Kurt Gossweiler:
Geburtstagsveranstaltung der Berliner Gesellschaft für Weltkriegs-und Faschismus-Forschung am 13. November 2007
Liebe Freunde und Genossen.
Wer so viel gelobt wird, tut gut daran, sich daran zu erinnern, was Goethe in seinen Gesprächen mit Eckermann einmal sinngemäß gesagt hat: Was einer geleistet hat, ist nie allein sein Verdienst, sondern daran haben immer Mehrere Anteil. Wollte ich alle aufzählen, denen ich mitzuverdanken habe, wofür heute so viele anerkennende Worte gefunden wurden, würde ich sowohl Eure Geduldsgrenze wie auch unser Zeitlimit überschreiten. Deshalb will ich nur in Stichworten diejenigen Personen und Einrichtungen nennen, denen ich am allermeisten verdanke.
Das ist zum ersten mein Elternhaus, genauer meine Mutter, der ich verdanke, dass ich mir nicht, wie z. B. mein unvergesslicher Freund und Genosse Rolf Vellay, meine kommunistische Überzeugung durch eigene schwere Lebenserfahrungen erwerben musste, sondern sie von meinen Eltern sozusagen mitbekam.
Dass sie zu einem untrennbaren Teil meines Bewußtseins wurde, dazu haben entscheidend meine Genossen des kommunistischen Schülerbundes, (SSB) und später, schon in der Illegalität, des Kommunstischen Jugendverbandes, beigetragen, namentlich dessen Leiter Herbert Ansbach und mein Klassenkamerad, Freund und Genosse Werner Steinbrink.
Nicht gering zu schätzen ist auch der Anteil der zwei Jahre -1931-1933 – Karl-Marx-Schule in Neukölln, die ich – zusammen mit den beiden Genannten und übrigens auch mit meiner damaligen Mitschülerin Edith Evers, die jetzt den Namen Edith Gossweiler trägt , besuchte, und der Anteil unserer Lehrer, vor allem unseres Klassenlehrers Alfred Lewinek und unseres Deutschlehrers Alfons Rosenberg; denen beiden glücklicherweise 1939 gerade noch rechtzeitig, die Flucht in die Emigration nach London gelang, wo wir, meine Frau und ich, rund 50 Jahre später die Witwe unseres Klassenlehrers und Alfons Rosenberg besuchen und herzliches Wiedersehen feiern konnten.
Chronologisch an dritter Stelle, aber der Wirkung nach an erster Stelle zu nennen ist die Antifa-Schule in Taliza in der Nähe von Gorki, an der ich nach meinem Übertritt in sowjetische Gefangenschaft am 14. März 1943 – dieses Ereignis und dieses Datum betrachte ich bis heute als meinen zweiten Geburtstag – von Oktober 1943 bis zum Februar 1944 als Kursant lernen, und von 1944 bis 1947 als Lehrkraft an der Seite von Genossen Emigranten, die als Lehrer tätig waren, lernen und lehren durfte. Die Genossen, deren Assistent ich war, waren Genosse Switalla, im nächsten Lehrgang die Genossin Dürr, danach der Genosse Herbert Grünstein, der spätere Vize-Innenminister der DDR. Der deutsche Schulleiter war Genosse Bernhard Koenen.
Etwas Besseres, Wichtigeres und Befriedigerendes, als aus von Hitler ins Sowjetland geschickten und zu Landräubern und Juden- und Kommunistenmördern erzogenen Jugendlichen Antifaschisten und Kämpfer gegen Hitler und seine monopolistischen Hintermänner und für ein neues, demokratisches und sozialistisches Deutschland zu erziehen, konnte es kaum geben – es sei denn, selbst an der Front zum Kampf gegen die faschistischen Okkupanten eingesetzt zu werden. Dafür hatten sich viele Kursanten gremeldet – ich natürlich auch, – aber nur wenige davon kamen wirklich zum Fronteinsatz, die meisten wurden zur antifaschistischen Arbeit in den Lagern eingesetzt.
Die Jahre an der Antifaschule waren meine eigentliche Universität. Hier studierten wir gründlich die Werke von Marx, Engels, Lenin und Stalin.
(In Klammern nebenbei bemerkt: Der Umstand, dass letztere seit einem halben Jahrhundert auf den Index gesetzt sind und die meisten Kommunisten seitdem nie wieder darin gelesen, viele sogar freiwillig die 13 Bände „entsorgt“ haben, ist für mich einer der Gründe, weshalb so wenige mitgekriegt haben, als der Kurs in Moskau mit der Perestroika auf die Rutschbahn ins Nichts gelenkt wurde.)
