Ein Diskurs über das Wertgesetz

Franz Siklosi

Ein Diskurs über das Wertgesetz

Die Streitfrage:

Seit geraumer Zeit wird in der Zeitschrift Offensiv über die Berechtigung des Wertgesetzes im Sozialismus gestritten. Es stehen sich Befürworter und Gegner gegenüber. Die Argumentation: Pro oder Kontra Wertgesetz im Sozialismus ist mit einer weiteren Frage verknüpft: Existiert im Sozialismus Warenproduktion? Die Frage des Wertgesetzes ist damit unmittelbar mit der Frage der Warenproduktion im Sozialismus verknüpft.

Ohne Warenproduktion kein Wertgesetz. Die Abschaffung der Warenproduktion impliziert eine neue Art der Feststellung der in den produzierten Gütern erhaltenen Arbeitszeit.

Der Sozialismus

Die Gesellschaft des Sozialismus ist die Vorstufe zum Kommunismus. Es bestehen also neben den fortschrittlichen auch noch reaktionäre Elemente der alten Gesellschaft zunächst fort. Auch die Warenproduktion kann nicht auf einen Schlag abgeschafft werden. Den Erstens läuft die Umgestaltung  zur Planwirtschaft nicht linear ab, dafür sorgen schon die reaktionären Klassen. Und Zweitens ist auch ein Außenhandel mit dem kapitalistischen Ausland vorerst weiterhin notwendig. Die Sowjetunion hatte unter den Bauern mit der Ansicht zu kämpfen, dass die Abschaffung des Großgrundbesitzes und ihre Aufteilung in kleine Parzellen noch nicht Sozialismus bedeutet. Verstaatlichung der Wirtschaft bedeutet erst einmal, dass der Anarchie der privaten Produktion und Aneignung ein Ende gemacht wird. Aber auch dann kann die Warenwirtschaft weiter existieren und das Wertgesetz entsprechend wirken. Im Lehrbuch,, Politische Ökonomie des Kapitalismus“ von Rainer Eckert, Edition Marxistischer Blätter, Düsseldorf 1987 wird dies wie folgt beschrieben:,,… Vielleicht sollten wir noch kurz anmerken, dass es heute bereits eine Gesellschaftsform gibt, in der das Wertgesetz weiterhin wirkt – aber nicht mehr spontan, sondern bewusst geplant. Wer kennt nicht das Beispiel der DDR, wo alle Mittel zum Leben – Nahrung, Kleidung, Wohnung, Gesundheitsmaßnahmen usw. – außerordentlich billig sind, anderseits Kühlschränke, Fernsehgeräte, Autos usw. – im Verhältnis sehr teuer? Das gesamte Preisgefüge in der DDR ist nicht frei! Da kann kein Händler hinlangen wie er will. Die Preise sind Regierungsbeschlüsse und werden streng kontrolliert. Nun wäre es dort leicht möglich, das Wertgesetz in folgender Form durchzusetzen: da die Statistiken in der DDR gut und zuverlässig geführt werden, kennt man den durchschnittlichen gesellschaftlichen Arbeitsaufwand für jede Ware sehr genau. Drückt man diese Warenwerte in ihrer Geldform aus (ermittelt man so, kurz gesagt, die Preise aller Waren), so käme vielleicht – von uns angenommen – heraus, dass

1 Pfund Brot = 12,50Mark

1 Kühlschrank= 285 Mark

kosten. Zu solchen Preisen müsste man die Waren tauschen (verkaufen), wenn man dem Wertgesetz streng folgt. Oder besser, wenn man es dogmatisch befolgt! Die Ökonomen in der DDR (und in den anderen sozialistischen Ländern) sind aber viel cleverer: sie nutzen das Wertgesetz bewusst, indem sie es brechen! 12,50 Mark für 1 Pfund Brot wäre wohl ein böser Witz! Also: runter mit den Preis auf ein Paar Pfennige. Doch das Wertgesetz lässt sich auch im Sozialismus nicht überlisten. Deshalb also rauf mit den Preis des Kühlschranks auf gut Zweitausend Mark. – Beide drücken nicht die tatsächlichen Werte aus. Aber im Prinzip wird das Wertgesetz genau so genutzt. Alle Preise aller Waren werden auf dieser Weise gesichtet und entsprechend festgelegt“.

Was wird in dem Text ausgesagt?

Erstens: in der DDR herrschte im Sozialismus Warenproduktion.
Zweitens: das Wertgesetz war auch in der DDR gültig.
Drittens: in der DDR wurden die Preise durch die Brechung des Wertgesetzes festgelegt.

Was wird zusätzlich in den Text ausgesagt?

Erstens: in der DDR gab es Waren mit Gebrauchs- und Tauschwerten.
Zweitens: diese Waren entsprachen Arbeitsprodukte, die für den Austausch produziert wurden.
Drittens: Der Wert dieser Waren wurde gemessen durch die zu ihrer Produktion notwendige Arbeitszeit.

Wem das alles zu wenig Sozialismus ist, sollte etwas Geduld haben. Der Sozialismus ist eine Gesellschaftsform, die zwischen Kapitalismus und Kommunismus liegt. Durch interne Klassenkämpfe wird entschieden ob es vorwärts oder rückwärts geht und wann und wie die Warenproduktion abgeschafft werden kann. Fortgesetzte Warenproduktion im Sozialismus bedeutet das Bestehen oder Wideraufkommen  der Ausbeuterklassen und die damit verbundene Gefahr der Konterrevolution.

Entscheidend ist also die fortschreitende Ablösung der Warenproduktion.

