knäuel und dreht auf ihrem immer winzigeren Terrain durch, während sie zugleich ein immer größeres Feld den menschlichen Wesenskräften für die sozialistische Kultur überlässt, die unter diesen Verhältnissen in jeder Äußerung nur revolutionär sein  k a n n .

Den Kommunisten fehlt heute weitgehendst das Bewusstsein dieses offenen, ungedeckten “Terrains” und ihrer kulturellen Avantgarde-Funktion. Selbstverständlich gibt es Elemente re-volutionärer Kultur auch in Äußerungen der bourgeoisen, vor allem aber umgekehrt, weil wir es mit beherrschter und herrschender Kultur zu tun haben. Dieser Gefahr ist die kommunistische Kultur ständig ausgesetzt, wo das Bewusstsein dafür fehlt. Unversehens bleibt das freie Feld für die Entfaltung der Wesenskräfte sozusagen links liegen. Infolge dessen wird mechanistisch operiert oder sogar im kulturellen Wind des Klassengegners gesegelt. Die Skepsis gegenüber allen kulturellen Äußerungen hat prinzipiellen Charakter (“nur insoweit richtig, als sie mit Natur und Geschichte stimmen[20]). Diese Skepsis schärft den Blick für progressive und reaktionäre Kultur.

In der bürgerlichen Kritik wird die letzte große Offensive der Kunst als “russische Avantgarde”  verkauft . Tatsächlich handelte sich um den ersten und bis heute “wirklichsten” Ausdruck des Sozialistischen Realismus, weil etwas Bahnbrechendes wiedergespiegelt wurde und wirkte; die Sozialistische Revolution, die real war. Diese “Avantgarde” konnte die Wahrnehmung der Menschen in kürzester Frist derart verändern, dass sie noch Jahrzehnte später weltweit inspiriert. Sie steht ganz im Unterschied übrigens zu vielen gleichnamigen, resignativen oder flachen Äußerungen im später durch den modernen Revisionismus und die vollzogene Konterrevolution abgewürgten Realsozialismus. A u c h  weil diesem die notwendige Kultur und das kulturelle Bewusstsein fehlten, konnte es zum Vollzug durch den Klassengegner kommen.

Die Kunst der revolutionären Klasse tritt zuerst in Form einer revolutionären Kulturtheorie und -programmatik auf, wenn diese Klasse zu wirksamen Mitteln ihrer Selbstverständigung im Klassenkampf greift. Oder sie fügt sich rudimentär und als Element in die imperialistische Warenwelt ein – in eine der Ausdrucksformen der herrschenden Klasse. Es gibt nichts dazwischen.

Der aus meiner Sicht beachtlichste Beitrag zur kommunistischen Kulturtheorie der letzten Jahre, großteils selbst künstlerisch-literarisch realisiert, wurde von dem DDR-Dichter Erich Köhler hinterlassen, der auf die Zwangsläufigkeit revolutionärer Kultur der Kommunisten verweist. Köhler kämpfte mit beeindruckender Intensität bis zu seinem Tode 2003 im und mit dem geistig “toten” Literatenzirkel der herrschenden Imperialisten, dem P.E.N. Deutschland.[21]

Wir begehen am 28. Dezember 2008 seinen achtzigsten Geburtstag. Aus diesem Anlass konstituierte sich ein Arbeitskreis, der die Köhlerschen Vorschläge und Entwürfe erschließen und weiter führen will. Mitstreiter sind willkommen.

Thomas Waldeck,
Cottbus

  • [3] Karl Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, S. 14
  • [4] Bertolt Brecht, Arbeitsjournal, Bd. 42-55, 1973, S. 637
  • [5] Lenin, Werke, Bd. 22, S. 209
  • [6] Im Bericht zur Auswärtigen Kulturpolitik 1996/1997 der Bundesregierung (Auswärtiges Amt 1998) werden folgende weitere Mittlerorganisationen genannt: Deutscher Akademischer Austauschdienst, Alexander v. Humboldt-Stiftung, Institut für Auslandsbeziehungen, Deutscher Musikrat, Inter Nationes, Zentralstelle für das Auslandsschulwesen, Deutsches Archäologisches Institut, Carl-Duisberg-Gesellschaft, Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland, Villa Vigoni und das Haus der Kulturen der Welt. Von den 1,155 Mrd. DM, welche die politische Seite insgesamt 1998 für die Kulturarbeit im Ausland genehmigte, erhielt das Goethe-Institut allein etwa 25% der Mittel.“ (NOMOS, 1/2000, Jahrgang Heft 1, Juni 2000)
  • [7] NOMOS, 1/2000, Jahrgang Heft 1, Juni 2000
  • [8] Freitag, 22. 6. 2007
  • [9] Bertolt Brecht: Schriften zur Literatur und Kunst, Bd. 1, S. 248
  • [10] “Bild und Begriff”, Aufbau, 1975, S. 281)
  • [11] ebenda
  • [12] “Ästhetik heute” Dietz Verlag Berlin 1978, S.120
  • [13] J. Hermand: “Pop International. Eine kritische Analyse”, Frankfurt (Main) 1971
  • [14] Richard Hiepe: “Den Realismus selbst in die Hand nehmen.” München 1973, S. 13
  • [15] “Ästhetik heute” Dietz Verlag Berlin 1978, S. 123
  • [16] Ernest Zahn: “Soziologie der Prosperität“, München 1964, S. 16
  • [17] “Ästhetik heute” Dietz Verlag Berlin 1978, S. 123
  • [18] (siehe dazu: Lenin, Werke, Bd. 20, S. 7)
  • [19] “Ästhetik heute” Dietz Verlag Berlin 1978,  S. 107
  • [20] Marx/Engels, Werke, Bd. 20, S. 33
  • [21] siehe dazu: www.erich-koehler-ddr.de