Hier in der Antifa-Schule studierten und lehrten wir die Fächer deutsche, russische, sowjetische und Weltgeschichte, Politische Ökonomie des Kapitalismus und des Sozialismus, dialektischen und historischen Materialismus, und lernten zugleich, das Gelernte an die Kursanten so weiterzugeben, dass es von ihnen verstanden und aufgenommen wurde.
Die vier Jahre als Lehrkraft an der Antifa-Schule machten aus den meisten von uns Assistenten ausgebildete Propagandisten, legten aber auch den Grund für eine weiterführende wissenschaftliche Tätigkeit.
Bei meiner Rückkehr nach Berlin 1947 in die SBZ war der Eintritt in die noch sehr junge SED selbstverständlich, und für die Partei war ebenso selbstverständlich, dass Leute wie ich von der Partei als Propagandisten eingesetzt werden. So wurde ich für ein Jahr lang Lehrer an der Landesparteischule in Bestensee und danach Mitarbeiter in der von Karl Mewis geleiteten Abteilung Propaganda der Landesleitung, an deren Spitze damals Hermann Matern aus der KPD und Karl Litke aus der SPD standen.
Der Tätigkeit als Parteiarbeiter in der Berliner Landes- bzw. Bezirksleitung der SED verdanke ich ebenfalls viel. Unter anderem auch eine Bestätigung meiner eigenen Einschätzung dessen, wozu ich völlig ungeeignet bin – nämlich zum Leiter in einer Funktion, in der man anderen Anweisungen zu erteilen und operative Entscheidungen zu treffen hat.
Unglücklicherweise glaubte mir Karl Mewis diese meine Selbsteinschätzung nicht, als er auf die Idee kam, mich an der Humboldt-Universität zum ersten hauptamtlichen, nicht aus der Mitte der Parteiorganisation der Universität gewählten, sondern von außen „vorgeschlagenen“ Parteisekretär zu machen. Deshalb wurde ich erster hauptamtlicher Parteisekretär der PO der SED der Humboldt Universität als Nachfolger des letzten ehrenamtlichen, dafür aber bestens als Leiter einer so komplizierten Parteiorganisation geeigneten Sekretärs Walter Florath. Dank der eingespielten alten Leitung, zu der außer Walter Florath noch Ernst Diehl, Erika Herzfeld, Liane Horlemann u.a. gehörten, überstand die PO die Zeit meiner Leitungstätigkeit im Unterschied zu mir selbst ohne Schaden. Ich aber war nach einem halben Jahr in einer Funktion, der ich mich nicht gewachsen fühlte, psychisch ziemlich am Ende und überzeugte schließlich auch Karl Mewis davon, dass er mich ablösen müsse; das tat er, nachdem ich ihm als geeigneten Nachfolger den Genossen Tzschoppe nannte, der damals Parteisekretär am Lehrerbildungsinstitut war. Mein Vorschlag wurde akzeptiert, weil Tzchoppe damals wirklich eine sehr gute Wahl war. Das änderte sich erst, nachdem er in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre von einem Parteischul-Lehrgang in Moskau zurückkam und in der Auseinandersetzung mit Havemann sich an dessen Seite gegen die von Havemann angegriffene Partei stellte.
1955 endete meine Tätigkeit als Propagandist und Parteiarbeiter und begann die Laufbahn als Wissenschaftler mit dem Übergang in die Aspirantur an der HU, allerdings ohne jedes vorherige akademische Studium der Geschichte.
Dass ich nicht vor Fertigstellung meiner Dissertation wegen unzumutbarer Überschreitung des Zeitlimits abbrechen musste – die Dissertation wurde statt nach drei erst nach acht Jahren fertig -, habe ich meinem Doktorvater Erich Paterna zu danken, der mit unendlicher Geduld sich immer wieder für eine Verlängerung der Abgabefrist einsetzte.
Wenn ich in meiner Tätigkeit an der Universität und später am Zentralinstitut für Geschichte an der Akademie der Wissenschaften der DDR auf dem Gebiet der Faschismusforschung das zustande brachte, wovon heute die Rede war, dann ist das zu einem großen Teil dem Umstand zu verdanken, dass ich sowohl an der Universität als auch am ZIG Mitglied von Kollektiven war, in denen die kollektive Arbeit an gemeinsamen Projekten einen großen Raum einnahm und auch die Begutachtung und kameradschaftliche Kritik an den Einzelprojekten durch die Kollegen und Genossen selbstverständlicher Brauch war.