Der Schlüssel besteht in der Steigerung der Produktivität. Anders als in den kapitalistischen Ländern führt dies nicht zur Massenverelendung durch Arbeitslosigkeit. Produktivitätssteigerung im Sozialismus bedeutet Kostensenkung innerhalb der Produktion und billigere Preise. Weil durch die Warenproduktion ein Mehrwert erwirtschaftet wird, der allerdings im Sozialismus nicht mehr in Form von Zins, Rente und Profit realisiert wird, steigen bei gleichzeitiger Produktivitätssteigerungen die Löhne. Damit ist die Warenproduktion im Sozialismus ausgereizt. Mehr geht nicht. Aber wir wollen ja Kommunismus. Das Ziel ist die Bedürfnisbefriedigung aller nach ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten. Waren werden aber nicht zur Bedürfnisbefriedigung sondern aus Profitgründen produziert. Dies wäre aber im Sozialismus absolut contraproduktiv. Aus diesem Grund kann die Produktion von Waren nur in einer gewissen Notsituation innerhalb des Sozialismus möglich sein, nämlich während der Übergangsphase vom Kapitalismus zum Sozialismus. Dazu muss gesagt werden, dass eine gelungene Revolution in einem hoch industrialisierten Land von anderen ökonomischen Vorrausetzungen ausgehen kann als zum Beispiel die Sowjetunion 1917.  Jedenfalls ist die Bereitstellung einer Überproduktion die Grundvoraussetzung, die nächste Stufe zum Kommunismus ökonomisch zu meistern.

Wir haben dann:
Zentrale Planung durch Verstaatlichung
Überproduktion
Ziel: Produktion nach Bedürfnissen
Außerdem:
Gebrauchswerte
Und noch Tauschwerte
Aber keine Waren

Durch die Produktion nach Bedürfnissen rücken die Eigenschaften der Gebrauchswerte immer mehr in den Vordergrund. Im Kapitalismus werden zum Beispiel Lebensmittel primär nicht zum Stillen von Hunger, sondern zum Realisieren des höchstmöglichen Profites produziert. Es ist dem Kapitalisten gleichgültig, ob Menschen verhungern. Wer kein Geld besitzt, hat eben Pech gehabt. Dies ist aber im Sozialismus nicht möglich. Durch staatliche Planung wird mit den Produzenten festgelegt, welche Bedürfnisse am besten befriedigt werden können und die Produktion darauf ausgerichtet. (Die Produzenten erhalten Bezugscheine. Die Scheine selbst besitzen aber, anders als das Geld, keinen Wert). Die Geldform verschwindet, da wird ja nicht mehr unmittelbar für den Tausch produziert (nur noch im Außenhandel). Damit ist nun auch das Wertgesetz in seiner bisherigen Form nicht mehr gültig. Wir sind beim Übergang vom Sozialismus zum Kommunismus angelangt.

Der Kommunismus

Im Kommunismus werden sich die Eigentumsverhältnisse noch einmal ändern. Der Staat gibt seine Stellvertreterfunktion als unmittelbarer Besitzer der Produktionsmittel auf. Die Produzenten werden unmittelbare Eigentümer und Produzenten von Gebrauchswerten. Die zentrale Planung wird unter den Produzenten ausgemacht. Hergestellt werden nur noch Gebrauchswerte zur Bedürfnisbefriedigung. Der Austausch erfolgt entweder von Fabrik zu Fabrik oder über Geschäfte. Jeder Ausgang eines Gebrauchsguts wird sofort durch eine gesellschaftliche Inventur erfasst. Da keine Geldform mehr existiert, hat das Horten keinen Sinn. Niemand kann mehr auf Kosten des Anderen Profite machen. In dieser Phase gibt es kein vom Kapitalismus her bekanntes Wertgesetz. Ohne gesellschaftliche Kalkulation geht es auch im Kommunismus nicht. Denn Raubbau an Mensch und Natur kann es im Namen der Bedürfnisbefriedigung nicht geben. Diese Auffassung wäre kleinbürgerlich. Kommunistische Produktion orientiert sich nicht mehr an einer gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit, sondern an gesellschaftlich notwendiger Herstellung und deren Auswirkungen.

Nehmen wir an, der Kapitalist müsste in seiner Kalkulation auch die gesellschaftlichen Auswirkungen seiner Ausbeutung in Geldform kalkulieren. Da wäre aber jede Ware absolut unverkäuflich. Er müsste Arbeitslosigkeit, Krankheiten, Umweltzerstörung, Infrastruktur und vieles mehr auf die Preise draufschlagen. So wird aber im Kommunismus über die Produktion geurteilt. Wie hoch ist die Belastung der Umwelt? Werden Menschen durch das Produkt krank? Welchen Nutzen hat das Produkt für die Allgemeinheit? Wird es überhaupt gebraucht? Aus diesen Kriterien entsteht ein neues ,,Wertgesetz“, welches aber nicht mehr diesen Namen haben kann. Dafür muss ein neuer Begriff bereitgestellt werden.

Zusammenfassung

Man kann die sozialistische Ökonomie in zwei Phasen teilen.

In der ersten Phase (Übergangsphase) herrscht im vollen Umfang Warenproduktion und Wertgesetz unter verstaatlichter, zentraler Planung.

Die zweite Phase wird gekennzeichnet durch die Produktion von Gebrauchs- und Tauschwerten, aber keine Waren unter staatlicher, zentraler Planung. Das kapitalistische Wertgesetz verliert seine Bedeutung.

Schließlich werden im Kommunismus nur noch Gebrauchswerte zur Bedürfnisbefriedigung hergestellt. Die Produzenten sind unmittelbare Eigentümer und Hersteller. Die zentrale Planung wird unter den Produzenten ausgemacht. Es herrscht ein gesellschaftliches ,,Wertgesetz“, dem noch ein neuer Begriff zugeordnet werden muss.

Franz Siklosi,
Heppenheim