Um nur einige Namen zu nennen, deren Trägern ich mich zu besonderem Dank verpflichtet fühle, dann sind dies vor allem außer dem schon genannten Prof. Paterna die Genossen Prof. Joachim Streisand, Prof. Kurt Pätzold, Prof. Wolfgang Ruge, Prof. Dietrich Eichholtz, u.a. Dietrich Eichholtz bin ich in ganz besonderem Maße zu Dank verpflichtet, hat er sich doch, bevor wir uns überhaupt richtig kennengelent hatten, zu einem Gutachten bereit erklärt und dafür gesorgt, dass meine Dissertation mit wichtigen, mir bisher unbekannten Fakten bekannt wurde und sie aufnehmen konnte, die meine Thesen zusätzlich und besonders stark untermauerten. Als ich ihm nämlich meine – wie ich meinte: fertige – Dissertation zu lesen gegeben hatte, gab er sie mir zurück mit der Bemerkung, das sei ja alles hochinteressant, aber bevor ich die Diss. einreichen könne, müsste ich noch die Akten der Deutschen Bank durcharbeiten, die im Deutschen Wirtschafts-Institut lägen. Das war ein Rat, der zwar einen neuen Fristverlängerungs-Antrag nötig machte, aber meinen Thesen über die Rolle des Monopolkapitals bei der Herbeiführung der Röhm-Affäre eine noch festere Faktengrundlage gab. Aber auch dazu führte, ihre schon weit über das Normalmaß hinausgehende Länge noch unmäßiger, nämlich auf 800 Seiten anwachsen zu lassen.
Das rief bei mir die nicht unberechtigte Furcht herauf, die Gutachten könnten die Zulassung von einer Kürzung abhängig machen, wie das bei der Dissertation einer Kollegin geschehen war; sie hatte eine Dissertation von 1200 Seiten über die Fürstenenteignungskampagne in der Weimarer Republik geschrieben, und die Gutachter hatten gefordert, sie um die Hälfte zu kürzen. Aber meine Gutachter ließen Milde walten. Sie beschränkten ihre Kürzungsforderung nur auf die Überschrift. Die wurde von „ Die Rolle des Monopolkapitals bei der Herbeiführung der Röhm-Affäre“ gekürzt in: Die Röhm-Affäre. Hintergründe- Zusammenhänge – Auswirkungen.“
Bei der Benennung jener, denen ich mitzuverdanken habe, wenn ich in meiner Faschismusforschung Nützliches zustande brachte, darf auf keinen Fall unerwähnt bleiben Prof. Manfred Weißbecker und der von ihm begründete und geleitete Jenaer Kreis zur Faschismus-Forschung. Von seinen alljährlichen Tagungen gingen Anregungen und Klärungen aus, die in den Arbeiten vieler seiner Teilnehmer, und natürlich auch in meinen, ihren Niederschlag fanden.
Zum Schluß noch einige Bemerkungen zu meiner von einigen bedauerten, von anderen fast als Desertion empfundenen Verlagerung des Schwerpunktes meiner Forschungen von der Faschismus- auf die Revisionismusproblematik. Ich kann mich hier ganz kurz fassen und darauf beschränken, zu verlesen, was ich dazu Arnold Schölzel auf seine Frage hin geantwortet habe:
Arnold Schölzel fragte mich: „Sie sind vor 1990 vor allem als Historiker des deutschen Faschismus öffentlich hervorgetreten. Seit der Niederlage des Sozialismus haben Sie die Untersuchung der Ursache dieser Niederlage zu Ihrem Arbeitsgebiet gemacht. Warum?“
Dies war meine Antwort: „Aus dem gleichen Grunde, aus dem ich Historiker wurde. Ich habe in meinem Leben zwei große Enttäuschungen erlebt.
In meiner Jugend war ich als Jungkommunist in den Jahren ab 1930 wie die meisten Kommunisten damals voller Hoffnung, ja schon fast fest davon überzeugt, dass dies die Endkrise des Kapitalismus in Deutschland sein würde und dass auch über Deutschland bald die Rte Fahne mit Hammer und Sichel als Staatsfahne wehen würde.
Deshalb war der 30. Januar 1933 eine furchbare Niederlage, und eine bohrende Frage verlangte nach Antwort: Wie konnte das geschehen, wo liegen die Ursachen für diese Katastrophe, und wie ist sie zu überwinden? Wie konnte der Faschismus in Deutschland siegen? Welche Folgen wird das für Deutschland und die Welt haben? Und wie kann Deutschland von ihm befreit werden?
Zum wissenschaftlichen Studium dieser Fragen kam ich erst, nachdem ich im Kriege als Soldat am 14. März 1943 freiwillig in sowjetische Gefangenschaft ging und von Oktober 1943 bis April 1944 als Kursant, vom Sommer 1944 bis Sommer 1947 als Lehrkraft an der Antifa-Schule in Taliza studieren und lehren konnte.
Dort hat sich im Grunde entschieden, dass die Suche dach den Ursachen unserer Niederlage bestimmend wurde für meinen künftigen Beruf nach der Heimkehr in das Land, in dem nun die Rote Fahne mit Hammer und Sichel gleichberechtigt neben der Fahne mit dem Staatswappen wehte, nämlich Historiker mit dem Forschungsgebiet Faschismus. Der bisherige Fragenkreis wurde nun aber zwingend erweitert durch die Frage, was getan werden muss, um einen neuen Faschismus zu verhindern.
Das – Faschismusforscher – wäre ich sicher bis ans Ende meines Forscherlebens geblieben, hätten wir – die Welt des Sozialismus – nicht eine zweite, noch viel schlimmere Niederlage erlitten, eine Niederlage, die ohne jede Übertreibung eine lebensbedrohende Katastrophe für die ganze Menschheit bedeutet.
Sie kam noch viel überraschender, weil fast bis zuletzt für ganz unmöglich gehalten, über uns, und verlangte mehr als alles andere nach der Antwort auf die Frage: wie konnte das geschehen, wo liegen die Ursachen für einen solchen Niedergang einer revolutionären Bewegung und der Gesellschaftsordnung des Sozialismus, die schon in allen Kontinenten außer Australien Fuß gefasst hatte und in einem Drittel der Welt herrschte?
So, wie 1933 der Sieg des Faschismus die Frage: wie konnte das geschehen? Meinen Weg zum Faschismusforscher gewissermaßen zwangsläufig bestimmt hat, so bestimmte der Sieg der Konterrevolution von 1989/90 meinen Übergang von der Faschismusforschung zur Revisionismusforschung.“
Zum Schluß ist es mir selbstverständlich ein Bedürfnis, Dank zu sagen den Genossen und Freunden der Berliner Gesellschaft für Faschismus- und Weltkriegsforschung, namentlich Dietrich Eichholtz, Kurt Pätzold, Martin Seckendorf und Werner Fischer, die sich um das Zustandekommen dieser heutigen Veranstaltung bemüht haben; den Freunden und Genossen, die mich durch ihre lobenden Worte in ziemliche Verlegenheit brachten und Euch allen, die ihr die Mühe auf euch genommen habt, mir die Freude zu machen, Euch hier wiederzusehen und begrüßen zu dürfen.
Abschließend gestatte ich mir, noch einen Wunsch und eine Hoffnung zu äußern:
Der Wunsch ist, dass möglichst bald der Zeitpunkt kommt, da alle jene, die nur den Faschismusforscher Gossweiler, nicht jedoch den Revisionismusforscher, schätzen; auch zu den Ergebnissen seiner zweiten Forschungsrichtung Ja sagen können.
Die Hoffnung darauf hat ausgerechnet eine Zeitung gestärkt, von der ich es nie erwartet hätte – nämlich die bei Unsereinem mit Recht berüchtigte FAZ.
Hat dort doch ein Dietmar Dath für mein erstes Anti-Revisionismus-Buch geworben, weil er fand, dass darin die hinter Phrasen verborgenen wahren konterrevolutionären Ansichten Gorbatschows frühzeitig enthüllt wurden. Wörtlich schrieb er in der FAZ vom 1. 8. 07: „Läßt man die Imponierphrasen (Gorbatschows) weg, dann sagt diese Äußerung (Gorbatschows) genau das, was der treue Bolschewik Kurt Gossweiler in seinem lesenswerten Band „Wider den Revisionismus“ (München 1997) aus ihr herausliest.“
Verzeiht diesen Abschluss mit einer Selbstwerbung – aber es ist dies in Wahrheit eine Werbung für die Beschäftigung mit der Waffe der Sieger, dem Revisionismus, der sie ihren Sieg über uns verdanken, und die unbrauchbar gemacht werden muss, wenn wir die Stärke erlangen wollen, die uns ermöglicht, die Sieger von gestern zu den Besiegten von morgen zu machen.
Kurt Gossweiler, Berlin